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MORDSmäßig verliebt - Liebe, Mord und Mafia

Ein ziemlich krimineller Liebesroman

von Anna Graf (Autor:in)
325 Seiten

Zusammenfassung

In manchen Tagen ist echt der Wurm drin, aber das Ding, das in diesem Samstag steckte, war kein einfacher Wurm. Nein, das war eine Schlange, ein mittlerer Python, mindestens.
Sarah Bennetts so gut wie Ex- Mann spielt seit zwei Jahren die männliche Hauptrolle in ‚Gefährliche Gefühle‘ … dieser Endlos- Serie, die seit über zehn Jahren Abend für Abend zur besten Sendezeit im Fernsehen läuft. Wenn dieser Samstag zu Ende geht wird es Sarah vorkommen, als hätte man das abstruseste seiner Drehbücher ins wahre Leben übertragen.
Oder ist es etwa nicht schräg, ungewollt eine berühmte Schauspielerin zu belauschen, die es an ihrem Hochzeitstag hemmungslos im Gebüsch treibt, doch der, von dem sie sich besteigen lässt, ist nicht ihr frisch Angetrauter?
Was macht man, wenn einem ein abgedankter Fußballer aus heiterem Himmel die Einrichtung zertrümmert?
Wie reagiert man, wenn der Ex plötzlich wieder im ehemals gemeinsamen Ehebett liegt? Sexy und verführerisch mit Handschellen ans Bettgitter gefesselt … aber mausetot?
Und als ob das alles noch nicht genug wäre, entpuppt sich der Kommissar, der den Mord aufklären soll, als der feuchte Traum Sarahs jungfräulicher Nächte, als der Mann, mit dem sie eine mühsam verdrängte Vergangenheit verbindet.
Und spätestens jetzt möchte sie am liebsten die Beine unter den Arm nehmen und flüchten, denn obwohl sie sich keiner Schuld bewusst ist, führen alle Spuren des Mordes zu ihr …

Es geht „MORDSmäßig“ weiter!
„MORDSmäßige Leidenschaft“ ist die Fortsetzung von „MORDSmäßig verliebt“ und ab sofort erhältlich.Beide Bände sind in sich abgeschlossen und unabhängig voneinander lesbar, allerdings wäre es zum besseren Personenverständnis ratsam, zuerst Band 1 zu lesen.
Band 1: „MORDSmäßig verliebt“ Liebe, Mord und Mafia – Ein ziemlich krimineller Liebesroman
Band 2: „MORDSmäßige Leidenschaft“ Tödliches Verlangen – Noch ein ziemlich krimineller Liebesroman

Weitere Romane von Anna Graf:
"JUST LOVE - Verhängnisvolle Affären_1 - New York"
"JUST LOVE - Verhängnisvolle Affären_2 - Los Angeles"
"JUST LOVE_3 - Am Abgrund"
"True Love Bad Guys - wahre Liebe lohnt sich doch"
"Liebesurlaub" - ein Mallorca- Liebesroman
"(K)ein flotter Dreier"
"Lieb mich zweimal, Baby"

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Einleitung

In manchen Tagen ist echt der Wurm drin, aber das Ding, das in diesem Samstag steckte, war kein einfacher Wurm. Nein, das war eine Schlange, ein mittlerer Python, mindestens.

Sarah Bennetts so gut wie Ex- Mann spielt seit zwei Jahren die männliche Hauptrolle in ‚Gefährliche Gefühle‘ … dieser Endlos- Serie, die seit über zehn Jahren Abend für Abend zur besten Sendezeit im Fernsehen läuft. Wenn dieser Samstag zu Ende geht wird es Sarah vorkommen, als hätte man das abstruseste seiner Drehbücher ins wahre Leben übertragen.

Oder ist es etwa nicht schräg, ungewollt eine berühmte Schauspielerin zu belauschen, die es an ihrem Hochzeitstag hemmungslos im Gebüsch treibt, doch der, von dem sie sich besteigen lässt, ist nicht ihr frisch Angetrauter?

Was macht man, wenn einem ein abgedankter Fußballer aus heiterem Himmel die Einrichtung zertrümmert?

Wie reagiert man, wenn der Ex plötzlich wieder im ehemals gemeinsamen Ehebett liegt? Sexy und verführerisch mit Handschellen ans Bettgitter gefesselt … aber mausetot?

Und als ob das allen noch nicht genug wäre, entpuppt sich der Kommissar, der den Mord aufklären soll, als der feuchte Traum Sarahs jungfräulicher Nächte, als der Mann mit dem sie eine mühsam verdrängte Vergangenheit verbindet.

Und spätestens jetzt möchte sie am liebsten die Beine unter den Arm nehmen und flüchten, denn obwohl sie sich keiner Schuld bewusst ist, führen alle Spuren des Mordes zu ihr …

 

 

 

 

 


1

Melisande Fromm war ein Star, ein Soap-Opera-Superstar. Sie musste inzwischen gut fünfzig Jahre alt sein, aber Körper und Gesicht der Schauspielerin waren dank Botox und den Errungenschaften der Schönheitschirurgie auf maximal Mitte dreißig getrimmt. Eben diese Melisande Fromm hatte heute zum vierten Mal geheiratet und war dabei ihrem Beuteschema treugeblieben.

Bei ihrem frisch gebackenen Ehemann handelte es sich um Patrick Jennings, den gerade zurückgetretenen Superstürmer der Nationalelf, mehrfachem Fußballer des Jahres und wenn man der einschlägigen Presse glauben konnte, war er gut fünfzehn Jahre jünger als Melisande. Er hatte es geschafft, sein Geld bereits während seiner aktiven Zeit zu verpulvern. Es wurde von Edelnutten, dicken Autos und vor allem von langen Nächten in diversen Spielkasinos gemunkelt, in denen er seine verdienten Millionen auf den Kopf gehauen hatte. Wie gewonnen, so zerronnen.

Melisande, die in den letzten Jahren ein kleines Vermögen mit ihren Fernsehserien, Werbung und einer eigenen Kosmetiklinie verdient hatte, würde schon dafür sorgen, dass er seinen anspruchsvollen Lebensstil beibehalten konnte. Damit war beiden gedient, er war versorgt, sie konnte sich mit einem weiteren, jungen Trophäenmann schmücken und beide zusammen sicherten ganzen Scharen von Paparazzi ihren Lebensunterhalt.

Aber nicht, dass Sie denken, hier geht es um irgendwelche Promis und ihre Affären! Um Himmels willen, nein! Die Heldin unserer Geschichte ist keine Geringere als Sarah Bennett, ja … genau … die Sarah Bennett!

Kennen Sie nicht? Na hallo … Bildungslücke? Sarah Bennett, den hellen, aufstrebenden Stern am Kochhimmel kennen Sie nicht? Die gesamte Berliner Schickeria riss sich seit kurzem darum, von ihr bekocht zu werden. Sie war auf dem besten Wege, die erste Sterneköchin in der brandenburgischen Pampa zu werden und dafür arbeitete sie wie eine Verrückte.

Seit einem Jahr besaß sie den ‚Himmelshof‘, ein romantisches, abgelegenes Landhotel im Berliner Speckgürtel, das sie mit Hilfe ihres besten Freundes Julius Frick führte.

Ihrem Fast- Ex- Mann John hatte sie es zu verdanken, dass Melisande Fromm und Patrick Jennings ihre Hochzeit, die in der Klatschpresse als ‚Hochzeit des Jahres‘ gehandelt wurde, bei ihr gebucht hatten. Im Hotel herrschte Hochbetrieb. Sarahs Arbeitstag hatte um sechs Uhr morgens begonnen, jetzt war es bald Mitternacht und sie kroch vor Erschöpfung fast auf dem Zahnfleisch. Doch trotz der Müdigkeit war sie mehr als zufrieden. Die Gäste hatten das exquisite Fünf- Gänge- Menü ohne zu murren ratzeputz verschlungen und in den höchsten Tönen gelobt, die Band, die Julian engagiert hatte, rockte ordentlich und alles schien in bester Ordnung.

Sarah sah endlich Licht am Ende des Tunnels. In etwa einer Stunde würde sie draußen ein Mitternachtsbuffet aufbauen und dann war der nicht enden wollende Arbeitstag hoffentlich vorbei. Die Vorbereitungen für das Buffet waren so gut wie abgeschlossen und sie konnte sich zum ersten Mal an diesem Tag eine kleine Pause gönnen.

 

 

Mit einer Schale ordinärer Gulaschsuppe vom Personalessen verzog sie sich hinaus in den Garten. Nach dem heißen Julitag waren die Temperaturen auf angenehme zwanzig Grad gesunken und Sarah atmete die frische Luft begierig ein. Sie setzte sich zum Essen auf die halb im Gebüsch versteckte Bank, die selten jemand von den Gästen entdeckte und die die Angestellten mieden, weil sie wussten, dass die Chefin sauer wurde, wenn sie besetzt war. Sarah hatte heute zwischen Unmassen von Nahrungsmitteln schon mehrmals den Hunger übergangen und musste sich bremsen, die Suppe nicht in sich hineinzuschlingen.

Zwischen zwei Löffeln hörte sie Stimmen und seufzte … Ruhe vorbei.

Ein Mann und eine Frau taumelten eng umschlungen durch die Dunkelheit und waren schwer miteinander beschäftigt. Ihr Weg endete an einem dicken Baum, der Mann lehnte sich an und die Frau ging kichernd vor ihm in die Knie. Sarah konnte die beiden nur schemenhaft erkennen, dieser Teil des Gartens war so gut wie nicht beleuchtet. Drüben ging es umgehend zur Sache, ein Reißverschluss ratschte auf und der Mann begann ungeniert zu stöhnen. Der Kopf der Frau wippte eine Weile auf und ab, der Typ stieß ein unbeschreibliches Grunzen aus und sagte gepresst:

„Ooooooh Goooooott, Sandy, ich kann gleich nicht mehr …“

Darauf folgte ein unverwechselbares, heiseres Lachen und Sarah blieb fast der Löffel im Hals stecken. Sandy? War das etwa Melisande Fromm da am Baum? Der Mann ließ die Hose jetzt komplett runter und sein weißer Hintern leuchtete in der Dunkelheit wie ein zweiter Mond.

„Na los“, kommandierte er. „Dreh dich um, ja … genauso …“

Der Hunger nagte immer noch heftig in Sarahs Eingeweiden, aber schließlich siegte die Neugier. Sie stellte die Suppenschüssel ab und pirschte sich vorsichtig näher heran. Unter ihr knackten dünne Äste, doch die beiden da drüben waren so miteinander beschäftigt, dass sie nicht mitbekamen, dass sie, keine fünf Meter entfernt, versteckt hinter einen Busch, Publikum hatten. Die Gesichter konnte Sarah im Dunklen zwar nach wie vor nicht erkennen, aber dafür das Kleid der holden Braut.

Melisande Fromm, die witzigerweise selbst bei ihr vierten Hochzeit noch in jungfräuliches Weiß gekleidet war, hatte, wie es aussah, ihre Hochzeitsnacht vorverlegt. Nur war Melisande garantiert nicht mehr jungfräulich und der Typ, mit dem sie es trieb, nicht ihr frisch angetrauter Ehemann, denn den hatte Sarah vor ein paar Minuten noch sternhagelvoll an der Bar stehen sehen.

Melisande hatte einen Fuß auf einen Stein gestellt und sich gegen den Baum gelehnt. Die Hand des Mannes fuhr unter ihren Rock, raffte ihn nach oben und verschwand zwischen ihren Schenkeln.

„Hmmmmm … jaaaaa, genau da … du bist so gut, fester, Baby“, die dunkle Stimme der Schauspielerin klang durch die warme Nacht.

Wie auf Stichwort kam der Mond hinter der dicken Wolke, in der er sich versteckt hatte, hervor und leuchtete die Szenerie hervorragend aus. Der Mann zog seine Finger zwischen Melisandes Beinen hervor und steckte sie in ihren Mund. Die Schauspielerin saugte gierig daran, dann küsste sie ihn wild und leidenschaftlich und drückte ihn schließlich hinunter. Er hockte sich vor sie und obwohl sein Kopf die Sicht versperrte, wusste Sarah, was er tat, denn sein genüssliches Schmatzen war laut genug. Melisande dankte ihm seinen Einsatz mit atemlosen Seufzern, mit einer Hand hielt sie ihren Rock oben, die andere wühlte in seinem Haar und ihr Becken wölbte sich ihm entgegen.

Sarah verharrte bewegungslos im Gebüsch, halb entzückt, halb entsetzt über sich selbst. Wie konnte sie bloß … wozu hatte sie sich hinreißen lassen! War sie schon so notgeil, dass sie den Voyeur spielen musste? Obendrein verselbständigte sich ihr Körper und reagierte heftig auf den Porno, der da vor ihr ablief.

Seit ihrer Trennung von John hatte sie keinen Mann mehr an sich herangelassen. Aber davon abgesehen ging die Wahrscheinlichkeit, einen kennenzulernen, sowieso gegen null, denn sie kam so gut wie nie aus ihrer Küche heraus. Ein gutes Jahr lebte sie bereits enthaltsam, wenn man das fleißige, aber leider nur batteriegetriebene Helferlein aus dem Nachtschränkchen mal außen vor ließ. Doch selbst dafür war sie in der letzten Zeit viel zu müde. Um es kurz zu fassen – bei Sarah herrschte sexueller Notstand und was hier gerade live vor ihren Augen passierte, ließ glühende Hitze in ihre empfindlichsten Körperteile fahren.

Melisandes Atmung wurde immer kürzer und flacher. Der Mann vor ihr schien sein Bestes zu geben, doch sie stieß ihn ungeduldig von sich. Sie drehte sich um, spreizte die Beine weit auseinander und beugte sich nach vorn. Sarah hielt sich erschrocken eine Hand vor die Augen, denn sie hatte nun wirklich nicht beabsichtigt, vollen Einblick in Melisande Fromms weit geöffnete und im Mondlicht feucht glänzende Muschi zu bekommen.

Es war ein bisschen wie im Kino, wo man in einer besonders gruseligen Szene erst die Augen zukneift und dann trotzdem wieder hinsehen muss. Auch Sarah ging es so. Natürlich spitzte sie zwischen den Fingern hervor und sah, wie der Mann seinen voll ausgefahrenen und recht beachtlichen Penis in die Hand nahm und mit der Kuppe ein paarmal an Melisandes offener Spalte hoch und runter strich. Schließlich stieß er rücksichtslos und ziemlich heftig zu und sie schrie auf. Er verharrte einen Moment reglos, griff um sie, wühlte ihre Brüste aus dem offenherzigen Dekolleté und knetete sie grob. Doch Melisande schien es zu gefallen, denn sie stöhnte:

„Fester, kneif mich … ja ... genau so …“

Der Mann bewegte sich jetzt in ihr, erst quälend langsam, dann immer schneller. Sein wildes Stöhnen vermischte sich mit ihren heiseren Schreien, dazu klatschte rhythmisch Fleisch auf Fleisch. Die Hände auf ihre prallen, weißen Hinterbacken gestützt, stieß er wie ein Wahnsinniger in sie hinein. Das dort drüben war kein Liebesakt, was Sarah beobachtete, war eine animalische Fickerei. Trotzdem spürte sie das wohlbekannte, nach Erlösung drängende Pulsieren zwischen ihren Beinen und hätte am liebsten eine Hand dazwischen gesteckt. Doch leider war das in ihrer gegenwärtigen Situation glattweg ausgeschlossen. Sie trug die volle Kochmontur und hockte in einer derart unmöglichen Stellung im Gebüsch, dass ihr bereits die Beine einschliefen. Doch sie konnte einfach den Blick nicht abwenden. Wie gebannt starrte sie auf die zuckenden Leiber und lauschte den immer höher und spitzer werdenden Tönen, die Melisande von sich gab. Entweder hatte es der Typ wirklich irre gut drauf, oder aber Melisande protzte mit ihren Schauspielkünsten und machte ihm was vor. Vielleicht hatte sie ja früher auch Pornos gedreht und wusste, was von ihr erwartet wurde.

