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JUST LOVE - Verhängnisvolle Affären_2: Los Angeles

Liebesroman

von Anna Graf (Autor:in)
195 Seiten
Reihe: JUST LOVE, Band 2

Zusammenfassung

Zweiter Band der „JUST LOVE“ - Reihe und Abschluss der „Verhängnisvollen Affären“, er schließt direkt an Band 1 an.
Durch eine perfide Intrige sieht sich die Fotografin Lily West gezwungen, ihre Heimatstadt New York zu verlassen. Sie hat alles verloren - ihr Studio, ihre berufliche Existenz und Ethan Prince - die Liebe ihres Lebens.
Hals über Kopf flüchtet sie zu ihrer besten Freundin nach Los Angeles. In der Stadt der Engel eröffnen sich ihr vollkommen neue Horizonte, ein Job in der Glitzerwelt Hollywoods bringt frischen Wind in ihr Leben: neue Freunde, neue Ziele, superheiße Schauspieler und einen echten Rockstar. Doch über die Trennung von Ethan kommt sie einfach nicht hinweg und als er plötzlich wieder ihren Weg kreuzt, schlagen die Dämonen ihrer Vergangenheit gnadenlos zu.

Das Buch enthält eine Leseprobe des dritten Bandes „JUST LOVE_3 – Am Abgrund“.

Weitere Romane von Anna Graf:
„JUST LOVE - Verhängnisvolle Affären_1“
„JUST LOVE_3 - Am Abgrund“
„MORDSmäßig verliebt“ Liebe, Mord und Mafia – Ein ziemlich krimineller Liebesroman
„MORDSmäßige Leidenschaft“ Tödliches Verlangen – Noch ein ziemlich krimineller Liebesroman
„True Love Bad Guys … wahre Liebe lohnt sich doch“
„Liebesurlaub“
„(K)ein flotter Dreier“
„Lieb mich zweimal, Baby“

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Eins

 

 

Lily

Große, warme Hände umfassen von hinten meine Taille. Ich lehne mich zurück und schmiege mich an den festen, nur zu bekannten Körper meines Geliebten. Sofort überkommt mich dieses wohlige Gefühl von Geborgenheit und Liebe, von Sicherheit. Nur kurz kann ich es auskosten, dann presst er mich ungestüm gegen die Wand und erstickt mein erregtes Seufzen mit einem leidenschaftlichen Kuss. Seine Hände streichen langsam über meinen Bauch, eine schiebt sich unter mein Shirt und wandert nach oben, umfasst meine Brust und reizt die empfindlichen Spitzen. Die andere bewegt sich entgegengesetzt, nach unten. Sie stiehlt sich in meinen Slip, findet zielsicher den empfindlichen Punkt zwischen meinen Beinen und verwandelt mich in ein willenloses Bündel. Ich wölbe mich ihr entgegen, erwartungsvoll und aufgeregt.

„Endlich bist du wieder bei mir“, flüstere ich. „Ich kann nicht leben ohne dich.“

Als Antwort erhalte ich ein erregtes Brummen an meinem Ohr und eine feuchte Zunge, die sich von der Ohrmuschel über meinen Hals bis zu meinem Schlüsselbein leckt. Ich schiebe ihm meinen Hintern entgegen, drücke mich gegen sein erregtes Glied, reibe mich an ihm. So lange musste ich darauf verzichten, dass ich mich kaum beherrschen kann. Sein Geruch benebelt mich, lässt alles um mich herum verschwimmen. Ich schließe die Augen und fühle nur noch. Genieße, wie er sich an meinem Rücken hinabküsst, genieße, wie mich seine Hand zärtlich verwöhnt und spreize in Erwartung dessen, was dieser Hand folgen wird, meine Beine. Als er von hinten in mich eindringt, ist es, als würde ich heimkehren, endlich heimkehren.

„Ich liebe dich so sehr“, stöhne ich. „Bitte Ethan, verlass mich nie wieder.“

Eine feste Hand packt meine langen Haare und reißt meinen Kopf brutal herum. Ich bäume mich vor Schmerz auf und stoße einen Schrei aus, denn ich sehe nicht in Ethans warme, braune Augen, sondern die vor Lust verzerrte Fratze von Sidney Blake.

„Schrei lauter!“, stößt er hervor. „Schrei so laut du kannst, kleine Lily, du weißt, dass mich das anmacht.“

Ich tue ihm den Gefallen und schreie … schreie, bis mir etwas Feuchtes ins Gesicht klatscht und mich jäh aus meinem Alptraum reißt.

„Lily, verdammt, Lily, wach endlich auf!“

Mia, meine beste Freundin, kniet über mir und rüttelt fast schon verzweifelt an meiner Schulter. In der Hand hält sie einen nassen Waschlappen, den sie mir offensichtlich gerade um die Ohren gehauen hat. Ich schiebe sie von mir runter und rapple mich hoch. Als ich über mein Gesicht reibe, merke ich, dass es nass ist und dass die Feuchtigkeit nicht allein vom Waschlappen stammen kann. Tränen laufen noch immer meine Wangen herab und ich vergrabe meinen Kopf postwendend wieder im Kissen.

„Du wirst mir auf der Stelle sagen, was mit dir los ist“, schimpft Mia. „Ich sehe mir das nicht länger mit an! Du gehst langsam, aber sicher vor die Hunde, und ganz ehrlich, ich brauche meinen Schlaf!“

Sie hat ja recht. Sie reißt sich bei ihrer Arbeit in den Black Star Studios den Arsch auf und kommt oft genug erst nach Mitternacht nach Hause. Sie ist so gut in ihrem Job, dass man sie bereits nach kurzer Zeit zur Chefmaskenbildnerin ernannt hat. Der Film, den sie gerade vorbereiten, ist zwar Low Budget, aber seit feststeht, dass mit Nick Bradley und Jessie Holloway zwei etablierte Hollywoodstars mitspielen werden, erhofft man sich, einen neuen Science- Fiction- Kult ins Leben zu rufen.

‚Outer Space - Destiny‘ ist die Umsetzung der altbekannten Robin Hood- Geschichte in einer fernen Zukunft. Die Menschheit hat sich nach verheerenden Kriegen auf unzähligen Planeten angesiedelt und überall herrschen Mord und Totschlag. Der Film erzählt die Geschichte des Raumschiffs ‚Destiny‘, dessen Captain, gespielt von Nick Bradley, mit Unterstützung seiner Crew die Reichen beraubt und den Unterdrückten hilft. Gejagt von einer mächtigen Herrscherkaste, deren abgrundtief böses Oberhaupt von der wunderbaren Jessie Holloway verkörpert wird, sind sie auf der Suche nach einem besseren Leben und einer neuen Heimat.

Nun ja, auch wenn ich zugegebenermaßen ein Fan der beiden Schauspieler bin, mein Ding ist dieses Thema nicht unbedingt, aber das muss es auch nicht. Mia jedenfalls geht voll darin auf, Masken für Aliens und Schreckensgestalten zu erfinden und da die Zeit bis zum Drehbeginn immer knapper wird, werden ihre Arbeitstage immer länger.

Sam Turner, der Regisseur, scheint ein wahrer Wunderknabe zu sein. Er führt nicht nur Regie. Nein, er hat auch das Drehbuch geschrieben und produziert den Film zum größten Teil selbst. Mia schwärmt pausenlos von ihm und wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, sie ist in ihn verknallt.

 

 

Meine Flucht nach Los Angeles hat mir bewusst gemacht, dass man vor seinen Problemen nicht davonlaufen kann. Mittlerweile graut es mir davor, ins Bett zu gehen und zu schlafen. In zwei von drei Nächten habe ich Alpträume von Ethan und Sidney und jedes Mal steht Mia vor der Schlafcouch, auf der ich Quartier bezogen habe, und bringt mich in die Realität zurück. Es tut mir wirklich leid deswegen. Mia weiß, dass ich mich von Ethan getrennt habe, weil er mich betrogen hat, doch sie weiß nichts von Sidney Blake und auch nichts von Violetta Callahans hinterfotzigem Spiel und eigentlich habe ich auch nicht vor gehabt, ihr das alles zu erzählen.

Aber sie ist meine beste Freundin, sie lässt mich bei sich wohnen und hat mich die letzten Wochen durchgefüttert, denn ich bin pleite und habe erst vor ein paar Tagen einen Job gefunden. Sie hingegen arbeitet unglaublich hart und sie hat es nicht verdient, dass ich sie jede Nacht aus dem Schlaf reiße. Vor allem hat sie nicht verdient, dass ich vor ihr Geheimnisse habe.

„Wir reden heute Abend, versprochen“, murmele ich und kann ihr dabei nicht in die Augen sehen.

„Ja klar … “, Sarkasmus pur in ihrer Stimme. Mia glaubt mir nicht. Ich würde mir selbst auch nicht glauben. Sie schnappt sich den Waschlappen, läuft in die Küchenecke und pfeffert ihn ins Waschbecken. Sie dreht mir den Rücken zu, stützt sich mit beiden Armen auf die Arbeitsplatte und ich sehe, wie sich ihre schmalen Schultern heben und senken. Ich kenne sie, sie ist stocksauer und ringt um Fassung. Schließlich füllt sie Wasser und Kaffeepulver in ihre altersschwache Kaffeemaschine und schaltet sie ein. Die Maschine gurgelt und röchelt zum Gotterbarmen und als der Kaffee durch ist, füllt sie zwei Becher, knallt beide auf den Couchtisch und pflanzt sich mit verschränkten Armen vor mir auf.

„Es ist vier Uhr morgens, ich bin hundekaputt und dank dir trotzdem hellwach“, sagt sie, immer noch wütend. „Ich habe die Schnauze gestrichen voll von dem Theater. So leid es mir tut, aber entweder, du redest jetzt, oder ich schmeiß dich raus.“

Natürlich würde sie das nie tun, das weiß ich genauso gut wie sie. Ich sollte reden, ihr sagen, was los ist, vielleicht hilft es am Ende ja auch mir selbst. Also setze ich mich auf, greife nach Mias Arm und ziehe sie neben mich.

 

 

Ja, es hat definitiv gut getan, sich alles von der Seele zu reden. Sidney Blake, mein Rausschmiss bei Tennant Inc., Ethans Verrat und Violetta Callahans perfide Intrige. Mia sitzt mit heruntergeklappter Kinnlade neben mir und sagt erst mal gar nichts mehr. Ihre Augen glänzen verdächtig, sie nimmt mich in die Arme und ich kann mich nicht mehr halten und heule los. Mia heult gleich mal mit, es dauert eine Weile, bis wir uns wieder einkriegen und am Ende sitzen wir schweigend nebeneinander und trinken den kalt gewordenen, bitteren Kaffee.

Schlafen lohnt sich für mich echt nicht mehr, draußen ist es bereits hell und ich muss um Punkt acht bei der Arbeit sein. Nach wochenlanger, verzweifelter Suche hat mir der Zufall einen Job als Bedienung in einem kleinen Diner ein paar Straßen weiter beschert. Zwar nur stundenweise, aber es ist besser als nichts und ich brauche das Geld. Es ist mir unangenehm genug, Mia auf der Tasche zu liegen. So kann ich wenigstens etwas zur Miete beisteuern und wenn es mir gelingt, noch einen zweiten Job oder vielleicht ein paar Fotoaufträge zu ergattern, könnten wir uns nach einer größeren Wohnung umsehen.

