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Vier Mal Frau

von Katharina Mosel (Autor:in)
337 Seiten

Zusammenfassung

Nach ihrer gescheiterten Ehe wollte sich Mona erst einmal verkriechen und ihre Wunden lecken. Doch der Plan geht nicht auf: Ihre beiden besten Freundinnen, Julia und Cecilia, überreden sie, sich selbstständig zu machen. Während Mona in ihrer neuen Tätigkeit ausgerechnet mit Vanessa, der jungen Geliebten des Exmanns, konfrontiert wird, schlägt sich Julia mit der Frage herum, ob frau wirklich ihr bisheriges Leben mit wechselnden Männerbekanntschaften wegen der Liebe umkrempeln soll. Cecilia hat die Nase voll vom Alleinsein und lässt sich auf eine Online-Partneragentur ein. Doch kann man auf diese Art und Weise wirklich einen Mann fürs Leben finden? Katharina Mosel erzählt in diesem köstlich-frechen Frauenroman, dass das Leben immer wieder für Überraschungen gut ist.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über das Buch

Julia steht als erfolgreiche Unternehmerin mitten im Leben und vertreibt sich die Abende mit wechselnden Männerbekanntschaften, während die Yogalehrerin Cecilia von der großen Liebe träumt. Als die gemeinsame Freundin Mona von Lars nach langer Ehe wegen der jüngeren Vanessa verlassen wird, verändert sich auch das Leben der Freundinnen.

Cecilia versucht ihr Glück bei einer Online-Partneragentur, während Mona erste Schritte in die Unabhängigkeit wagt. Julia will ihr Leben keineswegs verändern und muss sich doch auf einmal zwischen der Arbeit und der Liebe entscheiden.

Und dann ist da noch Vanessa, die um ihre Beziehung zu Lars kämpfen muss …

Für meine Freundinnen

1

Mona

Heute Nachmittag begann Monas neues Leben. Sie musste nur noch den Gerichtstermin hinter sich bringen. Nachdem sie weinend die letzten achtzehn Monate abwechselnd bei ihrer Anwältin oder Psychologin verbracht hatte, würde das ein Kinderspiel werden.

Mona zog die Haustür hinter sich zu, verschloss sie und ließ ihren Schlüsselbund in der Handtasche verschwinden. Ihr Blick fiel auf das Türschild.

»Hier wohnen die Lehmanns« stand dort in unregelmäßiger Schreibschrift geschrieben. Nele hatte das Schild vor vielen Jahren in der Schule im Kunstkurs getöpfert. Mona erinnerte sich daran, wie ihre Tochter ihr mit kindlichem Stolz das damals selbst gemachte Teil überreicht hatte. Lars und sie mussten es noch am selben Tage an der Wand befestigen. Damals hatte Mona die Lehrerin ihrer Tochter verflucht. Eine Schale hätte es doch auch getan. Egal. Nach einiger Zeit hatte sie sich an das Schild gewöhnt und es nicht mehr bewusst wahrgenommen.

Nele war längst ausgezogen, sie studierte im einhundertfünfzig Kilometer entfernten Bremen und stand kurz vor dem Abschluss. Komisch, dass sie ausgerechnet heute an so etwas denken musste.

Ihr Auto, ein in die Jahre gekommener Golf, parkte auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses. Sie warf ihre Handtasche auf den Rücksitz und schaltete die Zündung ein. Den Weg zum Amtsgericht kannte sie, weil sie ihn bereits vor einer Woche abgefahren hatte. Um diese Uhrzeit würde sie ungefähr dreißig Minuten brauchen, wenn nichts dazwischenkam.

Der Termin war erst in einer Stunde, sie hatte also jede Menge Zeit.

Lars würde einen Witz reißen, wenn er von der Probefahrt zum Gericht erfahren würde. Sie hörte ihn geradezu: Das ist wieder typisch Mona. Nur nichts dem Zufall überlassen. Alles bis ins Kleinste planen, keine Spontanität. Dabei hatte er früher genau diese Eigenschaft an ihr bewundert. Man kann sich auf dich verlassen. Du weißt immer genau, wie es weitergehen soll, hatte er oft gesagt. Früher. Heute fand er sie langweilig, spießig und nicht spontan. Mona seufzte. Schluss mit derlei Gedanken. Nur nicht wieder damit anfangen. Das hatte sie sich geschworen und daran würde sie sich von nun an auch halten. Sie schaltete das Radio ein.


Gegenüber vom Gerichtsgebäude gab es genau einen freien Parkplatz. Wie durch ein Wunder gelang es ihr, beim ersten Versuch rückwärts einzuparken. Sie gratulierte sich selbst und nahm das als ein gutes Omen für den bevorstehenden Termin. Während sie das Auto abschloss, entdeckte sie vor dem Gericht ihren Mann Lars, der sich mit einer jungen blonden Frau unterhielt.

Mona blieb stehen und musterte die beiden. Mein Gott, wie jung sie war!

Lars hatte eine neue Frisur, er trug das Haar jetzt extrem kurz. Vielleicht wollte er damit seine grauen Schläfen verdecken? Mona rief sich zur Ordnung, das war bösartig. Oder doch nicht? Ihr Mann verließ sie nach fünfundzwanzig Ehejahren wegen einer achtzehn Jahre Jüngeren, da war wohl etwas Bosheit erlaubt. Sie setzte ein strahlendes Lächeln auf, als sie auf die beiden zuging.

Ihr Noch-Ehemann hatte nicht nur die Frisur verändert, er hatte sich auch neu eingekleidet. In dunklen Edeljeans mit einer schwarzen Biker-Lederjacke und einem um den Hals geschlungenen schwarz-weiß gestreiften Seidenschal wirkte er jünger als siebenundvierzig. Diese Wirkung war vermutlich beabsichtigt. Vielleicht hatte seine neue Freundin die Sachen ausgesucht?

Lars drehte sich zu ihr um und begrüßte sie mit Handschlag. »Mona, pünktlich wie immer.« Danach legte er den Arm um seine Begleiterin und zog sie an sich. »Vanessa, das ist Mona, demnächst meine Ex-Frau. Zeit, dass ihr euch endlich kennenlernt. Komm, schüttelt euch doch die Hände.« Dabei grinste er aufmunternd in Monas Richtung.

Mona betrachtete Vanessa, die in ihrem kurzen Röckchen mit den langen schwarzen Stiefeln etwas verloren aussah. Über dem Rock trug sie, trotz des schönen Wetters, einen grauen Wollpullover. Die Ärmel waren zu lang, sodass die Hände nur zur Hälfte hervorschauten. Ihre Fingernägel waren kurz und nicht lackiert. Sie wirkte wie eine Studentin und Mona verspürte einen Anflug von Mitleid, als sie sich vorstellte, dass dieses junge Mädchen jetzt mit Lars auskommen musste. Natürlich war es geschmacklos von Lars, die neue Freundin zur Scheidung mitzubringen. Mona war sauer, wusste aber, dass er sich über solche Dinge keine Gedanken machte. Ärgern wollte er sie damit sicher damit nicht. Das war nie seine Absicht gewesen.

»Findest du, dass das der richtige Anlass ist, um deine Freundin kennenzulernen, hier, kurz vor unserem Scheidungstermin? Ein wenig mehr Taktgefühl hätte ich dir schon zugetraut.«

Lars öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, als Vanessa ihn am Arm zog und mit leiser piepsender Stimme sagte: »Ich habe dir gleich gesagt, dass es keine gute Idee ist, wenn ich mitkomme.« Dabei wirkte sie, als würde sie gleich losweinen.

Mona fühlte sich schuldig, warum eigentlich? Das war wieder so typisch für sie. Aber wenn irgendjemand verantwortlich war, dann doch wohl ihr Noch-Ehemann! Der bekam wie üblich von der Stimmung nichts mit und klopfte seiner Freundin aufmunternd auf die Schulter, während er Mona angrinste.

»Na komm schon. Wir können uns doch wie zivilisierte Menschen benehmen, oder?«

Mona beschloss, ihn zu ignorieren, und wandte sich an Vanessa. Die Frau konnte schließlich nichts für das taktlose Verhalten von Lars. »Hallo, Vanessa, ich bin die abgelegte Ehefrau Mona. Schön, dich kennenzulernen.« Sie hielt der jungen Frau, die jetzt verblüfft schaute und verlegen ihre langen Haare hinter die Ohren streifte, die rechte Hand hin.

Nach kurzem Zögern schüttelte Vanessa sie mit einem unerwartet kräftigen Händedruck und sah Mona in die Augen.

»Ich finde es auch gut, dass wir uns kennenlernen, obwohl die Umstände bisschen komisch sind.« Ihre Stimme klang nun fester als vorhin.

Mona spürte, wie sich ihre erste Annahme verflüchtigte. Also doch kein naives Mädchen. Zu Smalltalk hatte sie jetzt aber keine Lust. »Vielleicht treffen wir uns ja mal unter besseren Umständen wieder. Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück mit Lars. Du kannst es gebrauchen.« Sie wandte sich ab und ging mit betont forschen Schritten auf das moderne Gerichtsgebäude zu. Das war doch ein guter Abgang, oder?

Nachdem sie dem Pförtner das Schreiben des Gerichts mit der Einladung zum Termin gezeigt hatte, konnte sie nach einer kurzen Durchsuchung ihrer Handtasche passieren. Sie fand den Gerichtssaal im Erdgeschoss im ersten Anlauf und setzte sich auf eine Bank neben der Eingangstür.

»Lehmann ./. Lehmann« stand als Nummer fünf in der Reihe auf der Anschlagtafel. Über der Tür zum Sitzungssaal leuchtete eine Anzeige »Nicht-öffentliche Verhandlung«. Sie sah auf ihre goldene Cartier-Armbanduhr. Ein Geschenk von Lars zu ihrem zwanzigsten Hochzeitstag.

Noch fünfzehn Minuten. Ihre Anwältin würde sicher gleich kommen. Lars würde vermutlich erst kurz vor dem Termin mit seinem Anwalt und dem Blondinchen im Schlepptau auftauchen. Dieser Feigling.

Seit er vor mehr als einem Jahr verkündet hatte, dass er eine neue Frau liebte, hatte er es tunlichst vermieden, mit Mona alleine zu sein. Vielleicht hatte er Angst vor ihr? Sie schmunzelte, als sie darüber sinnierte. Nicht einmal seine Sachen konnte er alleine aus dem Haus abholen. Zur Verstärkung hatte er den gemeinsamen Freund Günther mitgenommen, der Mona während der gesamten Prozedur nicht in die Augen sehen konnte. Noch so ein Feigling. Die Regelung über die Finanzen und die Zukunft des Hauses hatten die Anwälte getroffen. Ein Treffen war dafür nicht nötig gewesen. Das Haus war bereits verkauft, Mona würde in der kommenden Woche in eine eigene Wohnung nach Hamburg ziehen. Back to the roots: Sie war in Hamburg aufgewachsen. Ironischerweise lebte auch Lars jetzt in Hamburg.

Er, der ihr jahrelang erzählt hatte, dass er das Landleben so entspannend fände und in der Stadt Platzangst bekäme. Ha ha, mit Vanessa war das nun offensichtlich kein Problem mehr.

Nele hatte erzählt, ihr Vater sei bei Vanessa in deren Zwei-Zimmer-Wohnung im Schanzenviertel untergekommen. So viel zu seiner Platzangst. Aber sie wollte auch fair sein: Immerhin hatte er ihr geholfen, in Hamburg eine Wohnung zu finden.

»Guten Tag, Frau Lehmann«, sagte eine helle Frauenstimme.

Mona sah auf. Vor ihr stand Karla Martini, eine junge Frau, die über dem Blazer eine schwarze Robe trug. Die Anwältin stellte ihre Aktentasche auf den Boden und schüttelte Mona die Hand. »Und», fragte Frau Martini,

»Sind Sie gut durchgekommen? Es ist ja vermutlich das erste Mal, dass Sie im Gericht in Schwarzenbek sind?«

»Ja, vielen Dank. Das war kein Problem, es gab sogar einen Parkplatz gleich gegenüber.« Soll ich ihr sagen, dass ich den Weg vorher abgefahren bin? Lieber nicht. Obwohl, ich habe ihr schon so viel erzählt, da kommt es auf eine weitere Macke nicht mehr an.

Mona holte bereits Luft, als die Anwältin sie anlächelte und sagte: »Dann haben Sie mir den letzten Parkplatz weggenommen. Ich musste ein paar Mal um den Block herumfahren, bis ich das Auto in eine Lücke quetschen konnte. Glücklicherweise ist es ein Mini, der nicht so viel Platz wegnimmt.« Während sie sprach,

nahm sie aus ihrer Tasche einen blauen Aktenordner und setzte sich neben Mona auf die Bank. »Haben Sie noch Fragen zum Termin? Ich hatte Ihnen ja schon erklärt, was hier heute passieren wird.« Frau Martini blätterte in der Akte.

Mona musterte sie verstohlen von der Seite. Sie sah nicht älter als Nele aus. Vermutlich war sie es auch nicht. Eine alte Schulfreundin aus Hamburg hatte sie Mona empfohlen.


Beim ersten Besuch in der Kanzlei von Frau Martini, das Büro lag in der Innenstadt von Hamburg am Neuen Wall, hatte sie zuerst Angst gehabt, dass sie sich eine Anwältin mit einem Büro in dieser Lage gar nicht leisten konnte. Dann hatte Mona Frau Martini kennengelernt und befürchtet, dass sie für den Job zu jung und unerfahren war. All die Ängste verflüchtigten sich jedoch im ersten Gespräch, denn die Anwältin erläuterte sachlich die Vorgehensweise bei einer Trennung und versicherte ihr außerdem, dass Lars als der Alleinverdiener die Anwaltskosten tragen müsse. Das war eine große Beruhigung für Mona gewesen, da sie zum damaligen Zeitpunkt außer einem Sparkonto mit einem Guthaben von einhundert Euro kein eigenes Konto hatte. Sie erinnerte sich noch daran, wie peinlich es ihr war, als sie das zugeben musste. Seit diesem Gespräch war über ein Jahr vergangen.

»Nein, im Moment habe ich keine Fragen. Mein Mann ist übrigens auch schon da. Er stand gerade mit seiner Freundin vor der Tür. Jetzt kenne ich also auch den Scheidungsgrund.« Mona lachte bitter.

Frau Martini sah von ihrer Akte auf. »Das ist ja nicht gerade besonders feinfühlig von ihm, die Frau zum Scheidungstermin mitzubringen. Wie fühlen Sie sich?«

»Ach, ich weiß nicht so recht. Eigentlich bin ich über ihn hinweg, nach dem, was er sich im letzten Jahr so geleistet hat und möchte ihn gar nicht mehr sehen. Feinfühlig war der Mann übrigens noch nie. Ich habe mich dabei ertappt, dass ich seine neue Freundin bemitleidet habe. Ist das nicht komisch?«

»Also ich finde, dass das ein sehr gutes Zeichen ist. Sie sind definitiv über ihn hinweg.« Die Anwältin lächelte sie an. In dem Moment öffnete sich die Tür des Verhandlungssaals. Heraus kamen zwei Männer in Robe, die sich nach kurzem Abschiedsgruß eilig in Richtung Ausgang bewegten. Frau Martini hatte sich erhoben und wandte sich zur Tür. »Als Nächstes sind wir dran. Es fehlen nur noch Ihr Mann und sein Anwalt.« Wie auf Kommando kam Lars zusammen mit seinem Rechtsanwalt, einem älteren Herrn, um die Ecke. Immerhin war Vanessa nicht mehr dabei. Sie stand vermutlich vor dem Gericht und wartete auf ihn. Bei dem Anwalt handelte es sich um den Vater eines Schulfreundes von Lars.

