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Die Zähmung des Racheengels

von Pia Conti (Autor:in)
256 Seiten

Zusammenfassung

Lara Mancini bebt vor Empörung: Der Immobilienhai Dario Cannavaro will das alte Gebäude, in dem ihre Großmutter lebt, abreißen lassen, um darauf einen modernen Apartmentkomplex zu errichten. Als sie sich mithilfe ihrer Nachbarin Kassia auf eine seiner Pressekonferenzen schleicht, beschimpft sie ihn vor allen Journalisten als geldgierigen Teufel.Dario ist mehr amüsiert als empört, denn er findet sofort Gefallen an dem zornsprühenden Racheengel. Schon seit einiger Zeit sucht der übersättigte Dominus eine neue Herausforderung und Lara weckt mit ihrer Widerspenstigkeit seine dunkelsten Begierden. Zu gerne würde Dario den kleinen Racheengel zähmen - und so erpresst er Lara, der nichts anderes übrig bleibt, als sich zu fügen. Schon bald muss Dario feststellen, dass auch Engel vor Leidenschaft brennen können ...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

„... und jetzt muss sich meine arme Großmutter mit fast siebzig Jahren eine neue Bleibe suchen. Kannst du das glauben?“

Meine Nachbarin Kassia murmelte etwas Unverständliches, während ich die nicht enden wollende Empörung, die sich in mir staute, mit einem kräftigen Schluck Chianti runterspülte. Meine Oma wurde von einem fiesen Immobilienhai aus ihrem Zuhause vertrieben und die Wut darüber brachte mein Blut zum Kochen. Es fiel mir wirklich schwer, mich nicht auf den Boden zu werfen und diese von Dario Cannavaro begangene Ungerechtigkeit wie ein plärrendes Kleinkind zu beklagen. Kein Mann hatte es je geschafft, eine so intensive Reaktion in mir auszulösen, doch dieser geldgeile Sack brachte das spielend zustande und war dabei noch nicht einmal anwesend. Bis jetzt war Cannavaro für mich nicht mehr als ein Name auf einem Stück Papier, das er von seinem Anwalt an alle Bewohner des Mietshauses hatte verschicken lassen. Als meine Großmutter mir vor wenigen Tagen mit betrübter Miene das Schreiben in die Hand gedrückt hatte und meine Augen ungläubig über die Zeilen glitten, schwor ich mir, diesen skrupellosen Burschen dafür büßen zu lassen, dass er meine Oma, und auch die anderen Mieter des schon in die Jahre gekommenen Gebäudes in der Via Mala, einfach auf die Straße setzte.

Der Kerl hatte rundherum schon alles aufgekauft, um für einen supermodernen Apartmentblock mit Einkaufsmöglichkeiten, Arztpraxen und einem Café Platz zu schaffen. Da passten wohl ein paar alte Menschen mit einer geringen Rente nicht ins Bild, mal ganz abgesehen davon, dass sie sich die Mieten für die neuen Wohnungen in hundert Jahren nicht würden leisten können. Nicht mehr lange und die Bagger würden anrollen und das Gebäude einreißen.

Nun saß ich hier, im elegant eingerichteten Wohnzimmer meiner Nachbarin Kassia di Medea, und lud meinen gesamten Frust bei ihr ab. Dabei hatte ich bis zum heutigen Tag noch keine zehn Sätze mit ihr gewechselt, obwohl sie jetzt schon knappe anderthalb Jahre im Apartment gegenüber wohnte. Uns trennte nur ein schmaler Flur und doch waren wir uns in all der Zeit fremd geblieben.

Da sich unser Kontakt normalerweise auf die üblichen Begrüßungs- und Abschiedsfloskeln beschränkte, wenn wir uns zufällig über den Weg liefen, wunderte es mich ein wenig, mit welcher Engelsgeduld sie mir zuhörte und dabei ihre letzte Flasche Rotwein mit mir teilte. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, denn ich hatte mir Kassia nicht grundlos als seelischen Mülleimer ausgesucht. Sie spielte eine Schlüsselrolle in dem Plan, der seit ein paar Tagen in meinem Kopf herumspukte, und nun musste ich nur noch einen Weg finden, ihr meine Bitte zu unterbreiten, ohne gleich bei ihr rauszufliegen. Wenn es ganz dumm lief, konnte sie sogar ihren Job verlieren und das wollte ich auf gar keinen Fall. Es reichte schon, dass meine arme Großmutter wegen diesem Idioten Dario Cannavaro leiden musste. Eine weitere Person wollte ich seinetwegen nicht auch noch ins Unglück stürzen. Trotzdem brauchte ich Kassias Hilfe, es führte kein Weg daran vorbei.

Kassia, die nichts ahnend vor mir auf ihrer Couch lümmelte, seufzte.

„Hör mal, es tut mir leid, was deiner Großmutter passiert ist, ehrlich, aber wieso kommst du mit der Geschichte ausgerechnet zu mir? Wir kennen uns doch kaum.“

Nun wurde es langsam Zeit, Farbe zu bekennen. Ich wich Kassias scharfem Blick aus und betrachtete angelegentlich einen Fussel auf meiner schwarzen Hose. Um den Moment der Wahrheit noch ein wenig hinauszuzögern, zupfte ich ihn mit den Fingern weg und überlegte, wie ich das heikle Thema anschneiden sollte. Schließlich war das, was ich mir von Kassia erhoffte, keine Bagatelle.

„Das ist alles nicht so einfach zu erklären“, fing ich an und ignorierte konsequent die leise Stimme der Vernunft, die mich eindringlich davor warnte, Kassia in Schwierigkeiten zu bringen. Und das nur, um meinen Rachedurst zu befriedigen.

„Warum sagst du es nicht einfach frei raus?“, schlug sie unterdessen vor und kuschelte sich noch tiefer in ihre Sofaecke. Aufmunternd lächelte sie mich an. „Schau, wir kennen uns kaum, auch wenn ich nach der letzten Stunde zugeben muss, dass du viel netter bist, als ich das erwartet hätte, aber ich bin nicht dumm, Lara. Du klingelst doch nicht bei mir, nur um dich über Cannavaro auszukotzen? Da steckt doch noch mehr dahinter.“

Man sollte nie den Fehler machen, andere zu unterschätzen. Ich sah auf, wich aber ihrem direkten Blick aus und sah auf ihre Stirn. So musste ich ihr nicht direkt in die Augen schauen und ihr fiel nicht auf, dass ich genau das vermied.

Ihr hübsches Gesicht mit den cognacfarbenen Augen verzog sich fragend. „Wirst du mir jetzt sagen, worum es dir wirklich geht?“

Mit ihrer schlanken Hand strich sie ihr weizenblondes Haar nach hinten und musterte mich abwartend. Nun konnte ich mich nicht weiter drücken. Einer Frau wie Kassia, die als Pressesprecherin für eine Mailänder Tageszeitung arbeitete, konnte man nichts vormachen.

„Okay, du hast recht. Ich bin nicht nur hier, um Trost zu suchen, sondern ich habe eine Bitte.“

Kassia lächelte milde und führte ihr Glas an die Lippen. „Wusste ich es doch ...“, murmelte sie leise und fixierte mich über den Rand hinweg. Sofort tat ich so, als fände ich das Muster ihres zartgrünen Teppichs total interessant. Kassia lachte leise.

„Ach du lieber Himmel, warum werde ich das Gefühl nicht los, ich könnte mir ziemlichen Ärger einhandeln, wenn ich dir diese Bitte erfülle?“

Ob sie einen sechsten Sinn besaß, der sie intuitiv die richtigen Schlüsse ziehen ließ? Irgendwie fand ich das gruselig, aber vermutlich konnte sie mir einfach am Gesicht ablesen, wie unangenehm mir das Ganze war, auch wenn ich momentan keinen anderen Ausweg sah. Ich nahm noch einen Schluck Wein und sprach mir selbst Mut zu. Wenn man so herzlos durchs Leben ging wie dieser Cannavaro, dann brauchte man sich nicht zu wundern, wenn man sich Feinde machte, die irgendwann zurückschlugen. Trotzdem haderte ich noch mit meinem Anliegen und traute mich nicht, Kassia davon zu erzählen.

„Lara, ernsthaft, entweder du sagst mir jetzt, was du willst, oder du gehst“, drängelte sie ungeduldig. „Ich habe heute Abend noch eine Verabredung und muss mich langsam fertigmachen.“

Nun gab ich mich geschlagen. Die Aussicht, unverrichteter Dinge wieder abzuziehen, lockerte meine Zunge. Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus. „Also gut. Ich brauche dich, damit ich auf eine Pressekonferenz komme, die Cannavaro in wenigen Tagen geben wird. Ich muss da unbedingt hin, aber ohne Presseausweis komme ich nicht rein und ich dachte mir, du könntest mir einen besorgen.“

Kassia setzte sich kerzengerade auf, ihr Mund klappte auf und zu, dann atmete sie geräuschvoll aus.

„Sag mal, bist du noch ganz bei Trost? Ich weiß zwar nicht, was du vorhast, aber ich werde dir ganz sicher nicht dabei helfen, seine Pressekonferenz zu stürmen. Mit Cannavaro treibt man keine üblen Scherze. Hast du eine Ahnung, wie mächtig dieser Kerl ist, welchen Einfluss er hier in der Stadt besitzt? Du musst verrückt sein, dich mit ihm anzulegen. Das haben schon andere versucht und sind selbst mit ausgeklügelten Plänen grandios gescheitert!“

„Ich will mich nicht mit ihm anlegen, Kassia. Alles, was ich möchte, ist eine Gelegenheit, persönlich mit ihm zu sprechen. Sobald ich den Sicherheitsbereich passiert habe, werde ich den Ausweis abnehmen. Niemand wird mich mit dir oder deiner Zeitung in Verbindung bringen.“

Entschlossen schüttelte Kassia den Kopf. „Nein, das geht nicht. Es tut mir leid für deine Großmutter, aber ich kann dir da nicht helfen. Wenn das rauskommt, bin ich meinen Job los, und mit Sicherheit hätte ich zusätzlich eine Klage am Hals, wenn ich meine Position dermaßen missbrauche. Du musst dir jemand anderen suchen, der dir helfen kann.“

„Ich kenne aber niemanden sonst!“, rief ich verzweifelt. „Ich muss einfach mit ihm reden. Vielleicht zeigt er doch ein Herz und überlegt es sich anders.“

Kassia sah mich etwas seltsam an. „Dir ist schon klar, um wie viel Geld es da geht? Er wird das Projekt wegen einer alten Dame nicht stoppen. Schmink dir das mal ab. In seiner Welt regieren andere Gesetze; Moral und Mitleid haben da nichts verloren.“

Natürlich wusste ich das selbst, so naiv war ich dann doch nicht, und ich glaubte auch nicht an Wunder. Der eigentliche Grund für mein Vorhaben war ein ganz anderer. Es ging mir nicht darum, Cannavaro zur Umkehr zu bewegen, nein, ich wollte ihn vor aller Welt bloßstellen und den Mietern eine Stimme leihen. Wenn er schon auf Kosten anderer Geld scheffelte, dann sollte wenigstens ein Mensch den Mut besitzen, ihn daran zu erinnern, dass sein skrupelloses Geschäftsgebären die Schicksale vieler Menschen beeinflusste. Für ihn waren sie nur Namen auf einer Liste, lästige Stolpersteine auf dem Weg zu einem neuen erfolgreichen Geschäftsabschluss. Jeder einzelne Bewohner musste sich jetzt eine neue Bleibe suchen und die Chancen, in der Stadt eine vergleichbare Wohnung auf dem Preisniveau zu finden, standen gleich null. Viele von ihnen verzweifelten bereits, weil sie eine Absage nach der anderen kassierten oder weil die freien Wohnungen auf dem Markt schlichtweg zu teuer waren.

Cannavaro hatte ihnen nicht einmal angeboten, ihnen bei der Suche nach neuem Wohnraum zu helfen, dabei wäre es ein leichtes für ihn gewesen, jemanden aus seinem Unternehmen darauf anzusetzen oder wenigstens eine Art Ausgleich für die Mehrkosten zu zahlen.

Stattdessen gab es nur einen Brief mit der Aufforderung, die Wohnungen bis zu einem bestimmten Termin zu räumen. Eine Schande, und ich würde dafür sorgen, dass die ganze Welt erfuhr, wie Cannavaro mit diesen Menschen umsprang. Die sensationsgierige Meute würde sich überschlagen und diese Geschichte bis zum bitteren Ende ausschlachten. Ich freute mich jetzt schon auf den Shitstorm, der nach meinem Auftritt über ihn hereinbrechen würde. Cannavaros Name würde für eine ganze Weile negativ behaftet durch die Medien geistern und seine Berater würden sich anstrengen müssen, um seinen lädierten Ruf zu reparieren.

Wenigstens diese Genugtuung wollte ich meiner Großmutter gönnen. Außerdem spekulierte ich darauf, dass ihn die Sache dermaßen unter Druck setzte, dass er sich genötigt fühlte, den Leuten doch noch zu annehmbaren Ersatzwohnungen zu verhelfen, um sein angekratztes Image wieder glattzubügeln.

