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Liebesurlaub

Ein Mallorca- Liebesroman

von Anna Graf (Autor:in)
232 Seiten

Zusammenfassung

Rafael oder Adrian? Adrian oder Rafael? Oder vielleicht doch alle beide?
Vier Wochen Auszeit auf Mallorca, mehr will Alex überhaupt nicht. Nur einfach eine Auszeit, um ihre gescheiterte Beziehung zu Stefan zu verarbeiten. Doch gleich in den ersten Tagen auf der Insel läuft ihr Rafael über den Weg. Er ist ein typischer Insel- Macho, der nichts weiter von sich preis gibt, aber Alex von der ersten Sekunde an umhaut. Er ist so heiß, das der Asphalt unter seinen Füßen zu schmelzen droht und ihr allererster One- Night- Stand.
Doch auch Adrian, ein deutscher Auswanderer, hat es in sich. Er ist ebenso umwerfend wie Rafael, aber dennoch das ganze Gegenteil - bodenständig, verlässlich, ein Fels in der Brandung und auch er ist mehr als nur interessiert an der schönen, blonden Ärztin aus Deutschland.
Alex ist hin- und hergerissen zwischen dem ‚Bad Boy‘ Rafael und dem ‚Nice Guy‘ Adrian. Ihr Entschluss, es mit beiden aufzunehmen, scheitert in der ersten Runde, denn auf Adrians Herz erhebt eine andere Anspruch und auch Rafael ist nicht so frei, wie es scheint …

„Liebesurlaub" ist lose angeknüpft an meinen Roman „True Love Bad Guys … wahre Liebe lohnt sich doch”.
Man wird beim Lesen alte Bekannte wiedertreffen, aber beide Bücher stehen für sich. Das Verständnis der Handlung wird nicht beeinträchtigt, wenn man das andere Buch nicht gelesen hat.

Weitere Romane von Anna Graf:
"JUST LOVE - Verhängnisvolle Affären_1 - New York"
"JUST LOVE - Verhängnisvolle Affären_2 - Los Angeles"
"JUST LOVE_3 - Am Abgrund"
"True Love Bad Guys - wahre Liebe lohnt sich doch"
„MORDSmäßig verliebt“ Liebe, Mord und Mafia – Ein ziemlich krimineller Liebesroman
„MORDSmäßige Leidenschaft“ Tödliches Verlangen – Noch ein ziemlich krimineller Liebesroman
"(K)ein flotter Dreier"
"Lieb mich zweimal, Baby"

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Eins

 

 

Sie war allein unterwegs, auf einer der kurvenreichen Straßen über dem Meer und gratulierte sich selbst zu ihrer Wahl. Das schneeweiße Cabrio, das sie vorgestern aus einer verrückten Laune heraus am Flughafen gemietet hatte, meisterte die gewundene Straße, die von Deià hinüber nach Sóller führte, spielend. Es war früher Morgen, die Luft noch kühl und der Fahrtwind zauste an ihrem langen, blonden Haar. Alex war frei, endlich mal wieder richtig frei.

Ein bisschen kam sie sich vor wie in einem dieser Fünfziger- Jahre- Filme, in denen rassige Blondinen in noch rassigeren Cabrios neben ‚richtigen Männern‘ mit großen Sonnenbrillen sitzen und irgendwo am Mittelmeer mit Lichtgeschwindigkeit die Serpentinen herunterbrettern. Allerdings gab es einen nicht zu vernachlässigenden Unterschied - sie saß allein im Auto, den ‚richtigen Mann‘ hatte sie vor drei Monaten in die Wüste geschickt und ehrlich gesagt, war sie froh, ihre Ruhe zu haben.

Die Straße war um diese Zeit noch leer und wechselte von stark kurvig in eine längere, halbwegs gerade Strecke. Mit einem grellen Schrei und lautem Lachen trat Alex das Gaspedal durch und der Wagen gehorchte, als sei er mit ihr verwachsen. Sie flog, über ihr der Himmel, unter ihr das Meer, das Gefühl war einfach traumhaft.

Dann allerdings bohrte sich das Heulen einer Sirene bis in ihre hinterste Hirnwindung und zerstörte das Romantik- Feeling. Na super, ein Wagen der Policía Local hatte sich hinter sie gesetzt und der Typ darin signalisierte ihr wild gestikulierend, an die Seite zu fahren. Sie wechselte mit dem rechten Fuß widerstrebend vom Gas auf die Bremse und fuhr in eine der schmalen Haltebuchten, die in den Felsen gehauen war. Von hier oben hatte man eine fantastische Aussicht über die Bucht. Sehnsüchtig ließ sie ihren Blick schweifen, entdeckte ein einsames, weißes Segel am Horizont und wandte mit einem leisen Seufzer ihre Aufmerksamkeit dem Mann zu, der aus dem Polizeiauto stieg.

Er war in Zivil, hatte es nicht eilig, er schlenderte gemächlich heran und blieb vor ihrem Wagen stehen. Alex hielt den Atem an bei seinem Anblick und betete inständig, dass er den Sabber nicht bemerkte, der sich aller Wahrscheinlichkeit nach in ihren Mundwinkeln sammelte. Der Typ war heiß, heißer als heiß, der Asphalt unter seinen Füßen sollte lieber aufpassen, dass er nicht schmolz!

Bisher hatte sie nur einheimische Männer gesehen, die im wahrsten Sinne des Wortes mit ihr auf Augenhöhe waren, aber dieses Exemplar hier war sehr, sehr groß. Das Erste, was sich ihr einbrannte, waren stahlblaue Augen in einem leicht gebräunten Gesicht, die in krassem Gegensatz zu seinen dunklen, fast schwarzen Haaren standen. Mit dem zweiten Blick registrierte sie breite Schultern, schmale Hüften und eine muskulöse Brust, die das T- Shirt unter der offenen Lederjacke spannte.

Dann drang eine tiefe, sexy Stimme an ihr Ohr und sie verstand natürlich kein Wort, wie auch. Über Hallo, guten Abend, Bitte und Danke ging ihr Spanisch nicht hinaus und hier auf der Insel sprach man zudem noch eine völlig andere Sprache. Obwohl sie sich lebhaft vorstellen konnte, was ihr bevorstand, mimte sie Unschuld und hoffte darauf, dass das Knöllchen, das ihr blühte nicht zu derb ausfiel. Ihre Urlaubskasse war eh schon mehr als strapaziert und konnte keine Sonderausgaben mehr verkraften. Also sah sie ihn bedauernd von unten her an, zuckte mit den Achseln und sagte:

„Ich verstehe Sie leider nicht.“.

Mallorca war wirklich das siebzehnte Bundesland, denn der Traumprinz vor ihr wechselte problemlos ins Deutsche.

„Sie sind viel zu schnell gefahren! Wollen Sie sich umbringen? Diese Straße ist gefährlich!“
Alex strich ihr Haar glatt, dann stieg sie aus und lehnte sich an den Kotflügel. Sie beschloss kurzerhand, nicht zu antworten und sah ihn nur herausfordernd an.

„Sind Sie hier im Urlaub?“, er sprach fließend Deutsch, gefärbt von einem wirklich hinreißenden, kleinen Akzent. „In welchem Hotel wohnen Sie?“

„Kein Hotel, ich habe ein Ferienhaus, Villa Elena in Deià“, antwortete sie. „Ist das von Belang?“

Er ging nicht weiter darauf ein und fragte nach ihrem Führerschein. Sie war an diesem Morgen ohne großen Ballast losgefahren, der Führerschein steckte einfach in der Hosentasche. Sie kramte ihn heraus und förderte dabei ein noch eingeschweißtes Kondom zu Tage, das sie gestern Abend prophylaktisch eingesteckt, aber natürlich nicht gebraucht hatte. Das verflixte Ding fiel zu Boden und landete, wie sollte es auch anders sein bei ihrem Glück, direkt vor seinen Füßen.

Sie bückten sich gleichzeitig danach, aber er war schneller.

„Man sollte für alle Eventualitäten gerüstet sein“, sagte er grinsend und musterte sie intensiv. „Man weiß ja nie …“

Sie hätte vor Scham im Boden versinken können. Gestern Abend hatte sie sich nach langem Zögern durchgerungen, in Sóller allein eine Diskothek zu gehen. Wozu war sie schließlich auf der Partyinsel, wenn sie nicht selbige machte? Warum sie vorher am Automaten ein paar Kondome gezogen hatte, wusste sie selbst nicht. Nach einer Stunde in dem Laden war sie gegangen - allein. Die Männer in der Disco waren zu laut, zu aufdringlich, zu betrunken und eine ganze Ecke zu alt für sie. Das Ganze war eine Schnapsidee gewesen.

Der Polizisten- Adonis behielt das Kondom in der Hand und griff nach ihrem Führerschein.

„Alexandra Baumann“, wie er das aussprach! Fast verführerisch klang ihr Allerweltsname aus seinem Mund. „Woher kommen Sie?“

„Ist das irgendwie von Belang?“ fragte sie zum zweiten Mal. Er stellte eindeutig die falschen Fragen und Alex sagte ungeduldig:

„Könnten wir das vielleicht beschleunigen? Brummen Sie mir doch einfach eine Strafe auf, ich würde gern weiterfahren.“

Das hier wurde langsam eigenartig. Sie sah zu ihm auf und hielt seinem durchdringenden Blick stand. Er war absolut umwerfend, ihn umgab eine Aura von Verwegenheit, Abenteuer und … Sex? Trotz der morgendlichen Kühle schien es um ihn herum vor Hitze zu flimmern und Alex spürte, wie die Luft zu knistern begann. Sie hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um seine breite Brust zu berühren. Eine heiße Welle durchströmte sie und versetzte ihren Körper in Aufruhr. Wie es wohl wäre mit so einem Mann … mit diesem Mann?

„Ich bin nicht im Dienst, also belasse ich es bei einer Ermahnung“, sagte er und trat, ein siegessicheres Lächeln im Gesicht, sehr nah an sie heran. Alex konnte sein frisches Aftershave riechen, einen Hauch von Leder und … ihn?

Er gab den Führerschein zurück, berührte dabei wie unabsichtlich ihre Hand und sie bemerkte erschrocken, dass sie zitterte, als sie zugriff.

„Fahren Sie vorsichtig, das ist ein Wagen, den ein Mann fahren sollte, es wäre schade um ihn“, er griff an Alex vorbei und öffnete ihr die Wagentür. Sie starrte ihn entgeistert an und wusste im ersten Moment nicht, was sie sagen sollte. Dann siegte die Wut.

„Wie war das gerade? Wollen Sie damit sagen, dass eine Frau nicht hinters Steuer gehört?“, fauchte sie und bohrte ihm den ausgestreckten Zeigefinger in die Brust. „Schade um den Wagen? Typisch spanischer Macho! Um mich ist es also nicht schade? Sie blöder …“

Weiter kam sie nicht, er lachte heiser auf, dann zog er mit einer Hand ihrem Kopf zu sich heran und presste seinen Mund auf ihren. Vor Schreck versteifte sie sich, doch dann spürte sie seine Zunge, die sich zwischen ihre Lippen schob und ohne weiter nachzudenken, öffnete sie den Mund. Er küsste wild und leidenschaftlich und ehe Alex registrierte, was sie tat, legten sich ihre Hände wie von selbst um seinen Hals und ihr Körper presste sich an seinen. Es war ewig her, dass sie so geküsst worden war, überhaupt … Stefan hatte sie niemals so geküsst.