„Ich hab dich lieb, Lily“, Mia bricht das Schweigen und räuspert sich. „Bist du … ich meine … hast du mal darüber nachgedacht, dir professionelle Hilfe zu holen?“

„Ich bin klargekommen in den letzten Jahren, ziemlich gut sogar. Meine Grandma und ich haben viel geredet, über Sidney und meine Eltern und warum alle so sind, wie sie sind. Sie hat mir den Kopf zurechtgerückt und war dabei erfolgreicher, als es jeder Psychodoktor sein könnte. Und Jamie war auch immer für mich da, das hat mir sehr geholfen. Violetta Callahan hat den ganzen Mist wieder aufgerührt. Glaub mir, wenn ich über Ethan hinweg bin, wird es wieder besser.“

Resigniert schlinge ich die Arme um meine Brust.

„Er fehlt mir so sehr, immer noch“, flüstere ich. „Ich hasse mich dafür, aber ich vermisse ihn furchtbar.“

„Glaubst du wirklich, er hat dich mit dieser Frau betrogen?“

„Keine Ahnung, Mia. Ich habe ihr auf den Kopf zugesagt, dass ich ihr nicht glaube. Aber mittlerweile ist mir fast schon egal, ob er sie gevögelt hat oder nicht. Er hat mein Vertrauen missbraucht, ist mit dem schlimmsten Moment meines Lebens hausieren gegangen und das werde ich ihm niemals verzeihen können. Ich habe panische Angst, dass die Callahan das wirklich an die Öffentlichkeit zerrt und ich wieder und wieder alles von neuem durchmachen muss.“

„Ich verstehe vollkommen, dass das hart für dich wäre, aber vielleicht wäre das auch gar nicht so schlecht“, Mia sieht mich mit finsterer Miene an. „Dieser Blake ist nie für das bestraft worden, was er dir angetan hat. Deine Eltern auch nicht, obwohl sie es wirklich verdient hätten.“

Schnell schüttle ich den Kopf.

„Nein. Selbst, wenn die alten Filmaufnahmen noch existieren sollten, was man darauf sieht, ist eindeutig. Vielleicht erhält Sidney eine Bewährungsstrafe, weil er sich an einer Minderjährigen vergangen hat, aber am Ende wird jeder sagen, dass ich ihn verführt habe und selbst schuld war. Ich kann nicht beweisen, dass er mich unter Drogen gesetzt hat, ich kann nicht beweisen, dass ich das alles nicht wollte. Einzig für die Presse wäre es ein gefundenes Fressen, solange, bis jemand die nächste Sau um die Häuser treibt. Es ist vorbei, ich werde drüber wegkommen und irgendwann hören auch die Alpträume wieder auf, versprochen.“

Sie schweigt daraufhin, aber ihr Blick sprich Bände. Sie teilt meine Meinung nicht, aber das muss sie auch nicht.

„Ich habe dich bei Sam als Setfotografin empfohlen“, sagt sie plötzlich und wechselt damit abrupt das Thema. „Er will dich in den nächsten Tagen mal anrufen.“

Samuel Turner ist der Regisseur, mit dem Mia zusammenarbeitet, ein ziemlich junger Typ noch und so, wie sie über ihn spricht, auch ein ziemlich toller Mensch.

„Danke“, antworte ich überrascht und gebe ihr einen Kuss auf die Wange. „Wenn das klappen würde …“

„Naja, wenn du dich von deiner besten Seite zeigst“, Mia zwinkert mir zu und steht auf. „Ich leg mich noch ein Stündchen hin, ich muss heute erst gegen elf ins Studio.“

„Schlaf gut Mia … und danke für alles, ich hab dich auch lieb.“

Sie lächelt, drückt mir noch kurz die Schulter und schlurft zurück in ihr Schlafzimmer.

Setfotografin beim Film, das wäre wirklich nicht übel. Mal was Neues und man lernt jede Menge Leute kennen. Jedenfalls um Welten besser, als sich als Paparazzo durchzuschlagen. Ich habe nur kurz mit dem Gedanken gespielt, es aber schnell wieder verworfen. Es ist ein widerliches Geschäft, Leuten aufzulauern und ihnen das letzte bisschen Privatleben zu klauen. So tief könnte ich nie sinken …

 


Zwei

 

 

Ethan

Angenehme zweiundzwanzig Grad Celsius umwehen mich, als ich in Los Angeles aus dem Flugzeug steige. Nicht schlecht für Anfang November. Ich atme tief durch, genieße die warmen Strahlen der Sonne auf meinem Gesicht und streife meine Jacke ab. Kein Vergleich mit New York, welches sich bei meinem Abflug mit Dauerregen und feuchter Kälte von seiner schlechtesten Seite gezeigt hat.

So wie es aussieht, bin ich dabei, meine Zelte in New York abzubrechen. Die Callahans haben es tatsächlich geschafft, mich an der Ostküste zur Persona non Grata werden zu lassen und auch die von langer Hand geplante Ausstellung in der weltberühmten Gleeson- Galerie in L.A. steht auf der Kippe.

Nach endlosem Hin und Her hat sich Peter Gleeson, der zweite Geschäftsführer der Galerie, dazu herabgelassen, sich mit mir zum Lunch zu treffen. Ich weiß nicht, was mich erwartet und ich hasse es, so im Ungewissen zu schweben. Wenn die mich hier auch nicht wollen, kann ich wahrscheinlich nur noch nach Europa auswandern oder mein Geld wirklich als Anstreicher verdienen.

Müde greife ich meine Tasche vom Gepäckband, verlasse das Flughafengebäude und winke mir ein Taxi heran. Seit mehr als vierundzwanzig Stunden bin ich auf den Beinen, der lange Flug, auf dem ich vor Nervosität kein Auge zubekommen habe, steckt mir in den Knochen. Hier ist es elf Uhr morgens, ich habe gerade genug Zeit, im Hotel einzuchecken, mich frisch zu machen und um dreizehn Uhr zum verabredeten Mittagessen aufzuschlagen.

 

 

Peter Gleeson hat für den Lunch in einem sauteuren Fünfsternerestaurant auf dem Hollywood Boulevard reserviert. Ich habe ihm die Wahl des Restaurants überlassen, obwohl die Einladung von mir kam, denn ich will ja schließlich was von ihm. Allerdings erwartet mich, als ich gerade noch pünktlich um drei Minuten vor ein Uhr dort erscheine, eine Frau, die mich regelrecht umhaut.

„Catherine Gleeson“, stellt sie sich vor, kurz und prägnant, mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. „Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mister Prince.“

Die Galeriebesitzerin höchstselbst also und wow, was für eine Erscheinung! Im ersten Moment bin ich sprachlos. Sie ist eine Frau im besten Alter, hat die fünfzig schon um einiges überschritten. Ihren massigen Körper verhüllt ein schwarzes, zeltartiges Gewand mit großen, farbenprächtigen Ornamenten und als sie sich zur Begrüßung erhebt, sind wir fast auf Augenhöhe. Sie muss gut einen Meter achtzig groß sein und ihr Körpervolumen ist enorm. Ihr Händedruck ist fest, sehr fest für eine Frau. Ausdrucksstarke braune Augen hat sie, die mich neugierig mustern.

Diese Frau kann ich überhaupt nicht einschätzen und das verunsichert mich mittlerweile richtig. Catherine Gleeson ist eine im wahrsten Sinne des Wortes beeindruckende Frau und mir ist bereits in der ersten Sekunde klar, dass mich mein Charme und meine Verführungskünste hier keinen Meter weit bringen werden.

Ich schlucke, stottere noch einmal meinen Namen und wie sehr die Freude auch auf meiner Seite ist und nachdem sie wieder Platz genommen hat, setze ich mich fast schon ein wenig eingeschüchtert zu ihr in die Nische, die uns perfekt vom allzu regen Betrieb im Restaurant abschirmt.

Nach ein wenig Smalltalk, der fast ausschließlich von ihr bestritten wird und nachdem wir unsere Bestellung aufgegeben haben, kommt sie ohne Umschweife zur Sache.

„Sie waren sehr erfolgreich an der Ostküste?“, fragend sieht sie mich an und ich nicke bestätigend und nehme einen großen Schluck von meinem Drink. Ich bin so nervös, dass meine Hand zittert wie bei einem Alkoholiker. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass meine gesamte Zukunft von diesem Gespräch abhängt. Mrs. Gleeson registriert meine Unsicherheit mit einem Lächeln und plötzlich liegt ihre große Hand auf meiner. Irritiert sehe ich sie an, doch in ihren Augen ist nichts, was man als plumpe Anmache deuten könnte. Im Gegenteil, in ihrem Gesicht macht sich Belustigung breit, ich scheine sie zu amüsieren.

„Kein Grund zur Aufregung“, sagt sie und tätschelt meine Hand ein wenig. „Ich weiß, wie ich auf Leute wirke, aber ich versichere Ihnen, ich beiße nicht.“

Jetzt reißt sie ihren breiten Mund mit den vollen Lippen auf bis zum Anschlag und stößt ein lautes, grollendes Lachen aus. Kurz überlege ich, in Deckung zu gehen, damit sie mich nicht verschlingt, doch das Lachen ist ansteckend und kurze Zeit später das Eis zwischen uns gebrochen.

Während des wirklich exzellenten Essens erzählt sie mir von ihrem Urgroßvater, der die Gleeson- Galerie in den zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts gründete und vom kleinen, nur mittelmäßig begabten Maler zu einem der bedeutendsten Kunsthändler seiner Zeit aufstieg. Catherine Gleeson führt die Galerie in der vierten Generation und so ganz nebenbei erfahre ich, dass der ominöse Peter Gleeson, mit dem ich eigentlich verabredet war, ihr Sohn ist.

Meinen Werdegang kennt sie bereits in groben Zügen, aber sie lässt mich erzählen und hört aufmerksam zu.

„Gut, wechseln wir das Thema“, sie schiebt ihren leeren Dessertteller von sich und scheint mit einem Mal wie ausgewechselt. Unter ihrem prüfend über mich gleitenden Blick komme ich mir vor wie ein Tier in der Falle.

„Sie haben sich sicherlich gewundert, mich hier vorzufinden und nicht meinen Sohn.“

„Ein wenig schon“, gebe ich zu und beiße mir im letzten Moment auf die Zunge, um nicht noch eine kleine Schleimerei hinterherzuschieben. Mir ist klar, dass ich bei ihr damit auf Granit beißen würde.

„Nun, Alexander Callahan hat mich monatelang bearbeitet, um mir Ihre Bilder schmackhaft zu machen. Aber nachdem er plötzlich alles Mögliche unternimmt, um mich davon zu überzeugen, Sie nicht bei mir ausstellen zu lassen, wollte ich Sie persönlich kennenlernen. Vor allem wollte ich Ihre Version der Story hören.“

Story? Welche Story? Was zum Teufel verbreitet Alexander über mich? Wütend schnappe ich mein fast volles Glas, kippe den exquisiten Rotwein auf Ex in mich hinein und knalle es so fest auf den Tisch zurück, dass es wahrscheinlich nur durch ein Wunder heil bleibt.