Sollten meine Pläne nicht aufgehen und meine Oma bis zum Auszugstermin tatsächlich keine bezahlbare Wohnung finden, dann würde ich sie zu mir nehmen. Ein staatlich gefördertes Seniorenheim, die einzig bezahlbare Alternative für sie, kam nicht infrage. Ich wusste genau, wie sehr sie sich davor fürchtete, in so einer schmuck- und trostlosen Einrichtung zu landen. Dort würde sie wie eine Blume ohne Wasser verdorren. Diese erschreckende Aussicht auf eine solche Zukunft sorgte für neue Entschlossenheit bei mir und ich versuchte ein letztes Mal, Kassia für meinen Plan zu gewinnen.

„Bitte Kassia, ich weiß, du kennst mich kaum, aber der Kerl ist sonst unerreichbar für mich. Telefonisch kriege ich ihn nicht zu fassen. Ich lande immer bei seinen Vorzimmerdamen, und die wimmeln mich jedes Mal ab. Und da ich nicht in seinen Kreisen verkehre, bist du meine einzige Option. Denk wenigstens darüber nach. Es würde mir so viel bedeuten und ich wäre dir ewig dankbar.“

Kassia schloss kurz die Augen, ehe sie ihren Blick wieder auf mich richtete. „Und du schwörst, dass du keinen Blödsinn machst?“

Geschickt umging ich eine eindeutige Antwort. „Ich werde nichts tun, womit ich nicht leben könnte.“

Zumindest das war nicht gelogen. Cannavaro einer sensationslüsternen Meute zum Fraß vorzuwerfen, würde mir größtes Vergnügen bereiten, und ich würde schon darauf achten, dass Kassia ihre Hilfe nicht bereuen musste. Glücklicherweise lehnte sie nicht von vornherein ab.

„Ich denke darüber nach, aber verlass dich nicht zu sehr darauf, dass ich dir einen Ausweis besorge. Ich muss erst eine Nacht drüber schlafen.“

Strahlend sah ich sie an. Für mich war ihre Antwort gleichbedeutend mit einem Ja. „Du bist die Beste, dafür werde ich dir ewig dankbar sein.“

Eine steile Falte erschien auf ihrer Stirn. „Freu dich nicht zu früh. Ich sagte, ich denke darüber nach. Das ist noch keine Zusage!“

Ein wenig ernüchtert setzte ich mich aufrechter hin und schenkte ihr ein vorsichtiges Lächeln. „Trotzdem bin ich dir dankbar, dass du nicht sofort ablehnst. Das bedeutet mir viel.“

Nun, da der schlimmste Teil des Abends überstanden war, ließ ich meinen Blick durchs kleine Wohnzimmer schweifen. Kassia besaß offenbar ein Faible für Brauntöne. Die Couch sowie der dazu passende Sessel waren mit dunkelbraunem Leder überzogen. Der kleine Tisch bestand aus einem etwa zehn Zentimeter starken Holzrahmen, in den man eine Glasplatte eingelassen hatte. Darauf befand sich eine Schale mit Orangen und auf der Ablage darunter entdeckte ich ein paar Frauenzeitschriften. Auch das Sideboard bestach mit einer dunkelbraunen Holzlasur und wirkte sehr edel und elegant.

Ohne die blassgelb gestrichenen Wände und die zarten Aquarelle, die sie schmückten, hätte der Raum beinahe düster gewirkt, doch die Mischung aus hell und dunkel relativierte diesen Eindruck. Auch der zartgrüne Teppichboden lockerte die Strenge der Möblierung auf und sorgte für eine gemütliche Atmosphäre. Langsam entspannte ich mich, auch die brodelnde Wut über die Ungerechtigkeit, die meiner Oma durch diesen Widerling Cannavaro widerfuhr, reduzierte sich und wich berechnender Vorfreude.

Eigentlich war ich ja kein rachsüchtiger Mensch, doch Cannavaro kitzelte mit seiner Skrupellosigkeit wirklich die schlechtesten Eigenschaften in mir hervor. Obwohl er mir noch nie zuvor begegnet war, hasste ich ihn mit aller Leidenschaft, die ich aufbringen konnte. Vor die Füße würde ich ihm spucken, sobald ich vor ihm stand. Jawohl! Cannavaro avancierte in meiner Wahrnehmung zum Sinnbild von Gemeinheit, Selbstsucht und Profitgier. Da konnte man doch ein klein wenig überreagieren. Oder nicht?

„Sag mal, hat deine Großmutter schon eine neue Bleibe gefunden? Ich weiß ja, wie schwer es ist, in Mailand etwas bezahlbares zu finden. Ich kenne eine Maklerin, vielleicht kann ich da was arrangieren.“

Düster starrte ich auf meine Hände. „Nein, bis jetzt hat sie nichts vergleichbares bekommen. Ihre Rente ist nicht sehr üppig und die meisten Mieten sind für sie unerschwinglich.“ Kurz sah ich auf, lächelnd, auch wenn es mir angesichts der beinahe aussichtslosen Lage meiner Großmutter sehr schwer fiel. „Es ist sehr lieb von dir, dass du mir deine Hilfe anbietest, aber ich fürchte, es ist sinnlos. Ich werde sie wohl zu mir nehmen müssen, sollte Cannavaro nicht doch ein Herz besitzen und den Mietern helfen.“

„Und der Gedanke behagt dir nicht?“

Seufzend schüttelte ich den Kopf. „Es geht hier nicht um mich. Sie ist meine Großmutter, ich liebe sie und es würde mir nichts ausmachen, sie bei mir zu haben. Da ich keinen Freund habe und auch kein sehr ausgehfreudiger Mensch bin, würde ich auch niemanden vernachlässigen. Wir würden uns schon zusammenraufen, aber sie wäre mit so einer Lösung gar nicht glücklich. Sie will mir nicht zur Last fallen, sagt sie. Was das angeht, ist sie so furchtbar stur.“

„Ich würde es eher als Stolz bezeichnen“, erwiderte Kassia verständnisvoll. „Wenn man jahrelang allein zurechtkommt, ist es schwer, Hilfe zu akzeptieren, selbst wenn sie von der eigenen Familie kommt.“

Sie lehnte sich nach vorn und griff nach der Flasche. Durch die vornübergebeugte Haltung konnte ich direkt in den Ausschnitt ihres dünnen Pullovers schauen und registrierte tödlich verlegen, dass sie keinen BH trug. Die kleinen, aber festen Brüste konnte ich beim besten Willen nicht übersehen. Glühende Hitze stieg mir in die Wangen und ich blickte woanders hin. Die Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihrem Körper löste etwas ganz Merkwürdiges in mir aus. Ein Gefühl von Sehnsucht, den Wunsch, mich ebenfalls so frei zu fühlen und endlich einem Mann zu gehören, ohne mich davor zu ekeln, dass er mich anfasste. Das hatte keinen besonderen Hintergrund. Ich war nie Opfer eines Missbrauchs gewesen oder sonst wie vorbelastet. Die Männer, die mir bisher begegnet waren, ließen mich einfach nur kalt. Wie sollte man dann die körperliche Nähe zu ihnen genießen? Vielleicht gehörte ich zu jenen Menschen, die man als asexuell bezeichnete. Sie empfanden einfach keine Lust und lebten ganz gut damit. Außerdem vermutete ich, dass mich der traumatische Tod meiner Eltern in meiner sozialen Entwicklung zurückgeworfen hatte. Diese Monate, in denen ich vor lauter Trauer fast den Verstand verlor, hatten dafür gesorgt, dass ich mich dagegen versperrte, jemanden zu tief ins Herz zu schließen. Aus Angst, wieder einen Verlust zu erleiden. Trotzdem sehnte ich mich danach, mich einfach jemandem hingeben zu können und dabei Freude zu empfinden.

Kassia ahnte nichts von meinen trüben Gedanken und wollte mir noch etwas Chianti nachschenken. „Hier, trink noch einen Schluck. Ich habe das Gefühl, du kannst es brauchen.“

Bevor sie mein Glas auffüllen konnte, hielt ich die Hand darüber. „Nein danke, mir reicht es. Sag mir lieber, ob du mir helfen wirst und lass mich nicht bis morgen zappeln.“

„Lara ...“

„Bitte, du würdest mir einen Gefallen tun, und wenn du ohnehin nicht vorhast, mir zu helfen, dann sag es mir lieber gleich.“

Meine Nachbarin seufzte ungeduldig. „Du lässt einfach nicht locker, oder?“

Ich witterte die Chance, sie umzustimmen, und nickte heftig. „Davon kannst du ausgehen! Mir ist klar, ich verlange viel von dir, aber es wäre unglaublich wichtig für mich, die Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch zu bekommen. Bitte, du bist meine letzte Chance.“

Ich setzte den treuherzigsten Blick auf, den ich zustande brachte, und der zeigte Wirkung. Ihr gespielter Verzweiflungsschrei ließ mich innerlich jubeln, während sie sich mit den Handflächen übers ungeschminkte Gesicht rieb. Tatsächlich hatte sie es gar nicht nötig, Make-up zu tragen. Sie sah auch ohne aus, als wäre sie bereit fürs nächste Fotoshooting.

Endlich sah sie mich an. „Also gut“, lenkte sie ein. „Ich werde dir helfen, aber wehe, du bringst mich in Schwierigkeiten.“

Überglücklich hob ich mein Glas, um mit ihr anzustoßen, und kam mir vor wie eine Superheldin, weil ich es geschafft hatte, die unnahbare Kassia di Medea zu meiner Verbündeten zu machen. Zwar unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, aber wen scherte das schon, wenn es um eine gute Sache ging. „Ich schwöre, ich werde dir keinen Ärger machen“, versprach ich und hoffte, dass ich dieses Versprechen auch einhalten konnte.

Kassia neigte den Kopf und musterte mich eingehend. „Ehrlich gesagt, kauf ich dir das nicht hundertprozentig ab, aber ich bin bereit, dir zu vertrauen, weil ich hoffe, dass es für deine Großmutter und die anderen Mieter doch noch ein gutes Ende nimmt. Eigentlich hat Cannavaro nicht den Ruf, über Leichen zu gehen, es wundert mich, dass er diese Leute so eiskalt aus den Wohnungen schmeißt. Wer weiß, vielleicht ist alles ein Missverständnis und er stellt sich als anständiger Kerl heraus.“

Eher lernen Schweine fliegen, dachte ich dumpf, setzte aber mein schönstes Lächeln auf, als ich ihr zum Schein zustimmte. Darin war ich eine Meisterin. Diese falsche Fröhlichkeit hatte ich im Laufe der Jahre perfektioniert, um darüber hinwegzutäuschen, wie sehr mir meine selbst verschuldete Einsamkeit manchmal zusetzte.

Kassia stellte unterdessen ihr Weinglas ab und musterte mich eingehend. „Und jetzt verrate mir noch, wo und wann diese Pressekonferenz stattfinden wird?“

Nun konnte ich endlich aufatmen. Sie wollte mir tatsächlich helfen. Vielleicht würde die Konfrontation mit Dario Cannavaro meiner Großmutter nicht weiterhelfen, aber wenigstens konnte ich diesem gemeinen Immobilienhai vor versammelter Mannschaft die Meinung geigen. Wem keine Gerechtigkeit widerfuhr, der musste eben selbst dafür sorgen.


Kapitel 2

Der kritische Blick des Sicherheitsbeamten auf meinen provisorischen Presseausweis sorgte für einen kurzen Adrenalinstoß in meinem angespannten Körper. Mein Puls schoss kurzzeitig in die Höhe und beruhigte sich erst wieder, als mir der junge Mann die Karte wieder in die Hand drückte. Er winkte mich durch den Sicherheitsbereich und ich bewegte mich mit weichen Knien vorwärts, froh darüber, dass niemand misstrauisch wurde und ich ungehindert passieren konnte.

Meine Befürchtung, erwischt und zur Verantwortung gezogen zu werden, trieb mir den Angstschweiß auf die Stirn.

Es hätte zu mir gepasst, so kurz vor dem Ziel zu scheitern. Das konnte man sozusagen als die Geschichte meines Lebens bezeichnen. In der Schule gehörte ich zu denen, die bei der Mannschaftsauswahl immer zu den letzten gehörte, die in ein Team gewählt wurden. Auch sonst war ich niemand, der auf der Gewinnerseite des Lebens stand.

Nach meinem erfolgreich abgeschlossenen Musikstudium bot sich mir die unglaubliche Chance, am Mailänder Musikkonservatorium als Lehrkraft angenommen zu werden. Doch kurz bevor es dazu kam, wurde eine andere Frau vorgezogen. Deren Eltern profilierten sich schon seit Jahren als wohlwollende Unterstützer der Einrichtung und so musste man nur zwei und zwei zusammenzählen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Ihr Glück, mein Nachteil. Ich fiel durch fehlende Beziehungen und ein schmales Bankkonto durchs gesellschaftliche Raster, und meine Großmutter musste sich nun ebenfalls der Geldgier anderer fügen. Es wurde Zeit, dass unsere Pechsträhne hier und heute ein Ende fand.

