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Lieb mich zweimal, Baby

Liebesroman

von Anna Graf (Autor:in)
239 Seiten

Zusammenfassung

Eine Frau, zwei Männer und dann auch noch ein Mord …
Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Maja Stern, ich bin Schauspielerin, Aushilfssekretärin und wenn ich völlig pleite bin, gehe ich bei meinem Kumpel Gregor kellnern. Ich bin temperamentvoll, impulsiv und wahrscheinlich auch ein bisschen verrückt und wenn mir ein Mann wie Tim über den Weg läuft, greife ich natürlich mit beiden Händen zu. Allerdings hätte ich nicht im Traum damit gerechnet, dass dieser muskulöse, gut gebaute Adonis mein ganzes Leben umkrempelt.
Aber auch Manuel, den ich schon mein ganzes Leben lang kenne, ist mir nicht ganz gleichgültig und Manuel scheint regelrecht davon besessen zu sein, mich für sich zu gewinnen.
Die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein – auf der einen Seite Tim, der blonde, strahlende Riese, den ich auf der Straße am liebsten vor den gierigen Blicken anderer Frauen verstecken würde, auf der anderen Seite Manuel, dunkel, geheimnisvoll und sein wahres Ich stets sorgfältig verbergend.
Doch ein Zufall enthüllt Manuels dunkles Geheimnis und als dann auch noch ein Mord geschieht, ist nichts mehr so, wie ich es mir ursprünglich erhofft hatte …

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>"True Love Bad Guys - wahre Liebe lohnt sich doch"
"Liebesurlaub" - ein Mallorca- Liebesroman
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Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Eins

Noch eine Stunde bis zum Feierabend. Ich registrierte Olivers anzügliche Blicke vom gegenüberliegenden Schreibtisch und versuchte, die Welle der Erregung, die sie hervorriefen, zu verdrängen. Krampfhaft stierte ich auf meinen Bildschirm, aber die Gewissheit, weiter stumpfsinnige Zahlenkolonnen in den Computer hämmern zu müssen und nicht auf Olivers verheißungsvolle Anmache eingehen zu können, löste lähmende Müdigkeit aus.

Nebenan brüllte der Boss am Telefon irgendeinen Ersatzteillieferanten an, er schrie so laut, dass ich mich kaum konzentrieren konnte. Ich hasste den Kerl, er war einer von der ganz üblen Sorte, selbstgerecht  und ein fürchterlicher Choleriker. Aber was blieb mir weiter übrig, ich musste hier arbeiten. Dieser Job zahlte meine Miete und meine Lebensmittel, also machte ich ihn, obwohl ich gut darauf hätte verzichten können.

Die Tür zu unserem Büro flog auf und Norbert Hirsch, der Firmenchef und gleichzeitig Olivers Vater, kam hereingestürmt.

„Ich bin für heute weg, Kundentermin, bin für niemanden erreichbar.“

Noch bevor jemand von uns antworten konnte, war er wieder draußen und die Bürotür flog krachend hinter ihm ins Schloss. Ich konnte mir den ‚Kundentermin‘ um diese Zeit lebhaft vorstellen, der war garantiert platinblond, hatte ein Doppel- D- Körbchen und wartete an der Bar vom Eros- Center auf ihn. Hirsch war noch nicht richtig unten aus der Haustür, als Oliver aufsprang, um unsere Schreibtische herumlief und sich von hinten über mich beugte.

„Na endlich, ich hab es kaum noch ausgehalten.“

Er ließ eine Hand in meinen Ausschnitt gleiten und fuhr unter den Stoff meines BHs. Ich atmete tief ein, als seine Fingerspitze über meine Brustwarze strich und lehnte meinen Kopf zurück. Oliver beugte sich tiefer, knabberte an meinem Ohrläppchen und versenkte auch die andere Hand in meiner Bluse.

Er war ein hübscher Bengel, der äußerlich nicht viel mit seinem groben Vater gemein hatte, aber charakterlich auf dem besten Weg war, dem Alten Konkurrenz zu machen. Eigentlich war er viel zu jung für mich. Er studierte Betriebswirtschaft, machte gerade ein Praktikum hier in der Firma und hatte mich vom ersten Tag, an dem er da war, auf dem Radar gehabt. Warum ich mit ihm schlief, wusste ich nicht so richtig, wahrscheinlich fühlte ich mich geschmeichelt von seiner Aufmerksamkeit. Er sah blendend aus, aber eigentlich war er nicht mein Typ.

Ich gehörte nicht hierher, ich arbeitete für eine Agentur, die Aushilfsjobs vermittelte und war als Vertretung für Norbert Hirschs Sekretärin engagiert, die nach einem Verkehrsunfall im Krankenhaus lag und für mehrere Monate ausfallen würde. Dementsprechend stand ich auf dem letzten Platz in der Hackordnung. Der Alte hatte mich bereits am ersten Tag ziemlich unverblümt angegraben und behandelte mich, weil ich ihn genauso unverblümt abfahren ließ, seitdem wie den letzten Dreck.

Es war mir ein innerer Vorbeimarsch, gelegentlich mit seinem kostbaren Kronprinzen zu vögeln, zumal der kleine Oliver wirklich über einige Qualitäten verfügte. Naja, eigentlich war er ein versauter kleiner Dreckskerl, er experimentierte gern. Gewisse Dinge hatte ich mir aber gleich zu Anfang verbeten. Ich stand nicht auf Schmerz, mochte weder Handschellen, noch Schläge im Bett, daher war das Ende unserer gemeinsamen ‚Beziehung’ bereits absehbar. Außerdem ging er sowieso bald nach Chicago, um sein Studium dort fortzusetzen.

Wir hatten es noch nie im Büro getrieben, ich spürte, dass er erregter war als sonst. Er zog mich vom Stuhl und packte meinen Hintern, dann küsste er mich leidenschaftlich und fegte achtlos mit dem Unterarm die Papiere auf meinem Schreibtisch zur Seite. Ich stöhnte, nachher würde ich den ganzen Mist neu sortieren müssen, dann aber siegte die Lust, denn Oliver fackelte nicht lange, schob meinen Rock nach oben und brachte seine Hand auf die Zielgerade.

Er hob mich hoch und platzierte mich auf der Tischplatte. Ich kam mir ein bisschen vor wie in einem billigen Pornofilm, aber mittlerweile war ich ordentlich scharf und begierig darauf, dass er endlich loslegte. Ich genoss Olivers Küsse, umschlang seine Hüften mit meinen Beinen und spürte seine Härte, die sich gegen mich drängte. Ich ließ mich fallen und so bekam ich nicht mit, dass sich ein Schlüssel in der Bürotür drehte. Urplötzlich brach der Alte, der wahrscheinlich nur irgendetwas vergessen hatte, über uns herein und brüllte wie ein Berserker, als er uns sah. Wir stoben auseinander, als hätte er einen Eimer kaltes Wasser über uns ausgekippt. Mein Gott, war das peinlich, glücklicherweise war ich noch relativ vollständig bekleidet und mein Unterteil mit dem hochgeschobenen Rock wurde von den beiden Bildschirmen auf meinem Schreibtisch verdeckt. Allerdings war die Situation mehr als eindeutig und nicht zu verkennen.

Hirsch stürzte mit wutrotem Kopf und ausgestrecktem Zeigefinger auf mich zu.

„Raus hier“, brüllte er. „Verschwinden Sie auf der Stelle, Sie sind gefeuert.“

Ich starrte wie gebannt auf die dicke Ader, die bedrohlich an seiner Schläfe wuchs und kurz vor dem Platzen war. Seine Gesichtsfarbe war zwischenzeitlich zu dunkelviolett gewechselt und ein bisschen rechnete ich damit, dass er jeden Moment einem Herzinfarkt erliegen würde.

Oliver warf sich heldenhaft zwischen uns.

„Lass Maja in Ruhe, Vater“, rief er. „Wenn du sie rausschmeißt, gehe ich auch.“

Der Alte wandte seinen stechenden Blick von mir ab und seine Aufmerksamkeit seinem Sohn zu.

„Ach halt doch den Mund, Oliver. Bist du bescheuert? Merkst du nicht, was hier abläuft? Du willst gehen, weil ich eine dumme Tippse rausschmeiße?“

Er pflanzte sich vor mir auf und ich zuckte zusammen. Nicht, weil ich Angst vor ihm hatte, sondern weil er mit zunehmender Wut auch eine zunehmend feuchtere Aussprache bekam. Demonstrativ wischte ich mit dem Ärmel über meine Wange und starrte ihn herausfordernd an. Das gab ihm den Rest, er hob die Hand, als wolle er mich schlagen, beherrschte sich aber noch im letzten Moment.

„Sie glauben, Sie können sich ins gemachte Nest setzen, indem Sie sich meinen Sohn krallen? Das können Sie vergessen, Sie blöde Schlampe! Wie lange läuft das hier schon?“

Er erwartete nicht wirklich eine Antwort von mir, denn er brüllte gleich weiter.

„Ich werde mich offiziell bei Ihrer Firma beschweren, Sie sind erledigt, Frau Stern, das garantiere ich Ihnen.“

Olivers kleine Revolte war bereits beendet, das sah ich in seinen Augen. Er setzte sich wie ein geprügelter Hund zurück an seinen Schreibtisch und versteckte sich hinter dem Bildschirm. So viel zu ihm.

Ich, die blöde Tippsenschlampe, zog meine Klamotten glatt und schnappte meine Handtasche.

„Gemachtes Nest? Glauben Sie wirklich, dass ich scharf auf Ihre lausige Spedition bin?“ jetzt lachte ich lauthals. „Sie können sich Ihr gemachtes Nest ans Knie nageln und Ihren Sohn mit dazu.“

Ich verließ hoch erhobenen Hauptes den Ort des Grauens. Erst draußen, auf der Straße sackten meine Schultern herunter, ich hoffte inständig, nicht wirklich erledigt zu sein.

 

 

Auf dem Weg zur Straßenbahn versuchte ich, Manuel Wegner zu erreichen, meinen Boss bei der Vermittlungsagentur, allerdings bekam ich immer nur die Mailboxansage zu hören. Nach dem fünften Versuch klappte es endlich.

Manuels Begrüßung fiel grantiger als erwartet aus.