„Was hat er Ihnen erzählt, Mrs. Gleeson? Dass ich ein undankbarer Arsch bin und ihm nach allem, was er für mich getan hat, die Frau ausspannen wollte?“

Das ist ein Schuss ins Blaue, aber als ich ihren Gesichtsausdruck sehe, weiß ich, dass ich einen Volltreffer gelandet habe. Ich kann mich nicht mehr halten und lache los, allerdings klingt das alles andere als fröhlich. Catherine Gleeson legt ihre Hand auf meinen Arm und seltsamerweise beruhigt mich diese Geste ein wenig.

„Wie ich bereits sagte, ich möchte Ihre Version der Geschichte hören“, sie zwinkert mir aufmunternd zu und plötzlich brechen sämtliche Dämme bei mir weg. Ich rede mir alles von der Seele, die verfahrene Situation mit den Callahans, ihr mieses Spiel mit Lily und mir, infolge dessen ich die Frau, die ich liebe, verloren habe. Als ich fertig bin, hänge ich auf meinem Stuhl wie ein nasser Sack. Es hat gut getan, mir alles von der Seele zu reden, aber jetzt schäme ich mich für meinen Ausbruch vor einer vollkommen Fremden und winke nach dem Kellner.

„Es tut mir leid, Mrs. Gleeson, normalerweise ist es nicht meine Art, fremde Menschen mit meinen Problemen zu belästigen. Ich werde jetzt zahlen und verschwinden. Am besten vergessen Sie das hier ganz schnell wieder.“

Mit einer lässigen Handbewegung verscheucht Catherine Gleeson den Kellner, der dienstbeflissen an unseren Tisch herangetreten ist und gießt mir Wein nach.

„Wissen Sie, ich kenne Alexander Callahan schon seit vielen Jahren und ehrlich gesagt, ich kann ihn nicht leiden. Dass er aus den jungen Künstlern, die er fördert, Profit schlägt und ihnen Knebelverträge aufzwingt, wusste ich bisher nicht, aber es bestätigt mich in meiner Meinung über ihn. Er hat vielleicht einen langen Arm an der Ostküste, aber bis hierher reicht der nicht.“

Sie dreht ihr Weinglas zwischen ihren Händen hin und her, dann verzieht sich ihr großer Mund zu einem wahrhaft diabolischen Grinsen.

„Es wird mir eine Freude sein, dem lieben Alexander so richtig eine reinzuwürgen. Ich mag Sie, Ethan. Ihre Bilder sind zwar nicht das, was wir normalerweise im Programm haben, aber sie verkaufen sich sehr gut. Ich bin in erster Linie Geschäftsfrau und ich wäre verrückt, wenn ich mir dieses Geschäft durch die Lappen gehen lassen würde. Die Ausstellung wird also wie geplant stattfinden.“

Völlig perplex starre ich sie an und stottere:

„Ich … ich habe auch noch andere Bilder … richtige … ohne Sex und anatomische Einzelheiten, allerdings war Alexander der Meinung, dass sie zu belanglos sind, um …ich … bitte entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht …“, ich breche ab und schaffe es gerade noch, ein:

„Danke, vielen Dank, Mrs. Gleeson“, hervorzuwürgen, ehe mir die Stimme wegbricht.

Catherine Gleeson drückt mir mein Glas in die Hand und stößt mit ihrem eigenen leicht dagegen.

„Ich werde mir Ihre ‚richtigen Bilder‘ ansehen“, sagt sie lächelnd. „Und bitte, nennen Sie mich Catherine.“


Drei

 

 

Lily

Mia und ich bummeln Arm in Arm über den berühmten Rodeo Drive in Beverly Hills. Arme Schlucker wie ich, die nicht über ein gut gefülltes Bankkonto verfügen, können sich hier nur die Nasen an den Schaufenstern von Gucchi, Valentino, Tiffanys und Co plattdrücken, aber gesehen haben muss man diese Welt einfach einmal.

Ein wahrer Laufsteg der Eitelkeiten ist das hier, ich bekomme meine Kamera kaum vom Auge. Aufgetakelte Blondinen mit Schlauchbootlippen und Silikonbrüsten findet man hier ebenso wie klassische Understatement- Reiche und zahllose Touristen auf der Jagd nach Prominenten. Wie Großwildjäger sitzen sie in Bussen, die im Schritttempo die Straße entlangrollen, immer in der Hoffnung, einen guten Schuss vor die Linse zu bekommen.

„Sieh mal, da … da drüben, ist das nicht …“, Mia quiekt plötzlich in den höchsten Tönen und fuchtelt mit ihrem Finger aufgeregt vor meiner Nase herum. Ich sehe angestrengt in die Richtung, die sie mir zeigt und muss grinsen.

„Ja, das ist Leo di Caprio“, sage ich und gemeinsam beobachten wir, wie der Star, von Bodyguards abgeschirmt und von Paparazzi umringt, in einen schwarzen SUV mit getönten Scheiben steigt und davonfährt.

„Leonardo di Caprio“, haucht Mia fassungslos. „Ich hab tatsächlich Leonardo di Caprio gesehen.“

„Das hast du“, bestätige ich lachend. „Und bald wirst du mit Nick Bradley und Jessie Holloway zusammenarbeiten. Die sind mindestens genauso berühmt wie der gute Leo und wenn du dann jedes Mal in Ehrfurcht erstarrst, wenn du einen der beiden mit Makeup zukleistern sollst, suchen die sich jemand anderen für die Maske.“

„Du bist doof“, schmollt Mia und haut mir beleidigt den Ellbogen in die Rippen. „Das war mein erster echter V.I.P. hier in L.A., vor lauter Arbeit bin ich nicht dazu gekommen, mich mal ein wenig umzusehen in der Stadt.“

„Na komm schon, Süße“, bettle ich um gut Wetter. „Auf den Schreck lade ich dich auf einen Kaffee ein, irgendwo da vorn habe ich ein Starbucks gesehen.“

Auf dem Weg zum Café kommen wir an der berühmten Gleeson- Galerie vorbei und ich muss schlucken. Ethan sollte hier ausstellen, irgendwann in diesem Herbst, aber wahrscheinlich ist das längst geschehen und vorbei. Neugierig werfe ich einen Blick durch eins der großen Schaufenster ins Innere und sehe großformatige Bilder in grau- weiß, die seltsam kalt und unpersönlich auf mich wirken.

„Das ist so gar nicht mein Fall“, ich drehe mich zu Mia um, doch die ist schon ein Stück voraus gelaufen und bedeutet mir, endlich in die Pötte zu kommen. In diesem Moment verlässt eine sehr große und für diesen Teil L.A.‘s völlig untypisch dicke Frau die Galerie und ich stoppe kurz, um nicht in sie hineinzulaufen. Wir lächeln uns an und bitten beide fast zeitgleich um Entschuldigung. Im nächsten Moment jedoch möchte ich am liebsten im Erdboden versinken, denn der Mann, der ihr die Tür aufgehalten hat, kommt ihr nach und ich starre fassungslos in die vor Erstaunen weit aufgerissenen Augen von Ethan Prince.

 

 

 

 

Ethan

Catherine Gleeson hat mich zur Galeriebesichtigung eingeladen. Dabei lerne ich endlich auch ihren Sohn Peter kennen und wie es aussieht, sind wir uns auf Anhieb sympathisch. Er ist wie ich Anfang dreißig sein, hat Kunstgeschichte und Literatur studiert. Wir haben sofort einen Draht zueinander und gehen nach ein paar kurzen Förmlichkeiten gleich zum ‚du‘ über.

Von außen wirkt die Gleeson- Galerie nicht sonderlich spektakulär, doch das muss sie auch nicht. Sie ist auch ohne große Auffälligkeiten weltberühmt. Die hohen Schaufenster und der relativ schmale Eingang vermitteln im ersten Moment den Eindruck eines normalen Ladengeschäftes, doch ist man über die Schwelle getreten, wähnt man sich in einem weitläufigen, lichtdurchfluteten Museum für moderne Kunst. Über drei Etagen kann man Gemälde, Fotografien und Skulpturen bestaunen und erwerben.

Peter führt mich in einen Raum im ersten Obergeschoss. Er ist riesig und an den Wänden hängen Bilder von Burt Summers, einem meiner Lieblingsmaler. Begeistert gehe ich von einem Bild zum nächsten und lasse die Farben und Formen auf mich wirken. Peter reißt mich schließlich aus meiner Verzückung.

„Und? Denkst du, du bekommst die Wände hier voll mit deinen Bildern? Wir haben dich gleich im Anschluss an Summers eingeplant.“

„Das wird mein Raum?“, frage ich überrascht und freue mich wie verrückt. „Das ist mit Abstand der größte Ausstellungsraum, den ich je hatte. Und dann auch noch gleich nach Burt Summers, ich kann’s gar nicht glauben!“

„Endlich mal jemand, den man noch mit etwas beeindrucken kann“, macht sich Peter über meinen Gesichtsausdruck lustig. „Meine Mutter war übrigens sehr angetan von den Farbfeldmalereien und den abstrakten Sachen, die du ihr gezeigt hast. Sie findet, sie bilden einen guten Kontrast zu dem schlüpfrigen Zeug, dass du sonst so malst und möchte, dass du ein paar von ihnen mitbringst.“

„Ich komme mir grad ein wenig vor wie bei der Weihnachtsbescherung“, ich drehe mich noch einmal um meine eigene Achse und lehne mich gegen einen der Pfeiler, die die hohen Decken abstützen. „Bisher hat sich niemand wirklich für meine anderen Werke interessiert. Alexander Callahan war der Meinung, dass sie nicht gut genug sind und sich nicht verkaufen.“

„Alexander Callahan kann mich mal kreuzweise“, Catherine Gleeson kommt die Treppe herauf und bleibt neben mir stehen. „Ich wette darauf, dass Ihre ‚richtigen Bilder‘, wie Sie sie nennen, ebenso guten Absatz finden werden wie der Sexkram.“

„Ihr Wort in Gottes Ohr“, stoße ich hervor. „Ich habe dieses Zeug wie am Fließband produziert und ehrlich gesagt ertrage ich den Anblick von Genitalien auf Leinwänden vor mir kaum noch.“

Sie stößt ihr unverwechselbar heiseres Lachen aus, hakt sich bei mir unter und zieht mich in Richtung Treppe.

„Kommen Sie, Ethan. Wir besprechen die Auswahl der Bilder in Ruhe beim Mittagessen.“

Unten halte ich ihr die Tür auf, lasse sie an mir vorbeigehen und bemerke aus den Augenwinkeln, dass sie gerade noch haarscharf einem Zusammenstoß mit einer Frau entgangen ist. Als ich mich umdrehe und fragen will, ob alles in Ordnung ist, trifft mich beinahe der Schlag, denn wie aus dem Nichts steht plötzlich Lily vor mir.