Sarah schaute nicht weg, auch wenn sie es hätte tun sollen. Im Gegenteil, sie beneidete Melisande in diesem Moment total. Naja, sie wollte natürlich nicht diesen Kerl da, sie wusste ja nicht mal, wer der Glückliche war. Aber im Moment hätte sie alles für einen so heftigen Orgasmus gegeben, wie ihn Melisande gerade zu erleben schien und der ihren schmalen Körper konvulsivisch erzittern ließ.

Der Mann, der es ihr besorgte, musste ein Stehvermögen wie ein Pferd haben. Er hielt einen Moment inne und das Stöhn- Grunzen erklang von neuem. Nochmal ertrug Sarah das nicht. Leise und vorsichtig kroch sie zurück, aber die beiden waren so bei der Sache, dass sie wahrscheinlich nicht mal auf eine durchrennende Elefantenherde reagiert hätten.

 

 

Drinnen machte sie sich auf die Suche nach Julian Frick, der für das Management des Hotels zuständig war. Sie fand ihn im Küchengang, wo er prüfend in den Saal spähte, in dem jetzt zu fortgeschrittener Stunde ungefähr hundertfünfzig Personen feierten. Allerdings waren das nicht irgendwelche Personen. Nein, sie hatten die Creme de la Creme der ‚C- Prominenz‘ vor sich, die lautstark und ausgelassen Party machte und sich mit steigendem Alkoholspiegel zunehmend daneben benahm.

Die Gesellschaft war illuster. Jede Menge Schauspieler waren da, so gut wie alle Kollegen aus Melisandes Serie. Ein paar von ihnen kannte Sarah von Partys, die sie ab und zu mit John besucht hatte. Aber nicht nur Schauspieler, auch Pornosternchen und Möchtegernmodels tummelten sich neben drittklassigen Schlagersängern, dazwischen blitzte es immer wieder mal auf. Die Klatschjournaille samt Fotografen war im Dauereinsatz, Melisande und Patrick waren öffentliche Menschen und hatten ihre Hochzeit gegen jede Menge Bares an die Klatschpresse verscherbelt.

„Die Braut ist draußen im Garten und dreimal darfst du raten, was sie da macht“, sagte Sarah zu Julian und streckte ihren verspannten Rücken. Julian fragte nicht lange und massierte ihr die Schultern. Er war wirklich ein Engel. Sie ließ locker, genoss wohlig stöhnend die kräftig knetenden Finger an ihrer Nackenmuskulatur und schloss die Augen.

„Tanzt sie nackt um den Springbrunnen?“, Julian lachte. „Vergebliche Mühe, alle Fotografen sind hier drin, also fällt das flach. Na sag schon, was macht sie?“

„Sie vögelt rum und ich war live dabei. Ich hab ihretwegen meinen Gulasch stehen lassen“, antwortete Sarah.

Julian prustete los.

„Verständlich, irgendwie muss sie ja ihre Hochzeitsnacht haben. Sieh dir den Jennings an, der ist so voll, der kriegt heute garantiert keinen mehr hoch.“

„Nicht so laut, Julian“, sie schlug ihm leicht gegen den Arm. „Wenn das jemand hört, sind wir geliefert.“

„Oder wir kriegen eine Extraprämie für die Insiderinformationen“, entgegnete er lachend. „Da draußen sind bestimmt zwanzig Klatschreporter und Fotografen zugange. Du hast das nicht mitbekommen, weil du nicht aus der Küche rausgekommen bist, aber vorhin waren auch zwei Fernsehteams da.“

„Wow!“, das waren mal gute Nachrichten. Sarah vergaß Melisandes Fehltritt und drückte Julian vor Freude. „Also werden wir in den nächsten Tagen in allen gängigen Boulevardmagazinen über die Fernsehschirme flimmern und in allen Klatsch- und Glamourblättchen erscheinen. Das ist Spitze und ein ganzes Stück billiger, als Werbung in Zeitschriften zu schalten.“

„Du sagst es“, Julians Augen blitzten und Sarah sah den Taschenrechner in seinem Kopf arbeiten. „Wenn diese Hochzeitsfeier ein Erfolg wird, haben wir es geschafft, dann werden uns die Leute in Zukunft die Bude noch mehr einrennen.“

Sarah grinste und sagte:

„Unter diesen Umständen kann ich sogar damit leben, dass John hier ist.“

Auch wenn John die Fäden für diese Feier gezogen hatte, war es immer noch gewöhnungsbedürftig für sie, ihn unter den Gästen zu wissen, zumal er die unvermeidliche Sissi mitgebracht hatte.

Sarahs so gut wie Ex- Mann Jonathan ‚John‘ Bennett war ebenfalls Schauspieler und seit knapp zwei Jahren der Serienpartner von Melisande Fromm. Er spielte Doktor Janson, ihren intriganten Lover, war aufgrund des fiesen Charakters, den er darstellte, unglaublich beliebt bei den weiblichen Fans und nach vielen Jahren Erfolglosigkeit endlich auf dem aufsteigenden Karriereast. Es war wohl wirklich so, dass die meisten Frauen insgeheim auf miese Kerle standen.

Leider war John privat nicht halb so aufregend wie in seiner Serienrolle, wenn man von seiner Vorliebe für hochdotierte Pokerturniere und billige Blondinen absah. Von der Pokerleidenschaft wusste Sarah, sie hatte sie sogar mal kurz mit ihm geteilt, doch Sissi Kübler mit dem exorbitanten Silikonbusen wollte sie auf gar keinen Fall mit ihm teilen.

Sissi war nicht unbedingt die hellste Leuchte in der Lichterkette des Lebens. Sarah hatte sie auf einer Party mit Johns Kollegen kennengelernt, sie gehörte kurz zum Team, nachdem sie für ein paar Folgen als Stripperin besetzt worden war. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt hauptsächlich mit schlüpfrigen Bildchen in diversen Herrenmagazinen und hatte auch schon den einen oder anderen Erotikstreifen gedreht. So richtig Porno war sie nicht … noch nicht, aber was nicht war, konnte immer noch werden und diesbezüglich war Sarah bester Hoffnung für sie.

Aber nie im Leben hätte sie damit gerechnet, dass sie ein paar Wochen später John und Sissi im Flur ihres Hauses erwischen würde. Sarah war einen Tag früher von einer Weiterbildung zurückgekommen und hatte extra nicht angerufen, weil sie ihren Mann mit verruchten, neuen Dessous überraschen wollte, die sie unterwegs gekauft hatte.

Es war wie bei einer Live- Schalte in Johns Fernsehserie:

Ehefrau betritt das Haus und bleibt wie erstarrt in der offenen Haustür stehen, denn das Erste, das sie erblickt, ist der nackte Hintern ihres Mannes, der die scharfe Tussi, die eigentlich nur eine unwichtige Nebenrolle spielt, in die Ecke geklemmt hat.

Scharfe- Nebenrollen- Tussi hat ihre langen Beine, die natürlich in schneeweißen Seidenstrümpfen und knallroten, irrsinnig hohen High Heels stecken, um Ehemanns Hüften geschlungen und quiekt in den höchsten Tönen.

Ehemann hat eine Hand unter ihrem üppigen Hintern, mit der anderen stützt er sich an der Wand ab und stößt in Scharfe- Nebenrollen-Tussi, als wolle er sie mit aller Gewalt an die Wand nageln.

Tja, oder so ähnlich … jedenfalls waren die beiden so sehr miteinander beschäftigt, dass sie Sarah erst bemerkten, als sie die Haustür mit einem gewaltigen Krach ins Schloss fallen ließ.

An diesem Tag staunte sie über sich selbst. Sie wuchs über sich hinaus, denn sie blieb ruhig, beängstigend ruhig. Sie weinte nicht, sie schrie auch nicht hysterisch durch die Gegend. Nein, sie tat nichts von alldem, sie ging vollkommen gleichmütig nach oben ins Schlafzimmer und beförderte innerhalb weniger Minuten Johns gesamte Garderobe und das Bettzeug durchs Fenster in den Vorgarten. Ehe sich die beiden unten im Flur sortiert hatten, war sie damit fertig, stellte sich auf den Treppenabsatz und sah hinunter. Wahrscheinlich wirkte sie in diesem Moment schlimmer als Norman Bates aus ‚Psycho‘, denn John brachte sich und die blonde Pornotussi ohne ein Wort nach draußen in Sicherheit.

Sarah beobachtete provokatorisch aus dem offenen Schlafzimmerfenster, wie Sissi und er sein Zeug in Windeseile in seinen Wagen stopften und wegfuhren. Erst danach erlaubte sie sich, heulend zusammenzubrechen.

 

 

Das alles war vor einem knappen Jahr passiert und seitdem hatte John die liebe Sissi samt ihren Silikontitten an der Backe, er wohnte sogar bei ihr. Natürlich stand er einen Tag später vollkommen zerknirscht zu Hause auf der Matte, natürlich wollte er zu Sarah zurück und vielleicht hätte sie ihm den Ausrutscher sogar irgendwann vergeben. Aber dann erfuhr sie über drei Ecken, dass er sie gleich zu Anfang seiner Serienkarriere mit Melisande Fromm betrogen hatte und auch sonst nicht sonderlich zurückhaltend war, was die Kolleginnen vom Filmset betraf.

Logisch, dass sie ihn nie wieder sehen wollte und die Scheidung einreichte. Das Thema John war durch bei ihr, obwohl er das offensichtlich nicht begriff, in den unpassendsten Momenten aufkreuzte und ihr auf den Wecker fiel. Obwohl, in den letzten Wochen hatte man sich wieder etwas angenähert, rein freundschaftlich natürlich. Jedenfalls sah Sarah es so, obgleich sie hätte wetten können, dass John darüber ganz anderer Meinung war. Ein kleiner Wink hätte genügt und er wäre sofort zu ihr zurückgekehrt.

Sarah öffnete die Tür ein bisschen weiter und sah John an der Bar stehen, mit einem gut gefüllten Drink in der Hand. Sissi redete auf ihn ein, gestikulierte wie eine Wilde und hing sich an seinen Hals, doch John stieß sie weg und ließ sie stehen.

Julian hatte die Szene mitverfolgt.

„Was ist denn da los?“, fragte er neugierig. „Trouble in Paradise? Hat er endlich genug von ihr?“

„Nicht, dass mich das interessieren würde“, antwortete Sarah schnippisch und schloss die Tür.

„Na komm!“, Julian stupste sie in die Seite. „Ich muss dich doch nicht daran erinnern, wie ich euch beide letzte Woche in deinem Büro erwischt habe?“

Sie verdrehte die Augen. Klar, dass er ihr das irgendwann mal aufs Butterbrot schmieren würde. Nach einem ziemlich harten Tag hatte Sarah für die Küchencrew einen ausgegeben und die Fete war ein kleines bisschen ausgeartet. Kurz gesagt, sie war sturzbetrunken und John mal wieder ungebeten dazugekommen. Er hatte sie in ihr Büro verfolgt und die Situation schamlos ausgenutzt. Glücklicherweise war Julian in die wilde Knutsch- Fummelei geplatzt und hatte ihr den Hintern gerettet. Wieder was mit John anzufangen hätte sie sich niemals verzeihen können.

„Das Mitternachtsbuffet muss raus“, sagte Sarah patzig. „Und du solltest auch wieder an die Arbeit gehen.“

„Jawollja, zu Befehl, General!“, Julian knallte die Hacken zusammen, salutierte und sie lachte los. Er schaffte es immer, sie zum Lachen zu bringen.

 

 

Die beiden waren noch nicht richtig an der Küchentür, als es im Saal mörderisch krachte. Julian und Sarah warfen sich einen kurzen Blick zu, drehten sich auf dem Absatz um und rannten zurück. Entgeistert starrten sie auf die Szenerie, die sich ihnen darbot. Vor einer Minute noch war da draußen alles noch Friede, Freude, Eierkuchen gewesen doch jetzt stand Patrick Jennings rot vor Wut auf dem Bartresen und hatte einen Stuhl in das gut gefüllte Getränkeregal geschmissen. Das war natürlich zusammengekracht und der Spiegel dahinter ebenfalls.

Klaus, der Barkeeper, war geistesgegenwärtig in Deckung gegangen, jedenfalls sah Sarah ihn nicht. Dieser Vollidiot von Fußballer hatte die Bar anscheinend mit einem Tor verwechselt und Alkohol im Wert von über tausend Euro zerschossen.

Sarah spürte Julians festen Griff um ihren Oberarm, er hielt sie zurück, denn sie war drauf und dran, sich fluchend ins Getümmel zu stürzen.

„Bleib bloß hier“, befahl er und ging selbst hinaus. Natürlich blieb sie nicht, sie lief hinter Julian her, doch sie kamen gar nicht bis zur Bar.

Wie auf Kommando hatten sich sämtliche Pressetypen auf das willkommene Ereignis gestürzt, fotografierten wie die Verrückten und kreisten Jennings so ein, dass niemand mehr zu ihm vordringen konnte. Sein Bruder und ein anderer Mann hatten es schließlich geschafft, sich durch die Meute zu drängen und versuchten, den außer Rand und Band geratenen Bräutigam vom Tresen zu ziehen. Der allerdings hatte sich mit einer leeren Champagnerflasche bewaffnet und schlug wild damit um sich. Dann ließ er zu allem Übel auch noch die Hose herunter und stieß seinen Unterleib mit heftigen, ziemlich unzweideutigen Bewegungen vor und zurück.

„Wo‘s die v‘dammte Schlaaaaaampe, ich maaaaaachse feddich“, grölte er und holte schwankend mit der Flasche zu einem neuen Schlag aus.

Sarah war überhaupt kein gehässiger Mensch, aber in diesem Moment wünschte sie sich, er würde herunterfallen und sich das Genick brechen. Die ‚Schlaaaaaampe‘ kam gerade mit dem Besitzer des opulenten Schwanzes, den Sarah vorhin bewundern durfte, in den Saal zurück, einem breitschultrigen Modeltypen, der noch jünger als ihr Ehemann war. Man sah ihr den letzten Orgasmus an dem selbstzufriedenen Lächeln an, dass sie vor sich hertrug. Allerdings fror das postwendend im Gesicht der frischgebackenen Frau Jennings fest, als sie ihren Göttergatten erblickte. Mit einem unterdrückten Wutschrei stürmte sie Richtung Bar, bahnte sich einen Weg durch die Pressemeute und scheuchte die Fotografen mit weit ausgebreiteten Armen auseinander.