„Du brauchst mir nichts zu erzählen, Hirsch hat mich bereits informiert. Was hast du dir nur wieder geleistet, Maja!“

„Gar nichts hab ich mir geleistet“, ich gab mich unschuldig. „Hattest du noch nie einen kleinen Flirt im Büro? Meine Arbeit hat ganz sicher nicht drunter gelitten.“

„Kleiner Flirt? Hör bloß auf, bei ihm klang es, als hättest du es während der Arbeitszeit mit der gesamten Belegschaft getrieben. Ich will nichts mehr davon hören. Der Blödmann hat mir eben dermaßen ins Ohr gebrüllt, dass ich einen Tinitus bekommen habe.“

„Tut mir leid, echt“, ich gab mich betont kleinlaut. „Wird nicht wieder vorkommen, versprochen.“

„Das wird es auch nicht, weil ich dich nämlich rausschmeiße. Der Typ hat mir eine Klage angedroht, wenn ich ihm keinen Schadenersatz für die Zeit zahle, die du - und jetzt zitiere ich ihn - ‚verfickt hast, statt zu arbeiten‘. Ich hab echt die Nase voll von dir.“

Das Besetztzeichen tutete mir ins Ohr. Manuel hatte einfach aufgelegt. Jetzt wurde mir schon ein wenig komisch, so extrem hatte er noch nie reagiert. Ich kannte ihn schon ewig, er war mal der beste Freund meines großen Bruders gewesen und hatte sogar mehrere Jahre bei uns gewohnt. Ich arbeitete seit drei Jahren für ihn, immer zur Überbrückung, wenn ich gerade kein Engagement hatte.

Ok, ja, ich hatte wirklich ein paar Sachen  auf dem Kerbholz, zum Beispiel hatte ich der Frau eines Abteilungsleiters geraten, ihn in den Wind zu schießen, weil er eigentlich auf Männer stand. Ich hatte einer Kollegin Mundwasser und ein Deo mitgebracht, weil ich ihren penetranten Geruch nicht mehr ertrug und sich sonst niemand traute, etwas zu sagen. Ich hatte auch schon mal eine kurze, aber sehr leidenschaftliche Affäre mit dem etwas älteren, aber sehr attraktiven Geschäftsführer eines Verlags. Leider stand eines Tages unangemeldet seine halbwüchsige Tochter in der Tür und bekam einen Schreikrampf, als sie uns- glücklicherweise- nur beim Knutschen erwischte. Manuel hatte mich nach meinen Eskapaden jedes Mal ordentlich zusammengestaucht und für eine Weile ignoriert, aber trotzdem immer wieder angerufen und mich woanders hin geschickt. Diesmal war es anders, das spürte ich. Offenbar war mein Freundschaftsbonus bei ihm verbraucht. Wenn er mich wirklich feuerte, wurde es mehr als eng bei mir.

 

 

Ich war Schauspielerin, auch wenn ich das manchmal selbst nicht mehr glauben konnte. Ich spielte seit meiner Schulzeit Theater und arbeitete fast ausnahmslos an kleinen, alternativen Bühnen. Zu mehr hatte ich es leider nicht gebracht. Beim Film konnte ich, bis auf Statistenrollen, keinen Fuß in die Tür bekommen. Wenigstens kam ich ab und zu bei Werbespots unter und ich synchronisierte hin und wieder, aber leben konnte ich von alldem nicht.

Zugegeben, ein bisschen blauäugig war ich schon bei der Sache, denn ich hatte keine richtige Ausbildung, außer einem Computer- und Buchhaltungs- Crashkurs und meiner ‚überaus reichen‘ Lebenserfahrung konnte ich nichts vorweisen. Ich war weder erfolgreich, noch berühmt und ein Denkmal als Schauspielerin hatte ich mir auch nicht gesetzt, wenn man mal vom inoffiziellen Weltrekord als Besetzung von unbedeutenden Nebenrollen auf drittklassigen Hinterhofbühnen absah.

Ich war eine Schauspielerin unter den vielen, die irgendwie ihr Leben fristeten und sehen mussten, wie sie klarkamen.

Zur Zeit zehrte ich noch von einer kleinen Synchronrolle, ich durfte die Lila, eine lilafarbene Libelle in einer Zeichentrickserie sprechen. Das hatte riesen Spaß gemacht, mir ein paar Wochen Arbeit beschert und wurde ausnahmsweise mal richtig gut bezahlt. Ich hoffte auf eine zweite Staffel, glaubte aber nicht wirklich dran. Selbst wenn eine käme, bei meinem Glück würde die lila Libelle bestimmt gleich in der ersten Minute von einem fetten Frosch gefressen und mein Text würde sich auf ein knappes ‚Uups‘ beschränken.

Ich war auch noch die Stimme eines sprechenden Bio- Hundekuchens aus der Fernsehwerbung. Zum Glück wussten das nur wenige meiner Freunde, denn der Spot war so peinlich, dass ich niemandem davon erzählte.

Wenn ich frei war - und wie es aussah, war ich in Zukunft freier als mir lieb war - machte ich Straßentheater mit meinen Puppen. Leider hatten wir erst Mitte Januar und dieses Jahr schlug der Winter ziemlich heftig zu. Es herrschte eisige Kälte, so dass ich keine große Lust verspürte, mir in den Fußgängerzonen für ein paar Euro den Hintern abzufrieren.

Ich war mal wieder frei wie ein Vogel, kein Bürojob mehr, kein Engagement in Sicht, also blieb mir nur noch die Kneipe meines Kumpels Gregor, in der ich bei Gelegenheit kellnerte. Gregor gehörte ein schmales, altes Haus im Zentrum von Schöneberg. Im Erdgeschoss befand sich die Kneipe, gleich darüber Gregors Wohnung. Ich wohnte zur Miete unter dem Dach, hatte mir dort ein kuscheliges Nest eingerichtet, das aus zwei kleinen Zimmern, Küche, Bad und einem winzigen Dachbalkon bestand, auf dem ich mich im Sommer sonnen konnte, wie Gott mich geschaffen hatte.

 

 

Ich saß ziemlich ratlos mit einem Glas Rotwein auf meinem Sofa und zappte ziellos durch die Fernsehkanäle, als meine Freundin Jenny anrief.

„Kommst du nachher mit in den Turm?“, fragte sie. „Wir sind für eine andere Band eingesprungen, wenn du dabei bist, setze ich dich auf die VIP- Liste, dann musst du keinen Eintritt zahlen.“

VIP- Liste, zu komisch … Die VIP- Listen bei Jennys Auftritten mit ihrer Rockband waren die einzigen, auf die ich es jemals geschafft hatte. Ich sagte kurzentschlossen zu, alles war besser, als den Abend trübsalblasend allein zu Hause zu sitzen und über den Sinn des Lebens nachzugrübeln.

Zwei Stunden später tanzte ich mir mit Hilfe von Jennys Band und mehreren Wodka- Cola den Frust aus dem Leib. Der Turm war einer der beliebtesten Studentenclubs der Stadt, heute war es rappelvoll und ich hatte seit einiger Zeit ein Schoßhündchen an meinen Fersen kleben. Er suchte offensichtlich meine Nähe, tanzte schon eine ganze Weile neben mir und lud mich schließlich zu einem Drink ein, den ich aber dankend ablehnte.

Irgendwie schien ich in letzter Zeit nur noch Bubis anzuziehen. Obwohl, Oliver aus meiner nunmehr Ex- Firma war zwar vier Jahre jünger als ich, aber definitiv kein Mann von der Bubi- Sorte. Der hier, der um mich herumschwänzelte wie ein ausgehungerter Straßenköter, war vielleicht zwanzig und ziemlich niedlich, gehörte aber definitiv noch ein paar Jahre auf die Weide. Vielleicht hatte er ja eine Wette mit seinen Freuden laufen, eine ältere Frau abzuschleppen. Obwohl- ältere Frau wollte ich in meinem Zusammenhang auch nicht hören, ich war schließlich noch keine dreißig. Betonung lag leider auf dem ‚noch‘, denn obwohl zwischen heute und diesem schicksalsträchtigen Tag fast noch ein ganzes Jahr lag, fürchtete ich, das die Zeit bis zum meinem Geburtstag Ende November schneller vergehen würde, als mir lieb war.

Ich versuchte also, den jungen Fiffi loszuwerden, was mir auch irgendwann gelang, aber als ich nach Ende des Gigs mit Jenny und den Jungs von der Band an der Bar abhing, stand er plötzlich wieder da, behauptete, ebenfalls Musiker zu sein und bombardierte die Jungs mit endlosen Fragen.

Ich hatte es indessen erfolgreich geschafft, meinen Frust im Alkohol zu ertränken und verspürte benebelt das dringende Bedürfnis nach menschlicher Nähe. Ich lehnte mich an den erstbesten, der neben mir stand und schloss die Augen …


Zwei

Die Bewegung einer warmen Hand weckte mich. Sie schob sich langsam von meiner Brust zum Bauch hinunter und blieb dort liegen. Normalerweise hätte ich die Berührung genossen und mich in der Hoffnung, dass die Hand tiefer wandert, ein bisschen hin und her bewegt, aber im Moment lag das Ding wie ein Bleigewicht auf meiner zum Platzen gefüllten Blase.

Mir war so schlecht! Mein Versuch, die Augen zu öffnen, misslang. Es schien, als hätte mir jemand Blei auf die Lider gegossen, sie wollten sich einfach nicht bewegen. Mein Kopf schien doppelt so groß wie sonst zu sein und brummte erbärmlich.

Mühsam zwang ich die Augen auf und fand mich in einem fremden Raum, in einem fremden Bett, in Löffelchenstellung mit Gott weiß wem. Vorsichtig versuchte ich, die schwere Hand von mir zu schieben, doch das Einzige, was ich erreichte war, dass die Hand wieder meine Brust umfasste und ‚wer auch immer’ mir seinen halberigierten Penis gegen den nackten Hintern drückte.