Mona vermutete immer noch, dass ihr Mann ihn ausgewählt hatte, weil er hoffte, durch die Freundschaft mit Jochen Prozente zu bekommen. Sparsam war Lars schließlich immer schon gewesen. Die Männer blieben vor der Tür stehen und begrüßten ihre Anwältin mit Handschlag. Danach schüttelte der Anwalt Monas Hand. »Frau Lehmann, wie schön, Sie wiederzusehen. Das wird hier heute sehr schnell gehen. Ich gehe davon aus, dass Ihnen die Kollegin diese Information schon übermittelt hat.«

Er drehte sich zur Anwältin um. Sie blickte ihn kommentarlos an und Mona dachte daran, dass ihr der Kerl schon beim Notartermin furchtbar auf die Nerven gegangen war. Er hielt sich offenbar für etwas ganz Besonderes. Egal, den würde sie jetzt auch noch für ein paar Minuten ertragen können. Hinter ihrer Anwältin betrat sie den Gerichtssaal.

Das helle Frühlingslicht fiel durch große Fenster in den Raum, der mit seinem in der Mitte stehenden ovalen Tisch aus Birkenholz unerwartet freundlich aussah.

Am Kopfende saß ein jüngerer, etwas korpulenter Mann in einer Robe, der alle freundlich anlächelte.

»Kommen Sie herein und nehmen Sie Platz. Ich brauche als Erstes Ihre Ausweise.«

Mona setzte sich neben ihre Anwältin. Lars hatte bereits neben seinem Anwalt Platz genommen und holte aus einer Hosentasche seine Brieftasche hervor. Mona musterte ihn unauffällig. Er wirkte so ungerührt. Als sie spürte, dass Frau Martini sie von der Seite ansah, wühlte sie hektisch in ihrer Handtasche, ihre Hände zitterten, als sie den Personalausweis auf den Tisch legte. Der Richter nahm beide Papiere und schaute kurz darauf, bevor er sie zurückreichte. Er fing an, in sein Diktiergerät zu sprechen.

Mona bekam alles nur wie durch eine Nebelwand mit. So endete also ihre Ehe heute, an diesem schönen Frühlingstag. Als alle aufstanden und der Scheidungsbeschluss verlesen wurde, konnte sie sich nur mühsam auf den Beinen halten. Es ging alles so schnell. Nach einer Viertelstunde standen alle vier wieder auf dem Gerichtsflur.

Hinterher hätte sie nicht mehr sagen können, was genau in den zehn Minuten im Gerichtssaal passiert war. Lars zog seine Jacke an und blieb vor ihr stehen. Seit langer Zeit sah er ihr das erste Mal wieder in die Augen. Er streckte seine Hand aus und sagte dabei mit heiserer Stimme: »Ich wünsche dir alles Gute, Mona. Und das meine ich wirklich ernst.«

Mona drückte seine Hand, ihre Kehle wurde noch trockener. Jetzt bloß nicht weinen. Sie biss sich auf die Lippe, bis es richtig weh tat. Reden konnte sie nicht. Lars verschwand mit seinem Anwalt den Flur hinunter. Ihre Anwältin war neben ihr stehengeblieben und zog ihre Robe aus. »Das war für Sie sicherlich ein sehr anstrengender Termin. Da wir schon alles geregelt hatten, hat es heute glücklicherweise nicht lange gedauert. Der Scheidungsbeschluss wird jetzt getippt und Sie bekommen ihn von unserem Büro zugeschickt.«

Die beiden Frauen gingen langsam nebeneinander den Flur entlang. Draußen angekommen blieb Mona stehen und schaute ins grelle Sonnenlicht. Ihr war noch immer zum Weinen zumute und sie hätte sich am liebsten irgendwo verkrochen. Genau das würde sie jetzt tun. Nach Hause fahren und sich mit einem Buch und einer Flasche Wein ins Bett legen.

Sie verabschiedete sich von Frau Martini, als sie auf einmal von hinten umarmt wurde.

Völlig überrascht drehte sie sich um und blickte in das Gesicht ihrer Freundin Julia, die sie anstrahlte. Hinter ihr stand Cecilia, die eine Flasche Sekt in der Hand hielt. Sie schwenkte die Flasche.

»Du hast ja wohl nicht wirklich geglaubt, dass wir dich an so einem Tag alleine lassen!«, rief sie.

»Wir fahren jetzt alle zu dir nach Hause und trinken die Flasche dort aus.«

Julia ergänzte: »Und wenn die eine nicht reicht, hast du bestimmt noch mehr Alkohol daheim. Damit uns nicht sofort schlecht wird, habe ich auch schon die Nummer des Pizzadienstes in deinem Kaff herausgesucht.«

Mona spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. Julia und Cecilia waren ihre besten Freundinnen. Sie kannten sich schon seit dem Gymnasium, wo sie in einer Bankreihe gesessen hatten. Nach der Hochzeit mit Lars und der Geburt von Nele gab es phasenweise nicht so viel Kontakt, aus den Augen verloren hatten sie sich aber nie. Regelmäßig trafen sie sich zu Geburtstagen in Hamburg, meistens in irgendeinem kleinen Restaurant. Nach der Trennung von ihrem Mann war der Kontakt wieder intensiver worden. Ihre Freundinnen hatten sie häufig auf dem Land besucht und Mona konnte sich bei ihnen ausheulen. In langen Gesprächen waren sie wieder enger zueinander gerückt. Aber wann die Scheidung stattfinden würde, hatte sie ihnen nicht gesagt.

»Woher kanntet ihr den Termin?« Sie drehte sich zu ihrer Anwältin um und sah sie fragend an.

»Nein, nein, ich habe nichts damit zu tun. Schweigepflicht, Sie wissen doch. Jetzt, wo Ihre Freundinnen da sind, darf ich mich verabschieden. Ich bin froh, dass Sie den heutigen Tag nicht alleine verbringen müssen. Wie schön, dass Sie so gute Freundinnen haben.« Frau Martini winkte allen zu und machte sich auf den Weg zu ihrem Auto.

»Ich habe Nele angerufen. Die war total froh, als sie hörte, dass wir dich abholen. Sie wollte ja auch erst kommen, aber das hattest du ihr wohl verboten. Nele macht sich natürlich Sorgen und wollte nicht, dass du an diesem Tage ganz alleine bist. War das übrigens gerade die Neue von Lars, die da vorm Gericht stand und auf ihn wartete? Sie ist ihm um den Hals gefallen, als er nach draußen kam. Die sieht ja blutjung aus.« Sie schüttelte ihre blondierten Locken. »Das ist total typisch Mann. Zur Potenzsteigerung ein junges Weibchen.«

»Jetzt mach mal halblang, Julia«, unterbrach Cecilia sie, »Das haben wir schon oft genug diskutiert und müssen wir hier nicht fortsetzen.« Sie legte den Arm um Mona und schaute sie mitfühlend an. »Wie war der Termin? Hat Lars sich anständig benommen? Hat er dir heute wirklich seine neue Freundin vorgestellt? Das wäre ja typisch Lars, der hatte noch nie ein Gespür dafür, wann etwas angemessen ist und wann nicht. Ich habe die beiden leider verpasst, weil ich so dringend aufs Klo musste. «

»Äh, hast du nicht gerade zu mir gesagt, dass das hier nicht der richtige Ort ist?« Julia strich ihre Haare mit beiden Händen hinters Ohr und sah Cecilia auffordernd an. »Obwohl«, sie wandte sich zu Mona um, »das würde mich jetzt auch interessieren? Hat er wirklich die Frechheit gehabt, sie dir vorzustellen! Und wie ist sie so?«

Mona konnte trotz ihrer Tränen ein Kichern nur mühsam unterdrücken. Das war wieder typisch. Julia und Cecilia mussten sich immer kabbeln, seit der Schulzeit hatte sich daran nichts geändert. Bessere Freundinnen konnte sie sich gar nicht wünschen. Und wie schön, dass sie diesen schwierigen Tag nicht alleine verbringen musste.

Getrauert hatte sie wirklich schon genug. Schließlich fing heute ihr neues Leben an.

»Darf ich jetzt tatsächlich auch etwas sagen oder wollt ihr euch weiter ohne mich unterhalten?« Sie lächelte die beiden an und wischte gleichzeitig mit einem Taschentuch über ihre Augen. Wahrscheinlich sah sie jetzt aus wie ein Panda. »Das heute war eine Angelegenheit zwischen Lars und mir und hatte mit Nele gar nichts zu tun. Leider hat Lars das nicht verstanden und mir seine neue Freundin vorgestellt. Sie heißt übrigens Vanessa und sieht eigentlich ganz nett aus. Mir tut sie schon fast leid. Viel mehr weiß ich auch nicht. Es ist total süß von euch, dass ihr hier seid. Das werde ich euch nie vergessen. Und jetzt fahren wir erst einmal zu mir. Es sieht zwar nicht mehr so gemütlich aus, weil schon Einiges in Kisten verpackt ist. Ich finde aber, dass das zur Situation passt. Wir trinken dann auf mein neues Leben bei euch in Hamburg.« Sie legte die Arme um ihre beiden Freundinnen. Gemeinsam gingen sie zu ihrem Auto.

Cecilia drückte ihr die Flasche in die Hand. »Am besten, ihr beide fahrt zusammen und ich folge euch mit meinem Auto. Ich habe etwas weiter weg geparkt, fahrt ruhig schon los.«

Julia prustete laut. »Etwas weiter weg geparkt ist die Untertreibung des Jahrhunderts. Wir mussten fast zehn Minuten zu Fuß gehen, weil Cecilia kein Navi in ihrem alten Auto hat und wir den Weg nicht gefunden haben. Ein Glück, dass wir rechtzeitig hier waren.«

Cecile hob abwehrend ihre Hand. »Ich dachte ja auch, dass du dein iPhone dabeihast, normalerweise schleppst du das Teil doch überallhin mit. Ich konnte nun wirklich nicht ahnen, dass es ausgerechnet heute anders ist, sonst hätte ich mir natürlich vorher die Route ausgedruckt.«

»Ja, ja. Woher sollte ich auch wissen, dass du kein Navi hast. Das hat doch heutzutage jeder. Mein iPhone ist kaputt, morgen bekomme ich ein neues. Und mein Wagen ist zur Inspektion in der Werkstatt«, maulte Julia.

»Nächstes Mal fahren wir halt mit deiner Luxuskarosse anstatt mit meinem kleinen Gefährt. Bei dem Benzinverbrauch schädigen wir dann zwar die Umwelt noch mehr, aber egal.« Cecilia lebte sehr umweltbewusst und fuhr nur mit ihrem alten VW-Bus, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ.

»Was an dem alten Gefährt umweltfreundlich ist, weiß ich wirklich nicht. Der verbraucht doch doppelt so viel Sprit wie mein BMW.« Julia musste wie immer das letzte Wort haben.

»Es wird kein nächstes Mal geben, ihr Lieben. Und wenn ihr jetzt so weiter macht, fahre ich doch lieber alleine nach Hause und trink mir einen an.« Mona ging um ihr Auto herum und öffnete die Türen.

Julia und Cecilia hoben gleichzeitig die rechte Hand und salutierten.

»Aye, aye, ma capitaine. Euer Wunsch ist uns Befehl.« Das war ein alter Scherz aus der Schulzeit.

Immer dann, wenn Mona keine Lust mehr auf die kleinen Streitereien der beiden hatte, taten sie sich schnell wieder zusammen und reagierten auf diese Weise.

Inzwischen war es zu so etwas wie einem geflügelten Satz von ihnen allen geworden.

»Was du uns gleich noch in Ruhe erzählen musst«, Julia, nahm auf dem Vordersitz des Golfs Platz, »ist, warum ausgerechnet du Mitleid mit der Neuen von Lars hast?«

2

Vanessa

Auf der Fahrt zurück nach Hamburg schaute Vanessa immer wieder zu Lars, der mit seinem BMW in gewohnter Weise auf der Überholspur der Autobahn fuhr und seinem Ärger über »lahme Enten!« durch lautstarke Beleidigungen Luft machte. Das war eine der wenigen Eigenschaften, die sie nicht an ihm schätzte. Zudem konnte sie es immer noch nicht so wirklich verstehen, was dieser siebenundvierzigjährige selbstständige Unternehmensberater, gutaussehend und erfolgreich noch dazu, an ihr fand. Erst recht, nachdem sie seine Frau heute gesehen hatte. Ex-Frau, korrigierte sie sich selber. Das »Ex« würden beide heute mit einem Essen bei ihrem Lieblingsitaliener feiern. Der Tisch war schon bestellt.

Vanessas Gedanken wanderten wieder zu Mona. Was für eine attraktive Frau. So hatte sie sich die Ex von Lars nun wirklich nicht vorgestellt.

Vermutlich deshalb, weil er von ihr immer nur als meinem langweiligen Hausmütterchen gesprochen hatte. Also langweilig hatte Mona heute mit ihrer schicken Kurzhaarfrisur und dem Mantel mit Leo-Print wirklich nicht ausgesehen. Sie selber würde so einen Mantel zwar nie tragen, aber trotzdem.

Natürlich war es nicht in Ordnung von Lars gewesen, sie zu dem Scheidungstermin mitzunehmen. Das hatte Vanessa ihm vorher auch gesagt. Warum war sie dennoch mitgefahren? Wenn sie ganz ehrlich zu sich war, dann deshalb, weil sie Mona wenigstens einmal mit eigenen Augen sehen wollte. Gut, das hatte geklappt. Aber um welchen Preis?

Vanessa rief sich zur Ordnung. Du bist neunundzwanzig Jahre alt und erfolgreich in deinem Job als Fotografin. Hör auf, dich zu vergleichen. Wenn du genauso wärst wie Mona, wäre Lars nicht mit dir zusammen.

Sie umfasste mit ihrer linken Hand die von Lars und sagte mit betont fröhlicher Stimme: »Und wie fühlst du dich jetzt, wo alles vorbei ist?«

Lars drehte den Kopf kurz zu ihr, bevor er seinen Blick wieder auf die Fahrbahn richtete. »Um ehrlich zu sein, ich weiß es gar nicht«, sagte er mit ungewohnt rauer Stimme. »Es war schon komisch heute im Gerichtssaal. Ich meine, Mona so zu sehen. Das war irgendwie das Gefühl von Niederlage.«

»Bereust du es?« Vanessa hasste sich sogleich für ihre etwas zittrige Stimme.

