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JUST LOVE - Verhängnisvolle Affären_1: New York

Liebesroman

von Anna Graf (Autor:in)
175 Seiten
Reihe: JUST LOVE, Band 1

Zusammenfassung

Lily West und Ethan Prince sind eine explosive Mischung, von der ersten Sekunde ihres nicht ganz freiwilligen Zusammentreffens an fetzen sie sich, was das Zeug hält.
Dabei heißt es doch immer, dass sich Gegensätze anziehen und gegensätzlicher könnten die erfolglose Fotografin, die nach einer katastrophalen Erfahrung in ihrer Jugend auf sich selbst gestellt ist und mit Männern abgeschlossen hat und der supererfolgreiche und überaus heiße Maler, der Frauen nach Bedarf konsumiert und dessen Lebensmotto ‚ausschließlich unverbindlicher Sex, keine Verpflichtungen, keine Reue‘ ist, nicht sein.
Eigentlich ist es Liebe auf den ersten Blick, doch uneigentlich haben beide mit ihren Dämonen zu kämpfen - Lily mit denen aus ihrer Vergangenheit und Ethan mit denen in seiner Gegenwart.

Dies ist der erste Band der „JUST LOVE“ – Reihe.
Das Buch enthält eine Leseprobe des zweiten Bandes „JUST LOVE - Verhängnisvolle Affären_2 - Los Angeles“.

Weitere Romane von Anna Graf:
„JUST LOVE - Verhängnisvolle Affären_2“
„JUST LOVE_3 - Am Abgrund“
„MORDSmäßig verliebt“ Liebe, Mord und Mafia – Ein ziemlich krimineller Liebesroman
„MORDSmäßige Leidenschaft“ Tödliches Verlangen – Noch ein ziemlich krimineller Liebesroman
„True Love Bad Guys … wahre Liebe lohnt sich doch“
„Liebesurlaub“
„(K)ein flotter Dreier“
„Lieb mich zweimal, Baby“

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Eins

 

 

Lily

„Come on, Baby! Beug dich nach vorn … noch weiter, sieh mich an. Ja … genau! Brandon, setz dich daneben und zwirbel ihre Nippel! Gut so … Lass die Hände, wo sie sind, Kimmy… lehn dich zurück und stell ein Bein auf! Na los, leck dir die Lippen, schlaf nicht ein dabei!“

Das Thema des heutigen Shootings ist ‚Hot and dirty on the Farm‘, weswegen Kimmy lediglich mit einem winzigen String bekleidet vor einem Papp- Stier auf einem Heuballen hockt und Brandon einen dämlichen Cowboyhut und sonst nichts trägt.

Kimmy bemüht sich redlich, so lasziv wie möglich aus der Wäsche zu schauen, fährt sich mit ihrer rosigen Zungenspitze über die frisch aufgespritzten Schlauchbootlippen, und formt die blutrot geschminkten Dinger zu einem wollüstigen ‚O‘, als Brandon die Hand zwischen ihre Beine legt. Er lässt sie nach hinten sinken, bis sie liegt, stellt sich zwischen ihre Beine und fährt langsam mit der Zunge über ihre Brustwarzen und den Bauch hinunter Richtung Muschi. Er ist gut, er braucht kaum Anweisungen, Kimmy hingegen muss ich ständig in Bewegung halten. Aber endlich scheint sie in Fahrt zu kommen. Sie biegt den Rücken durch, als Brandon am Ziel ankommt und verzieht das Gesicht, als erlebe sie gerade den Orgasmus ihres Lebens. Ich lasse die Kamera klicken, schieße eine Serie und winke meine Freundin Mia herbei.

„Wir wechseln auf den Koppelzaun, Kimmy, zieh den String aus und das Röckchen an, Brandon bleibt, wie er ist, aber er bekommt noch ein Halstuch.“

Mia, die als Makeup- Artist beim Fernsehen arbeitet und bei mir gelegentlich als Stylistin einspringt, frischt Kimmys grelle Schminke auf und bindet Brandon ein buntes Tuch um den Hals.

Kimmy schwingt sich widerwillig und mit äußerst genervtem Blick auf die Zaunattrappe und versucht, Halt auf dem wackligen Ding zu finden.

„Brandon, stell dich schräg vor sie und leg los“, kommandiere ich. „Kimmy, spreiz die Beine … noch etwas weiter …, na los, gib mir was zu sehen …“

„Wenn ich meine Beine noch weiter auseinandermache, falle ich rückwärts von diesem blöden Donnerbalken und hole mir eine Gehirnerschütterung“, motzt Kimmy und versucht, Halt auf dem schmalen Brett zu finden, auf dem sie sitzt. Fast hätte ich laut losgelacht. Gehirnerschütterung … wo nichts ist, kann auch nichts erschüttert werden. Als hätte ich es geahnt kippt sie nach hinten, Brandon lässt geistesgegenwärtig ihre prallen Brüste fahren und hält sie am Arm fest, damit sie nicht hinunterfällt. Kimmy stößt ein hysterisches Kreischen aus, hüpft vom Zaun und springt auf dem Boden auf und ab.