Unbehelligt lief ich durch einen schmalen Gang und folgte den Fotografen und Journalisten in den eigens vorbereiteten Konferenzraum des Hotels. Wenn alles nach Plan lief, würde Cannavaro in wenigen Minuten dort erscheinen. Da er als Bauträger des aktuell größten Wohnungsbauprojekts in Mailand im Fokus der Öffentlichkeit stand, musste er sich regelmäßig den Vertretern der schreibenden Zunft stellen und ihre neugierigen Fragen beantworten.

„Mal sehen, wie du auf meine reagierst, du Arsch“, flüsterte ich so leise, dass niemand außer mir es hören konnte.

Unauffällig steckte ich den Ausweis in die Tasche meines Blazers und trat durch die große Doppelflügeltür. Der riesige Raum wurde von einem goldenen Kronleuchter dominiert. Vorn befand sich eine Bühne mit einem langen Tisch, der bis zum Boden von einem weißen Tuch bedeckt wurde. Dahinter standen Stühle für Cannavaro und seine Leute.

Ich hielt mich im Hintergrund und versuchte mich daran zu erinnern, was Kassia mir erzählt hatte. Die vorderen Plätze waren den großen Zeitungen vorbehalten, dahinter reihten sich die Journalisten der kleineren Blätter und der unbedeutende Rest musste stehen. Da ich möglichst unsichtbar bleiben wollte, stellte ich mich zu den kleinen Lokalreportern, die genau wie ich auf Cannavaros Ankunft warteten. Die Konferenz war für 14.00 Uhr geplant. Noch zehn Minuten, dann würde es soweit sein.

Ich fokussierte die improvisierte Bühne, als könnte ich dadurch Cannavaros Anwesenheit schneller heraufbeschwören, da tippte mich jemand von hinten an und eine schleimig-süßliche Stimme fragte: „Dich habe ich noch nie gesehen. Für wen schreibst du denn, Süße?“

Erschrocken wandte ich mich um. Aus irgendeinem Grund hatte ich nicht damit gerechnet, dass mich jemand ansprechen würde. Unangenehm berührt, blickte ich in das aufgedunsene Gesicht eines Mannes in mittleren Jahren. Er trug einen schlecht sitzenden Anzug, der weder seinen Wohlstandsbauch noch seine fehlende Körperspannung kaschieren konnte. Der Kerl erinnerte mich an einen schlaffen Socken. Igitt!

„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht“, schnauzte ich ihn an, in der Hoffnung, jedes Gespräch im Keim zu ersticken. So ein neugieriger Reporter fehlte mir gerade noch. Ich holte meine Hand aus meiner Jackentasche, um ihn notfalls abwehren zu können, und registrierte zu spät, dass dabei der laminierte Ausweis herausrutschte und zu Boden fiel. Der Kerl bückte sich flink und hob ihn auf, was ich anhand seiner Leibesfülle doch ziemlich erstaunlich fand. Bevor er einen allzu langen Blick auf mein Konterfei und den Namen werfen konnte, riss ich ihm den Presseausweis aus seiner Hand. Kassia hatte meinen echten Namen benutzt, für den Fall, dass der zuständige Sicherheitsbeamte die Karte mit meinem Ausweis abgleichen wollte.

„Geben Sie her, das ist meiner!“

Schmollend wie ein Kleinkind verzog er den Mund. „Krieg dich wieder ein, Herzchen. Ich schau dir schon nichts weg.“

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, kehrte ich ihm den Rücken zu und ignorierte auch seine weiteren Versuche, mit mir ins Gespräch zu kommen. Er hörte auf, mich zu belästigen, als sich hinter uns die Tür öffnete und eine kleine Abordnung von Anzugträgern durch den schmalen Mittelgang auf die Bühne zusteuerte. Vorneweg lief ein circa 1,90 Meter großer Mann mit akkurat geschnittenem schwarzen Haar, stechenden grünen Augen und einem derart blasierten Gesichtsausdruck, dass mir sofort klar war: Das war Dario Cannavaro! Der Kerl, der meiner Oma ihren Lebensabend vermieste, weil er auf dem Gelände ihres Mietshauses ein Multimillionen-Bauprojekt verwirklichen wollte.

Brennender Hass stieg in mir hoch und doch konnte ich eine gewisse Faszination für diesen Kerl nicht verhehlen. Was war das für ein eiskalter Mensch, der so mitleidlos und ohne Gnade über das Schicksal anderer bestimmte?

In diesem Moment befand er sich auf gleicher Höhe mit mir. Ich starrte auf das Profil seines Gesichts, eine gerade Nase, dazu ein markantes Kinn und sinnliche Lippen, die sicher schon viele Frauen geküsst hatten. Und noch während ich ihn eingehend betrachtete, merkte ich zu meiner Schande, wie mein Herz bei seinem Anblick schneller schlug. War es denn die Möglichkeit! Ich fand den Mistkerl attraktiv. Seine kantigen Züge mit den scharf konturierten Lippen sprachen mich unwahrscheinlich an, auch seine militärisch schneidige Körperhaltung und sein zielbewusstes Auftreten verursachten mir weiche Knie, während ich beobachtete, wie er auf die Bühne zuhielt. Ein Raubtier auf Beutezug – oder war er doch der Teufel, der nach den Seelen der Menschen verlangte?

Meine Güte, Lara, krieg dich wieder ein! Er ist nur ein menschliches Wesen. Vielleicht reicher und mächtiger als die Masse, aber nichtsdestotrotz ein Mensch und kein Dämon.

Seine Ausstrahlung nahm mich dennoch gefangen und egal, wie sehr ich versuchte, mich nicht davon beeindrucken zu lassen, ich scheiterte kläglich. Meine heftige Reaktion konnte ich mir nicht schönreden, auch nicht die Tatsache, dass ich ihn verflucht sexy fand, denn genau das war er. Ein attraktiver Bastard, dessen Gesicht das Potenzial besaß, mich bis in meine Träume zu verfolgen.

Endlich erklomm er die Bühne. Ein weiterer Mann, der sogar noch größer war als Cannavaro selbst, blieb dicht an seiner Seite und weckte nun meine Aufmerksamkeit. Ich schluckte. Schon der bloße Anblick seines Begleiters flößte mir Angst ein. Als besonders markant empfand ich sein narbiges Gesicht, das durchaus attraktiv gewesen wäre, ohne diesen erbarmungslosen Ausdruck darauf. Um den brutalen Eindruck noch auf die Spitze zu treiben, trug er sein dunkelblondes Haar extrem kurz, was die Härte seiner Züge noch deutlicher betonte. Und dann diese Schultern ... Heilige Jungfrau, passte der Kerl überhaupt noch durch eine Tür? Bei alledem verfügte er dennoch über einen schlanken und durchtrainierten Körper. Er erinnerte mich spontan an einen Schwergewichtsboxer oder an die Türsteher vor edlen Clubs, die nur auserlesenes Publikum durchließen. Als sein Jackett aufklappte, wurde auch seine Funktion ersichtlich. Der Kerl trug ein Pistolenhalfter, darin steckte eine Waffe. Cannavaro war also in Begleitung seines Leibwächters.

Es wunderte mich nicht, dass er sich ohne Schutz nicht mehr aus dem Haus traute. Bestimmt hatte er viele Feinde, die ihm an den Kragen wollten. Während er und sein Bodyguard sich setzten und die restlichen Männer in seiner Begleitung das ebenfalls taten, wuchs der Geräuschpegel im Raum an. Dann passierte etwas Eigenartiges, was ich in dieser Form noch nie erlebt hatte.

„Meine Damen und Herren, kommen Sie bitte zur Ruhe.“

Cannavaros Stimme durchzog den Saal, volltönend, kraftvoll und dabei so gebieterisch, dass tatsächlich alle verstummten. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so still wurde es auf einmal. Ich musste zugeben: Ich war beeindruckt. Jede Grundschullehrerin hätte wohl ihre Seele dafür verpfändet, um eine solche Autorität vor ihren Schülern auszustrahlen.

Cannavaro ließ seinen Blick einmal quer über die Versammlung schweifen, ein sparsames Lächeln auf den Lippen, ehe er erneut das Wort ergriff.

„Bevor wir beginnen, möchte ich Sie bitten, auf Zwischenrufe zu verzichten. Ich werde mir die Zeit nehmen und jedem einzelnen von Ihnen eine Frage beantworten, werde aber Gedrängel oder sonstige Störungen nicht dulden.“

Dass er jeden aus dem Saal schmeißen würde, der sich seinen Anweisungen widersetzte, brauchte er gar nicht erst zu erwähnen. Nach und nach stellten die anwesenden Pressevertreter ihre Fragen, allesamt recht zahm, als hätte man ihnen einen unsichtbaren Maulkorb verpasst. Am liebsten hätte ich mich dazwischen gedrängelt, doch ich nahm Cannavaros Ankündigung, ein solches Verhalten auf gar keinen Fall zu akzeptieren, sehr ernst, und wartete geduldig, bis ich dran war.

Eine gefühlte Ewigkeit lang hörte ich zu und versuchte, mich auf meine Mission zu konzentrieren, und dann kam ich endlich an die Reihe. Cannavaro blickte in meine Richtung, für einen Moment glaubte ich, ein interessiertes Aufblitzen auf seinen Zügen zu erkennen, dann glättete sich seine Miene. Süffisant lächelnd nahm er mich ganz unverhohlen in Augenschein, was mir wiederum eine Gänsehaut bescherte.

„Und welche Frage darf ich Ihnen beantworten?“, sagte er mit besonderer Betonung, als ich stumm wie ein Fisch in seine Richtung blickte. Ich fühlte mich wie eine Maus in einem Versuchslabor, doch die leidenschaftslose Anmaßung in seiner Stimme weckte meinen Kampfgeist und erinnerte mich daran, dass ich aus einem ganz bestimmten Grund hier war.

Angetrieben von meinem Wunsch, ihm eins auszuwischen, trat ich vor. Alle Köpfe wandten sich zu mir, während ich Schritt für Schritt auf die Bühne zusteuerte und schließlich direkt vor ihm stehen blieb. Ich bemerkte nur am Rande, dass sein Leibwächter die Hand unter seinem Jackett verschwinden ließ, um bei Bedarf möglichst schnell an seine Waffe zu kommen. Cannavaro wirkte nicht im Geringsten besorgt, eher neugierig, und als sein Bodyguard ihn leise fragte – ich konnte es trotzdem verstehen – ob er mich nach draußen begleiten solle, schüttelte er nur den Kopf.

„Lass sie, ich will wissen, was sie möchte“, antwortete er gedehnt. Nun blitzte eindeutiges Interesse in seinen Augen auf. Es kam wohl nicht oft vor, dass unter all den kriechenden Speichelleckern, die ihn täglich umgarnten, jemand dabei war, der keine Angst und keinen katzbuckelnden Respekt zeigte.

Ich holte tief Luft, entschlossen, meiner Wut und meiner Frustration Ausdruck zu verleihen.

„Signore Cannavaro, ich möchte Sie gerne fragen, ob Sie sich nicht schämen?“ Sofort wurden seine Augen schmal, doch ich ließ mich davon nicht beirren und sprach weiter. „Für Geld und Macht jagen Sie Menschen aus ihren Wohnungen. Menschen, wie meine Großmutter und ihre Nachbarn, die teilweise schon seit über dreißig Jahren in diesem Mietshaus wohnen, das Sie abreißen wollen, um einen überteuerten Apartmentblock dahinzustellen. Schämen Sie sich nicht dafür, Ihr Geld auf Kosten anderer zu verdienen und ein geldgeiler Teufel zu sein, den die Schicksale vieler Menschen einen Dreck interessieren? Haben Sie überhaupt keine Skrupel, eine alte Frau aus ihrem Zuhause zu reißen, wohl wissend, dass sie mit ihrer kleinen Rente keine anständige neue Wohnung finden kann?“

Meine Stimme bebte, während ich ihm all diese Dinge an den Kopf warf. Ein Raunen ging durch die Menge und Cannavaros lässige Langeweile flaute schlagartig ab. Sein stechender Blick kreuzte den meinen. Die grünen Augen loderten drohend, nur seine Miene blieb kalt und leblos.

Nein, der schämte sich nicht, wie ich feststellen musste. Hinter mir hörte ich die Auslöser von Dutzenden Kameras, alle redeten wild durcheinander, weil es eine völlig Unbekannte gewagt hatte, den großen Immobilienmogul Dario Cannavaro vor aller Welt zu diskreditieren.

Dann durchschnitt seine kühle Stimme den Geräuschpegel im Hintergrund. „Für welche Zeitung arbeiten Sie?“

Ich dachte nicht daran, ihm das zu beantworten.