»Nein, nein, mein Schatz!« Schnell drückte er ihre Hand. »Auf keinen Fall. Das meinte ich nicht. Mach dir bitte keine Sorgen. Es ist nur so, wenn man heiratet, denkt man ja, dass es für immer ist. Du weißt schon, bis das der Tod uns scheidet und so. Und heute vor Gericht …« Lars verstummte, legte beide Hände auf das Lenkrad und beschleunigte den Wagen.

Zum ersten Mal, seit sie zusammen waren, merkte Vanessa, dass Lars die Scheidung nahe ging. Bisher hatte er immer beteuert, es sei normal, sich zu trennen, wenn man sich auseinandergelebt hätte. Eine Einstellung, der Vanessa ohne Wenn und Aber zustimmte. Für sie käme eine richtige Beziehung ohne Liebe auch niemals in Frage. Sie kannte Lars jetzt über ein Jahr. Anfangs ging sie davon aus, dass ihr Verhältnis nur kurze Zeit dauern würde.

Schließlich waren sie zu unterschiedlich: Er, der gut situierte Unternehmer und sie, die kleine Selbstständige, die jeden Euro umdrehen musste. Vom Altersunterschied ganz zu schweigen.

Kennengelernt hatten sie sich bei einer Feier ihres Freundes Sam. Sie hatte für Sam Fotos von seiner Firma gemacht, die er im Rahmen des zehnjährigen Bestehens seines IT-Unternehmens ausgestellt hatte.

Dort war auch Lars erschienen, zusammen mit einem Geschäftspartner. Es war keine Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sie war mit Lars ins Gespräch gekommen, nachdem Sam sie und ihre Bilder vorgestellt hatte. Lars hatte ihr ein paar Komplimente für die Bilder gemacht, nach Ende der Veranstaltung war sie mit ihm, Sam und ein paar anderen Leuten etwas trinken gegangen. Der Abend endete damit, dass sie Lars in nicht mehr ganz nüchternem Zustand mit in ihre Wohnung genommen hatte. Vanessa war zu diesem Zeitpunkt solo und hatte Lust auf ein sexuelles Erlebnis mit einem attraktiven, interessanten Mann. Der Sex war überraschend einfühlsam und befriedigend. So etwas hatte sie lange nicht mehr erlebt.

Natürlich wusste sie, dass Lars verheiratet war. Das hatte er ihr sofort gesagt. Er konnte daher in dieser Nacht auch nicht bei ihr bleiben und verließ sie gegen zwei Uhr morgens. Telefonnummern hatten sie damals nicht ausgetauscht. Lars hatte schließlich gewusst, wie er sie erreichen konnte.

Vanessa war davon ausgegangen, dass auch Lars nur einen One-Night-Stand gesucht hatte. Umso erstaunter war sie, als er sie schon am nächsten Tag in ihrem Fotostudio anrief.

Sie verabredeten sich zum Mittagessen und redeten so lange, bis der Wirt sie mit sanfter Gewalt aus dem Lokal drängte. So hatte es begonnen und sie hatte es von Anfang an genossen. Und das war bis heute so geblieben. Gedanken über die Familie von Lars hatte sie mehr oder weniger ausgeblendet. Sie hatte sich in diesen Mann verliebt und alles andere ignoriert. Bis heute. Wäre sie doch bloß nicht mit zum Gerichtstermin gefahren.

»Meinst du, dass deine Exfrau alleine zurechtkommt?«, fragte sie Lars, als sie am Horner Kreisel angelangt waren.

»Mona? Wie kommst du jetzt auf die? Du hast dich doch vorher auch nicht für sie interessiert.«

»Vorher kannte ich sie ja auch nicht«, antwortete sie in schnippischem Tonfall.

»Verstehe, du nimmst es mir immer noch übel, dass ich dich mit zum Termin genommen habe. War wohl auch tatsächlich keine besonders gute Idee von mir. Ich wollte halt, dass ihr beiden euch mal kennenlernt. Kann ja sein, dass ihr euch noch mal begegnet.«

»Wo bitte sollten wir uns denn zukünftig begegnen?«

»Na ja, vielleicht auf Familienfesten oder so. Du weißt schon.«

»Nein, ich weiß es nicht.« Sie hasste sich sofort für die Eifersucht, die sie gerade verspürte. »Das ist das Erste, was ich höre. Ich meine, du weißt, dass ich Nele sehr gern habe. Aber warum sollte ich noch einmal mit Mona zusammentreffen?«

Lars schwieg und blickte demonstrativ nach vorn.

Vanessa lehnte sich im Sitz zurück und schaute aus dem Seitenfenster. War das jetzt ihr erster richtiger Streit? Wegen der Exfrau? Und das an einem Tag, der doch eigentlich ein glücklicher sein sollte. Schließlich war ihr Lars endlich ein freier Mann. An der nächsten roten Ampel beugte er sich zu ihr hinüber und gab ihr einen zarten Kuss auf die Wange.

»Komm, lass uns doch bitte das Thema wechseln. Wir machen gleich einen Spaziergang um die Alster und gehen heute Abend zu ›Luigi‹, wie abgemacht. Und vor dem Essen kannst du einmal ausprobieren, wie der Sex mit mir als Single so funktioniert.«

Vanessa musste gegen ihren Willen lachen, ihre trüben Gedanken verschwanden. »Da hast du den Rest des Tages ja schon gut verplant. Woher weißt du eigentlich, dass ich keine weiteren Termine mehr habe?«, fragte sie provokant.

»Ich wusste es nicht, habe es aber vermutet. Schließlich wollten wir heute doch ganz besonders feiern.« Er stieg nicht drauf ein und küsste sie erneut, dieses Mal auf den Mund.

Vanessa spürte den Kuss bis in ihren Unterleib. Sie hätte jetzt sofort mit ihm im Auto Sex haben können.

»Vielleicht können wir die Reihenfolge ändern? Du weißt schon, erst der Sex und dann der Spaziergang?«

Lars lachte sie an und gab Vollgas.


Der Spaziergang um die Alster fiel flach. Lars und Vanessa verbrachten den Nachmittag zusammen im Bett. Kaum, dass sie das Appartement erreicht hatten, fielen sie auch schon übereinander her. Vanessa konnte gerade noch die Tür schließen. Lars schob die Hand unter ihren Pullover, zielstrebig auf der Suche nach ihrer Brustwarze, die er mit seinen Fingern zu kneten begann. Gleichzeitig küsste er sie heftig auf den Mund. Vanessa erwiderte seinen Kuss mit einer wilden Leidenschaft. Blöderweise musste sie dabei an Mona denken. Hatte er das mit ihr auch so gemacht? Sofort verbot sie sich die Vorstellung und überließ sich ganz ihren Empfindungen.

Nach einer ersten schnellen Vereinigung blieben sie im Bett und tranken den von Vanessa extra für den Anlass kalt gestellten Prosecco. Danach liebten sie sich noch einmal, langsamer und intensiver. Irgendwann danach schlief Lars ein.

Durch die Balkontür sah Vanessa die letzten Sonnenstrahlen. Es war inzwischen sechs Uhr abends geworden, der Tisch war für acht bestellt. Ihr Blick fiel auf den Kleiderständer auf Rollen direkt neben dem Bett. Dort hingen die Anzüge von Lars, die er für seinen Job brauchte. Weitere Klamotten von ihm befanden sich in ihrem Schrank, der jetzt aus allen Nähten platzte.

Vanessa liebte ihre kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im Schanzenviertel. Obwohl Lars nur wenig aus seinem früheren Zuhause mitgebracht hatte – das meiste hatte er eingelagert oder in seiner Firma deponiert – wirkte die Wohnung vollgestopft. Zu überladen für Vanessas Geschmack. Bislang hatten sie noch nicht darüber gesprochen, wie es wohntechnisch weitergehen würde. Erst sollte der Scheidungstermin abgewartet werden. Nun ja, diese Hürde war jetzt genommen.

Vanessa seufzte. Die Vorstellung, aus ihrer vertrauten Wohnung auszuziehen, gefiel ihr nicht. Anderseits konnte sie mit Lars hier auf Dauer nicht zusammenleben und zusammenleben wollte sie mit ihm. Es war sowieso rätselhaft, wie er es in der Wohnung so lange mit ihr ausgehalten hatte.

Er, der doch an ein großes Haus gewöhnt war. Sie seufzte noch einmal.

»Was ist los, geht es dir nicht gut?« Lars war aufgewacht und setzte sich auf. Er legte ihr den Arm um die Schulter und presste sie an sich.

»Nein, es ist alles okay. Ich habe nur nachgedacht.«

»Leg dich wieder hin. Wir haben noch Zeit, bis wir zum Essen aufbrechen müssen. Lass uns versuchen, ob wir es nicht noch ein drittes Mal hinbekommen.«

Vanessa schubste ihn spielerisch von sich. »Du bist unersättlich. Ich muss jetzt duschen und mich hübsch anziehen. Schließlich wollen wir doch feiern. Außerdem habe ich Hunger. Vielleicht können wir ein bisschen früher gehen.«

Vanessa stand auf und streckte sich, bevor sie ins Badezimmer ging. Dort schaute sie in den großen ovalen Spiegel über dem Waschbecken. Sie musterte sich kritisch. Ihre langen Haare hingen wirr herunter. Wie immer fand sie ihre Nase zu groß und ihre blauen Augen zu eng beieinanderstehend. Daran würde sich in diesem Leben nichts mehr ändern. Sie zog eine Grimasse und streckte die Zunge heraus. Dann stellte sie sich unter die Dusche und fing an, sich mit Duschgel einzuseifen. Kurze Zeit später erschrak sie, denn Lars stieg zu ihr und umfasste ihre Brüste von hinten. Sie hatte nicht gemerkt, dass er den Raum betreten hatte; der Dampf der heißen Dusche beschlug alles im kleinen Badezimmer. Vanessa ließ sich gegen ihn fallen und gab sich noch einmal dem wohligen Kontakt mit seinem Körper hin. Sie spürte, dass Lars schon wieder erregt war und überlegte, ob sie es mit ihm in der Dusche treiben sollte.

So viel Sex hatte sie seit ihren frühen Zwanzigern nicht mehr gehabt. Dann dachte sie an den Tisch bei Luigi und hörte ihren Magen knurren. So viel zum Sex.

Sie drehte sich um und gab Lars einen Kuss auf sein Schlüsselbein. Während sie sich abtrocknete, überlegte sie, welches Kleid sie anziehen sollte. Lars mochte kurze, enge Kleider. Das hatte er ihr schon beim ersten Mal erzählt, als er ihr das anliegende schwarze Wollkleid ausgezogen hatte, das sie sich extra für den Abend bei Sam gekauft hatte. Vielleicht sollte sie es zur Feier des Tages anziehen. Eigentlich war Vanessa eher der Jeanstyp, bis jetzt hatte sie nie gerne Kleider getragen. Seit sie mit Lars zusammen war, fühlte sie sich auf einmal in kurzen Röcken und Kleidchen sexy und hatte in ein paar kleinen Läden in der Nachbarschaft ihre Garderobe ergänzt.

In ein Badetuch gehüllt öffnete sie den Kleiderschrank. So viele Auswahlmöglichkeiten für einen festlichen Anlass hatte sie nicht, sie griff nach dem schwarzen Kleid. Vermutlich war es etwas zu warm für das schöne Wetter. Als Lars einige seiner Sachen in den Kleiderschrank geräumt hatte, war er erstaunt darüber gewesen, wie wenig Kleidung sie besaß.

»Mona hat einen doppelt so großen Schrank, randvoll gefüllt mit Klamotten.«

»Wer braucht schon so viele Sachen?«, hatte sie geantwortet und war stolz darauf gewesen, sich von seiner Frau zu unterscheiden.

Heute wäre sie froh, wenn sie ein wenig mehr Auswahl hätte. Und Mona hatte wirklich toll ausgesehen mit dem Mantel und den schicken Stiefeln.


Eineinhalb Stunden später saßen sie sich bei »Luigi« gegenüber und prosteten sich mit Champagner zu. Den hatte Lars zur Feier des Tages ausgesucht. Um diese Uhrzeit war das Restaurant fast leer, nur ein weiterer Tisch war besetzt. An dem saßen vier ältere Frauen, die sich lebhaft unterhielten.

Vanessa hatte schon zwei der kleinen Brötchen aufgegessen, die ein Kellner zusammen mit einer Flasche Olivenöl auf den Tisch gestellt hatte. Sie verbot sich den Gedanken an ein weiteres und musterte Lars, der immer noch in die Speisekarte vertieft war.

»Eigentlich solltest du die Karte auswendig können, so oft, wie wir hier waren. Vermutlich isst du doch sowieso wieder dasselbe«, neckte sie ihn. »Vorweg italienische Vorspeisen und danach irgendein Stück Fleisch mit Gemüse.«

Lars sah auf und legte die in Leder eingefasste Karte vor sich auf den Tisch. »Du kennst mich schon gut«, er grinste. »Ich biete dir offenbar gar keine Überraschungen mehr. Das wiederum ist nicht gut.« Er griff nach Vanessas rechter Hand, mit der sie gerade das Glas zum Mund führen wollte und umfasste sie. »Da muss sich doch sofort etwas ändern.« Lars gab ihr einen Handkuss und griff in die Tasche seiner Lederjacke, die über der Stuhllehne hing. Er holte einen kleinen Schlüsselanhänger mit einem silbernen Herz hervor, an dem zwei Schlüssel befestigt waren. Den Schlüsselbund schob er zu Vanessa hin und sah sie auffordernd an.

»Die sind für dich, beachte bitte das Herz. Für meine Verhältnisse ist das schon sehr viel Romantik.«

Vanessa schaute auf die Schlüssel und überlegte fieberhaft, wofür die wohl sein könnten.

Hatte Lars eine Ferienwohnung über Pfingsten angemietet? Beide hatten überlegt, ob sie über die Feiertage ans Meer fahren sollten. Sie nahm die Schlüssel vom Tisch auf und klimperte mit ihnen vor seinem Gesicht.

»Komm schon, ich bin so neugierig. Verrate mir, wofür die sind. Fährst du mit mir nach Rom oder doch eher an die Nordsee?«

Lars hielt ihre Hände fest und sah ihr in die Augen. Vanessa spürte ihr Herz wie verrückt schlagen. Würde er ihr jetzt einen Heiratsantrag machen? Ach nein, das wäre doch viel zu früh, du dumme Kuh.

»Das sind die Schlüssel zu unserem neuen gemeinsamen Heim in Eppendorf, einer wunderschönen Penthouse-Wohnung. Sie wird dir mit Sicherheit gefallen. Freust du dich?« Lars ließ ihre Hände wieder los und griff nach seinem Glas. »Auf uns beide. Auf unsere gemeinsame Zukunft. Heute fängt ein ganz neues Leben an.«

Vanessa sah Lars fassungslos an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein?