In meinem Kopf drehte sich alles. Ich musste wirklich dringend aufs Klo, mein Bauch tat schon richtig weh, aber ich wollte auf keinen Fall riskieren, meinen ‚Hintermann‘ zu wecken. Ich ruckelte vorsichtig im Bett herum, und ‚Er‘ bewegte sich tatsächlich, murmelte etwas Unverständliches und drehte sich auf den Rücken. Ich war frei! Langsam rappelte ich mich hoch, stützte meinen schmerzenden Kopf mit den Händen und besah mir den Typen, der schlafend neben mir lag. Er kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich hatte keinen blassen Schimmer, wer er war. Wie ich in seinem Bett gelandet war, entzog sich ebenfalls meiner Kenntnis. Ich sah blonde, zerwühlte Haare, nicht sonderlich breite Schultern und einen sommersprossigen Arm, der locker auf der Decke lag. Nach einem erneuten Blick in sein Gesicht schloss ich entsetzt die Augen wieder und wünschte, ich wäre woanders.  Natürlich, der Bubi von gestern, der Jungspund, der mir nicht von der Pelle gewichen war. Oh Mann, mit mir wurde es echt immer schlimmer!

Ganz langsam kam mein Hirn in Schwung und die  Erinnerung an gestern Abend zurück. Mir fiel ein, dass er Florian hieß und Schlagzeuger war, was aufgrund des Schlagzeuges, das drüben unter dem Fenster stand, wohl auch stimmte. Ich unterdrückte ein Stöhnen, dann verließ ich so vorsichtig wie möglich das Bett und suchte nach meinen Sachen. Es musste wild hergegangen sein vergangene Nacht, wir hatten eine Klamottenspur quer durch den ganzen Raum gelegt. Wider Willen musste ich grinsen, das alles war völlig irrwitzig, da hatte ich mal echtes, unverdorbenes  Frischfleisch im Bett gehabt und konnte mich an rein gar nichts erinnern.

Bei dem Versuch, meine Kleidungsstücke einzusammeln, drehte sich das gesamte Zimmer um mich. Ich unterdrückte mühsam einen Brechreiz, zog mich, so schnell es mein Zustand zuließ, an und verließ leise das Zimmer. Der Typ schlief wie ein Stein, glücklicherweise.

 

 

Ich fand mich in einer großen Diele wieder, von der mehrere Türen abgingen. Zum Teufel, wo war das Klo? Alle Türen sahen gleich aus, ich konnte doch nicht eine nach der anderen öffnen um nachzusehen, wo das Bad war.

Ich drehte mich ratlos um die eigene Achse und stieß einen Fluch aus, denn der Flur bewegte sich in verschwommenen Wellen mit mir. Dann hörte ich einen Schlüssel klappern und ein ziemlich großes, dünnes Mädchen mit raspelkurzen Haaren und runder Nickelbrille betrat die Wohnung. Auch sie war höchstens zwanzig, ihr fades Gesicht hätte ein Pfund Farbe vertragen können und zum Lachen ging sie sicher in den Keller. Sie musterte mich herablassend von oben bis unten und quetschte ein:

„Na Mahlzeit, gut geschlafen?“, zwischen ihren blassen Lippen hervor.

Ich versuchte ein Lächeln, was aber nicht so recht gelang.

„Badezimmer?“, fragte ich knapp. Die Dünne lehnte sich an die Garderobe und wies hämisch grinsend auf eine der Türen.

„Schon ein toller Hecht, unser Flori“, sagte sie abfällig. Sie ging mir auf die Nerven

„Neidisch?“, ich konnte einfach nicht anders. Das:

‚Im Gegensatz zu dir hatte ich heute Nacht einen Kerl im Bett und du hast sicher schon Spinnweben zwischen den Beinen‘, verkniff ich mir gerade noch so. Aber diese halbvertrocknete Trulla hatte etwas an sich, dass mich wütend machte.

Der Dünnen klappte die Kinnlade herunter, ich verzog mich ins Bad und riegelte mich vorsichtshalber ein. Wäre meine schmerzende Blase nicht gewesen, hätte ich die Wohnung längst fluchtartig verlassen. Hoffentlich wachte ‚Flori ‘ nicht auch noch auf, ich wollte so schnell wie möglich aus dem Kindergarten hier verschwinden.

Ich schleppte mich zur Toilette und war erleichtert, als der Druck aus meinem Bauch verschwand. Danach warf ich einen vorsichtigen Blick in den Spiegel und verdrehte angewidert  die Augen. Meine Wimperntusche hatte sich über das halbe Gesicht verteilt und sich besonders in den zahlreichen Knitterfalten, die das Kissen auf meinen Wangen hinterlassen hatte, angesammelt. Mein Haar war durcheinander und verknotet und stand in alle Himmelsrichtungen ab. Kein Wunder, dass die Bohnenstange so gegrinst hatte.

Nach einem halbherzigen Versuch, mein Haar durchzukämmen, band ich es schließlich zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammen und wischte mein verschmiertes Make- up weg. Ich klatschte mir einen Schwall kaltes Wasser ins Gesicht und trank die halbe Wasserleitung leer. Was hatte ich gestern bloß alles in mich hineingeschüttet? Einen solchen Kater hatte ich schon Jahre nicht mehr gehabt.

Ich lehnte den Kopf gegen die Tür und lauschte. Auf dem Flur war alles ruhig, offenbar hatte sich die große Dürre verzogen. Was für ein Wortspiel! Ich schlüpfte in meine Jacke, wickelte mir meinen dicken Schal um den Hals und das halbe Gesicht, dann machte ich die Tür auf … Durchmarsch und nichts wie weg. Gottseidank, es gab kein Publikum mehr zwischen mir und der Straße.

 

 

Draußen versuchte ich, mich zu orientieren. Die Straße kam mir bekannt vor, ein Stück weiter vorn befand sich eine S- Bahnstation, und ich wusste jetzt, dass ich in Kreuzberg gelandet war. Ich lief ein Stück, die klare, kalte Luft tat meinem Kopf gut, die Übelkeit ließ ein wenig nach, aber ich sehnte mich nach einem starken Kaffee, einer Großpackung Kopfschmerztabletten und meinem Bett. Ich schaltete mein Handy ein und bestellte ein Taxi. Bis nach Hause zu laufen, wäre in meinem Zustand Mord gewesen und allein die Vorstellung, mich in die muffige, überfüllte Bahn quetschen zu müssen, verursachte neuen Brechreiz.

Angelehnt an einen Laternenmast wartete ich auf das Taxi und erhielt postwendend ein eindeutiges Angebot von einem feisten Typen jenseits der fünfzig.

„Sehe ich aus wie eine Bordsteinschwalbe?“, fauchte ich ihn an. „Hau bloß ab!“

Der Kerl pflaumte etwas zurück, das wie ‚blöde Schlampe’ klang, zeigte mir den Mittelfinger und ging seiner Wege.

Naja, ich glaube nicht, dass man mich mit einer Bordsteinschwalbe verwechseln könnte. Ich bin normalerweise weder besonders aufreizend geschminkt, noch ziehe ich mich übermäßig sexy an. Ich bin relativ groß, fast einen Meter achtzig und trage aus diesem Grund meistens flache, bequeme Schuhe.

Meine Freunde sagen, dass ich gut aussehe und ich denke, dass sie recht haben. Obwohl ich finde, dass meine Nase zu groß ist, meine Augen zu weit auseinander stehen und meine Haare einfach … na reden wir nicht weiter drüber. Ich habe eine regelrechte Hassliebe für meine dicken, rotblonden Naturlocken, die sich bei jedem noch so kleinen Anflug von Feuchtigkeit zu einer undefinierbaren krausen Masse zusammenballen. Ich fechte einen stetigen Kampf mit meiner Frisur aus und man sagt mir nach, dass mein Temperament manchmal ebenso schwer zu bändigen ist wie mein Haar.

Ich sah das Taxi heranfahren, löste mich vom Laternenpfahl und winkte. Eigentlich konnte ich mir diese Taxifahrt überhaupt nicht leisten, aber scheiß drauf. Der Fahrer beobachtete mich im Rückspiegel und versuchte, mir ein Gespräch über das Wetter, den nicht enden wollenden Winter und die katastrophalen Straßenverhältnisse aufzudrängen. Abwesend nickte ich, murmelte gelegentlich ein „Ja“ oder „Genau“, ich ließ den Redeschwall an mir vorbeirauschen und konzentrierte mich darauf, meinen Mageninhalt bei mir zu behalten. Glücklicherweise waren die Straßen frei und ich kurze Zeit später zu Hause.

 

 

„Maja, gut dass du kommst“, Gregor, der Kneipenwirt, kam die Kellertreppe heraufgeflitzt, kaum dass ich die Haustür geschlossen hatte.

„Ist was passiert?“, fragte ich erschrocken.

„Rohrbruch, der Keller steht unter Wasser. Das Wasser muss schon ziemlich lange gelaufen sein, ehe wir es bemerkt haben. Der Klempner ist da und wechselt das Rohr aus,  aber unten ist alles komplett abgesoffen.“

Erst jetzt fiel mir auf, dass Gregor Gummistiefel trug und seine Klamotten völlig durchnässt waren. Mein Magen krampfte sich zusammen, meine Bühnenkostüme, die ich zum Teil offiziell bekommen und zum Teil aus sentimentalen Gründen einfach geklaut hatte, lagerten im Keller in einer großen Kiste neben jeder Menge Theaterschnickschnack und meinen heißgeliebten Puppen, mit denen ich im Sommer auftrat.

Kopfschmerzen und Müdigkeit waren schlagartig vergessen. Ich warf meinen Rucksack in die Ecke und rannte in den Keller hinunter. Der Schaden war immens. Bereits auf den letzten Stufen der Treppe schwappte mir Wasser über die Füße und drang in meine Schuhe. Im Gang stand es mindestens knietief. Egal, ich musste sehen, was aus meinem Kram geworden war und retten, was zu retten ging.

Unten versuchte meine Freundin Jenny, die seit einer Weile mit Gregor liiert war, vergeblich, das Wasser mit Eimern durch das Kellerfenster hinauszubefördern.

„Wir sollten die Feuerwehr rufen, zum Auspumpen“, sagte sie. „Das kriegen wir allein nie trocken.“

Ich lief an ihr vorbei zu meinem Kellerraum. Die vage Hoffnung, dass die schwere Kellertür das Wasser aufgehalten haben könnte, bestätigte sich leider nicht. Der Raum war genauso überschwemmt wie der Rest des Kellers, alle Kisten vollgelaufen. Die Kostüme hatten sich mit der graubraunen Brühe, die durch den Keller waberte, vollgesogen und meine Holzpuppen schwammen mir, inmitten von anderem Theatertand,  fröhlich um die Beine herum.