Mit dem Gedanken an Stefan setzte ihr Denkvermögen wieder ein und sie riss sich von ihm los. Reflexartig versetzte sie ihm eine schallende Ohrfeige, sprang in den Wagen und fuhr mit quietschenden Reifen und natürlich wieder viel zu schnell davon. Im Rückspiegel sah sie ihn dastehen, groß, breitbeinig und dominant, ein selbstgefälliges Grinsen im Gesicht. Was für ein arroganter Arsch!

Dann wurde sie mit einem Schlag panisch. Sie hatte einen Polizisten geohrfeigt! Konnte sie dafür festgenommen werden? Schrieb er sie jetzt zur Fahndung aus wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt? Wie wurde das in Spanien gehandhabt, sie hatte schon die tollsten Stories über die spanische Polizei gehört.

Obwohl, wie bezeichnete man das, was er gerade mit ihr gemacht hatte? Ein wehmütiger Seufzer entfuhr ihr. Alex wusste genau, wie man das bezeichnete, man nannte es fantastisch küssen und dieser Mann war einfach …, ein wollüstiger Schauer lief ihr den Rücken hinab.

Vielleicht sollte sie das Land lieber so schnell wie möglich wieder verlassen, ehe sie ihren Urlaub hinter Gittern verbringen musste! Allerdings war sie gerade mal zwei Tage auf der Insel, hatte ein wirklich wundervolles Ferienhaus gemietet und hätte sich eigentlich pudelwohl fühlen müssen. Doch sie hatte noch nie allein Urlaub gemacht und fühlte sich in dem viel zu großen Haus einfach furchtbar einsam.

Ihr Start hier war wirklich unglücklich. Gestern der unbeschreiblich klägliche Versuch, sich ins Nachtleben zu stürzen und jetzt dieser ‚kleine Zusammenstoß’ mit Mister Obermacho. Hoffentlich hatte das kein Nachspiel.

Siedendheiß fiel ihr ein, dass er das Kondom behalten hatte. Wie peinlich das alles war, sicher dachte er, sie sei eine dieser Touristinnen, die nur für ein heißes Abenteuer auf die Insel gekommen war und hatte sie deshalb geküsst. Woher sollte er wissen, dass sie nichts als Ruhe und Frieden suchte und Abstand von ihrer Trennung von Stefan.

Mochte der Bulle glücklich werden mit dem Kondom, er brauchte es garantiert dringender als sie. So wie er aussah, legte er alle paar Tage eine andere Tussi flach.

 

 

Der Blick aufs Navi sagte ihr, dass sie gleich in Sóller ankommen würde. Sie folgte der Empfehlung ihrer besten Freundin Katie, die ihr aufgetragen hatte, unbedingt in ‚Adrians Café’ zu frühstücken. Im Handschuhfach hatte sie die neuste CD von Katies Band ‚Katie and the Bad Guys’ und ein kleines Fotoalbum deponiert, dass sie Adrian, einem Deutschen, der schon seit einigen Jahren auf Mallorca lebte, geben sollte: Erinnerungen an zwei wilde Wochen im letzten Herbst, in denen Katie mit ihren Jungs hier auf Tour gewesen war und die ‚Adrians Café’ zu ihrer Stammkneipe erkoren hatten.

Das Navi lotste sie sicher durch die engen Straßen des Ortes. Es war kurz nach neun Uhr, um diese Zeit fand sich sogar noch problemlos ein Parkplatz gleich vor dem Café. Als Alex den Laden betrat, war sie offensichtlich der erste Gast an diesem Morgen.

Hinter der Theke stand ein großer Mann, der schwarze Jeans, ein weites, mittelalterlich anmutendes Leinenhemd mit gefältelten Ärmeln, eine abgewetzte Lederweste und ein buntes Piratenkopftuch trug. Er hantierte an der Espressomaschine und als er sich umdrehte, erwartete sie mindestens einen dicken, goldenen Ohrring und eine Augenklappe. Stattdessen sah sie in das freundliche, gut geschnittene Gesicht eines Enddreißigers mit warmen, braunen Augen, einer markanten Adlernase und einem gepflegten Dreitagebart.

‚Hier muss irgendwo ein Nest sein‘, dachte sie überrascht, denn binnen kurzem stand sie schon dem zweiten, ziemlich scharfen Typen gegenüber.

„Hola“, sagte er lächelnd. „Tut mir sehr leid, aber wir öffnen erst in einer Stunde.“

„Oh“, erst jetzt wurde ihr wieder bewusst, wie früh es eigentlich noch war.

„Mir tut es leid, ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Aber Sie sind nicht zufällig Adrian Steingräber?“

„Doch, bin ich“, antwortete er und ihr fiel auf, dass der Mund unter der Adlernase mit ziemlich sinnlichen Lippen gesegnet war. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich bin Alex Baumann, eine Freundin von Katie Jensen, aus Deutschland.“

Sein Gesicht hellte sich auf, als der Name fiel.

„Hallo Alex, schön dich kennenzulernen“, er reichte ihr die Hand über den Tresen. Alex ergriff sie und er legte die andere Hand auch noch darauf. Sie spürte seinen festen Händedruck und komischerweise störte sie die Vertraulichkeit nicht. Er behielt einfach ihre Hand in seinen und fragte:

„Wie geht es Katie und der verrückten Bande?“

„Sehr gut“, antwortete Alex. „Sie treiben sich in der Welt herum, wie immer. Sie sind gerade in Finnland auf Tour, sie sind unglaublich gefragt dort. Katie hat mir etwas mitgegeben für dich, deswegen bin ich hier.“

Sie befreite ihre Hand aus den seinen und reichte ihre Mitbringsel über die Theke. Adrian blätterte lachend durch das Fotoalbum.

„Oh je, das waren harte Wochen. Katie und die Jungs waren fast jede Nacht hier und wir haben gefeiert bis in die frühen Morgenstunden. Ich bin ja einiges gewohnt als Gastwirt, aber nach ein paar Tagen wusste ich nicht mehr, ob ich leben oder lieber sterben sollte.“

„Ich kenne das, die haben ein Durchhaltevermögen, das ihresgleichen sucht.“, Alex verdrehte die Augen. „Da können Normalsterbliche nicht mithalten.“

„Du bist also keine Musikerin?“, fragte Adrian.

„Um Himmels Willen, nein, ich bin Assistenzärztin in Berlin. Katie und ich sind zusammen zur Schule gegangen.“

„Hey, dann muss ich alle meine Wehwehchen zusammensuchen, solange du hier bist“, Adrian zwinkerte ihr zu.

„Kein Problem“, erwiderte sie und versuchte, streng aus der Wäsche zu gucken. „Ich habe meine Skalpelle dabei, ich schneide einfach alles heraus, was hinüber ist.“

„Da bleibt am Ende nichts mehr übrig von mir“, Adrian lachte. „Dann vertagen wir das lieber.“

„Aber es ist wirklich kein Problem“, sie wurde ernst. „Meine Mittel sind hier zwar sehr begrenzt, aber wenn ich dir irgendwie helfen kann, werde ich das natürlich machen so gut es geht.“

„Das war ein Scherz“, Adrian lehnte sich über die Theke. „Genieß du mal deinen Urlaub, an mir ist zum Glück alles noch heil. Hast du schon gefrühstückt?“

„Ehrlich gesagt, bin ich deswegen hier, aber wenn du noch geschlossen hast, komme ich später noch mal wieder.“

„Nichts da“, Adrian kam hinter der Theke hervor und schloss die Eingangstür ab. „Komm mit nach hinten, du kannst mit mir frühstücken … wenn du möchtest.“

Alex überlegte nicht lange.

„Das wäre toll … aber nur, wenn es keine Umstände macht.“

Adrian hatte etwas an sich, dass sie sofort Vertrauen zu ihm fassen ließ. Er war einer dieser Menschen, die in sich ruhten, ein Fels in der Brandung, den nichts so schnell aus der Bahn warf.

„Es macht keine Umstände, komm mit.“

Er öffnete eine schmale Tür an der Stirnseite, schob sie hinaus ins Freie und Alex wusste jetzt, warum Katie sie hierher geschickt hatte. Urplötzlich befand sie sich in einer vollkommen anderen Welt, in einem Innenhof, der von hohen, mit dichten Weinranken bewachsenen Mauern umschlossen wurde. Mittendrin standen ein Zitronen- und ein Orangenbaum und weitere Weinstöcke, die sich an alten, gusseisernen Laternen empor rankten. Die Weinranken verschmolzen mit den Baumkronen, alles zusammen bildete ein dichtes Blätterdach, welches dem Hof etwas Magisches gab. In einer Ecke plätscherte ein Brunnen vor sich hin, das Wasser bildete ein schmales Rinnsal, welches von einer steinernen Rinne durch den gesamten Hof geleitet wurde. Hier war es sicher selbst in der größten Hitze noch erträglich.

Die Tische und Stühle im Hof waren bunt durcheinandergewürfelt. Kein Teil passte zum anderen, aber genau das machte einen weiteren Teil der Atmosphäre dieses Ortes aus.

„Mein Gott, ist das schön hier“, stieß Alex überrascht hervor und drehte sich einmal um sich selbst. „Davon hat mir Katie überhaupt nichts gesagt.“

„Vielleicht wollte sie dich überraschen? Sie hat oft stundenlang hier gesessen und geschrieben. Der Hof hat sie inspiriert.“

„Das kann ich mir vorstellen.“

„Setz dich, wohin du willst“, sagte Adrian. „Was möchtest du? Rührei mit Schinken und Toast oder lieber etwas Süßes? Oder beides zusammen?“

„Beides wäre schön. Und Kaffee, viel Kaffee, ich bin schon seit sechs Uhr auf.“

„Ihr Wunsch ist mir Befehl!“

„Kann ich helfen?“, rief sie ihm nach.

„Bleib schön, wo du bist“, kam es zurück. „Es ist mir ein Freude, dir Frühstück zu machen.“

Wenn Stefan das nur jemals zu ihr gesagt hätte! Ihre Beziehung zu Dr. Stefan Kraus war vor drei Monaten in die Brüche gegangen. Was so verheißungsvoll begonnen hatte, endete nach knapp zwei Jahren in einem Desaster. Sie hatten sich bei der Arbeit kennengelernt, er arbeitete als Anästhesist im gleichen Krankenhaus wie Alex. Er hatte lange um sie geworben und als sie dann endlich zusammen waren, schien es für eine Weile die perfekte Beziehung zu sein. Doch dann kehrte der Alltag ein und sie bekam langsam, aber sicher das Gefühl, dass er sie immer mehr ausnutzte. Er erkannte nicht an, was sie Tag für Tag im Krankenhaus leistete, ihre Arbeit als Assistenzärztin zählte für ihn nicht, obwohl seine eigene Assistenzzeit gar nicht so lange zurücklag und er noch genau wissen musste, wie hart es war.

Manchmal kam es ihr vor, als hätte er nur eine billige Haushälterin gesucht, aber Alex war nicht der Typ Frau, die einem Mann bedingungslos zu Diensten war und sich ihm unterordnete. Sie wollte eine Beziehung auf Augenhöhe und die bot ihr Stefan nicht. Also zog sie die Konsequenzen und trennte sich von ihm.