3

Mona

Im Wohnzimmer sah es schon nach Umzug aus. Die Bücher waren bereits verpackt, die Kisten an einer Wand gestapelt. Bilder lehnten an einer anderen. Das Sofa und ein Ohrensessel standen um einen kleinen Holztisch gruppiert. Der Raum wirkte riesig, weil sich kaum noch Möbel in ihm befanden. Die Sachen, die Lars nicht mitnehmen wollte, hatte Mona verkauft oder verschenkt. Ihre neue Wohnung im Univiertel war mit achtzig Quadratmetern für eine Person zwar geräumig, aber natürlich nicht vergleichbar mit einem Einfamilienhaus auf dem Land. Das Weggeben der Sachen war ihr leichter gefallen als zunächst gedacht. Viele Erinnerungen hingen daran, schließlich hatten sie und Lars etliche Einrichtungsgegenstände peu à peu zusammen ausgesucht.

Dennoch, dieser Lebensabschnitt war unwiderruflich zu Ende. Warum sollte sie sich jetzt noch mit Erinnerungen befassen? Also hatte sie nur das Nötigste behalten.

Die Sektgläser waren bereits eingepackt, sodass die drei Freundinnen den Sekt aus Wassergläsern trinken mussten. Das hatte der Stimmung aber keinen Abbruch getan, die erste Flasche war schon halb geleert.

Cecilia studierte auf dem iPad von Mona das Angebot des Pizzadienstes. Wie so oft konnte sie sich nur schwer entscheiden: »Was meint ihr? Soll ich die Pizza mit Spinat und Knoblauch nehmen? Ich stinke dann zwar furchtbar nach Knobi, ist aber egal, heute sind wir ja nur unter uns. Was nehmt ihr denn? Am besten etwas, was ich auch mag, dann können wir teilen.«

»Also ich bestelle die Pizza mit scharfer Salami und Peperoni«, sagte Julia bestimmt. »Und was heißt denn

›nur unter uns‹? Sind wir dir nicht genug? Außerdem weißt du genau, dass ich keinen Knoblauch mag.«

»Knoblauch ist gesund, er beugt Arterienverkalkung vor. Und du weißt genau, dass ich kein Fleisch esse.« Cecilia legte das iPad vor sich auf den Boden und sah ihre Freundin vorwurfsvoll an. »Du lebst viel zu ungesund, höre doch einmal auf mich.«

»Du meinst, ich soll jetzt auch vegetarisch leben, jeden Tag dreimal Yoga machen und grünen Tee trinken. Nein, danke. Übrigens«, Julia warf ihre Lockenpracht mit einer fließenden Bewegung zurück, »ich glaube nicht, dass Sekt am Nachmittag, zusammen mit Pizza, besonders gesund ist, egal ob mit Knoblauch oder Salami.« Mona, die das Gekabbel der beiden verfolgt hatte, griff mit einer Hand nach dem iPad und mit der anderen nach ihrem Handy.

»Ihr benehmt euch wie Kleinkinder. Kaum zu glauben, dass ihr bald fünfzig werdet.«

Jetzt hatte sie die gewünschte Aufmerksamkeit ihrer Freundinnen. Beide schauten sie mit großen Augen an.

»Was heißt hier bald!«, Julia schnaubte. Sie war die Älteste von den dreien. »Bei mir dauert es immerhin noch fast drei Jahre. Das ist eine sehr lange Zeit im Universum.«

»Ja, genau«, meldete sich Cecilia. »Da kann noch allerhand passieren. Und überhaupt, ich fühle mich nicht wie sechsundvierzig. Eher wie gerade Mitte dreißig.«

»Das liegt bestimmt an der biodynamischen Ernährung«, frotzelte Julia, »und an dem vielen Yoga.

Also bei mir gibt es durchaus Tage, an denen ich mich wie fünfzig fühle. Besonders, wenn ich zwölf Stunden hintereinander gearbeitet habe.«

»Du arbeitest auch viel zu viel. Kein Wunder, wenn du dann abends schlapp machst. Ich kann dir meinen Yogakurs wärmstens empfehlen. Du solltest wirklich mal vorbeikommen. Wenn du nicht in meinen Kurs willst, empfehle ich dir eine Kollegin. Danach fühlst du dich wie neu geboren. Einmal die Woche eine Stunde wäre für den Anfang okay. Mehr wäre natürlich besser. Das solltest du auch als erfolgreiche Unternehmerin hinbekommen. Work-Life-Balance ist doch das Zauberwort, welches in aller Munde ist. Selbst bei hoch bezahlten Dienerinnen des Kapitalismus. Was hindert dich also?«

Mona griff sich ihr Handy und ging, das iPad unter den Arm geklemmt, in die Küche. Diese Diskussion führten die beiden schon seit Jahren. Cecilia gab einfach nicht auf, obwohl sie inzwischen wissen sollte, dass Julia nicht der Yogatyp war. Sie rief beim Pizzadienst an und orderte die von den beiden gewünschten Pizzen, für sich selber bestellte sie eine »Vier Jahreszeiten«. Der Mann am anderen Ende der Leitung meinte, dass es circa zwanzig Minuten dauern würde. Nachdem sie das Telefonat beendet hatte, kramte sie in der Besteckschublade, die noch nicht leergeräumt war, nach Gabeln und Messern. Außerdem fischte sie aus einem gepackten Karton zwei weitere Teller hervor.

Währenddessen grübelte sie über das nach, was Cecilia gerade gesagt hatte. Zu viel arbeiten. Sie selber hatte seit fast fünfzehn Jahren nicht mehr gearbeitet, jedenfalls nicht für Geld.

Während des Studiums von Lars war sie als Kindergärtnerin tätig gewesen, diese Berufsbezeichnung gab es heute gar nicht mehr. Damals konnte sie Nele mit in den Kindergarten nehmen. Als Lars beruflich durchstartete und sich selbstständig machte, hörte Mona auf zu arbeiten. Obwohl sie ihre Tätigkeit geliebt hatte. Sie kauften das Grundstück auf dem Lande und Mona hatte mit Haus, Garten und der Betreuung von Nele genug zu tun. Allein die Zeit, die sie damit verbracht hatte, Nele als Muttertaxi zu den verschiedenen Freizeitaktivitäten zu bringen! Das waren immer lange Fahrtwege. Bis zum letzten Jahr hatte sie nicht bereut, dass sie nicht arbeitete. Jedenfalls hatte sie es nicht vermisst. Jetzt grübelte sie schon seit ein paar Monaten darüber nach, was sie in Hamburg arbeitstechnisch anfangen solle. Das Geld aus dem Hausverkauf würde erst einmal reichen, zumal sie von Lars neben einer Zahlung für den Zugewinn auch noch einen großzügigen monatlichen Unterhalt bekommen würde. Das hatte die Anwältin gut ausgehandelt. Trotzdem musste sie sich eine Arbeit suchen. Sie konnte schließlich nicht den ganzen Tag in ihrer angemieteten Drei-Zimmer-Wohnung sitzen und die Wände anstarren.

Cecilia kam in die Küche. »Haben wir dich mit unserem Gezänk vertrieben? Hoffentlich nicht. Dabei bist du doch heute diejenige, um die wir uns kümmern wollen. Komm, lass mich das nehmen.« Sie nahm ihr das Besteck und die Teller aus der Hand. »Hast du beim Pizzadienst angerufen? Ich muss dringend etwas essen, sonst bin ich gleich betrunken.« Mona folgte ihr ins Wohnzimmer, nachdem sie vorher noch eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank geholt hatte.

»Oh«, meckerte Julia, als sie die Wasserflasche in Monas Hand sah. »Gibt es jetzt nur noch Wasser, und das heute, wo ich eine Fahrerin habe, die mich abends nach Hause bringt? Das ist doch nicht dein Ernst, oder?«

»Jetzt mach mal halb lang,« erwiderte Mona. »Die Pizza kommt gleich und zumindest ich kann nicht nur Sekt trinken, aber bediene dich. Im Kühlschrank stehen noch zwei Flaschen. Und wenn die geleert sind, habe ich noch Wein. Alles, was wir heute trinken, muss nicht mehr mit umziehen. Übrigens könnt ihr heute gerne hier schlafen. Die eingepackte Bettwäsche finde ich bestimmt schnell und Cecilia kann dann auch mehr trinken. Oder muss eine von euch morgen ganz früh raus?«

»Mit ›eine‹ kannst du nur Julia meinen. Du weißt doch, dass ich vor zehn Uhr nicht anfange.« Cecilia arbeitete vormittags als Führerin im Völkerkundemuseum, nachmittags und abends gab sie Yogaunterricht.

»Ich habe morgen früh keine Termine und kann daher ausnahmsweise später ins Studio kommen. Wir können uns also einen richtigen Mädelsabend machen. Alkohol gibt es wohl genug und die Pizza kommt gleich. Fehlen eigentlich nur noch Chips und Gummibärchen und am späteren Abend vielleicht ein Softporno. Der Fernseher steht ja noch da, bei welchem Streamingdienst bist du denn?«

»Das meinst du doch wohl jetzt nicht wirklich ernst, oder?« Mona war wirklich entsetzt.

Sie hatte noch nie im Leben einen Pornofilm angesehen.

Ob sie das den Freundinnen anvertrauen sollte? Sie merkte, wie sie rot wurde.

»Julia, nicht jeder denkt über Sex so wie du. Schau mal, Mona ist das peinlich.« Cecilia stellte das Geschirr auf den Couchtisch und trat neben ihre Freundin. Julia hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und spielte mit ihrem Wasserglas.

»Natürlich meine ich das ernst. Heute beginnt für dich ein neues Leben, das hast du selber gesagt. Warum soll das neue Leben nicht mit einem knackigen Männerarsch beginnen, gebannt auf Zelluloid?«

»Julia, also wirklich!« Cecilia kicherte.

Mona setzte sich langsam in den Sessel und musterte die Freundinnen. Sie hatte den beiden in den letzten Monaten alle Einzelheiten der Trennung berichtet, hatte mit ihnen geheult und gelacht, da konnte sie nun auch die letzten Geheimnisse noch ausbreiten. Sie griff nach ihrem Sektglas und trank es in einem Zuge leer. Dann holte sie tief Luft. »Ich habe noch nie einen Pornofilm gesehen und noch nie mit einem anderen Mann als Lars geschlafen. So, jetzt wisst ihr über mich Bescheid.«

Cecilia setzte sich neben Julia auf das Sofa und schob sie ein wenig zur Seite. Beide sagten kein Wort und sahen Mona stumm an.

Nach einer für Mona gefühlten Ewigkeit brach Julia in ein schallendes Gelächter aus. Als sie sich beruhigt hatte, sagte sie: »Oh mein Gott. Du willst sagen, dass du seit über einem Jahr keinen Sex mehr hattest? Es wird wirklich Zeit, dass du nach Hamburg kommst. Wir finden da schon einen Partner für dich.«

»Ich will keinen Partner, ich bin froh, wenn ich erst einmal alleine lebe.«

Mona setzte ihr Glas geräuschvoll auf dem Tisch ab.

»Mona, Schätzchen«, mischte sich Cecilia mit ruhiger Stimme ein. »Sie meint Sexpartner, nicht Lebenspartner. Und da bin ich ausnahmsweise einmal ihrer Meinung. Ein regelmäßiges Sexleben ist wichtig für die Gesundheit.«

»Hört, hört!« Julia kicherte, beugte sich nach vorn und goss den Rest der Sektflasche in ihr Glas. »Das ist heute die Stunde der Wahrheit. Wer ist denn der derzeitige Glückliche, Cecilia, oder ist das ein Geheimnis?« Sie stellte das gefüllte Glas vorsichtig ab und stupste Cecilia in die Seite.

»Hört sofort auf damit, das ist nicht witzig.« Mona fühlte sich von den Freundinnen im Stich gelassen. Sie hatte ihnen gerade offenbart, dass es in ihrem Leben keinen anderen Mann als Lars gegeben hatte und die beiden machten Witze auf ihre Kosten, über offenbar wechselnden Intimpartner. Sie fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.

»Du hast recht«, sagte Julia, die Monas Verstörtheit zu bemerken schien. »Das ist nicht witzig, sondern mein totaler Ernst. Du brauchst jemanden, mit dem du ins Bett gehen kannst, das baut Spannungen ab. Und, solange du keinen Sexpartner hast, schaue dir ein paar Pornofilme an. Du kannst ja mit ›50 Shades of Grey‹ starten.«

Cecilia nickte Julia bestätigend zu. Das war unglaublich. Die beiden, die sich sonst über jede Kleinigkeit stritten, harmonierten in sexuellen Fragen offenbar bestens miteinander. Mona konnte es nicht fassen.

»Bevor ich dazu etwas sage, brauche ich noch etwas zu trinken.« Sie stand auf und machte sich auf den Weg in Richtung Küche. Dort angekommen, lehnte sie ihr Gesicht an die kühle Scheibe und schaute nach draußen. Sie hörte leises Gemurmel aus dem Wohnzimmer. Wahrscheinlich berieten ihre beiden besten Freundinnen gerade darüber, wie sie ihr am schnellsten einen Mann besorgen konnten. War es denn wirklich so ungewöhnlich, nur einem Mann treu zu sein? Verstanden die denn gar nicht, dass sie im letzten Jahr sehr traurig über den Verlust von Lars gewesen war und keinen Gedanken an andere Männer verschwenden konnte? Obwohl, wenn sie ehrlich zu sich selber war, vermisste sie den Sexakt schon.

Lars war ein guter Liebhaber gewesen, oder? Genau genommen konnte sie das gar nicht beurteilen, schließlich kannte sie nur ihn. Mona seufzte laut auf. Vermutlich war ihr Sexleben zu Ende. Angeblich würde eine Frau eher Opfer eines Terrorangriffs werden, als mit fast fünfzig noch einen Partner zu finden. So hatte sie es jedenfalls vor einiger Zeit in einem Frauenmagazin gelesen.

Vielleicht sollte sie sich doch Tipps von ihren sexwütigen Freundinnen geben lassen?

Es klingelte an der Haustür. Die Pizzen waren da. Nachdem Mona bezahlt hatte, kehrte sie mit drei Pizzakartons ins Wohnzimmer zurück.

Julia und Cecilia saßen immer noch da, wo Mona sie verlassen hatte. Beide schauten gierig auf die Kartons, kaum hatte Mona sie auf dem Tisch platziert. Ein appetitanregender Knoblauchduft strömte ins Freie, als sie die Deckel anhob. Sofort griffen alle zu und schoben sich die ersten Stücke in den Mund. Keine sprach, alle waren mit Essen beschäftigt.

Nachdem der erste Hunger gestillt war, brach Cecilia als erste das Schweigen: »Du bist uns doch nicht böse, oder? Natürlich wollten wir dich nicht in Verlegenheit bringen.« Dabei lächelte sie Mona an, die instinktiv zurücklächelte.

»Nur ein wenig«, meinte Julia in ihrer üblich trockenen Art, worauf alle drei in ein befreiendes Laden ausbrachen.

Mona nahm sich noch ein Pizzastück und kaute bedächtig darauf herum. Sie schluckte ein wenig bei dem Versuch, ihre Stimme nicht zittern zu lassen. »Ihr meint also, dass ich mir einen Mann fürs Bett suchen soll?«

»Genau«, entgegnete Cecilia.