„Das geht Sie nichts an und es macht auch keinen Unterschied, wer ich bin oder für wen ich arbeite“, antwortete ich mit hocherhobenem Kopf. „Ich bin nicht hier, um später einen Bericht zu schreiben, sondern um Ihnen ins Gesicht zu sagen, was ich von Menschen wie Ihnen halte: nämlich gar nichts. Leben Sie wohl, Signore Cannavaro, und ich hoffe, Sie können bis an Ihr Lebensende nachts nicht mehr schlafen, weil Sie die Verzweiflung all derer, die Sie für den Profit geopfert haben, bis in Ihre Träume verfolgt.“

Auch das sagte ich so laut, dass es jeder hören konnte. Nach dem Ende meiner großartigen Rede drehte ich mich um und bahnte mir – das Gesicht bedeckt mit meinen Händen, damit man mich nicht von vorn fotografieren konnte – meinen Weg durch die Menge und strebte eilig auf den Ausgang zu.

„Warten Sie ...“

Cannavaro. Er wollte, dass ich blieb, damit er mich in der Luft zerreißen konnte, doch ich rannte einfach weiter, wagte keinen Blick zurück. Die Leute waren viel zu verdutzt, um mich aufzuhalten, und ich stürmte raus aus dem Saal und auf den Flur. Dort entdeckte ich den Abgang zum Treppenhaus und fackelte nicht lange. Ich riss die Tür auf und flüchtete durchs dämmrige Treppenhaus nach unten, bevor Cannavaros Bodyguard mich erwischen konnte. Meine Absätze klapperten, während ich die Stufen abwärts hastete. Ein hysterisches Lachen lauerte in meiner Kehle, doch ich wagte es nicht, einen weiteren Laut von mir zu geben.

Oh Gott, ich habe es getan. Ich habe ihn tatsächlich vor versammelter Mannschaft wie einen Idioten dastehen lassen.

Mein Ziel hatte ich erreicht, doch warum nur wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich diese Aktion noch bitter bereuen würde?

Einen Tag später tigerte ich in aller Herrgottsfrühe durch die Wohnung und fand keine Ruhe. Hatten Kassia und ich wirklich an alles gedacht? Würde man mir auf die Schliche kommen? In meinem Kopf herrschte ein solches Durcheinander, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, und die Angst, doch erwischt und zur Verantwortung gezogen zu werden, erdrückte mich fast. Immerhin hatte ich Cannavaro in der Öffentlichkeit als geldgieriges Monster entlarvt; ich konnte mir nicht vorstellen, dass er das auf sich sitzen ließ und nicht versuchte, meine Identität herauszufinden.

Und wenn er das schafft, dann Gnade mir Gott.

Unruhig wischte ich mir die feuchten Handflächen an meinem Kleid ab und war froh, dass ich mich für den heutigen Tag krankgemeldet hatte. Einen normalen Arbeitstag hätte ich in meinem derzeitigen Zustand niemals überstanden und sicherlich auch kein brauchbares musikalisches Wissen vermitteln können.

Um mich zu beschäftigen, versuchte ich erneut mein Glück bei Kassia, auch wenn mir ehrlich gesagt davor graute, ihr gegenüberzutreten. Doch ich musste ihr noch den Ausweis zurückgeben, so war es ausgemacht. Bestimmt hatte sie bereits mitbekommen, was ich angestellt hatte, und war maßlos enttäuscht, weil ich mein Versprechen nicht gehalten hatte. Hatte sie gestern Abend deswegen nicht auf meine Anrufe reagiert und mein Klingeln an ihrer Tür ignoriert?

Auch jetzt öffnete sie nicht. War sie etwa schon zur Arbeit gefahren? Da die Wohnungen hier sehr hellhörig waren, bekam ich immer mit, wann sie die Wohnung verließ. Normalerweise nie vor acht Uhr morgens, und jetzt war es gerade mal kurz nach sieben. Entweder wollte sie mich nicht sehen oder sie hatte die Nacht woanders verbracht.

Unverrichteter Dinge begab ich mich zurück in meine eigenen vier Wände. „Vielleicht erwische ich sie heute Abend“, murmelte ich und schaltete mein Laptop ein, um die Seiten der lokalen Presse aufzurufen. Sobald ich die ersten Schlagzeilen las, lächelte ich grimmig. Die Online-Portale der hiesigen Zeitungen waren voll von reißerischen Berichten über Dario Cannavaro. Die Überschriften wiederholten sich und er kam bei keiner besonders gut weg.

Dario Cannavaro von unbekannter Journalistin als geldgeil bezeichnet.

Cannavaro schmeißt aus Profitgier alte Leute aus ihren Wohnungen.

Die teuflischen Machenschaften des Dario Cannavaro.

So ähnlich ging es weiter. Ein Bericht jagte den nächsten und jeder las sich unerfreulicher als der vorherige. Cannavaros Ruf konnte man zumindest vorläufig in die Tonne treten, und zum wahrscheinlich allerersten Mal in seiner Karriere als seelenfressender Geschäftsmann, würde er sich unbequemen Fragen stellen müssen. Seiner Verantwortung konnte er sich nun nicht mehr entziehen, ohne aller Welt sein wahres Gesicht zu zeigen.

Ich musste ehrlich gestehen: Obwohl mir der Arsch auf Grundeis ging und mir immer noch die Knie schlotterten, fühlte ich immensen Stolz über meine Tat. Egal, was noch passieren würde, für mich – und hoffentlich auch für meine Großmutter und ihre Nachbarn – hatte es sich gelohnt.

Zufrieden klappte ich mein Laptop zu und ging in die Küche, um mir eine Tasse Tee aufzubrühen. Vor mich hin summend füllte ich den Wasserkocher, schaltete ihn ein und schon wenige Minuten später durchzog der aromatische Duft von Apfelblüten meine winzige Kochnische. Mit dem Smartphone bewaffnet, setzte ich mich an den Tisch und rief meine Großmutter an. Wir hielten schon seit jeher sehr engen Kontakt und telefonierten regelmäßig miteinander, doch seit der Kündigung ihres Mietvertrages meldete ich mich noch öfter als gewöhnlich.

Es dauerte ein wenig, bis sie ranging. Nach einem Beinbruch im letzten Winter konnte sie den Fuß nicht mehr so gut bewegen. Der Arzt meinte, der Knochen wäre nicht richtig zusammengewachsen, und nun konnte sie nicht mehr ohne Schmerzen laufen.

Endlich hörte ich ihre gütige Stimme am anderen Ende der Leitung. „Lara, mein Kind, wie schön, von dir zu hören.“

Die Freude in ihrer Stimme gab mir ein wohliges Gefühl der Zusammengehörigkeit.

„Ich dachte, wir halten einen kleinen Plausch“, antwortete ich.

Sie fing an zu erzählen und ich konnte förmlich spüren, wie der Stress von mir abfiel. Ihre Ruhe und Gelassenheit färbten auf mich ab und ich konnte mich endlich ein wenig entspannen. Seit dem Tod meiner Eltern vor zehn Jahren war sie mein Anker, der einzige Mensch, der mich voller Inbrunst liebte und den ich emotional noch an mich heranließ. Nach dem Unfall nahm sie mich zu sich. Anfangs hatte sie es gewiss nicht leicht mit mir. Damals war ich ein traumatisierter Teenager. Nachdem ich realisiert hatte, dass ich meine geliebten Eltern niemals wiedersehen würde, zog mich die Trauer in ein tiefes Loch. Ich hasste die ganze Welt und am meisten mich selbst. Weil ich überlebt hatte und sie nicht.

Das führte dazu, dass ich mich einer Gruppe von Mädchen anschloss, die einen wirklich schlechten Einfluss auf mich ausübten. Ich fing an zu klauen, Autos zu zerkratzen und ich schwänzte die Schule, bis der Direktor meine Großmutter zu einem Gespräch bat und ihr nahelegte, mich der Obhut des Jugendamtes zu übergeben. Doch Großmutter ließ sich nicht beeinflussen und hielt fest zu mir. Sie wusste ganz genau, dass all diese Dummheiten nur dazu dienten, mich wieder etwas fühlen zu lassen. Eine lange Zeit war alles in mir wie tot.

Mit viel Geduld und Liebe holte sie mich aus dieser dunklen Welt und spätestens, als ich anfing, mit ihr gemeinsam Klavier zu spielen, ging es bergauf. Dank ihr entdeckte ich meine Liebe zur Musik wieder und sie heilte mich mit ihrem bedingungslosen Vertrauen und ihrer Zuneigung. Aus diesem Grund hätte ich fast alles getan, um ihr zur Seite zu stehen. Es war eine Frage der Ehre und ein Privileg, mich für ihre Belange einzusetzen und zu kämpfen. Sie war eben alles, was ich noch hatte.

Während sie redete, fiel mir auf, dass sie irgendwas zurückhielt. Ich spürte eine gewisse Befangenheit in ihrer Stimme und machte mir sofort große Sorgen.

„Oma, ist alles okay? Du klingst nicht wie sonst!“

„Bei mir ist so weit alles in Ordnung. Du kennst mich, ich bin unverwüstlich, aber Giovanna geht es nicht gut. Sie hat wieder eine Absage von einem Vermieter bekommen und weiß langsam nicht mehr ein und aus. Nur noch drei Monate und wir müssen die Wohnungen räumen. Von vierzehn Mietern haben gerade mal vier eine neue Wohnung gefunden.“ Sie seufzte schwer und ich merkte, dass ihr Optimismus von eben nur aufgesetzt gewesen war. Sie sorgte sich, sehr sogar, und das brach mir das Herz.

„Lara, wie kann dieser Mann nur so grausam sein und uns alle auf die Straße setzen?“

„Hat sich dein Anwalt denn schon gemeldet?“, fragte ich und hoffte auf gute Nachrichten. Sie und noch ein paar andere hatten ihre Ersparnisse zusammengeschmissen, um einen Juristen zu konsultieren, der sie über ihre Rechte aufklären sollte.

„Leider haben wir keine Möglichkeit, uns zu wehren, mein Kind. Er hat unsere Mietverträge durchgesehen und darin einen Passus entdeckt, der es einem neuen Besitzer ermöglicht, uns ohne Angabe von Gründen außerordentlich zu kündigen. Wir haben das damals alle unterschrieben. Rechtlich ist die Immobilienfirma auf der sicheren Seite.“

Frustriert schloss ich die Augen. Gerichtlich kam man ihm also nicht bei. Das hatte ich mir schon gedacht. Cannavaro und seine Bluthunde – so nannte ich seine Anwälte – hatten sich sicher vorher erkundigt, um keine böse Überraschung zu erleben.

„Es tut mir leid, Oma“, flüsterte ich und wünschte diesem Kerl die Pest an den Hals.

„Da kann man nichts machen, Kind. Wir müssen uns damit abfinden, dass wir keine Chance haben, uns zu wehren, und es gibt auch kein Gesetz das ihn dazu verpflichtet, uns bei der Suche nach einer vergleichbaren Wohnung zu unterstützen. Vor allem Giovanna ist am Boden zerstört, weil sie die Wohnung, in der sie so lange mit ihrem geliebten Antonio gelebt hat, verlassen muss und nicht weiß, wohin sie gehen soll.“

Giovanna und meine Großmutter wohnten schon seit über zwanzig Jahren Tür an Tür. Seit Giovannas Mann vor einigen Jahren den Folgen einer Lungenentzündung erlag, war sie allein. Die beiden hatten keine Kinder und da er bei der Müllabfuhr nie besonders viel verdient hatte, waren die Bezüge der Witwenrente dementsprechend gering. Auch ihre eigene Rente fing das nicht auf. Als ehemalige Putzfrau konnte sie keine großen Sprünge machen. So ging es vielen Leuten; auf der anderen Seite gab es Typen wie Cannavaro, die so viel Geld besaßen, dass sie es niemals würden ausgeben können. Da es meiner Oma gerade nicht gut ging, ließ ich mich dazu hinreißen, ihr Hoffnungen zu machen, obwohl ich noch gar nicht wusste, wie sich mein Auftritt auswirken würde.

„Vielleicht wird euch schon bald geholfen.“

Innerlich betete ich, dass ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnte, wenn ich hoffte, sein lädierter Ruf würde Cannavaro dazu bewegen, die Mieter zu entschädigen.

„Wie meinst du das?“

Sollte ich schweigen oder ihr die Wahrheit erzählen? Eigentlich sträubte sich alles in mir, sie anzulügen, also vertraute ich mich ihr an. Nachdem ich sie über meine Tat informiert hatte, reagierte sie anders als erwartet. Statt mich zu loben, fing sie an, zu schimpfen.

„Kind, bist du dumm?“, rief sie so ungewöhnlich barsch, dass ich vor Verblüffung über ihren strengen Tonfall beinahe mein Handy fallen ließ.

„Wieso?“ Ziemlich verdattert wartete ich auf ihre Antwort. Eigentlich hätte ich erwartet, dass sie sich über meinen Einsatz freute.