 

 

Lily … sie ist hier … in L.A. … ich brauche ein bisschen, bis ich richtig begreife, was hier gerade abgeht. Reflexartig mache ich einen Schritt auf sie zu, will sie in den Arm nehmen, sie festhalten und nie wieder weglassen. Ihre Augen leuchten auf, als sie mich erkennt, ganz sicher, aber nur den Bruchteil einer Sekunde, dann entgleisen ihre Gesichtszüge und bekommen etwas Gehetztes, Panisches. Ehe ich reagieren kann, stößt sie mich beiseite, rennt durch den fließenden Verkehr über die Straße und springt in eins der Taxis, die dort auf Abruf stehen. Entgeistert sehe ich dem davonfahrenden Wagen nach und gerade, als mir klar wird, dass ich sie schon wieder verloren habe, bricht ein Donnerwetter über mich herein.

„Du verdammtes Arschloch, reicht es noch nicht, was du ihr angetan hast? Musst du ihr auch noch hierher folgen? Sieh bloß zu, dass du Land gewinnst!“

Ich starre auf die Frau, die sich vor mir aufgebaut hat, rothaarig, sommersprossig, tolle Figur … ich hab sie mit ziemlicher Sicherheit schon mal gesehen, aber ich weiß nicht, wo ich sie hinstecken soll.

Ich bin nicht der Schnellste heute, Lilys Auftauchen hat mir das Gehirn vernebelt und nur ganz langsam sickert mir die Erkenntnis ins Hirn, dass das Lilys Freundin Mia, die Schminktussi vom Fernsehen, sein muss, die mich lautstark beschimpft. Am liebsten würde ich mir mit der flachen Hand vor die Stirn schlagen. Ich Idiot, wieso bin da nicht schon längst selbst drauf gekommen? Lilys beste Freundin hat einen Job hier in der Stadt und wollte von Anfang an, dass sie mit nach L.A. kommt.

„Mia, auch wenn du mich gerade abgrundtief hasst, bitte sag mir, wo ich sie finden kann“, ich greife nach ihrem Arm, doch sie schlägt meine Hand beiseite und wirft mir einen abfälligen Blick zu.

„Du bist echt das Letzte, Prince! Das du es nach allem was du dir geleistet hast wagst, auch nur daran zu denken! Du bist so ein … so ein …“

Ihre Stimme schnappt über und ich bin froh, dass sie für den Moment verstummt, denn die ersten Leute drehen ihre Köpfe nach uns um und verfolgen neugierig die Szene, die wir hier aufführen. Catherine Gleeson scheint tatsächlich auf dem Sprung, um sich schützend zwischen mich und die Furie Mia zu werfen. Aus dem Galerieeingang heraus beobachtet Peter das Ganze und unterdrückt mühsam das Lachen.

„Vielleicht sollten wir das drinnen in Ruhe klären“, sagt er beschwichtigend und lässt seinen Blick neugierig zwischen Mia und mir hin- und herwandern.

Die hat ihre Stimme wieder im Griff und blafft:

„Da gibt es nichts zu klären. Halte dich von Lily fern, sonst kriegst du es mit mir zu tun!“

Sie nimmt denselben Weg über die Straße wie Lily, schnappt sich ein Taxi und fährt davon.

„Was hast du denn verbrochen?“, Peter schlägt mir die Hand auf die Schulter und lacht los. „Die Lady hat Temperament, die musst du mir bei Gelegenheit mal vorstellen.“

Mir ist nicht zum Lachen. Ich zittere am ganzen Körper und könnte kotzen, so schlecht ist mir. Lily war zum Greifen nah und ich habe es vergeigt. Ich will doch nur mit ihr reden, versuchen, die Missverständnisse zwischen uns aus der Welt zu schaffen. Verdammt, sie fehlt mir so sehr. Catherine bemerkt, dass mit mir ganz und gar nichts in Ordnung ist und dirigiert mich zurück in die Galerie.

„Er braucht einen Schnaps“, sagt sie zu ihrem Sohn, dem ich für sein dämliches Grinsen am liebsten eine reinhauen würde. Peter führt mich in sein Büro, gießt mir einen großzügig bemessenen Scotch ein und sieht seine Mutter fragend an.

„Nicht für mich“, lehnt sie ab. Peter zuckt mit den Schultern und gönnt sich auch eine Fingerbreite von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Ich leere mein Glas in einem Zug und lasse mich auf einen Stuhl fallen.

„Ich bin so dämlich“, stoße ich hervor. „Ich hätte wissen müssen, dass sie hier ist, bei Mia.“

„Ich gehe also recht in der Annahme, dass es sich bei meinem Beinahezusammenstoß um Ihre verlorengegangene Freundin gehandelt hat?“, Catherine sieht mich fragend an und ich nicke niedergeschlagen.

„Ich habe vollkommen vergessen, dass ihre beste Freundin einen Job beim Film hat. Wo hätte Lily auch sonst hingehen sollen.“

„Würde mich mal jemand aufklären?“, schaltet sich Peter ein. „Worum geht es hier eigentlich?“

Catherine gibt ihm eine kurze Zusammenfassung, allerdings lässt sie taktvollerweise gewisse Dinge über Lily aus. Peter sieht mich verständnislos an.

„Na und warum sitzt du dann noch hier? Was hindert dich daran, hinzufahren und sie dir zurückzuholen?“

Ich vergrabe den Kopf in meinen Händen und raufe mir die Haare.

„Was mich daran hindert?“, stöhne ich. „Ich kenne weder Mias Nachnamen, geschweige denn weiß ich, wo sie wohnt. Das Einzige, was ich weiß ist, dass sie als Maskenbildnerin bei einer Filmproduktion arbeitet.“

„Sehr schlechte Karten, Prince“, Peter hebt fragend die Scotchflasche, doch ich lehne ab. Ich würde mich liebend gern volllaufen lassen, allerdings hilft mir das gerade keinen Meter weiter.

„Sie arbeitet bei einer Low- Budget- Produktion mit, Science Fiction oder Fantasie, keine Ahnung. Soweit ich weiß, sind die noch in den Vorbereitungen. Der Regisseur ist wohl relativ unbekannt, aber es sollen ein paar hochkarätige Leute mitspielen.“

„Wie der Regisseur heißt oder der Film weißt du natürlich auch nicht?“

„Natürlich nicht, Mia hat da ein ziemliches Geheimnis draus gemacht. Überhaupt hab ich sie in New York nur ein einziges Mal getroffen und sie hat mir schon damals unverblümt klargemacht, was sie von mir hält.“

„Es geht doch nichts über ein ordentliches Badboy- Image“, Peter grinst wissend und ich könnte wetten, dass auch er so einiges auf dem Kerbholz hat. „Naja, ich werde mich mal umhören, ich kenne da ein paar Leute, die ich fragen kann.“

„Danke für deine Hilfe, Peter“, sage ich, immer noch ziemlich niedergeschlagen, denn große Hoffnung mache ich mir nicht. Es gibt so unendlich viele Filmproduktionen hier, das alles ist, als würde man die berühmte Stecknadel im Heuhaufen suchen.

 

 

 

 

Lily

Ethan so unvermittelt gegenüberzustehen, veranlasst mein Herz, kurz stehenzubleiben. Dann stolpert es über seine eigenen Füße und rast so schnell los, dass ich es fast nicht aushalte.

Aber nicht das Herzrasen hebelt mich am Ende aus. Am Schlimmsten ist es, seine Augen aufleuchten zu sehen und die fassungslose Freude in seinem Gesicht als er mich erkennt. Er macht einen Schritt auf mich zu und ich weiß, dass ich hier weg muss, so schnell wie möglich. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite stehen Taxis. In meinem Kopf legt sich ein Hebel um. Ich renne über die Straße, schlängle mich durch protestierend hupende Autos und springe in den erstbesten Wagen. Während sich das Taxi in den laufenden Verkehr einreiht, sehe ich, dass Mia sich wütend auf Ethan stürzt.

Er tut mir fast ein bisschen leid, Mia kann verdammt ungemütlich werden, wenn sie sauer ist. Um ein Haar hätte ich den Fahrer gebeten, umzukehren und zurückzufahren. Nicht um Ethans Willen, aber Mia soll nicht meine Kämpfe ausfechten müssen.

Langsam beruhigt sich mein Herzschlag, doch als ich zu Hause angekommen bin und ich dem Fahrer sein Geld reiche, zittert meine Hand noch immer. Oben in der Wohnung mache ich mir einen Tee und setze mich damit auf unsere winzige Loggia.

Drei Monate lang habe ich ihn nicht gesehen. Drei Monate, in denen ich erfolglos versucht habe zu verdrängen, was geschehen ist. Drei Monate, in denen ich immer noch nicht geschafft habe, wieder Fuß zu fassen.

Mittlerweile denke ich etwas anders über meinen Abgang in New York. Es war falsch, einfach so zu verschwinden, ohne Ethan mit den Geschehnissen zu konfrontieren, aber was hätte ich tun sollen? Es darauf ankommen lassen, dass Violetta Callahan mit meiner Story an die Öffentlichkeit geht? Dieser Verrückten ist alles zuzutrauen.

Wenn Ethan in L.A. zu tun hat, ist sie sicher auch nicht weit, aber das ist mir mittlerweile egal. Ich will endlich mit der ganzen Sache abschließen, endlich wieder zur Ruhe kommen. Kurz entschlossen öffne ich auf meinem Handy ein Chatfenster und schreibe ihm, dass ich ihn sehen will. Treffen auf neutralem Boden, ich schlage ein Café an der Strandpromenade in Santa Monica vor, in dem ich vor kurzem mit Mia gewesen bin. Mein Finger schwebt über dem Display, verharrt über dem Senden- Button und schließlich lösche ich die Nachricht wieder. Ich habe Angst vor meiner eigenen Courage, Angst davor, ihn zu treffen und vielleicht wieder schwach zu werden. So, wie er mich vorhin angesehen hat, weiß ich, dass er mich immer noch liebt. Aber ich kann nicht zu ihm zurück, nicht nach allem, was gewesen ist. Ich kann ihm diesen Vertrauensbruch nicht verzeihen und seinen Betrug schon gar nicht. Außerdem, wo Ethan Prince ist, ist auch Violetta Callahan und auf eine Begegnung mit dieser Dame kann ich echt verzichten.

So bleibt mir nur die Gewissheit, dass er die Stadt in absehbarer Zeit wieder verlassen wird und ich ihn nie wieder sehen werde, obwohl ich ihn so unendlich vermisse und nichts lieber täte, als in seinen Armen zu liegen und alles um mich herum zu vergessen.


Vier

 

 

Ethan

Peter Gleeson bietet mir spontan an, während meines Aufenthalts in Los Angeles in seinem Gästetrakt zu wohnen. Der Typ hat tatsächlich einen extra Gästetrakt in seinem Haus? Vielleicht sollte ich die Malerei sausen lassen und stattdessen auf Kunsthandel umsteigen.

Ich lasse mich nicht lange bitten, am Nachmittag checke ich im Hotel aus und miete mir für die nächsten Tage einen Wagen. So bin ich unabhängiger, zumal Peters Haus ziemlich abgelegen in den Hollywood Hills liegt.

