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T.S.W. - Der Bodyguard

von Fiona Langley (Autor:in)
296 Seiten

Zusammenfassung

Clara Walston, Tochter eines reichen Unternehmers, entgeht nur knapp einer Entführung. Besorgt engagiert ihr Vater einen Bodyguard für Clara. Dabei scheut er keine Kosten und wendet sich an den Hohen Rat einer geheimnisumrankten Organisation, die sich selbst TSW - The silent Warriors - nennen, und deren Ruf legendär ist. Derek, der noch kein vollwertiges Mitglied der Organisation ist, sondern sich noch als Rekrut seine Sporen verdient, wird zu den Walstons geschickt. Ihm wird Laura als Supervisor zur Seite gestellt, ein Arrangement, das ihm nicht gefällt, aber gegen das er sich auch nicht wehren kann. Er darf sich keine Fehler erlauben, denn der Hohe Rat des TSW duldet kein Versagen. Dass Clara in ihm Gefühle weckt, macht seine Aufgabe nicht leichter, zumal es immer deutlicher wird, dass die Hintermänner trotz der gescheiterten Entführung noch lange nicht aufgeben. Derek und Clara geraten in einen Strudel aus Liebe, Gewalt und Verrat.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

Clara

Gelangweilt malte ich mit meinem Kugelschreiber große Kreise auf das fast leere Blatt, das vor mir lag. Das Seminar im Fach Unternehmensführung war schon von Natur aus nicht gerade meine Lieblingsunterhaltung. Wenn dann noch eine Schnarchnase wie Roberto ein Referat hielt, war es noch um einiges langweiliger, als es sonst schon war.

Roberto! Der Name klang nach Sonne, Strand und wilden Partys. Doch vorne stand ein reichlich blasser Junge, der sich nervös durch seine Unterlagen haspelte. Sogar ich, die nicht gerade eine Fachfrau in dem Bereich war, merkte, dass sein Vortrag mehr oder weniger schwachsinnig war. Dazu hätte es gar nicht die Miene des Professors gebraucht, dem das Gestotterte körperliche Schmerzen zu bereiten schien.

Dennoch würde der gute Roberto eine sehr gute Note erhalten - wie eigentlich jeder von uns. Auf dieser Eliteuniversität, die im Jahr geradezu unverschämte Studiengebühren verlangte, fiel niemand durch. Wahrscheinlich musste man hier irgendwas in die Luft sprengen, damit einem der Dekan einen Studienplatzwechsel empfahl. Robertos Eltern bezahlten eine enorme Summe, damit ihr Söhnchen einen erstklassigen Abschluss erhielt und an der Uni interessante Kontakte knüpfen konnte. Da war erwiesene Unfähigkeit kein Grund, warum er nicht bestehen sollte.

Ich lehnte mich etwas zurück, seufzte leise und warf einen Blick in die Runde. Eigentlich saßen wir alle im gleichen Boot. Auch mein Vater bezahlte die hohen Studiengebühren, ebenso die Eltern all derjenigen, die sich mit mir im Raum befanden - vom Professor mal abgesehen. Es gab nicht den geringsten Anlass, mich für etwas Besseres zu halten. Auch mir würde man am Ende ein sehr gutes Zeugnis ausstellen und mich in die freie Wirtschaft entlassen. Dort würde man mich auf einen gut bezahlten Posten setzen, wo ich keinen allzu großen Schaden anrichten konnte.

Endlich war Roberto mit seinem Vortrag ans Ende gelangt. Der Dozent lobte dessen Referat in dürren Worten und ich war heilfroh, als er uns eine schöne Restwoche wünschte und in die Freiheit entließ. Vor der Tür warteten zwei Leibwächter auf mich, die mein Vater engagiert hatte. Ja, seit rund vier Wochen begleiteten mich die beiden auffällig unauffälligen Männer auf Schritt und Tritt. Sie ließen mich kaum eine Minute aus den Augen. Nur in den Seminaren und auf der Toilette war ich vor ihnen sicher. Selbst in Vorlesungen saßen sie zwei Reihen hinter mir und beobachteten mich.

Anfangs hatte ich mich darüber amüsiert, doch allmählich färbte ihre Paranoia auf mich ab. Dabei sah ich überhaupt keinen Grund dafür, mich von den Kleiderschränken begleiten zu lassen, aber mein Vater war anderer Ansicht. Er hatte etwas von Verhandlungen und Problemen gemurmelt und meine Einwände abgebügelt.

»Hast du dich mit der Mafia oder irgendwelchen Syndikaten eingelassen?«, hatte ich ihn spöttisch gefragt, aber keine Antwort erhalten.

Ich hätte mich noch gerne für ein paar Minuten ins Studentencafé gesetzt, aber scheiterte mit dem Plan am Einspruch meiner kompromisslosen Begleiter.

»Wir haben den Auftrag, Sie ohne Aufenthalt nach Hause zu bringen, Miss Walston!«

»Es ist doch nur auf einen Kaffee. Kommen Sie, ich gebe Ihnen auch einen Kamillentee aus - oder was Sie sonst so trinken.«

»Bedaure, Miss, aber wir haben unsere Befehle.«

Sollte ich versuchen, mit einem Sprint zu entwischen? Ich stellte mir vor, wie ich laut um Hilfe brüllend in das Café stürmen würde, gefolgt von zwei Kerlen in teuren Anzügen. Aber nach so einem Auftritt würde mein Vater bestenfalls die Anzahl der Leibwächter verdoppeln. Also ergab ich mich in mein Schicksal und folgte den zwei Typen zu ihrem Fahrzeug.

*****

Zur Universität gehörte auch eine eigene Tiefgarage, in der man eine Ansammlung von Luxuskarossen bewundern konnte, wenn man es an dem verschlafenen Parkhauswächter vorbei geschafft hatte. Als wir vorbeigingen, sah er nicht einmal von seiner Zeitung hoch und beachtete auch nicht den Berechtigungsausweis, den ihm einer der Anzugträger hinhielt. Wie immer sicherte der größere meiner Leibwächter die Umgebung, während mir der zweite Mann die Tür zum Rücksitz öffnete. Es war also so wie immer ... bis zu dem Augenblick, als ein lauter Knall die Stille zerriss.

»In Deckung!« Ich wurde zu Boden gestoßen und wusste überhaupt nicht, wie mir geschah. Im Dreck liegend sah ich unter dem Fahrzeugboden hindurch und blickte verständnislos auf den leblosen Körper von einem der Leibwächter.

»Was ist denn los?«, fragte ich. Mein Verstand begriff nicht, was hier vor sich ging.

Statt eine Antwort zu erhalten, begann ein wilder Schusswechsel. Ich krümmte mich auf dem Boden zusammen und hielt mir die Hände auf die Ohren. Erst ein derber Stoß in die Seite brachte mich wieder zur Besinnung.

»Sie müssen zusehen, dass Sie von hier verschwinden«, sagte mir der überlebende Leibwächter.

Ich registrierte überraschend ruhig das Blut, welches aus seinem Mund floss und die zwei Löcher, die das makellose Jackett nun verunstalteten.

»Beeilen Sie sich«, sagte er drängend, bevor er zwei weitere Schüsse abgab. »Ich halte die Angreifer in Schach, solange es geht.«

Endlich wurde mir bewusst, dass es sich hier nicht um ein Spiel handelte, sondern dass es um mein Leben ging. Nun kam mir etwas zugute, was viele meiner Bekannten und Freunde immer überrascht hatte. Je größer der Stress war, desto ruhiger wurde ich. Es war eine Eigenart von mir, doch nie zuvor war ich dafür dankbarer als heute. Ohne mich noch einmal umzudrehen, drückte ich mich an der Wand entlang, nutzte dabei die parkenden Autos als Deckung und Sichtschutz. Ich rief mir den Grundriss der Tiefgarage ins Gedächtnis. Es gab einen Treppenaufgang, den ich erreichen musste. Verstecken und drauf hoffen, dass die Polizei rechtzeitig hier eintreffen würde. Die Knallerei sollte schließlich auch den verträumten Wächter am Eingang geweckt haben. So schnell es mir möglich war, huschte ich an den parkenden Fahrzeugen vorbei und näherte mich meinem Ziel.

Ich sah schon die Tür zum Treppenhaus schräg gegenüber vor mir, als ich einen gurgelnden Aufschrei hörte und die Schüsse verstummten. Für einen flüchtigen Moment dachte ich an die beiden Männer, über deren Job ich mich immer lustig gemacht hatte und die nun tot oder schwer verletzt in ihrem Blut lagen. Doch jetzt war nicht die Zeit, irgendwelche Gedanken an ihr Schicksal zu verschwenden.

»Jetzt oder nie!«, sprach ich mir Mut zu und sprintete über die Fahrbahn auf die Tür zu, die Rettung verhieß. Ich kam nicht sehr weit.

»Keinen Schritt weiter!«, rief eine Stimme rechts von mir.

Wie erstarrt blieb ich stehen und wandte den Kopf in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Der Mann, der mit einer angelegten Waffe auf mich zukam, war noch rund dreißig Meter von mir entfernt. Aus der Entfernung konnte er mich doch unmöglich treffen, oder? Er musste meine Gedanken erraten haben, denn gerade, als ich mich wieder in Bewegung setzen wollte, ertönte ein Schuss und ein Geschoss schlug dicht vor mir in den Boden.

»Denk nicht einmal daran, Kleine! Heb jetzt artig die Hände und geh von der Tür weg.«

So langsam ließ mich meine Kaltblütigkeit doch im Stich. Stattdessen rasten allerlei sinnlose Gedanken durch meinen Kopf und die Bilder, die sich dabei formten und mich blutüberströmt am Boden zeigten, wirkten nicht beruhigend auf mich.

»Ich sagte ...«, begann der Kerl von Neuem, konnte jedoch den Satz nicht beenden.

Stattdessen drehte er sich überrascht um, als er einen aufheulenden Motor hörte und ein Fahrzeug auf sich zuschießen sah. Mit einem Hechtsprung brachte er sich gerade noch in Sicherheit. Verblüfft sah ich mit an, wie der Wagen neben mir zum Stehen kam und die Beifahrertür weit aufflog.

»Steig ein!«, rief mir jemand zu. »Schnell!«

Ich ließ es mir nicht zweimal sagen und hechtete förmlich in das Fahrzeug. Schon gab der Fahrer Gas und kümmerte sich nicht darum, dass die Fahrzeugtür noch nicht geschlossen war.

»Bleib unten!«, befahl mir der Mann.

Ich hörte noch ein- oder zweimal Schüsse krachen, bevor der Wagen über einen gewaltigen Hubbel fuhr und krachend etwas durchbrach, was verdächtig nach der Schranke des Parkhauses aussah.

»Ich denke, wir haben es geschafft, Clara.«

Erst jetzt warf ich einen Blick auf den Fahrer. »Frank? Du?«

Ich konnte kaum glauben, dass er sich für mich in diese Gefahr gebracht hatte. Frank Johnston war ebenfalls Student an der Uni, besuchte mit mir gelegentlich dieselben Vorlesungen, war mir aber nie als Draufgänger oder als besonders mutig aufgefallen. Ich kannte ihn hauptsächlich als etwas verwöhnten Unternehmersohn, weil er in Begleitung seines Vaters häufig bei uns zu Gast war. Unsere Väter waren Geschäftsfreunde und arbeiteten gelegentlich gemeinsam an Projekten, für die ich mich noch nie interessiert hatte. Es war mir nicht entgangen, dass Frank in letzter Zeit bei seinen Besuchen ein gewisses Interesse an mir gezeigt hatte. Aber er war nicht wirklich mein Typ.

Mein Retter warf einen Blick in den Rückspiegel und hielt den Wagen an, sodass ich die Beifahrertür schließen konnte. »Wer waren die Kerle und was wollten die von dir?«, fragte er bemerkenswert gefasst.

»Ich ... weiß nicht.« Von einer Sekunde auf die andere war es mit meiner Ruhe vorbei. Ich begann am ganzen Körper zu zittern und Tränen schossen mir in die Augen.

Frank setzte den Wagen wieder in Bewegung und legte mir tröstend eine Hand auf den Oberschenkel. »Ich bring dich besser nach Hause.«

Ich heulte Rotz und Wasser und konnte nur nicken.