„Aber Lara, sei doch nicht so begriffsstutzig. Wenn er herausfindet, wer du bist, wird er dich zur Verantwortung ziehen. Denkst du, er lässt sich das gefallen?“

„Oma, er weiß doch gar nicht, wer ich bin. Der Einzige, der einen kurzen Blick auf den Ausweis geworfen hat, war der Security an der Absperrung, und das auch nur für wenige Sekunden. Der wird sich weder an meinen Namen noch an die Zeitung erinnern, die auf dem Pass stand, dafür haben sie zu viele Journalisten durchgeschleust.“

Meine Großmutter stieß einen tiefen Seufzer aus, der ausdrücken sollte, dass sie meinen Optimismus nicht teilte.

„Lara, du hast vor lauter Wut und Hass auf ihn nicht bedacht, dass er sich denken kann, aus welcher Ecke so ein Angriff kommt? Er muss doch nur alle Mieter und deren Angehörige überprüfen lassen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er dir auf die Schliche kommt.“

Das wollte ich eigentlich gar nicht hören, obwohl sie mit dieser These wohl recht behalten würde. In meinem Wahn, Cannavaro eins auszuwischen, hatte ich schlichtweg ignoriert, dass ein Mann wie er spielend seinem Einfluss nutzen konnte, um an alle Informationen zu kommen, die er benötigte.

„Und wenn schon, dann findet er mich eben“, sagte ich trotzig. „Was macht das schon für einen Unterschied? Ich habe nichts Schlimmes gemacht.“

„Nichts, außer dir unrechtmäßig Zutritt zu seiner Pressekonferenz zu verschaffen, auf der du überhaupt nichts verloren hast, und das auch noch mit einem gefälschten Ausweis“, antwortete meine Großmutter in ihrer typisch trockenen Art.

Ich kaute unschlüssig an meiner Unterlippe und so langsam dämmerte mir, in was für eine Situation ich mich mit meiner impulsiven Aktion gebracht hatte. Wenn er meine Identität aufdeckte, drohte mir eine Anzeige. Die Folgen wären verheerend. Was würde mit meiner Großmutter passieren? sollte ich aufgrund einer Vorstrafe meinen Job an der Schule verlieren? Dio mio, an so was durfte ich noch nicht einmal denken! Doch genau das hätte ich tun sollen, bevor ich ihn beleidigt und in Verlegenheit gebracht hatte.

Ehe ich etwas erwidern konnte, klingelte es an meiner Tür. Das musste Kassia sein. Die kam mir gerade recht, so musste ich mich nicht mit den Vorwürfen meiner Oma auseinandersetzen. Ziemlich feige, aber im Moment war mir einfach alles zu viel.

„Oma, ich muss auflegen. Eine Freundin steht vor der Tür und ich will sie nicht warten lassen.“

„Natürlich nicht. Pass auf dich auf, meine Kleine, und wenn ich dir einen Rat geben darf: Stell dich. Geh zu Cannavaro, entschuldige dich und hoffe darauf, dass du mit einem blauen Auge davonkommst.“

Das würde ich ganz sicher nicht tun, aber das wollte ich nicht am Telefon erörtern. „Ich werde darüber nachdenken“, erwiderte ich diplomatisch und fügte hinzu: „Mach dir keine Sorgen, es wird alles gut werden!“

„Bevor ich nicht unter der Erde liege, werde ich niemals aufhören, mir Gedanken über dein Wohlergehen zu machen. Ruf mich bald wieder an. Ich liebe dich, Kindchen.“

„Ich liebe dich auch“, flüsterte ich und legte auf. Danach rannte ich in meinen kleinen Flur, um Kassia reinzulassen, auch wenn ich ziemlichen Bammel vor der Standpauke hatte, die mich jetzt erwartete. Ohne vorher nachzusehen, ob es tatsächlich meine Nachbarin war, öffnete ich die Tür und blickte nicht in Kassias hübsches Gesicht, sondern auf eine beeindruckend breite Männerbrust. Langsam hob ich den Kopf und atmete beim ersten Kontakt mit erschreckend kühlen Augen scharf ein.

Oh nein, lass mich bitte einen Alptraum haben.

Vor mir stand Dario Cannavaros Furcht erregender Bodyguard, der mich mit tückischer Aufmerksamkeit anlächelte. Sein Grinsen besaß allerdings nichts Freundliches, sondern jagte mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Der Kerl hätte mit seiner Ausstrahlung jedem Gefrierschrank Konkurrenz gemacht.

Sobald ich mich vom ersten Schock erholt hatte, versuchte ich, die Tür zu schließen. Geistesgegenwärtig schob er einen Fuß dazwischen und schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Aber, aber, Signora Mancini. Warum so ungastlich? Ich will doch nur ein wenig mit Ihnen plaudern.“

„Verschwinden Sie, ich kenne Sie nicht und weiß gar nicht, was Sie von mir wollen“, schimpfte ich.

Verdammt, wieso hatten die Wohnungen in diesem Haus keinen Türspion, wie es sich gehörte? Es war dumm gewesen, so arglos zu öffnen, ohne zu wissen, wer draußen stand.

„Ich rate Ihnen, mich reinzulassen, Lara. Mein Chef ist ziemlich sauer und wenn Sie klug sind, klären wir die unselige Geschichte so schnell wie möglich, bevor er die Geduld verliert.“

Unbeeindruckt trat ich gegen seinen Fuß, damit er ihn endlich wegzog. „Und was macht er dann? Versohlt er mir den Hintern?“

Aus irgendeinem Grund erstarrte er bei diesem Vorschlag, dann lächelte er schmal. „Wenn Sie mich nicht umgehend reinlassen, werde ich das für ihn erledigen, und zwar mit dem größten Vergnügen. Sie haben sich in eine verdammt unangenehme Lage gebracht und wenn Sie noch ein klein wenig Verstand besitzen, dann sollten Sie sich ein wenig kooperativer zeigen. Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich mit der Polizei wiederkomme? Das kann ich natürlich auch tun. Urkundenfälschung ist kein Kavaliersdelikt und wenn wir dann schon dabei sind, kriegen wir ihre spitzzüngige Freundin von der Tageszeitung auch noch mit dran. Wegen Beihilfe zum Betrug. Ihre Entscheidung, also handeln Sie weise.“

Oh Gott, Kassia war also auch entlarvt. Wie in aller Welt hatten sie so schnell die Zusammenhänge erkennen können? Hatte der Security doch noch gewusst, zu welcher Zeitung der Ausweis gehörte? Nun wurde mir langsam die Tragweite meiner Entscheidung bewusst. Wenn ich Schwierigkeiten bekam, dann war das hausgemacht, doch Kassia hatte sich auf mein Wort verlassen und ich fing an, mir ernsthafte Sorgen zu machen. Sie hatte mir gestern nicht geöffnet, heute Morgen auch nicht. Was hatte dieser Kerl mit dem irren Psychoblick mit ihr angestellt?

„Haben Sie ihr irgendwas angetan?“ Es wäre mir lieber gewesen, meine Stimme etwas besser unter Kontrolle zu haben, doch sie bebte hörbar, während ich mir eine Zeitmaschine wünschte, die mich ein paar Stunden in die Vergangenheit zurückkatapultierte, damit ich mich selbst vor meiner eigenen Dummheit bewahren konnte. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, einen Kerl wie Dario Cannavaro herauszufordern? Sollte Kassia etwas zugestoßen sein, würde ich mir das mein Leben lang nicht verzeihen.

Der Bodyguard grinste wölfisch und gefiel sich wohl ausgesprochen gut in seiner Rolle als Finsterling. „Es ist ein bisschen spät, um sich darüber Gedanken zu machen, wie es Ihrer Freundin geht. Finden Sie nicht auch?“

Nun wurde mir übel, mein Magen überdrehte förmlich. „Bitte ... was ist mit ihr?“

Sein Gesicht verzog sich ungeduldig. „Kriegen Sie sich wieder ein. Ihrer Freundin geht es gut.“

Mir wurde vor Erleichterung beinahe schwindelig. Ich spürte instinktiv, dass er die Wahrheit sagte, und ich beruhigte mich so weit, um ihm eine Frage zu stellen.

„Wie haben Sie herausgefunden, zu welcher Zeitung der Presseausweis gehört?“

„Ein Reporter von so einem Käseblatt hat es uns erzählt. Offenbar sind Sie recht unachtsam mit der Karte umgegangen und haben sie fallen lassen.“

Natürlich, warum war ich nicht selbst darauf gekommen? Der fette Kerl, der mir so auf die Nerven gegangen war, hatte mich also tatsächlich verpfiffen. Ob Cannavaro ihm im Gegenzug für die Information ein Exklusivinterview versprochen hatte?

„Jedenfalls war es ein Leichtes, herauszufinden, wer diese Ausweise vergibt“, fuhr er fort. „Der Besitzer der Zeitung war ausgesprochen kooperativ. Ich habe Signora di Medea umgehend aufgesucht und konnte sie dazu überreden, mir alles zu erzählen.“

Überreden? Der Kerl hatte Nerven! Nicht nur, dass sich dieser Arsch auf Kosten anderer bereicherte, er scheute auch vor Erpressung nicht zurück. Zwar ausgeführt von seinem Handlanger, aber im Endeffekt kam es auf dasselbe raus.

Mir fehlten schlichtweg die Worte, um meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Nur eines konnte ich mit unumstößlicher Gewissheit behaupten: Ich hasste sie beide. Cannavaro und seinen Gorilla. Da ich aber Kassia – die mich jetzt wahrscheinlich zum Teufel wünschte – nicht in noch größere Schwierigkeiten bringen wollte, hielt ich es für das Beste, nachzugeben. Ich trat zurück und ließ ihn herein.

Er schob sich an mir vorbei in meine Wohnung und sah sich dort um, als würde er Wanzen oder Sonstiges erwarten. Dann warf er mir einen messerscharfen Blick zu und kniff die Augen zusammen.

„Sie leben allein?“

Bestimmt wusste er mittlerweile genauestens über meine Lebenssituation Bescheid, also wieso dieses Katz- und Mausspiel?

„Ja, fragen Sie doch nicht so dumm“, schnauzte ich ihn an.

Seine schmalen Lippen pressten sich fester aufeinander und er nickte zufrieden. „Es wird Sie also niemand vermissen, wenn Sie nicht hier sind“, murmelte er leise.

Das war als Feststellung formuliert, keineswegs als Frage, und mir rutschte das Herz in die Hose. Heilige Jungfrau Maria Mutter Gottes, wollte er mich etwa beseitigen, weil ich seinen unantastbaren Boss lächerlich gemacht hatte?

„Ich werde schreien, wenn Sie mir was tun. Die Wände sind dünn, jeder wird es hören.“

„Halten Sie den Mund!“, fuhr er mich an und kam auf mich zu. Ich wich zurück, doch mit seinen langen Beinen war es kein Problem für ihn, mich nach wenigen Schritten einzuholen. Er packte mich am Oberarm. „Sie gehen jetzt in Ihr Schlafzimmer und packen ein paar Sachen ein!“

„Was? Wieso? Ich verstehe nicht ...“ Ich war so geschockt, dass meine Stimme am Ende total wegbrach.

„Hören Sie auf, wie ein verängstigtes Reh auszusehen! Cannavaro möchte mit Ihnen reden, unter vier Augen. Da er sich gerade nicht in der Stadt aufhält, werde ich Sie zu ihm bringen.“

Das wurde ja immer schöner! „Und wohin verschleppen Sie mich jetzt?“

Ein fieses Grinsen breitete sich auf seinem narbigen Gesicht aus. „Er befindet sich zur Stunde auf Sardinien.“

Ich stand kurz vor einem hysterischen Anfall. Cannavaro machte gerade diese traumhaft schöne Insel unsicher und ich sollte diesen Gorilla dorthin begleiten, damit mich sein Chef auseinandernehmen konnte? Heilige Jungfrau! Wie hatte es nur so weit kommen können…

Auch seine Forderung, Sachen für mehrere Tage einzupacken, beunruhigte mich. Wie konnte dieser elende Mistkerl auch nur für eine Sekunde annehmen, ich würde freiwillig mitgehen?

„Tut mir leid, aber Sie werden Ihrem Boss leider mitteilen müssen, dass ich nicht im Traum daran denke, auch nur einen Fuß auf diese Insel zu setzen.“

Hochmütig erwiderte ich den stoischen Blick des Bodyguards, der leicht genervt den Kopf schüttelte.

„Signora Mancini, verabschieden Sie sich von dem Gedanken, Sie könnten sich aussuchen, was Sie tun werden. Er möchte Sie auf der Insel haben und ich werde ihm seinen Wunsch erfüllen.“

Seine raue Stimme vibrierte vor Entschlossenheit und mein Hirn überhitzte wie bei einem elektrischen Kurzschluss. „Was denken Sie eigentlich, wer Sie sind? Freiwillig geh ich nirgends hin.“

Nun trat ein lauernder Ausdruck auf die Gesichtszüge des Leibwächters. „Sind Sie überhaupt nicht neugierig, was er Ihnen mitzuteilen hat?“

Um ehrlich zu sein, war ich das schon, doch zugeben würde ich das niemals.

