Im Wohnzimmer sah es schon nach Umzug aus. Die Bücher waren bereits verpackt, die Kisten an einer Wand gestapelt. Bilder lehnten an einer anderen. Das Sofa und ein Ohrensessel standen um einen kleinen Holztisch gruppiert. Der Raum wirkte riesig, weil sich kaum noch Möbel in ihm befanden. Die Sachen, die Lars nicht mitnehmen wollte, hatte Mona verkauft oder verschenkt. Ihre neue Wohnung im Univiertel war mit achtzig Quadratmetern für eine Person zwar geräumig, aber natürlich nicht vergleichbar mit einem Einfamilienhaus auf dem Land. Das Weggeben der Sachen war ihr leichter gefallen als zunächst gedacht. Viele Erinnerungen hingen daran, schließlich hatten sie und Lars etliche Einrichtungsgegenstände peu à peu zusammen ausgesucht.
Dennoch, dieser Lebensabschnitt war unwiderruflich zu Ende. Warum sollte sie sich jetzt noch mit Erinnerungen befassen? Also hatte sie nur das Nötigste behalten.
Die Sektgläser waren bereits eingepackt, sodass die drei Freundinnen den Sekt aus Wassergläsern trinken mussten. Das hatte der Stimmung aber keinen Abbruch getan, die erste Flasche war schon halb geleert.
Cecilia studierte auf dem iPad von Mona das Angebot des Pizzadienstes. Wie so oft konnte sie sich nur schwer entscheiden: »Was meint ihr? Soll ich die Pizza mit Spinat und Knoblauch nehmen? Ich stinke dann zwar furchtbar nach Knobi, ist aber egal, heute sind wir ja nur unter uns. Was nehmt ihr denn? Am besten etwas, was ich auch mag, dann können wir teilen.«
»Also ich bestelle die Pizza mit scharfer Salami und Peperoni«, sagte Julia bestimmt. »Und was heißt denn
›nur unter uns‹? Sind wir dir nicht genug? Außerdem weißt du genau, dass ich keinen Knoblauch mag.«
»Knoblauch ist gesund, er beugt Arterienverkalkung vor. Und du weißt genau, dass ich kein Fleisch esse.« Cecilia legte das iPad vor sich auf den Boden und sah ihre Freundin vorwurfsvoll an. »Du lebst viel zu ungesund, höre doch einmal auf mich.«
»Du meinst, ich soll jetzt auch vegetarisch leben, jeden Tag dreimal Yoga machen und grünen Tee trinken. Nein, danke. Übrigens«, Julia warf ihre Lockenpracht mit einer fließenden Bewegung zurück, »ich glaube nicht, dass Sekt am Nachmittag, zusammen mit Pizza, besonders gesund ist, egal ob mit Knoblauch oder Salami.« Mona, die das Gekabbel der beiden verfolgt hatte, griff mit einer Hand nach dem iPad und mit der anderen nach ihrem Handy.
»Ihr benehmt euch wie Kleinkinder. Kaum zu glauben, dass ihr bald fünfzig werdet.«
Jetzt hatte sie die gewünschte Aufmerksamkeit ihrer Freundinnen. Beide schauten sie mit großen Augen an.
»Was heißt hier bald!«, Julia schnaubte. Sie war die Älteste von den dreien. »Bei mir dauert es immerhin noch fast drei Jahre. Das ist eine sehr lange Zeit im Universum.«
»Ja, genau«, meldete sich Cecilia. »Da kann noch allerhand passieren. Und überhaupt, ich fühle mich nicht wie sechsundvierzig. Eher wie gerade Mitte dreißig.«
»Das liegt bestimmt an der biodynamischen Ernährung«, frotzelte Julia, »und an dem vielen Yoga.