„Scheiße, scheiße, scheiße“, wütend stampfte ich mit dem Fuß auf, was aber nur bewirkte, dass mir ein Schwapp eisiges, schmutziges Wasser ins Gesicht spritzte. Ich angelte Paul, meine Lieblingsmarionette, aus dem Durcheinander. Der Gute begann bereits, in seine Einzelteile zu zerfallen. Der Leim, der ihn zusammenhielt, hatte sich aufgelöst und sein Kopf war aufgequollen. Die anderen Puppen sahen noch schlimmer aus. Ich unterdrückte das Bedürfnis, laut zu schreien.

Ok, das Zeug, das ich hier aufbewahrt hatte, war nicht viel wert, aber mein Herz hing  dran. Hier lagerten meine unerfüllten Träume und Wünsche. War die Überschwemmung vielleicht ein Wink des Schicksals, meinem Leben eine andere Richtung zu geben?

 

 

Von oben drangen Sirenenklänge in den Keller. Jenny hatte wirklich die Feuerwehr gerufen. Jetzt ging es Schlag auf Schlag. Schläuche wurden ausgerollt, Pumpen hinuntergebracht und die Männer machten sich ans Werk.

Ich ging frustriert in meine Wohnung hinauf, um trockene Sachen anzuziehen. Am liebsten hätte ich mich sofort ins Bett gelegt. Das kalte Wasser hatte mich ausgekühlt, ich fror wie ein Schneider und zitterte am ganzen Körper. Dazu kam noch der Kater von gestern, der die Sache nicht besser machte.

Ich wärmte mich unter der Dusche auf, zog dann einen dicken Strickpullover an und suchte warme Socken heraus, schluckte ein paar Kopfschmerztabletten und lief wieder hinunter. Ich wagte noch einmal einen Blick in den Keller, aber dort schien mittlerweile alles seinen Gang zu gehen.

„Darf ich mal?“, hörte ich plötzlich eine tiefe, überaus sexy klingende Stimme hinter mir sagen. Sie gehörte zu einem der Feuerwehrmänner und als ich mich umdrehte, stellte ich fest, dass ein Riese mit mir sprach. Ich presste mich mit dem Rücken gegen die Wand, damit er durch konnte. Er quetschte sich auf der engen Kellertreppe an mir vorbei und musterte mich dabei aus strahlend  blauen Augen. Ein guter Meter fünfundneunzig mit ordentlich breiten Schultern sah auf mich herab, unter dem übergroßen Helm entdeckte ich ein gut geschnittenes Gesicht. Nicht zu fassen, vor mir stand tatsächlich mal ein Mann, zu dem ich aufsehen musste und der kein dürrer, komischer Vogel war.

Er streifte mich leicht mit seinem Körper und ich feuchtete instinktiv meine Lippen mit der Zunge an. Als ich die Hand hob, um durch meine Haare zu fahren, wurde mir bewusst, was ich da tat. Machte ich tatsächlich gerade einen Feuerwehrmann an? Schnell ließ ich die Hand wieder sinken und flitzte die Treppe hinauf. Ich hatte im Moment wirklich andere Sorgen!

Oben, an der Kellertür drehte ich mich noch einmal um. Der Typ stand noch immer da und sah mir nach. Er grinste, tippte mit zwei Fingern gegen den Helm und lief hinunter in den Keller.

 

 

Die Kneipe war noch geschlossen. Ich ging durch den Hintereingang im Treppenhaus hinein und stellte den Kaffeeautomaten an. Was ich brauchte, war ein vierstöckiger Espresso, mindestens. Damit setzte ich mich an einen der Tische und versuchte, mich von meinen Kopfschmerzen abzulenken. Hoffentlich wirkten die blöden Tabletten bald! Ich legte den Kopf auf die Arme, machte die Augen zu und dämmerte nach einer Weile weg.

Nach einer halben Ewigkeit war endlich das Wasser aus dem Keller und Gregor kam mit den Feuerwehrleuten im Schlepptau auf einen schnellen Kaffee nach oben. Ich setzte mich auf und rieb mir die brennenden Augen.

Als letzter betrat der Riese den Gastraum, nahm den Helm ab und legte ihn neben der Tür auf den Boden. Ich sah nach hinten gekämmtes und zu einem dicken Pferdeschwanz zusammengebundenes, dunkelblondes Haar. Ein paar Strähnen hatten sich gelöst, hingen ihm ins Gesicht und gaben ihm etwas hinreißend Verwegenes. Er suchte Blickkontakt mit mir, ließ mich auch dann nicht aus den Augen, als er längst mit seinen Kollegen am Tisch saß.

Jenny wuselte zwischen den Männern herum. Die geballte Ladung Testosteron machte sie völlig wuschig. Gregor blieb grinsend in der Tür stehen, offensichtlich amüsiert über seine hyperaktive Liebste, dann bedankte er sich bei den Feuerwehrleuten, nahm Jenny an die Hand und beförderte sie nach oben. Die beiden mussten dringend aus ihren nassen Klamotten. Also blieb es mir überlassen, mich um die Feuerwehrleute zu kümmern. Ich stellte jedem einen Becher Kaffee hin, verdrückte mich hinter die Theke und wischte die eigentlich blitzsauberen Oberflächen ab.

Die Männer redeten laut und durcheinander, doch der Riese hielt sich raus. Er trank ruhig seinen Kaffee, sagte nicht viel, sah mich aber immer wieder an. Ich hielt seinem Blick stand, dann erkundete ich sein Gesicht. Mir gefiel, was ich sah und ich verlor mich ein bisschen in seinen blauen Augen mit den gut geformten, dichten Augenbrauen. Er hatte volle, sinnliche Lippen, ein kantiges Kinn und trotz seiner blonden Haare zeichnete sich ein dunkler Bartschatten auf seinen Wangen ab.

Einer der Feuerwehrmänner hatte einen Witz gerissen, die Männer lachten dröhnend und ich lachte mit, obwohl ich nicht im Geringsten mitbekommen hatte, um was es ging. Ich löste meinen Blick von dem Riesen und spülte den vollkommen sauberen  Wischlappen aus. Er sah wirklich umwerfend aus. Vor allem vermittelte er den Eindruck, über allem zu stehen, alles im Griff zu haben, ganz im Gegensatz zu mir. Wie er wohl unter der unförmigen Schutzkleidung aussah? Bei der Vorstellung, seinen großen und garantiert muskulösen Körper zu berühren, schloss ich die Augen und genoss den wohligen Schauer, der mir den Rücken hinunterlief.

Nach zwanzig Minuten und ohne ein weiteres Wort mit mir gewechselt zu haben, sah der Riese auf seine Uhr, rief zum Aufbruch und die Männer verabschiedeten sich von mir. Er blieb an der Theke stehen, stütze die Arme darauf und fixierte mich aus scharfen Adleraugen.

„Danke für den Kaffee, das war jetzt genau richtig“, seine Stimme durchdrang mich, kitzelte in meinem Bauch und ohne es beeinflussen zu können, lächelte ich ihn an. Er lächelte zurück und sagte gerade heraus:

„Wir sollten uns mal auf einen Drink treffen, findest du nicht? Heute Abend vielleicht?“

„Heute ist es schlecht“, antwortete ich. Um bei der Wahrheit zu bleiben, hätte ich eher sagen müssen: ‚mir ist heute schlecht‘, aber das wäre nicht gut für mein Image gewesen. Also lächelte ich noch ein bisschen mehr und sagte schnell:

„Aber morgen habe ich Zeit. In der ‚Luise‘, so gegen neun?“

„Die Kneipe in der Pfortenstraße?“

„Ja, zwischen dem Blumenladen und der Musikalienhandlung.“

„Ich weiß, ich wohne da in der Nähe, also … morgen, um neun“, sein Lächeln wurde breiter. „Ich bin Tim.“

„Maja“, sagte ich und grinste. „Na dann, Tim.“

Er ging die paar Schritte rückwärts zur Tür, hob noch einmal grüßend die Hand, schnappte seinen Helm und ging. Ich lehnte mich, immer noch lächelnd  gegen die Theke, aber dann stöhnte ich, weil sich mein Brummschädel in Erinnerung brachte. Ich hatte immer noch einen derben Kater und wollte mich eigentlich nochmal hinlegen, doch das Chaos im Keller wartete auf Beseitigung und einen Putzlappen. Aber ich hatte ein Date mit Superman in Blond, das war wenigstens etwas.

 

 

Der Rest des Tages verging mit Aufräumarbeiten. Ich stand ratlos vor den Kisten mit den Kostümen. Vielleicht war es besser, das Zeug so wie es war, in den Müll zu schmeißen. Ich würde die Sachen nie wieder brauchen, ich hob sie wirklich nur aus sentimentalen Gründen auf und die Reinigung würde ein kleines Vermögen kosten. Mein Blick fiel auf die zerfallenen Puppen, die ich bereits auf einen Haufen geworfen hatte und ich kniff schnell die Augen zusammen, um die Tränen zu unterdrücken, die mir schon wieder in die Augen schossen.

Entschlossen stopfte ich Paul und seine Gefährten in einen Sack und griff mir den nächsten, um auch die Kostüme zu entsorgen.

Jenny, die ebenfalls im Keller zugange war, bekam große Augen.

 „Was machst du da?“, fragte sie erstaunt.

„Siehst du doch, ich miste aus.“

„Du wirfst deine Kostüme weg? Spinnst du? Die kriegst du doch locker wieder hin.“

Sie nahm mir den Sack aus den Händen und stellte ihn an die Seite.

„Das hat doch alles keinen Sinn mehr“, antwortete ich resigniert. „Wozu soll ich eigentlich den ganzen Plunder aufbewahren, ich brauch das Zeug eh nie wieder.“ „Red keinen Unsinn, was ist denn bloß los mit dir? Normalerweise steckst du doch kleinere Katastrophen mit einem Schulterzucken weg.“

Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten und sah sie aus verschleierten Augen an.