„Was Signore Cannavaro in seinem hinterhältigen Hirn ausbrütet, interessiert mich einen Scheißdreck“, antwortete ich rüde und zum ersten Mal huschte ein Lächeln über das angespannte Gesicht des Gorillas, süffisant zwar, aber nicht ohne einen gewissen Charme.

„So langsam verstehe ich seine Motivation. Er wird viel Freude daran haben, Sie zu zähmen.“

Mein empörtes Schnauben tangierte ihn kein bisschen, was mich nur noch mehr aufregte. „Mich muss man nicht zähmen.“

„Wie Sie meinen. Trotzdem muss ich Sie jetzt bitten, ein paar Sachen zum Wechseln einzupacken. Ansonsten gehen Sie nur mit dem, was Sie am Leib tragen. Und sollten Sie sich weigern, rufe ich umgehend die Polizei.“

Der Kerl zielte ohne Gewissensbisse auf meinen wunden Punkt und traf auch, dennoch wagte ich ein letztes Aufbäumen. „Aber ich kann nicht einfach für mehrere Tage verschwinden. Ich habe einen Beruf, eine Großmutter. Man wird mich vermissen.“

Ein gleichgültiger Ausdruck dominierte sein Gesicht. „Keine Sorge. Wir sorgen schon dafür, dass Sie entschuldigt sind, und Ihrer Großmutter schreiben Sie einfach eine kurze Nachricht oder Sie telefonieren mit ihr, um Sie zu beruhigen. Sardinien liegt nicht am Ende der Welt, auch dort gibt es die Möglichkeit, sämtliche modernen Kommunikationsmöglichkeiten zu nutzen. Sie können sich also in aller Ruhe auf ein paar entspannte Tage am Meer freuen.“

Das musste ein Alptraum sein. „Ich werde ihn anzeigen, sobald ich wieder auf freiem Fuß bin. Ich bin schließlich keine Sklavin, über die er verfügen kann, wie es ihm in den Sinn kommt.“

Wieder dieses merkwürdige Lächeln. „Signora Mancini, was nicht ist, kann ja noch werden.“

Nach dieser kryptischen Bemerkung reichte es mir vorerst und ich ging doch in mein Schlafzimmer, um ein paar Sachen zusammenzupacken. Die drohende Alternative war einfach: Cannavaro würde mich und Kassia anzeigen und was uns danach blühte, wollte ich mir nicht mal in meinen dunkelsten Stunden ausmalen.


Kapitel 3

Wir starteten mit einem winzigen Charterflugzeug vom Mailänder Flughafen aus. Mein nun recht schweigsamer Begleiter und ich waren die einzigen Fluggäste und ich spürte nun doch eine Spur erwartungsvoller Aufregung. Ich kannte Sardinien nur vom Hörensagen, träumte aber schon seit Jahren davon, dieser traumhaft schönen Insel einen Besuch abzustatten, ohne es mir leisten zu können. Die Hotelpreise sprengten mein Urlaubsbudget bei Weitem und während die Zimmerpreise sich auf astronomischen Höhen bewegten, blieb mein Gehalt eher bescheiden. Nun bekam ich doch Gelegenheit, diesen paradiesischen Ort zu besuchen, auch wenn man die Umstände alles andere als erfreulich nennen konnte.

Nach einer Weile hielt ich das anhaltende Schweigen kaum noch aus und ich versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen.

„Was wollte dieser windige Schmierenreporter, der mich verpfiffen hat, für die Information haben?“

Wir flogen gerade übers offene Meer, das Vibrieren der Propeller dröhnte durch das gleichbleibende Tempo gleichmäßiger und kam mir nicht mehr so laut vor.

Der Bodyguard – ich wusste noch immer nicht, wie er hieß – streifte mich mit einem gleichgültigen Seitenblick.

„Wieso wollen Sie das wissen, es ändert doch nichts? Nehmen Sie die Dinge einfach als gegeben hin und versuchen Sie nicht, alles zu hinterfragen.“

„Ja, das würde Ihnen und Ihrem Chef so passen, nicht wahr? Keine lästigen Fragen und keine Rechtfertigungen.“ Ich schüttelte verständnislos den Kopf und warf ihm einen verächtlichen Blick zu. „Warum soll ich alles schweigend hinnehmen? Wenn ich etwas wissen will, dann habe ich keine Scheu davor, auch unbequem zu werden.“

Meine Drohung entlockte Cannavaros Gorilla ein herzliches Lachen. „Signora Mancini, Sie haben nicht den Hauch einer Ahnung, was es bedeutet, wenn jemand unbequem wird. Aber vielleicht sind Sie beim Verlassen der Insel endlich klüger. Glauben Sie mir, danach werden Sie genau abwägen, ob es sich lohnt, sich mit Leuten anzulegen, die in einer anderen Liga spielen.“

Wollte mir dieser Kerl etwa drohen? Ich beschloss, mich nicht einschüchtern zu lassen.

„Ich bin ein mündiger und erwachsener Mensch und lasse mir nichts befehlen“

„Erwachsene Menschen stürmen keine Pressekonferenz und behaupten Dinge, die sie nicht beweisen können“, versetzte er prompt. „Und was die Befehle angeht, bin ich mir sicher, dass Sie Ihre Meinung schon bald ändern werden.“

Ich ignorierte die letzte Bemerkung und ging nur auf die erste ein. „Das Kündigungsschreiben, das meine Großmutter erhalten hat, ist doch Beweis genug.“

„Sie sehen nur das Offensichtliche oder das, was Sie sehen wollen. Doch die Dinge sind nicht immer so, wie sie scheinen. Sie müssen sich schon die Mühe machen, tiefer zu bohren. Dario wird Ihnen alles erklären und dann werden Sie vielleicht ein bisschen demütiger.“

Demut. Meine Oma meinte immer, dass sie bis zu einem gewissen Punkt eine erstrebenswerte Eigenschaft wäre Doch waren die Grenzen zwischen Demut und Demütigung nicht fließend? Ich straffte mich und unternahm erneut den Versuch, mehr über die Ereignisse nach meiner überstürzten Flucht von der Pressekonferenz zu erfahren.

„Also, kommen wir doch wieder zum ursprünglichen Thema. Was hat der Kerl für seine Information bekommen?“

Cannavaros Leibwächter musterte mich eine gefühlte Ewigkeit lang, dann zuckte er die breiten Schultern und berührte dabei eine von meinen. Ich wartete auf eine Reaktion meinerseits. Ekel, ein Schaudern, irgendwas, doch ich spürte nichts, noch nicht einmal Angst. Seltsam teilnahmslos saß ich da und wartete auf seine Antwort.

„Nun, er hat Ihren Namen für eine Fotoserie des neuen Apartment-Projekts verkauft.“

„Dieser elende Schweinepriester“, flüsterte ich erbittert.

Der Bodyguard verzog ironisch den Mund. „So ist das Leben. Jeder ist sich selbst der Nächste und wenn man sich Vorteile verschaffen kann, sollte man das ausnutzen. Nachdem ich den Namen und auch den der Zeitung hatte, ging alles sehr schnell. Ich fand heraus, wer die Befugnis besitzt, Presseausweise auszustellen, und kam auf Signora de Medea.“

Bei der Erwähnung ihres Namens verdunkelten sich seine Augen und seine Miene wurde noch düsterer als ohnehin schon. Offenbar war die Begegnung der beiden nicht ohne Schwierigkeiten vonstattengegangen. Wenn Kassias Temperament und das übersteigerte Ego dieses merkwürdigen Mannes aufeinanderprallten, lief das sicher nicht ohne Kollateralschäden ab. Ein Krieg, der mit Worten geführt wurde, und jede Schlacht verlangte seine Opfer. Auf einmal überkam mich ein beklemmendes Gefühl.

„Sie haben Kassia auch wirklich nichts getan?“

Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort, dafür hätte ich ihn schlagen können. Wenn es einen Mann gab, der noch unnahbarer wirkte als er, dann nur Cannavaro. Die beiden im Doppelpack waren sicher kaum zu ertragen.

Die Andeutung eines Lächelns huschte über seine Lippen.

„Denken Sie, ich habe Ihre Freundin still und heimlich beseitigen lassen?“ Sein raues Lachen klang böse, wurde aber durch seinen nächsten Satz relativiert. „Keine Sorge, Ihre Freundin lebt und es geht ihr gut, aber sie wird sich in Zukunft zweimal überlegen, ob sie einem anderen Menschen vertraut.“ Der Bursche streifte mich mit einem schrägen Blick. „Sie war ziemlich enttäuscht über Ihren Auftritt. Haben Sie ihr nicht erzählt, was Sie vorhaben?“

Das Mindeste, was ich noch tun konnte, um Kassias Haut zu retten, war sie zu entlasten.

„Nein und wahrscheinlich wird sie mir bei unserer nächsten Begegnung jedes Haar einzeln rausrupfen“, gab ich zu und spielte zerknirscht mit meinen Fingern auf meinem Schoß. „Sie hatte wirklich keine Ahnung, was ich vorhabe. Ich habe ihr weisgemacht, dass es mir nur um eine Möglichkeit für ein Gespräch mit Cannavaro ging. Sie hatte keinen Grund, mir nicht zu glauben, und hat mir geholfen.“

Die Miene des Leibwächters ließ nicht erkennen, ob er mir glaubte oder nicht. „Und Ihr Auftritt? Wieso setzen Sie solche Lügen in die Welt?“

War das jetzt sein Ernst? Genau wie vorhin tat er so, als wären meine Vorwürfe völlig aus der Luft gegriffen.

„Das sind keine Lügen. Meine Großmutter lebt seit über dreißig Jahren in dem Mietshaus und muss spätestens in einem halben Jahr raus. Wissen Sie, wie schwer es ist, in Mailand eine Wohnung zu finden, die bezahlbar ist? Sie bekommt nur eine winzige Rente, genau wie all die anderen alten Leutchen, die in dem Gebäude wohnen. Es ist praktisch unmöglich, eine vergleichbare Wohnung zu ergattern, und Ihr toller Boss hat es nicht für nötig gehalten, für Ersatz zu sorgen oder den Menschen in irgendeiner Form Unterstützung zukommen zu lassen.“

„Das ist eine infame Unterstellung, sie entspricht nicht der Wahrheit. Dario ist gerade dabei, die Sache zu klären.“

Ganz ruhig sagte er das, als würde jede andere Möglichkeit gar nicht in Betracht kommen. Für mich nur ein Versuch, sich bzw. seinen Arbeitgeber aus der Affäre zu ziehen. Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Dann erzählen Sie das mal meiner Großmutter. Die muss nämlich nach Ablauf der Frist bei mir einziehen, weil sie sonst in ein staatliches Altersheim müsste, und wir wissen doch beide, wie es an solchen Orten zugeht.“

Das schien ihn nun doch ein wenig zu irritieren, doch er sagte nichts weiter und starrte zur Seite.

Nach der Landung erwartete uns ein Wagen, der uns über die Insel kutschierte. Die Schönheit Sardiniens nahm mich total gefangen und ich vergaß sogar meine Angst vor dem Kommenden, denn die gewaltigen Kalkfelsen am Golf von Orosei ragten schroff in die Höhe und rahmten einige der schönsten Badebuchten ein, die man sich nur vorstellen konnte. Das Straßennetz war gut ausgebaut, perfekt für Motorrad- oder Fahrradfahrer, die allerdings hin und wieder mit Schafen, Kühen oder Ziegen rechnen mussten, die nicht selten die Wege blockierten.

Der Fahrer bog in eine steil nach oben verlaufende Straße ein und steuerte eine einsam gelegene Villa an, die oberhalb einer Bucht errichtet worden war.

„Das da oben ist Darios private Villa, er erwartet Sie schon. Aber einen Rat möchte ich Ihnen noch mit auf den Weg geben: Machen Sie während Ihrer Anwesenheit bitte keine Dummheiten. Er ist kein Unmensch und wird Sie mit Respekt behandeln, nimmt dieses Recht aber auch für sich selbst in Anspruch. Also keine Beleidigungen, keine Halbwahrheiten.“

Schon zum zweiten Mal nannte er Cannavaro bei seinem Vornamen. Kein Zufall, meines Erachtens. Nun war ich mir sicher: Die beiden Männer kannten einander besser, als sie das nach außen hin zeigten.

„Sie finden es respektvoll, wenn er seinen Bodyguard beauftragt, eine Frau zu entführen? Sie haben eine merkwürdige Auffassung von Recht und Gesetz. Und keine Ahnung von Respekt.“

Der Kerl ließ sich davon nicht aus der Reserve locken. „Tun Sie einfach, was man Ihnen sagt, und Sie werden bald schon wieder zu Hause sein.“

Hoffentlich.