*****

An der Haustür wartete schon mein Vater besorgt auf mich, als Frank den Wagen über den Zufahrtsweg zum Haus steuerte. Gemeinsam brachten mich die beiden hinein. Erst nach einer ganzen Weile nahm ich die Umgebung wahr. Ich fand mich zusammengerollt auf dem Sofa liegend vor und hörte Vaters Stimme aus dem Arbeitszimmer, wie er Gott und die Welt am Telefon zusammenbrüllte. Frank saß neben mir und betrachtete mich mitleidig.

»Wie geht es dir?«, fragte er einfühlsam.

»Beschissen!« Ich bekam kaum ein Laut über die Lippen und hasste mich für den Zustand, in dem ich mich befand. Vorsichtig setzte ich mich aufrecht hin und stützte den Kopf in die Hände.

»Du solltest dir noch etwas Ruhe gönnen.«

»Es geht schon. Ich bin doch kein kleines Kind mehr«, erwiderte ich mutiger, als ich mich fühlte. »Mit wem telefoniert Vater?«

»Frag lieber, wen er noch nicht angerufen hat.« Er stand auf und sah sich im Wohnzimmer um. »Brauchst du etwas? Soll ich dir was zu trinken bringen?«

»Nein, vielen Dank.«

»Ich wüsste ja zu gerne, wer dahintersteckt. Vielleicht sollte ich mal ein paar Erkundigungen einziehen.«

Obwohl ich mich nicht besonders gut fühlte, wunderte ich mich doch über den Satz. Es klang irgendwie geheimnisvoll und wichtig, so als ob er gefährliche Leute kennen würde. Ich vermutete aber eher, dass er sich vor mir mit diesen angeblichen Kontakten brüsten wollte.

In dem Moment kam mein Vater ins Wohnzimmer. »Dr. Meurer wird in ein paar Minuten hier eintreffen«, sagte er, als er mich auf dem Sofa sitzen sah. Er setzte sich neben mich und drückte mich an sich. »Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.«

Ich konnte nicht verhindern, dass mir erneut die Tränen in die Augen stiegen. »Was ist mit ...«, begann ich, aber mein Vater ließ mich nicht ausreden.

»Shhht, mach dir nicht zu viele Gedanken und lass mich alles regeln. Du ruhst dich jetzt aus und kommst erst einmal wieder zu dir. Ich bring dich nach oben.«

»Das kann ich doch machen, Mr. Walston!«

Mein Vater zögerte für einen Augenblick - wie es wohl jeder Vater machen würde, wenn ein fremder Mann seine Tochter in dessen Zimmer begleiten wollte. Doch schließlich gab er seine Zustimmung.

»Dann werde ich noch ein paar Telefonate führen.« Er trat zu ihm hin und drückte ihm die Hand, bevor er Frank sogar umarmte. »Vielen Dank, dass du meine Tochter gerettet hast. Das vergesse ich dir nie im Leben!«

Abrupt löste er die Umarmung, wandte sich ab und stürmte in sein Arbeitszimmer. Ich hatte Vater nur bei zwei Gelegenheiten so aufgewühlt gesehen. Das erste Mal, nachdem er erfahren hatte, dass meine Mutter unheilbar an Krebs erkrankt war. Und das zweite Mal am Tag ihres Todes.

Frank geleitete mich aus dem Wohnzimmer und über die ausladende Treppe nach oben. Er führte mich wie ein kleines Kind durch den Flur, bevor er ratlos stehenblieb und die verschiedenen Türen betrachtete.

»Ich weiß leider nicht, wo dein Zimmer ist«, sagte er mit einem entschuldigenden Lächeln. »Jetzt war ich schon so oft in eurem Haus ...«

Ich deutete auf die Tür am Ende der Diele. »Den Rest schaffe ich schon allein. Vielen Dank ... für alles!«

Er brachte mich noch bis an die Zimmertür, wo er sich galant verabschiedete. »Wenn du mich brauchst oder falls du reden willst, ruf mich an.«

Ich nickte nur zum Abschied, zog wie in Trance die Tür hinter mir zu und riss mir die Kleidung vom Körper, bevor ich ins Bett fiel.

Vom Besuch des Arztes bekam ich kaum etwas mit. Ich bemerkte nur noch, dass er mir eine Spritze gab und ein paar Worte mit meinem Vater wechselte, bevor mich eine bleierne Müdigkeit überkam und ich die Augen schloss.

Kapitel 2

Derek

Die Aufforderung, mich zum Einsatz zu melden, erreichte mich mitten während des nachmittäglichen Trainings. »Endlich«, entfuhr es mir, derweil ich den Erhalt der Nachricht bestätigte. Mit etwas Glück war es der letzte Auftrag, dessen Erfüllung ich noch zur Erreichung der Grünen Stufe benötigte. Danach währe mein Aufstieg aus den Reihen der Rekruten nur noch eine Formsache.

Ich duschte und dachte währenddessen darüber nach, um was für einen Auftrag es sich handeln würde. Die Aufforderung kam aus dem Vorzimmer des Hohen Rates, also konnte es sich nur um eine überaus wichtige Mission drehen. Normalerweise gaben sich die Ratsmitglieder nicht mit derartigen Kleinigkeiten ab.

Noch während ich mich abtrocknete, kamen mir die Bilder des letzten Auftrages in den Sinn. Damals war es sehr knapp gewesen und um ein Haar wäre ich gescheitert. Daher würde ich es begrüßen, wenn man mir heute nicht erneut eine solch haarsträubende Mission übertragen würde. Natürlich könnte ich mich weigern, aber ich hatte kein Interesse, mich auf der Roten Stufe wiederzufinden und ganz von vorne zu beginnen. Nein, ich war bereit und wild entschlossen, den Auftrag durchzuführen.

Ich warf mich in meine Zeremonienuniform und verließ meine mir zugeteilte Zelle. Nach meiner Rückkehr und erfolgter Promotion würde ich mir eine richtige Wohnung in unserem Refugium auswählen können und Aufträge auf eigene Rechnung übernehmen dürfen. Außerdem stand mir dann das Recht zu, eine Partnerin zu suchen. Endlich leben - darauf war von Beginn an mein Sinnen und Trachten ausgerichtet.

Der Weg von den Wohnbereichen der Angehörigen meiner Stufe führte mich am Trainingszentrum der Frischlinge vorbei. Dort trainierten die Männer und Frauen der roten Stufe. Zu klar stand mir noch vor Augen, wie die Ausbilder uns in einen Schlafsaal gepfercht hatten, kaum dass wir von unseren Eltern dort abgeliefert worden waren. Es war die übliche Prozedur im Refugium als Angehöriger des TSW. Mit zehn Jahren landeten die Kinder an diesem Ort. Ich war einer von ihnen gewesen und die nächsten sechs Jahre hatte ich nichts als Drill, Hunger, Schlafmangel und Zucht kennengelernt. Mit der Versetzung in die gelbe Stufe war ein Traum in Erfüllung gegangen. Nicht einmal dreißig Prozent von uns hatten es geschafft, der Rest ... nun ja, die waren halt zu schwach gewesen.

Ich gelangte an die Schleuse, zeigte der Wache meine Kennung und den Auftrag, damit sie mich passieren ließ. Ich versuchte, meine Aufregung zu verbergen, als ich in den Fahrstuhl stieg, der mich auf die Ebene des Hohen Rates transportieren würde. Bevor ich auch nur das Vorzimmer erreichte, musste ich mich einer weiteren Kontrolle und einem Ganzkörperscan unterziehen. Ich hatte schon mal davon gehört, dass ein Rekrut, durch den harten Drill wahnsinnig geworden, einen Anschlag auf den Hohen Rat hatte verüben wollen. Danach hatte man die Sicherheitsvorkehrungen noch verschärft.

Mir wäre es nie in den Sinn gekommen, unsere Herrscher für die Lage im Refugium verantwortlich zu machen. Sie waren fast alle Angehörige der ersten Generation und somit diejenigen Kinder gewesen, an denen man die Experimente durchgeführt hatte. Ihnen war nach anfänglicher Euphorie seitens der Wissenschaftler nur Hass, Angst und Verachtung entgegengeschlagen, weil sie anders waren - und man sie fürchtete. Zunächst hatte man ihnen jegliche Rechte verweigert und es hatte schwere Kämpfe und Opfer gekostet, bis man ihnen endlich erlaubte, diesen Staat zu gründen. Aus allen Gegenden der Welt waren die Angehörigen meiner Spezies zusammengeströmt, um hier ein selbstbestimmtes Leben zu führen - unter gewissen Regeln, die sehr schnell von gewählten Anführern aufgestellt worden waren.

Ein leises Klingeln zeigte mir an, dass der Scan beendet war. Der Durchgang zu einem schmalen Flur öffnete sich und nach ein paar Schritten stand ich vor der Tür zum Vorzimmer des Hohen Rates. Unwillkürlich straffte ich meine Uniform und hielt mein Kennungszeichen vor den Türöffner. Die Tür glitt zur Seite und gab mir den Weg frei. Jetzt galt es!

*****

»Name und Kennung?«

Die Frau im Vorzimmer war die Gewissenhaftigkeit in Person. Als ob sie nicht genau wüsste, wer zum Hohen Rat bestellt wurde.

»Derek«, antwortete ich, ohne zu murren. »Bezirk Q, Sektor 4, Abschnitt B.«

Immerhin sah sie mich nun an und ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen. »Letzter Auftrag?«

»Wenn alles glatt läuft.«

»Unsere Ausbilder haben alles dafür getan, damit Sie in Verbindung mit Ihren Fähigkeiten jede Aufgabe bewältigen können. Es liegt also kein Grund vor, anzunehmen, dass Sie versagen könnten.«

Ihr Tonfall war nun wieder formell und hart. Jede Freundlichkeit war aus ihrer Miene gewichen, während sie mich streng musterte.

»Natürlich, Ma’am!«

Sie drückte auf einen Knopf und eine Tür an der linken Seite schwang auf. »Der Hohe Rat Djarkow erwartet Sie!«

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte ich mich von ihr ab und betrat die Räumlichkeiten eines Mitglieds des Hohen Rates. Da ich niemanden im Raum sah, blieb ich wie vorgeschrieben an der Tür stehen, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und wartete darauf, hereingebeten zu werden. Eigentlich war ich fast enttäuscht, während ich unauffällig die Einrichtung begutachtete, mit der Djarkow seinen Sitz ausgestattet hatte. Außerhalb des Refugiums waren mir schon luxuriösere Behausungen unter die Augen gekommen.

»Ich hoffe, mein Domizil gefällt dir!«, riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken.

Innerlich fluchte ich über meine Unaufmerksamkeit. In der Ausbildung wäre es mir schlecht bekommen, aber das Lächeln auf Djarkows faltigem Gesicht zeigte mir, dass er es mir wohl nicht übelnahm.

»Es steht mir nicht zu, darüber ein Urteil zu fällen, Sir.«

Sein Lächeln verstärkte sich noch und er winkte mich in das Zimmer herein. »Nun bleib doch nicht dort drüben stehen. Nimm Platz!«

Er setzte sich hinter einen großen Schreibtisch und deutete mit einer Hand auf den Stuhl, der direkt davor stand. Er wartete ab, bis ich seiner Aufforderung nachgekommen war, und nahm anschließend eine Mappe zur Hand.