„Leg die Flasche weg und komm sofort da runter, Patrick!“, zischte sie leise, aber bestimmt und Patrick Jennings erstarrte in der Bewegung. Es war nicht zu fassen. Dieser Schrank von einem Mann zog wie ein kleiner Junge, der Schimpfe von Mutti bekam, den Kopf zwischen die Schultern, stellte vorsichtig die leere Flasche ab und zog die Hosen hoch. Dann stieg er umständlich vom Tresen. Er ging vor Melisande auf die Knie, umfing ihren Unterleib mit seinen Armen und begann, jämmerlich zu schluchzen. Das war Fremdschämen pur. Die ganze Situation war dermaßen peinlich, dass man nicht mehr hinsehen konnte.

Melisande allerdings machte das Beste aus der Sache. Sie lächelte verständnisheischend in die Kameras und tätschelte seinen Kopf.

„Du versaust mir mein Kleid, Liebling“, säuselte sie schließlich und winkte seinen Bruder heran.

„Bring ihn nach oben ins Bett.“

Sie hatte alles im Griff, der Bräutigam wurde ‚abgeführt‘ und verschwand für den Rest der Nacht. Sarah schnaubte verächtlich. Was für eine Jammergestalt! Und was für vertane Liebesmüh, die Zimmermädchen hatten sich unglaublich ins Zeug gelegt, um die Hochzeitssuite angemessen herzurichten. Alles für die Katz!

Melisande hatte wohl entschieden, dass die Presse genug zu fressen bekommen hatte, die Damen und Herren wurden aus dem Saal hinauskomplimentiert und Julian ging mit grimmigem Gesicht mit Melisandes Manager in sein Büro, um über die Schadensregulierung zu sprechen.

Der Alkoholgeruch, der aus den zerbrochenen Flaschen drang, hatte sich inzwischen im ganzen Saal ausgebreitet, kurz, es stank zum Himmel, doch die Hochzeitsgäste schienen überhaupt keinen Anstoß daran zu nehmen und wollten weiterfeiern. Ihnen war völlig gleichgültig, dass die Bar in Trümmern lag, sie machten ungeniert weiter und dachten überhaupt nicht daran, das Feld zu räumen.

Sarah erteilte Anweisung, eine provisorische Bar auf der Terrasse aufzubauen, sie hatten genug Alkohol im Keller, um noch ein paar Stuhlattacken verschmerzen zu können. Danach verzog sie sich in den Nebenraum, um dem mittlerweile leicht verspäteten Mitternachtsbuffet den letzten Schliff zu verpassen.

‚Wir werden in die Geschichte eingehen als das Hotel, in dem Melisande Fromms Ehe beendet war, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat‘, dachte sie, während sie noch einmal prüfend über ihr Werk sah.

„Perfekt“, sagte sie laut und verschränkte zufrieden die Arme.

„Perfekt, aber Perlen vor die Säue“, Norbert Fischer, der Souschef und ihre rechte Hand, stand plötzlich hinter ihr. „Die sind doch alle schon jenseits von Gut und Böse da draußen, die merken überhaupt nicht mehr, was sie in sich reinstopfen.“

„Na, wie redest du über unsere Gäste!“, missbilligend schüttelte sie den Kopf, obwohl sie gerade eben dasselbe gedacht hatte. Sie öffnete die Tür und gab das Buffet frei.

Die Gäste fielen hungrig darüber her, als hätten es den ganzen Tag noch nichts zu essen gegeben. Sarah wartete noch einen Moment auf eventuelle Sonderwünsche, doch als nichts mehr kam, machte sie sich vom Acker. Feierabend … der Rest der Nacht lag in Julians Hand.

 

 

Sie hatte es nicht weit nach Hause, Sarah wohnte im Nachbarort, in Tossendorf. Dort gab es ganze dreißig Häuser und jede Menge Sand. Sie war dort aufgewachsen und als ihre Eltern vor ein paar Jahren bei einem Unfall ums Leben kamen, konnte sie John recht schnell dazu überreden, aus Berlin weg und in ihr altes Elternhaus zu ziehen. Sie liebten es beide, auf dem Land zu leben, nach Berlin war es nicht weit und John konnte nach Drehschluss bequem nach Hause kommen. Naja, das war einmal …

Am Dimmritzer See, der sich zwischen den beiden Ortschaften befand, machte sie Halt. Sie war zwar todmüde, doch sie wusste, was passieren würde, wenn sie jetzt sofort ins Bett ging. Nach dem ganzen Theater war sie viel zu aufgeputscht, um schlafen zu können. Hier am See, an ihrem Lieblingsplatz, konnte sie herunterfahren und versuchen, nicht mehr an den Schaden im Hotel zu denken. Den ersetzte die Versicherung und hoffentlich übernahm die auch den Verdienstausfall für die Zeit der Renovierung.

Plötzlich musste sie an John denken. In letzter Zeit kam er immer öfter im Hotel vorbei, um einfach nur mal zu reden, wie er es ausdrückte. Sarah wollte nicht mit ihm reden, eigentlich wollte sie ihn überhaupt nicht sehen, ließ sich aber doch meistens breitschlagen. Er hätte die anderen Frauen aufgegeben, beteuerte er ständig. Sarah fragte ihn jedes Mal, wieso er bei Sissi blieb. Seine Standardantwort war, er hätte nichts mehr mit ihr, würde nur noch einfach so bei ihr wohnen und er würde dort abwarten, bis er nach Hause kommen könnte. Na darauf konnte er lange warten, John war schon immer berüchtigt gewesen für seine verquere Logik.

Am Anfang war Sarah noch schadenfroh, sie wusste, dass er mit Sissi auf Dauer nichts anfangen konnte. Sarah war niemand, der einen anderen Menschen als dumm bezeichnete. Sissi war halt einfach gestrickt und sicher auch ganz lieb und gab bestimmt ihr Bestes, um John glücklich zu machen. Wahrscheinlich war Sissi auch immer da, wenn er sie brauchte.

Sarah hingegen war kompliziert und leicht aufbrausend und obendrein ein kleines Alphatierchen. Sie gab gern den Ton an. Durch ihren Job hatte sie seit Jahren die unmöglichsten Dienste, doch als sie das Hotel kaufte, erreichte ihre Freizeit den absoluten Nullpunkt. Wenn sie spät nachts heim kam, fiel sie ins Bett und war zu nichts mehr zu gebrauchen. Eigentlich musste sie sich nicht wundern, dass sich John anderweitig verlustierte. Sie war ja nie da.

Andererseits hatte sie ihm während der ganzen Jahre finanziell den Rücken freigehalten, damit er seinen Traum, ein berühmter Schauspieler zu werden, leben konnte. Und wie hatte er es ihr gedankt, als es soweit war?

Halb vier Uhr morgens, es wurde schon hell … Sarah musste dringend nach Hause und versuchen, ein wenig zu schlafen. Es war Sonntag und das Hotelrestaurant zur Mittagszeit so gut wie ausgebucht. Es lag mal wieder ein arbeitsreicher Tag vor ihr. Hätte sie in diesem Moment gewusst, was sie zu Hause erwartet, wäre sie stehenden Fußes ausgewandert!


2

Im Haus roch es komisch, als sie in den Flur kam. Sarah hatte berufsbedingt eine gute Nase und in der kleinen Diele roch es definitiv anders, als gewohnt. Prüfend sah sie sich um und entdeckte schließlich eins ihrer guten Tranchiermesser auf dem flachen Bauernschrank, den sie als Flurkommode benutzte.

Sie stierte das Messer an. Wie zum Teufel kam das da hin? Wer hatte sich an ihren Messern zu schaffen gemacht?

Wundern Sie sich über diese Frage?

Naja, Messer sind für jeden halbwegs ambitionierten Koch so etwas wie Heiligtümer. Sarahs Messer waren Sonderanfertigungen aus Japan, ein Geschenk von John, nachdem er seine erste, fette Gage bekommen hatte und sie waren teuer. Sündhaft teuer sogar und Sarah drohte gnadenlos jedem mit Folter, der es wagte, sie anzufassen.

Sie nahm das lange, schmale Messer in die Hand und sah kopfschüttelnd auf die blitzende Klinge. Wie um alles in der Welt kam das Ding hierher? Sie hatte es schon ewig nicht mehr in der Hand gehabt, sie konnte sich nicht mal daran erinnern, wann sie überhaupt zum letzten Mal zu Hause gekocht hatte. Seit sie das Hotel übernommen hatte, kam sie fast nur noch zum Schlafen her.

Beginnende Alzheimer? Mit dreiunddreißig? Sarah brachte das Messer in die Küche, hing es liebevoll an seinen angestammten Platz an der Wand und goss sich einen kleinen Scotch ein. Vielleicht würde der beim Einschlafen helfen.

Vier Uhr morgens, sie stöhnte frustriert und schlurfte mit dem Glas in der Hand hinauf ins Schlafzimmer.

Auf der Treppe stieg ihr wieder der eigenartige Geruch in die Nase, der sich, je höher sie kam, verstärkte. Sarah fiel auf, dass im Halbdunkel des Flurs unter der Schlafzimmertür ein Lichtschein zu sehen war. Hatte sie gestern Morgen in der Eile vergessen, das Licht auszumachen? Aber es war Juli und sehr früh hell, sie hatte das Licht also gar nicht erst angeschaltet. Schon wieder Alzheimer?

Beklommen öffnete sie die Tür und prallte zurück. Das war doch der Ausbund an Frechheit! John hatte es sich im Bett bequem gemacht. Oder auch nicht … wie man es nahm. Er hatte sich recht hindrapiert, nackt, die Bettdecke bis in die Mitte der Brust gezogen, eine schwarze Augenbinde tragend und die Hände mit Handschellen am schmiedeeisernen Bettgitter befestigt. John schien eingeschlafen zu sein, denn er reagierte nicht auf Sarahs nicht gerade leises Eintreten. Seit wann roch er eigentlich so eigenartig?

In ihr brodelte es. Was erlaubte sich dieser Mistkerl? Nicht genug, dass er ihr ständig völlig ‚zufällig‘ über den Weg lief, wie konnte er es wagen, einfach hier einzudringen und sich in ihr Bett zu legen. Und diese Handschellen! Sarah und John hatten während ihrer Ehe so einige Spielereien ausprobiert, sich auch gegenseitig gefesselt, allerdings mit weichen Tüchern. Handschellen hatten nie auch nur zur Diskussion gestanden.

Jetzt lag er hier wie hingegossen und sie musste sich eingestehen, dass sie ihn immer noch sehr sexy fand. John hatte immer gut auf sich geachtet und an seinem Körper befand sich, obwohl er stramm auf die Vierzig zuging, kein überflüssiges Gramm Fett. Wollte er sie auf diese Art um Vergebung bitten? Sollte das hier etwa eine Aufforderung an Sarah sein, ihn für seine Vergehen zu bestrafen? Na dem würde sie was husten! Sie lief zum Bett, stellte ihr Glas auf den Nachttisch und stupste ihn an.

„Hey, wach auf John, bist du jetzt vollkommen durchgeknallt? Nur weil ich dich im Suff geküsst habe, musst du nicht denken, dass du hier einfach so aufkreuzen kannst.“

Keine Reaktion. Kurz schoss ihr die Frage durch den Kopf, wie er es geschafft hatte, sich mit beiden Händen ans Bett zu fesseln, doch der Ärger siegte. Sie war hundekaputt, wollte ins Bett und John sollte einfach nur verschwinden. Sarah rüttelte grob an seiner Schulter und sein Kopf fiel schlaff nach vorn. Er hing jetzt wie ein nasser Sack in den Handschellen und bewegte sich nicht, na super, er war zu allem Übel wohl auch noch völlig betrunken!

„John?“, sie rüttelte wieder an ihm, riss ihm schließlich voller Wut die Bettdecke weg und erstarrte in der Bewegung. Mitten in seiner Brust war ein Loch, aus dem ein dünnes Rinnsal Blut über seinen Bauch hinuntergelaufen und in der Matratze versickert war. Sarah riss ihm schwarze Augenbinde ab, doch seine Augen waren geschlossen. Reflexartig versuchte sie, an seinem Hals einen Puls zu finden, doch da war nichts.

Vorsichtig lehnte sie ihn zurück ans Bettgitter. Wenn das Blut nicht gewesen wäre, hätte man denken können, dass er schlief. Er sah absolut friedlich aus, es schien, als lächle er sogar ein wenig.

Nur ganz langsam registrierte ihr Gehirn, was los war. John war tot, lag mit einem Loch in der Brust angekettet in ihrem Bett und in diesem Moment überfiel sie blankes Entsetzen. Sie ging neben dem Bett in die Knie und versuchte, tief durchzuatmen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die Rädchen in ihrem Kopf wieder zu rattern begannen. Sarah erhob sich mühsam und lief langsam, auf wackligen Beinen die Treppe hinunter zum Telefon. Mit zitternden Händen wählte sie den Notruf und hörte sich wie von fern dabei zu, wie sie einen Mord meldete.

Ein Mord! Hier in Tossendorf, in einem Kaff, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten, ausgerechnet in ihrem Haus. Vor allem - John war kein Niemand mehr und auch Sarah selbst hatte in der letzten Zeit einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Das hier würde für unheimlichen Wirbel sorgen, die Presse würde Amok laufen.

Es wollte nicht in ihren Kopf, John war tot, dieser verdammte, elende Mistkerl, mit dem sie acht Jahre ihres Lebens verbracht und den sie einmal sehr geliebt hatte und für den trotz allem immer noch ein kleines Eckchen in ihrem Herzen reserviert geblieben war.

 


3

Eine Stunde später war vor und im Haus die Hölle los. Innen tobten sich Spurensicherung und Gerichtsmedizin aus, draußen versammelten sich langsam, aber sicher Presse und Fernsehen. Unglaublich, wie schnell der Mord an John durchgesickert war.

Sarah hatte sich halb paralysiert in der Küche in eine Ecke verkrochen und starrte Löcher in die Luft, als eine große, blonde, mehr als nur gutaussehende Frau hereinkam. Sie musste etwa in Sarahs Alter sein, besaß eine Figur wie aus dem Katalog für Supermodels und die entsprechende kühle Arroganz. Unvermittelt stand sie in der Küche, angelte sich einen Stuhl und setzte sich.

„Sie sind Frau Bennett, nehme ich an?“, ihre Stimme war klar und scharf und bewirkte, dass Sarah aus ihrer Lethargie schreckte und sich gerade hinsetzte.

„Ja, das bin ich, Sarah Bennett“, antwortete sie und räusperte sich mehrmals, denn ihre Stimme gehorchte ihr irgendwie nicht.

„Ich bin Polizeikommissarin Romy Hasenberg“, sie reichte Sarah die Hand und musterte sie prüfend. „Wie geht es Ihnen? Brauchen Sie einen Arzt?“

Diese Frau war ein Bulle? Unglaublich. Unter anderen Umständen hätte man sie als potentielle Siegerkanditatin zu ‚Germanys next Topmodel‘ schicken können. Sarah schüttelte den Kopf und rieb sich die Schläfen.