Endlich erreichten wir das Haus, das auf einer Art Plateau stand. Wir stiegen aus dem Wagen und ich betrachtete beeindruckt den Springbrunnen vor dem Gebäude. Rundherum wuchsen Palmen und Sträucher, von denen ein betäubender Duft ausging. Ein Gefühl von Neid stieg in mir auf. Männer wie Cannavaro konnten sich schon zu Lebzeiten das Paradies erkaufen, während Menschen wie meine Oma, oder auch ich selbst, gerade so viel erwirtschafteten, um überleben zu können.

„Kommen Sie, ich bringe Sie hinein.“

Der Leibwächter umfasste meinen Arm und zog mich vorwärts. Ich ließ es geschehen und konnte unterhalb des Hauses weißen Sand erkennen und die glitzernden Reflexionen der Sonnenstrahlen, die sich auf der türkisfarbenen Wasseroberfläche spiegelten.

„Wieso ist es ihm so wichtig, mich zu sprechen?“, fragte ich. Wir standen jetzt vor der dunkel getäfelten Eingangstür. Nikolajew schloss auf und wir traten ein.

„Er könnte mich doch einfach anzeigen und eine Gegendarstellung verlangen? Warum macht er sich die Mühe?“

„Ich arbeite für ihn und hinterfrage nicht seine Motive.“

Toll, das brachte mich kein bisschen weiter. Mittlerweile hatte ich wenigstens keine Angst mehr und fand es legitim, meine Neugier zu befriedigen.

„Sind Sie eigentlich schon lange bei ihm?“

Ich musste Cannavaros Namen nicht extra aussprechen, wir wussten beide, wer mit ihm gemeint war, und irgendwie gab diese fehlende Nennung seines Namens seiner Persönlichkeit den entscheidenden mysteriöseren Touch.

Tatsächlich wusste ich so gut wie nichts über Dario Cannavaro, den Menschen, nur das, was in der Öffentlichkeit bekannt war.

„Ich bin schon seit über zehn Jahren bei ihm“, antwortete der Leibwächter unerwartet freimütig.

„Darf ich fragen, wie Sie heißen?“

Er zögerte kurz, dann rückte er doch seinen Namen raus. „Maxim Nikolajew.“

„Sie sind Russe!“, platzte es aus mir heraus, nicht fragend, sondern erstaunt. Sein Italienisch klang absolut akzentfrei. Niemals hätte ich eine andere Nationalität bei ihm vermutet. Dabei war das durchaus nichts Ungewöhnliches. In Italien lebten viele Russen.

„Ja, sieht man das nicht?“, antwortete er. Ein amüsierter Zug schlich sich auf seine Lippen. Das milderte seine Killerausstrahlung nur geringfügig ab und ich verbot mir, ihm auch nur eine Spur Vertrauen entgegenzubringen, selbst wenn er, wie jetzt, einen durchaus charmanten Eindruck hinterließ. Denn ich spürte instinktiv, wie sehr das täuschte. Sein Wesen kam mir kälter vor als ein eisiger, sibirischer Winter. Er passte charakterlich ganz wunderbar zu Cannavaro, den ich als noch erbarmungsloser einstufte. Dessen seelenlos schimmernde Augen konnten wahrscheinlich bis auf den Grund meiner Seele blicken und jedes meiner Geheimnisse ergründen. Beide Männer strahlten auf ihre Weise Gefahr aus, eine Überlegenheit, die mich völlig einschüchterte, und meine Vernunft riet mir dazu, meine vorlaute Zunge in Zaum zu halten.

Mich überkam aus dem Nichts heraus ein unangenehmes Frösteln, ich zog die Schultern hoch, krampfhaft lächelnd und darum bemüht, mir meine Gemütsverfassung nicht allzu deutlich ansehen zu lassen.

Die rechte und die linke Hand des Teufels, dachte ich leicht hysterisch.

„Eigentlich ist es ja egal, woher Sie kommen“, meinte ich. Damit war für mich das Gespräch beendet. Nikolajew würde mir ohnehin nichts über Cannavaro erzählen und sobald er mich durch den Eingangsbereich ins Wohnzimmer führte, vergaß ich sowieso alle Fragen. Es war nicht unbedingt die luxuriöse Umgebung, die mich aus der Bahn warf, sondern vielmehr das Gesamtpaket. Vielleicht klang es total verrückt, aber ich konnte Cannavaros Gegenwart förmlich fühlen, obwohl er noch gar nicht anwesend war.

Überfordert sog ich Luft in meine Lungen und bewegte mich mechanisch vorwärts. Das weitläufige und sehr offen gestaltete Wohnzimmer mit der hohen Decke und der durch und durch maskulinen Möblierung – schwarzes Leder, viel Glas und eine merkwürdige Konstruktion aus schwarzen Brettern, die scheinbar wahllos zusammengezimmert eine Platte bildeten. Das war wohl sein Tisch. Das Ding sah aus, als würde es jeden Augenblick umkippen. Mein Blick blieb an der offenen Terrassentür hängen. Durch die aufgezogenen Gardinen, die sich leicht im Wind blähten und die leicht salzige Meeresluft hineinließen, konnte ich sehen, dass die Villa über eine Treppe einen direkten Zugang zum Meer verfügte. Hier gab es für mich kein Entkommen und das Gefühl, Cannavaro auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein, überwältigte mich. Wie betäubt starrte ich vorwärts und rührte mich nicht, mein Atem wurde flacher und meine Handflächen feucht. Die Vorboten einer Panikattacke, zumindest bis mich Nikolajew leicht antippte und ich mich aus meiner Bewegungslosigkeit befreite.

„Warten Sie hier. Ich werde ihm Bescheid geben.“

Ich wollte ihm schon begreiflich machen, dass ich auf einen Empfang jedweder Art gut und gern verzichten konnte, doch da war er schon weg und ich mit meinen Gedanken allein. Unbehaglich schlang ich die Arme um mich und versuchte, nicht hysterisch zu werden. Mein gesunder Menschenverstand sagte mir, dass mittlerweile zu viele Personen involviert waren, um mich sang- und klanglos verschwinden zu lassen. Zum einen Kassia, und wenn ich Nikolajew richtig verstanden hatte, wusste auch deren Chef über die Episode Bescheid, sonst hätte er meiner Nachbarin nicht mit Kündigung gedroht. Außerdem gab es noch den schmierigen Reporter, der mich für die Fotostrecke verpfiffen hatte, und meine Großmutter wusste auch, was ich verbrochen hatte. Plötzlich hörte ich ein Geräusch und fuhr herum. Da stand er. Noch größer, attraktiver und imposanter, als ich ihn in Erinnerung hatte. Cannavaro grinste gelangweilt und kam langsam auf mich zu geschlendert. Der hat ja die Ruhe weg, dachte ich beleidigt und musterte ihn meinerseits mit all der Verachtung, die ich aufbringen konnte.

„Da sind Sie ja“, sagte er anstatt einer Begrüßung. „Um ehrlich zu sein, bin ich nach Ihrem grandiosen Auftritt auf der Pressekonferenz ein bisschen enttäuscht, dass Maxim Sie so mühelos dazu überreden konnte, ihn zu begleiten. Ich hatte auf ein wenig mehr Widerspenstigkeit gehofft.“

Sein maliziöser Gesichtsausdruck trieb meinen Blutdruck in ungeahnte Höhen. Wie konnte er es wagen, sich auch noch über mich lustig zu machen, nachdem er seinen Bodyguard damit beauftragt hatte, mich zu entführen? Die Wut blubberte kochend durch meine Adern.

„Sie sind eine miese Ratte, Signore Cannavaro, und es ist mir scheißegal, ob ich Ihnen widerspenstig genug bin oder nicht. Was Sie da treiben, ist Nötigung.“

Achselzuckend trat er näher. Er trug eine dunkelgraue Anzughose, einen schmalen schwarzen Gürtel mit einer dezenten silbernen Schnalle und darüber ein schlichtes weißes Hemd mit aufgerollten Ärmeln. Es gefiel mir nicht, wie sich mein Puls allein bei seinem Anblick beschleunigte. Ich konnte die feinen Härchen auf seinen Unterarmen selbst aus der Entfernung erkennen, und als er sich mir näherte, bekam ich eine vage Ahnung davon, wie viel Kraft in diesem hochgewachsenen und offensichtlich gut durchtrainierten Körper steckte. Die physische Präsenz dieses schwarzhaarigen Teufels erschlug mich beinahe.

Mir wurde die Kehle eng, während ich verstohlen seinen flachen Bauch und die schmalen Hüften betrachtete. Die Beule unter seinem Reißverschluss dehnte verheißungsvoll den Stoff und ich verlor mich in der erotischen Vorstellung, wie ich vor ihm auf die Knie sank, seinen Schwanz befreite und den Schaft tief in meinen Mund einsaugte.

Blinzelnd sah ich wieder in sein Gesicht und stellte fest, wie sich seine Augen verdunkelten, während er weiter auf mich zulief. Gott, er wusste ganz genau, was mir gerade durch den Kopf ging, und genoss seine Wirkung auf mich, die – leider – verheerender ausfiel als befürchtet. Eine Schande, denn seine Niederträchtigkeit stand seinem guten Aussehen in nichts nach.

Nur knapp fünfzig Zentimeter von mir entfernt blieb er stehen und nahm mir mit seinen breiten Schultern die Sicht auf alles, was sich hinter ihm befand. Dabei übte seine unmittelbare Nähe eine so besitzergreifende Wirkung auf mich aus, dass ich außer ihm nichts mehr wahrnahm. Erst als sich seine Mundwinkel zufrieden nach oben bogen, erwachte ich aus meinem Delirium und trat, erschüttert über meine Willenlosigkeit, einen Schritt zurück. Eine schlechte Idee, denn nun streckte er den Arm aus und hielt mich fest. Die Berührung seiner Hand ging wie eine Schockwelle durch meinen Körper, mein Magen ballte sich zusammen und die Oberfläche meiner Haut kribbelte.

„Du bleibst, wo du bist!“, ordnete er an. Kühl, kontrolliert, ohne die Stimme zu erheben. Er duldete keinen Widerspruch. Dario Cannavaro war es eben gewohnt, alles zu bekommen, was er begehrte, und räumte dabei alles aus dem Weg, was ihm Widerstand bot.

„Lassen Sie mich los“, wisperte ich tonlos. Solange er mich anfasste, fühlte ich mich wie paralysiert, ich konnte mich kaum noch bewegen, so sehr lähmte mich sein Griff. Ich spürte seine Finger überdeutlich auf meiner Haut. Da ich nur ein kurzärmliges T-Shirt trug, gab es nichts, was mich vor der Wärme seiner Handfläche schützen konnte. Sie drang in mich ein, nahm mich in Besitz.

Während ich mit leicht geöffneten Lippen zu ihm aufsah, zog er lediglich eine dunkle Augenbraue in die Höhe – fragend, ein klein wenig spöttisch. Unter seinem Blick kam ich mir vor wie ein dummes Schulmädchen.

„Also gut“, wisperte ich schließlich, „ich werde nicht weglaufen, aber bitte lassen Sie mich los. Sie tun mir weh.“

Endlich lockerten sich seine Finger und ich war frei. Mit nüchterner Miene wies er Richtung Terrasse. „Lassen Sie uns rausgehen und etwas essen. Sie müssen doch völlig ausgehungert sein.“

Ich konnte mir eine zickige Bemerkung nicht verkneifen. „Spielen Sie jetzt den guten Gastgeber? Ein bisschen spät, wenn Sie mich fragen.“

Ein scharfer Blick und ich verstummte eingeschüchtert. Seine Stimme besaß die Schärfe eines Skalpells, als er mir antwortete. „Mäßigen Sie Ihre freche Zunge, Signora Mancini. Es wird Ihnen nicht guttun, mich zu provozieren. Aber ...“, und nun lächelte er, „vielleicht wollen Sie ja insgeheim von mir zur Räson gebracht werden.“

Was meinte er damit? Ich riss die Augen auf und schnappte nach Luft. Das entlockte ihm ein zufriedenes Grinsen. „Angst?“

Irgendwie schaffte ich es, den Kopf zu schütteln und die Schwere meiner Zunge zu überwinden. „Nein, natürlich nicht“, murmelte ich und erntete ein wirklich fieses Lächeln.

„Dann frage ich mich, wieso Sie mich anschauen wie ein verschrecktes Mäuschen.“ Er kam näher und legte zwei Finger unter mein Kinn, um es anzuheben. Unsere Lippen trennten nur wenige Zentimeter, ich konnte direkt in das unergründliche Jadegrün seiner Iris sehen und stellte fest, dass ich mich darin spiegelte.

Obwohl er mich nur an zwei Punkten unter meinem Kinn anfasste, befiel mich ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Statt mich angewidert von ihm abzuwenden, neigte ich mich ihm entgegen, teilte die Lippen, wollte mehr von diesem eigentümlichen Gefühl, ganz und gar in seiner Hand zu sein. Jeder Mann hätte dies als unmissverständliche Einladung angesehen, doch Cannavaro hielt sich zurück und machte mich stattdessen zur Gefangenen meines eigenen Körpers, indem er mich mit seinem durchdringenden Blick bezwang.