Sie war dabei, die Geschichte zu verarbeiten, deshalb hatte sie sich kurzerhand eine Auszeit vom Krankenhaus erbeten. Alex hatte massenweise Überstunden und noch Urlaubstage aus dem vergangenen Jahr, also bat sie bei ihrem Chef um gut Wetter und Einsehen und mietete für vier Wochen das Haus in Deià. Es war wundervoll und eigentlich unerschwinglich, aber für die Vorsaison hatte sie einen Sonderpreis bekommen. Jetzt, Anfang Mai, war es ziemlich still dort oben. Für die großen Touristenströme war es noch zu früh und sie hoffte, hier das Kapitel Dr. Stefan Kraus endgültig abschließen zu können.

 

 

Adrian kam zurück und schleppte ein übergroßes Tablett, das mit allen möglichen Leckereien beladen war. Er stellte Croissants, mallorquinische Ensaimadas, hausgemachte Marmelade und Honig auf den Tisch. Es gab eine große Kanne Kaffee und frisch gepressten Orangensaft. Die Orangen dafür kamen von seinen eigenen Bäumen, wie er extra betonte. Zum Schluss holte er die Rühreier und stellte ihr einen dampfenden Teller vor die Nase.

„Guten Appetit, Alex.“

Sie bedankte sich artig und langte zu, mittlerweile war sie wirklich sehr hungrig. Beim Essen erzählte Adrian ein wenig von sich, er hatte im vergangenen Jahr eine Finca mit einem alten, halb zusammengefallenen Steinhaus gekauft und war dabei, es wieder aufzubauen. Für den Übergang wohnte er in einem alten Zirkuswagen, den er schon in Deutschland besessen und hierher geholt hatte. Zur Finca gehörten ein paar Hektar Land mit Orangen- und Olivenbäumen, er besaß sogar eine kleine Schafherde und war am Überlegen, ob er die Landwirtschaft nicht professionell betreiben sollte.

„Allerdings müsste ich dann entweder das Café aufgeben oder einen Geschäftsführer einstellen.“

„Würde es dir nicht schwerfallen, dich hiervon zu trennen?“, fragte Alex neugierig und wies auf den Hof.

„Doch, natürlich. Das Café war so eine Art Flucht“, sagte er. „Weißt du, eigentlich bin ich Architekt, ich habe Deutschland vor fünf Jahren verlassen, weil ich den Druck nicht mehr wollte. Ich war erst Anfang dreißig, aber schon ausgebrannt, einfach nur noch leer. Der ständige Kampf ums Überleben, die übergroße Konkurrenz, ich habe gearbeitet wie ein Verrückter, hatte das Gefühl, mich ständig im Kreis zu drehen und wofür? Dann bekam ich über einen Bekannten einen Auftrag drüben in Andratx, dort habe ich für einen wirklich stinkreichen Typen ein Haus entworfen und den Bau beaufsichtigt und bin noch eine Weile hiergeblieben. Das mit dem Café hat sich mehr oder weniger zufällig ergeben, ich habe, ohne viel nachzudenken, zugegriffen und es nie bereut. Ab und zu übernehme ich Aufträge für Umbauten und Restaurierungen, nichts Großes, aber es reicht, um als Architekt nicht einzurosten. Aber jetzt ist es für mich an der Zeit, den nächsten Schritt zu machen. Ein guter Freund, der auch Landwirt ist, berät mich dabei.

„So etwa habe ich immer bewundert. Zur rechten Zeit loszulassen und etwas Neues zu machen, das möchte ich auch können.“

„Du kannst es“, sagte Adrian. „Glaub mir, wenn du spürst, dass der Zeitpunkt gekommen ist, kannst du es. Nicht jeder ist dazu fähig, nicht jeder hat genug Mut, aber du schon.“

„Du kennst mich doch überhaupt nicht, wie kannst du das wissen?“

„Ich weiß es, du hast es doch bereits getan“, er lächelte und sah ihr in die Augen. Alex schüttelte irritiert den Kopf.

„Was weißt du von mir?“, fragte sie aufgebracht. „Hat Katie dich auf mich angesetzt? Hat sie mit dir über mich gesprochen?“

„Hey, beruhige dich, Alex“, Adrian griff über den Tisch und nahm ihre Hand. „Ich hatte mit Katie seit Monaten keinen Kontakt mehr. Du bist hergekommen, um Abstand von etwas zu gewinnen, das spüre ich. Ich denke, du hast eine schmerzhafte Trennung hinter dir und suchst hier Abstand.“

„Bist du Hellseher oder was?“, sie ging instinktiv auf Distanz und zog ihre Hand weg.

„Dazu muss man kein Hellseher sein“, Adrian stupste ihr ganz leicht mit dem Finger auf die Nase. „Das sieht man dir an der Nasenspitze an.“

„Langsam wirst du mir unheimlich“, sagte Alex, doch dann lächelte sie. „Du hast recht, mit allem, was du gesagt hast. Es ist mir nur noch nie passiert, dass mich ein Mensch, den ich eben erst kennengelernt habe, bis auf den Grund durchschaut hat.“

„Ich habe dich nicht bis auf den Grund durchschaut, keine Sorge. Aber ich erkenne, wenn es jemandem nicht sonderlich gut geht und du siehst nicht wirklich glücklich aus.“

„Vielleicht hilft es mir ja, hier zu sein“, sie zerknüllte ihre Serviette zu einem festen Ball. „Ich habe vier lange Wochen, um wieder zu mir zu finden.“

„Wenn du reden möchtest … du bist jederzeit willkommen.“

„Ich danke dir, Adrian“, jetzt griff sie von sich aus zu seiner Hand. „Ich werde ganz sicher wiederkommen, schon allein wegen dieses Hofes.“

„Du kannst auch gern meinetwegen wiederkommen“, Adrian zwinkerte ihr zu. „Ich hätte nichts dagegen.“

Alex lehnte sich zurück und betrachtete ihn. Sie mochte ihn, er war ihr sofort sympathisch gewesen. Aber war das eben ein Flirtversuch? Interessierte er sich für sie? Ach was, wahrscheinlich wollte er einfach nur freundlich sein.

„Ich sollte jetzt gehen“, sagte sie, um ihre Unsicherheit zu verbergen und stand auf. „Du musst das Café öffnen, es ist gleich zehn.“

„Du kannst gern bleiben, du störst mich ganz sicher nicht.“

„Danke, aber lieber nicht. Was bekommst du für das Frühstück?“

„Willst du mich beleidigen, Alex?“, er stand jetzt ebenfalls auf, kam zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

„Komm einfach wieder, wenn dir danach ist, ich würde mich sehr freuen.“

Verlegen senkte sie den Blick.

„Ehrlich gesagt, verunsicherst du mich ein wenig“, sagte sie. „Ich habe das Gefühl, du weißt ganz genau, was in mir vorgeht und das beunruhigt mich.“

Die Hand wechselte von der Schulter unter ihr Kinn und hob es hoch, so dass sie ihm in die Augen sehen musste.

„Glaub mir, mich beunruhigt das auch.“ Er lächelte und erstaunt bemerkte sie einen Anflug von Unsicherheit auch bei ihm. „Wie erreiche ich dich? Das heißt, natürlich nur, wenn du möchtest, dass ich …“

„Villa Elena in Deià, warte, ich schreibe dir meine Handynummer auf.“

„Den riesen Kasten hast du gemietet, ganz allein?“

„Mir war nicht bewusst, wie groß es ist, aber es ist wunderschön.“

„Ja, das ist es wirklich.“

Natürlich wusste er genau, wie schön es dort war, denn er hatte die Sanierung geleitet und den Garten entworfen, aber um nicht als absoluter Angeber dazustehen, verriet er ihr das lieber nicht.

Er begleitete sie zur Tür, vor der bereits Leute darauf warteten, dass er öffnete und gab ihr eine Karte vom Café, auf die er außerdem noch seine Handynummer geschrieben hatte.

„Ruf mich an, wenn du Gesellschaft brauchst.“

„Das werde ich, danke Adrian.“

Sie ließ einen ziemlich erstaunten und leicht irritierten Adrian zurück. Alex hatte Eindruck auf ihn gemacht, sie hatte sein Innerstes berührt und das war schon ziemlich lange keiner Frau mehr gelungen.


Zwei

 

 

Alex beschloss, nicht sofort wieder nach Deià zurückzufahren. Der Tag war noch jung und sie wollte so viel wie möglich von der Insel sehen. Von Sóller aus fuhr sie Richtung Norden über eine gewundene Serpentinenstraße, machte Halt in Fornalutx, dem schönsten Dorf der Insel, wie man ihr gesagt hatte. Und wirklich, dieser Ort war zauberhaft. Er lag inmitten üppiger Orangenplantagen, die Bäume waren übervoll mit reifen Orangen und gerade aufgeblühten Blüten und versprachen eine Orangenernte bis weit in den Sommer hinein.

Enge verwinkelte Gassen führten bergan, die Häuser aus grob behauenem Naturstein waren von ihren Bewohnern liebevoll mit üppigen Blumen und Grünpflanzen in Terrakottatöpfen geschmückt worden. Als sie durch die Gassen streifte, wurde sie von einem alten Mann angesprochen, der auf einem kleinen Hocker vor seinem Haus saß und ihr eine frisch aufgeschnittene Orange entgegen hielt. Sie konnte nicht wiederstehen, biss in die Frucht und merkte im selben Moment, dass ihr der Saft übers Kinn lief. Lachend suchte sie nach einem Taschentuch, ehe ihr die Bescherung aufs Shirt tropfte, dann kaufte sie dem Mann einen großen Beutel frisch gepflückter Orangen ab und trug ihre Beute glücklich durch den Ort.

Unterhalb der wuchtigen Pfarrkirche gab es ein kleines Restaurant, in dem sie Pause machte und sich frisch gepressten Orangensaft bestellte. Alex, die seit Kindheit eine Vorliebe für Orangen in jeglicher Ausführung hatte, war im Apfelsinenparadies gelandet!

Viel war nicht los im Ort, wahrscheinlich war es noch zu früh im Jahr für großen Touristentrubel. Böse war sie nicht darüber, wenigstens konnte man in Ruhe herumlaufen, ohne sich durch Busladungen von Menschen kämpfen zu müssen.

An den Tischen rundum saßen entweder Rentnerpaare oder ältere Männer in Fahrradmontur.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

Sie sah hoch und verkniff sich gerade noch ein Grinsen. Der Mann, der mit einem Glas Saft in der Hand vor ihr stand, sah putzig aus. Sie musterte ihn fast zwanghaft, er musste mindestens sechzig sein, trug ein hautenges, türkisfarbenes Trikot, das seinen recht beträchtlichen Leibesumfang wunderbar betonte, über ebenso knallengen schwarzen Radlerhosen, in die zu allem Übel an den Seiten pinkfarbene Streifen eingearbeitet waren. Zwischen seinen Beinen zeichnete sich überdeutlich das ab, was sie um nichts auf der Welt näher betrachten wollte.

Fast verschämt wandte sie den Blick ab und sagte:

„Bitte, gern.“

Der Mann redete wie ein Wasserfall, erzählte von den Touren, die er bereits hinter sich hatte und von denen, die er noch machen wollte und gab mächtig an. Alex hörte höflich lächelnd zu, nickte ab und an und trank ihren Saft schneller aus, als sie es geplant hatte. Bereits nach kurzer Zeit wollte sie nichts mehr als flüchten, der Kerl ging ihr furchtbar auf die Nerven.