Als ich das Grundstück betrete, bin ich platt. Er bewohnt eine luxuriöse Villa im spanischen Stil, die inmitten eines riesigen Gartens liegt. Erwartet hatte ich eher moderne Architektur und nüchternen Beton und vor allem nicht diese Dimensionen. Von hier oben aus hat man freien Blick auf den Lake Hollywood und fast unverbaute Natur, kaum zu glauben, dass es so etwas in dieser Stadt noch gibt.

„Das Grundstück gehörte bereits meinem Urgroßvater“, erklärt mir Peter. „Meine Großeltern haben es von ihm zur Hochzeit geschenkt bekommen und das Haus gebaut. Mein Vater ist hier aufgewachsen und als er noch lebte haben wir viel Zeit hier verbracht. Ich liebe es und musste nicht lange darüber nachdenken, es zu übernehmen, als mein Großvater vor zwei Jahren starb.“

„Es ist fantastisch“, ich stütze mich auf das Geländer der großen Terrasse und lasse meinen Blick schweifen.

„Fantastisch und so gut wie unbezahlbar“, Peter lacht und drückt mir einen Drink in die Hand. „Würde ich das alles verkaufen, könnte ich mich vom Erlös getrost zur Ruhe setzen.“

„Warum nicht?“, flachse ich. „Dann genießt du den Rest deines Lebens als Playboy und lässt dir die Sonne auf den Bauch scheinen.“

„Ja, wäre eine Variante, ist mir aber auf Dauer zu langweilig. Ich liebe meinen Job, ich reise viel, lerne interessante Menschen kennen und an Frauen mangelt es mir auch so nicht.“

Das kann ich mir vorstellen, Peter sieht gut aus, ist Single und hat das nötige Kleingeld in der Tasche. Als wir ausgetrunken haben, zeigt er mir meine Räume im Seitenflügel. Ich habe einen separaten Eingang, ein mit viel Leder und Holz eingerichtetes Wohnzimmer, ein helles Schlafzimmer und ein Bad zur Verfügung, in dem sich eine in den Boden eingelassene Badewanne für mindestens drei Personen befindet.

„Ich muss in die Galerie zurück, komm doch später nach, wir gehen was essen und sehen, was wir mit dem angebrochenen Abend anfangen“, schlägt Peter vor und ich stimme zu. Alles ist besser, als den Rest des Abends grübelnd allein zu verbringen und das werde ich, das weiß ich genau.

Erschöpft lasse ich mich auf das breite Bett fallen und schaue durch die bodentiefen Fenster auf den See. Ich habe Lily wiedergesehen, das kann ich noch gar nicht so richtig fassen. Wie in Trance ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und tippe eine Nachricht an sie. Ich weiß nicht, ob sie sie lesen wird, sie ignoriert mich seit Monaten. Trotzdem schreibe ich ihr, dass ich mich wahnsinnig gefreut habe, sie zu sehen und dass ich sie gern treffen möchte.

Als ich die Nachricht abschicke, zittert meine Hand wie verrückt und ich habe Schmetterlinge im Bauch wie ein durchgeknallter Teenager. Als nach einer Stunde noch immer keine Antwort von ihr da ist, verwandelt sich meine Euphorie in tiefe Niedergeschlagenheit. Lily will nichts mehr von mir wissen, das war mir nie klarer als jetzt.

 

 

 

 

Lily

„Er will sich mit dir treffen? Und du willst zusagen? Bist du jetzt total verrückt geworden?“, Mia stiefelt aufgebracht im Wohnzimmer auf und ab. Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt und ist stinksauer.

„Mia, ich sitze hier vor dir, bitte schrei nicht so“, sage ich beschwichtigend, doch ich beiße auf Granit.

„Nach allem, was er dir angetan hat, willst du ihn sehen? Manchmal verstehe ich dich wirklich nicht!“

„Noch habe ich nicht zugesagt. Aber mittlerweile denke ich, dass es falsch war, einfach so abzuhauen. Ich glaube, wenn mir die Callahan nicht die Pistole auf die Brust gesetzt hätte, wäre ich niemals so sang- und klanglos aus New York verschwunden. Du kennst mich, Mia, du weißt, dass ich die Sache mit Ethan ausdiskutiert hätte. Ich brauche endlich einen sauberen Abschluss, dann kann ich vielleicht auch wieder besser schlafen.“

„Du liebst ihn immer noch, mach dir nichts vor“, schnaubt Mia verächtlich. „Er wird dich einlullen. Er wird dich um den kleinen Finger wickeln und du kehrst zu ihm zurück nach New York.“

Ja, ich liebe ihn immer noch. Liebe kann man nicht einfach abstellen, auch wenn einem der andere so unendlich wehgetan hat. Aber so wie Mia im Moment drauf ist, zerreißt sie mich wahrscheinlich in der Luft, wenn ich das zugebe.

„Ist das dein Problem?“, langsam werde ich wütend. „Geht es dir nur darum, dass ich zurückgehe und dich hier allein lasse? Bist du eifersüchtig?“

„Quatsch … natürlich nicht“, Mia stottert und läuft zartrosa an. Sie konnte noch nie gut lügen. „Nicht in dem Sinn eifersüchtig … ich bin ja nicht scharf auf dich …“

Ich muss kichern und Mia grinst verlegen. Wenigstens schreit sie jetzt nicht mehr.

„Ich mache mir einfach Sorgen. Er hat dich so verletzt und er ist so ein Arschloch. Ich hab doch live erlebt, wie er mit Frauen umspringt. Ich will einfach nicht, dass das alles wieder von vorn beginnt.“

„Wird es nicht, ganz sicher nicht. Ich rede Tacheles mit ihm und fertig. In ein paar Tagen ist er eh verschwunden. Du brauchst keine Angst zu haben, es gefällt mir hier. Ich will nicht zurück nach New York, nie wieder.“

„Das ist gut, also, dass du hierbleiben willst“, Mia lächelt, doch dann sieht sie mich bittend an. „Überleg dir trotzdem genau, ob du ihn wirklich noch einmal sehen willst und was dann mit dir passiert.“

„Ich denke doch an nichts anderes seit vorhin. Seit Stunden geht mir im Kopf herum, was sein wird, wenn ich ihm allein gegenüber stehe. Ich wollte ihm vorhin schon eine Nachricht schicken und ihn um ein Treffen bitten, bereits bevor er mich angeschrieben hat. Scheiße Mia, ich weiß echt nicht, was ich machen soll.“

Meine beste Freundin packt meinen Arm und zieht mich vom Sofa hoch.

„Meine Meinung kennst du, aber ich werde mich da nicht weiter einmischen. Ich finde, du brauchst Ablenkung und du solltest eine Nacht über alles schlafen. Und vorher gehen wir aus. Das ist mein erstes freies Wochenende in diesem Monat. Ich habe keine Lust, zu Hause zu bleiben. Ein paar Leute aus dem Studio gehen heute in den Cave Club. Es wird Zeit für dich, neue Leute kennenzulernen und es wird deinen Kopf frei machen. Ich lade dich zum Essen ein und anschließend gehen wir tanzen.“

„Cave Club?“, frage ich. „Der legendäre Club auf dem Sunset Boulevard?“

„Genau der, Livemusik, Alkohol in Strömen und jede Menge heiße Kerle“, Mia schmunzelt und plötzlich bin ich begeistert von der Idee. Ja, mal wieder raus, tanzen und lachen und nicht über den nächsten Tag nachdenken, das hat mir gefehlt. Eine Nacht über alles schlafen und morgen sieht die Welt vielleicht schon ganz anders aus.

Ich wühle in meinem Schrank und finde zwar einen kurzen, schwarzen Rock, aber kein passendes Oberteil. Irgendwie besitze ich nur noch alte, schlabberige T- Shirts und einen Stapel Tank- Tops, die nicht für einen Club- Besuch taugen. Mia bemerkt meine Suche und wirft mir ein silbrig schimmerndes Shirt mit gewagtem Ausschnitt zu. Grinsend streife ich es über und es passt wie angegossen. Sie fördert noch ein passendes Jäckchen zu Tage und drückt mir meine schwarzen Heels, die seit meiner Ankunft in der Ecke verstauben, in die Hand.

Ich bürste meine Haare, bis sie mir in sanften Wellen über den Rücken fallen, Mia schminkt mir verführerische Smokey Eyes und knallrote Lippen. Nicht dass ich vorhabe, heute Abend jemanden aufzureißen, aber ich fühle mich wohl und seit langer Zeit auch mal wieder richtig sexy.

 

 

Wir essen Pizza in unserer Lieblingspizzeria um die Ecke und machen uns gegen dreiundzwanzig Uhr in einem Taxi auf den Weg nach West Hollywood. Vor dem Cave Club steht eine beachtliche Schlange, wir reihen uns ein und werden, nachdem der Türsteher gut sechzig Prozent der Leute vor uns rüde aussortiert hat, ohne Probleme hineingelassen.

Drinnen ist es dunkel und rauchig und ziemlich voll. Der Laden ist genau wie ich es erwartet habe und die Band auf der Bühne rockig und sehr laut. Wir drängen uns zur Bar durch, ordern beide ein Bier und machen uns auf die Suche nach Mias Kollegen.

Sie quiekt laut los, als ihr jemand ein eiskaltes, feucht beschlagenes Glas in den Nacken drückt.

„Ihr verdammten Idioten!“, schreit sie, lacht aber dabei. „Lily, darf ich dir meine chaotischen Kollegen aus dem Produktionsstab vorstellen? Der Verrückte mit dem nassen Glas ist Jason Meyer und sein durchgedrehter Kumpel ist Dean Bishop. Jason, Dean, darf ich euch meine beste Freundin Lily West vorstellen?“

Beide schütteln mir artig die Hand und reißen gleich darauf so blöde Witze, dass ich mich frage, ob die Typen wirklich schon über dreißig und erfolgreiche Filmleute sind, oder ob sie noch auf die Highschool gehen.

Jason ist nicht sonderlich groß, ein wenig korpulent, aber er hibbelt herum wie ein Gummiball auf Speed. Dean überragt ihn nur unwesentlich, ist aber im Gegensatz zu Jason so dünn, dass man ihm spontan eine ordentliche Mahlzeit kaufen möchte. Bei näherem Betrachten fällt mir auf, dass die beiden ständig miteinander in Körperkontakt stehen und so, wie sie sich ansehen, könnte ich wetten, dass sie ein Paar sind.

Gegen Mitternacht stößt Samuel Turner zu uns und ich lerne endlich den vielgepriesenen Regisseur kennen. Sam ist ein echter Typ, ich weiß von Mia, dass er vierunddreißig und schon länger Single ist. Obwohl recht groß und sehr schlank, wirkt er nicht schlaksig. Eine auffällige schwarze Hornbrille ziert seine beeindruckend gebogene Nase und verleiht ihm einen intellektuellen Touch und wenn er spricht, bringen seine Hände die strubbelige, blonde Nicht- Frisur auf seinem Kopf alle paar Minuten in eine andere Unordnung. Er ist sympathisch und ohne Zweifel auf eine ganz eigene Art sehr attraktiv.

„Du bist also die Fotografin, von der mir Mia ständig vorschwärmt“, er nickt mir verschwörerisch zu und streckt mir seine Hand entgegen. „Schön, dich endlich mal kennenzulernen.“

Etwas verlegen nehme ich die Hand und sehe in seine ausdruckstarken, blauen Augen, die mich interessiert mustern.