Also bei mir gibt es durchaus Tage, an denen ich mich wie fünfzig fühle. Besonders, wenn ich zwölf Stunden hintereinander gearbeitet habe.«
»Du arbeitest auch viel zu viel. Kein Wunder, wenn du dann abends schlapp machst. Ich kann dir meinen Yogakurs wärmstens empfehlen. Du solltest wirklich mal vorbeikommen. Wenn du nicht in meinen Kurs willst, empfehle ich dir eine Kollegin. Danach fühlst du dich wie neu geboren. Einmal die Woche eine Stunde wäre für den Anfang okay. Mehr wäre natürlich besser. Das solltest du auch als erfolgreiche Unternehmerin hinbekommen. Work-Life-Balance ist doch das Zauberwort, welches in aller Munde ist. Selbst bei hoch bezahlten Dienerinnen des Kapitalismus. Was hindert dich also?«
Mona griff sich ihr Handy und ging, das iPad unter den Arm geklemmt, in die Küche. Diese Diskussion führten die beiden schon seit Jahren. Cecilia gab einfach nicht auf, obwohl sie inzwischen wissen sollte, dass Julia nicht der Yogatyp war. Sie rief beim Pizzadienst an und orderte die von den beiden gewünschten Pizzen, für sich selber bestellte sie eine »Vier Jahreszeiten«. Der Mann am anderen Ende der Leitung meinte, dass es circa zwanzig Minuten dauern würde. Nachdem sie das Telefonat beendet hatte, kramte sie in der Besteckschublade, die noch nicht leergeräumt war, nach Gabeln und Messern. Außerdem fischte sie aus einem gepackten Karton zwei weitere Teller hervor.
Währenddessen grübelte sie über das nach, was Cecilia gerade gesagt hatte. Zu viel arbeiten. Sie selber hatte seit fast fünfzehn Jahren nicht mehr gearbeitet, jedenfalls nicht für Geld.
Während des Studiums von Lars war sie als Kindergärtnerin tätig gewesen, diese Berufsbezeichnung gab es heute gar nicht mehr. Damals konnte sie Nele mit in den Kindergarten nehmen. Als Lars beruflich durchstartete und sich selbstständig machte, hörte Mona auf zu arbeiten. Obwohl sie ihre Tätigkeit geliebt hatte. Sie kauften das Grundstück auf dem Lande und Mona hatte mit Haus, Garten und der Betreuung von Nele genug zu tun. Allein die Zeit, die sie damit verbracht hatte, Nele als Muttertaxi zu den verschiedenen Freizeitaktivitäten zu bringen! Das waren immer lange Fahrtwege. Bis zum letzten Jahr hatte sie nicht bereut, dass sie nicht arbeitete. Jedenfalls hatte sie es nicht vermisst. Jetzt grübelte sie schon seit ein paar Monaten darüber nach, was sie in Hamburg arbeitstechnisch anfangen solle. Das Geld aus dem Hausverkauf würde erst einmal reichen, zumal sie von Lars neben einer Zahlung für den Zugewinn auch noch einen großzügigen monatlichen Unterhalt bekommen würde. Das hatte die Anwältin gut ausgehandelt. Trotzdem musste sie sich eine Arbeit suchen. Sie konnte schließlich nicht den ganzen Tag in ihrer angemieteten Drei-Zimmer-Wohnung sitzen und die Wände anstarren.
Cecilia kam in die Küche. »Haben wir dich mit unserem Gezänk vertrieben? Hoffentlich nicht. Dabei bist du doch heute diejenige, um die wir uns kümmern wollen. Komm, lass mich das nehmen.« Sie nahm ihr das Besteck und die Teller aus der Hand. »Hast du beim Pizzadienst angerufen? Ich muss dringend etwas essen, sonst bin ich gleich betrunken.« Mona folgte ihr ins Wohnzimmer, nachdem sie vorher noch eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank geholt hatte.
»Oh«, meckerte Julia, als sie die Wasserflasche in Monas Hand sah. »Gibt es jetzt nur noch Wasser, und das heute, wo ich eine Fahrerin habe, die mich abends nach Hause bringt? Das ist doch nicht dein Ernst, oder?«
»Jetzt mach mal halb lang,« erwiderte Mona. »Die Pizza kommt gleich und zumindest ich kann nicht nur Sekt trinken, aber bediene dich. Im Kühlschrank stehen noch zwei Flaschen. Und wenn die geleert sind, habe ich noch Wein. Alles, was wir heute trinken, muss nicht mehr mit umziehen. Übrigens könnt ihr heute gerne hier schlafen. Die eingepackte Bettwäsche finde ich bestimmt schnell und Cecilia kann dann auch mehr trinken. Oder muss eine von euch morgen ganz früh raus?«
»Mit ›eine‹ kannst du nur Julia meinen. Du weißt doch, dass ich vor zehn Uhr nicht anfange.« Cecilia arbeitete vormittags als Führerin im Völkerkundemuseum, nachmittags und abends gab sie Yogaunterricht.