„Nein, keinen Arzt, es geht schon …“

Ihre Stimme versagte ganz, sie räusperte sich noch ein paarmal und wunderte sich plötzlich über sich selbst. Wieso weinte sie eigentlich nicht? Jede normale Frau würde in einer solchen Situation zusammenbrechen und Rotz und Wasser heulen, wieso also sie nicht?

Romy Hasenberg klappte ein Notizbuch auf und zückte einen Stift.

„Bitte schildern Sie mir genau, was passiert ist, als Sie nach Hause kamen, auch Kleinigkeiten, die Ihnen vielleicht unbedeutend erscheinen.“

Also erzählte sie, von dem komischen Geruch und dem Messer, das am falschen Platz lag. Die Kommissarin horchte auf und fragte dazwischen:

„Wo ist dieses Messer jetzt, Frau Bennett?“

„Dort drüben, an der Wand, das Schmale, ganz rechts“, Sarah wies auf die Leiste über der Arbeitsfläche, an der ihre Schätze fein säuberlich aufgereiht hingen. Die Hasenberg bellte eine Anweisung aus der Tür.

„Was machen Sie da?“, rief Sarah empört, als ein Uniformierter kam und die Messer in Plastiktüten packte. „Sehen Sie sich doch vor, die Messer sind ziemlich wertvoll!“

Sie sprang auf, doch die Hasenberg stand plötzlich vor ihr und drückte sie auf den Stuhl zurück.

„Das sind Beweismittel, bitte beruhigen Sie sich“, die Stimme der Kommissarin knallte ihr scharf ins Gesicht. „Sie bekommen sie zurück, wenn der Fall abgeschlossen ist. Bitte fahren Sie jetzt fort.“

Sarah schilderte also, wie sie nach Hause gekommen war und schließlich John gefunden hatte. Ab und zu unterbrach die Hasenberg, hakte nach, machte Notizen, aber die meiste Zeit hörte sie nur zu. Als Sarah schließlich dachte, das Ganze sei überstanden, begann die Fragerei erst richtig.

„Sie sagten, er wäre ihr Ex- Mann? Wohnt er noch hier?“

„Wir leben getrennt seit einem knappen Jahr, die Scheidung läuft noch. John wohnt bei seiner neuen Freundin in Berlin.“

„Und die Dame heißt wie? Haben Sie die Adresse?“

„Sissi Kübler“, Sarah gab ihr alle Angaben, die sie brauchte.

„Sissi … wer wird es ihr sagen?“, fragte sie.

„Das übernehmen wir schon, mit Frau Kübler werde ich selbst sprechen. Was ist mit seiner Familie, seinen Eltern?“

„Johns Eltern leben in Melbourne, seine Mutter ist Deutsche, aber sein Vater stammt von dort. Der Familie gehören ein paar Raffinerien. John war hier an der Schauspielschule, dann hat er mich kennengelernt und ist dageblieben. Wir hatten nie viel Kontakt zu den Bennetts, sie hielten ihn für …“, Sarah stockte und holte tief Luft.

„Sie hielten ihn für?“, wiederholte die Hasenberg ungeduldig.

„Sie hielten ihn für einen Versager weil er nicht den Weg einschlagen wollte, den sie für ihn vorgesehen hatten. Oh Gott, seine Eltern, ich muss sie anrufen … ich …“

„Nicht jetzt“, die Hasenberg schüttelte den Kopf.

„Frau Bennett, was denken Sie, wie ist Ihr Mann hier hereingekommen, wenn er doch nicht mehr hier wohnte?“, ihre hellblauen Eisaugen saugten sich an Sarah fest. „Sie sagten, dass Sie keine Anzeichen eines Einbruchs entdeckt haben.“

„Keine Ahnung, er muss wohl noch einen Hausschlüssel besitzen. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob er ihn überhaupt zurückgegeben hat.“

„Wieso sind Sie erst um diese Zeit nach Hause gekommen?“

„Wir hatten eine große Hochzeit im Hotel, John und Sissi waren auch da, als Gäste“, auf den fragenden Blick der Hasenberg fügte sie hinzu:

„Ich bin Eigentümerin des ‚Himmelshofs‘ in Dimmritz, wir hatten eine Promihochzeit und John ist …“, sie schluckte und verbesserte sich, „ … war ein Kollege der Braut.“

Von ihm in der Vergangenheit zu sprechen, war eigenartig. Wie sollte man sich bloß daran gewöhnen?

„Wann haben sie ihn zum letzten Mal gesehen?“

Sarah musste nicht überlegen.

„Das war gegen Mitternacht, er hat sich mit Sissi gestritten und ist rausgerannt. Ja, das war kurz bevor Patrick Jennings unsere Bar zerlegt hat.“

Ein überraschtes Grinsen huschte über die Lippen der Hasenberg. Der eiskalte Engel zeigte eine menschliche Regung, na sowas.

„Patrick Jennings? Der Fußballer? Die Hochzeit haben Sie ausgerichtet?“

Doch ehe Sarah darauf eingehen konnte, war ihr Gesicht wieder ausdruckslos.

„Ich brauche eine vollständige Gästeliste. Bitte erzählen Sie mir, was auf der Hochzeit vorgefallen ist. Was war da los?“

Während Sarahs Schilderung klopfte plötzlich eine kleine Frau an die Türfüllung.

„Könnte ich Sie kurz sprechen, Frau Hasenberg?“

Die Kommissarin entschuldigte sich und ging hinaus auf den Flur. Sie sprach so leise mit der Frau, dass Sarah nicht verstand, was sie sagte. Als sie wieder hereinkam, fragte sie ohne Umschweife:

„Wo waren Sie zwischen ein und drei Uhr heute Morgen, Frau Bennett?“

„Hat man ihn da … ich meine … ist es da passiert?“

„Beantworten Sie bitte einfach meine Frage.“

„Ich war so gegen ein Uhr mit meiner Arbeit fertig und habe das Hotel vielleicht eine halbe Stunde später verlassen.“

„Haben Sie Zeugen dafür?“

„Meine Kollegen natürlich, ich habe mich von ihnen verabschiedet, als ich weg bin.“

„Und was haben sie dann gemacht?“

„Ich bin zum Dimmritzer See gefahren, zum Abschalten.“

„Mitten in der Nacht? Ganz allein?“

Die Kommissarin sah Sarah ungläubig mit zusammengekniffenen Augen an.

„Ich mache das ziemlich oft. Ich komme meist erst nachts aus dem Hotel und ich schlafe nicht gut, wenn ich nicht noch ein wenig abschalten kann. Also fahre ich zum See.“

„Ich finde das äußerst ungewöhnlich, Frau Bennett. Eine Frau nachts ganz allein in der Wildnis, haben Sie keine Angst?“

„Ich bitte Sie, wir sind in Tossendorf, wovor sollte ich hier Angst haben? Vor der Nachbarskuh vielleicht, die kurz vorbeigeschaut hat?“

„Also kann ihre Aussage außer der Kuh niemand bestätigen“, die Hasenberg durchbohrte Sarah mit einem durchdringenden Blick, unter dem ihr glatt fröstelte. Die Temperatur im Raum schien plötzlich um ein paar Grad gesunken zu sein. Schlagartig wurde Sarah klar, wie absurd das alles klang und ein Blick in das Gesicht ihres Gegenübers bestätigte ihr, dass sie auf Schneekönigins Liste der potentiellen Mörder ganz oben stand.

„Sie denken doch nicht, dass ich …“, plötzlich war Sarah speiübel. Bittere Galle stieg ihren Hals hoch, sie würgte und sprang auf. Nichts wie raus hier, sofort. Sie ignorierte den Protest der Hasenberg, stolperte hinaus auf die Terrasse und kotzte in hohem Bogen in ihre heißgeliebten Rosen.

 

 

Verdammt, war ihr schwindlig, alles drehte sich. Trauer, lähmende Müdigkeit und das Entsetzen über das, was sie gerade erlebt hatte, schlug über ihr zu wie ein Sargdeckel. Sie stützte sich an der Hauswand ab, versuchte, ruhig zu atmen und die aufsteigende Panik zu unterdrücken. John war ermordet worden und die Schneekönigin da drin hielt Sarah für die Mörderin. Ein Kichern stahl sich in ihre Kehle und sie merkte, dass sie kurz vor einem hysterischen Anfall stand. Ihr war sehr danach, einfach mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen, doch sie unterdrückten den Impuls und presste die Stirn fest gegen den rauen Putz. Das durfte doch alles nicht wahr sein!

Sarahs Knie knickten weg, sie rutschte Richtung Boden, doch wie aus dem Nichts tauchten zwei Arme auf, umschlangen sie, hielten sie und drückten sie gegen eine feste, breite Brust. Schlaff wie ein nasser Sack hing sie in den Armen eines Fremden. Ihre Nase streifte seinen Hals und sie nahm einen feinen Geruch wahr, der in ihr eine diffuse Erinnerung wachrief. Sarah fühlte sich warm und geborgen und hätte das angenehme Gefühl gern noch länger ausgekostet, doch dann wurde ihr die Unmöglichkeit der Situation bewusst. Sie riss sich zusammen, straffte sich und die großen, warmen Hände lagen plötzlich auf ihren Schultern. Sie schoben sie ein Stück zurück und Sarahs Blick landete in braunen Dackelaugen, die sie besorgt ansahen.

„Geht’s wieder?“, fragte der Mann und sie bekam postwendend wieder zittrige Knie. Diese Stimme, dunkel, rau und ein bisschen verrucht, Sarah hätte sie unter tausenden wiedererkannt.

„Tom Zillbach, ach du Sch …!“, entfuhr es ihr entgeistert und sofort blitzte ein lange verdrängtes Bild auf. Ihre beste Freundin Conny, rücklings auf dem Küchentisch ihrer WG liegend und spitze Schreie von sich gebend, Tom, wie er mit heruntergelassener Hose vor ihr stand, Connys Füße auf seinen Schultern festhielt und sie hingebungsvoll vögelte. Sarah sah sich selbst in der Tür stehen und fassungslos auf seinen süßen, kleinen Knackarsch starren, diesen hinreißenden Körperteil, von dem sie seit langem träumte. Tom gab genau die Art Töne von sich, die sie ihm nur zu gern selbst entlockt hätte. Aber wenn man eine Freundin wie Conny hatte, war von vornherein klar, wer die wirklich heißen Typen bekam und das war definitiv nicht Sarah.

Sie befreite sich aus den Händen, die immer noch ihre Schultern festhielten und zog ihre Klamotten zurecht. In Toms Augen leuchteten riesige Fragezeichen, sie wanderten über Sarahs Gesicht, ohne ein Zeichen des Erkennens zu zeigen und sie war sich ziemlich sicher, dass in seinem Kopf in diesem Moment eine endlose Liste Frauen herunterratterte, mit denen er irgendwann mal geschlafen hatte.

‚Vergiss es‘, hatte sie schon auf der Zunge und schluckte es gerade noch so hinunter. Es war deprimierend genug, dass er sie nicht erkannte, aber was hatte sie erwartet. Damals war Sarah froh gewesen, dass er sich überhaupt ihren Vornamen gemerkt hatte. Tom war der Typ, auf den alle Frauen abfuhren und Conny war sein Gegenstück. Die Welt kreiste ausnahmslos um die beiden und Sarah war nur die lästige Freundin gewesen, die man notgedrungen überall mit hin schleppte, um bei Conny nicht in Ungnade zu fallen.

„Sarah Menz … früher jedenfalls mal …“, half sie ihm auf die Sprünge und sofort verzog sich sein Mund zu einem unverbindlichen Lächeln. Sie verdrehte die Augen, soweit sie sich erinnern konnte, hatte er damals weitaus besser geschauspielert.

„Ja klar … Sarah“, sagte er und an seinem Tonfall merkte sie, dass er immer noch nicht wusste, wer sie war. Was zum Teufel machte er überhaupt hier? Gehörte er etwa zur Polizei?

„Vergiss es“, sagte Sarah, aber diesmal laut. Sie drehte sich weg und marschierte tapfer Richtung Küche, um sich der Schneekönigin wieder zum Fraß vorzuwerfen. Aber Tom Zillbach ließ man nicht so einfach stehen, nein, das ging gar nicht. Er schnappte Sarahs Arm, hielt sie fest und bedachte sie mit einem geradezu entwaffnenden Blick. Es funktionierte immer noch, unter diesen Augen schmolz sie dahin, wie früher schon.

„Nicht so schnell, Sarah, früher mal Menz. Ok, ich gebe zu, ich habe keine blasse Ahnung, wer du bist, aber da du mich offensichtlich kennst und wir per du sind … Waren wir mal, ich meine …“

„Schon Scheiße, wenn man irgendwann die Übersicht verliert“, unterbrach sie ihn abfällig und schüttelte seine Hand ab. „Keine Angst, ich war nur das unbedeutende Anhängsel. Ich muss wieder reingehen, ich bin eine potentielle Mörderin, weißt du …“

‚Brust raus, Rücken gerade, Sarah!‘, hörte sie die kratzige Stimme ihrer Oma im Kopf. Nicht, dass es dieser Aufforderung bedurft hätte. Sie war längst nicht mehr das kleine, unsichtbare Mauerblümchen, das nicht weiter auffiel. Vielleicht konnte sie es nicht mit Frauen wie Romy Hasenberg aufnehmen, aber sie hatte sich ziemlich herausgemacht im Lauf der Jahre und ihr gesundes Selbstbewusstsein tat ein Übriges.

Als sie loslief, brannte Toms Blick in ihrem Rücken und sie musste ihre gesamte Willenskraft aufbieten, um sich nicht noch einmal umzudrehen. Sie wusste, dass er ihr nachstarrte.

Kurz vor der Küchentür war er plötzlich neben ihr. Sarah sah ihn nicht an, auch nicht, als er sagte:

„Ich weiß, wer du bist. Es ist ziemlich lange her, muss so zweitausend gewesen sein, habe ich recht? Die WG im Bruch. Henner, Rolfi, Conny, der scharfe Kay und du. Sarah, es tut mir echt leid, dass ich dich nicht erkannt habe.“

„Ja, es war zweitausend, aber macht nichts, Tom, wir haben ja nur zwei ganze Jahre mehr oder weniger miteinander verbracht, da vergisst man die Leute schon mal.“

„Jetzt warte doch“, er schob sich vor sie und ließ sie nicht ins Haus zurück. „Das dort oben ist also dein Mann? Du hast ihn gefunden? Kein Wunder dass es dir dreckig geht.“

„Sag das mal der Schneekönigin da drin“, stieß Sarah hervor. „Die denkt, ich hätte John umgebracht.“

„Schneekönigin?“, Tom lachte leise und ihr wurde warm im Bauch. Dieses Lachen, sie hatte es so geliebt damals. Nicht zu fassen, wie lange das her war.

„Tom? Kommst du bitte mal?“, die Stimme der Kommissarin schnitt wie eine Kreissäge dazwischen. Die Frau stand mit verschränkten Armen in der Tür, ihr Gesicht war absolut ausdruckslos, aber Sarah war sicher, dass sie den Wortwechsel mitbekommen hatte. Tom zuckte mit den Schultern.