»Selbst wenn ich das auch wollen sollte, woher soll das gute Stück denn herkommen? Lasst mich an eurem offensichtlich reichlich vorhandenen Erfahrungsschatz profitieren.« Mona merkte plötzlich, wie ihr das Gespräch auf einmal Spaß machte. »Jetzt doch mal Butter an die Fische. Wie lernt ihr denn so die Kerle kennen? Ich brauche da auf jeden Fall Nachhilfestunden.«

Die beiden Frauen tauschten Blicke aus. Mona war wirklich gespannt, was da jetzt kommen würde.

Julia legte ihr Pizzastück auf den Teller und setzte sich gerade hin. »Also, das wird euch jetzt vielleicht überraschen: Ich bin schon seit vielen Monaten Mitglied bei einer Online-Partnerschaftsagentur. Dort habe ich schon viele Männer ausprobiert, der fürs Leben war aber noch nicht dabei. Ich weiß auch gar nicht, ob ich den überhaupt suche. Immerhin hat so eine Partnerbörse den Vorteil, dass man die Männer ausprobieren kann. Immer, wenn mir ein Typ gefällt, verbringe ich eine Nacht mit ihm. Ich kann ihn sozusagen testen und das macht Spaß.«

»Wie, und am nächsten Morgen verabschiedest du dich und man sieht sich nie wieder? Der arme Mann. Vielleicht hat der auch Gefühle.« Mona war zu ihrer Überraschung gar nicht mehr so schockiert. Sie sah Julia an, die sich wieder ins Sofa gefläzt hatte. Heute trug sie eine Designerjeans mit weißer Seidenbluse und orangefarbener Kaschmirjacke. Farblich passend zur Jacke hatte sie orange-weiße Boots an. Julia gehörte ein großes Kosmetikstudio in Eppendorf, wo sie inzwischen mehr als zehn Frauen beschäftigte. Sie selber bediente nur noch selten in der Kabine und konzentrierte sich stattdessen voll auf das Marketing. Außerdem betrieb sie einen sehr erfolgreichen Modeblog im Netz. Sie hatte schon immer ein Auge für tolle Klamotten gehabt, auch heute sah sie wieder sehr schick aus. Als junge Frau hatte Mona nicht mit ihr konkurrieren können und darunter gelitten. Das hatte sich gegeben, als sie mit Lars und Nele in ihr Haus auf dem Lande gezogen war. Damals war ihr die Familie so wichtig gewesen und sie hatte gar nicht verstehen können, warum Julia so versessen auf ihre Karriere gewesen war. Heute sah Mona das komplett anders. Es wäre besser gewesen, sie hätte zumindest wieder stundenweise in ihrem erlernten Beruf gearbeitet. Dann stünde sie heute nicht komplett ohne Job da. Energisch schob sie diesen Gedanken beiseite.

»Und es war keiner dabei, mit dem du gerne länger zusammengeblieben wärst?«, fragte sie neugierig nach.

»Na ja. Mit dem einen oder anderen habe ich mehr als eine Nacht verbracht.« Julia lächelte versonnen.

»Du weißt genau, dass ich das nicht gemeint habe«, schnaubte Mona und sah dabei Cecilia, die den Wortwechsel stumm verfolgt hatte, mit der Bitte um Unterstützung an.

Julia blickte die beiden Freundinnen aufreizend lange an und goss sich Sekt nach. »Okay, du möchtest also Einzelheiten. Lass mich nachdenken. Gab es einen, der mir mehr bedeutet hat? Mhm … da war Peter, der hatte einen Retriever, den mochte ich sehr gerne. Aber wir mussten alle paar Stunden mit dem Hund rausgehen … Und dann Sebastian, der segelte gerne. Morgens früh um sechs Uhr an die Ostsee fahren, um dann einen ganzen Tag auf einem kleinen schwankenden Boot zu verbringen, das war auch nicht so meins. Oder … wer war denn noch nicht so schlecht … Jürgen. Der betreibt einen gut gehenden Onlinehandel mit exquisiten Weinen. Gott, was habe ich mit ihm für leckere Tröpfchen getrunken …«

Mona war total geplättet ob der Aufzählung ihrer Freundin. Das alles war komplett an ihr vorbeigezogen. Wieso hatte ihr Julia nie etwas davon erzählt? Sie sah Cecilia an. »Hast du etwas von Julias Männersuche gewusst oder bin ich hier die einzige Ahnungslose?«

Cecilia, die immer noch bedächtig an einem Stück Pizza kaute, schaute Mona fragend an. »Nein, ich habe von Julias Partneragentur nichts gewusst, ich habe aber so etwas vermutet.«

»Wie vermutet?«

»Na ja, sie hat im letzten Jahr ab und zu etwas von neuen Kerlen erzählt. Da habe ich bei mir so gedacht, dass sie die bestimmt nicht in ihrem Kosmetikstudio kennengelernt hat, hihi. Genauer nachgefragt habe ich nicht, weil es ja ihre Sache ist, nicht wahr.« Mit diesen Worten griff sie nach dem vorletzten Stück Pizza.

Mona hätte sie schütteln können. Das war typisch Cecilia. Immer auf einer anderen Wolke schwebend.

»Ihre Sache? Ich dachte immer, wir wären die besten Freundinnen und würden uns alles erzählen. Und jetzt stelle ich auf einmal fest, dass ich überhaupt nichts weiß. Gibt es noch mehr, was ich wissen sollte? Cecilia, hast du auch einen oder mehrere Männer, von denen ich nichts weiß? Oder stehst du jetzt auf Frauen?«

Julia fing an zu lachen. »Mona, Schätzchen, jetzt reg dich doch nicht so auf. Ich habe nichts von der Internetsuche erzählt, weil ich von euch keine Kritik hören wollte. Außerdem hattest du doch im letzten Jahr ganz andere Probleme, da konnte ich dir nun wirklich nicht mit meinen Männergeschichten kommen. Und Cecilia ist, soweit ich das beurteilen kann, immer noch eher dem männlichen Geschlecht zugewandt, oder?«

Mona war ihr plötzlicher Ausbruch schon wieder etwas peinlich. Sie sah Cecilia an und wollte sich gerade entschuldigen, als die sich nach vorn beugte und ihre Hand ergriff.

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, ich bin dir nicht böse. Süße, das war ein ganz schwieriges Jahr für dich. Wir sind so froh, dass du jetzt in unsere Nähe ziehst. Und nein, ich stehe normalerweise nicht auf Frauen. Vielleicht sollte ich mal darüber nachdenken, mit Männern klappt es bei mir ja auch nicht.« Cecilia stoppte und sah so in sich versunken aus, dass Mona stutzig wurde. Vielleicht grübelte sie wirklich ernsthaft über eine Frau nach als möglichen Partnerersatz? Sie bekam den Anfang des Satzes von Cecilia nicht mit.

»… gute Idee. Ich glaube, das mache ich auch.«

»Äh«, stotterte Mona ein bisschen, »Was machst du auch?«

»Eine Agentur beauftragen und eine Anzeige aufgeben. Irgendwo da draußen muss es doch auch für mich einen Partner geben!«

»Moment mal«, sagte Julia. »Stell dir das nicht so einfach vor. Da draußen laufen ganz viele Verrückte herum. Ich kann ein Lied davon singen. Du bist nicht der Typ für so etwas.«

»Wieso nicht? Ich suche einen Mann, der Vegetarier ist, Veganer wäre auch zur Not okay. Er muss umweltbewusst sein und Yoga praktizieren, außerdem gerne meditieren und Kunst lieben. So etwas muss es doch in Hamburg geben. Die Stadt ist schließlich groß genug.«

Mona sah Julia beschwörend an und gab ihr zu verstehen, jetzt bloß nicht loszulachen.

Cecilia meinte es offensichtlich ernst. Julia hatte den Wink verstanden und nahm sich das letzte Stück Pizza. Dabei tropfte ihr etwas Tomatensoße auf die Bluse.

»Ach, Mist, jetzt muss ich die in die Reinigung bringen.«

Cecilia wollte mit ihrer Serviette auf dem Fleck herumwischen, Julia schob ihre Hand zurück. »Lass mal, das ist nicht so schlimm. Ich will deine Illusionen ja nicht zerstören, aber ich glaube, dass es besser ist, wenn du einen Mann auf die normale Art kennenlernst, zum Beispiel in deinem geliebten Yogastudio oder im Museum.«

»Ja, genau«, bestätigte Mona schnell, »das glaube ich auch.« Cecilia zerknüllte die Serviette und sah Mona direkt an.

»Seit wann verstehst du etwas davon, wie und wo man Männer kennenlernt? Hast du uns nicht eben noch erzählt, dass du nur Sex mit Lars hattest? Und nein, ich praktiziere zwar Yoga und meditiere jeden Tag, deshalb bin ich aber noch lange nicht auf den Kopf gefallen. Und nein, ich bin auch kein Kind mehr, also hört sofort auf mich so zu behandeln.«

Mona zuckte zusammen. Cecilia hatte natürlich recht. Trotzdem war es ungewöhnlich für ihre Freundin, sich so anklagend zu äußern. Normalerweise eierte sie gerne etwas um heikle Themen herum. Es sei denn, diese hatten etwas mit gesunder Ernährung, Yoga oder Esoterik zu tun. Das hieß also, dass es Cecilia ernst war. Sie suchte einen Mann.

Mona schalt sich selber, weil es ihr offenbar nicht aufgefallen war, dass ihre Freundin einsam war. Klar, sie hatte im letzten Jahr im Wesentlichen nur an sich, Lars und ihre gescheiterte Ehe gedacht. War sie eigentlich immer schon so egoistisch gewesen?

»Es tut mir leid, ich bin ein Idiot. Und natürlich verstehe ich überhaupt nichts von diesen Dingen. Ich mache mir doch nur Sorgen, dass du an den Falschen geraten könntest.«

Mona stand auf und quetschte sich zwischen ihre Freundinnen auf das Sofa. Sie drückte die Hände von Julia und Cecilia.

Plötzlich war ihr wieder zum Heulen zumute. »Hört mal, ich werde euch nie vergessen, dass ihr im vergangenen Jahr für mich da wart. Und ich freue mich so sehr, dass wir demnächst nicht weit auseinanderwohnen. Und, das mit euren zukünftigen Männern, äh, das findet sich bestimmt auch noch.«

»Jetzt fang bloß nicht an zu weinen«, murmelte Julia und ließ Monas Hand los. »Du weißt, dass ich das nicht ausstehen kann. Heulende Frauen.«

»Also ich finde es gut, wenn man die Emotion einmal so richtig rauslassen kann«, sagte Cecilia und streichelte über Monas Handrücken. »Das befreit.«

»Ja, klar, was auch sonst.« Julia ergriff erneut ihr Glas.

»Ist es dir ernst mit der Partnervermittlung?« Sie beugte sich mit dem Glas in der Hand vor und sah Cecilia an.

»Dann treffen wir uns in der nächsten Woche und erarbeiten zusammen ein Profil. Ich erkläre dir auch, welche Vorsichtsmaßnahmen du treffen musst. Da du schon in den Wechseljahren bist, wie du uns oft genug erzählt hast, kannst du ja auf vegane Kondome verzichten. Obwohl, man muss auch an AIDS denken. Und natürlich erwarte ich einen ausführlichen Bericht.«

»Ich wusste gar nicht, dass es auch vegane Kondome gibt«, sagte Mona und schüttelte den Kopf.

»Ja, meine Liebe, es tun sich für dich jetzt ganz neue Welten auf. Ich habe immer welche zu Hause, leider setzen die derzeit nur Staub an.« Cecilia kicherte.

Julia kicherte ebenfalls. »Da bleibt nur die Selbstbefriedigung, oder? Gibt es im Erotikshop eigentlich eine Extra-Abteilung für vegane Produkte?«

Mona fühlte sich für einen Moment wieder wie das dritte Rad am Wagen. »Ihr wollt mich doch wieder nur veralbern, oder? Und übrigens, ich möchte auch informiert werden.«

»Ach, und ich hatte schon gedacht, dass ich für dich auch ein Profil zur Männersuche entwerfen soll«, witzelte Julia.

»Super Idee«, sagte Cecilia. »Wir suchen zu dritt.«

»Seid ihr verrückt?« Mona grinste, das Gefühl von Ausgeschlossenheit war verschwunden. »Ich muss mich zunächst in Hamburg einrichten und mir einen Job suchen. Damit bin ich genug beschäftigt. Außerdem habe ich von Männern erst einmal die Nase voll. Dann versuche ich es lieber mit Softpornos.«

»Wieso von Männern? Ich dachte, es ginge nur um Lars?« Julia konnte es nicht lassen.

Cecilia hatte ebenfalls ihr Glas erhoben und prostete Mona zu. »Auf uns, Mädels. Lasst uns die Flasche leeren.«

Mona und Julia stießen mit ihr an. »Aye, aye, ma capitaine.«

4

Vanessa

Frau Enderlein war vor einer halben Stunde gegangen. Vanessa hatte die Requisiten bereits weggeräumt, sie saß vor ihrem Laptop und schaute sich die Bilder an. Das Fotoshooting war anstrengend gewesen, weil die Kundin sich nur schwer entscheiden konnte, in welchem Outfit sie sich auf dem Bild sehen wollte.

Sie war mit einem Arm voller Kleider ins Studio gekommen, hatte Vanessas fragende Blicke ignoriert und aufreizend langsam angefangen, sich umzuziehen. Vereinbart waren zwei unterschiedliche Outfits, mit fünf verschiedenen hatte sie nicht gerechnet.

Den Auftrag hatte Lars vermittelt. Als selbstständige Fotografin war Vanessa auf die Porträtfotografie angewiesen, damit verdiente sie ihr Geld. Am liebsten schoss sie aber Fotos auf der Straße, ungeschminkt und unverstellt.

Sie seufzte, als sie sich in Erinnerung rief, mit welchen Worten die Kundin Lars gelobt hatte. So ein toller Mann, der Herr Lehmann. Er hat meinem Mann genau den richtigen Produktionschef vermittelt. Seitdem halte ich große Stücke auf ihn. Er hat ihr Studio vorgeschlagen. Obwohl … hier war die Dame verstummt und hatte sich mit einem vielsagenden Blick im Studio umgesehen.

Vanessa liebte das Loft, konnte aber nachvollziehen, wie es in den Augen von Frau Enderlein wirkte. Die Räumlichkeiten lagen in einem Hinterhof, sie teilte sich das Studio mit einer Malerin. Überall standen unfertige Acrylbilder herum, in den Ecken lagen aufgerollte Leinwände. An einer Wand lehnte ihre alte Kommode mit Spiegel, übersät mit Schminkutensilien.

Das alles wirkte etwas chaotisch, doch für Vanessa gab es keinen besseren Ort.

Als Lars das erste Mal im Studio war, hatte er gelächelt, sie in die Arme genommen und gesagt: »Meine kleine Künstlerin. Genauso habe ich mir immer ein Atelier vorgestellt.«

Damals hatte sie, verliebt wie sie war, nicht den Eindruck, dass er sie veralbern wollte oder nicht ernst nahm. Heute war sie sich da nicht mehr so sicher. Besonders, wenn sie an das Abendessen nach seinem Scheidungstermin von vor drei Wochen zurückdachte. Lars war enttäuscht und sogar ein wenig beleidigt gewesen, dass sie nicht angemessen euphorisch auf den Kauf der Penthouse-Wohnung reagiert hatte.