„Lily West, es freut mich auch.“

Nach ein wenig belanglosem Smalltalk lässt Sam eine neue Runde springen und stößt mit mir an.

„Auf eine gute Zeit hier in L.A.“, sagt er. „Und wer weiß, vielleicht arbeiten wir ja bald mal zusammen.“

„Das würde mich wirklich sehr freuen“, antworte ich und weil ich bei ihm unbedingt einen guten Eindruck hinterlassen will, komme ich wohl ziemlich verkrampft rüber. Sam zwinkert mir zu.

„Immer locker bleiben, Lily. Lass uns den Abend genießen und uns ein wenig amüsieren. Deswegen sind wir doch hier, oder?“

Ich kichere unsicher und nehme einen Schluck aus meiner Flasche. Das Bier kreiselt in meinem Kopf, ich sollte bei der nächsten Runde auf Cola umsteigen. Dann erstarre ich ein wenig, denn Sams Arm legt sich wie selbstverständlich um meine Hüfte. Berührungsängste scheint der Kerl schon mal nicht zu haben. Erstaunt sehe ich ihn von der Seite an, doch er hält mich nur locker und bewegt sich mit mir im Takt der Musik.

„Die Band ist richtig gut“, ruft er, schnappt sich Mia mit dem anderen Arm und zieht uns Richtung Bühne. Ich trinke mein Bier aus, lasse alle Hemmungen fallen und wir tanzen wild herum. Irgendwann kommen auch Jason und Dean dazu und wir rocken, bis die Band eine Pause macht.

Völlig verschwitzt und außer Atem taumle ich zur Bar, um mir eine Cola zu holen, als plötzlich von hinten jemand viel zu nah an mich herantritt. Sofort steigt mir ein wohlbekannter Duft in die Nase, ein Duft, der meine Knie weich werden lässt und mein Herz zum Rasen bringt. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, wer hinter mir steht.

Wie, verflucht nochmal, ist es möglich, in dieser riesigen Stadt zweimal so kurz hintereinander ausgerechnet dem Mann in die Arme zu laufen, den ich vernünftigerweise nie wieder sehen sollte?

 

 

 

 

Ethan

Nach einem wirklich guten Essen in einem chinesischen Restaurant auf dem Santa Monica Boulevard ziehen Peter und ich durch ein paar angesagte Clubs. Der Mann ist hier bekannt wie ein bunter Hund, wir werden in jedem Laden durchgewunken, er kennt überall irgendwen und relativ früh bekommen wir Gesellschaft in Form von zwei ausgesprochen aparten Blondinen.

Sandy und Genevieve, die aber Ginny genannt werden möchte, sind angeblich Schauspielerinnen. Beide sind groß, superschlank, haben Beine bis zum Hals und ihre sehr knapp bemessenen Dekolletés bedecken kaum ihre großen Brüste, die Mutter Natur keinesfalls so geschaffen haben kann. Ich frage mich, wo sie schauspielern, mit der Oberweite passen sie jedenfalls in keinen gängigen Film. Sie könnten Zwillinge sein, so ähnlich sehen sie sich, aber ich vermute eher, dass ihre feinen, geraden Nasen, die vollen Lippen und hohen Wangen von ein und demselben Schönheitschirurgen nach ein und derselben Vorlage geformt wurden.

Sandy hängt sich sofort an Peter und Ginny fällt für mich ab. Ihr Geplapper geht mir bereits nach wenigen Minuten auf die Nerven und ich versuche krampfhaft, mich aus der Affäre zu ziehen. Früher wäre mir scheißegal gewesen, ob sie was in der Birne hat oder nicht, ich hätte ihr den Mund mit ein paar heißen Küssen gestopft, sie flachgelegt und mich anschließend verabschiedet.

Heute habe ich nicht mal das Bedürfnis, sie zu vögeln. Seit ich Lily wiedergesehen habe, ist sie allgegenwärtig in meinem Kopf. Überhaupt habe ich seit unserer Trennung gelebt wie ein Mönch, jedenfalls was den Kontakt zu Frauen betrifft. Ab und zu verbringe ich eine Nacht in Gesellschaft von Internetpornos und meiner Hand und stelle mir dabei vor, Lily wäre bei mir.

Ich will kein Spielverderber sein und irgendwie fühle ich mich in Peters Schuld. Er lässt mich bei sich wohnen und bemüht sich sichtlich, mir eine schöne Zeit zu machen. Also lasse ich mich breitschlagen und nicke ergeben, als Ginny vorschlägt, in den Cave Club weiterzuziehen. Ich habe schon von diesem Club gehört und erwarte eine dieser sterilen Schicki- Micky- Buden, doch der Cave Club ist dunkel und verrucht und verströmt die Aura von Sex, Drugs und Rock’n Roll.

Sandy und Ginny verschwinden erst einmal auf die Toilette. Froh über die Plapper- Pause lehne ich mich an die Bar und lasse den Blick über die Leute schweifen.

„Ganz schön anstrengend, die beiden, aber für nen schnellen Schuss sind sie okay“, Peter grinst dreckig und drückt mir ein Bier in die Hand. Ist klar, dass er Sandy später abschleppen wird. Während ich noch überlege, wie ich Ginny loswerde, ohne Kollateralschäden anzurichten, bleibt mein Blick an einer kleinen, blonden Frau hängen, die ausgelassen mit einem ebenfalls blonden Mann vor der Bühne herumtanzt. Sie trägt das Haar offen, es schwebt um ihren Kopf wie eine goldene Wolke. Ihr enges Oberteil und der kurze schwarze Rock bringen ihre Figur fantastisch zur Geltung. Die Frau ist heiß, superheiß und der Typ bei ihr scheint das zu wissen. Er umfasst ihre Taille, hebt sie Dirty- Dancing- mäßig hoch und dreht sich mit ihr. Sie quietscht erschrocken, doch dann lacht sie und hält sich an seinen Schultern fest und nachdem er sie zurück auf den Boden gestellt hat, legt er von hinten seine Arme um sie, zieht sie an sich heran und bewegt sich gemeinsam mit ihr.

Ich verschlucke mich fast an meinem Bier, als ich realisiere, dass das Lily ist, die ich da anstarre und die dort so vertraut mit einem Kerl tanzt. Neben ihr erkenne ich ihre Freundin Mia, die offenbar gleich zwei Typen aufgerissen hat und schlagartig werde ich wütend. Hat sie sich tatsächlich so schnell getröstet? Wie kann sie mir so etwas antun? Wie kann Lily nur drei Monate nach unserer Trennung mit einem anderen Mann rummachen?

Inzwischen sind Sandy und Ginny zurückgekommen. Ginny hängt sich an meinen Arm, plappert und plappert und ich sehe mich hilfesuchend nach Peter um, doch der ist gerade dabei, Sandy seine Zunge in den Hals zu schieben und hat die Welt um sich herum ausgeklinkt. Ich schalte meine Ohren auf Durchzug. Alles, was ich sehe ist Lily, wie sie eng an diesen Kerl geschmiegt lacht und tanzt und sich königlich zu amüsieren scheint.

Dann verstummt die Musik, die Band macht eine Pause und Lily drängelt sich durch an die Bar. Sie ist verschwitzt von der Tanzerei, ich sehe kleine Schweißtropfen auf ihrer Stirn, das Shirt klebt an ihrem Körper und sie sieht so sexy aus, dass mir postwendend die Jeans zu eng werden. Ich bin nur froh, dass ich mein Hemd lässig über der Hose trage und es meine deutliche Erregung verbirgt.

Sie sieht an mir vorbei, als sie nur einen knappen Meter neben mir an der Bar eine Cola ordert. Ich kann nicht mehr, ich schüttle Ginny ab und gehe zu Lily, trete ganz dicht hinter sie und bemerke zufrieden, wie sich ihr Körper versteift. Ihr Geruch steigt mir in die Nase und macht mich wahnsinnig. Als sie sich langsam umdreht, weiß ich, dass ihr vollkommen klar ist, wer hinter ihr steht. Die Verbindung zwischen uns existiert noch, ist noch nicht ganz gekappt. Ihre blauen Augen mit den goldenen Sternen sind leicht verschleiert, doch diesmal verfinstern sie sich nicht und ich frage mich, ob sie eventuell einen Drink zu viel hatte an diesem Abend.

 

 

„Verfolgst du mich etwa?“, ihre Stimme klingt leicht verwaschen. Ich hatte recht mit dem Drink zu viel und muss grinsen, denn ich weiß, was passiert, wenn Lily zu viel trinkt.

„Und wenn, wäre das so schlimm?“, antworte ich weich. Ich kann einfach nicht anders, sanft streiche ich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und klemme sie hinter ihrem Ohr fest. Ihre Wange schmiegt sich in meine Hand, ganz kurz nur und ein wehmütiger Zug legt sich um ihre schönen Lippen. Sie muss betrunken sein, in nüchternem Zustand würde sie mich niemals so nah an sich heranlassen.

Ich liebe diese Frau so sehr … ich möchte ihr Gesicht in meine Hände nehmen und sie küssen, doch Lily kommt schneller wieder zu sich, als erwartet und schlägt meine Hand weg.

 

 

 

 

Lily

Was mache ich hier? Ich habe eindeutig zu viel getrunken, denn sonst würde ich auf gar keinen Fall so nah bei Ethan stehen und mich von ihm berühren lassen! Schnell stoße ich ihn weg.

„Gott Ethan, was willst du? Stalkst du mich?“, schnauze ich und sehe mich suchend um. „Ist sie auch hier?“

„Wer soll hier sein?“, fragt er dämlich zurück, doch dann scheint ihm ein Licht aufzugehen. „Wenn du Violetta meinst, ich habe keinen Kontakt mehr zu den Callahans. Alle Absprachen zwischen uns sind null und nichtig.“

Das kaufe ich ihm nicht ab und stoße ein ungläubiges Lachen aus. Doch ehe ich etwas entgegnen kann schiebt sich eine aufgetakelte Blondine mit enormer, aber garantiert nicht echter Oberweite zwischen uns, hängt sich an Ethans Hals und presst aufreizend ihren Unterleib gegen seinen. Ihre Stimme ist schrill und bohrt sich schmerzhaft in meine Gehörgänge.

„Wir wollen gehen Honey, Peter hat uns eine heiße Poolparty versprochen.“

Honey? Die Plastikbarbie nennt ihn Honey?

„Sagtest du nicht irgendwann mal, du stehst nicht auf Pornodarstellerinnen?“, rutscht mir heraus, ehe ich mir auf die Zunge beißen kann. „Hätte ich mir Silikontitten machen lassen sollen, damit du mich nicht betrügst?“

Befriedigt sehe ich, wie Ethans Gesichtszüge entgleisen und er mir über die Schulter des klammernden Weibchens einen fast schon hilflosen Blick zuwirft.