„Die Pflicht ruft. Bitte warte hier, ich fürchte, wir müssen dir noch jede Menge Fragen stellen.“

Er ging mit der Schneekönigin ins Haus und sie starrte ihm vollkommen baff hinterher.

‚Wir müssen dir noch jede Menge Fragen stellen …‘, also war Tom wirklich bei der Kripo!

Entmutigt hockte sie sich auf die Türschwelle. Die Kommissarin würde sicher nicht lange brauchen, ihn von Sarahs Schuld zu überzeugen.

Bereits nach ein paar Minuten klirrte ihre Stimme oben in der Tür.

„Würden Sie bitte wieder hereinkommen, Frau Bennett?“

Durch die offene Küchentür sah Sarah Tom in der Diele mit zwei Männern in Uniform reden.

„Bitte setzten Sie sich noch einmal, Hauptkommissar Zillbach möchte Ihnen selbst noch ein paar Fragen stellen.“

Hauptkommissar Zillbach? Nicht zu fassen. Der Tom, den Sarah gekannt hatte, wollte Lehrer werden, genau wie sie damals. Sie waren an der gleichen Uni gewesen, er studierte Mathe und Physik auf Lehramt, Sarah und ihre Freundin Conny hatten Biologie und Chemie belegt.

Sarah konnte heute selbst kaum glauben, dass sie sich wirklich mal mit den rüpelhaften Kindern fremder Leute herumplagen wollte. Ziemlich schnell, bereits nach dem ersten Schulpraktikum, hatte sie herausgefunden, dass Lehrerin kein Job für sie war und das Studium gleich darauf abgebrochen.

Offenbar hatte sich auch Tom für einen anderen Weg entschieden. Sarah beobachtete ihn unauffällig. Er sah noch um einiges besser aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Die Zeit hatte ihm gut getan, ach was, sie hatte das Beste aus ihm herausgeholt, was zu machen war. Vorhin an seiner Brust hatte sie feste Muskeln gespürt und breite Schultern gesehen. Früher war Tom ein zuckersüßes Sahneschnittchen gewesen, heute war er einfach göttlich.

Sarah schüttelte sich entsetzt. Oben lag John in seinem Blut und sie lechzte schamlos einem Kerl hinterher, der sie schon vor vierzehn Jahren nicht beachtet hatte. Davon abgesehen schien für die Herrschaften hier bereits festzustehen, dass Sarah selbst John um die Ecke gebracht hatte.

Toms Gesicht zeigte keine Regung, als er in die Küche kam. Er musste wohl ein gewisses Procedere einhalten, denn er stellte sich ihr tatsächlich noch einmal offiziell vor und verklickerte ihr so ganz nebenbei, dass er die Ermittlungen in diesem Fall leitete. Sie musste ihm alles noch einmal von vorn erzählen.

Zwischendurch kam ein Uniformierter herein und nahm ihr wie einer Schwerverbrecherin die Fingerabdrücke ab, ein normales Vorgehen, wie er sagte, um ihre Abdrücke ausklammern zu können.

„Kannst du irgendwo anders unterkommen?“, fragte Tom schließlich. „Wir müssen das Haus bis zum Abschluss der Untersuchung sperren.“

„Du lässt mich gehen?“, Sarah war erstaunt, denn das hatte sie nicht erwartet.

„Natürlich, warum auch nicht?“

„Nun, ich hatte den Eindruck, dass mich deine Kollegin nur zu gern verhaften würde. Ich habe schließlich kein richtiges Alibi. Man weiß doch, dass ihr den Mörder immer zuerst in der Familie sucht.“

Tom grinste plötzlich spöttisch.

„Zu viele Krimis gesehen, Sarah?“

Müde schüttelte sie den Kopf.

„Ich komme selten zum Fernsehen. Wenn ich nach Hause komme, bin ich so erledigt, dass ich nur noch ins Bett falle.“

„Wollte sich dein Mann deshalb scheiden lassen? Weil nichts mehr lief zwischen euch?“

„Wie kannst du es wagen …“, fauchte Sarah. „Du weißt überhaupt nichts von mir, also spar dir deine blöden Bemerkungen.“

„Ich stelle nur Ermittlungen an“, erwiderte Tom sachlich. „Sein Tod scheint dir nicht sonderlich nahe zu gehen. Wie mir meine Kollegin sagte, warst du über den Mord an deinem Mann nicht so entsetzt wie darüber, dass man deine Messer mitgenommen hat.“

Das wurde ja immer besser!

„Woher willst du das wissen?“, fuhr sie ihn an, doch dann winkte sie ab und sagte wütend:

„Du warst schon immer das Letzte, Zillbach. Du hast dich echt nicht verändert.“

„Oh, vielen Dank, das freut mich jetzt aber wirklich.“

Der Mistkerl lachte tatsächlich auf und zwinkerte ihr vertraulich zu.

„Also, kannst du irgendwo hin? Zu deinem Lover vielleicht?“

Sie bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick.

„Ich besitze ein Hotel, also gehe ich dort hin. Wenn ich mir ein paar Sachen holen könnte …“

„Nicht jetzt“, unterbrach Tom sie sofort. „Die Spurensicherung arbeitet oben noch. In ein paar Tagen kannst du sicher wieder ins Haus.“

„In ein paar Tagen kann ich wieder …? Wie stellst du dir das vor?“

Ihr nervöser Magen meldete sich sofort zurück. Im Moment konnte sie sich alles Mögliche vorstellen, nur nicht, eine Nacht oben im Schlafzimmer zu verbringen. Würde sie überhaupt jemals wieder hier leben können? Verzweifelt vergrub sie ihr Gesicht in den Händen und Tom bekam ihre Reaktion vollkommen in den falschen Hals.

„Mein Gott Sarah, dein Mann ist ermordet worden und liegt da oben und du machst Theater, weil du vielleicht zwei, drei Tage wegbleiben musst? Geht dir das wirklich so am Arsch vorbei?“

Am Arsch vorbei? Hatte er das eben tatsächlich gesagt? Sarahs längst vergessene Tom- Zillbach- Allergie brach wieder aus.

„Es geht mir nicht am Arsch vorbei, du Blödmann!“, schrie sie und sprang auf. „Ganz sicher nicht. John war ein elender Dreckskerl, der mich nach Strich und Faden betrogen hat und ich bin schon eine ganze Weile endgültig fertig mit ihm. Aber ich habe ihn mal sehr geliebt, wie also sollte mir das am Arsch vorbei gehen? Nur weil ich nicht heulend zusammenbreche heißt das noch lange nicht, dass es mir am Arsch vorbei geht! Das hier ist mein Elternhaus, hier bin ich aufgewachsen, hier habe ich fünf Jahre lang mit John gelebt. Wie soll ich hier jemals wieder Frieden finden, oben schlafen können in dem Zimmer, in dem er ermordet wurde? Sag du mir nicht, was ich fühle, denn du hast keinen blassen Schimmer von meinen Gefühlen!“

Ihre Hände hatten sich wie von selbst zu Fäusten geballt, am liebsten hätte sie ihn geschlagen. Schließlich wandte sie sich enttäuscht ab. Tom war wirklich der Alte geblieben, rücksichtslos, ohne eine Spur von Empathie. Jetzt endlich rannen ihr Tränen übers Gesicht und sie schämte sich nicht dafür. Sarah ließ sich auf den Stuhl zurückfallen, verschränkte die Arme auf der Tischplatte, legte den Kopf hinein und weinte hemmungslos.

Plötzlich spürte sie seine Hand auf der Schulter, wie vorhin- groß, warm, vertrauenerweckend. Tom war mit seinem Stuhl neben sie gerückt, zog sie an sich und hielt sie fest. Willenlos vergrub sie das Gesicht an seiner Brust und durchnässte sein Hemd mit ihren Tränen.

„Das geht entschieden zu weit, Hauptkommissar Zillbach!“

Die Schneekönigin war zurück.

„Ich kann sehr gut selbst einschätzen, was zu weit geht und was nicht“, antwortete Tom scharf und machte keinerlei Anstalten, Sarah loszulassen. Die aber stieß ihn von sich. Die Hasenberg hatte vollkommen recht, das hier ging zu weit. Es war einfach ein Unding, sich an Toms Brust auszuweinen. Sarah angelte nach der Küchenrolle, riss einen halben Meter ab und putzte sich geräuschvoll die Nase.

„Kann ich jetzt gehen? Ich muss in spätestens zwei Stunden anfangen, zu arbeiten.“

„Du willst arbeiten? Nach alldem hier?“, fragte Tom erstaunt.

„Ich leite ein Hotel“, erwiderte sie trotzig. „Das Restaurant ist mittags ausgebucht, die Leute kommen allein meinetwegen und wir brauchen die Einnahmen. The Show must go on.“

Ätzend fügte sie hinzu:

„Und da mir das hier sowieso am Arsch vorbei geht, kann ich genauso gut arbeiten.“

„Es tut mir leid, das hätte ich nicht sagen sollen“, erwiderte Tom und schnitt seiner Kollegin, die empört dazwischenreden wollte, mit einer knappen Handbewegung das Wort ab.

„Kann ich dich bitte draußen sprechen, Romy?“

Widerstrebend folgte sie ihm hinaus auf die Terrasse. Sarah musste sich nicht sonderlich anstrengen, ihren halb gezischten, halb geflüsterten Disput zu verstehen.

„Wenn sie eine alte Freundin von dir ist, musst du dich von dem Fall abziehen lassen, Tom.“

„Vergiss es. Das Opfer ist prominent, der Mord wird jede Menge Staub aufwirbeln, du kannst doch nicht allen Ernstes von mir erwarten, dass ich freiwillig auf so eine Bombe verzichte.“

Daher wehte also der Wind. Tom Zillbach war nicht nur ein absoluter Mistkerl was Frauen betraf, er war obendrein noch ein karrieregeiler Arsch. Sarah spitzte die Ohren, denn die Diskussion auf der Terrasse wurde immer interessanter. Romy Hasenberg sagte etwas, was sie nicht verstand, dafür kam Toms Antwort umso schärfer und manchmal ist Flüstern lauter als man denkt.

„Du vergreifst dich im Ton! Ich bin immer noch dein Vorgesetzter, ist das klar? Das wir miteinander ins Bett gehen, hat nichts, aber auch gar nichts mit unserer Arbeit zu tun. Du wirst mir nicht vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe, hast du das verstanden?“

Hatte sie das? Romy Hasenberg lief an Sarah vorbei in den Flur, nicht ohne sie vorher noch mit einem verächtlichen ‚Ich krieg dich dran, keine Angst‘ – Blick zu bedenken. Tom blieb in der Fenstertür stehen, sah ihr mit einem ziemlich finsteren Blick nach und drehte sich schließlich zu Sarah. Aus reinem Selbstschutz tat sie so, als hätte sie nichts von dem mitbekommen, was da draußen abgelaufen war, denn Toms Miene war mehr als grimmig.

„Wir geben dir Bescheid, wenn du zurück ins Haus kannst“, sagte er. „Wenn dir noch etwas einfällt, ruf mich an.“

Er gab ihr eine Visitenkarte und fragte:

„Wir erreichen dich in den nächsten Tagen im Hotel?“

„Ja, natürlich, wo sollte ich sonst hingehen?“

Niedergeschlagen steckte sie seine Karte weg, doch Tom ließ nicht locker.

„Hast du jemanden, der sich um dich kümmert? Du solltest jetzt nicht allein sein.“

„Wie rührend“, schnaubte sie. „Keine Angst, ich werde mir schon nichts antun und dich um deine Hauptverdächtige bringen.“

„Sarah“, wieder legte er ihr seine Hand auf die Schulter. „Ich glaube dir ja, dass du unheimlich cool bist, aber an solchen Sachen sind schon andere Kaliber als du zerbrochen. Du hast eine traumatische Erfahrung gemacht, du brauchst jemanden, der das mit dir durchsteht. Was ist mit deiner Familie? Ist die in der Nähe?“

„Ich habe kaum noch Familie, aber ich bin nicht allein. Also hör auf, mich zu nerven. Kann ich jetzt fahren?“

Er gab sie frei, sah sie aber immer noch besorgt aus seinen braunen Hundeaugen an. Sarah musste sich zwingen, wegzusehen. Toms Augen übten leider noch immer dieselbe Faszination auf sie aus wie früher.

Er begleitete sie zum Auto, das sie gegenüber auf einem Stück verwildertem Acker abgestellt hatte. Vor der Tür lauerte die Pressemeute und plötzlich war sie froh, ihn neben sich zu wissen. Er schirmte sie gegen die aufdringlichen Reporter ab, blockte die Typen mit seinem Körper und sorgte dafür, dass sie unbehelligt ins Auto steigen konnte.

„Bitte sprich nach Möglichkeit nicht mit denen“, sagte er noch, ehe er die Tür hinter ihr schloss.

„Bestimmt nicht“, Sarah ließ den Motor an und sah zu, dass sie wegkam.


4

Im Hotel herrschte noch tiefe Ruhe, als Sarah eintraf. Die Zimmer waren von Melisande Fromms Hochzeitsgesellschaft belegt worden, aber die würde nach der letzten Nacht sicher nicht so schnell auftauchen. Doch unabhängig davon lief der Restaurantbetrieb weiter, wenigstens hatte Sarah heute so viel zu tun, dass sie nicht zum Nachdenken kommen würde.

Das Schlimmste stand ihr noch bevor, sie musste Johns Eltern anrufen und sie musste Julian von Johns Tod berichten, was hieß, die ganzen grauslichen Einzelheiten wieder und wieder zu erzählen. Sie kannte Johns Eltern so gut wie gar nicht, die Bennetts waren weder zu ihrer Hochzeit gekommen, noch hatten sie sie jemals in Deutschland besucht.

Sarah und John waren nur einmal drüben gewesen in Melbourne, zum sechzigsten Geburtstag seines Vaters vor fünf Jahren. Nie zuvor war ihr mehr Desinteresse an ihrer Person begegnet, als bei dieser Familienfeier. Die Bennetts hatten sie behandelt wie einen Eindringling, als wäre sie schuld daran, dass John so aus der ‚Art geschlagen‘ und nicht in das Familienunternehmen eingestiegen war.

In Melbourne war es Nachmittag, besser, sie brachte es hinter sich. Johns Mutter reagierte auf die Nachricht mit stoischer Ruhe, einem knappen:

„Das musste ja so enden, danke, dass du angerufen hast“, und legte auf.

Fassungslos sah Sarah auf das stumme Telefon und fragte sich zum wiederholten Mal, was die Bennetts für Menschen waren. Dann machte sie sich schweren Herzens auf den Weg zu Julian, ihn würde es mit Sicherheit hart treffen. Die beiden Männer hatten sich eine Wohnung geteilt, als John nach Berlin kam und waren die besten Freunde gewesen.