„Bitte ...“ Eigentlich wusste ich gar nicht, worum ich ihn bat. Ich wollte einfach nur etwas sagen, um diesen merkwürdigen Bann zu brechen, unter dem ich stand. Seine sinnlichen Lippen verzogen sich zu einem betörenden Lächeln, während er nun sanft an meinen Hals entlangstrich und an meiner pochenden Halsschlagader anhielt. Zärtlich drückte er dagegen, mein Puls blubberte rasend schnell unter seiner Fingerkuppe. Unwillkürlich atmete ich schneller und spürte, wie ich anfing, etwas zu erwarten. Keine Ahnung was, aber alles in mir gierte nach Dingen, die ich nicht begehren durfte.

„Du siehst aus, als stündest du dem Leibhaftigen gegenüber“, murmelte er, ohne das Streicheln an meiner Haut einzustellen. Mittlerweile hatten sich auch meine Brustwarzen verräterisch hart aufgerichtet. Selbst der BH konnte nicht verstecken, wie erregt mein Körper reagierte.

„Aber genau das sind Sie für mich“, flüsterte ich ehrlich. „Der Teufel, der meine Großmutter um einen friedlichen Lebensabend bringt und mich entführen lässt. Es ist völlig gleichgültig, ob Sie aus Fleisch und Blut sind oder ein Dämon. Es sind die Taten eines Menschen, die ihn ausmachen, und wenn man danach geht, hätten Sie sich den Titel des Leibhaftigen mehr als verdient.“

Oh Gott, war ich damit zu weit gegangen? Nein, anscheinend nicht. Er schnalzte nur gleichgültig mit der Zunge.

„Seien Sie nicht so melodramatisch, Lara. Ich habe nicht vor, Sie umzubringen oder Ihnen Gewalt anzutun, und was Ihre Großmutter angeht ... über das Thema werden wir uns noch ausgiebig unterhalten. Aber bevor wir das tun, lassen Sie uns auf der Terrasse eine Kleinigkeit essen. Mit leerem Magen streitet es sich schlecht.“

„Sie vielleicht, ich laufe dann erst zur Hochform auf.“

Grinsend strich er mir eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht. In der Geste und in seinem Blick lag eine Zärtlichkeit, die mich unvorbereitet traf. Schluckend erwiderte ich seinen teils neugierigen, teils amüsierten Blick. Dann schüttelte er den Kopf.

„Ich merkte schon, Sie sind giftig wie eine Tarantel, wenn man Sie nicht regelmäßig füttert.“ Frech zwinkerte er mir zu. „Da Sie nicht ganz freiwillig mein Gast sind, sehe ich es als meine Aufgabe an, diesen Job zu erledigen.“

Dio mio, wieso erlaubte es eine höhere Macht, dass ein einzelner Mann so verführerisch wirken konnte? Überfordert von seinem plötzlich eingesetzten Charme, zog ich es vor zu schweigen.

„Jetzt kommen Sie“, fuhr er eine Spur ungeduldiger fort. „Sie müssen doch völlig ausgehungert sein.“

Tatsächlich fühlte sich mein Magen schon ganz hohl an. Ich hatte in der Früh nur eine Tasse Kaffee getrunken und eine Scheibe Weißbrot. Das war bereits etliche Stunden her und da ich meine Mahlzeiten sonst sehr regelmäßig zu mir nahm, würde mir über kurz oder lang schlecht werden, wenn ich nichts aß. Da es niemandem nutzte, wenn ich verhungerte, beschloss ich, die Einladung anzunehmen.

„Also gut, ich könnte tatsächlich etwas Essbares vertragen“, antwortete ich spröde und ignorierte geflissentlich sein verhaltenes Lächeln.

„Wie einsichtig Sie doch sind“, meinte er lässig und deutete dann ein weiteres Mal mit der Hand zur Terrassentür. „Dann folgen Sie mir. Mein Butler Giuseppe hat den Tisch schon eingedeckt.“

Wir traten hinaus und für einen Moment blieb ich an der Schwelle stehen und ließ die Aussicht und die glitzernde Meeresoberfläche auf mich wirken. Die Dämmerung setzte bereits ein und das Glühen der untergehenden Sonne färbte die wenigen Wolkenschwaden am sich verdunkelnden Himmel. Die dünnen Wolken am Horizont verliefen in intensiven Orange- und Rottönen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Sonne ganz verschwand und die Nacht hereinbrach.

Wie von Geisterhand ging die Beleuchtung auf der Terrasse an. Cannavaros Butler musste sie vom Haus aus betätigt haben und während ich meinem Entführer zum Tisch folgte, tauchte ein Angestellter auf, der einen kleinen fahrbaren Tisch vor sich herschob. Das musste wohl besagter Giuseppe sein. Beinahe lautlos kam er auf uns zu, nur das Rattern der Räder und das Rauschen des Meeres drangen in mein Bewusstsein. Die ganze Situation kam mir unglaublich surreal vor. Wie ein Traum.

Giuseppe hielt mit seinem fahrbaren Tisch direkt neben uns.

„Signore Cannavaro, Ihr Essen.“

Der Mann klang dabei weder ängstlich noch sonderlich unterwürfig. Einfach wie ein Mann, der seine Arbeit verrichtete und dafür seinen Lohn kassierte. Möglicherweise übertrieb ich es ja mit der Verteufelung von Cannavaros Person?

Nein, unmöglich!

„Vielen Dank, Giuseppe.“

Bei Cannavaros samtiger Stimme liefen mir feurige Schauer über den Rücken. Selbst wenn er redete, schaffte er es, mich zu beeinflussen oder vielmehr meinen verräterischen Körper, der sich immer stärker zu ihm hingezogen fühlte.

„Soll ich Ihnen und der Signora auflegen?“, fragte Giuseppe pflichtschuldigst und deutete auf die silbernen Hauben, unter denen sich das Essen befand. Daneben entdeckte ich eine Flasche Rotwein und eine Karaffe eisgekühltes Wasser.

„Das werde ich übernehmen“, antwortete Cannavaro, griff allerdings erst nach dem Wein, um mir einzuschenken.

Sofort legte ich Protest ein. „Für mich keinen Alkohol, bitte.“

Ich wollte einen klaren Kopf behalten und nicht im Alkoholrausch Cannavaros Charme erliegen. Schon in nüchternem Zustand lief ich Gefahr, mich seinetwegen zum Narren zu machen.

„Angst, meinen Verführungskünsten zu erliegen?“, fragte er prompt und schien sich heimlich auf meine Kosten zu amüsieren. Ich hasste ihn, ich hasste ihn wirklich.

„Sie überschätzen Ihre Attraktivität maßlos“, antwortete ich gewollt geringschätzig.

Cannavaro nahm diese Information zur Kenntnis und führte dann mit einem selbstironischen Zug um die Lippen sein Weinglas an den Mund. „Glauben Sie mir, dass ich so denke, hat nichts mit Arroganz zu tun, sondern es basiert auf langjähriger Erfahrung. Wenn ich es darauf anlege, eine Frau in meinem Bett zu haben, dann muss ich mich dafür nicht sonderlich anstrengen. Das ist eine Tatsache und ... bitte verzeihen Sie mir meine Offenheit ... verflucht langweilig.“

Sein Lächeln vertiefte sich, während er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte und mich mit einem beinahe zärtlichen Blick bedachte. „Ich muss gestehen, Ihr Auftritt hat mich beeindruckt. Es kommt nicht oft vor, dass mich eine Frau so behandelt. Ich wollte Sie kennenlernen.“

Das war also der Grund für die Entführung? Meine Wut und mein Hass törnten ihn an, weil ihm die Frauen sonst wie reife Früchte in den Schoß fielen? Heilige Jungfrau! Dieser Kerl war nicht nur der Teufel in Person, sondern noch irre dazu

„Hören Sie, mir ist es egal, ob Sie sich langweilen. Ich bin kein Spielzeug, mit dem Sie sich mal eben so die Zeit vertreiben können. Würden Sie mir jetzt sagen, was Sie mit dieser Aktion bezwecken?“

Mir reichte sein kryptisches Geschwafel, ich wollte wissen, woran ich war, und dann schnellstmöglich nach Hause, auch wenn mein Körper mir da ganz energisch widersprach und Cannavaro liebend gerne angesprungen hätte.

In seinem Gesichtsausdruck zeigte sich Herablassung. „Ich sehe schon, du wirst eine harte Nuss werden, Lara.“ Nun grinste er vorfreudig. „Es wird aufregend werden, deinen Widerstand zu brechen.“

„Vorhin haben Sie sich beschwert, mir würde es an Widerstand fehlen“, wandte ich ein und unterließ es, ihn für das persönliche Du zu rügen. Es wäre ohnehin zwecklos gewesen. Der Kerl machte, was er wollte, und würde sich von einem Tadel nicht abhalten lassen.

Cannavaro ging nicht darauf ein und bedeutete seinem Angestellten, die Hauben von den Tellern zu nehmen. „Lass uns essen, danach besprechen wir, wie es weitergehen wird.“

Giuseppe, der dieser ganzen Unterhaltung mit regloser Miene beiwohnte und sich anscheinend gar nicht über das unverschämte Verhalten seines Arbeitgebers wunderte, lüftete die Schutzbehälter über den Tellern, und als das Essen zum Vorschein kam und der köstliche Duft in meine Nase drang, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Cannavaro mochte ja ein eingebildeter Zeitgenosse sein, aber er beschäftigte einen Koch, der diese Berufsbezeichnung auch verdiente.

„Als Vorspeise gibt es Tomaten carpaccio mit Rucola, Parmesan und Balsamico creme“, teilte Giuseppe uns mit, ehe er die andere Haube anhob. „Das Hauptgericht besteht aus Kalbsmedaillons in Zitronen-Sauce mit Rosmarinkartoffeln und gegrilltem Gemüse.“

So lecker es auch roch, aber da musste ich mein Veto einlegen, nachdem er das Essen wieder bedeckte, damit es nicht abkühlte. „Tut mir leid, aber ich esse kein Fleisch. Ich kann nichts zu mir nehmen, das mal lebendig über eine Wiese gelaufen ist.“

Cannavaros Butler machte ein hilfloses Gesicht, er wirkte unruhig.

„Möchten Sie dann etwas anderes?“

Ich lächelte ihn an. Das Einzige, was man diesem Kerl vorwerfen konnte, war die schlechte Wahl seines Arbeitgebers; das sollte mich aber nicht daran hindern, ihn freundlich zu behandeln. „Die Kartoffeln und das Gemüse reichen völlig. Ich werde nicht verhungern und es ist genau das, was ich jetzt am liebsten essen würde.“

„Du hast die Dame gehört, Guiseppe. Pack das ganze Fleisch ein und nimm es mit nach Hause. Deine Graciella wird sich bestimmt freuen, wenn sie heute nichts mehr kochen muss.“

Cannavaros Bediensteter grinste jungenhaft und schien überaus erfreut über das Angebot. „Si, Signore, das werde ich tun. Meine Frau liebt Kalbsmedaillons.“

Ich schüttelte mich innerlich, wenn ich an die riesigen und immer leicht feucht wirkenden Augen der Jungtiere dachte, die aussahen, als wüssten sie bereits, dass der Schlachter auf sie wartete. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, so etwas zu essen. Allein beim Gedanken daran drehte sich mir der Magen um und irgendwann hatte ich angefangen, ganz auf Fleisch zu verzichten. Nur wollte ich niemandem meine Essgewohnheiten aufzwingen. Wenn Cannavaro Fleisch mochte, dann sollte er es verdammt noch mal essen und nicht einen auf rücksichtsvoll machen.

„Sie müssen meinetwegen nicht darauf verzichten“, teilte ich ihm spröde mit.

Gott bewahre, dass Cannavaro meinetwegen darben muss, dachte ich zynisch.

„Ich bin eben höflich“, erwiderte er leichthin und nickte Giuseppe dankend zu. „Du kannst gehen, den Rest erledige ich.“

Danach verschwand der Mann so lautlos, wie er gekommen war.

„Höflich?“, wiederholte ich schrill. „Ich glaube, Sie verstehen nicht mal den Sinn dieser Eigenschaft, sonst hätten Sie nicht Ihren Gorilla vorgeschickt, um mich auf diese Insel zu verschleppen.“

Er warf mir einen langen Blick zu, kommentierte meine Beleidigung aber nicht. „Iss, du bist zu dünn!“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752128734
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Januar)
Schlagworte
Master Liebesromane CEO Erotik Dark Romance Liebesroman

Autor

  • Pia Conti (Autor:in)

Pia Conti ist das Pseudonym einer deutschsprachigen Autorin. Sie liebt ihre Familie, gutes Essen und die Sonne. Bücher begleiten sie schon seit frühester Kindheit und mit der Veröffentlichung ihres eigenen Romans geht ein Traum in Erfüllung.
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Titel: Die Zähmung des Racheengels