»Aus den Unterlagen geht hervor, dass du in fast allen Bereichen überdurchschnittlich gut abgeschnitten hast«, sagte er, nachdem er einen oberflächlichen Blick in die Mappe geworfen hatte. »Du stehst unmittelbar vor deiner Promotion zur Grünen Stufe.«

»Das ist korrekt, Sir!«

Er warf die Unterlagen auf den Tisch und sah mir direkt in die Augen. »Wahrscheinlich fragst du dich, warum sich ein Ratsmitglied persönlich die Mühe macht, einem Aspiranten wie dir den Auftrag zu erteilen, habe ich recht?«

»Sie liegen vollkommen richtig, Sir!«

Er nickte leicht, gerade so, als wäre er zufrieden. »Ich sehe, du bist ein schlauer Bursche.« Djarkow legte die Fingerspitzen seiner linken Hand auf ein Blatt Papier. »Die Aufgabe, die vor dir liegt, ist von überaus großer Bedeutung für uns. Du solltest also den Auftrag nur annehmen, wenn du dir sicher bist, nicht zu versagen.« Er beugte sich etwas nach vorne und sah mir scharf ins Gesicht. »Falls du dir unsicher bist, kannst du ihn ohne Konsequenzen ablehnen. Du behältst deine Einstufung und wirst demnächst einer anderen Aufgabe zugeteilt. Hast du verstanden, was ich dir damit sagen will?«

»Natürlich, Sir!« Ich behielt meine stoische Miene bei, obwohl ich mich fragte, was dies für ein komplizierter Auftrag sein sollte. »Darf ich erfahren, um welche Mission es sich handelt?«

Djarkow lehnte sich wieder zurück und legte die Fingerkuppen aneinander. »Einer der reichsten Männer des Landes hat jemanden von uns angefordert, um seine Tochter zu beschützen.«

»Als Leibwächter? Ich verstehe nicht ganz, wo das Problem liegt, Sir. Wir haben doch bereits oftmals ...«

»Es gab schon einen Anschlag auf das Leben der Frau, daher endet der Auftrag auch erst mit der Ergreifung der Täter und der Hintermänner. Das bedeutet, wir können sehr viel Geld verdienen ...«

»... oder gehen leer aus, falls die Frau stirbt.«

Djarkow lächelte wieder. »Ich sehe, wir haben uns nicht in dir getäuscht. Du begreifst schnell. Wenn du die Mission annimmst und erfolgreich bist, erhältst du nicht nur die Grüne Stufe, sondern wirst direkt in den fünften Rang eingestuft und bekommst zusätzlich einen Bonus deiner Wahl.«

Diese Aussicht elektrisierte mich. Ein solches Angebot konnte ich nicht einfach ablehnen und ich würde alles dafür tun, die Mission zu einem Erfolg werden zu lassen. »Soll ich auch ermitteln, wer hinter dem Anschlag steckt?«

»Auf keinen Fall!« Wie aus der Pistole geschossen kam die Antwort des Rates. »Das ist dir streng verboten, weil du die zu schützende Person in Gefahr bringen würdest!«

Das war mir sogar sehr recht. Wie schwer konnte es schon werden, auf eine junge Frau aufzupassen. »Ich übernehme den Auftrag, Sir!«, sagte ich schließlich.

Djarkow nickte zufrieden. »Ich habe mich nicht in dir getäuscht. Meine Ratskollegen wollten ursprünglich jemandem aus den höheren Rängen den Auftrag anbieten, anstatt ihn einem Rekruten anzuvertrauen. Ich habe mir deine Unterlagen angesehen und mich für dich eingesetzt. Enttäusch mich nicht!«

Ich stand auf und sah ihm fest in die Augen. »Das werde ich nicht, Sir!«

»Gut. Ein Wagen bringt dich morgen Früh um acht Uhr zu unserem Auftraggeber. Viel Glück, Derek!«

»Danke, Sir!« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ ich in absoluter Hochstimmung Djarkows Räumlichkeiten. Diesen Auftrag würde ich zur vollkommenen Zufriedenheit erledigen. Koste es, was es wolle!

Kapitel 3

Clara

Als ich aufwachte, fand ich mich quer im Bett liegend vor. Wahrscheinlich war es gut, dass ich mich nie an meine nächtlichen Träume erinnerte. Es war wohl kein angenehmer oder 'süßer' Traum gewesen. Jetzt, wo ich wach war, kamen die Erinnerungen an die Ereignisse vom letzten Tag doppelt so heftig zurück und ich brauchte eine Weile, um das Zittern der Gliedmaßen zu unterdrücken. Was hätte ich dafür gegeben, starke Arme um mich zu wissen und einfach mal drauflosweinen zu können.

Stattdessen musste ich mich mit meiner Dusche begnügen. Ich drehte das Wasser auf, stellte mich unter den Strahl, schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken. Der Erfolg war bescheiden.

Es dauerte viel länger als gewöhnlich, bis ich mich fertig angezogen hatte. Angeschlagen und müde stieg ich die Treppe nach unten. Ich würde heute zum Frühstück einen stärkeren Kaffee als sonst benötigen. Erst nach und nach wurden mir die weiteren Konsequenzen des gestrigen Tages bewusst. Meine Leibwächter waren tot, also konnte ich mich nicht aus dem Haus fortbewegen. Und wer wusste schon, was uns hier alles drohte - je nachdem, wer mir da an den Kragen wollte. Mit diesen Gedanken kehrte auch das Zittern in meinen Körper zurück.

Mein Vater erwartete mich am Frühstückstisch, was ungewöhnlich war. Morgens sahen wir uns normalerweise nie, nur unser gemeinsames Abendessen war das Ritual, von dem wir selten abwichen. Seit Mutters Tod lebte er privat fast wie ein Einsiedler und vergrub sich in seine Arbeit.

»Wie fühlst du dich?«, fragte er.

»Etwas besser«, erwiderte ich und goss mir Kaffee in die Tasse. Ich hoffte nur, er würde nicht weiter auf die Ereignisse eingehen, denn ich wollte den gestrigen Tag aus meinem Gedächtnis verbannen.

»Kann ich mit dir etwas besprechen?«

Ich nickte nur und kaute ohne rechten Appetit auf einem Brötchen herum.

»Im Laufe des Tages wird uns jemand aufsuchen, den ich engagiert habe. Ein Mann, der sich einzig und allein um deinen Schutz kümmern wird.«

Unwillkürlich tauchten mir die Bilder der sterbenden Leibwächter vor dem inneren Auge auf. Der Gedanke an die Männer krampfte mir den Magen zusammen und ich schmeckte bittere Galle im Mund.

Vater legte eine Hand auf meinen Unterarm, da er mir den Widerwillen wohl angesehen hatte. »Du musst ihn heute nicht kennenlernen, wenn du nicht willst. Es kann auch an einen der nächsten Tage geschehen. Ich will dich nur nicht schutzlos wissen und dein neuer Leibwächter gehört einer Organisation an, die den allerbesten Ruf hat, was ihre Fähigkeiten angeht.«

»Welcher Organisation?«

»Du hast bestimmt schon mal vom TSW in der Zeitung gelesen, oder?« Er musste mir mein Unbehagen angesehen haben, denn er hob begütigend seine Hand. »Du musst ihn nicht akzeptieren, wenn du nicht willst. Aber diese Leute sind dafür bekannt, ihre Aufgabe unter allen Umständen zu erfüllen und dabei auch ihr Leben einzusetzen. Zudem sind sie keine ... also du weißt ja ...«

»Es sind keine normalen Menschen«, unterbrach ich ihn. »Wolltest du das sagen?«

»Sie sind besonders trainiert, nach ganz speziellen Anforderungen. Das wollte ich damit sagen. Ich habe ihren Hohen Rat kontaktiert ...«

»Der Hohe Rat!«, spottete ich. »Diese ganze feine Gesellschaft ist doch nichts anderes als eine Ansammlung von Attentätern, Mördern und Ganoven. Mietmäuler, die alles tun, für was man sie bezahlt. Nachkommen von medizinischen Experimenten, das sind sie!« Ich war immer lauter geworden und mein Vater tat alles, um mich zu beschwichtigen.

»Dafür können sie nun weiß Gott nichts! Keiner von ihnen hat sich freiwillig gemeldet, um dies über sich ergehen zu lassen. Damals in den Kriegen wurde sehr viel Unmenschliches gemacht und wir müssen heute mit den Fehlern leben. Ja, das TSW ist gefürchtet ...«

»Niemand, der klar bei Verstand ist, geht auch nur in die Nähe ihres sogenannten Refugiums«, unterbrach ich ihn mit dumpfer Stimme.

»... aber sie sind die Besten in dem, was sie tun«, fuhr er fort.

»Du wiederholst dich!«

Er drehte sich zu mir hin und sah mir direkt in die Augen. »Es ist letztendlich deine Entscheidung. Wenn wir ihm den Auftrag erteilen, wird er alles in seiner Macht stehende tun, um dich zu beschützen. Doch wenn du nicht willst, dann bezahle ich ihm, was er für seine Anreise verlangt, und wir überlegen uns etwas anderes.«

Ich war hin- und hergerissen. Was ich meinem Vater gesagt hatte, war die Wahrheit gewesen. Das TSW und seine Angehörigen waren gefürchtet, aber sie waren auch von einer Aura umgeben, die sie auf eine prickelnde Weise faszinierend erscheinen ließen. Um ihr Leben im Refugium rankten sich die tollsten Geschichten und es war ja auch wahr; wenn sie einen Auftrag übernahmen, so gaben sie alles, um ihn zu erfüllen. Ich wäre so sicher, wie man nur sein kann.

»Wie entscheidest du dich?«, schreckte mich mein Vater aus den Gedanken. »Soll ich dort anrufen und sagen, dass wir es uns anders überlegt haben?«

»Nein, ich will ihn mir ansehen«, erwiderte ich.

Dad nickte zufrieden und widmete sich nun dem Frühstück. Ich hätte es ihm gegenüber nicht zugegeben, aber der hauptsächliche Grund für meine Zusage war simple Neugier. Ich wollte ein solches Exemplar aus der Nähe in Augenschein nehmen.

*****

Zurück in meinem Zimmer setzte ich mich sofort an den PC und suchte - nicht zum ersten Mal - nach Einträgen, die mit dem TSW zusammenhingen. Wenn man berücksichtigt, dass so ziemlich jeder Hundezüchterverein eine eigene Homepage besitzt, wunderte es mich, keine solche vom TSW zu finden. Anscheinend hatten sie es nicht nötig, ihre Dienstleistungen anzupreisen. Es fiel mir auch schwer, seriöse Berichte über deren Tätigkeiten aufzuspüren. Stattdessen fand ich haufenweise Seiten, deren Inhalte simple Verschwörungstheorien enthielten.

Nachdem ich mich durch die ersten rund zwanzig Reportagen durchgearbeitet hatte, war ich nicht schlauer als zuvor - ganz im Gegenteil. Es waren nichts weiter als absurde Behauptungen und Mutmaßungen, die dort enthalten waren. Auch gingen die Beurteilungen über die Organisation und der Bewohner des sogenannten Refugiums weit auseinander. Für die einen waren es gewissenlose Killer, die von reichen Bonzen für alle möglichen Schandtaten beauftragt werden konnten. Die ihnen übertragenen Aufträge führten sie völlig skrupel- und gnadenlos mit einer beeindruckenden Präzision durch. Das war die Einschätzung, die ich Vater gegenüber als meine eigene ausgegeben hatte. Andere hingegen sahen in ihnen edle, missverstandene Kämpfer für das Gute.

Auch über die Herkunft dieser speziellen Menschen wurde lang und breit gesprochen. Manche hielten sie für ein misslungenes, wissenschaftliches Experiment, andere für Mutationen und auf zwei Seiten wurde allen Ernstes diskutiert, ob es sich bei ihnen um Außerirdische handeln könnte. Nur darüber, wann das Refugium entstanden war, herrschte Klarheit. Vor fast vierzig Jahren hatte man einer Gruppe ein Gebiet mitten in den Vereinigten Staaten zugewiesen. In einer gebirgigen Landschaft, fernab der Zivilisation, wurde eine Sperrzone eingerichtet und im Laufe der Jahre eine autonome Stadt in den Fels gebaut. Die wenigen Aufnahmen, die ich im Netz fand, zeigten fast futuristische Bauwerke. Natürlich versuchten am Anfang Neugierige und Wagemutige, mehr von dieser Organisation zu erfahren und in das Refugium einzudringen. Aber sie wurden nicht nur ziemlich brachial daran gehindert, sondern erhielten außerdem harte Strafen, nachdem sie wieder in der Zivilisation angekommen waren.

Müde rieb ich mir die Augen und schaltete den Rechner ab. Sehr viel schlauer war ich nicht geworden und umso neugieriger war ich nun, einen dieser geheimnisvollen Angehörigen des TSW kennenzulernen.