 

 

Ihr Kollege wohnte im Hotel, er hatte sich unterm Dach eine Mini- Suite ausbauen lassen, an deren Tür sie jetzt klopfte. Drinnen brummte es unwirsch, sicher war Julian auch erst vor kurzem ins Bett gekommen, aber wenigstens hatte er geschlafen. Sie selbst war seit vierundzwanzig Stunden auf den Beinen und konnte sich kaum noch auf selbigen halten.

Sarah klopfte noch einmal, diesmal stärker.

„Julian, mach bitte auf, es ist dringend.“

Drinnen polterte etwas, Füße schlurften über das Parkett und schließlich stand er, nur mit Unterhosen bekleidet, in der Tür und kratzte sich die spärlich behaarte Brust.

„Brennt es, oder warum machst du so ein Theater? Ich bin gerade erst eingeschlafen.“

Sie ging einfach hinein in sein kleines Wohnzimmer. Julian flitzte wie der Wind an ihr vorbei und schloss die Schlafzimmertür. Oh Gott, er war nicht allein, hatte er etwa jemanden von der Hochzeitsgesellschaft abgeschleppt? Darauf konnte sie jetzt leider keine Rücksicht nehmen.

„Setz dich lieber“, sagte Sarah und schluckte den riesen Kloß hinunter, der sich schon wieder in ihrem Hals zusammenballte. „Es ist etwas Furchtbares passiert …“

 

 

Julian und Sarah stürzten sich in die Arbeit. Arbeit war immer gut, wenn man nicht nachdenken wollte. Nicht, dass Sarah in ihrem Job nicht nachdenken musste, aber sie hatte es perfektioniert, den Rest der Welt auszublenden, während sie kochte. Ihr Team war hundertprozentig eingespielt, sie arbeiteten Hand in Hand und konnten sich blind aufeinander verlassen.

Irgendwann stand eine kreidebleiche Melisande in der Küche und holte alle zurück in die Realität.

„Ist das wirklich war?“, stammelte sie theatralisch. „John ist tot? Ich habe es gerade in den Nachrichten gesehen.“

Sarah nickte und konnte nicht verhindern, dass ihr wieder Tränen in die Augen stiegen. Melisande scherte sich normalerweise nicht um ihre Mitmenschen, Sarah hielt sie für ziemlich kaltschnäuzig und als sie ihr jetzt laut weinend um den Hals fiel, hätte sie sie am liebsten weggestoßen.

„Ich hatte John so gern“, schluchzte Melisande.

Sarah konnte nicht anders, sie schob die Schauspielerin weit von sich und sagte giftig:

„Deswegen hast du ja auch mit ihm geschlafen.“

Melisandes Tränen waren urplötzlich versiegt, jetzt lächelte sie sogar ein wenig.

„Sei nicht albern Sarah, das nimmst du mir doch nicht wirklich übel, oder? Wir haben ein Liebespaar gespielt, zwischen uns musste die Chemie stimmen und das kriegt man nun einmal so am besten hin. Ich habe nie verstanden, warum du einen Mann wie John verlassen hast.“

Sie tupfte sich vorsichtig die Augen ab und ignorierte Sarahs grimmige Miene.

„Weiß es seine Kleine schon, diese … wie hieß sie doch gleich?“

„Sissi“, half Sarah aus. „Keine Ahnung, die Polizei wollte es ihr sagen.“

„Hach, das arme Ding!“

Melisande hatte sich wieder im Griff. Komischerweise sah man keine Tränenspuren in ihrem Gesicht.

„Ich muss los. War alles super gestern, wirklich, ich werde euch uneingeschränkt weiterempfehlen. Mach dir keine Sorgen um die Serie, wir werden sicher schnell Ersatz finden für den armen Johnny.“

Sie rauschte ab und ließ Sarah mit Tränen in den Augen und stinkwütend zurück. Als ob es sie interessieren würde, was aus Melisandes blöder Serie wurde. Diesen Schwachsinn ertrug man eh nur volltrunken. Melisande war so eine abgefuckte Kuh, selbst ihr jammervolles Schluchzen eben war nur Show gewesen und Sarah schimpfte sich insgeheim einen Blödian, weil sie ihr das Theater abgenommen hatte.

„Vergiss die Ziege einfach“, ihr Kollege Norbert sah sie besorgt an. „Warum legst du dich nicht hin und schläfst ein paar Stunden. Du siehst aus, als kippst du gleich um. Wir schaffen das heute auch mal ohne dich, Sarah.“

Er hatte ja recht, aber wenn sie nach oben ins Bett gehen würde, hätte sie sofort das Bild von John vor sich, mit den Handschellen und dem Loch in der Brust.

„Ich gehe kurz an die frische Luft“, sagte sie erstickt und lief hinaus zu der versteckten Bank, auf der sie Melisandes hemmungslose Fickerei belauscht hatte … vor ein paar Stunden erst, als die Welt noch in Ordnung war.

 

 

Nach einer Weile flossen die Tränen ganz von allein. Der verdammte Tom hatte recht behalten, Sarah kam tatsächlich nicht klar mit dem Geschehenen. Sie rollte sich auf der Bank zusammen und vergrub das Gesicht in den Händen.

Keine Ahnung, wie lange sie so saß und weinte, jedenfalls bekam sie plötzlich Gesellschaft. In der Annahme, dass sich Julian neben sie gesetzt hatte, sah sie auf, aber statt in Julians grüne Augen sah sie in Toms braune.

„Was willst du denn schon wieder“, stöhnte sie und kramte in ihrer Hosentasche. Sie fand ein abgerissenes Stück Küchenrolle und versuchte, sich damit die Augen trockenzuwischen. Es war in Nullkommanichts durchgeweicht und Tom hielt ihr ein frisches Tempo entgegen.

„Ich wollte nach dir sehen und wie es scheint, bin ich gerade zur rechten Zeit gekommen.“

„Habt ihr den Mörder schon gefunden?“, entgegnete Sarah bissig. „Oder stehe ich immer noch ganz oben auf der Liste.“

„Du stehst auf gar keiner Liste, Sarah. Na los, putz dir die Nase und dann bringe ich dich hinein. Du solltest wirklich ein bisschen schlafen.“

„Ich werde nie wieder schlafen“, flüsterte sie. „Sobald ich die Augen schließe, sehe ich John vor mir, wie er am Bettgitter hängt.“

Tom stand auf, nahm ihre Hände und zog sie von der Bank. Ihr Widerstand brach, willenlos ließ sie sich hinein und auf ihr Zimmer bringen. Ohne auf ihre, zugegebenermaßen schwachen Proteste zu achten, setzte er sie aufs Bett und zog ihr die Schuhe aus.

„Du riechst nach Küche“, sagte er naserümpfend. „Willst du nicht lieber die miefigen Klamotten ausziehen?“

„Das könnte dir so passen“, Sarah kämpfte mit letzter Kraft gegen ihn an, doch Tom ließ sich nicht so einfach vertreiben. Fassungslos sah sie zu, wie er selbst seine Schuhe auszog, hinter ihr ins Bett stieg, sich ein Kissen in den Rücken stopfte und sich an die Wand lehnte.

„Was soll das werden, Tom?“, fragte sie leise.

„Nichts weiter als ein Freundschaftsdienst. Du solltest jetzt nicht allein sein.“

Er beugte sich vor und sah sie an.

„Na los, leg dich hin und mach einfach die Augen zu“, flüsterte er. „Ich verspreche dir, dass ich noch da bin, wenn du aufwachst.“

Wie ein Stock saß sie neben Tom und wagte nicht, sich zu bewegen. Die Situation wirkte seltsam surreal, vor allem, als Tom seinen Arm um sie legte und sie an sich zog. Sein Körper war fest und stark, Sarah passte in seine Armbeuge, als wäre die extra für sie angefertigt worden. Sein Duft und die Wärme, die er ausstrahlte, lullten sie ein und sie fand endlich ein wenig Ruhe. Nach ein paar Minuten nickte Sarah ein, ausgerechnet in den Armen des Mannes, in den sie zwei Jahre ihres Lebens rettungslos verliebt gewesen war, der sie benutzt und weggeworfen und sich anschließend nicht einmal mehr daran erinnert hatte.

Als sie zwei Stunden später erwachte, wusste sie im ersten Moment nicht, wo sie war. Sie lag, vollständig bekleidet, neben dem ebenfalls schlafenden Tom, immer noch an seine Seite geschmiegt. Ihr Arm war um seine Taille geschlungen, sein Arm lag locker auf ihrer Hüfte. Na holla, die Waldfee, was war denn hier los?

Langsam wurde sie von der Realität eingeholt. Der Mord an John war kein schlechter Traum, ihr Wiedersehen mit Tom Zillbach keine Illusion gewesen. Sie hatte tatsächlich mit ihm geschlafen … naja … neben ihm.

Vorsichtig löste sie sich aus Toms Armen und setzte sich auf. Der Schlaf hatte sie kaum erfrischt, Sarah fühlte sich immer noch genauso erschlagen wie vorher. Sie rutschte ans Fußende des Bettes und betrachtete Tom. Es war ihr vollkommen schleierhaft, warum er hier war, warum er sich vorhin so rührend um sie gekümmert hatte. So fürsorglich kannte sie ihn nicht.

Er wirkte entspannt im Schlaf, sein dichtes, braunes Haar war zur Seite gerutscht und Sarah hatte freien Blick auf seine Augenbrauen, deren schönen Schwung sie früher immer bewundert hatte. Auch sein Mund mit den vollen, sinnlichen Lippen hatte sich, bis auf ein paar kleine Fältchen in den Mundwinkeln, nicht verändert, dieser Mund, der so verführerisch aussah und nichts als Unrat hervorgebracht hatte. Sarah verbot sich, an die verhängnisvolle Nacht zu denken, in der Tom erfolgreich all ihre Gefühle ihm gegenüber abgetötet hatte.

Plötzlich schlug er die Augen auf und war sofort hellwach.

„Alles okay mit dir?“, fragte er und verschränkte die Arme unter seinem Kopf.

„Alles okay“, gab sie zurück, dann kniff sie misstrauisch die Augen zusammen.

„Was willst du, Tom? Warum bist du hier? Hast du nichts Besseres zu tun? Keine willigen Weibchen, um die du dich kümmern musst?“

Tom lachte auf.

„Jetzt erinnere ich mich wirklich an dich. Sarah, die Frau mit der spitzesten Zunge der Welt. Die Frau, die einem diese Zunge gnadenlos in die Brust rammte, wenn man ihr Missfallen erregt hatte.“

Sarahs Gesichtszüge entgleisten und Toms Lächeln verschwand, denn ihm wurde schlagartig bewusst, was er da gerade gesagt hatte.

„Tut mir leid, so war das nicht gemeint. Ich habe nicht nachgedacht.“

„Ich wüsste nicht, dass du das jemals getan hättest“, schoss sie zurück und Tom hatte es plötzlich ziemlich eilig, in seine Schuhe zu kommen.

„Ich verschwinde lieber. Wir werden in den nächsten Tagen auf dich zukommen, aber du kannst mich wirklich jederzeit anrufen, wenn du mich brauchst.“

„Ich werde dich nicht brauchen, Tom, aber danke“, sie gab sich unerbittlich. „Mach dich lieber an die Arbeit und finde heraus, wer John umgebracht hat, das ist alles, was ich von dir will.“

„Schade“, es war heraus, ehe er sich auf die Zunge beißen konnte. Tom grinste schief und war schon aus der Tür, als ihr Schuh von innen dagegen krachte.

Wütend tigerte Sarah im Zimmer umher.

‚Schade‘, hatte er gesagt, dieser verdammte Scheißkerl. Was war schade? Dass sie sich ihm nicht an den Hals geworfen hatte, vorhin im Bett? Dass er sie nicht bumsen durfte? Er hatte sie nie gewollt, auch damals nicht, in dieser Nacht …

Stand sie jetzt etwa auch auf seiner ‚muss ich noch vögeln‘ - Liste?

Völlig durcheinander setzte sich Sarah zurück auf die Bettkante. Ihr blöder Unterleib spielte ihr einen Streich und zog sich sehnsuchtsvoll zusammen. Sie machte sich nichts vor, es war einfach wunderbar gewesen, neben ihm zu liegen, in seinen Armen aufzuwachen. Seinen Körper an ihrem zu spüren hatte ihr mehr als nur gefallen. Ja, Tom hatte leider immer noch dieselbe Wirkung auf sie wie früher. Sarah begehrte ihn immer noch, obwohl er so ein mieser Hund war.

Sie musste auf der Hut sein, sie durfte sich ihm gegenüber auf keinen Fall verraten. Diese Genugtuung würde sie ihm nicht geben, selbst wenn sie am Ende die einzige Frau auf der großen, weiten Welt war, die Tom Zillbach widerstanden hatte.


5

Tom Zillbach war grinsend im Flur stehengeblieben, als - was auch immer sie geworfen hatte - gegen die Zimmertür krachte. War sie schon immer so temperamentvoll gewesen?

Was war überhaupt mit dieser Frau los? Seit ihrem unverhofften Wiedersehen hatte sie sich ihm gegenüber ausgesucht abweisend verhalten. Sarah ehemals Menz … die ‚Spitzmaus‘, so nannte er sie früher, wenn sie nicht dabei war. Sie war so unscheinbar gewesen, so unattraktiv und mit ihrer spröden, direkten Art konnte er nie etwas anfangen. So wie ihm andere Frauen permanent zu Füßen lagen, bekam er von Sarah permanent Spitzen um die Ohren gehauen. Nein, damals hatte er sich vor Entsetzen geschüttelt, wenn es hieß, Sarah kommt mit. Leider war sie die beste Freundin von Conny Engel, auf die damals alle tierisch scharf waren und Conny gab es nicht ohne Sarah.

Jetzt allerdings sah das alles völlig anders aus, Sarah hatte sich verändert, sehr sogar. Aus der Spitzmaus war eine schöne, sinnliche Frau mit Rundungen an den richtigen Stellen geworden. Vorhin, als sie schlief, hatte er sie in Ruhe betrachtet.

Ihr Haar, das normalerweise in sanften Locken auf ihre Schultern fiel, lag wirr über ihrem Gesicht und er hatte es behutsam beiseite gestrichen. Er sah die dunklen Schatten unter ihren Augen, diesen schönen blauen Augen, die, wenn sie weit geöffnet waren, in völligem Kontrast zu ihrem fast schwarzen Haar standen. Ihr heller Teint mit den vollen, roten Lippen ließ sie aussehen, wie er sich immer das Schneewittchen aus dem Märchen vorgestellt hatte. Hatte sie sich im Laufe der Jahre so sehr verändert oder wieso war ihm das früher nie aufgefallen?

Mit ihr so dazuliegen war merkwürdig, irgendetwas daran erschien ihm vertraut, aber dann hatte er den Kopf geschüttelt. Sarah war ein No Go gewesen damals, jemand, an den er keinen Gedanken, geschweige denn einen zweiten Blick verschwendet hätte.

Er bedauerte, dass er sie ausgerechnet unter solchen Umständen wiedergetroffen hatte. Es hätte ihn sehr gereizt herauszufinden, ob sie ihre spröde Art, an der sich anscheinend nichts geändert hatte, im Bett ablegen würde.