Sie stürzte also ihren Saft hinunter und beschloss, selbst zum Tresen zu gehen und die Rechnung zu bezahlen und gerade, als sie aufstehen wollte, kam tatsächlich eine umständliche Einladung zum Essen über seine Lippen.

Drei Baggerversuche an einem Tag, sie übertraf sich selbst! Allerdings war das Qualitätsgefälle enorm. Von ‚heißer als die Polizei erlaubt‘ über ‚den Mann, der mehr als einen zweiten Blick wert ist‘, war sie bei einer übergewichtigen Nervensäge gelandet, die zu Hause sicher schon Enkelkinder hatte.

„Ich werde meinen Mann fragen, ob wir es einrichten können“, flötete sie geistesgegenwärtig und sah, wie dem armen Kerl enttäuscht die Kinnlade herunterklappte. Schließlich zuckte er mit den Schultern.

„Fragen kann man ja mal“, sagte er und sie schnappte ihre Orangen.

„Natürlich kann man das, aber ich muss jetzt leider weiter. Es war nett, Sie kennenzulernen.“

 

 

Langsam schlenderte sie zum Auto, fuhr weiter und fand die Serpentinen hinunter nach Sa Calobra. Eine solche Straße war sie nie zuvor gefahren. Wahrhaft atemberaubend enge Kurven wanden sich durch eine bizarr geformte Berglandschaft hinunter zum Meer. Diesmal fuhr Alex ganz langsam, um so viel wie möglich davon aufnehmen zu können. Die Straße war an manchen Stellen so schmal, dass sie betete, nicht auf Gegenverkehr zu stoßen.

Heil unten angekommen, stellte sie das Auto ab und machte sich auf die Suche nach der berühmten Schlucht, dem Torrent de Pareis, über den sie von Bekannten schon so viel gehört hatte. Ein Stück des Weges führte durch einen Fußgängertunnel, der ihr am Ende einen wahrhaft grandiosen Anblick bot. Zu beiden Seiten der Schlucht stieg bizarr erodiertes Karstgestein in den Himmel, zu ihren Füßen lag eine von Sand- und Kiesbänken durchzogene, kaum Wasser führende Flusslandschaft, die sich zum Meer für wenige Meter öffnete und einen von steilen Klippen umrahmten Strand bildete.

Alex setzte sich auf einen großen Stein und genoss den Anblick. Hier war sie ganz allein und unter den hohen Felsen fühlte sie sich plötzlich völlig einsam. Sie saß hier an einem der schönsten Orte, an dem sie je gewesen war und konnte das mit niemandem teilen.

Sie lief ein Stück landeinwärts in die Schlucht hinein, bis es nicht mehr weiterging. Das Gelände wurde unwegsamer und Alex war definitiv nicht richtig gekleidet für eine solche Tour. Sich allein in die raue Wildnis zu wagen, schien auch nicht angebracht. Schweren Herzens machte sie sich auf den Rückweg und fuhr zurück in ihr Haus nach Deià.

 

 

Deià war herrlich. Hoch oben über dem Meer gelegen, über sich nur noch den Gipfel des Teix, verliebte sie sich auf den ersten Blick in diesen Ort. Sie wusste, dass hier schon immer Künstler ansässig waren und wohl auch einige Promis ein Domizil gefunden hatten, aber das interessierte sie weniger. Alex wunderte sich über die beträchtliche Anzahl von Galerien in dem kleinen Ort, in dem, soweit sie wusste, nicht einmal achthundert Menschen lebten. Die Künstlerdichte musste hier wirklich enorm hoch sein.

Gleich nach ihrer Ankunft war sie durch die steilen Gassen gelaufen und hatte den Blumenschmuck und die Majolikakeramiken an den alten Häusern bewundert.

Am ersten Abend setzte sie sich in eins der schönen Restaurants und stieß mit sich selbst auf ihren Urlaub an. Doch gleich darauf setzte Frust ein. Was sollte sie bloß vier Wochen mutterseelenallein hier anfangen? Auch wenn man es nicht glaubte, aber Alex schloss nicht so schnell Bekanntschaften. Sie hatte noch nie leicht auf Leute zugehen können. Im Krankenhaus fiel ihr das nicht schwer, aber das war etwas anderes, da war sie eine Autorität, jemand, bei dem die Leute Rat und Hilfe suchten. Im Privatleben tat sie sich schwer damit. Sie hatte ihre Freundin Katie immer dafür bewundert, wie sie unter wildfremden Menschen binnen kürzester Zeit Anschluss fand.

Alex kostete es jedes Mal Überwindung, allein in eine Bar zu gehen, deshalb machte sie das auch äußerst selten und nach der gestrigen Pleite in der Diskothek war sie sicher, dass sie dieses Experiment nicht wiederholen würde. Heute jedenfalls würde sie zu Hause bleiben, in aller Ruhe ein Glas Wein trinken, die Aussicht von ihrer Terrasse und den paradiesischen Garten, der sich hinter dem Haus befand, genießen … und zeitig schlafen gehen, sie hatte so viel Schlaf nachzuholen.

 

 

Unentschlossen stand sie vor dem Weinregal in der Küche. Die Besitzer des Ferienhauses betrieben ein Weingut auf der Insel und hatten in der Hoffnung, sie anzufüttern, verschiedene Kostproben hinterlassen. Schließlich griff sie nach der erstbesten Flasche und suchte nach einem Korkenzieher, als es laut an der Haustür klopfte. Alex zuckte erschrocken zusammen, sofort fiel ihr der Polizist ein, den sie am Morgen geohrfeigt hatte. Wurde sie jetzt verhaftet? Quatsch, sie schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war das nur der Verwalter, der ihr noch irgendetwas sagen wollte.

Schwungvoll öffnete sie die Tür und prallte sofort wieder zurück. An einer der steinernen Säulen des Vordachs lehnte tatsächlich der Bulle von heute früh. Allerdings hatte es nicht den Anschein, als sei er dienstlich hier. Er sah noch besser aus, als sie ihn in Erinnerung hatte, seine stahlblauen Augen packten sie und ließen sie nicht wieder los.

Ihr Körper machte sich selbständig, sie verspürte ein sehnsuchtsvolles Ziehen im Unterleib und konnte nichts dagegen tun. Was hatte dieser Mistkerl nur an sich, dass sie so auf ihn reagierte?

Wie angewurzelt stand sie in der Tür, starrte ihn an und brachte kein Wort heraus. Alex war nicht auf Besuch gefasst gewesen und ihr wurde peinlich bewusst, dass sie nur ein dünnes Shirt über ihrer nackten Haut trug und sich ihre Brustwarzen bei seinem bloßen Anblick sofort aufgerichtet hatten. Er erfasste mit einem Blick, was er bei ihr auslöste, stieß sich von der Säule ab und kam auf sie zu. Auch Alex war klar, dass er genau wusste, wie er auf sie wirkte. Kurz vor ihr blieb er stehen und zog etwas aus seiner Jackentasche. Als sie sah, dass er das verlorene Kondom in der Hand hielt, stieg ihr vor Scham das Blut in den Kopf und sie hoffte, nicht auch noch knallrot geworden zu sein,

Buenas noches”, die tiefe Stimme von Señor super Sexy durchdrang sie bis ins Mark. Ich wollte das hier zurückbringen.“

„Ich … ähh“, Alex schämte sich so, dass sie tatsächlich stotterte. Verflixt, was sollte sie bloß sagen, ohne sich endgültig unmöglich zu machen. Er nahm ihr die Entscheidung ab, er machte einen weiteren Schritt auf sie zu und stand jetzt direkt vor ihr, so nahe, dass sie die Wärme spürte, die von ihm ausging und sie wieder den überwältigenden Geruch in der Nase hatte, den sie bereits kannte. Sie trat einen Stück zurück, um Abstand zwischen sich und ihn zu bringen, doch er folgte ihr sofort. Der Abstand zwischen ihnen verringerte sich nicht.

„Bitte gehen Sie wieder“, krächzte sie heiser. „Mein Mann ist …“

„… nicht da“, vollendete er den Satz und ließ ein hinreißendes Lächeln aufblitzen. „Ich bin bei der Polizei, ich weiß alles. Niemand ist da, nur du und ich und das hier.“

Er nahm ihre Hand, legte das Kondom hinein und schloss ihre Finger darüber, griff nach ihr und zog sie an sich. Er streichelte über ihr langes, blondes Haar, küsste sie noch leidenschaftlicher und um einiges fordernder als am Morgen. Erregung schlug über ihr zusammen, sein Kuss entflammte sie, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte. Aber wollte sie das überhaupt? Sie hatte seit ihrer Begegnung am Morgen fast pausenlos an ihn denken müssen. Alex schlang einen Arm um seinen Hals, griff mit der anderen Hand in sein Haar und erwiderte seinen Kuss mit einer Intensität, die sie alles um sich herum vergessen ließ. Er drückte sie gegen die Wand, die in den Stein gehauenen Verzierungen bohrten sich in ihren Rücken, aber sie spürte es nicht. Stattdessen presste sie sich gegen seine breite Brust, ließ ihre Zunge mit seiner spielen und bemerkte nicht, dass Hüften machten, was sie wollten und gegen seine drängten.

Ihr Begehren steigerte sich noch, als er ihr Shirt nach oben schob und langsam mit der Hand über ihre Hüfte zu ihrem Rücken glitt. Seine Finger wanderten nach vorn, er fuhr mit dem Daumen über ihre harten Nippel und Alex entfuhr ein leiser Seufzer. Sie löste sich gerade so weit von ihm, dass sie ihn ins Haus ziehen und der Tür einen Tritt mit dem Fuß versetzen konnte, um sie zu schließen.

Drinnen drängte sie sich sofort wieder gierig an ihn. Alex war wie von Sinnen und konnte einfach nicht aufhören. Niemals zuvor war sie so geküsst worden, alles was sie wollte war mehr davon. Er umschlang sie und gab ihr, wonach sie verlangte. Er war ebenso erregt wie sie, Alex spürte seine Härte, die sich gegen ihre Scham presste. Mit spielender Leichtigkeit nahm er sie auf seine starken Arme.

„In welchen Zimmer schläfst du?“, fragte er. Seine Stimme war jetzt noch dunkler, sie hörte pure Erregung in ihr.

„Oben“, antwortete sie. „Gleich die erste Tür.“

Er trug sie die Treppe hinauf, sie ließ es geschehen und barg das Gesicht an seiner Schulter. Was tat sie hier bloß, sie hatte noch nie mit einem vollkommen Fremden geschlafen. Allerdings hatte er sie in einen Zustand versetzt, den sie bisher nicht kannte und von dem es kein Zurück gab. Alex brannte lichterloh, sie wollte ihn unbedingt, sie wollte seine Haut auf ihrer spüren, sie wollte ihre Finger in seinen Rücken graben, sie wollte ihren Verstand ausschalten und gevögelt werden wie nie zuvor in ihrem Leben.