Sie verstand bis heute nicht, was er eigentlich erwartet hatte. Vermutlich ein Um-den-Hals-Fallen gepaart mit leidenschaftlichen Küssen im Lokal. Vanessa war stattdessen komplett sprachlos gewesen. Danach sauer, weil er die Wohnungsfrage über ihren Kopf hinweg entschieden hatte. Beide hatten ihren ersten richtigen Streit an dem Tag, an dem eigentlich seine wiedergewonnene Freiheit gefeiert werden sollte. Der Abend endete damit, dass Vanessa ihm vorgeschlagen hatte, alleine in seine so supertolle Wohnung zu ziehen. Danach gingen beide schweigend in ihr Apartment zurück und schliefen, das erste Mal überhaupt, ohne einen Gute-Nacht-Kuss oder eine zärtliche Umarmung ein.

Am nächsten Morgen kam das Thema nicht mehr zur Sprache. Beide taten so, als wäre nichts geschehen. Seitdem herrschte eine Art Waffenstillstand; Vanessa hatte die neue Wohnung noch nicht gesehen. Das sollte sich heute ändern.

Natürlich wusste sie, dass sie auf Dauer mit Lars nicht in ihrem kleinen Apartment zusammenleben konnte. Und sie wollte es so gerne. Aber doch nicht um den Preis, dass er alles allein entschied. Das hatte er mit seiner Exfrau machen können, mit ihr sollte er so nicht umgehen. Sie hatte versucht, ihm das in nächtlichen Diskussionen klarzumachen, war sich aber nicht sicher, ob er sie wirklich verstanden hatte.

»Was willst du denn?«, hatte er gesagt. »Du kannst dich doch freuen, dass ich so schnell an eine so tolle Wohnung herangekommen bin. Das war ein Schnäppchen. Du weißt doch, wie schwierig es ist, überhaupt eine Unterkunft in der Stadt zu finden. Und dann auch noch in Eppendorf. Wenn ich nicht über so gute Kontakte verfügen würde, hätten wir überhaupt keine Chance gehabt.« Dass sie auch gefragt werden wollte, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen.

Na ja, dachte sie in einem Anfall von Großmut, während sie weiter auf den Bildschirm starrte, er muss sich wohl erst noch daran gewöhnen, dass er jetzt eine Frau hat, über die er nicht bestimmen kann. Nach so vielen Jahren mit Mona. Er kennt eben keine selbstständigen Frauen. Vielleicht ist die Wohnung ja auch wirklich toll. Eine Penthouse-Wohnung in Eppendorf. So etwas werde ich mir von meinem Einkommen nie leisten können.

Tief in ihrem Innersten wusste sie, dass sich ihr ganzes Leben verändern würde, wenn sie mit ihm nach Eppendorf zöge. Nicht nur wegen der Wohnung, aber auch. Klar, das Studio würde weiterlaufen wie bisher. Ihre kleine Wohnung würde sie aufgeben müssen. Lars war zwar der Meinung, dass sie die Wohnung noch als eine Art Refugium behalten sollte, das wollte sie jedoch nicht. Ganz oder gar nicht. An den Kosten für die Penthouse-Wohnung würde sie sich zumindest teilweise beteiligen, etwas anderes ließ ihr Stolz nicht zu. Und beide Wohnungen nebeneinander vertrug ihr Geldbeutel nicht.

Sie sah auf die Uhr und fluchte. Schon nach halb sieben. Jetzt musste sie sich wirklich beeilen. In fünfzehn Minuten war sie mit Lars in Eppendorf verabredet. Sie speicherte die Fotos ab und klappte den Laptop zu. Danach schlüpfte sie in ihre Daunenjacke, löschte das Licht und schloss ab. Aufräumen würde sie morgen früh.

Lara, seit zwei Jahren ihre Untermieterin, war zurzeit mit ihrem Freund auf einem Trip in Frankreich und würde erst in der nächsten Woche zurückkommen. Sie verstanden sich gut und hatten es bisher ohne größere Probleme geschafft, die Benutzung des Studios zu regeln. Immer dann, wenn Vanessa Fotos machen musste, zog sich Lara in den hinteren Teil des Raumes zurück und ließ sie in Ruhe arbeiten. Sie teilten sich die Miete. Lara war für Vanessa inzwischen eine gute Freundin geworden. Mit ihr hatte sie auch am Anfang der Beziehung zu Lars immer wieder darüber geredet, ob es in Ordnung sei, ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann anzufangen.

»Wenn du verliebt bist, bleib bei ihm und setze ihm eine Frist«, hatte Lara gesagt. »Oder noch besser, setze dir eine Frist. Zum Beispiel ein Jahr. Wenn er bis dahin seine Frau nicht verlassen hat, verlässt du ihn. Solange genießt du einfach die Zeit.« Vanessa gefiel die pragmatische Herangehensweise und hatte sie spontan umarmt. Was würde Lara wohl zu einem Umzug nach Eppendorf sagen?

Sie hatte inzwischen ihr Fahrrad losgebunden und radelte die Hoheluftchaussee entlang. So wie sie Lara kannte, würde die ihr raten, sich erst einmal die fragliche Wohnung anzusehen. Und genau das würde sie jetzt auch tun.


Etwas außer Atem kam sie kurz vor sieben in der Oberstraße an. Das war Eppendorfs schönste Gegend. Direkt gegenüber lag der Innocenciapark, in dem schon die ersten Tulpen blühten. Sie schloss ihr Fahrrad an den schmiedeeisernen Zaun vor dem Haus Nummer zehn an. Danach sah sie sich suchend um. Von Lars keine Spur, sein BMW stand auch nicht vor der Tür. Vanessa holte ihr Handy heraus, um nachzusehen, ob er sich gemeldet hatte. Fehlanzeige. Etwas unschlüssig musterte sie das Jugendstilhaus. Es handelte sich um eines der vielen restaurierten Häuser im Stadtteil. Von außen schien es so, als wäre es gerade neu gestrichen worden, die Fassade erstrahlte in einem matten Gelb. Den zum Haus führenden gepflasterten Weg säumte rechts und links eine Buchsbaumhecke. Vanessa versuchte das Tor zu öffnen, was ihr nicht gelang. Sie blickte auf das messingfarbene Klingelbrett und entdeckte zu ihrer Überraschung den Namen »Lehmann«. Versuchsweise drückte sie auf den Klingelknopf. Nur wenige Augenblicke später öffnete sich das Tor mit einem Summen.

Hatte sie sich nicht mit Lars vor der Wohnung verabredet? Wieso stand sein Name schon auf der Klingel? Offensichtlich hatte er auch schon einen Schlüssel und wartete in der Wohnung auf sie. Na gut, vielleicht hatte sie ihn auch falsch verstanden. Das Haus sah von außen fantastisch aus. Und sehr gepflegt. Die Lage war grandios, viel schöner konnte man in Hamburg kaum wohnen. Die dunkelblaue Eingangstür war einen Spalt geöffnet, sodass sie nicht erneut zu klingeln brauchte. In dem hell erleuchteten Treppenhaus führte eine Wendeltreppe nach oben, es gab außerdem einen kleinen Fahrstuhl, der nachträglich eingebaut worden war.

Lars hatte von einer Penthouse-Wohnung gesprochen. Also drückte sie einfach im Fahrstuhl den Knopf für die vierte Etage. Oben stand ihr Freund bereits in der Eingangstür zur Wohnung und grinste sie an.

»Hallo meine Süße, nur herein. Ich bin froh, dass du gekommen bist.«

Mit seiner grauen Anzughose, dem weißen, lässig über den Hosenbund hängenden Hemd und dem um die Schultern gelegten grauen Kaschmirpullover sah er so attraktiv aus, dass Vanessas Herz einen Sprung machte. Plötzlich wusste sie wieder genau, warum sie sich in ihn verliebt hatte. Trotzdem musste sie cool bleiben, sonst würde er sofort wieder Oberwasser bekommen.

Sie trat auf ihn zu und gab ihm einen leichten Kuss auf die Wange. »Hast du gedacht, dass ich nicht komme? Du Armer. Ich hatte nur verstanden, dass wir uns vor dem Haus treffen. Ich wusste gar nicht, dass du schon einen Schlüssel hast und dein Name auf dem Klingelschild steht.« Sie ging an ihm durch den Flur vorbei direkt in ein sehr großes helles Zimmer, in dem sich einige Möbelstücke befanden, die eindeutig von einem Mann ausgesucht waren.

»Du hast schon deine Sachen aufgestellt? Schläfst du ab heute auch hier?« Vanessa spürte, wie ihr Zorn zurückkam. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Ihr Freund machte hier sein Ding und sie sollte zu allem nur ja und amen sagen.

Lars schien ihre Stimmung zu spüren. Er trat hinter sie und umarmte sie. »Sei bitte nicht sauer. Meine Sachen sind heute erst angeliefert worden. Ich wollte sie nicht länger im Büro herumstehen lassen. Aber wir können alles noch ganz anders einrichten. Schau dich doch erst einmal in Ruhe um. Ich bin sicher, dass es dir gefallen wird. Wenn es dir nicht gefällt, vermiete ich das hier und wir suchen uns etwas anders. Und dein Name kommt natürlich auch noch auf die Klingel.« Er umfasste sie ein wenig fester und schob sie in Richtung der Terrassentür, die offenstand.

Vanessa löste sich von ihm und ging nach draußen. Die Terrasse war so groß, dass man darauf Partys feiern konnte. Langsam ging sie bis zum Geländer und lehnte sich dagegen. Von hier oben konnte man den Innocentiapark sehen. Es dämmerte bereits, gleich würde die Sonne untergehen. Vanessa entspannte sich ein wenig. Ehrlicherweise konnte sie gegen die Wohnung nichts sagen, außer, dass die für sie viel zu teuer war. Sie hatte die übrigen Räume noch nicht gesehen, die Terrasse allein war aber schon so fantastisch, dass sie sich bereits ausmalte, wie sie dort an schönen Sommertagen sitzen und lesen konnte. Im Geiste stellte sie auch schon Pflanzenkübel auf. Endlich hatte sie Platz für ihre Kräuter, die in ihrer Wohnung in kleinen Töpfen auf der Fensterbank vor sich hinvegetierten. Sie drehte sich langsam herum und spürte das Geländer im Rücken.

Lars stand noch genauso da wie eben. Seinen Gesichtsausdruck konnte sie nicht deuten.

Bemüht, besonders lässig zu wirken, sagte sie: »Na, das ist hier schon einmal ein toller Blick. Die Terrasse gefällt mir auf jeden Fall und wenn der Rest der Wohnung auch so fabelhaft ist …« Sie ging auf ihn zu und schmiegte sich an ihn. Lars lachte kurz auf und umarmte sie fest. Ein paar Sekunden bleiben sie so stehen. Dann lösten sie sich voneinander und Lars zog sie zurück ins Wohnzimmer. Er führte sie in die Mitte des Raumes, in dem ein schwarzes Ledersofa stand. Genauso ein Teil, das Vanessa sich nie im Leben als Sofa ausgesucht hätte. Viel zu kalt, das musste wieder weg. Lars setzte sich und zog sie auf seinen Schoß. Dann küssten sie sich lange und intensiv. Vanessa, die seit dem vermasselten Abend keinen Sex mit Lars mehr gehabt hatte, verspürte das vertraute Kribbeln im Unterleib und drängte sich enger an ihn. Sie fühlte, wie Lars mit einer Hand unter ihren Pullover griff, auf der Suche nach ihrer Brust. Ihre Erregung wuchs und sie versuchte, den Reißverschluss seiner Hose zu öffnen. Lars murmelte ein paar unverständliche Worte in ihr Haar, schob sie herunter und legte sie auf das Sofa. Hastig stand er auf und zog Hose samt Unterhose herunter. Vanessa versuchte sich liegend von ihrer Jeans zu befreien, was gar nicht so einfach war. Als sie es mit Lars Hilfe schließlich geschafft hatte und im Rücken das kühle Leder spürte, war dieser auch schon in sie eingedrungen. Sie stöhnte tief auf und genoss das Gefühl, ihn in sich zu spüren. Einen kurzen Moment überlegte sie noch, wie sehr ihr das gefehlt hatte, und dann dachte sie gar nichts mehr.

5

Cecilia

Der Tag konnte wirklich nur besser werden, hoffte Cecilia, als sie sich mit ihren Einkäufen bepackt langsam die Treppe in den vierten Stock hoch kämpfte. Normalerweise machten ihr die vielen Stufen nichts aus. Heute hatte sie zum ersten Mal das Gefühl, dass sie sich endloszogen.

Hinter ihr lagen drei Stunden Hatha-Yoga. Beim Fortgeschrittenenkurs hatte sie selber alle Asanas mit ausgeführt, was sie als Lehrerin sonst nur selten tat. Offenbar zu selten, dachte sie jetzt. Ich bin gar nicht mehr in Form.

Sie spürte, wie eine Hitzewelle durch ihre Körper schoss. Na klar, das jetzt auch noch. Sie fühlte, wie ihr Rücken zu dampfen anfing. Heute kam wirklich alles zusammen. Vor ihrer Wohnungstür angekommen, ließ sie die Jutetaschen zu Boden sinken und kramte in ihrem farbigen Umhängebeutel nach dem Schlüssel. Es dauerte eine Weile, bis sie ihn ertastete. Sie hörte, wie das Telefon in ihrer Wohnung klingelte und eilte, die Tür offenstehen lassend, direkt ins Wohnzimmer, wo sie das Gerät von der Ladestation nahm.

»Hallo, hier spricht Cecilia, wer ist dran?«, sprach sie atemlos in den Hörer und ließ sich auf ihr Sofa fallen.

»Hallo, meine Liebe, ich bin es, Mona. Hast du meine Nummer nicht auf dem Display gesehen?«

»Nein, so ein modernes Teil habe ich nicht. Wie gut, dass du mich anrufst. Ich hatte heute einen schlechten Tag. Erzähle mir etwas Schönes, bitte. Aber warte noch einen Moment, ich muss meine Einkäufe reinholen und Teewasser aufsetzten. Ich komme sofort wieder.«

Cecilia rappelte sich erschöpft auf; alles tat ihr weh. Das würde ein längeres Gespräch werden. Sie brachte die Lebensmittel in ihre kleine Küche und setzte Wasser im Kocher auf. Dann ging sie zurück ins Wohnzimmer und griff erneut nach dem Telefon.