»Ich habe morgen früh keine Termine und kann daher ausnahmsweise später ins Studio kommen. Wir können uns also einen richtigen Mädelsabend machen. Alkohol gibt es wohl genug und die Pizza kommt gleich. Fehlen eigentlich nur noch Chips und Gummibärchen und am späteren Abend vielleicht ein Softporno. Der Fernseher steht ja noch da, bei welchem Streamingdienst bist du denn?«
»Das meinst du doch wohl jetzt nicht wirklich ernst, oder?« Mona war wirklich entsetzt.
Sie hatte noch nie im Leben einen Pornofilm angesehen.
Ob sie das den Freundinnen anvertrauen sollte? Sie merkte, wie sie rot wurde.
»Julia, nicht jeder denkt über Sex so wie du. Schau mal, Mona ist das peinlich.« Cecilia stellte das Geschirr auf den Couchtisch und trat neben ihre Freundin. Julia hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und spielte mit ihrem Wasserglas.
»Natürlich meine ich das ernst. Heute beginnt für dich ein neues Leben, das hast du selber gesagt. Warum soll das neue Leben nicht mit einem knackigen Männerarsch beginnen, gebannt auf Zelluloid?«
»Julia, also wirklich!« Cecilia kicherte.
Mona setzte sich langsam in den Sessel und musterte die Freundinnen. Sie hatte den beiden in den letzten Monaten alle Einzelheiten der Trennung berichtet, hatte mit ihnen geheult und gelacht, da konnte sie nun auch die letzten Geheimnisse noch ausbreiten. Sie griff nach ihrem Sektglas und trank es in einem Zuge leer. Dann holte sie tief Luft. »Ich habe noch nie einen Pornofilm gesehen und noch nie mit einem anderen Mann als Lars geschlafen. So, jetzt wisst ihr über mich Bescheid.«
Cecilia setzte sich neben Julia auf das Sofa und schob sie ein wenig zur Seite. Beide sagten kein Wort und sahen Mona stumm an.
Nach einer für Mona gefühlten Ewigkeit brach Julia in ein schallendes Gelächter aus. Als sie sich beruhigt hatte, sagte sie: »Oh mein Gott. Du willst sagen, dass du seit über einem Jahr keinen Sex mehr hattest? Es wird wirklich Zeit, dass du nach Hamburg kommst. Wir finden da schon einen Partner für dich.«
»Ich will keinen Partner, ich bin froh, wenn ich erst einmal alleine lebe.«
Mona setzte ihr Glas geräuschvoll auf dem Tisch ab.
»Mona, Schätzchen«, mischte sich Cecilia mit ruhiger Stimme ein. »Sie meint Sexpartner, nicht Lebenspartner. Und da bin ich ausnahmsweise einmal ihrer Meinung. Ein regelmäßiges Sexleben ist wichtig für die Gesundheit.«
»Hört, hört!« Julia kicherte, beugte sich nach vorn und goss den Rest der Sektflasche in ihr Glas. »Das ist heute die Stunde der Wahrheit. Wer ist denn der derzeitige Glückliche, Cecilia, oder ist das ein Geheimnis?« Sie stellte das gefüllte Glas vorsichtig ab und stupste Cecilia in die Seite.
»Hört sofort auf damit, das ist nicht witzig.« Mona fühlte sich von den Freundinnen im Stich gelassen. Sie hatte ihnen gerade offenbart, dass es in ihrem Leben keinen anderen Mann als Lars gegeben hatte und die beiden machten Witze auf ihre Kosten, über offenbar wechselnden Intimpartner. Sie fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.