*****

Ich hatte mich eine Stunde hingelegt, als das schrille Klingeln der Türglocke an meine Ohren drang. Flugs sprang ich aus dem Bett und verließ voller Erwartung das Zimmer. Ich musste ziemlich enttäuscht gewirkt haben, als ich in der Diele auftauchte und Frank neben unserer Haushälterin in der Tür stehen sah. Jedenfalls lächelte er schief, während er mich etwas linkisch begrüßte.

»Ich wollte mich erkundigen, wie es dir geht«, sagte er. »Kann ich hereinkommen?«

»Selbstverständlich«, erwiderte ich.

Mit einem gemurmelten Dank huschte er an der Haushälterin vorbei. »Du siehst gut aus«, sagte er, als er direkt vor mir stand. »Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.«

»Lass uns doch ins Wohnzimmer gehen«, schlug ich vor, da mir nichts Besseres einfiel.

Dort bot ich ihm einen Platz und etwas zu trinken an und war heilfroh, als ich meinen Vater aus dem Arbeitszimmer kommen sah. Auch er begrüßte den Sohn seines Geschäftsfreundes und bemühte sich nach Kräften, ein Gespräch in Gang zu bringen. Ich spürte, wie dankbar er Frank war, aber heute, wo ich nicht mehr unter dem Eindruck der fehlgeschlagenen Entführung stand, bemerkte ich wieder, wie wenig ich mit Frank gemeinsam hatte. Wir kannten uns schon unser halbes Leben, aber einen richtigen Draht hatte ich zu ihm nie gefunden. Er war auch nie der Draufgänger gewesen, daher war ich beinahe schockiert, als er näher zu mir heranrückte und wie unbeabsichtigt meine Hand ergriff.

»Mein Vater gibt in drei Tagen am Sonntag eine Party im Golfclub«, sagte er zu meinem Vater. »Er würde sich freuen, wenn Sie und Clara sich die Zeit nehmen könnten, ebenfalls zu der Feier zu kommen.«

Mein Vater nickte. »Von meiner Seite aus gerne. Wie steht es mit dir?«, wandte er sich an mich.

»Müssten wir das nicht vorher mit unserem ... Gast besprechen?«

»Ihr erwartet jemanden?«, erkundigte sich Frank neugierig. »Bringt ihn doch einfach mit.«

»Ich denke, wir haben in der Richtung keine Schwierigkeiten zu erwarten«, bügelte Vater meinen Einwand ab. »Wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt, werden wir sehr gerne an der Feier teilnehmen.«

»Da wird sich Dad freuen«, sagte Frank und drückte mir wie zur Bekräftigung die Hand.

Allmählich machte ich mir Gedanken, ob er unsere oberflächliche Freundschaft in eine Richtung lenken wollte, von der ich nicht wusste, ob sie mir wirklich gefiel. Daher war ich erleichtert, als sich Frank nach ein paar weiteren Belanglosigkeiten verabschiedete. Vater begleitete ihn bis zur Tür, was mir zeigte, wie sehr er Frank für seine Rettungsaktion dankbar war. Er tat dies nur bei Gästen, die ihm besonders am Herzen lagen.

»Er ist wirklich ein wohlerzogener junger Mann, meinst du nicht auch?«, sagte er zu mir, als er wieder im Wohnzimmer erschien.

»Du sagst es. Er ist ein netter Junge.«

Der dezente Hinweis entging meinem Vater völlig. »Ihr kennt euch ja nun schon sehr lange. Sein Vater und ich haben auch schon viele Geschäfte abgeschlossen und ...«

»Willst du mich mit Frank verkuppeln?«, unterbrach ich ihn schroff.

»Ihm liegt offensichtlich viel an dir, wie sein Vater im letzten Gespräch mit mir hat durchklingen lassen. Und er hat sich doch als mutig und entschlussfreudig herausgestellt, als er dir zur Seite gesprungen ist. Viel mehr kann doch ein junges Mädchen von einem Verehrer nicht verlangen.«

Ich schüttelte resigniert den Kopf. Ich liebte Dad, aber er war hoffnungslos überfordert und unglaublich altmodisch, wenn es um das Gefühlsleben seiner Tochter ging. Seine Miene zeigte Spuren von Enttäuschung, als ich nicht weiter darauf einging.

»Ich ruh mich noch etwas aus«, sagte ich und ging zur Wohnzimmertür. »Ruf mich doch bitte, wenn der Mann vom TSW eintrifft.«

»Selbstverständlich werde ich mein hochwohlgeborenes Töchterchen rufen lassen.«

An dem Spott erkannte ich, dass mein Vater ärgerlich war. Also kehrte ich noch einmal zurück und umarmte ihn. »Sei mir bitte nicht böse, Daddy.«

»Das bin ich nicht. Wenn du Frank nicht magst, musst du ihn auch nicht treffen. Du brauchst nicht zu dieser Feier im Golfclub gehen, wenn du nicht willst.«

Ich gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange, bevor ich wieder zur Wohnzimmertür ging. »Lassen wir es auf uns zukommen.«

Kapitel 4

Derek

Im Gegensatz zu sonst fühlte ich eine gewisse Aufregung, als ich vor dem KFZ-Bereich auf den Fahrer wartete, der mich zu meinem Bestimmungsort bringen würde. Ich wusste natürlich, dass die Erfüllung der Aufgabe nicht leicht werden würde, denn sonst hätte mir Djarkow nicht diesen Bonus in Aussicht gestellt. Fünfte Stufe! Ich würde nicht nur sofort aus dem Rekrutenstatus entlassen werden, sondern sogar den untersten Bereich der Rangfolge überspringen können. Das kam normalerweise nicht vor.

Im Geiste ging ich noch einmal die Unterlagen und mein Gepäck durch, um mir die Wartezeit zu vertreiben. Entgegen meiner Gewohnheit war ich eine halbe Stunde vor dem vereinbarten Termin am Treffpunkt erschienen. Ich hatte es einfach nicht mehr in der Wohnzelle ausgehalten und hoffte gleichzeitig, dass die Tage, die ich dort zubringen müsste, gezählt waren. Ich malte mir noch aus, wie die Wohnung wohl aussehen würde, auf die ich nach dem Auftrag Anspruch hatte, als mir das Geräusch eines Fahrzeugs an die Ohren drang.

Verblüfft registrierte ich, dass neben dem Fahrer eine weibliche Person im Wagen saß. Wieso ließ sich jemand vom KFZ-Bereich zum Parkplatz fahren? Als ich die Frau erkannte, stockte mir beinahe der Atem. Was um alles in der Welt hatte Laura hier zu suchen? Das Auto hielt direkt neben mir und der Chauffeur, ein Rekrut der roten Stufe, sprang diensteifrig heraus, um mein Gepäck im Kofferraum zu verstauen.

Auch Laura stieg aus, reckte sich und schenkte mir ein breites Lächeln. »Hallo Derek! Ziemlich früh am Morgen, findest du nicht auch?«

Ich nickte kühl. »Guten Morgen! Darf ich fragen, was du hier willst?«

»Ich bin hier, um dir zur Seite zu stehen.«

»Wie meinst du das? Du weißt doch, dass wir unsere Aufträge allein durchführen müssen. Das gilt besonders für die Rekruten.«

Sie boxte mir leicht an die Schulter. »Nun komm, sei mal nicht so entsetzlich steif und förmlich. Ich will dir doch nur helfen!«

Ich nahm Haltung an, wie es sich für einen Rekruten geziemte, wenn er mit einem Mitglied der dritten Stufe sprach. Ein Rang, den Laura offensichtlich bereits erreicht hatte, wie ich an ihrem Rangabzeichen sehen konnte. »Es tut mir leid, Ma'am, aber ich habe eine Aufgabe zu erledigen. Bitte entschuldigen Sie mich!«

Bevor ich in das Fahrzeug einsteigen konnte, hielt sie mir ein Schriftstück unter die Nase. Ich sah mit einem Blick, dass es sich dabei um einen Auftrag handelte. Als ich las, um was es dabei ging, verging mir die Vorfreude, die ich bis dahin empfunden hatte.

»Was hat das zu bedeuten? Davon hat mir der Hohe Rat nichts gesagt!«

Laura faltete das Papier zusammen und steckte es zurück in ihre Hosentasche. Auf ihren Lippen lag immer noch das spöttische Lächeln, das ich nur zu gut kannte. »Freu dich doch, Derek. Wir beide werden bestimmt gut miteinander auskommen - so wie früher.«

»Unsere Zusammenarbeit habe ich allerdings in ganz anderer Erinnerung als du!«

»Trägst du es mir etwa immer noch nach?«

Beinahe hätte ich die Selbstbeherrschung verloren, konnte mich aber noch zurückhalten. Eine unbedachte Handlung gegenüber einem Ranghöheren hätte mir ziemlich viel Ärger eingebracht. Die Promotion hätte ich dann jedenfalls abschreiben können. Stattdessen setzte ich mich im Wagen auf den Rücksitz, direkt hinter dem Fahrer, der bereits angespannt auf weitere Befehle wartete. Vermutlich war es das erste Mal, dass er aus dem Refugium herauskam und dann auch noch in Begleitung eines Mitglieds der dritten Stufe. Kein Wunder, dass er nervös war.

Ich hatte erwartet und gehofft, dass sich Laura auf den Beifahrersitz setzen würde, aber ich sah meine Erwartungen getäuscht, da sie sich direkt neben mich setzte. Sie grinste breit, als sie dem Fahrer leicht auf den Hinterkopf schlug.

»Gib Gas und fahr los. Aber nicht so ruckelig wie vorhin.«

»Natürlich Ma'am! Ich werde mein Bestes geben.«

Dennoch schüttelte sie unzufrieden den Kopf, als der arme Kerl zu viel Gas gab und die Räder beinahe durchdrehten. »Zu meiner Zeit hätte so etwas wie dieser Kerl nur die Latrinen schrubben dürfen!«

Ich erwiderte nichts, sondern dachte nur mit Schaudern an die nächsten Tage. Meine Vorfreude war wie weggewischt. Wenn ich nicht sehr auf der Hut war, würde mir nicht nur die Promotion durch die Lappen gehen. Womöglich würde ich mich unversehens auf der Roten Stufe wiederfinden.

*****

Nachdenklich sah ich zum Seitenfenster hinaus, wo die monotone Landschaft an uns vorbeihuschte. Hin und wieder warf ich einen verstohlenen Blick zu meiner Begleiterin, wenn sie den Fahrer piesackte. Der arme Kerl würde bestimmt drei Kreuze machen, wenn er uns abgeliefert hatte.

Als wir an einem Parkplatz eine Pause einlegten, forderte Laura mich auf, sie ein paar Schritte zu begleiten. Wir gingen so weit, bis sie sicher sein konnte, dass der Fahrer nichts mehr von dem hören würde, was sie mit mir besprechen wollte.

»Du fragst dich doch bestimmt, warum ich mit dir gemeinsam diese Aufgabe übernommen habe, stimmt's?«

Damit hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen.

»Wie du siehst, habe ich es mittlerweile bis auf die dritte Stufe geschafft«, fuhr sie fort, da sie mein Schweigen als Zustimmung interpretierte.

»Ich gratuliere dir.«

»Das kannst du dir sparen, Derek. Du weißt genau, dass sehr viele von uns in ihrem Leben diesen Rang erreichen.«

»Aber nicht derartig schnell wie du.«

Laura schüttelte nur unwillig den Kopf. »Das mag ja sein, aber was bringt es mir? Für den Aufstieg in die nächsthöheren Stufen reicht es nicht aus, irgendwelche Arbeiten zu erledigen oder ein braves, angepasstes Mitglied unserer Gesellschaft zu sein. Nein, dazu gehört weit mehr.«

»Und was hat das mit meinem Auftrag zu tun?«

»Sehr viel. Was weißt du über den Kerl, zu dem wir hinfahren?«

Ich zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Patrick Walston ist reich, besitzt ein ganzes Konglomerat an Unternehmen, seine Frau ist verstorben und er hat eine Tochter, die man entführen wollte. Deswegen hat er sich an den Hohen Rat gewandt und jemanden von uns als Bodyguard angefordert. Das ist alles, was ich weiß.«

Sie nickte anerkennend, auch wenn es kaum ernst gemeint war. »Das hast du schön auswendig gelernt, Derek, alle Achtung!«

»Würdest du mir jetzt endlich verraten, was du von mir willst?«, fragte ich ungeduldig, da sie immer noch beharrlich schwieg.