»Danke, dass du gewartet hast. Hier bin ich wieder. Was gibt es Neues?«

Mona klang fröhlich. »Endlich sind alle Kartons ausgepackt. Zur Feier des Tages habe ich eine Flasche Sekt geköpft und wollte dich fragen, ob du Lust hast zu kommen. Ich koche uns auch eine Kleinigkeit.«

Cecilia hatte sich schon seit Stunden auf ihr Sofa und ihr neuestes Buch gefreut, und überhaupt keine Lust mehr, ihre kleine Wohnung zu verlassen. Auf der anderen Seite konnte sie sich gut vorstellen, dass Mona sich einsam fühlen würde. Ihr Umzug lag drei Wochen zurück. Direkt danach hatte sie natürlich jede Menge zu tun gehabt. Cecilia war einmal kurz vorbeigegangen, hatte aber angesichts der Berge von Kartons ziemlich schnell die Flucht ergriffen. Das war nicht sehr freundschaftlich gewesen, wie sie sich jetzt eingestand und eigentlich auch überhaupt nicht ihre Art.

Irgendwie hatte sie in der letzten Zeit ihre gewohnte Energie verloren. Sie holte tief Luft und bemühte sich um einen munteren Ton: »Das ist eine super Idee. Ich stelle das Teewasser wieder ab, springe nur kurz unter die Dusche und bin sofort danach bei dir. Kommt Julia auch?«

»Nein, Julia hat heute Abend keine Zeit. Ich freue mich auf dich. Wir beide machen uns einen schönen Abend. Wie gut, dass ich gleich um die Ecke wohne.«

Als Cecilia geduscht die Treppe hinunterlief, dachte sie, wie großartig es war, dass Mona jetzt in ihrer Gegend lebte. Das machte es viel einfacher, sich mal eben zu treffen. Julia wohnte auch nicht so weit entfernt. Sie war Eigentümerin einer großen Altbauwohnung in der Isestraße. Cecilia seufzte kurz, als sie darüber nachdachte, dass sie sich vermutlich niemals eine eigene Wohnung würde leisten können. Dann schüttelte sie den Kopf. Solche Gedanken passten nicht zu ihr. Offenbar machte sich bei ihr eine Wechseljahre-Depression bemerkbar. Bis jetzt war sie doch mit ihrem Leben immer sehr zufrieden gewesen. Geld war ihr auch nie so wichtig gewesen. Man brauchte sich doch nur Mona anzuschauen: Die hatte keine Geldprobleme, weil sie mit einem wohlhabenden Mann verheiratet gewesen war. Und, war sie deshalb glücklicher? Wohl kaum. Oder Julia, die sich den ganzen Tag in ihrem Studio abrackerte. Gut, sie verdiente ihr Geld selber, einen zufriedeneren Eindruck machte sie aber auch nicht. Julia vertrieb sich ihre Freizeit mit wechselnden Männerbekanntschaften, okay, da hatte sie Cecilia etwas voraus. Sie war nämlich schon seit vielen Monaten nicht mehr mit einem Mann zusammen gewesen. Vermutlich war das der eigentliche Grund für ihre Unzufriedenheit, dachte sie, und musste über sich selber schmunzeln. Deine Libido vertrocknet und du auch.

Inzwischen war sie vor dem Mehrfamilienhaus angekommen, in dem Mona eine Wohnung angemietet hatte. Sie drückte auf den Klingelknopf, kurze Zeit später stand sie bereits in der Tür und wurde von Mona umarmt. »Ach, ich freue mich so, dich zu sehen«, rief sie begeistert aus, als sie Cecilia losgelassen hatte. »Komm, ich zeige dir alles. Ich bin gespannt, ob es dir gefällt.« Nachdem Cecilia die geräumige Drei-Zimmer-Wohnung besichtigt hatte – es gab sogar einen großen Balkon, der von der Küche abging –, setzten sie sich auf das Sofa im Wohnzimmer. Auf dem Couchtisch standen bereits zwei Sektgläser und eine geöffnete Flasche in einem Kühler.

»Komm, lass uns anstoßen«, sagte Mona, die auf Cecilia immer noch einen enthusiastischen Eindruck machte. »Gleich gibt es auch eine Kleinigkeit zu essen. Ich habe uns einen Salat mit Avocado gemacht. Danach gibt es noch Spaghetti mit Meeresfrüchten. Ich hoffe, du magst beides.« Mona goss den Sekt in die Gläser und hielt Cecilia auffordernd das Glas hin. Sie stießen an.

Cecilia sank tiefer in das bequeme Sofa. So schnell würde sie von dort nicht wieder aufstehen. »Mona, du bist großartig. Das war genau das, was ich heute gebraucht habe. Und ich bin so eine schlechte Freundin. Ich habe nicht einmal ein Einweihungsgeschenk mitgebracht und geholfen habe ich beim Einzug auch nicht. Irgendwie fühle ich mich im Moment immer so müde, das muss an den Wechseljahren liegen.« Cecilia fiel ein, dass sie mit Mona noch nie über dieses Thema gesprochen hatte. Vielleicht hatte Mona keine Wechseljahrbeschwerden oder sie war noch gar nicht in der Phase.

»Du arbeitest einfach zu viel, genau wie Julia. Komm, ruh dich aus, ich kümmere mich um das Essen und bin gleich wieder da.« Mona erhob sich vom Sofa und nur wenige Sekunden später hörte Cecilia sie in der Küche klappern. Mit zwei großen Tellern Salat kam Mona zurück, stellte sie auf den Tisch, kommentarlos verschwand sie erneut und brachte Servietten und Besteck.

»Komm, lass es dir schmecken, du siehst schon ganz verhungert aus.«

Cecilia setzte sich stöhnend auf und griff nach der Gabel. Als sie den ersten Bissen Avocado in ihren Mund schob, merkte sie auf einmal, wie hungrig sie war. Sie kaute hastig und griff sofort wieder zu.

»Mhm, das ist lecker. Mona, du bist eine Wucht. Wenn ich Geld hätte, würde ich dich sofort engagieren. Du kannst so prima kochen.«

»Ach was, das ist doch nur Salat. Ich bin mit den Spaghetti gleich wieder da.«

Cecilia fiel auf, dass Mona ihren Salat noch gar nicht angerührt hatte. Sie aß genussvoll weiter, bis der Teller leer war. Nachdem der erste Hunger gestillt war, blickte sie sich im Wohnzimmer um. In einer Ecke stand ein Fernseher, der offenbar noch nicht angeschlossen war, jedenfalls schauten aus seiner Rückseite einige Kabel lose hervor. Vielleicht war Mona fernsehen nicht so wichtig. Cecilia jedenfalls hätte keine drei Wochen ohne den Bildschirm überleben können. Sie sah am liebsten romantische Serien, das würde sie aber niemandem verraten.

Mona kam mit zwei gefüllten Tellern zurück und sogleich erfüllte ein verlockender Duft nach frischen Kräutern und Öl das Zimmer.

Cecilia schaute auf die liebevoll mit Petersilie dekorierten Spaghetti in ihrem Teller und fühlte sich auf einmal der liebevollen Behandlung wegen nicht ganz wohl.

»So, jetzt hast du mich aber genug verwöhnt. Iss du bitte nun auch und dann musst du mir erzählen, was du in den letzten drei Wochen gemacht hast. Fernsehen hast du jedenfalls nicht geschaut, sehr löblich.« Sie wies auf den nicht angeschlossenen Fernseher.

Mona setzte sich und fing an ihren Salat zu essen. »Ja, das stimmt. Ich bin zu blöd, um den Apparat anzuschließen, und kenne niemanden, der das für mich machen könnte. Vermutlich muss ich einen Techniker anrufen. Oder ich warte, bis Nele mich besuchen kommt. Die ist in solchen Dingen sehr viel bewanderter als ich.«

»Wenn du nicht ferngesehen hast, was hast du denn abends gemacht? Oder warst du schon alleine weg und hast die Kneipenszene erkundet?«, fragte Cecilia, die genau wusste, dass Mona das nicht getan hatte. Alleine hätte sie sich das gar nicht getraut.

»Ach, ich habe alle Kartons ausgepackt, ein wenig gelesen und telefoniert.«

»Telefoniert? Mit wem denn?«, fragte Cecilia neugierig.

»Mit Nele und mit ein paar Bekannten von zu Hause.« Mona unterbrach sich selber und stotterte leicht:

»Ich meine von … du weißt schon.«

Cecilia fühlte, wie sich ihr schlechtes Gewissen erneut regte. Mona war seit drei Wochen in Hamburg und hatte seitdem niemanden getroffen. Sie stellte den Teller mit den Nudeln, den sie gerade vom Tisch aufgenommen hatte, wieder hin und sah ihre Freundin an.

»Ich bin eine blöde Kuh, weil ich gar nicht auf die Idee gekommen bin, dass du hier alleine vor dich hingammelst. Das geht so natürlich nicht weiter. Erzähl mal, was hast du für Pläne? Willst du dir einen Job suchen?« Cecilia hätte den letzten Satz am liebsten sofort wieder zurückgenommen, als sie sah, wie Mona zusammenzuckte. Was war heute bloß los mit ihr? Wieso war sie so unsensibel? Sie wusste doch, dass Mona jahrelang nicht gearbeitet hatte. Wenn sie wieder zu Hause war, würde sie sofort Julia anrufen. Vielleicht hatte die eine Idee. Eventuell könnte sie Mona in ihrem Studio einstellen. »Sorry, Mona. Ich weiß auch nicht, was heute in mich gefahren ist. Ein akuter Anfall von Wechseljahresdämlichkeit. Nimm bitte meine Entschuldigung an.«

Mona lächelte sie müde an. »Liebe Cecilia, es gibt nichts zu entschuldigen. Du hast ja recht. Ich muss mich bloß daran gewöhnen, dass ich jetzt wirklich ganz alleine auf mich gestellt bin. Und ja, ich muss mir einen Job suchen. Ich weiß nur leider überhaupt nicht, wie ich das anstellen soll. Vielleicht hast du eine Idee?«

Cecilia umarmte ihre Freundin. »Du bist überhaupt nicht alleine. Ich bin da und Julia ist auch da. Wir finden schon einen Job für dich. Es muss ja nicht gleich eine Vierzig-Stunden-Beschäftigung sein, oder? Du hast doch derzeit keine Geldprobleme und kannst dir in Ruhe überlegen, was du machen möchtest. Und in der Zwischenzeit kommst du einfach zweimal die Woche abends zu meinem Yoga-Anfängerkurs. Du wirst sehen, wie gut dir das tut.«

»Aber ich bin total unsportlich«, protestierte Mona.

»Für Yoga musst du nicht sportlich sein, du wirst schon sehen. Und hinterher wirst du dich so entspannt fühlen. Außerdem lernst du da gleich ein paar Frauen kennen. Männer sind leider nicht so viele dabei.«

»Ein Mann ist das Letzte, was ich jetzt brauchen kann«, sagte Mona und lächelte wieder, »aber du hast recht: Ich muss mich entspannen und ein paar neue Leute kennenlernen kann nie schaden.«

»Wunderbar, ich freue mich auf dich. Jetzt essen wir erst einmal dein leckeres Essen und danach schreibe ich dir auf, wo und wann die Kurse stattfinden. Das Yogastudio ist nicht weit weg, mit dem Fahrrad in zehn Minuten. Du hast doch ein Fahrrad oder? Hier in der City kommst du damit am besten voran.«

»Äh, es ist bestimmt schon Jahre her, dass ich das letzte Mal mit einem Rad gefahren bin. Ich sehe schon, du willst mich zum Sport bekehren. Ich glaube, fürs Erste fahre ich doch lieber mit der U-Bahn oder gehe zu Fuß.«

Cecilia war froh, dass ihr die Idee mit dem Yoga gekommen war. Mona wirkte jetzt wieder viel fröhlicher. Das mit dem Fahrrad konnte sie ihr zu einem späteren Zeitpunkt noch schmackhaft machen. »In Ordnung, Hauptsache, du kommst.«


Als Cecilia gegen Mitternacht wieder zu Hause war – sie hatten die Flasche Sekt ausgetrunken und sich für den nächsten Samstag zum Kinobesuch verabredet –, beschloss Cecilia, noch vor ihrem Arbeitsbeginn morgen, Julia anzurufen. Hoffentlich war die nicht gerade auf einer Geschäftsreise. Kurz bevor sie einschlief, erinnerte sich Cecilia auch noch daran, dass sie mit Julia das Onlineformular für die Partnerschaftsagentur ausfüllen wollte. Mit dem Bild eines schwarzhaarigen Mannes im knappen Yogadress vor Augen schlief sie schließlich ein.

6

Julia

Es war erst acht Uhr morgens und Julia trank bereits den zweiten Becher Kaffee. Sie saß in ihrem kleinen Büro im Studio und schaute sich die Umsatzzahlen des letzten Monats an. Zwischen sieben und neun Uhr war die beste Arbeitszeit, weil sie nicht von Telefonanrufen oder Fragen ihrer Mitarbeiter gestört wurde. An das frühe Aufstehen hatte sie sich inzwischen gewöhnt, einen Wecker brauchte sie nicht mehr. Ich bin inzwischen doch ein Gewohnheitstier. Ändern werde ich mich wohl nicht mehr, auch nicht für einen Mann. Schmunzelnd dachte sie an Jürgen, eine ihrer Internetbekanntschaften. Der konnte es überhaupt nicht verstehen, dass sie selbst am Wochenende spätestens um acht Uhr frühstücken wollte, egal, wann sie am Vorabend ins Bett gegangen waren. Das Klingeln des Handys holte sie aus ihren Gedanken. Widerwillig schaute sie auf das Display. Es gab nicht so viele Menschen, die diese Nummer hatten. Als sie sah, dass es Cecilia war, drückte sie auf die Hörertaste. »Guten Morgen meine Liebe. Ist etwas passiert? Ich kann nicht erinnern, dass du mich um diese Uhrzeit schon einmal angerufen hast.«

Am anderen Ende der Leitung hörte sie das typische bellende Lachen von ihrer Freundin. »Stimmt. Ich wundere mich auch über mich selbst. Das muss mit den Wechseljahren zusammenhängen. Früher habe ich immer viel länger geschlafen. Du hast mir vor langer Zeit einmal erzählt, dass du morgens besonders gut zu erreichen bist. Deshalb habe ich es versucht.«

Julia unterdrückte ihre Verärgerung, die immer auftrat, wenn Cecilia so offensiv von den Wechseljahren sprach. Die beschäftigte sich seit ein paar Monaten mit dieser Phase und hatte vermutlich alles gelesen, was man auf dem homöopathischen Buchmarkt so finden konnte. Seitdem war praktisch jedes Unwohlsein, das sie befiel, in irgendeiner Weise darauf zurückzuführen. Sie, Julia, hatte noch überhaupt keine Beschwerden und gedachte auch nicht, welche zu bekommen. Notfalls würde sie Hormone nehmen, das hatte sie bereits mit ihrer Frauenärztin besprochen. Cecilia dürfte das natürlich nie erfahren. Sie würde sich sonst stundenlange Vorträge über die Nebenwirkungen anhören müssen. Dabei hatte sie mitunter das Gefühl, dass Cecilia ein paar Hormone ganz guttun würden. In diese Gedanken vertieft, verpasste sie den weiteren Gesprächsverlauf.