»Du hast recht«, sagte Julia, die Monas Verstörtheit zu bemerken schien. »Das ist nicht witzig, sondern mein totaler Ernst. Du brauchst jemanden, mit dem du ins Bett gehen kannst, das baut Spannungen ab. Und, solange du keinen Sexpartner hast, schaue dir ein paar Pornofilme an. Du kannst ja mit ›50 Shades of Grey‹ starten.«
Cecilia nickte Julia bestätigend zu. Das war unglaublich. Die beiden, die sich sonst über jede Kleinigkeit stritten, harmonierten in sexuellen Fragen offenbar bestens miteinander. Mona konnte es nicht fassen.
»Bevor ich dazu etwas sage, brauche ich noch etwas zu trinken.« Sie stand auf und machte sich auf den Weg in Richtung Küche. Dort angekommen, lehnte sie ihr Gesicht an die kühle Scheibe und schaute nach draußen. Sie hörte leises Gemurmel aus dem Wohnzimmer. Wahrscheinlich berieten ihre beiden besten Freundinnen gerade darüber, wie sie ihr am schnellsten einen Mann besorgen konnten. War es denn wirklich so ungewöhnlich, nur einem Mann treu zu sein? Verstanden die denn gar nicht, dass sie im letzten Jahr sehr traurig über den Verlust von Lars gewesen war und keinen Gedanken an andere Männer verschwenden konnte? Obwohl, wenn sie ehrlich zu sich selber war, vermisste sie den Sexakt schon.
Lars war ein guter Liebhaber gewesen, oder? Genau genommen konnte sie das gar nicht beurteilen, schließlich kannte sie nur ihn. Mona seufzte laut auf. Vermutlich war ihr Sexleben zu Ende. Angeblich würde eine Frau eher Opfer eines Terrorangriffs werden, als mit fast fünfzig noch einen Partner zu finden. So hatte sie es jedenfalls vor einiger Zeit in einem Frauenmagazin gelesen.
Vielleicht sollte sie sich doch Tipps von ihren sexwütigen Freundinnen geben lassen?
Es klingelte an der Haustür. Die Pizzen waren da. Nachdem Mona bezahlt hatte, kehrte sie mit drei Pizzakartons ins Wohnzimmer zurück.
Julia und Cecilia saßen immer noch da, wo Mona sie verlassen hatte. Beide schauten gierig auf die Kartons, kaum hatte Mona sie auf dem Tisch platziert. Ein appetitanregender Knoblauchduft strömte ins Freie, als sie die Deckel anhob. Sofort griffen alle zu und schoben sich die ersten Stücke in den Mund. Keine sprach, alle waren mit Essen beschäftigt.
Nachdem der erste Hunger gestillt war, brach Cecilia als erste das Schweigen: »Du bist uns doch nicht böse, oder? Natürlich wollten wir dich nicht in Verlegenheit bringen.« Dabei lächelte sie Mona an, die instinktiv zurücklächelte.
»Nur ein wenig«, meinte Julia in ihrer üblich trockenen Art, worauf alle drei in ein befreiendes Laden ausbrachen.
Mona nahm sich noch ein Pizzastück und kaute bedächtig darauf herum. Sie schluckte ein wenig bei dem Versuch, ihre Stimme nicht zittern zu lassen. »Ihr meint also, dass ich mir einen Mann fürs Bett suchen soll?«
»Genau«, entgegnete Cecilia.
»Selbst wenn ich das auch wollen sollte, woher soll das gute Stück denn herkommen? Lasst mich an eurem offensichtlich reichlich vorhandenen Erfahrungsschatz profitieren.« Mona merkte plötzlich, wie ihr das Gespräch auf einmal Spaß machte. »Jetzt doch mal Butter an die Fische. Wie lernt ihr denn so die Kerle kennen? Ich brauche da auf jeden Fall Nachhilfestunden.«
Die beiden Frauen tauschten Blicke aus. Mona war wirklich gespannt, was da jetzt kommen würde.