Oben warf er sie einfach aufs Bett, zog sich das T- Shirt über den Kopf und stieg so selbstverständlich aus seinen Jeans, als hätte er sich schon hundert Mal vor ihr ausgezogen. Alex konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Schwer atmend bewunderte sie seine glatte, gebräunte Haut, das Spiel der Muskeln darunter und atmete scharf ein, als er auch noch seine Boxershorts abstreifte und vor ihr stand, wie Gott ihn geschaffen hatte. Oh ja, Gott hatte wahrhaft Großartiges geleistet bei diesem Mann, er war gebaut wie eine griechische Statue. Sie konnte es kaum noch erwarten, ihn endlich richtig zu spüren, sie setzte sich auf und begann, ihre Sachen ausziehen, doch er hielt sie zurück. Er kniete sich neben sie aufs Bett und fuhr mit seinen Lippen langsam an ihrem Hals hinunter. Er hatte es nicht eilig, seine Hände erkundeten ihren Körper, berührten sie durch die Kleidung und Alex wusste nicht, ob sie die Spannung noch lange aushalten konnte. Endlich, nach einer halben Ewigkeit, begann er, sie auszuziehen. Langsam und gemächlich verwöhnte er jeden Zentimeter ihrer nackten Haut mit seinen Lippen. Oh ja, er wusste, wie man ein Frau auf Touren brachte. Alex schloss die Augen und bäumte sich ihm wild entgegen, als er sie schließlich unvermittelt nahm …

Sie erwachte sehr früh, draußen dämmerte es gerade und sie hörte die Vögel durch das weit geöffnete Fenster singen. Wie schön das war! Zu Hause in Berlin musste sie jedes Mal extra in den Park gehen, um Vogelstimmen zu hören.

Rafael hatte sie noch in der Nacht verlassen. Rafael … sie sagte den Namen laut und lauschte sehnsüchtig seinem Klang nach. Was für ein Liebhaber! Er erfüllte wirklich jedes Klischee des feurigen, spanischen Machos. Er war temperamentvoll, eitel und dominant, aber er konnte auch unglaublich zärtlich sein und er war auf sie eingegangen, hatte nicht nur sein eigenes Vergnügen gesucht.

Wenn sie den Sex dieser einen Nacht mit den vielen Nächten, die sie mit Stefan verbracht hatte, verglich, kam ihr Ex nicht sonderlich gut davon. Gegen das, was sie mit Rafael erlebt hatte, war Sex mit Stefan nur ein laues Lüftchen. In der letzten Nacht war ein Tornado über sie hinweggefegt, hatte sie eingesogen, in höhere Sphären gewirbelt und anschließend wieder sanft auf den Boden hinuntergelassen.

Sie rollte sich träge auf den Rücken. Viel geredet hatten sie nicht, das war nicht nötig gewesen. Ihre Absichten waren eindeutig, er wollte sie, sie wollte ihn, wozu also Zeit mit Gesprächen vergeuden. Alex kam es vor, als lernte sie sich gerade neu kennen. Sie war vor ein paar Wochen dreißig Jahre alt geworden und bis gestern hatte sie noch nie einen One- Night- Stand gehabt. Rafael war ihre Premiere gewesen, und was für eine!

Es gab keine weitere Verabredung, sie hatten sich geliebt, bis sie beide erschöpft waren, dann küsste er sie zum Abschied und ging. Wahrscheinlich war es gut, dass sie ihn nicht wiedersehen würde, obwohl, so eine kleine Affäre, nur für den Urlaub …

Ach was, es war noch viel zu früh, um überhaupt die Augen aufzumachen, geschweige denn, sich den Kopf über Männer zu zerbrechen. Sie kuschelte sich in ihre Decke und ließ sich langsam zurück ins Traumland gleiten.

 

 

Ein gleichmäßiges Hämmern riss sie aus dem Schlaf. Alex brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass der Türklopfer Ursache des Geräusches war. Benommen sah sie auf die Uhr, gleich elf, verdammt, so lange hatte sie nun wirklich nicht schlafen wollen.

Sie sprang aus dem Bett, zog ihren Morgenmantel über und rannte, sich dabei notdürftig die Haare glättend, die Treppe hinunter. War Rafael vielleicht wiedergekommen? Halb erhoffte, halb fürchtete sie, dass er vor der Tür stand. Ziemlich aufgeregt öffnete sie und stolperte fast über einen großen Korb, der auf der Türschwelle stand. Draußen an der Straße sah sie Adrian in einen Lieferwagen steigen, sie rief nach ihm und winkte ihm zu, aber es war zu spät, er hatte bereits den Motor angelassen und fuhr davon.

Alex nahm den Korb und trug ihn in die Küche. Er hatte ihr Orangen und in Kräuter eingelegte Oliven gebracht, sie fand ein großes Stück aromatisch duftenden Schafskäse, frisch gebackenes Brot und hausgemachte Orangenmarmelade. Jetzt tat es ihr leid, dass sie nicht schnell genug unten gewesen war. Adrian hatte sich die Mühe gemacht, extra bei ihr vorbeizufahren und sie bekam ihren faulen Hintern nicht aus dem Bett.

Sie griff sich ihr Handy, suchte die Karte, die er ihr gegeben hatte und rief ihn an.

„Adrian Steingräber“, meldete er sich gleich darauf.

„Hallo, hier ist Alex, es tut mir so leid, ich hab noch geschlafen und dich eben ganz knapp verpasst.“

„Hab ich dich geweckt? Entschuldige bitte, das wollte ich nicht.“

„Muss es nicht, wirklich nicht, bist du noch in der Nähe?“

„Leider nicht, ich wollte dir auch nicht unangemeldet auf die Bude rücken. Ich wollte dich einfach noch einmal willkommen heißen hier.“

„Danke, das ist sehr lieb von dir. Sind das alles Sachen von deiner Finca?“

„Ja, bis auf den Käse und das Brot, das kommt vom Nachbarn. So weit bin ich noch nicht, aber ich lerne von ihm. Aber die Milch ist von meinen Schafen.“

„Nun sorgst du schon zum zweiten Mal für mein Frühstück, das kann ich gar nicht wieder gutmachen. Da fährst du extra meinetwegen einen Umweg und bekommst nicht mal eine Tasse Kaffee von mir.“

„So ein Umweg war das gar nicht, Alex. Du liegst fast auf dem Weg, meine Finca ist nur ein paar Minuten entfernt von Villa Elena.“

„Dann komm doch heute Abend vorbei, auf dem Heimweg. Oder musst du lange arbeiten?“

„Kommt drauf an, was los ist. Mein Barkeeper, der normalerweise die Spätschicht übernimmt, hat ein paar Tage frei, weil die Saison noch nicht begonnen hat. Wenn der Laden leer ist, schließe ich eher, das kann man immer schlecht vorhersagen. Aber hast du nichts vor heute Abend?“ Adrian klang erstaunt.

„Wenn du mich so fragst, nein, habe ich nicht.“ Alex kam sich komisch vor, sobald die Worte heraus waren. Wer machte schon Urlaub im Paradies und hockte abends allein zu Hause.

„Dann komm doch einfach rüber ins Café, ehe dir die Decke auf den Kopf fällt. Ich halte dir einen Tisch im Hof frei.“

„Das wäre schön. Also sehen wir uns heute Abend, ich freue mich.“

„Ich mich auch, bis später dann.“

Sie legte auf und dachte über Adrian nach. Sie kannte ihn kaum, aber sie mochte ihn. Schon lange war ihr kein so großzügiger, uneigennütziger Mensch mehr über den Weg gelaufen. Wie es aussah, war er Single. Wieso hatte so ein super Typ keine Freundin? War er vielleicht schwul? Sie schüttelte den Kopf, nein, das konnte sie sich ganz und gar nicht vorstellen. Obwohl, seine Klamotten und vor allem das Kopftuch hatte schon was, sie kannte sonst niemanden, der sich so kleidete. Vielleicht trug er das Kopftuch, weil er keine Haare mehr hatte. Alex kicherte in sich hinein. Besonders eitel war er ihr nicht vorgekommen. Naja, in der nächsten Zeit würde sie ihn sicher besser kennenlernen, es machte den Eindruck, dass er sie nicht sich selbst überlassen würde.

Jetzt aber musste sie erst einmal ins Bad. Die letzte Nacht hatte Spuren auf ihr hinterlassen, Alex brauchte dringend eine Dusche.

 

 

Spätestens als sie sich im Bad im Spiegel sah, war sie froh, dass sie Adrian verpasst hatte. Ihr hastig zusammengeraffter Morgenmantel bot einen mehr als freizügigen Ausblick auf ihre Brüste. Und als wäre das nicht genug, prangte auf der linken Brust gut sichtbar ein großer, dunkelroter Knutschfleck. Ungläubig starrte sie das Ding an. War das Absicht gewesen? Hatte Rafael so eine Art Zeichen auf ihr hinterlassen, als Strafe für die Ohrfeige? Zuzutrauen wäre es ihm.

Machten Männer in dem Alter noch Knutschflecken? Alex hatte einfach zu wenig Erfahrung, um das beurteilen zu können. Die Männer, mit denen sie geschlafen hatte, konnte sie an einer Hand abzählen. Sie war nie so gewesen wie ihre Freundin Katie, die Männerherzen reihenweise brach oder Mona, die es ebenfalls ziemlich heftig getrieben hatte, bevor sie die große Liebe ihres Lebens traf.

Alex, Katie und Mona waren in der Schule ein verschworenes Team gewesen. Aufgewachsen in einer kleinen Provinzstadt hatten die drei Mädchen schnell festgestellt, dass sie anders waren als ihre Schulkameradinnen, dass sie nicht dazugehörten zu den angesagten Kids. Am Anfang waren die drei eher eine Zweckgemeinschaft, um nicht ganz allein dazustehen, später wurden sie, obwohl sie vollkommen verschieden waren, die besten Freundinnen, die man fürs Leben sein konnte.

Die Freundinnen sahen sich nicht mehr so oft, wie sie es gern gehabt hätten, ihre Wege hatten sich nach der Schulzeit getrennt, wie das eben so war. Katie Jensen, die Ungezähmte, die sich an keine Regel hielt und immer mit dem Kopf durch die Wand ging, die Männer nahm, wie sie sie brauchte und anschließend verbrannte Erde hinterließ, war in ihrer Heimatstadt geblieben. Sie war eine begnadete Sängerin und hatte es mit harter Arbeit geschafft, ihren Traum zu verwirklichen, ein Star zu werden und mit ihrer Band durch die halbe Welt zu touren. In ihrer Heimatstadt hatte Katie auch die Liebe ihres Lebens getroffen, einen bemerkenswerten Mann, der sie nicht zähmen wollte, ihr ein gleichwertiger Partner war und der dafür sorgte, dass sie über ihrem großen Erfolg nicht die Bodenhaftung verlor. Seit fast zwei Jahren war sie glücklich mit Marcus Vollmer, einem Geschäftsmann aus ihrer Heimatstadt.

Die Zweite im Bunde war Mona Böhm, die als pummeliges, kleines Mädchen mit einer Vorliebe für Pink und Glitzer dem gnadenlosen Spott ihrer Klassenkameraden ausgesetzt war und erst durch ihre Freundschaft mit Katie und Alex lernte, sich zur Wehr zu setzen. Später erblühte sie zu einer üppigen Schönheit, heiratete mit einundzwanzig einen älteren, steinreichen Mann, mit dem sie abwechselnd in Miami und Monaco lebte. Die Neider zu Hause behaupteten natürlich, dass sie eine berechnende Person sei, die nur des Geldes wegen geheiratet hatte, aber Mona liebte ihren Karl- Friedrich abgöttisch und war gerade wieder schwanger mit ihrem zweiten, gemeinsamen Kind.