„Es ist nicht nur die Überschwemmung, Jenny. Weißt du, in den letzten Wochen ist mir mehr und mehr klar geworden, dass ich schon seit Jahren einer Illusion hinterher renne. Ich stehe vor dem Nichts. Ich werde bald dreißig und was habe ich erreicht im Leben? Ich bin eine drittklassige Schauspielerin ohne Engagement und selbst, wenn ich eins hätte, würde es mir so gut wie nichts einbringen. Jetzt habe ich auch noch den Job bei Manuel verloren. Ich bin eine verkrachte Existenz, so einfach ist das. Du hast wenigstens deine Musikschule, aber ich? Ich lebe von der Hand in den Mund und wenn ich pleite bin, gehe ich bei Gregor kellnern. Das kann doch nicht alles gewesen sein.“

„Aber was willst du dann machen?“

„Auf jeden Fall nicht mehr von Casting zu Casting rennen und mich von Werbeheinis runtermachen lassen.“

Jenny nahm mich in den Arm und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

„Du bist ja voll in der Lebenskrise. Wie kann ich dir bloß helfen?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Mir kann keiner helfen. Ich war einfach zu blöd, um Karriere zu machen. Ich hätte wohl lieber mit ein paar Produzenten schlafen sollen, statt mit Kameramännern und armen Regieassistenten.“

Dir ist echt nicht mehr zu helfen“, Jenny brach in Gelächter aus. „Wahrscheinlich hättest du zu jedem Casting deine eigene Besetzungscouch mitbringen sollen, dann wärst du jetzt reicher als Angelina Jolie.“

„Und ich hätte jede Nacht Brad Pitt im Bett“, ich verdrehte übertrieben die Augen.

„Deine Chancen stünden echt besser, wenn du dir einen reichen Mann suchen würdest.“, erwiderte Jenny.

„Oh ja, das wäre was, ich gehe gleich morgen auf die Suche.

Sie grinste wissend.

„Aber vorher ist erst noch der Feuerwehrmann dran.“

„Sag nicht, dass hast du mitbekommen?“

„Ich hab vorhin neben der Tür gestanden und alles mitgekriegt, sorry.“

„Also gut“, sagte ich betont energisch und wischte mir die letzten Tränen aus dem Gesicht. „Ich setze Prioritäten. Erst vernasche ich den heißen Brandmeister und dann suche ich mir einen reichen Mann, der meine Unkosten zahlt.“

„Das ist meine Maja“, Jenny lachte wieder. „Und bitte versprich mir, dass du keine armen, kleinen Jungs mehr abschleppst, Der Süße gestern muss sich gefühlt haben wie Sterntaler, als du ihm in den Schoß gefallen bist.“

„Erinnere mich bloß nicht daran“, stöhnte ich. „Ich hatte nicht mal was davon, kompletter Filmriss und jetzt ist mir immer noch schlecht.“

Ich griff mir wieder den Müllsack, stopfte den Rest meiner Habseligkeiten hinein und schnürte ihn zu. Das Kapitel Theater war für mich abgeschlossen.


Drei

Tim Hegemann stieg aus der Dusche, trocknete sich notdürftig ab und wickelte sich sein Badetuch um die Hüften. Prüfend fuhr er sich mit der Hand über Kinn und Wangen und beschloss, sich vorsichtshalber doch zu rasieren. Man konnte ja nie wissen, was der Abend noch so brachte. Während er sein Gesicht mit dem Rasierapparat bearbeitete, betrachtete er sich in dem großen Standspiegel, den Verena vor Ewigkeiten im Bad aufgestellt hatte.

Er war zufrieden mit dem, was er sah. Das regelmäßige Training zahlte sich aus. In seinem Job musste er fit sein, konnte sich keine körperlichen Schwächen leisten und so musterte er befriedigt seine breiten Schultern, die in muskulöse Arme und eine ebenso muskulöse Brust übergingen und das beeindruckende Sixpack, das seinen Bauch zierte.

Er kämmte seine schulterlangen, dunkelblonden Haare zurück und band sie im Nacken mit einem Lederriemchen zusammen.

Er grinste, als er an den bevorstehenden Abend dachte. Ein Date mit einer rotblonden Schönheit war ein Novum. Er konnte gestern seine Blicke kaum von ihr abwenden. Er fühlte sich angezogen von ihren eigenartigen, grünen Augen mit den goldenen Punkten, die zwar müde ausgesehen hatten, ihm aber trotzdem unendlich verführerisch erschienen waren.

Normalerweise stand er mehr auf die dunklen, üppig gebauten Typen. Verena, seine absolute Traumfrau, hatte tiefschwarzes Haar, einen Teint wie sahniger Milchkaffe und dunkelbraune Augen, die in Ekstase abgrundtief schwarz wurden. Weiche Rundungen an den richtigen Stellen und eine schmale Taille ließen sein Herz jedes Mal höher schlagen, wenn er sie sah.

Eine Frau wie Maja hingegen passte eigentlich gar nicht in sein Beuteschema. Sie war groß und gertenschlank, mit zarter, blasser Haut, die sicher keine ausgedehnten Sonnenbäder am Strand vertrug. Aber der Blick aus ihren durchdringenden Augen hatte ihn auf Anhieb fasziniert und ihr Haar war einfach unglaublich. Am liebsten hätte er die Hand ausgestreckt, um es zu berühren.

Sie strahlte etwas Wildes aus, etwas, das ihn sofort in ihren Bann gezogen hatte. Sie schien selbstbewusst und unabhängig, nicht so anschmiegsam und hilfsbedürftig wie Verena.

Verena … er musste sie endlich vergessen. Er brauchte endlich mal wieder eine Frau und er wollte Maja, die so ganz anders als die beiden war, mit denen er sich seit der Trennung von Verena getroffen hatte.

Hoffentlich versetzte sie ihn nicht, sie schien unberechenbar. Aber er wusste auch, wie er auf Frauen wirkte und natürlich hatte er die interessierten Blicke bemerkt, die sie ihm zugeworfen hatte.

Tim hatte seine Rasur beendet und griff gewohnheitsmäßig nach dem Aftershave, dass Verena so gern mochte und das er ihretwegen immer wieder kaufte. Nachdem er sein Gesicht damit eingerieben hatte, überlegte er kurz, dann warf er die Flasche in den Müll. Es wurde wirklich Zeit, die Marke zu wechseln.

Er musste langsam los, er zog Bluejeans an, dazu einen schwarzen Pullover, griff nach seiner Jacke und den Wohnungsschlüsseln, dann hielt er inne, weil ihm bewusst wurde, wie nervös er war. So viele Jahre hatte es ausschließlich Verena gegeben, er hatte so gut wie nie einen Gedanken an eine andere verschwendet. Verdammte Verena, er musste aufhören, jede Frau, die er traf mit ihr zu vergleichen.

Verena war weg, sie hatte ihn verlassen, das Leben ging weiter. Schluss, Ende, aus…


Vier

Natürlich kam ich zu spät. Ich kam meistens zu spät, das gehörte genauso zu mir wie das allgemeine Chaos in meinem Leben. Tim saß an einem kleinen Ecktisch, vor ihm auf dem Tisch stand ein Glas mit etwas, das verdächtig nach Cola aussah. Er hatte den Kopf an die Wand gelehnt und die Augen geschlossen. Ich begrüßte Nicky, den Barmann, der einer meiner weitläufigeren Freunde war und bestellte ein Tonic Water. Ich hatte immer noch genug von gestern, allein der Gedanke an Alkohol drehte mir den Magen um. Dann ging ich hinüber zu Tim und berührte ihn leicht am Arm. Erschrocken fuhr er zusammen und sprang auf.

„Hey“, sagte er. „Tut mir leid…“

„War wohl ein harter Tag, was?“, entgegnete ich und grinste. „Schon mal vorgeschlafen? Für alle Fälle?“

Was war das? Ich kniff vor Erstaunen die Augen zusammen, denn dieser Adonis, dem die Frauen mit Sicherheit in Scharen nachliefen, wurde tatsächlich rot. Wie süß! Ich sah kurzerhand darüber hinweg und setzte mich, er lächelte verlegen und ließ sich zurück auf seinen Stuhl fallen. Er eckte unter dem kleinen Tisch unbeabsichtigt an meine Knie und zog seine langen Beine abrupt zurück. Dabei stieß er gegen den Tisch, sein Glas kippte, aber ich konnte es gerade noch auffangen, bevor es umfiel.

„Mache ich dich nervös?“, fragte ich halb im Spaß, neigte den Kopf zur Seite und sah ihn an. Seine blauen Augen bohrten sich in meine und ließen sie nicht los.

„Ja“, gab er unumwunden zu. „Du machst mich nervös, kaum zu glauben, was?“

„Doch, ich glaube dir, ich habe immer diese Wirkung auf Männer.“

Ich lachte, er lächelte leicht verunsichert zurück, bis er merkte, dass ich ihn auf den Arm nahm. Ich ahnte, was hinter seiner leicht gerunzelten Stirn vor sich ging. Er war sich nicht sicher, ob er meine Art gut fand, ich sagte in den meisten Fällen, was ich dachte und verstellte mich nicht.

Nicky, der Barmann kam und stellte das Tonic Water auf den Tisch.

„Bist du krank, Maja?“, fragte er und wies auf das Glas. „Oder hast du nur vergessen, den Gin dazu zu bestellen?“

„Krank“, gab ich zurück und verzog das Gesicht zu einer leidenden Miene. „Eindeutig immer noch krank, ich war vorgestern bei Jennys Gig im Turm und es war ziemlich … na du weißt schon.“

Nicky verdrehte die Augen und sagte grinsend im Weggehen:

„Naja, du trinkst Tonic, dein Freund hier Cola, das ist geschäftsschädigend. Ich hoffe, ihr bleibt nicht all zu lange.“

Ich lachte, zwinkerte Tim zu und rief Nicky nach:

„Dein Wunsch könnte sich durchaus erfüllen!“

Tim sah mich prüfend und ein wenig erstaunt an.