Julia legte ihr Pizzastück auf den Teller und setzte sich gerade hin. »Also, das wird euch jetzt vielleicht überraschen: Ich bin schon seit vielen Monaten Mitglied bei einer Online-Partnerschaftsagentur. Dort habe ich schon viele Männer ausprobiert, der fürs Leben war aber noch nicht dabei. Ich weiß auch gar nicht, ob ich den überhaupt suche. Immerhin hat so eine Partnerbörse den Vorteil, dass man die Männer ausprobieren kann. Immer, wenn mir ein Typ gefällt, verbringe ich eine Nacht mit ihm. Ich kann ihn sozusagen testen und das macht Spaß.«
»Wie, und am nächsten Morgen verabschiedest du dich und man sieht sich nie wieder? Der arme Mann. Vielleicht hat der auch Gefühle.« Mona war zu ihrer Überraschung gar nicht mehr so schockiert. Sie sah Julia an, die sich wieder ins Sofa gefläzt hatte. Heute trug sie eine Designerjeans mit weißer Seidenbluse und orangefarbener Kaschmirjacke. Farblich passend zur Jacke hatte sie orange-weiße Boots an. Julia gehörte ein großes Kosmetikstudio in Eppendorf, wo sie inzwischen mehr als zehn Frauen beschäftigte. Sie selber bediente nur noch selten in der Kabine und konzentrierte sich stattdessen voll auf das Marketing. Außerdem betrieb sie einen sehr erfolgreichen Modeblog im Netz. Sie hatte schon immer ein Auge für tolle Klamotten gehabt, auch heute sah sie wieder sehr schick aus. Als junge Frau hatte Mona nicht mit ihr konkurrieren können und darunter gelitten. Das hatte sich gegeben, als sie mit Lars und Nele in ihr Haus auf dem Lande gezogen war. Damals war ihr die Familie so wichtig gewesen und sie hatte gar nicht verstehen können, warum Julia so versessen auf ihre Karriere gewesen war. Heute sah Mona das komplett anders. Es wäre besser gewesen, sie hätte zumindest wieder stundenweise in ihrem erlernten Beruf gearbeitet. Dann stünde sie heute nicht komplett ohne Job da. Energisch schob sie diesen Gedanken beiseite.
»Und es war keiner dabei, mit dem du gerne länger zusammengeblieben wärst?«, fragte sie neugierig nach.
»Na ja. Mit dem einen oder anderen habe ich mehr als eine Nacht verbracht.« Julia lächelte versonnen.
»Du weißt genau, dass ich das nicht gemeint habe«, schnaubte Mona und sah dabei Cecilia, die den Wortwechsel stumm verfolgt hatte, mit der Bitte um Unterstützung an.
Julia blickte die beiden Freundinnen aufreizend lange an und goss sich Sekt nach. »Okay, du möchtest also Einzelheiten. Lass mich nachdenken. Gab es einen, der mir mehr bedeutet hat? Mhm … da war Peter, der hatte einen Retriever, den mochte ich sehr gerne. Aber wir mussten alle paar Stunden mit dem Hund rausgehen … Und dann Sebastian, der segelte gerne. Morgens früh um sechs Uhr an die Ostsee fahren, um dann einen ganzen Tag auf einem kleinen schwankenden Boot zu verbringen, das war auch nicht so meins. Oder … wer war denn noch nicht so schlecht … Jürgen. Der betreibt einen gut gehenden Onlinehandel mit exquisiten Weinen. Gott, was habe ich mit ihm für leckere Tröpfchen getrunken …«
Mona war total geplättet ob der Aufzählung ihrer Freundin. Das alles war komplett an ihr vorbeigezogen. Wieso hatte ihr Julia nie etwas davon erzählt? Sie sah Cecilia an. »Hast du etwas von Julias Männersuche gewusst oder bin ich hier die einzige Ahnungslose?«
Cecilia, die immer noch bedächtig an einem Stück Pizza kaute, schaute Mona fragend an. »Nein, ich habe von Julias Partneragentur nichts gewusst, ich habe aber so etwas vermutet.«
»Wie vermutet?«
»Na ja, sie hat im letzten Jahr ab und zu etwas von neuen Kerlen erzählt. Da habe ich bei mir so gedacht, dass sie die bestimmt nicht in ihrem Kosmetikstudio kennengelernt hat, hihi. Genauer nachgefragt habe ich nicht, weil es ja ihre Sache ist, nicht wahr.« Mit diesen Worten griff sie nach dem vorletzten Stück Pizza.