Blieb noch Alex, die als Streberin verschrien und bei den Lehrern immer die Nummer Eins gewesen war, erst in der Schule und auch später im Studium. Als Beste ihres Jahrgangs konnte sie sich aussuchen, an welchem Krankenhaus sie arbeiten wollte und sie entschied sich für eine große Klinik in Berlin, in der sie eine glänzende Karriere erwartete.

In ihrer Anfangszeit im Krankenhaus wurde sie von einigen der Ärzte absichtlich für eine Krankenschwester gehalten und dementsprechend behandelt. Wer so blond war wie sie, konnte nichts im Kopf haben, das stand den Herren förmlich auf der Stirn geschrieben. Sie ließ sich davon nicht einschüchtern und bewies ihnen immer wieder, dass sie gut war.

Ihre Mutter hatte ihr frühzeitig beigebracht, den Rücken gerade und den Kopf oben zu halten. Im Krankenhaus wusste sie sich durchzusetzten, war dort manchmal sogar ein wenig skrupellos ihren Kollegen gegenüber, vor allem, wenn es darum ging, Operationen zu ergattern, die sie weiterbrachten. Jedoch im ‚richtigen Leben‘, außerhalb der Klinik, war sie ziemlich zurückhaltend, wirkte manchmal ein wenig kühl und wurde von vielen, die sie nicht kannten, für arrogant gehalten. Allerdings täuschte die Fassade. In Alex brodelte ein verborgener Vulkan, der meist dann ausbrach, wenn man es am wenigsten erwartete.

Rafael hatte ihn gestern Nacht geweckt, hatte ihn explodieren und brennende Lava in die Luft schleudern lassen. Alex‘ Blick wanderte zurück zu dem roten Liebesmal auf ihrer Brust. Sie würde es mit Makeup abdecken müssen, er hatte es so ‚günstig‘ platziert, dass sie bei der Wärme ansonsten hochgeschlossene Klamotten hätte tragen müssen.

Kopfschüttelnd zog sie den Morgenmantel aus, stieg unter die Dusche und genoss das heiße Wasser, das ihr über den Körper rann. Sie fühlte sich träge und gab ihrem inneren Schweinehund nach. Heute würde sie richtig faulenzen, sich in den Garten legen, lesen und in dem großen Pool schwimmen, der ihr zur Verfügung stand. Sie würde den Tag untätig verrinnen lassen und später hinüber nach Sóller fahren, um den Abend bei Adrian zu verbringen.


Drei

 

 

Der faule Tag am Pool hatte gut getan. Alex stand das ganze Jahr über dermaßen unter Strom, dass es ihr schwerfiel, längere Zeit am Stück einfach sitzen zu bleiben und nichts zu tun. Aber man konnte sich daran gewöhnen.

Gegen sechs ging sie nach oben, duschte und schminkte sich sorgfältig und zog einen eleganten, kurzen Rock und eine zarte Seidenbluse aus dem Schrank. Sie würde nach Sóller fahren und noch ein wenig durch die Geschäfte bummeln, ehe sie zu Adrian ging. Sie schlüpfte in ihre Schuhe und griff nach ihrer Tasche, als es klopfte. Dafür, dass sie hier so gut wie keinen Menschen kannte, klopfte es ziemlich häufig an ihrer Tür.

Sie öffnete und vergaß mit einem Schlag Adrian und alles, was sie sich heute noch vorgenommen hatte. Ihr One- Night- Stand war keiner mehr, denn Rafael stand, sich mit einer Hand an der Türfüllung abstützend, genau vor ihr.

Ihr rutschte im wahrsten Sinne des Wortes das Hirn ins Höschen, bisher hatte sie gedacht, so etwas würde nur Männern passieren, aber nein, schon bei seinem Anblick begann ihr Unterleib zu pochen, zog sich alles in ihr erwartungsvoll zusammen und schrie nach Sex … Sex … und noch mehr Sex.

„Wolltest du gerade ausgehen?“, fragte er nach einem Blick auf sie.

„Jetzt nicht mehr“, Alex warf ihre Tasche in die Ecke und sich selbst an seinen Hals. Der letzte, winzigkleine Rest Selbstachtung in ihr schüttelte entsetzt den Kopf, wurde aber sofort von einer heißen Welle weggespült. Sie war wirklich nicht mehr sie selbst, aber egal, das hier war einfach zu gut, um lange darüber nachzudenken.
Rafael fing sie auf, schlang ihre langen Haare um seine Hand und zog ihren Kopf zurück. Dann verpasste er ihr einen vollkommen schamlosen Kuss, der hinunterging bis in ihr empfindlichstes Körperteil.

„Du hast mich vermisst“, behauptete er frech, als er mit beiden Händen über ihre dünne Seidenbluse fuhr, durch die sich ihre bereits wieder ihre steifen Spitzen drückten. Alex zuckte in freudiger Erwartung zusammen, als er seine langen, schlanken Finger um ihre Brustwarzen legte und sie sanft rieb. Sie griff nach seinem Hintern und zog ihn an sich heran.

„Du hast mich auch vermisst“, murmelte sie, seinen harten Schwanz an ihrem Unterleib spürend.

„Und wie ich das habe“, antwortete er heiser, zog ihr die Bluse über den Kopf, schob einfach den BH nach unten und küsste gierig ihre Brüste.

„Wer das wohl war?“, flüsterte er und fuhr grinsend mit dem Finger über den Knutschfleck. „Anständige Frauen haben so etwas nicht.“

Seine Lippen wanderten ein Stück zur Seite, legten sich über die Brustwarze und Alex kochte fast über. Sie keuchte ungeduldig und nestelte hektisch an seinem Gürtel. Er drängte sie gegen die breite Bauernkommode, die in der Diele stand, drehte sie um und legte sie mit dem Oberkörper darüber. Binnen Sekunden hatte er sie von ihrem Slip befreit, seine Hose von sich getreten und war in ihr, ehe sie protestieren konnte. Sie fühlte sich benutzt, weil er sie einfach so von hinten nahm, aber das währte nur kurz, denn seine Stöße waren köstlich und es dauerte nicht lange, bis sich ihr Stöhnen mit seinem mischte.

Der Quickie war viel zu schnell vorbei, doch Alex hatte noch lange nicht genug. Sie zog ihn hinter sich her, die Treppe hinauf ins Schlafzimmer. Rafael zog die paar Klamotten, die er noch am Leib hatte, aus, trat auf sie zu und küsste sie wieder. Sie roch so gut, aus ihrem Haar strömte ein Duft, der ihn schwindlig machte. Er schob sie zum Bett, bis sie rücklings darauf fiel, liebkoste ihren Hals und ließ seine Lippen über ihr Schlüsselbein nach unten wandern. Alex stöhnte laut auf, als er an ihren Brüsten ankam. Sie mochte die Art, wie er an ihnen saugte und knabberte, der süße Schmerz, den er ihr dabei bereitete, machte sie schier verrückt.

Tief in ihrem Inneren vergrub sie die Gewissheit, dass sie gerade einen schrecklichen Fehler machte, dass sie sich auf ein Abenteuer einließ, dessen Verlauf sie nicht einschätzen konnte. Wer war dieser Mann, der ihr solch unglaubliches Vergnügen bereitete? Sie begehrte ihn mehr als alles andere, wollte alles von ihm und schob die letzten Bedenken weit von sich.

Vor Begierde brennend fuhr sie mit beiden Händen seinen Rücken hinab, umfasste seinen festen Hintern und drückte ihn an sich. Sie spürte sein hartes, pulsierendes Geschlecht an ihrem Unterleib und presste sich dagegen.

Rafael schob sie ein Stück von sich. Sie machte ihn dermaßen heiß, dass er sich nur mit Müh und Not beherrschen konnte. Wenn das so weiterging, wäre das Vergnügen schneller vorbei, als ihnen beiden lieb wäre. Also zählte er langsam von hundert rückwärts und ließ dabei seine Hand langsam über ihre Hüfte zwischen ihre Schenkel gleiten.

Um Alex herum verschwammen die Konturen, ihr ganzes Denken konzentrierte sich nur noch auf die Finger, die sie berührten, mit ihrem Innersten spielten. Er ließ den Fingern nach einer Weile seine Lippen folgen, brachte sie mit seiner Zunge kurz vor einen Orgasmus, zog sich aber gerade noch rechtzeitig zurück. Alex protestierte und er quälte sie nicht länger. Er drang in sie ein, bewegte sich langsam, so langsam, dass sie sich ihm ungeduldig entgegenbäumte. Rafael grinste zufrieden, ja, das hier war gut, das war sogar sehr, sehr gut. Er erhöhte das Tempo, dann wechselte er die Stellung, sodass sie auf ihm saß und ließ Alex bestimmen, wohin sie wollte. Es dauerte nicht lange, und ihre Lustschreie erschütterten das alte Haus bis in seine Grundmauern …

 

 

„Ich sterbe vor Hunger“, sagte Alex, die nach einer weiteren wilden Runde erschöpft, aber rundum befriedigt in Rafaels Armen lag. Mittlerweile hatte die Abenddämmerung eingesetzt, die Zeit war verflogen, ohne dass sie etwas davon mitbekommen hatte.

„Was hältst du von Abendessen?“, fragte Rafael. „Ich lade dich ein, es sei denn, du hast etwas Essbares hier, dann werde ich dieses Bett nicht verlassen.“

„Unersättlich, was?“, Alex lachte und kniff ihn leicht in die Seite, dann schwang sie ihre langen Beine über die Bettkante. „Tut mir leid, ich war nicht auf einen Gast eingestellt, der Kühlschrank ist so gut wie leer, also werde ich auf deine Einladung zurückkommen.“

Sie lief so nackt, wie sie war, hinüber ins Bad und stellte die Dusche an. Es dauerte nicht lange und sie hatte Gesellschaft. Rafael kam ungefragt zu ihr, nahm ihr die Seife aus der Hand und begann, sie zu waschen.

‚Oh Gott, nein, nicht schon wieder, ich bin doch kein Sexobjekt, das man nach Gutdünken benutzen darf‘, meldete sich die nervige Selbstachtung in ihrem Kopf zurück.

„Oh Gott, ja … hör bloß nicht auf“, stöhnte Alex, als Rafael mit seinen eingeseiften Händen zwischen ihre Beine fuhr und sie schnell wieder auf hundertachzig brachte. Der Hunger war vergessen, die Selbstachtung auch, sie drängte sich an ihn, ließ sich hochheben und schlang ihre Beine um seine Hüften, als er sie mit dem Rücken gegen die kühlen Fliesen lehnte und ein weiteres Mal nahm.

 

 

Schließlich schafften sie es tatsächlich, die Finger voneinander zu lassen und sich anzuziehen, um endlich essen gehen zu können. Auf dem Weg zu Rafaels Wagen klingelte Alex‘ Handy. Adrian … verdammt, den hatte sie vollkommen vergessen. Mit einem Anflug schlechten Gewissens nahm sie das Gespräch an.