„Scheiße … Scheiße … da ist was an meinem Hintern … irgendwas hat mich gebissen … Brandon, mach es weg … mach es doch weeeeg!“

Frustriert stöhnend setze ich die Kamera ab und gehe zu ihr.

„Hör auf zu schreien“, befehle ich. „Zeig her!“

Kimmys Schamgefühl kann man getrost vernachlässigen, sie bückt sich, klappt ihr kurzes, kariertes Röckchen hoch und präsentiert mir ihre pralle Kehrseite.

„Du hast dir einen Splitter eingezogen“, stelle ich fest. Tatsächlich steckt ein winziges Stückchen Holz in ihrer linken Hinterbacke. Auch das noch! Der Splitter an sich ist harmlos, die Verletzung nicht der Rede wert, doch ich kenne Kimmy schon ein Weilchen und weiß, dass sie mir für den Rest des Tages deswegen die Hölle heiß machen wird.

Mia bleibt cool, sie wühlt in ihrem Köfferchen, fördert eine spitze Pinzette und Desinfektionsmittel zutage und zieht Kimmy fachmännisch den Splitter aus dem Hintern. Es blutet nicht mal, aber die dumme Kuh zetert immer noch herum, als wäre sie schwer verletzt.

„Zehn Minuten Pause, krieg dich bloß wieder ein, Kimmy!“, rufe ich grantig und sehe meinen sorgsam ausgeklügelten Zeitplan den Bach runtergehen. Schlimm genug, dass ich als Fotografin nicht die Butter aufs Brot verdiene und mich mit Jobs wie diesem hier über Wasser halten muss. Models wie Kimmy treiben mich regelmäßig in den Wahnsinn. Nix in der Rübe, aber davon reichlich, pflegte meine verstorbene Großmutter zu sagen und sie hatte vollkommen recht.

Granny würde sich im Grabe umdrehen, wüsste sie, dass ich meinen Lebensunterhalt hauptsächlich damit bestreite, den halben Tag ‚komm zeigs mir, Baby, mach die Beine breit‘ zu rufen und für Schmuddelblättchen Fotos zu schießen, die nur knapp an der Grenze zur Pornografie vorbeischliddern. Der Shoot mit Brandon und Kimmy ist der dritte dieser Art in dieser Woche und ich frage mich in letzter Zeit immer öfter, ob es wirklich mein Lebensziel ist, am Fließband Wichsvorlagen für sexuell Gestörte zu produzieren.

 

 

„Kaffee?“, frage ich Mia und als sie nickt, gieße ich zwei Becher voll. Glücklicherweise probiere ich einen Schluck, bevor ich Mia den anderen Becher weiterreiche. Die Brühe ist nur noch lauwarm und schmeckt wie alter Wischlappen. Angeekelt kippe ich das Zeug in den Ausguss und setze eine neue Kanne an. Beim Herumwerkeln mit meiner altersschwachen Kaffeemaschine steigt mir ein nur allzu gut bekannter Geruch in die Nase.

„Riechst du das?“, fragt jetzt auch Mia.

„Die Kifferfraktion ist wieder zugange“, motze ich. „Ich habe Brandon schon hundertmal gesagt, dass ich das hier nicht dulde, aber der Knallkopf ignoriert das geflissentlich.“

Kimmy und Brandon haben sich für ihre Pause in den als Garderobe genutzten Bereich des Ateliers zurückgezogen und ziehen sich ganz offensichtlich einen Joint rein, obwohl sie genau wissen, dass ich das hasse und jedes Mal einen Aufstand mache. Ich werfe Mia einen genervten Blick zu, bevor ich durch den Vorhang trete, der die Garderobe vom Rest des Raumes abtrennt. Erschrocken pralle ich zurück. Verdammt, ich kenne Brandon doch schon ein Weilchen, eigentlich hätte ich wissen müssen, was mich erwartet.

Er hat Kimmy rücklings auf den Tisch gelegt, hält ihre Beine senkrecht nach oben und fickt sie langsam und bedächtig, den Joint schräg im Mundwinkel, sein zugegebenermaßen fantastischer Arsch wippt rhythmisch vor und zurück, Kimmy hat die Augen geschlossen und windet sich unter seinen Stößen, doch interessanterweise bewegen sich ihre prallen Titten kein Stück. Was so ein paar Pfund Silikon doch bewirken! Brandon bemerkt mich, zwinkert mir verschwörerisch zu und widmet sich anschließend wieder seinem Werk. Ich kann nicht anders, hebe den Daumen und ziehe mich grinsend zurück.

Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass sie es treiben wie die Karnickel, die beiden haben sich die letzten zwei Stunden splitternackt in allen möglichen Stellungen fotografieren lassen, Anfassen, Knutschen und intensiver Körperkontakt eingeschlossen. Logisch, dass vor allem Brandon spitz wie Nachbars Lumpi ist.