Aber als Beteiligte- vielleicht sogar Verdächtige in einem Mordfall war sie absolut tabu. Er hatte ihr vorhin nicht ganz die Wahrheit gesagt, Sarah stand auf der Liste der möglichen Verdächtigen natürlich ganz oben, allerdings nicht exklusiv. Neben ihr befanden sich dort noch John Bennetts neue Freundin und ein weiteres halbes Dutzend anderer Leute.

Er grinste hämisch, als er sein Handy wieder einschaltete und auf der Mailbox mehrere Nachrichten von seiner Kollegin Romy Hasenberg vorfand. ‚Schneekönigin‘ hatte Sarah sie genannt und damit voll ins Schwarze getroffen. Romy war wunderschön und eine Granate im Bett, aber davon abgesehen war sie eiskalt, absolut skrupellos und würde ihre eigene Mutter verkaufen, wenn es ihr einen Vorteil brächte. Wenn Romy wüsste, wo er die letzten zwei Stunden verbracht hatte, würde sie ihm postwendend einen Strick daraus drehen.

 

 

Tom traf sich mit Romy Hasenberg in einem Schnellrestaurant unweit des Polizeipräsidiums. Eigentlich hasste er den Laden. Jedes Mal, wenn er hier saß und herzhaft in einen fettigen Burger biss, schwor er sich, nicht mehr so viel Fastfood in sich hineinzustopfen. Er merkte schon seit einer ganzen Weile, dass er das ungesunde Essen nicht mehr so leicht wegsteckte und hatte sein Trainingspensum erhöht. Den meisten seiner Kollegen ging es so, man aß, wenn es passte und dass ausgerechnet dieser Laden in Reichweite des Präsidiums lag, machte die Sache nicht besser.

Romy saß bereits an einem Tisch und pickte mit der Gabel in einem schon leicht welk aussehenden Salat herum. Tom holte sich nur einen Kaffee und ging zu ihr.

„Wo hast du gesteckt?“, fuhr sie ihn ohne weitere Begrüßung an. „Ich versuche seit Stunden, dich zu erreichen!“

„Ich habe geschlafen“, gab Tom vergnügt zurück. „Sehr gut sogar.“

„Irgendwann wirst du dir eine ansteckende Krankheit zuziehen.“

Die Hasenberg schob so ruppig ihren Teller weg, dass ein Teil der schlaffen Salatblätter auf den Tisch rutschten. Tom lächelte herablassend.

„Eifersucht steht dir nicht, Romylein. Wir haben keinen Exklusivvertrag miteinander.“

„Eifersüchtig? Du spinnst wohl“, zischte sie erbost. „Und nenn mich nicht Romylein, du weißt, wie ich das hasse.“

„Ich werde es nie wieder tun, versprochen“, sein Grinsen verriet, dass er sich ganz sicher nicht daran halten würde. „Also, was hast du für mich?“

Romy grinste wissend zurück.

„Tja, das kleine Ex- Frauchen steckt in der Klemme, würde ich sagen.“

„Wer? Sarah? Das glaube ich nicht.“

„Kannst du getrost glauben. Eins ihrer Messer ist definitiv die Tatwaffe. Genau das Messer, das sie angeblich im Flur gefunden hat und bei dem sie nicht wusste, wie es dahin gekommen ist. Das Ding wurde zwar sorgfältig gereinigt, aber die Gerichtsmedizin hat trotzdem noch Reste von Gewebe und Blut darauf gefunden. Außerdem waren ihre Fingerabdrücke überall.“

„Das besagt überhaupt nichts, Romy. Logisch, dass ihre Fingerabdrücke drauf sind, sie hat es ja schließlich angefasst und zurückgebracht.“

„Das besagt nichts, stimmt. Aber ….“, seine Kollegin machte eine Kunstpause und nahm einen Schluck Cola.

„Aber was?“, fragte Tom ungeduldig. Romy war ziemlich fix im Kopf, sie war ihm mit ihren Gedanken meist schon drei Schritte voraus und sie machte ihn wahnsinnig damit.

„Sie hat ihm gegen Mitternacht eine Nachricht geschickt. Der Text klang ziemlich eindeutig: ‚Ich habe nachgedacht, wir müssen reden, bin gegen eins zu Hause.‘“

Toms Gedanken kreisten wild in seinem Kopf. Hatte Sarah gelogen? Sollte er sich dermaßen in ihr getäuscht haben?

„ … uuuund …“, Romy trieb das Spiel auf die Spitze. Er kannte das schon, sie hatte etwas ganz Besonderes in der Hinterhand und kostete ihren Triumph jetzt voll aus.

„Die Gerichtsmedizin sagt, dass der Stich mit unglaublicher Präzision ausgeführt wurde, direkt ins Herz ging und fast sofort zum Tod führte. Der Mörder wusste genau, wo er ansetzen musste.“

„Wieso hast du dich so auf Sarah Bennett eingeschossen?“, Tom kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Glaubst du wirklich, dass eine einfache Köchin über so genaue anatomische Kenntnisse verfügt? Die weiß im Höchstfall, wo beim Schwein das Kotelett sitzt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sarah auch nur ansatzweise in der Lage wäre, jemanden so kaltblütig abzustechen.“

Romy Hasenberg lachte verächtlich, dann wurde sie schlagartig ernst und schlug unvermittelt mit der Faust auf den Tisch.

„Bist du überhaupt noch objektiv, Tom?“, zischte sie ihn an. „Was hast du nur mit dieser Tussi? Vielleicht solltest du dich wirklich von dem Fall abziehen lassen. Ich dachte immer, ich bin die Anfängerin und kann was von dir lernen.“

Sie verdrehte die Augen und äffte Tom nach:

„Die arme Sarah wäre nie in der Lage, jemanden kaltblütig abzustechen.“

„Hasenberg, das reicht!“, gab Tom wütend zurück, doch sie spielte ihre Trumpfkarte aus.

„Ich habe herausgefunden, dass die ‚arme Sarah‘ vier Semester Medizin studiert hat, bevor sie herausfand, dass ihr ein Kochlöffel besser steht. Die ‚arme Sarah‘ hat also ganz genau gewusst, wohin sie das Messer rammen muss. Na, was sagst du jetzt?“

Tom kam es vor, als hätte ihm jemand eine Keule über den Kopf gezogen. Hatte er sich wirklich wie ein Anfänger täuschen lassen? Plötzlich erinnerte er sich wieder, dass Sarah lange vor ihm abgegangen war von der Lehrerfakultät, aber was sie anschließend gemacht hatte, war im herzlich egal gewesen.

„Also was ist jetzt“, bohrte Romy unerbittlich. „Lassen wir die Bennett antanzen?“

Er schüttelte den Kopf.

„Ich kenne sie“, sagte er. „Ich glaube nach wie vor nicht, dass sie ihren Mann umgebracht hat. Ich werde noch einmal zu ihr fahren …“

„Wenn du das machst, gehe ich zu Klausen“, Romy funkelte ihn aus ihren blassblauen Augen an. „Du verhältst dich absolut unprofessionell.“

Tom stand bereits, sah kalt auf sie herab und sagte scharf:

„Du wirst gar nichts tun, du wirst warten, bis ich dir Anweisungen gebe. Das ist ein Befehl, Romy! Ich kläre das auf meine Weise.“

Er drehte sich um und ging. Romy wartete, bis er außer Sichtweite war, verließ das Schnellrestaurant und zückte ihr Handy. Die Nummer des Chefs hatte sie auf Kurzwahltaste fünf …

 

 

Der Anruf seines Vorgesetzten erreichte Tom kurz hinter der Stadtgrenze. Romy hatte ganze Arbeit geleistet, Rolf Klausen war stinksauer und sagte nur einen einzigen Satz:

„In dreißig Minuten in meinem Büro, Zillbach!“

Ehe Tom antworten konnte, war die Verbindung bereits unterbrochen. Fluchend trat er auf die Bremse, wendete mitten auf der glücklicherweise leeren Landstraße und raste zurück in die Stadt. Wenn Klausen am Sonntag seinetwegen ins Präsidium kam, musste die Luft extrem brennen.

Das würde Romy büßen! Das Schlimme an der Sache war allerdings, dass sie absolut recht hatte, er verhielt sich unprofessionell. In jedem anderen Fall hätte er einen derart Verdächtigen gnadenlos in die Mangel genommen, aber hier ging es um eine Freundin, das war schon etwas anderes.

Wieso setzte er sich überhaupt so für Sarah ein? Er mochte sie nicht mal besonders! Wieso also setzte er jetzt seinen guten Ruf als Ermittler für sie aufs Spiel? Um der alten Zeiten willen? Ihn verband doch nichts mit ihr.

Gut, Romy hatte recht, aber das würde er ihr gegenüber nie zugeben. Sie war erst vor ein paar Monaten in die Mordkommission versetzt worden und war im Gegensatz zu ihm bei den Kollegen nicht sonderlich beliebt. Dass sie ihn derart in die Pfanne gehauen hatte, würde ihr auch noch die letzten Sympathien entziehen. Warum hatte sich die übereifrige Ziege auch dazwischengehangen. Er hätte die Sache mit Sarah geklärt und wenn es nötig gewesen wäre, dafür beim Chef gerade gestanden, ohne dass sich Romy hätte einmischen müssen.

 

 

Die Hasenberg stand mit verschränkten Armen in Klausens Vorzimmer und sah Tom nicht an. Der lief an ihr vorbei, ohne sie zu beachten, klopfte und trat auf das barsche ‚Herein‘ aus dem Chefbüro in die Höhle des Löwen. Romy kam hinter ihm her und stellte sich neben ihn, doch Klausen schnauzte in ihre Richtung:

„Ich brauche Sie hier nicht Hasenberg, haben Sie nichts zu tun?“

Romy verschwand, nicht ohne ihm einen unangemessen finsteren Blick zuzuwerfen und der laute Krach, mit dem sie die Bürotür hinter sich ins Schloss fallen ließ, drückte ihre ganze Missbilligung aus.

„So wie es aussieht, haben Sie Ihre Leute nicht im Griff, Zillbach“, sagte Klausen grantig. „Sie wissen, dass ich große Stücke auf Sie halte, also, was läuft da im Fall Bennett? Wieso holt mich das kleinste Licht meiner Abteilung sonntags vom Golfplatz?“

Erst jetzt fiel Tom auf, dass der Chef karierte Freizeithosen und ein lindgrünes Poloshirt trug, ein völlig ungewohnter Anblick bei dem sonst so korrekt gekleideten Boss.

„Man hat mir beigebracht, in einem Mordfall in alle möglichen Richtungen zu ermitteln“, sagte Tom. „Kommissarin Hasenberg hat sich allerdings bereits nach wenigen Minuten auf eine Täterin festgefahren und weil ich anderer Ansicht war, meinte Sie, mir in den Rücken fallen zu müssen.“

„Ist das so?“, Klausen sah Tom mit einem eigenartigen Blick an und grinste anzüglich. „Oder ist es nicht vielmehr so, dass Sie mit der potentiellen Täterin eine gewisse … na sagen wir, Beziehung verbindet?“

„Wir kennen uns von früher, wir haben kurzzeitig gemeinsam studiert, das ist auch schon alles.“

„Zillbach, wir alle wissen, dass Sie in punkto Frauen einiges auf dem Kerbholz haben, also, wenn diese Dame eine ihrer Verflossenen ist, muss ich Sie von dem Fall abziehen, aber das wissen Sie auch so!“

Tom bemühte sich, einsichtig zu nicken und sah seinem Chef so treuherzig wie möglich in die Augen.

„Ich versichere Ihnen, dass ich Frau Bennett einfach nur von früher kenne, wir waren locker miteinander befreundet. Sie ist garantiert keine meiner ‚Verflossenen‘ und ich habe sie gestern zum ersten Mal seit Jahren wiedergesehen. Es gibt wirklich keinen Grund, mich von der Sache abzuziehen.“

Klausen schien beruhigt. Tom war einer seiner besten Ermittler, allerdings war der Bennett- Fall auf Grund der Prominenz des Opfers heikel. Die Öffentlichkeit würde ihm ganz genau auf die Finger sehen.

„Was haben Sie bisher herausgefunden?“, fragte er barsch und Tom gab einen kurzen Überblick.

„Ich lasse Sie im Rennen“, brummte Klausen, als Tom fertig war. „Sie laden die Bennett umgehend vor und nehmen Sie in die Zange, ist das klar? Ich will Ergebnisse, Zillbach, besser heute als morgen. Die Presse sitzt uns im Nacken, also machen Sie bloß keinen Scheiß! Und jetzt gehen Sie an die Arbeit.“

Klausen wedelte mit der Hand und Tom war entlassen.

 

 

Draußen im Vorzimmer lungerte Romy herum, mit Sicherheit hatte sie die ganze Zeit mit dem Ohr an der Tür gehangen. Tom ignorierte sie erneut und ging mit großen Schritten hinunter in das winzige Büro, dass er sich mit ihr teilte. Sie lief hinter ihm her, setzte sich ihm gegenüber an ihren Schreibtisch und sah ihn herausfordernd an.

„Du weißt, dass ich das tun musste!“, sagte sie schließlich. „Ich konnte nicht mit ansehen, wie du wegen dieser Frau deine Karriere ruinierst.“

„Ach konntest du nicht?“, blaffte Tom zurück. „Ist es nicht vielmehr so, dass du deine eigene Karriere auf meinem Rücken pushen wolltest? Anschmieren beim Chef wird hier gar nicht gern gesehen.“

Romy lächelte verschlagen. Ihre Augen wanderten über sein Gesicht, sie wirkten wie blassblaue Eiswürfel, doch dann tauten sie auf. Langsam stand sie auf, lief zur Tür und drehte den Schlüssel um.

„Vergiss es Romy, ich werde ganz bestimmt nicht …“, Toms Protest ging in heftiges Keuchen über, als sich ihre Hand zwischen seine Beine legte und fest zugriff. Ohne auf ihn zu achten, ging Romy vor ihm auf die Knie, öffnete seinen Reißverschluss und zog seinen Schwanz heraus. Der Verräter richtete sich sofort auf.

Tom wusste nicht, was er davon halten sollte, Romy und er waren bisher zweimal miteinander im Bett gewesen und sie hatte sich jedes Mal geweigert, ihm einen zu blasen. Also warum jetzt? Wollte sie sich entschuldigen oder ihn einfach nur ruhigstellen? Er vermutete Letzteres, aber sein Denkvermögen setzte schlagartig aus, als sie langsam an seinem Glied entlang leckte und ihre vollen, sinnlichen Lippen über die Eichel stülpte. Sie züngelte leicht über die Kuppe und über das Vorhautbändchen. Tom stöhnte leise, als sie ihn tief in den Mund nahm und ganz langsam wieder zwischen ihren Lippen herausgleiten ließ. Ihre Finger strichen leicht an ihm auf und ab, hielten inne und Tom atmete geräuschvoll aus.

„Was?“, fragte er ungeduldig.

„Was?“, echote Romy und sah ihn unschuldig von unten her an.