Mona hätte sie schütteln können. Das war typisch Cecilia. Immer auf einer anderen Wolke schwebend.
»Ihre Sache? Ich dachte immer, wir wären die besten Freundinnen und würden uns alles erzählen. Und jetzt stelle ich auf einmal fest, dass ich überhaupt nichts weiß. Gibt es noch mehr, was ich wissen sollte? Cecilia, hast du auch einen oder mehrere Männer, von denen ich nichts weiß? Oder stehst du jetzt auf Frauen?«
Julia fing an zu lachen. »Mona, Schätzchen, jetzt reg dich doch nicht so auf. Ich habe nichts von der Internetsuche erzählt, weil ich von euch keine Kritik hören wollte. Außerdem hattest du doch im letzten Jahr ganz andere Probleme, da konnte ich dir nun wirklich nicht mit meinen Männergeschichten kommen. Und Cecilia ist, soweit ich das beurteilen kann, immer noch eher dem männlichen Geschlecht zugewandt, oder?«
Mona war ihr plötzlicher Ausbruch schon wieder etwas peinlich. Sie sah Cecilia an und wollte sich gerade entschuldigen, als die sich nach vorn beugte und ihre Hand ergriff.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, ich bin dir nicht böse. Süße, das war ein ganz schwieriges Jahr für dich. Wir sind so froh, dass du jetzt in unsere Nähe ziehst. Und nein, ich stehe normalerweise nicht auf Frauen. Vielleicht sollte ich mal darüber nachdenken, mit Männern klappt es bei mir ja auch nicht.« Cecilia stoppte und sah so in sich versunken aus, dass Mona stutzig wurde. Vielleicht grübelte sie wirklich ernsthaft über eine Frau nach als möglichen Partnerersatz? Sie bekam den Anfang des Satzes von Cecilia nicht mit.
»… gute Idee. Ich glaube, das mache ich auch.«
»Äh«, stotterte Mona ein bisschen, »Was machst du auch?«
»Eine Agentur beauftragen und eine Anzeige aufgeben. Irgendwo da draußen muss es doch auch für mich einen Partner geben!«
»Moment mal«, sagte Julia. »Stell dir das nicht so einfach vor. Da draußen laufen ganz viele Verrückte herum. Ich kann ein Lied davon singen. Du bist nicht der Typ für so etwas.«
»Wieso nicht? Ich suche einen Mann, der Vegetarier ist, Veganer wäre auch zur Not okay. Er muss umweltbewusst sein und Yoga praktizieren, außerdem gerne meditieren und Kunst lieben. So etwas muss es doch in Hamburg geben. Die Stadt ist schließlich groß genug.«
Mona sah Julia beschwörend an und gab ihr zu verstehen, jetzt bloß nicht loszulachen.
Cecilia meinte es offensichtlich ernst. Julia hatte den Wink verstanden und nahm sich das letzte Stück Pizza. Dabei tropfte ihr etwas Tomatensoße auf die Bluse.
»Ach, Mist, jetzt muss ich die in die Reinigung bringen.«
Cecilia wollte mit ihrer Serviette auf dem Fleck herumwischen, Julia schob ihre Hand zurück. »Lass mal, das ist nicht so schlimm. Ich will deine Illusionen ja nicht zerstören, aber ich glaube, dass es besser ist, wenn du einen Mann auf die normale Art kennenlernst, zum Beispiel in deinem geliebten Yogastudio oder im Museum.«
»Ja, genau«, bestätigte Mona schnell, »das glaube ich auch.« Cecilia zerknüllte die Serviette und sah Mona direkt an.