»Ich will Walston und dessen Reichtum benutzen, um die nächste Stufe zu erklimmen. Wenn wir herausfinden, wer hinter dem Angriff auf seine Tochter steckt, wird er uns reich belohnen und wir können ...«

»Djarkow hat mir ausdrücklich mitgeteilt, dass ich mich nicht darum kümmern soll. Es sei nicht meine Aufgabe, hat er gesagt!«

Sie winkte nur ab. »Der Kerl ist ein Dummkopf!« Ich konnte kaum glauben, was sie da gerade von sich gegeben hatte. »Es würde mich nicht wundern, wenn er schon bald nicht mehr Mitglied des Rates wäre. Ich habe da so einiges läuten hören ...«

»Das interessiert mich nicht!«, unterbrach ich sie. »Ich habe einen Auftrag und nur den werde ich ausführen. Wenn es dir nicht passt, kannst du gerne wieder zurückfahren.«

»Schade«, erwiderte sie und lächelte grimmig. »Du hättest an meiner Seite in den Rängen aufsteigen können. Überleg es dir nochmal. Was hast du denn zu verlieren? Ist es wirklich dein Lebensziel, in einer winzigen Wohnung im Refugium zu versauern?« Sie strich mir sanft über die Wange. »Denk doch nur an unsere gemeinsame Zeit zurück. Hast du es nicht genossen, mit mir zusammen zu sein?«

Es lief mir kalt den Rücken runter, als ich ihre Berührung spürte. Sie hatte recht, unsere Beziehung war atemberaubend gewesen und selbst in diesem Moment verspürte ich tief in mir immer noch ein Verlangen nach ihr.

Doch dann erinnerte ich mich, wie eiskalt sie mich abserviert hatte, nachdem ich ihr beim Aufstieg nicht mehr von Nutzen sein konnte. Andere Männer waren wichtiger geworden, Personen, die ihr weiterhalfen, die mächtig und einflussreich waren. Nein, mit ihr gab es keine Zukunft.

»Lass uns zum Fahrzeug zurückkehren«, sagte ich daher kühl. »Wir sollten nicht zu spät an unserem Bestimmungsort eintreffen.«

Ohne mich umzusehen, stapfte ich in Richtung des Wagens davon.

»Ich werde dir dieses Angebot kein zweites Mal unterbreiten«, sagte sie, doch ich achtete nicht darauf, denn ich wollte kein Rad in ihren Intrigenspielchen sein.

*****

Während der restlichen Fahrt sprach sie das Thema nicht mehr an. Ich vermutete aber, dass sie ihren Plan noch nicht aufgegeben hatte. Es würde ihr nicht ähnlich sehen, sich so leicht von ihrem Ziel abbringen zu lassen. Sie war bisher immer ihren Weg unbeirrt gegangen und hatte Stolpersteine jeglicher Art rücksichtslos zur Seite geräumt. Was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, gab sie nur dann auf, wenn sich ihr ein anderes, lohnenderes Ziel darbot.

Ihre schlechte Laune musste unser armer Fahrer ausbaden. Laura genoss es, ihm gegenüber ihren weitaus höheren Rang herauszukehren und ihn bei allen Handlungen zu kritisieren. Mal fuhr er ihr zu langsam, dann gab er zu viel Gas. Sie stellte ihm Fragen, die während der Ausbildung auf dem Programm standen, und putzte ihn herunter, wenn er die Antworten nicht sofort wusste. Laura brachte ihn so aus dem Konzept, dass der arme Kerl nervös wurde und dadurch Fahrfehler beging. Darauf hatte sie nur gewartet, denn nun konnte sie ihn auch noch deswegen zur Schnecke machen.

Ich war zu feige, um mich einzumischen. Solange sie sich mit ihrem Opfer beschäftigte, ließ sie mich in Ruhe. Seine Erleichterung war fast körperlich zu spüren, als er das Fahrzeug in die Auffahrt eines hochherrschaftlichen Anwesens steuerte. Mir verschlug es fast die Sprache, als ich die riesige Villa vor mir aufragen sah. Eines der Badezimmer war bestimmt doppelt so groß wie meine gesamte Wohnzelle im Refugium. Laura hingegen war unbeeindruckt - zumindest tat sie so.

»Geh und melde uns an!«, befahl sie dem Fahrer, nachdem er den Motor abgestellt hatte. »Vielleicht schaffst du es wenigstens, diese Aufgabe zu erfüllen, ohne eine mittlere Katastrophe auszulösen!«

Mit einem hochroten Kopf stieg er aus. Wir beobachteten vom Rücksitz aus, wie er die Klingel an der Wand neben der prächtigen Tür suchte, sie aber nicht fand und sich zum Klopfen entschied.

»Der kommt bestimmt nie von der Roten Stufe weg«, lästerte Laura. »Wahrscheinlich wird ihn jemand irgendwann in einer Schlucht entsorgen.«

»Du hast ihn aber auch ziemlich durch die Mangel gedreht.«

»Mit uns sind die Ausbilder auch nie sanft umgesprungen.«

Widerwillig musste ich ihr zustimmen. Ein Zuckerschlecken war es wirklich nicht gewesen.

»Na endlich«, sagte Laura, als die Tür zur Villa geöffnet wurde. »Wie gesagt, denk über mein Angebot nach«, raunte sie mir zu, nachdem wir das Fahrzeug verlassen hatten und auf den Eingang zusteuerten. »So eine Chance bietet sich dir womöglich nie wieder.«

Kapitel 5

Clara

Ich hatte kein Auge zugemacht, nachdem ich mich in mein Zimmer zurückgezogen hatte. Unsere Haushälterin hatte mir zur Mittagszeit einen kleinen Imbiss nach oben gebracht, den ich aber kaum angerührt hatte. Ich wartete gespannt auf den Angehörigen des TSW, der für den Nachmittag angekündigt war. Würde man es ihm ansehen, dass er kein ganz normaler Mensch war? Unwahrscheinlich, denn dies wäre auf irgendeiner Seite im Netz erwähnt worden.

Unruhig wanderte ich im Zimmer auf und ab, bis ich einen Wagen die Auffahrt heraufkommen hörte. Ein junger Mann stieg aus und ging die Treppenstufen hinauf, bis er unter dem Baldachin verschwand, der über unserer Haustür angebracht war. Ein bisschen enttäuscht war ich schon, denn er hatte reichlich unscheinbar gewirkt. Meine Erwartung war mehr in Richtung sonnengebräunt, groß, breitschultrig und muskulös gegangen.

Es dauerte nicht lange und ich hörte, wie mich mein Vater nach unten rief. Etwas Herzklopfen hatte ich schon, während ich zum Arbeitszimmer ging. Überraschenderweise waren außer Dad noch drei weitere Personen im Zimmer. Von einem Mann und einer Frau sah ich nur die Köpfe und die Schultern, da sie mit dem Rücken zu mir in den Besuchersesseln Platz genommen hatten. An der Wand stand der junge Mann, der vorhin an der Tür gewesen war. Er sah reichlich nervös aus und aus der Nähe betrachtet wirkte er gar nicht mehr so unscheinbar.

»Ah, Clara, darf ich dich mit unseren Gästen Derek und Laura bekannt machen?«, richtete Vater das Wort an mich. »Der Hohe Rat des TSW hat sich entschieden, zwei seiner Mitarbeiter für deinen Schutz abzustellen.«

Er ging mit keinem Wort auf den jungen Mann ein, der dort an der Wand stand. Anscheinend war er nicht sehr wichtig und auch ich vergaß ihn sofort, als sich meine neuen Leibwächter erhoben und zu mir umdrehten. Ich hatte zunächst nur Augen für ihn. Der Mann, der da vor mir stand, erinnerte mehr an eine griechische Gottheit als an einen Menschen. Sein Gesicht, eingerahmt von dichten, schwarzen Haaren, war von einer geradezu klassischen Schönheit. Sein Anzug kaschierte kaum den athletischen Körperbau und dann dieser Blick ... strahlend blaue Augen, die sich förmlich in meinem Innersten einbrannten.

Die Frau, die sich nun in mein Blickfeld drängte, sah mich mit einer Mischung aus Spott und Verärgerung an.

»Hallo Clara!«, sagte sie kühl und hielt mir ihre Hand hin. »Auf gute Zusammenarbeit.«

Ich ergriff ihre Hand ... und hatte im nächsten Moment das Gefühl, als wäre meine Hand in einen Schraubstock geraten. Der Schmerz war unbeschreiblich und ich brach mit einem Wimmern in die Knie.

»Bist du verrückt geworden?«, hörte ich Dereks Stimme und augenblicklich ließ der unglaubliche Druck nach.

»Oh pardon!«, sagte Laura. »Ich hatte ganz vergessen, wie zerbrechlich und empfindlich normale Menschen sind. Es tut mir schrecklich leid, wirklich. Wie kann ich das nur wieder gutmachen?«

Ich presste die schmerzende Hand an meinen Körper und ließ mir von Derek auf die Beine helfen. Auch mein Vater stand neben mir und sah Laura unwillig an.

»Soll ich etwas Eis besorgen?«, fragte sie, aber ich schüttelte nur den Kopf, während sich Derek meine Hand ansah.

»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Clara«, sagte er schließlich, nachdem die Schmerzen nachgelassen hatten. Vorsichtig gab er mir die Hand.« Ich bin zu Ihrem Schutz abbefohlen und werde alles dafür tun, dass Sie sich sicher fühlen können.«

Ich hielt seine Hand wohl zu lange fest, denn Laura räusperte sich ungeduldig. »Wir sollten unser Gepäck auf das Zimmer bringen.«

»Ich lasse die Haushälterin ein zweites Gästezimmer herrichten«, sagte mein Vater. »Ihr Kollege ... ich habe leider den Namen nicht mitbekommen ...«

»Den haben wir Ihnen auch nicht genannt, weil er unwichtig ist«, erwiderte Laura. »Er ist nur unser Fahrer gewesen und wird gleich ins Refugium zurückkehren.«

»Aber es ist doch schon spät am Nachmittag. Sollte er sich nicht besser eine Nacht ausruhen, bevor er ...«

»Bitte überlassen Sie diese Entscheidung mir, Mr. Walston!«, unterbrach sie meinen Vater. »Er ist ein Angehöriger der untersten Stufe und darf sich nicht lange außerhalb unserer Grenzen aufhalten. Trag das Gepäck in das Haus, Rekrut, und dann sieh zu, dass du zurückfährst.«

»Natürlich, Ma'am.«

Allmählich verstand ich, warum er so angespannt wirkte. Mit dieser Laura auszukommen war bestimmt nicht einfach.

*****

Während des Abendessens wurde ich von Derek aufgefordert, den Überfall auf mich genau zu schildern. Selbst die geringste Kleinigkeit schien ihm wichtig zu sein.

»Ist dieser Frank Ihr Freund?«, fragte er schließlich ganz unverblümt.

Ich verneinte. »Es ist ein guter Bekannter, mehr nicht.«

»Aber Frank scheint etwas für meine Tochter zu empfinden«, ergänzte mein Vater, ohne gefragt worden zu sein.

Ich sah ihn verärgert an. »Das müssen wir ja nun wirklich nicht jetzt erörtern.«

»Alles ist wichtig, wenn es um Ihren Schutz geht«, sagte Derek.

Mein Vater leitete danach über zu der Feier im Golfclub, zu der uns Frank eingeladen hatte.

»Falls es aber Sicherheitsbedenken gibt, müssen wir nicht hingehen«, warf ich ein.

»Wenn wir dabei sind, kann überhaupt nichts passieren«, meinte Laura im Brustton der Überzeugung. »Wir sollten uns auf jeden Fall ansehen, in welchen Kreisen Sie verkehren.«

Schon wieder glaubte ich, diesen kühlen Spott in ihrer Stimme zu hören.

»Und was meinen Sie, Derek?«, fragte ich.

»Er ist meiner Meinung!«, erwiderte Laura, ohne ihm die Gelegenheit zu geben, darauf zu antworten.

»Dann werde ich Victor anrufen und ihm mitteilen, dass Clara und ich kommen werden und noch zwei Gäste mitbringen«, sagte mein Vater, derweil er das Besteck auf den Teller legte. »Frank wird sich bestimmt darüber freuen.«

Daran zweifelte ich nicht.