»Sorry, Cecilia, noch einmal von vorn. Warum rufst du an?«

»Du bist wohl doch noch nicht ganz wach, wie? Also, hör doch zu. Ich habe gestern Mona besucht. Na ja, eigentlich hat sie mich angerufen und wir haben uns dann bei ihr getroffen. Sie hatte gekocht und das Essen war köstlich. Aber deshalb rufe ich nicht an. Wann hast du Mona das letzte Mal gesehen? Ich glaube, dass sie ganz schön einsam ist. Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Vielleicht kannst du ihr einen Job geben? Ich habe ihr schon angeboten, dass sie zu meinem Yogakurs kommen soll.«

Julia hatte das Gefühl, sie würde von einem Wortschwall überschwemmt werden. Und das am frühen Morgen von Cecilia. Vielleicht hatte es doch etwas mit den Wechseljahren zu tun?

»Moment, stopp. Nicht so schnell.« Julia musste eine Sekunde nachdenken, wie lange es schon her war, dass sie Mona gesehen hatte. Auf jeden Fall war sie schon in ihrer neuen Wohnung gewesen … vor zwei oder doch drei Wochen …? »Ich weiß gar nicht genau, wann ich sie das letzte Mal gesehen habe. Ist schon ein wenig her. Aber, du kennst das ja selber. Die Zeit geht so schnell vorbei. Kaum fängt die Woche an, ist sie auch schon wieder vorbei. Und wieso sollte ich ihr einen Job anbieten? Sie ist doch keine Kosmetikerin und im Büro arbeiten kann sie auch nicht.«

»Mona ist einsam und wir sind ihre Freundinnen. Wir müssen etwas tun.«

Julia merkte auf einmal, dass sie zu geschäftsmäßig drauf war. »Stimmt natürlich. Es tut mir auch leid, dass ich mich nicht gekümmert habe.«

»Na ja, ich habe mich ja auch nicht bemüht. Jetzt müssen wir uns aber etwas überlegen. Vielleicht kennst du aus deinem Kundinnenkreis jemanden, der einen Job für sie hat. Es würde für den Anfang ein Minijob reichen. Sie muss raus aus der Wohnung und hier ein paar Leute kennenlernen. Deshalb auch meine Idee mit dem Yoga. Abgesehen davon ist Yoga immer gut, besonders für die Entspannung. Du könntest ja mitkommen.«

»Jetzt wechsele mal nicht das Thema. Wir waren bei Mona. Ich bin entspannt. Jedenfalls bis jetzt. Aber ich stimme dir zu. Wir waren keine guten Freundinnen. Ich schlage vor, dass wir uns treffen und sie fragen, wie wir ihr helfen können. Vielleicht möchte sie noch gar nicht arbeiten?«

»Natürlich möchte sie. Aber sie traut sich nicht. Das ist ja auch normal, nachdem sie die letzten zwanzig Jahre zu Hause gesessen hat.«

»Vielleicht helfen wir ihr mehr, wenn wir ihr einen Mann suchen«, sagte Julia. »Dann hätte sie auch gleich Gesellschaft. Apropos Mann. Wollten wir beide uns nicht treffen, damit ich dir beim Ausfüllen des Wunschprofils helfe? Oder hast du es dir anders überlegt?«

»Nein, habe ich nicht. Ich hatte eigentlich gewartet, dass du dich meldest. Und ich glaube auch nicht, dass ein Mann für Mona jetzt das Richtige wäre. Ganz im Gegensatz zu mir.«

»Ach was«, lachte Julia, der das Gespräch inzwischen Spaß machte. Sie trank noch einen Schluck von dem inzwischen lauwarmen Kaffee. »Du hast dich nur nicht getraut, mich deshalb anzurufen.« Sie hörte, wie sich Cecilia räusperte.

»Stimmt. Aber ich habe die letzten Wochen seit unserem gemeinsamen Treffen noch einmal lange darüber nachgedacht und: Ja, ich fühle bereit für einen Mann in meinem Leben. Wann hättest du denn am nächsten Wochenende Zeit oder bist du männermäßig gerade stark engagiert?«

Julia blätterte in ihrem Kalender auf dem Schreibtisch. Zwar war die Ausstattung ihres Büros technisch auf dem neuesten Stand, dennoch benutzte sie am liebsten einen analogen Kalender. Ihr Blick fiel auf den Eintrag

»Peter treffen«. Ach was, den konnte sie ohne Probleme verschieben. »Wir könnten uns am Samstag am frühen Abend treffen. Dann erledigen wir erst die Partnersuche und gehen danach was essen. Was hältst du davon, wenn Mona mitkommt? Vielleicht können wir doch eine Suche für sie eingeben. Zumindest wäre sie nicht alleine. Wir machen uns zu dritt einen schönen Mädelsabend.«

»Super Idee. Ich rufe Mona gleich an. Um achtzehn Uhr bei dir?«

»Ja gut. Und jetzt muss ich weiterarbeiten.«

7

Mona

Mona schaufelte mit den Händen Erde um die Geranien, die sie in Terrakottatöpfe auf ihren Balkon gepflanzt hatte. Als sie damit fertig war, blickte sie sich um. Schön war es geworden. Überall standen Kübel mit blühenden Pflanzen. Mittendrin ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, den sie sich vor ein paar Tagen gekauft hatte. Sie war so stolz gewesen, dass sie es alleine geschafft hatte, die Teile zusammenzubauen. Natürlich war ein Balkon nicht mit dem großen Garten von früher zu vergleichen. Aber immerhin besser als kein Balkon, dachte sie in dem Versuch, sich selber aufzumuntern.

Seitdem sie in die Stadt gezogen war, war sie sehr beschäftigt damit gewesen, sich einzurichten. Abends war sie früh mit einem Buch ins Bett gekrochen, Langeweile war nicht aufgekommen. Mona wusste aber, dass sie sich nicht ewig in der Wohnung vergraben konnte. Sie sollte anfangen Kontakte zu knüpfen, außerdem musste sie über eine regelmäßige Beschäftigung nachdenken, damit sie hier nicht versauerte. Nele, mit der sie gestern Abend telefoniert hatte, hatte sie zum wiederholten Male daran erinnert. Auch Cecilia hatte neulich schon gefragt, wo sie jetzt arbeiten würde. Immerhin, heute Abend würde sie die beiden Freundinnen sehen, das war ein Lichtblick. Ihr fiel ein, dass sie Julia Blumen mitbringen wollte. Wie gut, dass der Isemarkt nicht so weit weg war. Auf diesem tollen bunten Markt hatte sie schon so manche leckere Spezialität gekauft. Von Blumen ganz zu schweigen. Schnell schlüpfte sie in ihre Jacke und griff zu ihrem Portemonnaie.

Ihr Blick fiel in den großen Spiegel, den sie im Flur mithilfe des Mannes vom Umzugsunternehmen aufgehängt hatte. Wie immer gefiel Mona ihr Aussehen nicht. Und heute war sie auch noch ungeschminkt. Egal. Sie wollte schließlich nur ein paar Blumen kaufen. Wer würde sie schon sehen, schließlich kannte sie hier keinen.


In der Isestraße angekommen, ließ sie sich zwischen den Marktständen treiben. An einem besonders appetitlich aussehenden Käsestand kaufte sie ein kleines Stück Brie. Die Sonne schien. Heute war ein wirklich schöner Tag. Mona liebte den Frühling, die Farbenpracht der Blüten und das frische Grün.

Sie steuerte einen Blumenstand an, wo in großen Kübeln Tulpen in allen Farben standen. Einen Moment war sie unschlüssig, weil sie sich nicht für eine Farbe entscheiden konnte. Sollte sie lieber die Gelben nehmen oder doch rote?

Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie es in Julias Wohnung aussah. Dort war sie nur einmal ganz kurz gewesen. Früher hatten sie sich nämlich immer direkt in einem Restaurant oder Café getroffen. So, wie sie Julia kannte, war die Wohnung sicher mit den neuesten Designermöbeln eingerichtet. Sie wusste noch, dass der Fußboden mit Parkett ausgelegt war. Mona hatte Julia nämlich damals gefragt, ob ein so heller Belag nicht total unpraktisch wäre. Die hatte nur gelacht und auf die Putzfrau hingewiesen. Sie lächelte, als sie an diese Unterhaltung zurückdachte. Das war typisch Julia. Um so etwas wie Hausputz machte sie sich keine Gedanken.

Der Blumenhändler war inzwischen auf sie aufmerksam geworden und schaute sie fragend an.

»Guten Tag. Die Tulpen sehen so schön aus, ich kann mich gar nicht so richtig entscheiden. Ich glaube, ich nehme drei Bund gelbe.«

Während der Mann die Blumen in Papier einwickeln, kramte Mona in ihrem Portemonnaie nach Geld. Dabei hörte sie, wie eine Frau neben ihr vier Bund rote Tulpen kaufte. Irgendwie kam ihr die Stimme bekannt vor und sie drehte sich um.

Neben ihr stand die Freundin von Lars. Die hätte sie überall erkannt, obwohl sie sie nur einmal gesehen hatte. Heute trug sie hautenge Jeans mit schwarzen Sneakers, das Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Mona spürte, wie sich ihr Magen zusammenballte. Fast wäre ihr der Geldschein aus der Hand gefallen. Schnell wandte sie sich ab und steckte dem Blumenhändler das Geld hin.

»Stimmt so.« Sie entriss ihm förmlich den Strauß und machte sich eilig daran, Abstand zwischen ihr und dieser Frau herzustellen. Als sie nach ein paar Schritten über ihre Schulter zurückblickte, sah sie, wie Vanessa die Tulpen in die Hand nahm und langsam zum nächsten Stand schlenderte. Über dem Arm trug sie einen großen Bastkorb, in den sie die Blumen hineinlegte. Es sah nicht so aus, als hätte sie Mona erkannt. Wie auch, schließlich hatte sie die geschminkte und gestylte Mona vor dem Gericht gesehen und nicht die etwas zerzauste Frau mit Jeans, alter Jacke und bequemen Schuhen, die hier über den Markt stromerte. Viel wichtiger war aber, was machte Vanessa hier? Wohnte sie etwa in der Nähe?

Nele hatte ihr doch berichtet, dass Lars zu Vanessa ins Schanzenviertel gezogen war. Mona spürte, wie sich ihr Herzschlag langsam wieder beruhigt. Was regte sie sich eigentlich so auf? Vermutlich war Vanessa einfach deshalb auf dem Isemarkt, weil es einer der schönsten Wochenmärkte in Hamburg war. Zufall, sonst nichts. Davon würde sie sich jetzt nicht aus der Ruhe bringen lassen.


Fünf Stunden später stand Mona mit dem Tulpenstrauß in der Hand vor dem großen Jugendstilhaus, in dem Julia eine Wohnung gehörte. Sie hatte die vor vielen Jahren gekauft hatte, als es gerade Trend war, aufs Land zu ziehen. Heute konnte man eine derartige Wohnung in Eppendorf gar nicht mehr bezahlen. Als Mona mit dem Aufzug nach oben fuhr, fiel ihr dieses Gespräch wieder ein. Damals war es für sie völlig unverständlich gewesen, dass Menschen Wohnungen in der Stadt kaufen wollten. Heute konnte sie das schon eher nachvollziehen, wenn sie an ihre hohe monatliche Miete dachte. Und sie konnte froh sein, überhaupt eine Wohnung gefunden zu haben. Ohne die Kontakte von Lars hätte sie das nicht geschafft.

Als Mona aus dem Aufzug trat, wurde sie von Julia bereits in der Tür begrüßt. Sie trug eine hautenge schwarze Lederhose mit einem schwarzen Kaschmirpullover. Um den Hals baumelte eine lange Kette mit einem großen Frauenzeichen aus Glitzersteinen. Beide umarmten sich kurz.

»Mona, komm herein, schön, dass du da bist. Cecilia ist auch schon hier, sie studiert bereits am Computer die für sie in Frage kommenden Männermodelle. Du musst sie mit mir davon abbringen, sich nur auf Männer zu konzentrieren, die Veganer sind und Yoga betreiben.« Julia grinste vielsagend und griff nach dem Strauß Tulpen, den Mona vom Papier befreit hatte.

»Tulpen, oh wie schön! Die mag ich besonders. Sie bringen einem den Frühling ins Haus. Komm, zieh doch erst einmal deine Jacke aus, dann zeige ich dir die Wohnung.«

Mona hängte ihre Jacke auf den rollenden Kleiderständer im Flur und folgte Julia in eine große Küche. Mitten im Raum befand sich eine Kochinsel mit einem Induktionsherd, wie Mona auf den ersten Blick bemerkte. An den Wänden waren weiß lackierte Hängeschränke angebracht, die neu aussahen. Die Arbeitsplatten waren aus schwarzem Marmor. Außer einem Messerblock und ein paar Küchengeräten stand dort nichts. Es sah so aus, als wäre die Küche gerade erst eingebaut worden. Eine Tür führte auf einen kleinen Balkon.

Julia öffnete eine Schranktür und holte eine Glasvase hervor, in die sie die Tulpen stellte. Danach füllte sie Wasser hinein.

Mona war bei dem Herd stehen geblieben und strich bewundernd über die Oberfläche. »So etwas Tolles habe ich immer gewünscht. Damit kannst du bestimmt fabelhaft kochen.« Ihr Blick fiel auf eine rote Küchenmaschine. Auch so ein Teil hätte sie gerne gehabt. Warum hatte sie es sich eigentlich nie selber gekauft?

»Also um den Herd und die Küchenmaschine beneide ich dich auf jeden Fall. Damit kannst du schnell und unkompliziert leckere Gerichte zaubern. Vermutlich bewirtest du oft Geschäftspartner zum Abendessen?« Sie drehte sich wieder zu Julia zurück, die mit der gefüllten Vase in der Hand stehengeblieben war und Mona mit einem amüsierten Gesichtsausdruck anschaute.

»Hier hat noch nie jemand gekocht, Monaschätzchen. Aber Cecilia hat mir schon erzählt, dass du das gut kannst. Vielleicht möchtest du meinen Herd einweihen? Eigentlich steht der hier nur zu Dekozwecken, da ich nicht kochen kann. Ich kann höchstens Spiegeleier machen und Kaffee mit der Maschine zubereiten. Zu mehr reicht es bei mir nicht. Wenn ich Hunger habe, gehe ich entweder essen oder bringe mir etwas aus den umliegenden Restaurants mit. In der Mittagspause versorgen mich meine Angestellten im Studio.«

»Wie, du hast noch nie hier gekocht?« Mona konnte es nicht fassen. »Wieso hast du dann so teure Geräte hier stehen? Verstehe ich nicht.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739417752
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Mai)
Schlagworte
Neuanfang Freundinnen Wechseljahre Hamburg Scheidung Partnersuche Liebe Frauen Partnerbörse

Autor

  • Katharina Mosel (Autor:in)

Katharina Mosel ist 1963 in Hamburg geboren, der Liebe wegen ist sie nach dem Studium ins Rheinland gezogen. Dort lebt sie mit ihrem Ehemann in Köln. Sie arbeitet seit 1992 als Rechtsanwältin (Fachanwältin für Erbrecht und Familienrecht) und Mediatorin in eigener Kanzlei in Köln. Privat liebt sie Bücher und das Reisen in ferne Länder. Außerdem versucht sie sich beim Golf spielen.
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Titel: Vier Mal Frau