»Seit wann verstehst du etwas davon, wie und wo man Männer kennenlernt? Hast du uns nicht eben noch erzählt, dass du nur Sex mit Lars hattest? Und nein, ich praktiziere zwar Yoga und meditiere jeden Tag, deshalb bin ich aber noch lange nicht auf den Kopf gefallen. Und nein, ich bin auch kein Kind mehr, also hört sofort auf mich so zu behandeln.«
Mona zuckte zusammen. Cecilia hatte natürlich recht. Trotzdem war es ungewöhnlich für ihre Freundin, sich so anklagend zu äußern. Normalerweise eierte sie gerne etwas um heikle Themen herum. Es sei denn, diese hatten etwas mit gesunder Ernährung, Yoga oder Esoterik zu tun. Das hieß also, dass es Cecilia ernst war. Sie suchte einen Mann.
Mona schalt sich selber, weil es ihr offenbar nicht aufgefallen war, dass ihre Freundin einsam war. Klar, sie hatte im letzten Jahr im Wesentlichen nur an sich, Lars und ihre gescheiterte Ehe gedacht. War sie eigentlich immer schon so egoistisch gewesen?
»Es tut mir leid, ich bin ein Idiot. Und natürlich verstehe ich überhaupt nichts von diesen Dingen. Ich mache mir doch nur Sorgen, dass du an den Falschen geraten könntest.«
Mona stand auf und quetschte sich zwischen ihre Freundinnen auf das Sofa. Sie drückte die Hände von Julia und Cecilia.
Plötzlich war ihr wieder zum Heulen zumute. »Hört mal, ich werde euch nie vergessen, dass ihr im vergangenen Jahr für mich da wart. Und ich freue mich so sehr, dass wir demnächst nicht weit auseinanderwohnen. Und, das mit euren zukünftigen Männern, äh, das findet sich bestimmt auch noch.«
»Jetzt fang bloß nicht an zu weinen«, murmelte Julia und ließ Monas Hand los. »Du weißt, dass ich das nicht ausstehen kann. Heulende Frauen.«
»Also ich finde es gut, wenn man die Emotion einmal so richtig rauslassen kann«, sagte Cecilia und streichelte über Monas Handrücken. »Das befreit.«
»Ja, klar, was auch sonst.« Julia ergriff erneut ihr Glas.
»Ist es dir ernst mit der Partnervermittlung?« Sie beugte sich mit dem Glas in der Hand vor und sah Cecilia an.
»Dann treffen wir uns in der nächsten Woche und erarbeiten zusammen ein Profil. Ich erkläre dir auch, welche Vorsichtsmaßnahmen du treffen musst. Da du schon in den Wechseljahren bist, wie du uns oft genug erzählt hast, kannst du ja auf vegane Kondome verzichten. Obwohl, man muss auch an AIDS denken. Und natürlich erwarte ich einen ausführlichen Bericht.«
»Ich wusste gar nicht, dass es auch vegane Kondome gibt«, sagte Mona und schüttelte den Kopf.
»Ja, meine Liebe, es tun sich für dich jetzt ganz neue Welten auf. Ich habe immer welche zu Hause, leider setzen die derzeit nur Staub an.« Cecilia kicherte.
Julia kicherte ebenfalls. »Da bleibt nur die Selbstbefriedigung, oder? Gibt es im Erotikshop eigentlich eine Extra-Abteilung für vegane Produkte?«
Mona fühlte sich für einen Moment wieder wie das dritte Rad am Wagen. »Ihr wollt mich doch wieder nur veralbern, oder? Und übrigens, ich möchte auch informiert werden.«
»Ach, und ich hatte schon gedacht, dass ich für dich auch ein Profil zur Männersuche entwerfen soll«, witzelte Julia.
»Super Idee«, sagte Cecilia. »Wir suchen zu dritt.«
»Seid ihr verrückt?« Mona grinste, das Gefühl von Ausgeschlossenheit war verschwunden. »Ich muss mich zunächst in Hamburg einrichten und mir einen Job suchen. Damit bin ich genug beschäftigt. Außerdem habe ich von Männern erst einmal die Nase voll. Dann versuche ich es lieber mit Softpornos.«
»Wieso von Männern? Ich dachte, es ginge nur um Lars?« Julia konnte es nicht lassen.
Cecilia hatte ebenfalls ihr Glas erhoben und prostete Mona zu. »Auf uns, Mädels. Lasst uns die Flasche leeren.«
Mona und Julia stießen mit ihr an. »Aye, aye, ma capitaine.«