Während Dad in sein Arbeitszimmer ging, sah ich aus den Augenwinkeln Lauras Blick auf mir ruhen. »Stimmt etwas nicht?«

»Sie sollten mir nachher das Gelände zeigen«, sagte sie und deutete mit einer vagen Handbewegung in Richtung Garten. »Du siehst dich unterdessen hier im Haus um, Derek.«

Er akzeptierte schweigend den Befehl. Anscheinend war sie in einer internen Rangliste über ihm angesiedelt. Laut meinen Recherchen war die Struktur des TSW streng hierarchisch ausgerichtet, vergleichbar mit der des Militärs. Er hatte kaum das Esszimmer verlassen, als sich auch Laura erhob.

»Bringen wir es hinter uns«, sagte sie kurzangebunden und ging zur Tür. »Kommen Sie schon, Clara! Nur nicht so schüchtern, ich beiße nicht beim ersten Date.«

An ihren merkwürdigen Humor würde ich mich erst noch gewöhnen müssen.

*****

»Der Garten hat die Ausdehnungen eines öffentlichen Parks«, meinte Laura, nachdem wir eine Zeitlang die Wege entlanggegangen waren. »Ihr Vater scheint viel Geld zu haben.«

»Er spricht mit mir nie über seine Geschäfte.«

»Er muss ja reich sein, sonst könnte er sich gar nicht die Kosten für jemanden wie uns leisten.«

»Wie viel muss mein Vater denn zahlen, damit Sie und Derek für uns arbeiten?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Die Tarife sind flexibel und werden für einen Rekruten wie Derek vom Hohen Rat ausgehandelt. Ich denke, mit einem mittleren vierstelligen Betrag pro Tag liege ich als Schätzung nicht weit daneben.«

Schweigend gingen wir den Weg entlang, bis wir die Steinmauer erreichten, die den rückwärtigen Teil des Grundstücks von der dahinter verlaufenden Straße trennten. Sie betrachtete interessiert die Mauer, während mir allmählich langweilig wurde.

»Wie finden Sie eigentlich Derek?«, fragte sie mich unvermittelt.

»Was meinen Sie?«

»Stellen Sie sich doch nicht so dumm. Ich habe doch gesehen, wie Sie während des Abendessens ständig zu ihm hinübergeblickt haben.«

»Na ja, er ist schon sehr attraktiv. Da ist es doch nur natürlich ...«

Ich kam nicht dazu, den Satz abzuschließen, als sie mich auch schon derart hart an den Oberarmen packte, dass mich ein gewaltiger Schreck durchfuhr.

»Lassen Sie es sich nicht einfallen, mit ihm zu spielen oder eine Liebesaffäre zu beginnen! Haben Sie mich verstanden?«

»Was ... wieso sollte ich? Nehmen Sie Ihre Hände von mir! Sie tun mir weh!«

Sie kam meinem Befehl nach, drohte mir aber mit dem Zeigefinger. »Wenn unser Hoher Rat eines nicht erlaubt, so ist es eine Verbindung zwischen einem Rekruten und einem Menschen von außerhalb des Refugiums. Halten Sie sich also von Derek fern, oder Sie bringen ihn in Schwierigkeiten - und sich selbst auch!«
Ich hatte genug gehört und außerdem wurde mir die Frau mit jeder Minute unheimlicher. Die Dunkelheit, die mittlerweile hereingebrochen war, tat ein Übriges dazu. Ich drehte mich um und hastete den Weg zum Haus zurück, ohne mich noch einmal nach dieser Schreckschraube umzusehen.

Kapitel 6

Derek

Ich streckte meine Glieder und gähnte leise. Im Gegensatz zur Wohnzelle im Refugium war dieses kleine Gästezimmer mit dem bequemen Bett der Inbegriff von Luxus. Das ganze Haus war noch größer, als ich es gedacht hatte. Insgesamt gab es fünf Bedienstete zuzüglich der vier Männer, die das riesige Gelände bewachten. Je mehr ich über den Reichtum nachdachte, den Walston besaß, desto weniger wunderte ich mich darüber, dass jemand seine Tochter Clara hatte entführen wollen. Die Lösegeldforderung wäre bestimmt außergewöhnlich hoch ausgefallen.

Ich verschränkte die Hände hinter dem Kopf, starrte an die Decke und verglich Laura zum wiederholten Male mit Clara. Im Gegensatz zu meiner Kameradin konnte man Clara nicht als eine große Schönheit bezeichnen, wenngleich sie auch alles andere als hässlich war. Aber während Laura trotz all ihrer körperlichen Vorzüge kalt und berechnend wirkte - und es ja auch war - strahlte Clara Wärme und Liebenswürdigkeit aus.

Seufzend drehte ich mich auf die Seite. Warum machte ich mir überhaupt Gedanken über sie? Ich würde meine Aufgabe erfüllen, ins Refugium zurückkehren und ihr nie wieder begegnen. Zudem entstammten wir grundverschiedenen Welten. Sie hatte einen Multimillionär als Vater, während ich von Wesen abstammte, an denen irgendwelche Kerle Experimente durchgeführt hatten. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, wie es wohl sein musste, wenn man frei und ungehindert eigene Entscheidungen treffen konnte, um sein Leben zu leben, wie man es für richtig hielt.

Ein leises Klopfen an der Tür riss mich aus der Grübelei. »Es ist offen!«

Laura betrat das Zimmer, gekleidet in ein hauchdünnes Nachthemd, das mehr zeigte als es verhüllte. Alles in mir krampfte sich zusammen. Ich hatte die Erinnerung an das, was sie mir angetan hatte, weitestgehend verdrängt, aber mein Körper anscheinend nicht.

»Kannst du auch nicht schlafen?«, flüsterte sie lasziv.

»Was willst du von mir? Geht es um unseren Auftrag? Falls nicht, wäre ich gerne wieder allein!«

Sie reagierte nicht auf meine Bitte, ganz im Gegenteil. Geschmeidig wie eine Raubkatze - und mindestens so gefährlich - glitt sie auf das Bett und kam auf mich zu.

»Erinnert dich das nicht an früher?«, fragte sie und strich mir mit den Fingerspitzen über den Arm.

Ein Kälteschauer durchfuhr mich und ließ eine Gänsehaut entstehen. »Vor allem weiß ich noch genau, was eines schönen Abends passiert ist!«

Sie lächelte nur, berührte mit einer Hand meine Brust und knöpfte meine Pyjamajacke auf. »Ich musste es damals tun. Deswegen bin ich heute auch in der Lage, dir zu helfen!«

Sie rückte mir immer enger auf den Pelz, bis ich nicht mehr weiter zurückweichen konnte.

»Du hast mich belogen, Laura! Deinetwegen wurde ich auf den untersten Rang zurückgestuft und musste für ein volles Jahr die niedrigsten Arbeiten ausführen, während du als Wiedergutmachung aus dem Rekrutenstand befördert wurdest. Meine Eltern haben sich für mich geschämt! Alles nur, weil sich der Abgesandte des Hohen Rates von deinen Tränen hat beeindrucken lassen!«

»Lass uns zusammenarbeiten«, wisperte sie. »Du und ich, wir können es bis nach ganz oben schaffen. Danach müssen wir auf keinen mehr Rücksicht nehmen, sondern werden ein herrliches Leben führen. Wir beide sind doch aus ganz anderem Holz geschnitzt als all die jämmerlichen Figuren, die heute den Hohen Rat bevölkern. Die leben doch in der Vergangenheit, sind Geschichte, aber wir sind die Zukunft!«

Mittlerweile hatte sie sämtliche Knöpfe meines Pyjamas geöffnet oder abgerissen, senkte ihren Kopf und fuhr mir mit ihrer Zunge über die Brust. Gleichzeitig ergriff sie meine Hand, um mich dazuzubringen, aktiv zu werden.

Ich riss mich los, stieß sie von mir weg und sprang aus dem Bett. »Hör auf! Ich weiß doch, was du vorhast!«

Laura lag auf der Seite und lachte lautlos. »Was ist denn los mit dir?«, fragte sie schließlich. »Hast du etwa Angst vor einer Frau? Willst du wieder zurück zu deiner Mami?«

»Verschwinde aus meinem Zimmer! Ich habe hier die Chance, den Rekrutenstatus endlich loszuwerden, und die lasse ich mir von dir nicht erneut zerstören.«

Sie schnaubte höhnisch, während sie das Bett verließ. »Du bist ein Schlappschwanz, Derek, und das meine ich nicht nur im übertragenen Sinne!« Sie stieß mir verächtlich ihre flache Hand vor die Brust. »Jeder echte Mann hätte mich gepackt und genommen, wenn ich mich ihm so dargeboten hätte.«

»Es gibt ja auch keinen Mann im Refugium, der dich noch nicht hatte.«

Im nächsten Augenblick schlug sie mir so kräftig ins Gesicht, dass mein Kopf zur Seite flog. »Wag es ja nicht noch einmal, so mit mir zu reden, Rekrut!«, zischte sie. »Ich kann dir helfen oder das Leben zur Hölle machen. Such dir etwas davon aus!«

Kochend vor Wut eilte sie aus dem Zimmer und warf die Tür mit einem lauten Knall hinter sich ins Schloss. Ich hielt mir die brennende Wange, musste aber dennoch schmunzeln. Zum ersten Mal hatte ich es geschafft, Laura aus der Fassung zu bringen. Allerdings war mir klar, dass ich dafür würde bitter bezahlen müssen. Sie war schon immer nachtragend gewesen.

*****

Als ich am nächsten Morgen das Esszimmer betrat, sah ich an dem frostigen Blick, den Laura mir schenkte, dass sie sich noch nicht wieder beruhigt hatte. Es war aber auch nicht zu erwarten gewesen, doch ich beschloss, ihre schlechte Laune zu ignorieren. Aus dem gegenüberliegenden Arbeitszimmer hörte ich ein lautes Streitgespräch zwischen Clara und ihrem Vater.

»Was ist da los?«, fragte ich Laura so unbefangen wie möglich.

»Hast du keine Ohren mehr oder bist du nur taub geworden?«, knurrte sie mich an. Als ich schon nicht mehr daran glaubte, bequemte sie sich doch noch zu einer Antwort. »Die Kleine will in die Stadt und ihr Vater hält es für viel zu gefährlich.«

»Da hat er ja auch nicht ganz unrecht.«

Sie lachte höhnisch. »Wie stellst du dir eigentlich deine Aufgabe vor? Willst du sie in einem Zimmer einsperren und dich mit ihr unter der Bettdecke verkriechen? Traust du dir nicht zu, sie vor ein paar unfähigen Kerlen zu beschützen? Falls dem so ist, brauchst du nur Bescheid zu geben. Dann kannst du wieder zurück ins Refugium kriechen und ich übernehme deinen Job!«

Ich beschloss, auf ihre Ausfälle nicht weiter einzugehen. »Trotzdem sollte sie sich nicht unnötig in Gefahr begeben.«

Laura hatte schon den Mund geöffnet, um eine bissige Bemerkung von sich zu geben, als die Tür zum Arbeitszimmer aufgerissen wurde und eine wütende Clara herausgestürmt kam. In Windeseile lief sie die Treppe nach oben zu ihrem Zimmer und wenige Sekunden später hörte ich, wie eine Tür heftig ins Schloss geworfen wurde. Wesentlich langsamer und mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck verließ ihr Vater den Raum, überlegte kurz und kam dann zu uns ins Esszimmer.

»Könnte ich mit Ihnen sprechen, Derek?«

»Natürlich, Sir.«

Auch Laura wollte aufstehen, aber es wurde Zeit, ihr ein paar Dinge begreiflich zu machen.

»Er will mit mir reden, nicht mit dir! Außerdem ist es immer noch mein Auftrag. Also genieß dein Frühstück und lass mich meine Arbeit tun.«

Wenn sie vorher schon schlecht auf mich zu sprechen war, so stand sie nun kurz davor, mich anzufallen und aufzufressen. Doch sie bezähmte sich und griff sich nur ein weiteres Brötchen. Die Art und Weise, wie sie das Messer in den Teig stieß, ließ mich erahnen, wo sie es lieber hingestochen hätte.