„Hey, hier ist Adrian“, sagte er. „Ich will dir ja nicht auf den Wecker fallen, aber falls du noch vorhattest zu kommen – ich schließe jetzt, hier ist absolut nichts los.“

Halb fragend setzte er hinzu:

„Wenn du möchtest, schaue ich noch auf einen Sprung bei dir vorbei?“

Rafael enthob sie einer Antwort, er stand bereits an seinem Wagen und rief ungeduldig nach ihr, laut genug, dass Adrian es hören musste, eindeutig genug, dass Adrian begriff, was sie den Abend über getrieben hatte.

„Oh, du bist beschäftigt“, sagte er nach einer kurzen Verlegenheitspause. „Dann will ich natürlich nicht stören.“

„Adrian, es tut mir …“, setzte Alex zu einer Antwort an, doch Adrian unterbrach sie:

„Du musst dich nicht entschuldigen, warum auch. Schönen Abend noch.“

Die Leitung war tot, Adrian hatte aufgelegt. Was war das denn gewesen? Alex sah erstaunt auf ihr stummes Handy. War er etwa eifersüchtig? Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Das konnte nicht sein, er hatte sie doch nur ein einziges Mal gesehen. Sicher täuschte sie sich wiedermal. Männer waren und blieben eine Sache für sich.

Seufzend steckte sie das Handy ein und ging zu Rafael, der tatsächlich mit einem knallroten Ferrari vorgefahren war. Alex unterdrückte das Bedürfnis, diesmal vor Entsetzen zu stöhnen und lief einmal um das Prachtstück herum.

„Wer war das?“, fragte er prompt, obwohl ihn das überhaupt nichts anging.

„Ein Bekannter“, antwortete Alex. „Der Freund einer Freundin. Wir waren verabredet und ich habe ihn versetzt.“

„Du hast ihn meinetwegen versetzt? Das ist gut, so gehört sich das.“

Rafaels Grinsen war derart selbstgefällig, dass sie ihm am liebsten einen Schlag versetzt hätte.

„Bescheidenheit ist nicht gerade deine Stärke, was?“ Sie sah den Wagen misstrauisch an. „Kann man sich von einem Polizistengehalt so einen Wagen leisten?“

Er lachte laut los und Alex beschlich das dumpfe Gefühl, dass er sie auslachte.

„Ich habe ihn gebraucht gekauft“, sagte er spöttisch, als er sich beruhigt hatte und hielt ihr die Tür auf. Alex versank in weichem Leder und bewunderte heimlich das edle Interieur.

„Ich glaube, ich muss da was klarstellen“, grinsend ließ er den Motor an. „Ich bin nicht bei der Polizei.“

„Bist du nicht?“, sagte Alex überrascht. Plötzlich wurde ihr mulmig. Sie saß hier mit einem Mann, von dem sie bis auf die Tatsache, dass er ein Wahnsinns Liebhaber war, rein gar nichts wusste, in einer echten Zuhälterkarre und hatte keine Ahnung, wohin er sie bringen würde. Er warf ihr einen amüsierten Blick zu und schien ihre Gedanken lesen zu können.

„Mach dich bloß nicht über mich lustig“, fauchte sie.

„Hey, jetzt fährt sie die Krallen aus … ich mag es lieber, wenn du sie mir in den Rücken schlägst“, Rafael trat aufs Gas und der Wagen schoss davon. „Also gut, ehe du aus dem fahrenden Wagen springst, meiner Familie gehört das Haus, in dem du wohnst, daher wusste ich auch, dass du hier allein bist.“

„Und was war das für ein Wagen, mit dem du mich da gestern gestoppt hast?“

Rafael lachte schon wieder.

„Wenn du richtig hingesehen hättest, wäre dir aufgefallen, dass das kein Auto der Polizei war. Naja, früher schon, aber diese Karren sind schon seit Jahren ausgemustert. Er gehört einem Freund, der sammelt sowas. Ich habe ihm einen Gefallen getan und das Ding nach Inca in die Werkstatt gebracht. Ich war die ganze Zeit hinter dir, habe dich aus der Villa wegfahren sehen und als du dann so richtig Gas gegeben hast, konnte ich einfach nicht widerstehen …“

„Woher soll ich wissen, wie eure Polizeiautos aussehen, ich war zuvor weder hier noch sonstwo in Spanien“, Alex schüttelte entsetzt den Kopf. „Du hättest Gott weiß wer sein können!“

„War ich aber nicht. Und gib es zu, du warst von der ersten Sekunde an scharf auf mich, das hab ich in deinen Augen gesehen.“

„Sei nicht so verdammt selbstgefällig“, sie ärgerte sich jetzt wirklich, aber mehr über sich und ihre Leichtgläubigkeit, als über ihn. Schließlich sagte sie patzig:

„Ja, ich war von der ersten Sekunde an scharf auf dich, bist du jetzt zufrieden?“

„Zufrieden bin ich erst, wenn du wieder nackt auf mir reitest.“

Alex schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte genervt.

„Was habe ich getan? Womit hab ich das verdient!“, sie sah ihn scheel von der Seite an. „Mein Leben lang habe ich mir angehört, dass ich mich nicht von Männern unterbuttern lassen soll und dann gerate ich ausgerechnet an sowas wie dich!“

„Tja, das ist das Problem bei euch deutschen Frauen. Eure Männer sind einfach keine mehr. Ihr seid so wahnsinnig emanzipiert, eure Männer springen, wenn ihr mit dem Finger schnippt. Und wenn ihr dann wirklich einem richtigen Kerl begegnet, einem der euch zeigt, wo es lang geht, fallt ihr vor Entsetzen in Ohnmacht.“

„Du hast damit sicher eine Menge Erfahrung“, Alex reichte es, mittlerweile war sie richtig wütend. „Hör zu, ich brauche solchen Scheiß nicht. Mir ist der Appetit vergangen. Würdest du mich bitte zum Haus zurückbringen?“

Rafael stieß ein bellendes Lachen aus.

„Siehst du, das meine ich. Du überlegst es dir anders und ich habe gefälligst zu gehorchen. Nein, ich werde dich nicht zurückbringen, ich habe dich zum Essen eingeladen, also werden wir auch essen gehen.“

Alex brachte eigentlich nichts so leicht aus der Ruhe, was einen unglaublichen Vorteil für ihren Beruf mit sich brachte, doch jetzt rastete sie aus.

„Du wirst auf der Stelle anhalten und mich aussteigen lassen“! schrie sie. „Dann laufe ich eben zurück.“

Rafael bremste hart und lenkte den Wagen mit einem Ruck an den Straßenrand. Der Sicherheitsgurt fing das Bremsmanöver auf, Alex verspürte einen leichten Schmerz, als er anzog, dann kam der Wagen zum Stehen.

„Na los, verschwinde, du hysterische Kuh“, brüllte Rafael, seine Augen funkelten gefährlich im blassen Mondlicht, dass durch die Wagenfenster hereinschien.

„Blöder arroganter Macho“, schrie Alex zurück und schnallte sich ab. Dabei streifte ihre Hand seinen Arm, sie hielt in der Bewegung inne und sah ihn an. Stumm starrten sie sich eine Weile in die Augen, dann stieß Rafael einen knurrenden Ton aus und Alex? Alex packte ihn mit einer Hand am Hemd, fast zeitgleich griff er ihr ins Haar und küsste sie, dass ihr erneut Hören und Sehen verging. Er zog sie herüber, setzte sie rittlings auf seinen Schoß und griff ihr unter den Rock.

„Nicht schon wieder“, stöhnte sie. „Ich kann nicht mehr, ich bin total wund, ich verhungere gleich und ich habe ein Lenkrad im Rücken.“

Er hielt sofort inne, nahm ihren Kopf in die Hände und sah sie mit einem rätselhaften Blick an.

„Was machst du bloß mit mir“, sagte er und seine Stimme klang plötzlich ganz weich.

„Dasselbe könnte ich dich fragen“, antwortete Alex leise. „Ich raste nie so aus, glaub mir.“

„Ich hab dich provoziert, das tut mir leid, manchmal reitet mich der Teufel“, Rafael küsste sie wieder, aber diesmal ganz sanft, unendlich zärtlich ließ er seine Lippen über ihr Gesicht gleiten, küsste ihre Augen, ihre Stirn und wieder ihren Mund. Dann half er ihr hinüber auf ihren Sitz.„Also, möchtest du essen gehen oder soll ich dich zurückbringen?“

„Essen gehen bitte, ich fall gleich tot um“, Alex lächelte verlegen.

„Vielen herzlichen Dank“, antwortete er und grinste erleichtert. „Ich falle nämlich auch gleich tot um. Ich bin mindestens genauso hungrig wie du, du hast mich völlig ausgelaugt. “

 

 

Ein paar Minuten später hielt er vor einem großen, uralten Steinhaus, welches inmitten eines romantisch beleuchteten Gartens lag.

„Wo sind wir hier?“, fragte Alex. Sie hatte im Dunklen komplett die Orientierung verloren.

„Ein Stück unterhalb von Valldemossa“, antwortete Rafael. „Das Restaurant ist ein Geheimtipp. Es ist nicht groß, aber exquisit. Hier gibt es noch original mallorquinisches Essen, am Wochenende fallen die Einheimischen in Scharen ein, dann ist auch der Garten voller Menschen und man bekommt keinen freien Stuhl mehr.“

Durch eins der Fenster entdeckte Alex im Inneren einen riesigen Herd, auf dem Fleisch über offenem Feuer brutzelte. Es roch verführerisch, ihr lief bei dem bloßen Anblick das Wasser im Mund zusammen. Rafael legte den Arm um ihre Schulter und führte sie hinein. Drinnen gab es einen großen Aufruhr als man ihn sah, er schien hier bekannt zu sein, wie ein bunter Hund. Die Wirtin, eine untersetzte, kleine Frau, kam flink wie ein Wiesel hinter der Theke hervor, küsste Rafael auf beide Wangen, Alex nickte sie allerdings nur kurz zu. Sie überschüttete ihn mit einem wahren Redeschwall und als er antwortete, fragte sich Alex, wie ein normaler Mensch so schnell sprechen konnte, ohne hoffnungslos über die eigene Zunge zu stolpern.

Rafael nahm Alex bei der Hand.

„Komm mit“, sagte er. „In die Küche können wir zwar nicht, da wird Luis verrückt, aber ich zeige dir die Räume, die sich oben befinden.“

„Kannst du hier einfach so herumlaufen? Sollten wir nicht erst einmal etwas zu essen bestellen?“

„Ich habe das eben bereits mit Antonia geregelt, ich hoffe, du magst Fisch? Luis macht Dorade, die ist fantastisch. Und ja, ich kann hier einfach so herumlaufen.“

Von neuem überrumpelt lief Alex hinter ihm her. Er führte sie völlig selbstverständlich, als sei er hier zu Hause, die einfache, geschwungene Holztreppe hinauf und sie fragte neugierig:

„Gehört das hier etwa auch deiner Familie?“

„Nein“, antwortete er knapp und zog sie weiter. „Das gehört nur mir.“

Alex kam das alles langsam ‚spanisch‘ vor. Wen hatte sie sich da an Land gezogen? Wer zum Teufel war Rafael?

Oben befanden sich fünf große, in altmodischem, mallorquinischem Stil eingerichtete Gästezimmer. Drei davon waren belegt, in die beiden anderen warf Alex einen interessierten Blick. Besonders beeindruckten sie die gewaltigen Dachbalken, die man freigelassen hatte und die den Räumen eine ganz besondere Atmosphäre gaben.