„Du bist ganz schön direkt, Maja.“

„Ja, für gewöhnlich bin ich das. Stört es dich?“

„Nein, natürlich nicht, aber ehrlich gesagt kenne ich nicht viele Frauen, die so sind.“

Er senkte seine Augen in meine und ich spürte, wie ich in einen Sog geriet. Ich beschloss, kurzen Prozess mit ihm zu machen. Es war noch relativ früh am Abend, aber ich war immer noch ziemlich müde und wollte eigentlich nur die beschissenen letzten Tage eine Zeit lang vergessen. Wenn alles nach meinen Vorstellungen lief, konnte ich sogar zu einer halbwegs annehmbaren Zeit in meinem eigenen Bett liegen und mich ausschlafen.

Ich hielt seinem Blick eine Weile stand, dann legte ich eine Hand auf seinen Arm und spürte dabei ein leichtes Prickeln in den Fingerspitzen. Er elektrisierte mich, na wenn das mal kein gutes Zeichen war!

„Also Tim, ganz direkt! Mein Leben ist gerade ein wenig aus dem Ruder … na sagen wir lieber, es läuft einiges nicht wie erwartet. Du hast nichts zu befürchten, ich bin nicht auf der Suche nach der großen Liebe, aber ich habe nichts gegen ein wenig Ablenkung und du gefällst mir ziemlich gut.“

Seine Augen weiteten sich, er trank einen Schluck Cola und antwortete:

„Dazu muss man nicht mehr viel sagen, oder? Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich mich auf eine längere Jagd eingestellt, aber so?“

„Was meinst du damit? Denkst du, dass ich leicht zu haben bin? Wer weiß, vielleicht bin ich das ja tatsächlich?“, ich lächelte ihn spöttisch an, aber diesmal ließ er sich nicht verunsichern. Er hob die Hand und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, dann zog er mit den Fingern die Kontur meiner Wange nach. Ich spürte der federleichten Berührung nach, die ich so nicht erwartet hatte.

Tim griff nach meiner Hand und strich mit dem Daumen über den Ballen. Dann hob er sie hoch und küsste mein Handgelenk an der Innenseite. Seine Lippen ließen kleine Blitze durch mich hindurch fahren und kurz stockte mit der Atem.

„Das hier ist Neuland für mich“, sagte er. „Normalerweise kenne ich die Frauen, mit denen ich schlafe, zumindest habe ich mehr als fünf Sätze mit ihnen gewechselt. Normalerweise falle ich auch nicht gleich mit der Tür ins Haus, aber wenn ich das richtig verstanden habe, wäre dir das sehr recht.“

„Wieso ist das Neuland für dich? Ein Mann wie du dürfte sich doch eigentlich nicht retten können vor unmoralischen Angeboten“, entgegnete ich und erntete dafür ein rätselhaftes Lächeln.

„Stimmt, unmoralische Angebote gibt es zur Genüge, aber man muss sie ja nicht annehmen.“

„Also bist du in einer Beziehung, oder wie soll ich das sonst verstehen?“

„Nicht mehr, aber ich will nicht drüber reden.“

Er ließ meine Hand los, griff nach seinem Glas und trank es aus.

„Na dann“, er ließ sein hinreißendes Lächeln blitzen. „Ganz direkt und weil du es so willst … zu dir oder zu mir?“

„Zu dir“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. Ich war froh, dass er mir die Wahl ließ, so konnte ich gehen, wann ich wollte und musste mich im Fall der Fälle nicht mit einem ungebetenen Frühstücksgast herumschlagen. Tim winkte den Barmann herbei und bezahlte die Getränke, dann half er mir in die Jacke.

Draußen fragte ich:

„Du wohnst hier in der Nähe?“

„Zehn Minuten Fußweg, ist das ok für dich?“

„Ja, klar“, erwiderte ich. „Dann wohnen wir ja fast im selben Viertel. Seltsam, dass wir uns noch nie über den Weg gelaufen sind.“

Ich hakte mich bei ihm unter. Wortlos und ein wenig steif liefen wir nebeneinander her, doch an der nächsten Straßenecke blieb Tim plötzlich stehen.

„Maja, ich … bist du wirklich sicher, dass du das willst? Das hier ist so … ich meine, die ganze Situation ist doch ein wenig eigenartig, findest du nicht?“

Ich zog meinen Arm aus seinem.

„Stimmt was nicht mit mir? Wenn du es dir anders überlegt hast, sag es, ich kann genauso gut nach Hause gehen.“

Er schüttelte den Kopf.

„Mit dir stimmt alles, so war das nicht gemeint. Aber irgendwie geht das alles so schnell, du legst ein Tempo vor …“

Also hatte er doch Skrupel. Das war ja eigentlich ganz süß, aber Ritterlichkeit konnte ich heute ganz und gar nicht gebrauchen. Grantiger als beabsichtigt sagte ich:

„Ich sollte wohl eher fragen, ob mit dir was nicht stimmt. Ich dachte, zwischen uns ist alles klar, aber das war wohl nichts. Ich gehe wohl doch lieber nach Hause. War nett, dich kennengelernt zu haben.“

Ich drehte mich um und war im Gehen begriffen, als er mich am Arm festhielt und zurückzog.

„Tut mir leid. Es liegt nicht an dir, überhaupt nicht. Ich glaube, ich bin dir eine Erklärung schuldig.“

„Nein, bist du nicht, lass mich einfach gehen.“

Erklärungen waren das Letzte, was ich hören wollte, also lief ich los. Ich wollte nur noch nach Hause ins Bett und versuchen, die lausigsten Tage meines Lebens zu vergessen.

„Maja“, seine Stimme klang bittend durch die Dunkelheit. „Du solltest wissen, dass ich zwölf Jahre lang verheiratet war. Meine Frau hat … sie hat mich vor ein paar Monaten verlassen. Ich war mit neunzehn das letzte Mal Single und habe überhaupt keine Ahnung davon, wie dieses ganze Dating- Zeugs abläuft. Ich dachte, wir lernen uns erst ein wenig kennen, ehe wir … das habe ich vorhin mit Neuland gemeint, ich war einfach nicht auf sowas gefasst.“

Tim lief mit langen Schritten hinter mir her.

„Du denkst jetzt bestimmt, ich bin nicht ganz richtig im Kopf und wahrscheinlich stimmt das sogar … du bist wunderschön und … ach vergiss es, ich benehme mich wie ein Trottel …“

Ich blieb abrupt stehen und er rannte in mich hinein. Seine starken Arme bewahrten mich vor einem Sturz und als ich mich zu ihm umdrehte, berührten sich unsere Körper.

„Wenn du mich jetzt nicht endlich küsst, halte ich dich wirklich für einen Verrückten“, sagte ich.

Tim nahm meinen Kopf in seine Hände und küsste mich vorsichtig. Ich löste mich von ihm und sah ihn ungläubig an.

„Ich muss dir doch nicht auch noch beibringen, wie man küsst?“

Seine verkrampfte Körperhaltung löste sich auf einen Schlag, seine Zurückhaltung brach zusammen. Er zog mich an sich und küsste mich mit einer Inbrunst, die mir sofort weiche Knie bescherte. Er roch gut, er schmeckte gut und er schaffte es, dass sich mein Unterleib erwartungsvoll zusammenzog.

„Na bitte, geht doch“, murmelte ich zwischen zwei schnellen Atemzügen, nur um sofort wieder meine Zunge um seine zu schlingen.

 

 

In seiner Wohnung brachen die Dämme endgültig. Tim war echt auf Entzug, es schien, als hätte er schon ewig keinen Sex mehr gehabt. Wir waren noch nicht richtig durch die Wohnungstür, als er den Reißverschluss meiner Jacke aufzog und mit beiden Händen unter meinen Pullover fuhr.

Winter war eindeutig Mist. Man hatte wegen der Kälte viel zu viele Klamotten an. Unter meinem dicken Wollpulli trug ich noch ein T- Shirt, also lag außer meinem zarten Spitzen- BH eine weitere, störende Stoffschicht über meinen Brüsten. Trotzdem ging mir die Berührung seiner Finger durch und durch, meine Brustspitzen richteten sich auf und riefen nach mehr.

Ich schob ihn ein Stück weg, schlüpfte aus meiner Jacke und ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Der Pullover folgte und auch mein Shirt flog hinterher. Er hatte in der Zwischenzeit ebenfalls Ballast abgeworfen und stand, nur noch mit Jeans und Schuhen bekleidet, vor mir, streifte mir die BH- Träger von den Schultern und gab meinen angeschwollenen Nippeln, wonach sie verlangten.

Sein Oberkörper war himmlisch. Genüsslich fuhr ich mit den Händen über seine glatte Haut und bemerkte zufrieden, wie sich seine Bauchmuskeln anspannten, als ich zum Bund seiner Hose kam.

Tim hielt meine Hände zurück und küsste mich wieder leidenschaftlich. Seine Hände wühlten sich in mein Haar, ich stöhnte und wünschte mir nichts weiter, als dass er mich die ganze Nacht so weiterküssen würde. Wie ferngesteuert drängten sich meine Hüften gegen seinen Unterleib, pressten sich gegen ihn und als er ein Bein zwischen meine schob, schloss ich erwartungsvoll die Augen. Tim hob mich hoch und trug mich ins Schlafzimmer.

Nachdem er zu Beginn so zurückhaltend gewesen war, hatte ich befürchtet, ihm Nachhilfe geben zu müssen, aber nach kürzester Zeit wusste ich, dass der echte Superman ein Fliegenschiss gegen ihn sein würde! Er brachte mich dermaßen auf Touren, dass ich wimmernd um Erlösung bat. Ich war daran gewöhnt,  im Bett den Ton anzugeben, ich hatte unzweifelhaft einiges an Erfahrung aufzuweisen, aber was er mit mir veranstaltete, erweiterte meinen Horizont auf unerwartete Weise.

Tim führte mich in nie gekannte Sphären und als ich gleich beim ersten Mal mit ihm gemeinsam und ziemlich gewaltig kam, musste ich mir eingestehen, dass das hier so ziemlich das Beste war, was ich seit Langem erlebt hatte.

„Was hast du bloß gemacht? Lernt man sowas in einer Ehe?“, fragte ich, als mir meine Stimme wieder gehorchte.

„Wie meinst du das?“, fragte er und klang schon wieder leicht verunsichert.

Ich hatte den Kopf auf seine Brust gelegt und spürte, wie sein Herz, das sich bereits beruhigt hatte und langsam und gleichmäßig schlug, wieder schneller zu schlagen begann.