„Lass mich los, Ginny“, blafft er sie an und das Blondchen gehorcht tatsächlich, allerdings nur, um zu mir herumzufahren und loszukeifen:

„Was fällt dir ein, du verdammte Bitch. Ich bin eine seriöse Schauspielerin. Und meine Brüste sind echt!“

Sie kreischt in einer Lautstärke, die sogar die laute Pausenmusik übertönt. Blitzartig drehen sich jede Menge Köpfe nach uns um und wir stehen im Zentrum des allgemeinen Interesses. Sie nimmt ihre Brüste in die Hände, presst sie zusammen und weil sie um einiges größer ist als ich, habe ich die prallen Gummibälle fast auf Augenhöhe.

„Na los, fass sie an, überzeug dich und wenn du dann noch einmal sagst, dass ich Silikontitten habe, verklage ich dich wegen Verleumdung.“

Okay, ich bin nicht mehr ganz nüchtern, aber die Situation ist so absurd, dass ich kurz vergesse, dass ich eigentlich stinksauer bin und zu lachen anfange.

„Danke, kein Bedarf“, sage ich und beiße mir auf die Wangeninnenseiten, um ein albernes Kichern zu unterdrücken. „Da hab ich echt schon besseres gesehen.“

Ich fange Ethans Blick auf und sehe es um seine Mundwinkel zucken. Er weiß, dass ich auf meine Vergangenheit als Erotikfotografin anspiele und kämpft mittlerweile auch um Beherrschung. Von links bahnt sich Plastikbarbies Klon einen Weg zu uns und hat einen sehr attraktiven, dunkelhaarigen Mann im Schlepptau. Ist das der ominöse Peter mit der Poolparty? Die platinblonden Tussis haben das gleiche Schnittmuster im Gesicht und Barbie Nummer zwei rückt offenbar als Verstärkung an. Sicher sind sie erfolgreich bei dem, was sie tun, ich weiß aus Erfahrung, dass Dreier mit Zwillingen gefragt sind. Es schüttelt mich innerlich, als ich mir Ethan mit diesem Plastikdings vorstelle.

Barbie Nummer zwei baut sich drohend neben ihrer Freundin auf. Auch sie ist ziemlich groß und auch sie schiebt ihren spärlich bedeckten Atombusen in mein Gesichtsfeld. Sie ist der böse Zwilling, denn mit einem harschen:

„Shut up, Bitch!“, versetzt sie mir einen harten Stoß gegen die Schulter. Ich taumle zurück, direkt in Ethans Arme. Dankbar, dass er mich vor einem Sturz auf den Boden bewahrt hat, drücke ich kurz seine Hand, doch dann löse ich mich sofort wieder.

Poolparty- Peter, der amüsiert grinsend danebensteht, aber kein Wort sagt, sieht mich erwartungsvoll an. Er ist genau der Typ verwöhnter, reicher Schnösel, mit dem ich in meinem früheren Leben bis zum Erbrechen zu tun hatte. Was glaubt der Arsch? Dass ich mich, um ihm Vergnügen zu bereiten, in einen Catfight stürze und die beiden Schlampen verprügle? Abgesehen davon, dass ich mich nicht schlage, würde ich dabei eindeutig den Kürzeren ziehen. Ethan stellt sich schützend vor mich und bringt mich aus der Schusslinie.

„Geht euch mal die Nasen pudern und seht zu, dass ihr wieder runterkommt!“, blafft er die beiden an.

Die Stimme des Herren! Ginny packt ihre Schwester im Geiste am Handgelenk, wirft mir einen vernichtenden Blick zu und verschwindet mit ihr tatsächlich in Richtung Waschräume. Plötzlich steht Sam Turner neben mir und legt fast schon besitzergreifend einen Arm um mich.

„Hey, Gleeson“, er nickt dem Schnösel zu und der hebt grüßend die Hand. Man kennt sich offensichtlich. Aber Moment mal, Gleeson? Ethan ist mit Galerie- Gleeson unterwegs?

„Alles okay, Lily?“, fragt Sam laut, nimmt Ethan ins Visier und versucht dabei, ihn mit seinen Blicken zu töten. Trotz der bescheuerten Situation muss ich schon wieder kichern, denn mein Ex ist größer als Sam und um einiges muskulöser als der schlanke Regisseur.

Ethan trägt immer noch dieses blöde Grinsen vor sich her, doch das vergeht ihm jetzt schlagartig und in seinem Gesicht ziehen dunkle Gewitterwolken auf. Er starrt auf Sams Arm auf meiner Schulter, doch der tut überhaupt nicht desgleichen und zieht mich noch ein Stück näher an sich heran. Das geht mir nun doch zu weit. Sam ist nicht mein Boyfriend und ich brauche keinen Bodyguard. Ich befreie mich aus seinem Griff und drehe mich zu ihm um.

„Mir reicht es für heute, ich fahre nach Hause. Würdest du bitte Mia Bescheid sagen? Ich will ihr den Abend nicht verderben.“

„Ich schreibe ihr eine Nachricht und begleite dich“, ohne mich zu fragen, ob mir das recht ist, kramt Sam sein Handy aus der Hosentasche und entsperrt es. Ethan wirft mir daraufhin einen Blick zu, der mich schmerzhaft an ein waidwundes Tier erinnert, dreht auf dem Absatz um und stürmt davon. Er sieht nicht mehr, dass ich Sams Hand festhalte und ihn stoppe.

„Das ist wirklich nett von dir, Sam, aber ich möchte das nicht.“

„Kein Problem“, Sam lächelt zwar, doch ich sehe Missmut in seinen Augen aufblitzen. Was denkt er sich eigentlich? Dass er mich retten muss und ich mich zum Dank von ihm flachlegen lasse? Er ist hartnäckig und versucht es noch einmal.

„Ich würde dich trotzdem lieber nach Hause bringen. Der Typ hat sich eigenartig verhalten. Kanntest du ihn?“

„Der tut mir nichts, ist nur mein Ex. Seinetwegen habe ich New York verlassen“, murmle ich undeutlich, doch Sam versteht es trotzdem.

„Ist noch zu frisch, was?“

Ich nicke und versuche zu lächeln, doch es gelingt mir nicht wirklich.

„Danke, dass du mich begleiten willst, aber ich möchte jetzt lieber allein sein. Ich halte mir draußen ein Taxi an.“

„Ganz wie du willst, ich sage Mia, dass du weg bist“, Sam scheint doch nicht sauer auf mich zu sein, er umarmt mich zum Abschied und verspricht mir, mich in den nächsten Tagen anzurufen, wegen des Jobs und überhaupt. Mir fällt ein Stein vom Herzen, ich mag ihn und könnte mir gut vorstellen, mit ihm zu arbeiten.

Draußen ist es kühl, jedenfalls kommt es mir so vor, als ich aus dem brütend heißen Club heraustrete. Ich fröstle und ziehe Mias Jäckchen enger um mich, als ich langsam die Straße entlang gehe und nach einem Taxi Ausschau halte.

„Wo hast du deinen Stecher gelassen?“

Erschrocken fahre ich herum und entdecke Ethan, der mit tief in den Hosentaschen vergrabenen Händen an einer Hauswand lehnt und mich wütend ansieht.

 

 

 

 

Ethan

Sie mit dieser halben Portion zu sehen, macht mich rasend. Wie er sie an sich zieht, als hätte er alles Recht der Welt dazu. Aber das hat er wohl, denn er will sie nach Hause bringen und es sieht nicht so aus, als hätte sie etwas dagegen einzuwenden. Lily hat sich tatsächlich schnell getröstet.

Ich muss raus hier, weg aus diesem Club. Wenn ich hierbleibe, lasse ich mich sinnlos volllaufen und wache dann wahrscheinlich morgen mit dieser grauenhaften Ginny neben mir auf.

Ich gehe ein paar Meter und lehne mich gegen eine Hauswand. Wenn ich eben noch dachte, dass mir die klare, kühle Luft gut tun würde, weiß ich jetzt, dass es ein Fehler war, hier rauszugehen. Ich habe bei weitem nicht genug getrunken, um die Bilder, die sich in meinem Gehirn formieren, wegzuschieben. Ständig sehe ich Lily in den Armen dieses Mannes, stelle mir vor, wie er sie küsst, wie er sie auszieht, wie er mit ihr …

Fuck, ich werde in dieser Nacht kein Auge zubekommen und in den nächsten Nächten wahrscheinlich auch nicht. Ich sollte zurückgehen, mich ordentlich besaufen und danach ins Koma fallen. Vielleicht sollte ich wirklich Ginny knallen, nur um zu vergessen und mich darauf zu besinnen, was ich mir früher mal geschworen habe: ausschließlich unverbindlichen Sex, keine Verpflichtungen, keine Reue.

Die Beziehung mit Lily hat mich versaut, sie hat aus mir einen zahnlosen Papiertiger gemacht, der bei einer anderen Frau wahrscheinlich gar keinen mehr hochkriegt. Scheiße Mann, früher hatte ich Sex, sooft ich wollte und mit wem ich wollte! Nach drei Monaten ohne Sex fühle ich mich wie ein kastrierter Hengst.

Schluss damit, was Lily West kann, kann ich schon lange! Ich werde heute diese Ginny vögeln, auch wenn ich ihr wahrscheinlich den Mund zuhalten und die Augen ganz fest schließen muss, um einen hochzukriegen. Ich stoße mich von der Hauswand ab und will gerade in den Club zurückgehen, als ich Lily die Straße entlang gehen sehe. Sie ist allein und wie es aussieht, sucht sie nach einem Taxi.

„Wo hast du deinen Stecher gelassen?“, frage ich, als sie an mir vorbei läuft. Ich weiß, dass ich so etwas nicht nötig habe, dass ich mich damit selbst erniedrige, doch ich will sie provozieren, will, dass sie sich genauso mies fühlt, wie ich mich gerade.

Lily fährt erschrocken herum, doch als sie sieht, dass nur ich es bin, wirft sie mir einen abfälligen Blick zu.

„Sam ist nicht mein ‚Stecher‘“, gibt sie giftig zurück. „Aber wo hast du deine Nutte gelassen? Zurück zu den Ursprüngen, was Ethan? Dumm fickt gut und stellt keine Ansprüche. Alles, was ein richtiger Mann braucht.“

„Genau“, knurre ich. „Ex und hopp, so und nicht anders. Alles ist besser, als in einer Nacht- und Nebelaktion von der Frau, die man liebt, verlassen zu werden, ohne Chance, sich zu erklären. Und alles ist besser, als diese Frau nur kurze Zeit später in den Armen eines anderen Kerls zu sehen.“

Den letzten Satz habe ich gebrüllt, so wütend bin ich mittlerweile. Ein Pärchen bleibt ein Stück vor uns stehen, der Mann fragt:

„Brauchen Sie Hilfe, Lady?“

„Nein … danke, alles okay“, Lily schüttelt den Kopf und ringt sich ein gequältes Lächeln ab.

„Es ist wirklich okay“, bekräftigt sie ihre Aussage noch einmal, als der Mann skeptisch die Augenbrauen nach oben zieht.

„Komm jetzt, Francis“, seine Freundin nimmt ihn am Arm und zieht ihn weiter. Ihr ist das alles nicht geheuer und ich kann sie verstehen.

„Danke nochmal“, ruft Lily ihnen hinterher und wendet sich von mir ab. Als sie einfach weggehen will, greife ich nach ihrem Arm und halte sie fest.