Tom verachtete sich selbst, als er willenlos fragte:

„Machst du weiter, oder was?“

Sie grinste und ließ ihre Finger an seinem hoch aufgerichteten Stab bis zu seinen Hoden gleiten. Ihre Zunge folgte den Fingern, liebkoste ihn und Toms Hände krallten sich in ihre blonden Haare, hielten ihren Kopf in Position. Romy war unglaublich, sie schien das Blasen von einer Professionellen gelernt zu haben. Tom wusste, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Er stieß, soweit es ging, zwischen ihre blutroten Lippen und entlud sich zuckend in ihren Mund.

Selbst jetzt blieb sich Romy absolut treu. Sie schluckte ohne mit der Wimper zu zucken die volle Ladung hinunter, wischte sich mit einem Kleenex demonstrativ den Mund sauber und schloss beiläufig die Tür wieder auf. Als wäre nichts geschehen, setzte sie sich zurück an ihren Schreibtisch und rief ihre Emails ab.

Er hingegen brauchte einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen. Stinkwütend auf sich selbst packte er seinen Penis zurück in die Hose.

‚Verdammtes Miststück‘, dachte er und verfluchte sich insgeheim, ihr nicht Einhalt geboten zu haben. War er wirklich so ein schwanzgesteuerter Idiot? Jetzt hätte er schon fast wieder gegrinst. Ein Idiot war er ganz sicher nicht, aber schwanzgesteuert schon ziemlich.

„Der Bennett hatte GHB intus“, sagte Romy plötzlich und riss ihn aus seinen Gedanken.

„KO- Tropfen?“, Tom schüttelte entgeistert den Kopf.

„Die Gerichtsmedizin hat Spuren davon in seinem Urin gefunden. Jetzt ist auch klar, warum sie ihn so sauber abstechen konnte. Der Typ war vollkommen weggetreten, als sie ihm das Messer reingerammt hat.“

Romys Blick traf ihn über dem Bildschirm.

„Also, was ist jetzt, Boss?“, fragte sie.

Er hob abwehrend beide Hände.

„Schon gut, lad sie vor, wir werden sie offiziell vernehmen.“

Ein selbstzufriedenes Grinsen schlich sich in Romys Gesicht, als sie zum Telefon griff und Sarah Bennett anrief.


6

Sarah saß seit einer geschlagenen Stunde in einem tristen, fensterlosen Raum an einem Tisch, der am Boden festgeschraubt war. Der Stuhl ließ sich ebenfalls nicht bewegen. Oben in der Ecke hing eine Kamera, deren Auge auf sie gerichtet war und sie fühlte sich zunehmend unwohler. Sie hätte gern ein Glas Wasser gehabt, doch der Uniformierte, der sie vorhin hier hereingeführt hatte, war verschwunden. Sarah war mittlerweile so verunsichert, dass sie sich nicht getraute, aufzustehen und zur Tür zu gehen. Was, wenn die sich nicht öffnen ließ?

Das Kameraauge glotzte sie unbarmherzig an, daneben blinkte ein rotes Lämpchen. Saß vielleicht Tom irgendwo vor einem Bildschirm und beobachtete sie? Oder, noch schlimmer, seine schreckliche Kollegin? Man wollte sie mürbe machen, aber auch wenn Sarah bereits furchtbar eingeschüchtert war, sie würde sich ihre Angst nicht anmerken lassen. Außerdem war da ja immer noch Tom, wenn er an ihre Schuld glauben würde, wäre er doch bestimmt nicht zu ihr gekommen, hätte sie nicht in den Arm genommen, sie nicht so sanft gehalten, während sie schlief.

Schwungvoll ging die Tür auf und die Schneekönigin marschierte herein. Ihr auf dem Fuß folgte Tom, er sah Sarah an, lächelte aber nicht. Ihr sank das Herz in die Hose, als nicht er sich auf die andere Seite des Tisches setzte, sondern seine Kollegin. Tom hatte einen Stuhl von draußen mit hereingebracht und platzierte sich neben der Tür wie ein stiller Beobachter.

Die Hasenberg legte eine Mappe mit Unterlagen vor sich auf den Tisch und schlug sie auf. Sarah kniff entsetzt die Augen zu, denn vor ihr lagen, wenn auch auf dem Kopf, die Tatortfotos, auf denen John die unglückliche Hauptrolle spielte.

„Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass dieses Gespräch aufgezeichnet wird“, sagte die Hasenberg und wies auf die Kamera. Das rote Lämpchen blinkte nicht mehr, sondern leuchtete dauerhaft. Also hatte sich Sarah vorhin wohl umsonst Sorgen gemacht.

Romy Hasenberg blätterte wortlos in ihren Unterlagen, vor und zurück … vor und zurück … Sie schien auf ihrem Stuhl in gleichem Maße zu wachsen, wie Sarah immer kleiner wurde. Was war nur los mit ihr, sie ließ sich doch sonst nicht so schnell einschüchtern. Aber diese Situation war völlig neu für sie, welcher normale Mensch kam schon in den zweifelhaften Genuss, sich als Mordverdächtiger einem Polizeiverhör unterziehen zu müssen.

„Bitte nennen Sie Namen, Geburtsdatum und Ihren Wohnort.“

Es ging also los und Sarah antwortete gehorsam:

„Sarah Bennett, geborene Menz, geboren am vierzehnten Mai neunzehnhunderteinundachzig, ich wohne in Tossendorf, Dorfstraße zwölf.“

Wieder ließ sich die Hasenberg die Vorgänge des verhängnisvollen Abends schildern und Sarah erzählte ihre Geschichte zum nunmehr dritten Mal der Polizei.

„Warum wollte sich Ihr Mann scheiden lassen?“, fragte die Kommissarin, als Sarah am Ende angelangt war.

Mit einem Seitenblick auf Tom, der aber mehr als unbeteiligt aussah, antwortete Sarah:

„Nicht er, ich habe die Scheidung eingereicht nachdem ich meinen Mann in flagranti mit seiner derzeitigen Freundin erwischt hatte.“

„Sissi Kübler, habe ich recht?“

„Ja, so heißt sie.“

„Nun, Frau Kübler hat uns das allerdings etwas anders geschildert. Sie sagte, dass Sie ihren Mann seit Jahren vernachlässigt haben, dass Ihnen Ihre Arbeit wichtiger war als Ihre Ehe und dass sie nur bei ihm geblieben sind, weil er Geld hatte.“

Sarah starrte die Hasenberg entgeistert an.

„John hatte Geld? Das wäre mir aber ganz neu.“

„Ach, hatte er nicht? Er verdiente doch sicher sehr gut als Serienstar. Was ist aus seinen Gagen geworden? Haben die sich in Luft aufgelöst?“

„Sagen Sie es mir, Sie sind doch die große Detektivin!“

Sarah reichte es. Die Hasenberg wusste doch überhaupt nicht, wovon sie redete.

„Ich war acht Jahre mit John zusammen, davon waren wir sieben verheiratet. Bis auf unser letztes gemeinsames Jahr hatte er nie nennenswerte Engagements, so dass ich das Geld für uns beide verdienen musste. Deswegen habe ich auch so viel gearbeitet und ‚meinen Mann vernachlässigt‘, wie Sissi das so schön ausgedrückt hat. John hat auf meine Kosten gelebt während unserer Ehe, so wird ein Schuh draus. Mit den guten Gagen kam auch das Aus unserer Ehe.“

Ein Blick ins Gesicht der Hasenberg sagte ihr, dass sie ihr kein Wort glaubte.

„Sissi Kübler war nicht die Einzige, mit der er mich betrogen hat. John hat es mit jeder halbwegs annehmbaren Kollegin seiner bescheuerten Fernsehserie getrieben, einschließlich Melisande Fromm. Deshalb habe ich die Scheidung eingereicht.“

„Und weil Ihnen dann eingefallen ist, dass Ihnen damit eine Menge Geld entgeht, haben sie ihn kurzerhand erstochen, denn als trauernde Witwe sind sie ja die Erbin.“

Sarah sprang auf, doch die Hasenberg brachte sie mit einem scharfen:

„Setzen Sie sich gefälligst wieder hin“, zurück auf den harten unbequemen Stuhl.

„Frau Hasenberg“, Sarah versuchte, ruhig zu bleiben. „Haben Sie mir nicht zugehört? John hat zwar in der letzten Zeit gut verdient, aber er ist trotzdem pleite. Er war leidenschaftlicher Pokerspieler, hat Ihnen das die kleine Sissi nicht erzählt? Nein? Sobald Geld hereinkam, hat er es verzockt. Was also soll ich erben außer seinen Spielschulden?“

Sie spürte Toms Blick auf sich und sah kurz zu ihm hinüber. Seine unbeteiligte Maske war abgefallen, er sah sie regelrecht mitleidig an. Als sich ihre Blicke trafen, schloss er kurz die Augen und nickte ihr fast unmerklich zu. Was sollte das heißen? Lass dich nicht unterkriegen? Oder meinte er damit, dass für sie eh alles zu spät sei?

„Erzählen Sie uns von diesen Spielschulden, Frau Bennett“, mischte sich Tom unerwartet ins Gespräch und brachte seine Kollegin damit völlig aus dem Konzept. Die drehte sich zu ihm um und funkelte ihn wütend an, doch Sarah antwortete ihm.

„John konnte sich nie damit abfinden, dass ich mich scheiden lassen wollte. Er kam andauernd zu mir und jammerte mir die Ohren voll, dass er zu mir zurück wolle, dass er nur mich liebt. Ich habe ihn jedes Mal weggeschickt, ich konnte ihn nicht mehr ertragen.“

Sie sah die Hasenberg an und schleuderte ihr ins Gesicht:

„Sie haben richtig gehört, ich konnte Johns Anwesenheit nicht ertragen, also drehen Sie mir einen Strick draus, wenn Sie unbedingt müssen.“

„Frau Bennett, Sie vergreifen sich im Ton“, feuerte die Kommissarin zurück, doch wieder ging Tom dazwischen.

„Was ist dann geschehen?“

„John kam vor einer Woche ins Hotel und wollte mich anpumpen. Er war betrunken und hat geweint, der Auftritt war furchtbar peinlich. Mein Partner Julian Frick kann das übrigens bezeugen, denn er war dabei. Als ich ihm kein Geld geben wollte, hat John geschrien, dass er bei Charlie Klotz in der Kreide steht und dass der ihm angedroht hat, ihm sämtliche Knochen zu brechen, wenn er nicht umgehend zahlt.“

Sarah hatte an diesem Abend trotz allem furchtbare Angst um John gehabt. Charlie Klotz war ein stadtbekannter Zuhälter, ein richtiger Mafioso, der dealte und Frauen verkaufte, aber auf Grund besonderer Beziehungen immer davonkam. Klotz organisierte regelmäßig illegale Pokerrunden, in denen es um horrende Einsätze ging und John war offenbar einer seiner Stammspieler gewesen.

„Und Sie haben Ihren Mann an diesem Abend weggeschickt?“, fragte Tom.

„Natürlich, er wollte zehntausend Euro von mir, woher hätte ich das Geld nehmen sollen? Das Hotel wirft erst seit einem Vierteljahr Gewinn ab, all meine Ersparnisse sind ins Hotel geflossen, wir müssen Kredite zurückzahlen, woher hätte ich so viel Geld nehmen sollen?“

Toms Gehirn speicherte diese neue Information an einer sicheren Stelle ab. Eine neue Möglichkeit, Sarah zu entlasten hatte sich aufgetan. Außerdem hatte, wie es aussah, die Kübler so einiges verschwiegen oder zumindest nicht ganz die Wahrheit gesagt. Er fand Sarah mehr als überzeugend und sein Instinkt sagte ihm, dass Romy auf einer vollkommen falschen Fährte war. Aber er wusste auch, dass er sie das Ding jetzt durchziehen lassen musste, um seine Beteiligung an dem Fall nicht zu gefährden.

Romy Hasenberg schwieg eine ganze Weile, dann sagte sie:

„Also, Frau Bennett, das klingt ja alles plausibel, was Sie uns erzählt haben.“

Ihr Gesicht verzog sich zu einem kalten Lächeln, als sie die Erleichterung in Sarahs Gesicht sah. Sie schlug die Akte zu, nahm sie hoch und ließ sie dann mit einem lauten Krach zurück auf den Tisch fallen. Sarah fuhr erschrocken zusammen und sah, wie Tom aufsprang, doch die Hasenberg streckte eine Hand gegen ihn aus und zischte:

„Das ist meine Vernehmung, also …!“

Sarah registrierte enttäuscht, dass sich Tom tatsächlich brav wieder auf den Stuhl setzte und den Mund hielt.

Die Hasenberg räusperte sich und sagte schneidend:

„Frau Bennett, nun haben Sie uns schon so viel erzählt, dann können Sie uns sicher auch sagen, wann Sie Ihrem Mann das GHB verabreicht haben?“

Sie sah an Sarahs verstörtem Blick, dass die genau wusste, was GHB war und nickte befriedigt.

„Ich muss Ihnen also nicht erläutern, worum es sich dabei handelt. Logisch, Sie verfügen ja über ausreichende medizinische Vorkenntnisse. Lassen Sie uns also die Mordnacht noch einmal durchgehen. Sie haben Ihrem Ex eine Nachricht geschrieben und ihn zu sich nach Hause bestellt. Dort haben Sie ihm die KO- Tropfen verpasst und ihn ins Bett gesteckt. Das muss ziemlich einfach gewesen sein, habe ich recht? Als er dann weggetreten war, haben Sie ihn mit einem gezielten Stich ins Herz umgebracht. Sie haben gleich beim ersten Mal ins Schwarze getroffen. Sie wären sicher eine sehr gute Chirurgin geworden. Wieso haben Sie eigentlich Ihr Medizinstudium abgebrochen, Frau Bennett?“

Sarah war bei jedem Satz, den ihr die Hasenberg hinspuckte, bleicher geworden. Es tat Tom in der Seele weh, sie so zu sehen, aber im Moment konnte er ihr nicht helfen. Aus Angst, dass Sarah ohnmächtig werden könnte, nahm seinen Stuhl und rückte vor an den Tisch. Er wollte zur Stelle sein, falls sie vom Stuhl rutschte.

Aber Sarah war zäher, als sie im Moment aussah, sie brauchte nur einen kurzen Moment, dann kam wieder Farbe in ihr Gesicht und sie straffte sich.

„Nichts von alldem ist so gewesen“, sagte sie. „Und das Medizinstudium habe ich abgebrochen, weil ich der Materie ganz einfach nicht gewachsen war.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739445908
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Mord Liebesroman Millionär Romantik Billionär Filmstar Krimi Rockstar Schauspieler Humor Thriller Spannung Drama Theater Drehbuch Schauspiel

Autor

  • Anna Graf (Autor:in)

Anna Graf startete ihre ersten Schreibversuche in den neunziger Jahren. Sie schrieb kleinere Romane, die allerdings in der Schublade blieben.
2013 nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und veröffentlichte erfolgreich den ersten 'Schubladenroman'.
Seitdem schreibt sie, über das Leben, die Liebe, über Irrungen und Wirrungen, den Weg zum Glück zu finden.
Ihre Heldinnen sind keine schwachen Frauen, im Gegenteil, sie sind selbstbewusst und wissen, sich im Leben zu behaupten.
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Titel: MORDSmäßig verliebt - Liebe, Mord und Mafia