Claras Vater wartete bereits hinter seinem Schreibtisch, als ich das Arbeitszimmer betrat. Er zündete sich umständlich eine Zigarette an und blies den Rauch zur Decke. »Sie haben wahrscheinlich mitbekommen, dass meine Tochter und ich einen kleinen ... Disput hatten?«

»Leider war es mir nicht möglich, dies zu überhören, Sir.«

»Finden Sie denn nicht auch, dass es für Clara viel zu unsicher ist, in die Stadt zu fahren?«

Er sah mich prüfend, beinahe lauernd an. Wollte er mich auf die Probe stellen, ob ich mir den Schutz seiner Tochter zutraute? »Nun, ich werde natürlich mein Möglichstes tun, um Ihre Tochter vor jedweder Gefahr zu schützen.«

»Aber Sie können nicht garantieren, dass ihr nichts zustößt, habe ich recht?«

»Ein Restrisiko gibt es immer.«

Unzufrieden stieß er den Rauch aus seinen Lungen und drückte die Zigarette aus. »Sprechen Sie mit ihr. Sagen Sie ihr, dass sie sich in Gefahr begibt und Sie für ihren Schutz nicht garantieren können. Vielleicht hört Clara ja auf Sie. Was meint eigentlich Ihre Kollegin dazu?«

»Ich meine, dass Ihrer Tochter nichts passieren kann, wenn Derek und ich in der Nähe sind!«, hörte ich Lauras Stimme von der Tür her. »Sollten es die Entführer noch einmal versuchen, haben wir außerdem die große Chance, die Kerle unschädlich zu machen.«

Claras Vater rieb sich nachdenklich das Kinn. So wie es Laura darstellte, hörte es sich gut an, wenngleich ich daran zweifelte, dass der Schutz, den wir Clara geben konnten, wirklich so absolut sein würde.

»Also gut«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch schließlich. »Wenn Sie beide meine Tochter in die Stadt begleiten, dann gebe ich meine Erlaubnis.«

*****

»Warum wollten Sie eigentlich unbedingt in die Stadt fahren?«, fragte ich die neben mir sitzende Clara, während uns der Chauffeur ihres Vaters in der bequemen Limousine zur Einkaufsmeile fuhr. »Ihnen steckt doch der Entführungsversuch noch in den Knochen, so angespannt, wie Sie aussehen.«

»Wenn ich mich jetzt in meinem Zimmer verkrieche, finde ich nie wieder den Mut, vor die Tür zu gehen. Natürlich habe ich Angst, aber die habe ich auch oben im Haus.«

»Ihnen wird schon nichts geschehen«, sagte Laura vom Beifahrersitz her und gähnte demonstrativ. »Ich habe schon ganz andere Einsätze gehabt und nie ist eine Person zu Schaden gekommen, die ich schützen sollte.«

»Haben Sie auch schon viele solcher Missionen hinter sich, Derek?«, fragte Clara.

Sie griff nach meiner Hand und ich sah Lauras missbilligenden Blick, den sie mir via Rückspiegel schenkte.

»Nicht so viele wie meine Kollegin«, gestand ich. »Aber ich wurde sehr gut ausgebildet.«

Von vorne hörte ich Laura höhnisch schnauben, aber ich war schon zufrieden, dass sie nicht irgendwelche bissigen Kommentare von sich gab. Clara stellte keine weiteren Fragen, sondern hielt nur während der restlichen Fahrt meine Hand. Es entsprach zwar nicht den Vorschriften, aber ich genoss dennoch diese Berührung. Außerdem war es nur von Vorteil, wenn sie dadurch ruhiger wurde und ihre Angst überwand.

*****

Das riesige Einkaufszentrum war unter Sicherheitsaspekten betrachtet ein einziger Albtraum. Überall konnten sich Attentäter unter die Menschen gemischt haben. Andererseits war es unwahrscheinlich, dass hier jemand auf Clara wartete. Schließlich wusste keiner von dem ungeplanten Besuch. Dennoch hielt ich Augen und Ohren offen, um eine mögliche Gefahr bereits im Ansatz zu erkennen. Zu meiner Erleichterung verhielt sich auch Laura in diesem Augenblick professionell. Sie ging ein paar Schritte hinter uns und deckte uns so den Rücken, während ich den Bereich vor uns im Auge behielt.

Clara steuerte auf eine Boutique zu. An den Preisen im Schaufenster erkannte ich, dass es sich dabei um ein ziemlich hochpreisiges Geschäft handelte. Es konnte mir nur recht sein, denn in dem Falle würden sich innen nicht zu viele Kunden befinden.

»Du hältst den Eingang im Blick«, sagte ich Laura.

»Aber natürlich, Sir«, erwiderte sie mit einem spöttischen Lächeln und salutierte vor mir. »Haben Sie sonst noch irgendwelche Befehle?«

Ich ging nicht weiter darauf ein, sondern ließ mich von Clara in das Geschäft ziehen. Zumindest befolgte Laura meine Aufforderung und postierte sich möglichst unauffällig in der Nähe des Ladens. Erst jetzt widmete ich meine Aufmerksamkeit dem Ladenbereich ... und brauchte ein paar Sekunden, um mit den auf mich einströmenden Gerüchen und Eindrücken fertigzuwerden. Von der Parfümerietheke auf der gegenüberliegenden Seite drangen verschiedene Düfte in meine Nase, die mich fast benebelten. Die einschmeichelnde Musik und farbenfrohe Ladengestaltung tat noch sein Übriges. Meine Sinne sind deutlich leistungsfähiger als die eines normalen Menschen und daher nahm ich meine Umgebung in den ersten Momenten wie durch einen dichten Schleier wahr. Das hätte nicht passieren dürfen! Mit aller Macht konzentrierte ich mich auf die zu schützende Person, auf Clara, die ein paar Meter von mir entfernt mit einer Frau - wahrscheinlich einer Verkäuferin - sprach. Jetzt sah sie zu mir herüber und winkte mich zu sich heran, während ihre Gesprächspartnerin zum rückwärtigen Teil des Geschäftes ging.

»Was ist denn los, Derek? Fühlen Sie sich nicht gut?«

»Es geht mir gut. Ich habe nur die Umgebung gesichert.«

»Es wirkte eher so, als würden Sie gleich umkippen. Kommen Sie mit zu den Umkleidekabinen und reichen Sie mir bitte die einzelnen Teile an.« Sie lächelte mich an. »Außerdem könnten Sie mir bei der Auswahl der besten Stücke helfen.«

»Ich fürchte, meine Kenntnisse auf diesem Gebiet werden Ihnen nicht nützlich sein.«

Sie winkte nur ab. »Ach was! Sie sind doch ein Mann und werden wohl instinktiv wissen, was mir steht.«

Ich hatte so meine Zweifel, aber sie griff erneut meine Hand und zog mich hinter sich her, bis wir einen abgetrennten Bereich des Ladens erreichten. Sie deutete auf den Vorhang vor der Umkleidekabine.

»Wollen Sie nicht Ihres Amtes walten und nachsehen, ob sich dahinter böse Buben verstecken?«

Sie bemühte sich, mit lockeren Sprüchen ihre Anspannung und unterschwellige Angst zu verbergen, aber es gelang ihr nicht gut genug, um mich zu täuschen. Ihre Haltung und der Ausdruck in ihren Augen verrieten mir, dass sie den Satz nur halb im Spaß gesagt hatte. Ich zog den Vorhang beiseite und warf einen Blick hinein.

»Gelände gesichert, Ma'am!« Ich ging auf ihren leichten Tonfall ein und versuchte, ihre Besorgnis etwas zu lindern. »Sie brauchen sich nicht zu fürchten. Ihnen kann überhaupt nichts geschehen!«

Sie nickte nur, sah mir tief in die Augen und kam einen Schritt auf mich zu. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, als sie mit ihrer Hand wie unabsichtlich über meinen Unterarm strich. »Danke!«, hauchte sie.

Lauras Berührung gestern Abend hatten mich erstarren und in Abwehrhaltung gehen lassen, aber bei Clara war es etwas anderes. Es war völlig neuartig und fremd für mich und mir schossen tausend Gedanken durch den Kopf. Wir standen noch wie verwirrte Kinder voreinander, als die Verkäuferin erschien und sich leise räusperte. Sie schleppte ein ganzes Bataillon an Kleidung mit sich.

»Ich habe Ihnen ein paar exquisite Modelle herausgesucht, Miss!«, sagte sie und legte die Sachen auf einem Tisch ab. »Rufen Sie mich, falls sie ein Stück in einer anderen Größe benötigen«, ergänzte sie, bevor sie den abgetrennten Bereich verließ.

Immerhin war durch das Erscheinen der Verkäuferin die Erstarrung von uns gewichen. Clara schoss das Blut in den Kopf, sodass er wie eine reife Tomate leuchtete, während sie sich hastig das erste Kleidungsstück griff und in der Umkleidekabine verschwand. Ich wandte mich ab und spähte in das Ladengeschäft, um mögliche Gefahren frühzeitig erkennen zu können. Durch die Schaufenster konnte ich das Menschengewirr im Einkaufszentrum sehen. Und ich erblickte Laura, die mit verschränkten Armen wie unbeteiligt an einem Pfahl lehnte, doch ich wusste, dass sie die Umgebung sehr genau im Auge behalten würde.

»Was halten Sie hiervon?«

Ich wandte mich wieder um und sah Clara in einem Kleid vor mir stehen, dass mir fast die Sprache verschlug. Es war so raffiniert geschnitten, dass es zwar nichts preisgab, aber dennoch die Figur der Trägerin betonte. Sie war wunderschön!

»Ich wollte es zu der Feier im Golfclub anziehen«, sagte sie und drehte sich einmal um die eigene Achse. »Natürlich brauche ich noch die passenden Schuhe dafür.«

»Es steht Ihnen ausgezeichnet!«, erwiderte ich.

Sie lächelte entschuldigend. »Ich weiß, es kommt Ihnen bestimmt etwas bieder vor, aber der Club ist stockkonservativ und der Altersdurchschnitt der Mitglieder liegt bei über siebzig Jahren. Da sollte ich lieber nicht mit etwas zu ... Offenherzigem ankommen.«

»Nein, es ist wirklich sehr hübsch.«

Nun verzog sie das Gesicht. »Hübsch ... aha. Also gefällt es Ihnen nicht?«

»Was? Wieso glauben Sie das? Nein, ich finde es sehr reizvoll an Ihnen ... also nach meiner laienhaften Meinung ... es betont Ihre ... und so ...«

Ich stotterte mich gerade um Kopf und Kragen. Warum war ich nur so nervös?

»Dann nehme ich es in die engere Wahl«, sagte sie und verschwand wieder in der Umkleidekabine. »Ich zieh mich aus und reiche es ihnen zu. Geben Sie mir dann bitte das nächste Teil in die Kabine.«

'Ich zieh mich aus!' Warum klang mir dieser Satz dröhnend in den Ohren? Wieso stellte ich sie mir gerade nackt ... Ich schüttelte den Kopf, um ihn wieder klarzubekommen. 'Denk an deine Aufgabe und behalte die Umgebung im Auge!' Was war nur mit mir los? Wollte ich unbedingt in Schwierigkeiten geraten? Laura wartete doch nur darauf, dass ich einen dicken Fehler beging, um mich damit erpressen zu können, nachdem ihr Verführungsversuch gescheitert war.

»Derek! Träumen Sie?«

Hastig wandte ich mich um und sah, wie ihr Arm aus der Kabine ragte und sie mit dem ausgezogenen Kleid wedelte.

»Nun nehmen Sie schon und geben Sie mir das nächste Teil!«

»Natürlich. Bitte verzeihen Sie, ich war für einen Moment abgelenkt.«

»Das ist nicht gerade ein Kompliment für mich.«

Himmel nochmal! Was auch immer ich sagte, es war anscheinend das Falsche. Also hielt ich meinen Mund, nahm ihr das Kleid ab und reichte ihr das nächste Stück.