„Verdammt Lily, rede mit mir“, sage ich mit zusammengebissenen Zähnen. „Du lässt mich jetzt nicht einfach hier stehen. Hat dir unsere gemeinsame Zeit wirklich so wenig bedeutet?“

Sie will ihren Arm aus meinem Griff befreien, doch ich gebe nicht nach. Im Gegenteil, ich packe fester zu und weiß, dass sie morgen einen blauen Fleck an dieser Stelle haben wird. Ich will nicht, dass sie jetzt verschwindet. Ich will, dass sie bei mir bleibt und mit mir spricht, wenn es sein muss, auch hier mitten auf dem belebten Sunset Strip. Im grellen Licht der Leuchtreklamen sehe ich ihre Augen gefährlich funkeln. Meine kleine Amazone ist auf hundertachtzig.

„Das fragst du nicht wirklich, Ethan“, zischt sie. „Du warst alles für mich. Du warst meine Liebe, mein Leben. Ich habe dir vertraut. Aber du hattest nichts Besseres zu tun, als Violetta Callahan zu ficken und ihr brühwarm alles weiterzutratschen, was ich dir anvertraut habe.“

„Ich habe nicht mit ihr geschlafen“, versuche ich, mich zu verteidigen und merke selbst, wie lahm das klingt. „Ich habe mit niemandem mehr geschlafen, seit du weg bist.“

Lilys Blick wechselt von ungläubig zu höhnisch.

„Soll ich jetzt beeindruckt sein? Du hast tatsächlich nicht jeden Abend eine andere flachgelegt? Baby, lass uns zusammenziehen und einen Goldfisch kaufen!“

Sie holt mit ihrer freien Hand aus und mit einem bitteren:

„Erzähl deine Lügen jemandem, der sie hören will“, verpasst sie mir eine Ohrfeige, die sich gewaschen hat. Ich lasse ihren Arm los und streiche über meine Wange. Sie hat einen ordentlichen Schlag, mein Gesicht brennt wie Feuer an der Stelle, die sie getroffen hat.

Wütend balle ich die Hände zu Fäusten und stopfe sie sicherheitshalber in meine Hosentaschen. Nicht, dass ich Lily schlagen würde, nie im Leben könnte ich so tief sinken! Es ist wahnwitzig, aber die Situation erregt mich, ihre Nähe und die verzweifelte Aggressivität, die sie ausstrahlt, machen mich so geil, dass ich schon wieder hart bin. Ich hatte drei Monate lang keinen Sex, so lange wie nie zuvor. Vor mir steht die Liebe meines Lebens und ich würde sie am liebsten packen, gegen die Wand hinter mir drücken und es ihr besorgen, dass uns beiden Hören und Sehen vergeht.

Ich traue mir gerade selbst nicht über den Weg.

 

 

 

 

Lily

Fuck, tut das weh. Ich habe so fest zugeschlagen, dass meine Handfläche höllisch brennt und den Schmerz überdeckt, den Ethans Griff an meinem Arm verursacht hat. Er steht mir gegenüber wie ein Kampfstier und würde ich ihn nicht so gut kennen, wäre das der Moment, eingeschüchtert die Flucht zu ergreifen. Die Hände, die er tief in den Hosentaschen vergraben hat, sind zu Fäusten geballt. Sein Blick durchbohrt mich und ich bin mir nicht sicher, ob er zurückschlagen oder mich doch lieber ficken will. Ich tippe auf Letzteres, denn sein Hemd ist verrutscht und gibt den Blick auf seinen Schritt frei. Er hat einen Ständer, das ist nicht zu übersehen. Bei dem Anblick muss ich schlucken, weiß ich doch nur zu genau, was er mit diesem Ding bei mir anzustellen vermag.

„Was ist los mit dir, Prince?“, höhne ich, um meine Unsicherheit zu überspielen. „Notstand? Hat dich die Nutte noch nicht rangelassen? Für nen Fünfziger extra ist doch bestimmt ein Quicky auf der Clubtoilette drin.“

Ethan beißt die Zähne so fest zusammen, dass ich es knirschen höre. Seine Kiefernmuskeln mahlen und an seiner Stirn tritt eine kleine Ader zutage. Jetzt wird mir doch ein wenig mulmig, so habe ich ihn noch nie gesehen. Er schnaubt und ich kann förmlich die Qualmwolken sehen, die seiner Nase entweichen, doch gerade, als ich denke, er geht auf mich los, sacken seine Schultern nach unten und er lässt sich gegen die Wand fallen.

„Was muss ich tun, um dich davon zu überzeugen, dass mir die Frau dort drin am Arsch vorbei geht? Ich will nichts von ihr und ich werde sie ganz sicher nicht vögeln!“

Müde lehnt er den Kopf gegen die Wand und schließt die Augen. Er sieht ganz schön fertig aus, als hätte er schon ewig nicht mehr richtig geschlafen.

„Weißt du Ethan, mir ist vollkommen egal, mit wem du es treibst. Du hast mich betrogen und fragst mich allen Ernstes, ob mir unsere Beziehung nichts bedeutet hat?“

Mir ist klar, dass ich anklagend und vorwurfsvoll klinge und dass das erbärmlich ist, aber ich muss das jetzt einfach loswerden.

„Du weißt nicht, wie es ist, wenn man wieder und wieder gesagt bekommt, dass man ein schlechter Mensch und absolut nichts wert ist. Dass man am schlimmsten Moment seines Lebens selbst schuld ist, weil man es nicht anders verdient hat. Dann lerne ich dich kennen und plötzlich wird es hell um mich herum. Du hast mich aus dem Loch geholt, das bis dahin mein Leben war. Ich habe dir geglaubt, obwohl mich meine besten Freunde vor dir gewarnt haben. Ich habe dir vertraut!“

Meine Stimme, die ich bis eben noch im Griff hatte, beginnt zu zittern, ohne dass ich es beeinflussen kann.

„Und dann kommt diese Frau und alles beginnt von neuem. Die Lügen, die Demütigungen, die Drohungen und Erpressungen.“

„Violetta hat dir gedroht? Sie hat dich erpresst?“, unterbricht er mich entgeistert. „Ich weiß, dass sie dir Geld angeboten hat. Ich habe den zerrissenen Scheck gefunden und sie damit konfrontiert, aber sie wollte mir nur irgendwelche Lügen auftischen. Lily, bitte glaub mir doch, ich habe weder sie noch irgendeine andere Frau angerührt, seit es dich in meinem Leben gibt. Das Einzige, was du mir vorwerfen kannst, ist, dass ich ihr von Sidney Blake erzählt habe und das bereue ich zutiefst.“

Fast könnte man glauben, er schämt sich tatsächlich, denn er kann mir nicht mehr in die Augen sehen.

„Was habe ich bloß angerichtet“, flüstert er.

„Oh, Ethan Prince bereut, na dann ist ja alles gut“, ich lache trocken auf. „Deine saubere Freundin hat dafür gesorgt, dass ich meine Existenz in New York verloren habe und du hast mich für verrückt erklärt. Sie hat damit gedroht, dass sie die Sache mit Sidney Blake an die Öffentlichkeit bringen wird, sollte sie mich jemals wieder in deiner Nähe sehen. Sie wollte sogar die alte Bruchbude, in der mein Studio war, kaufen, um mich auf die Straße setzen zu können.“

„Das kann doch alles nicht wahr sein!“, entsetzt zieht er die Hände aus den Hosentaschen und löst sich von der Wand. Die Wut in seinem Gesicht ist wie weggeblasen und macht Verzweiflung Platz. Plötzlich tut er mir leid, mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen und am liebsten würde ich ihn in den Arm nehmen und trösten.

Aber halt … stopp! Ich bin doch diejenige, die Schaden genommen hat, ich leide unter der Situation, er hat schließlich mich verletzt und ich hasse ihn dafür. Ich … hasse … ihn!

Ethan kommt noch näher und streckt die Hände nach mir aus. Will er mich etwa umarmen? Ich fürchte, wenn er mich jetzt auch nur mit dem kleinen Finger berührt, breche ich zusammen und klammere mich an ihn. Ich mache vorsichtshalber einen großen Schritt von ihm weg und hebe abwehrend die Hände.

„Bleib mir vom Leib oder ich trete dir in die Eier“, blaffe ich ihm entgegen. Mein Gesicht muss Bände sprechen. Ethan scheint mir aufs Wort zu glauben und hält Abstand.

„Falls es dich tröstet, meine New Yorker Existenz ist auch flöten“, sein Versuch zu lächeln misslingt und gerät zu einer schiefen, traurigen Grimasse. „Nachdem ich den Callahans gesagt habe, was ich von ihnen halte, hat Alexander dafür gesorgt, dass ich an der Ostküste erledigt bin.“

„Mit egal, nicht mein Problem“, gleichmütig zucke ich mit den Schultern. „Ich muss los, ich wünsch dir noch ein schönes Leben, Prince.“

Tief in mir bin ich alles andere als gleichgültig. Hat er in New York wirklich alles verloren? Etwa meinetwegen? Ich muss hier weg, ich ertrage den Schmerz in seinen Augen nicht mehr. Würde ich noch länger in seiner Gesellschaft bleiben, müsste ich zugeben, dass er wirklich verzweifelt ist, dass er genauso sehr wie ich unter unserer Trennung leidet, dass er mich immer noch wahnsinnig liebt … genau wie ich ihn.

Aufgewühlt trete an den Straßenrand und winke mit hektischen Bewegungen ein Taxi heran. Der Wagen hält mit quietschenden Rädern neben mir, doch bevor ich einsteige, versucht Ethan es noch einmal.

„Lily, bitte lass uns in den nächsten Tagen über alles reden.“

Das erneute Zittern in meiner Stimme straft meine gleichgültige Reaktion von eben Lügen.

„Zum letzten Mal … Lass mich in Ruhe!“

„Ich liebe dich, Kleines. Ich vermisse dich an jedem einzelnen Tag!“

Seine Worte gehen im Zuklappen der Wagentür unter, aber ich habe sie trotzdem verstanden. Ich versuche, ihn nicht noch einmal anzusehen, doch es gelingt mir nicht. Trotzig senke ich den Kopf und versuche, mir unauffällig die Tränen abzuwischen, die mir die Wangen herablaufen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739445892
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Hollywoodstar Liebesroman Millionär Superstar Billionär Krimi Rockstar Los Angeles Romanze Drama Theater Drehbuch Schauspiel Humor Thriller Spannung

Autor

  • Anna Graf (Autor:in)

Anna Graf startete ihre ersten Schreibversuche in den neunziger Jahren. Sie schrieb kleinere Romane, die allerdings in der Schublade blieben.
2013 nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und veröffentlichte erfolgreich den ersten 'Schubladenroman'.
Seitdem schreibt sie, über das Leben, die Liebe, über Irrungen und Wirrungen, den Weg zum Glück zu finden.
Ihre Heldinnen sind keine schwachen Frauen, im Gegenteil, sie sind selbstbewusst und wissen, sich im Leben zu behaupten.
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Titel: JUST LOVE - Verhängnisvolle Affären_2: Los Angeles