Ich lachte los, stütze mein Kinn auf seine Brust und sah ihn an.

„Was hab ich nur an mir, dass ich dich so verunsichere. Ich wollte damit sagen, dass das eben unglaublich war. Es war unglaublich gut und ich will das sofort nochmal haben!“

Seine Augen funkelten jetzt, er zog mich an sich und flüsterte:

„Es war mehr als unglaublich und ich will es auch nochmal haben. Gib mir nur ein paar Minuten …“


Fünf

Ich erwachte schon wieder in einem fremden Bett, allerdings wusste ich diesmal, wem es gehörte. Obwohl ich mir noch in der Nacht fest vorgenommen hatte, nach der zweiten Nummer zu gehen, hatten die letzten beiden Tage ihren Tribut gefordert und ich war wohl fester eingeschlafen, als ich wollte.

Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte zehn Uhr, ich lag allein im Bett und verspürte überhaupt keine Lust, aufzustehen.  Wo war Tim? Ich schwang meine Beine über die Bettkante,  wickelte mir die Bettdecke um den Körper und ging auf die Suche nach ihm. Auf mein Rufen reagierte niemand, ich war tatsächlich allein.

Im Badezimmer hing ein Zettel am Spiegel.

 

Sorry, musste leider zur Arbeit und du hast so fest geschlafen, dass ich dich nicht wecken wollte. Iss was, bevor du gehst!

Die letzte Nacht war wundervoll, bitte ruf mich an.

Tim

 

Seine Handynummer folgte. Es stimmte, die letzte Nacht war definitiv wundervoll gewesen. Lächelnd nahm ich den Zettel vom Spiegel und ging in die Küche. Dort stand tatsächlich ein Gedeck auf dem Tisch, daneben eine Thermoskanne mit Kaffee, ein abgedeckter Korb mit Brötchen, Marmelade, Butter, eine Packung Frühstücksflocken und Milch.

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Die Einzige, die mir Frühstück machte, war meine Mutter, wenn ich sie und meinen Vater besuchte. Nicht mal mein einer fester Freund hatte das fertiggebracht. Ich war ratlos, ich wusste nicht, ob ich wollte, was sich mir hier anbot. Tim war toll, wirklich, er sah umwerfend aus, war total nett und allein der Gedanke an das, was er in der letzten Nacht mit mir angestellte hatte, versetzte mich schon wieder in Aufruhr. Aber was erwartete er von mir? War das hier nur eine nette Geste oder sah er mich schon als seine neue Freundin?

Wenn ich doch nur wüsste, wie er tickte! Jeder normale Mann, der in Scheidung lag, würde doch erstmal seine Freiheit genießen. Aber ich machte mir mit Sicherheit unnütz Sorgen, er wollte bestimmt einfach nur nett sein.

Ich trank eine Tasse Kaffee, duschte, machte mich ein wenig zurecht und zog mich an. Dann schrieb ich ‚Es war sehr schön mit dir, danke für alles‘ auf eine Serviette und ließ sie  auf dem Tisch liegen. Den Zettel mit seiner Nummer steckte ich ein, obwohl ich nicht vorhatte, ihn anzurufen. Mein Leben war viel zu kompliziert gerade, ich konnte mich jetzt nicht auch noch mit einem emotional angeschlagenen Fast- Ex- Ehemann belasten.

 

 

Mittlerweile war es fast elf Uhr, ich ließ Tims Wohnungstür hinter mir ins Schloss fallen und lief zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Ich würde Manuel einen Überraschungsbesuch abstatten und um gut Wetter bitten. Er durfte mich einfach nicht feuern, wovon sollte ich leben?

Manuel war beschäftigt, ich setzte mich auf die Bank im Flur und wartete über eine Stunde auf ihn. Als er mich in sein Büro rief, war ich auf alles Mögliche gefasst, auf Poltern und Schimpfen oder eine Standpauke, nur nicht auf die bitterbösen Blicke, mit denen er mich empfing.

„Du besitzt tatsächlich die Frechheit, hier aufzutauchen“, schleuderte er mir entgegen. „Ich dachte, ich hätte mich am Telefon klar ausgedrückt!“

„Manu, bitte, es tut mir furchtbar leid, wirklich. Wenn ich könnte, würde ich …“

Er unterbrach mich unwirsch.

„Wenn du könntest, würdest du was? Die Agentur weiter in Verruf bringen?“

Ich setzte zu einer Erwiderung an, aber er schnitt mir das Wort ab.

„Ich will nichts mehr hören. Ich bin fertig mit dir. Ich hab dir von Anfang an viel zu viel durchgehen lassen, ich hätte dich gleich nach deinem ersten Lapsus feuern sollen. Die meisten Leute versuchen, sich irgendwie weiterzuentwickeln, etwas aus ihrem Leben zu machen, aber du verbesserst nur die Qualität deiner Eskapaden und machst mich dabei mit unmöglich.“

Trotzig setzte ich mich auf einen Stuhl neben seinem Schreibtisch.

„Ich weiß selbst, dass ich nicht perfekt bin, und ich verfluche meine lose Klappe ständig, das kannst du mir glauben. Ich verspreche dir, mich in Zukunft zurückzunehmen.“

„Das kannst du doch gar nicht. Werd erwachsen, Maja. Du wirst bald dreißig, aber im Moment kommt es mir vor, als wärst du mit sechzehn reifer gewesen als jetzt. Du solltest langsam wissen, was du willst und ob du überhaupt noch was erreichen willst im Leben. Und vor allem solltest du nicht mit jedem Kerl bumsen, der dir über den Weg läuft.“

Mit mir gingen die Pferde durch. Ich sprang so heftig von meinem Stuhl auf, dass er ein paar Meter durch den Raum schlingerte.

„Ich sollte was nicht tun? Ich ‚bumse‘ also jeden Kerl? Tickst du nicht mehr richtig?“

Ich war so sauer, dass ich ihn anbrüllte und mich immer mehr in meine Wut hineinsteigerte.

„Du hast kein Recht, so mit mir zu reden. Selbst wenn ich jeden Kerl der Welt bumsen würde, könnte dir das drei Meter am Arsch vorbei gehen! Was bildest du dir eigentlich ein, du spielst dich auf, als wärst du mein Vater! Halt dich gefälligst zurück mit irgendwelchen Analysen über mich und mein Leben.“

Ich war fast an der Tür, als er mich am Arm packte und zurückhielt.

„Stimmt“, knurrte er und ich erschrak über den schon fast hasserfüllten Blick, mit dem er mich bedachte. „Ich bin nicht dein Vater und ich würde mich liebend gern zurückhalten, was dich betrifft. Ich kenne dich fast dein ganzes Leben lang und glaub mir, wenn mich deine Eltern damals nicht mit so offenen Armen in eure Familie aufgenommen hätten, wäre die Situation zwischen uns heute eine ganz andere.“

‚Welche Situation‘, wollte ich fragen, aber plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich sah vor mir, wie ich mit Manuel und meinem Bruder Carlo im Sommer auf der Wiese vor unserem Haus träge in der Sonne lag. Ich war siebzehn damals, die beiden neckten mich, bis ich mich genervt in mein Zimmer verzog und im Weggehen Manus enttäuschte Blicke sah.

Wir drei zusammen unterwegs mit meiner Freundin Petra, die Manu vergötterte und hoffnungslos in ihn verknallt war und mich ständig fragte, was sie falsch machte, weil er sich permanent über sie lustig machte, über mich aber nie.

Die Briefe, die er mir schrieb, als er in Berlin studierte, über deren Inhalt ich mich manchmal wunderte und die ihn mir von einer ganz anderen, feinsinnigen Art zeigten.

Doch dann fiel mir ein, dass ich auch ungefähr zu dieser Zeit gespürt hatte, dass er etwas für mich empfand, das über normale Freundschaft hinausging, aber er war neun Jahre älter als ich und für mich waren das damals Welten, die uns trennten. Außerdem war er Carlos bester Freund und für mich wie ein zweiter Bruder, nie im Leben hätte ich ihm andere Gefühle als meine schwesterlichen entgegen bringen können.

Manu hatte nie geheiratet, er führte, was Frauen betraf, ein ziemliches Lotterleben und hatte in meinen Augen allein deswegen überhaupt keinen Grund, mir irgendwelche Vorwürfe zu machen. Er hatte mich noch nie angerührt, wenn man von freundschaftlichen Umarmungen und unschuldigen Begrüßungsküssen absah.

Jetzt aber packte er meine Schultern und drückte mich mit dem Rücken gegen die Tür. Ich hatte ihn noch nie so erlebt. Seine dunklen Augen bohrten sich in meine und offenbarten Abgründe. Er atmete zwar ruhig, aber ich spürte, dass unter der gelassenen Fassade gerade ein mittleres Erdbeben zugange war. Seine Erregung übertrug sich auf mich, Hitze breitete sich in mir aus und urplötzlich zitterte ich am ganzen Leib in Erwartung dessen, was jetzt kommen würde.

Plötzlich lag sein Mund auf meinem, doch er schien nicht bei Sinnen zu sein. In seinem Kuss lag keine Zärtlichkeit, nur blanke Gier, er presste mich mit seinem gesamten Gewicht gegen die Tür, dass ich kaum noch Luft bekam. Er vergewaltigte meinen Mund mit seiner Zunge, mit schien, als wollte er mich versschlingen.

Dann gelang es mir endlich, ihn wegzustoßen. Meine Kehle war wie zugeschnürt, ich rang nach Luft und musste ihn wohl ziemlich fassungslos angesehen haben, denn er wandte sich ruckartig von mir ab.

„Manuel, was zum Teufel …“, ich brachte nur ein Krächzen heraus, ich hustete und presste mir die Hand auf die Brust.

„Es tut mir leid, ich wollte dir nicht wehtun“, er konnte mir kaum in die Augen sehen. „Bitte geh jetzt.“

Das musste er mir nicht zweimal sagen. Ich flüchtete, hastete an Moni, der Geschäftsassistentin, vorbei, ohne mich zu verabschieden und floh auf die Straße.