*****

Ich musste ihre Ausdauer bewundern. Weit über eine Stunde lang probierte sie ein Kleidungsstück nach dem anderen an und posierte damit vor mir. Am Ende nahm ich mir ein paar Freiheiten heraus und sagte ihr, wenn ein Teil nach meiner Meinung nicht zu ihr passte. Schließlich hatte sie drei Teile und die dazu passenden Schuhe ausgewählt. Ich wunderte mich, dass Laura noch nicht wutschnaubend im Geschäft erschienen war. Als ich das letzte Mal einen Blick nach vorne riskiert hatte, lehnte sie immer noch unverändert am Pfahl. Aber ich machte mir nichts vor. Sie würde mit spitzen Bemerkungen nicht geizen, wenn wir erst allein waren.

Als Clara alles bezahlt und eingepackt hatte, hoffte ich schon, dass wir das Geschäft nun verlassen könnten. Aber sie legte noch einen Zwischenstopp in der Parfümerieabteilung ein, ließ sich einen Flakon reichen und sprühte sich eine Kleinigkeit des Inhalts auf ihr Handgelenk.

»Passt der Duft zu mir?«, fragte sie und hielt mir ihre Hand unter die Nase.

Der Duft brachte mich fast aus dem Gleichgewicht. Er war süß und betörend und in Verbindung mit der Vorstellung einer nur leicht bekleideten Clara war es beinahe um meine Selbstbeherrschung geschehen.

»Sie sollten ihn kaufen«, sagte ich daher und wunderte mich über meine kratzige Stimme.

Sie lächelte mich an und strich mir wie unbeabsichtigt mit ihren Fingerspitzen über die Wange, als sie die Hand zurückzog. »Dann werde ich mich mal auf Ihre Meinung verlassen.«

Die Stelle, an der sie mich berührt hatte, brannte wie Feuer. Dieses Gefühl und der Geruch von ihr ließen mir den Schweiß auf die Stirn treten. Ich war daher heilfroh, als sie bezahlte und wir das Geschäft verließen.

Draußen erwartete uns Laura und der Blick, den sie mir zuwarf, war mit unfreundlich nur unzureichend beschrieben. Sie schien mir auf der Stelle die Haut abziehen zu wollen und sprach kein Wort mit mir, bis wir wieder in der Villa unseres Auftraggebers angekommen waren.

»Ich hoffe, du hast dich gut amüsiert«, zischte sie mir zu, als wir das Fahrzeug verließen.

»Was glaubst du denn, was im Geschäft passiert ist? Sie hat Kleidung anprobiert und ich habe den Laden im Auge behalten.«

Laura verzog unwillig das Gesicht. »Pass nur auf, dass du keinen Fehler begehst! Du kennst ja wohl die Vorschriften.«

»Lass das mal meine Sorge sein«, erwiderte ich, bevor ich uns bei Claras Vater zurückmeldete.

Kapitel 7

Clara

Ich stand vor dem Spiegel und versuchte, meinem Make-up den letzten Schliff zu verpassen. Warum ich so viel Wert darauf legte, diese Frage konnte ich mir nicht beantworten. Es stand schließlich keine Modenschau, sondern nur der Besuch im Golfclub auf dem Programm. Ich zerrte noch etwas am Kleid herum, um es in eine bessere Passform zu bringen. Derek war der Ansicht, dass es mir am Besten stand. Ich stieß die Luft aus den Lungen, stützte mich auf dem kleinen Tisch vor dem Spiegel ab und betrachtete mich ratlos. Warum gab ich nur so viel auf seine Meinung? Ich kannte ihn doch erst seit ein paar Tagen.

»Bist du fertig, Clara?«, hörte ich meinen Vater rufen. »Wir wollen in einer viertel Stunde fahren.«

»Ich komme gleich nach unten!«, rief ich.

Ganz in Gedanken räumte ich das Notwendigste von einer Handtasche in die andere. Ich versuchte mich zu freuen, dass ich nachher Frank sehen würde, den Mann, der mir vor ein paar Tagen vermutlich das Leben gerettet hatte. Aber es ging nicht. Mein Vater hatte die letzten Tage gelegentlich Andeutungen von sich gegeben, die darauf schließen ließen, dass er einer Beziehung zwischen Frank und mir wohlwollend gegenüberstände. Mir hingegen jagte der Gedanke kalte Schauer über den Rücken. Warum konnte Frank nicht so aussehen wie Derek und warum verströmte er nicht diese geheimnisvolle Aura? Zugegeben, ich war jetzt nicht fair. Als Angehöriger des TSW hatte Derek schon per Definition einen faszinierenden Background. Aber trotzdem ...

»Kommst du, Clara?«

Erneut riss mich Vaters Stimme aus meinen Gedanken. Ich schnappte mir die Handtasche und sah zu, dass ich ins Erdgeschoss kam. Dort warteten Derek, Laura und Dad bereits auf mich. Auf Lauras Begleitung hätte ich verzichten können, denn obwohl sie sich in den letzten Tagen mit schnippischen Bemerkungen zurückgehalten hatte, war sie mir dennoch nicht ans Herz gewachsen.

»Meine Tochter ist wirklich und wahrhaftig eine junge Dame geworden«, sagte mein Vater mit Wehmut in der Stimme. »Du brauchst mittlerweile fast so lange, um dich fertigzumachen, wie deine ...«

Er sprach nicht weiter und ich wusste, wieso. Meine Mutter auch nur zu erwähnen, war ihm nicht möglich. Zu sehr nagte ihr Tod noch an ihm. Stattdessen öffnete er die Haustür, gab der an der Tür stehenden Haushälterin noch ein paar Anweisungen, und führte uns zur wartenden Limousine.

*****

Der Golfclub war einer der Countryclubs, die sich etwas auf ihre große und ruhmreiche Vergangenheit einbildeten. Auch in diesen Club wurden neue Mitglieder nur aufgenommen, wenn sich Altmitglieder für einen verwendeten, sich sozusagen als Bürgen zur Verfügung stellten. Dafür bot man den Mitgliedern und ihren Gästen auch einiges, angefangen von einem exquisiten Restaurant über eine großzügige Poolanlage mit Liegewiesen. Die Zufahrt zum Gelände wurde von einem schmiedeeisernen Tor bewacht, das sich nur öffnete, wenn man sich über ein Zugangssystem identifizierte. Auf diese Weise teilte der Club Fremden unmissverständlich mit, dass man unter sich zu bleiben wünschte.

Ich hatte es immer gehasst, meinen Vater zu seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen hierhin begleiten zu müssen. Gewiss waren nicht alle Mitglieder aufgeblasene Snobs, im Grunde genommen waren diese sogar in der Minderheit. Dennoch konnten sie einem unheimlich auf die Nerven gehen.

Unser Chauffeur parkte die Limousine auf dem für meinen Vater reservierten Platz in der ersten Reihe. Selbst auf dem Parkplatz gab es eine Rangordnung - ein weiterer Grund, das Gehabe hier lächerlich zu finden. Derek und Laura nahmen die Umgebung bereits in Augenschein, kaum dass sie aus dem Fahrzeug gestiegen waren. In einiger Entfernung von mir unterhielten sie sich über etwas, aber ich konnte nichts davon verstehen. Vermutlich machten Sie Witze über das protzige Clubhaus, auf das wir gerade zuschritten. Wir benutzten nicht den Haupteingang, sondern gingen über eine breite Treppe auf die Terrasse des Clubhauses, wo livrierte Bedienstete hin und her huschten und Getränke servierten. Mein Vater schüttelte bereits die Hände und unterhielt sich mit allen möglichen Leuten, als wir gerade angekommen waren. Ich war froh und dankbar, dass er mich dabei in Ruhe ließ und nicht wie einen Wanderpokal überall vorzeigte. Er wusste eben, wie sehr ich dieses Ritual hasste, wenn er die Runde machte und alle wichtigen Mitglieder begrüßte.

Ich genoss es, am steinernen Geländer zu lehnen und auf den menschenleeren Golfplatz hinauszublicken. Wenn ich für den Sport auch nicht viel übrig hatte, so fand ich es dennoch unheimlich beruhigend, abseits des Trubels zu stehen und die Stille auf mich wirken zu lassen.

»Jetzt weiß ich, was man unter Luxus versteht«, hörte ich Dereks Stimme neben mir, während er mich anerkennend musterte. »Das Kleid steht Ihnen wirklich ausgezeichnet.«

»Lassen Sie das besser nicht Ihre Freundin hören.«

»Sie ist nicht meine Freundin.«

»Ich habe den Eindruck gewonnen, dass sie es anders sieht.«

Er zuckte nur mit den Schultern, während er seinen Blick über den Platz streifen ließ.

»Und?«, fragte ich nach einer Weile. »Alles in Ordnung oder gibt es irgendwo eine Bedrohung?«

»Das hätte ich Ihnen schon mitgeteilt.«

Ich wandte mich ihm nun frontal zu und betrachtete ihn genauer. »Ich werde aus Ihnen nicht so ganz schlau.«

»Wie meinen Sie das?«

»Einerseits tun Sie so kalt und förmlich und andererseits ... In der Boutique hatte ich den Eindruck, als wären Sie durchaus ... also ...«

»Menschlich?«

»So wollte ich es nicht ausdrücken«, murmelte ich.

Er lächelte etwas gequält. »Ich versteh schon. Schließlich sind mir die Geschichten bekannt, die man sich über uns erzählt. Seien Sie versichert, dass wir keine Monster sind, die kaltblütig Menschen umbringen, nur weil uns jemand dafür bezahlt.«

Erneut schwiegen wir und betrachteten das Gewimmel im Clubhaus.

»Was ist sie dann für Sie?«, fragte ich schließlich.

»Wer? Laura?«

Ich nickte. »Sie ist vielleicht nicht Ihre Freundin, aber etwas verbindet sie beide doch.«

Er seufzte leise. »Wir waren vor ein paar Jahren zusammen, als sie ebenfalls noch Rekrut war. Eines Abends ...«

Er suchte nach Worten, winkte aber schließlich nur ab. »Es ist nicht so wichtig. Jedenfalls hat sie mich hintergangen, um ihren Aufstieg zu beschleunigen. Ich möchte nicht darüber sprechen.«

»Hier bist du. Ich suche dich schon überall, seitdem ich deinen Vater gesehen habe.« Frank kam freudestrahlend auf mich zu, gekleidet in einem piekfeinen Smoking, in dem er irgendwie verkleidet aussah. Er nahm mich vorsichtig in seine Arme und drückte mich an sich. »Geht es dir gut? Hast du dich vollständig erholt?«

Erst jetzt schien er Derek zu bemerken, der ihn argwöhnisch musterte. »Verzeihung, aber wir sind uns nicht vorgestellt worden. Ich bin Frank Johnston.«

Derek ergriff Franks Hand und nannte ebenfalls seinen Namen. Am anderen Ende der Terrasse sah ich nun auch Laura auftauchen, die sich unserem Standort rasch näherte.

»Nichts Verdächtiges bemerkt«, meldete sie kurz angebunden, ohne Frank auch nur im mindesten zu beachten.

Der runzelte die Stirn. »Sie habe ich hier auch noch nie gesehen. Ich bin Frank, Frank Johnston.«

»Das ist schön für Sie«, erwiderte sie kühl und ignorierte seine ausgestreckte Hand. »Ist dir etwas aufgefallen, Derek?«

Der schüttelte den Kopf. »Alles ruhig.«

»Mein Vater hat sich schon nach dir erkundigt«, sagte Frank zu mir. »Du musst ihn unbedingt begrüßen. Als ich ihm erzählt habe, was dir beinahe zugestoßen wäre, wollte er schon einen Geschäftsfreund informieren, der mit einer Detektei zusammenarbeitet. Aber ich habe ihm gesagt, dass sich dein Vater bestimmt darum kümmern wird.«

Er ergriff meine Hand und wollte mich in das Gebäude führen, als Dereks Faust sich um sein Handgelenk schloss und er mit einem leisen Schmerzensschrei meine Hand freigab.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739473918
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Gefahr Verrat Verbesserte Menschen Entführung Zuneigung Krimi Thriller Spannung Science Fiction Roman Abenteuer

Autor

  • Fiona Langley (Autor:in)

Fiona Langley lebt und arbeitet in Köln. Sie schreibt seit einem Jahr Romane in den Genres romantische SF und Fantasy.
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Titel: T.S.W. - Der Bodyguard