„Das Haus ist über zweihundertfünfzig Jahre alt und gehörte mal zu einem der größten Landgüter hier“, erklärte ihr Rafael. „Es war ursprünglich eine Scheune. Vor ein paar Jahren hat man das Anwesen aufgeteilt und verkauft.“

„Die Zimmer sind wundervoll“, stellte sie fest. „Du hast sicher einen guten Innenarchitekten.“

Rafael lächelte und griff wieder nach ihrer Hand. Gemeinsam liefen sie die Treppe hinunter.

„Ich brauche keinen Innenarchitekten. Für die Einrichtungen ist meine Schwester zuständig, sie hat ein Händchen für sowas. Sie liebt es, über die Märkte zu ziehen und altes Zeug zusammenzusuchen.“

„Das mag ich auch“, sagte Alex. „Ich habe nur nie Zeit dafür.“

Rafael führte sie zu einem Tisch in einer kleinen Nische. Das Restaurant war gut besucht, obwohl die Saison noch nicht begonnen hatte. Er rückte ihr den Stuhl zurecht, setzte sich ihr gegenüber und fragte schließlich:

Und was macht dich so schwer beschäftigt? Was treibst du, wenn du nicht Urlaub auf Mallorca machst?“

„Na was denkst du?“, Alex stützte ihr Kinn auf eine Hand und sah ihn spitzbübisch an. „Welchen Beruf habe ich wohl?“

Sie war wirklich auf seine Antwort gespannt, doch die quirlige Wirtin kam mit einem Tablett an den Tisch, stellte eine Karaffe roten Hauswein ab, Wasser, verschiedene Gläser, ein Körbchen mit Brot, eingelegte Oliven und ein Töpfchen Aioli.

Antonia hatte den Tisch noch nicht richtig verlassen, als Alex schon nach dem Brot griff und es dick mit Aioli bestrich. Sie biss herzhaft hinein und verdrehte genüsslich die Augen. Rafael lachte und goss Wein ein.

„Ich mag Frauen, die gern essen“, sagte er augenzwinkernd. „Frauen, die ein gutes Essen zu würdigen wissen, sind auch immer gut im Bett.“

„Ein Philosoph bist du also außerdem noch“, Alex schob sich den Rest Brot in den Mund und griff nach einem zweiten Stück. „Denkst du auch ab und an mal an was anderes als Sex?“

„Nein“, Rafael trank einen Schluck Wein. „Wie könnte ich auch, mit dir gegenüber und den süßen Krümeln an deinem Mund.“

Verlegen griff Alex nach einer Serviette und putzte sich den Mund sauber, was ihn sofort wieder lachen ließ.

„Wieso sprichst du eigentlich so gut deutsch?“, fragte sie, um von sich abzulenken. Aber abgesehen davon hatte sie ihn das schon die ganze Zeit fragen wollen.

„Unser Kellermeister ist Deutscher, von ihm habe ich viel gelernt und ich habe drei Jahre in Deutschland studiert“, erwiderte er. „Agrarwissenschaften und Management in Berlin, an der Humboldt- Universität.“

„Das ist nicht wahr“, sagte Alex, völlig perplex. „Wann war das denn?“

„Ich habe meinen Abschluss vor fünf Jahren gemacht, ich war ein ziemlicher Spätzünder, ich habe erst mit siebenundzwanzig angefangen, zu studieren.“

„Wir waren an derselben Uni, sind uns dort vielleicht sogar über den Weg gelaufen, ist das nicht verrückt?“ Alex hob ihr Glas. „Darauf müssen wir trinken!“

Rafael wirkte leicht irritiert.

„Du hast auch Landwirtschaft studiert?“

„Nein, natürlich nicht, aber ich war an auch der Humboldt, allerdings an einer anderen Fakultät. Ich habe Medizin studiert, ich bin Ärztin.“

„Du bist Ärztin“, wiederholte Rafael. „Jetzt bin ich wirklich beeindruckt.“

Antonia kam wieder an den Tisch und brachte jedem eine Tonschale mit Suppe.

„Sopas mallorquinas“, sagte sie, lächelte Rafael an, sah über Alex völlig hinweg und ging wieder.

„Kennst du das?“, fragte Rafael und als Alex den Kopf schüttelte, erklärte er:

„Das ist ein typisches Arme- Leute- Gericht, man hat alles zusammengekocht, was da war, Knoblauch, Lauch, Tomate, Paprika, Zwiebel, Bohnen, Zuckererbsen, Weißkohl und dünn geschnittenes altes Brot.“

Alex probierte einen Löffel von der heißen Suppe und nickte anerkennend.

„Das ist wirklich gut.“

Sie war mittlerweile so ausgehungert, dass sie sich zusammenreißen musste, um nicht zu schlingen.

Rafael nahm den Gesprächsfaden wieder auf und fragte sie interessiert nach ihrem Beruf aus.

„Ich habe mein Studium vor zwei Jahren beendet und bin jetzt in der Facharztausbildung, also Assistenzärztin. Ich möchte Allgemeinchirurgin werden, mich vielleicht auf Kardiologie spezialisieren, aber das weiß ich noch nicht so genau.“
„Und wie lange dauert so eine Facharztausbildung?“

„Ich habe noch vier Jahre vor mir, dann ist es hoffentlich geschafft.“

„Wahnsinn, damit kann ein armer Landwirt wie ich nicht mithalten.“

„Naja, den armen Landwirt musst du mir allerdings erstmal zeigen“, spöttelte Alex. „So wie es aussieht, gehört dir doch die halbe Insel.“

Er ging nicht darauf ein, sah sie mit einem eigenartigen Blick an und sagte:

„Wieso lässt ein Mann eine Frau wie dich allein verreisen?“

Alex begriff im ersten Moment nicht, was er meinte, doch dann verstand sie und lächelte.

„Ich glaube, ich muss da auch was richtig stellen. Als du gestern so unvermittelt vor der Tür standest, bekam ich einfach Panik. Ich hatte Angst vor dem, was passieren würde, deshalb habe ich … ich bin Single, ich war niemals verheiratet.“

„Du bist nicht …?“, er unterbrach sich, denn Antonia kam mit dem nächsten Gang, in dicker Salzkruste gegarter Fisch aus dem Ofen, herbei.

Rafael stocherte mit der Gabel in seinem Fisch herum und sagte kein Wort mehr.

„Hallo, bist du noch da?“, brachte sich Alex nach einer Weile in Erinnerung.

„Wie?“, er fuhr hoch. „Ja natürlich. Ist der Fisch gut?“

„Sehr gut, danke. Was ist? Stimmt was nicht?“

„Nein, alles in Ordnung“, er schob sich eine volle Gabel in den Mund, kaute, schluckte und ließ sofort die nächste folgen. Das Gespräch versiegte komplett, er hatte von einem Moment zum nächsten eine Mauer um sich gezogen und Alex fühlte sich zunehmend unwohler. Sie zwang den wirklich fantastisch zubereiteten Fisch hinunter und war froh, als ihr Teller leer endlich leer war.

„Möchtest du noch ein Dessert?“, fragte Rafael, es klang gezwungen und sie schüttelte schnell den Kopf.

„Nein, vielen Dank, das Essen war wirklich sehr gut, aber ich kann nicht mehr.“

„Gut, dann lass uns fahren“, er schob seinen immer noch halbvollen Teller weg, sprang auf, als wartete er nur darauf, das hier endlich beenden zu können und verließ mit langen Schritten das Restaurant. Alex folgte ihm wie ein überflüssiges Anhängsel, sie sah die unverhohlen hämischen Blicke, die Antonia ihr zuwarf.

Trotzdem lächelte sie die Frau freundlich an, rief ihr ein holpriges „Gracias, buenos noches“ zu und ging hinaus.

„Was ist los Rafael“, fragte sie unverblümt, als sie am Wagen angekommen waren. „Habe ich irgendetwas Falsches gesagt? Soll ich mir lieber ein Taxi rufen?“

„Red keinen Unsinn“, knurrte er. „Steig einfach ein.“

Alex zögerte, das Misstrauen kehrte zurück. Rafael war derart launisch, dass sie sich nicht sicher war, ob sie mit ihm fahren sollte. Dann fiel ihr ein, dass sie nicht mal in der Lage war, ein Taxi zu bestellen. Sprachen die Deutsch oder Englisch in der Taxizentrale? Sie wusste es nicht, aber sie hatte auch keine Lust mitten in der Nacht allein in der Pampa herumzustehen und diese unfreundliche Schreckschraube im Restaurant würde sie ganz sicher nicht um Hilfe bitten. Widerstrebend setzte sie sich in den Wagen, schnallte sich an und verschränkte die Arme über der Brust.

Das Schweigen lastete schwer auf ihr, während der gesamten Rückfahrt sprachen sie beide kein Wort. Vor ihrem Ferienhaus angekommen, hielt Rafael an, ließ den Motor laufen und machte keine Anstalten, auszusteigen. Obwohl sich Alex vorgenommen hatte, nicht den ersten Schritt auf ihn zuzumachen, versuchte sie es doch noch einmal.

„Rafael, was habe ich …“

Er unterbrach sie mit einem unwirschen:

„Du hast nichts, Alex, gar nichts. Würdest du jetzt bitte aussteigen? Gute Nacht.“

Wortlos löste sie den Sicherheitsgurt, griff nach ihrer Handtasche und verließ den Wagen. Die Tür war noch nicht richtig zugefallen, als er mit laut aufheulendem Motor und quietschenden Reifen durchstartete und ihr ein paar Stückchen Split aus der Einfahrt gegen die Wade spritzten.

„Scheiße“, fluchte sie und rieb sich die schmerzende Stelle. Sollte das alles gewesen sein, was sie von ihm zurückbehielt? Einen Knutschfleck und blaue Flecke von seinem Kavalierstart? Plötzlich war ihr zum Heulen, sie fühlte sich noch einsamer als sonst schon. Mit hängendem Kopf ging sie ins Haus, verriegelte die Eingangstür und lief hinauf ins Schlafzimmer.

Ratlos stand sie vor dem Bett, sie konnte noch einen schwachen Hauch seines Aftershaves in der Luft erahnen und dachte wehmütig an die unbeschreibliche Lust, die er ihr bereitet hatte. Nun flossen doch ein paar Tränen. Aber dann kam langsam, aber unglaublich zielstrebig die Selbstachtung zurück aus ihrem Loch gekrochen.

„Was bildet sich der Scheißkerl eigentlich ein“, flüsterte sie Alex ins Ohr. „Wie kannst du dich von diesem ungehobelten Bauern so behandeln lassen?“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739445939
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Ferrari Meer Liebesroman Finca Millionär Billionär Rockstar Urlaub Mallorca Romanze Humor

Autor

  • Anna Graf (Autor:in)

Anna Graf startete ihre ersten Schreibversuche in den neunziger Jahren. Sie schrieb kleinere Romane, die allerdings in der Schublade blieben.
2013 nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und veröffentlichte erfolgreich den ersten 'Schubladenroman'.
Seitdem schreibt sie, über das Leben, die Liebe, über Irrungen und Wirrungen, den Weg zum Glück zu finden.
Ihre Heldinnen sind keine schwachen Frauen, im Gegenteil, sie sind selbstbewusst und wissen, sich im Leben zu behaupten.
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Titel: Liebesurlaub