 

 

Ich beruhigte mich nur langsam. Immer noch ziemlich entsetzt machte ich mich auf den Weg nach Hause. Manuel, der Dunkle, der Rätselhafte… Er war mir immer ein wenig unnahbar erschienen,  nur mein Bruder hatte uneingeschränkten Zugang zu seinem Inneren. Manu und Carlo waren eine verschworene Einheit, man sah sie selten ohne den anderen und als Manuel nach dem Unfalltod seiner Eltern zu uns zog, verstärkte sich die Bindung zwischen den beiden noch.

Alles war prima, bis Carlo sich in eine rassige Spanierin verliebte. Sonia Garcia Perez sah aus wie die Zwillingsschwester von Penelope Cruz, sie war wunderschön und Leidenschaft blitzte ihr aus den Augen. Als Carlo sie an meinem achtzehnten Geburtstag zum ersten Mal mit zu uns nach Hause brachte, lernte sie natürlich auch Manuel kennen und war völlig hingerissen von ihm. Von diesem Tag an war nichts mehr wie vorher und ich werde den Tag meiner Volljährigkeit immer mit dem Bruch zwischen Manu und meinem Bruder in Verbindung bringen.

Carlo musste plötzlich mit  Manuel um Sonias Aufmerksamkeit konkurrieren, die beiden benahmen sich wie Kampfhähne unter Drogen und redeten nach einer Prügelei, die für Manuel in der Notaufnahme des Krankenhauses endete, kein Wort mehr miteinander. Sonia hatte ihr intrigantes Netz ohne Rücksicht auf Verluste gesponnen und amüsiert dabei zugesehen, wie sich die beiden gegenseitig zerfleischten. Ich wusste bis heute nicht genau, ob sie mit beiden geschlafen hatte, vermutete es jedoch stark. Am Ende machte Carlo Schluss mit ihr und sie verschwand ebenso unvermittelt, wie sie gekommen war.

Ich wünschte ihr damals die Krätze und alle möglichen unheilbaren Krankheiten an den Hals, denn für Manuel und Carlo bedeutete die Affäre den endgültigen Bruch. Mein Bruder zog noch im gleichen Jahr arbeitsbedingt nach Stockholm, Manu löste sich buchstäblich in Luft auf und verschwand spurlos. Ich lief ihm erst vor drei Jahren wieder über den Weg, als er mir völlig unerwartet bei meinem Vorstellungsgespräch in der Agentur gegenübersaß.

In der ganzen Zeit hatte er sich nicht einmal über die Vergangenheit geäußert, er fragte nie nach Carlo und er sprach auch nie über unsere gemeinsame Zeit. Es war, als hätte sein Leben vor Sonia Garcia Perez nicht stattgefunden. Mittlerweile fand ich das alles ziemlich albern. Mein Gott, es ging um eine Frau, die keinen Schuss Pulver wert war. Die Sache war über zehn Jahre her, da war längst Gras drüber gewachsen.

Mit Carlo konnte ich nicht darüber reden, er hatte mich beschimpft, als ich ihm erzählte, dass ich für Manuel arbeitete und bei Manu lief ich gegen eine Wand, sobald ich auch nur ansatzweise versuchte, ein paar Bemerkungen über meinen Bruder fallen zu lassen.

Blöde olle Kamellen, mich in Erinnerungen zu verlieren, brachte mich auch nicht weiter. Mission Manuel war gründlich in die Hose gegangen, meinen Job würde ich nie wieder bekommen, das Kapitel konnte ich abschließen.

Der Vorfall hatte mir Angst gemacht, aber noch mehr war ich vor meiner eigenen Reaktion erschrocken. Manuels Überfall hatte mich schockiert, aber gleichzeitig so erregt, dass ich noch immer die Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen spürte. Ich war mir sicher, dass ich mich ergeben hätte, wenn er noch weiter gegangen wäre. Was war bloß los mit mir? Bekam ich langsam Torschlusspanik, oder warum ließ ich mich neuerdings ständig auf irgendwelche Experimente mit Verrückten ein? In den letzten paar Tagen hatte ich mit drei verschiedenen Männern geschlafen,  mit einem vierten rumgemacht und jeder von ihnen hatte irgendwie ne Macke. Der erste lotete die echten Extreme aus, der zweite war ein Bengel, der auf ältere Frauen abfuhr, der dritte hatte einen Scheidungsknacks.  Und Manuel? Der war total durchgeknallt.

Ich war wirklich nicht mehr bei Trost. Das musste unbedingt aufhören, ich war doch kein Flittchen.

 

 

Zu Hause hing ich rum und grübelte. Viel zu viele Gedanken wirbelten durch meinen Kopf. Schließlich schnappte ich mir Eimer und Lappen und putzte Fenster. Ich schrubbte das Bad, bezog mein Bett neu und machte mich anschließend an die Küche, obwohl die selten richtig benutzt wurde und deswegen meistens sauber war.

Gegen Abend sah meine Wohnung aus, als würde niemand darin wohnen. Ich hatte sie keimfrei sauber gemacht und so picobello aufgeräumt, dass ich mich unwohl fühlte. Geregeltes Chaos war normalerweise mein Lebensstil, mit Ordnung hatte ich es nicht so, also warf ich wenigstens ein paar Zeitschriften auf den leeren Tisch, schmiss die bunten Kissen auf dem Sofa wieder durcheinander und mich entkräftet oben drauf.

Nach einer weiteren halben Stunde, in der ich sinnlos in einem Buch blätterte, ohne ansatzweise zu erfassen, was da stand, beschloss ich, zu Gregor hinunterzugehen und zu fragen, ob er Hilfe brauchte. Die Stille meiner Wohnung, die ich sonst so wohltuend fand, erdrückte mich heute.

Ich war gerade dabei, die bequemen Latschen, die ich beim Kellnern trug, anzuziehen, als es an der Tür klingelte. Ich lugte durch den Türspion, Manuel … verdammt, was wollte der denn noch.

Entgegen meiner Gewohnheiten legte ich die Sicherungskette vor, ehe ich die Tür öffnete. Manuel starrte auf die Kette, setzte das für ihn typische, spöttische Lächeln auf und sagte:

„Was soll das denn? Hast du Angst vor mir?“

„Vielleicht, vielleicht nicht, ich bin nur vorsichtig. Man weiß ja nie, wer einem plötzlich ungebeten auf den Pelz rücken will.“

„Maja, lass den Quatsch. Mach die Tür auf, ich muss mit dir reden.“

„Vergiss es“, fauchte ich. „Du hast genug ‚geredet‘. Zieh Leine, Manu.“

„Es tut mir nicht leid, was ich gesagt habe, denn das war die Wahrheit und wenn du das nicht siehst, ist das ganz allein dein Problem. Für das andere möchte ich mich entschuldigen, ich habe mich vergessen und so etwas wird nicht wieder vorkommen. Also, lässt du mich jetzt bitte rein!“

Mein Gott, das da war doch bloß Manuel, ein Freund, dem ich bisher nie misstraut hatte. Er hatte sich entschuldigt, also warum also zögerte ich, ihn in meine Wohnung zu lassen?

Am Ende löste ich doch die Kette und ließ ihn eintreten. Plötzlich war ich froh, den Nachmittag mit Putzen verbracht zu haben, denn Manu sah sich unverhohlen neugierig in meiner Wohnung um.

„Nett“, meinte er schließlich. „Ein bisschen eng vielleicht, aber nett.“

Seine langen, schlanken Finger trommelten gegen die Türfüllung, an der er sich lässig abgestützt hatte. Er war nicht viel größer als ich, wenn ich ihm gegenüberstand, begegneten wir uns gewissermaßen auf Augenhöhe. Manuel war nicht im wirklichen Sinne gutaussehend, aber er strahlte diese gewisse Faszination aus, die man schwer in Worte fassen und der man sich noch schwerer entziehen konnte. Seinen dunklen Augen durchdrangen mich und wie früher hatte ich plötzlich das Gefühl, dass er in mich hineinsehen konnte.

Er trug eine teure, dick gefütterte Lederjacke über einer schwarzen, engen Jeans, ich roch ein Gemisch aus edlem Aftershave, dem Ledergeruch der Jacke und noch etwas anderem, das ich nicht definieren konnte. Dieser Duft umfing mich, hüllte mich ein und zog mich magisch an.  Manuel verunsicherte mich definitiv und ich bereute bereits, ihn überhaupt in die Wohnung gelassen zu haben.

Halb resigniert sagte ich:

„Was willst du? Du hast doch vorhin alles gesagt, was du auf dem Herzen hattest, ich habe nicht erwartet, dich überhaupt noch mal wiederzusehen.“

Er lächelte sein Raubtierlächeln, ließ seine ebenmäßigen Zähne blitzen, dann kam er zu mir und blieb dicht vor mir stehen. Ich war wie gelähmt, unfähig, mich zu bewegen. Er nahm meinen Kopf in seine Hände und küsste mich, allerdings hatte dieser Kuss nichts mit der gewalttätigen Attacke gemein, die sich in seinem Büro abgespielt hatte. Das Spiel seiner Lippen und seine Zunge, die meinen Mund eroberte, sendeten Blitze aus, die ohne Umwege direkt in meinem Unterleib einschlugen. Ich rang wieder nach Luft, aber diesmal vor Verblüffung, ich musste mich an ihm festhalten, denn ich hatte schon wieder weiche Knie.

Unvermittelt ließ er von mir ab, schob mich an den Schultern von sich und sah mich mit unergründlichem Blick an.

„Ich wollte dir zeigen, dass ich auch anders kann“, sagte er leise, dann drehte er sich um und ging zur Tür. Er war schon halb draußen, als ich ihm hinterher rief:

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739445922
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Liebesroman Hure Millionär Zuhälter Berlin Romantik Billionär Feuerwehrmann Schauspieler Humor Drama Theater Drehbuch Schauspiel

Autor

  • Anna Graf (Autor:in)

Anna Graf startete ihre ersten Schreibversuche in den neunziger Jahren. Sie schrieb kleinere Romane, die allerdings in der Schublade blieben.
2013 nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und veröffentlichte erfolgreich den ersten 'Schubladenroman'.
Seitdem schreibt sie, über das Leben, die Liebe, über Irrungen und Wirrungen, den Weg zum Glück zu finden.
Ihre Heldinnen sind keine schwachen Frauen, im Gegenteil, sie sind selbstbewusst und wissen, sich im Leben zu behaupten.
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Titel: Lieb mich zweimal, Baby