„Du solltest über den Joint hinwegsehen“, sagt Mia lachend, als ich mit einem vielsagenden Grinsen im Gesicht zurückkomme. „Vielleicht ist Kimmy nach dem Fick ja umgänglicher …“

 

 

Mia behält recht. Der Sex hat tatsächlich Wunder gewirkt, denn nach weiteren zwei Stunden sind die Aufnahmen im Kasten und ich bin fix und fertig.

„Im Clash ist heute Abend Livemusik“, Mia packt ihren Kram zusammen und sieht mich fragend an. „Kommst du auch?“

„Geht nicht“, antworte ich bedauernd. „Jamie und Gwen heiraten und ich mache die Fotos. Wird sicher spät werden. Ich ruf dich morgen an.“

„Okay“, Mia umarmt mich zum Abschied, schnappt ihr Köfferchen und verschwindet. Auch Kimmy ist schon gegangen, nur Brandon trödelt noch irgendwo herum.

Ich sortiere gerade meine Ausrüstung, als er hinter mich tritt, mir die Hände auf die Schultern legt und meine verspannten Muskeln knetet. Er hat das schon öfters gemacht und kann das wirklich gut. Ich denke mir nichts weiter dabei, schließe die Augen und grunze genüsslich, doch das vergeht mir schlagartig als seine große Pranke unzüchtig über meine Schulter nach vorn in mein Shirt gleitet. Er schiebt sich von hinten an mich und sagt:

„Du bist total angespannt, Babe. Ich könnte dir helfen, loszulassen, hast du Lust?“

Ich drehe mich überrascht um. Brandon hat noch nie auch nur ansatzweise so etwas wie Interesse an mir bekundet. Jetzt steht er mir gegenüber, hat zwar einen Bademantel übergeworfen, ihn aber nicht zugeknotet. Sein großer, halb erigierter Schwanz schaut vorn heraus.

„Es hat mich total angemacht, als du vorhin reinkamst“, sagt er in seinem breiten Südstaatendialekt, legt einen Arm um meine Taille und versucht, mich an sich zu ziehen. „Du bist so heiß, Babe.“

An Brandon ist alles riesig, Statur, Muskeln, Hände und vor allem sein Schwanz, der sich mit jedem seiner Worte weiter aus dem Bademantel schiebt. Alles, bloß das nicht! Mit einer schnellen Drehung winde ich mich aus seinem Arm und gehe auf Distanz.

„Sorry, Brandon, nein! Du weißt, dass ich dich mag, aber mein Freund hätte da entschieden was dagegen!“

Mein nicht vorhandener Freund ist mir sicher unglaublich dankbar für meine Standhaftigkeit, doch Brandon nimmt die Abfuhr mit einem Schulterzucken zur Kenntnis und schlurft mit einem:

„Kein Problem, Babe. War nur ein Angebot …“, hinter den Vorhang, um sich endlich anzuziehen.

Ich atme ein paarmal tief durch, um den Schreck abzuschütteln und widme mich wieder meiner Ausrüstung.

 

 

Als Brandon weg ist, laufe ich in meine Wohnung direkt hinter dem Studio. Bis zur Hochzeit bleibt mir gerade noch ein wenig Zeit für eine kurze Dusche, bevor ich mich umziehe.

Während ich mich einseife, taucht das Bild von Brandon in meinem Kopf auf, wie er brünstig wie ein Stier in Kimmy stößt. Nicht, dass ich mich darüber aufrege, dass sie es in meiner Garderobe treiben, bei solchen Shootings gehört das irgendwie dazu, es kommt schon mal vor, dass ich versehentlich in irgendwelche Quickies platze.

Brandon ist einer dieser vor Testosteron triefenden Superkerle, kantiges Gesicht, detailliert modelliertes Sixpack, breite Schultern, schmale Hüften und von seiner linken Hand ziehen sich großflächige Tattoos über den Arm, die halbe Brust und den Rücken. Sein ganzes Leben besteht aus nichts anderem als Sex.

Ohne es zu wollen sehe ich plötzlich mich statt Kimmy auf dem Tisch liegen, mit Brandons Händen auf meinen Brüsten und seinem Schwanz tief in mir. Ich stöhne frustriert und verbanne das Bild schnell wieder aus meinem Kopf. Um nichts in der Welt würde ich mich mit jemandem wie Brandon einlassen! Er dreht auch Hardcorepornos, ist in der Szene bekannt für seinen großen Schwanz und seine Ausdauer. Das ich ausgerechnet von ihm phantasiere, ist ein ganz schlechtes Zeichen.

Mein Liebesleben läuft auf Sparflamme, oder ist, besser gesagt, nicht vorhanden und das soll auch so bleiben. Normalerweise stört es mich nicht, keinen Sex zu haben. Bis auf wenige Momente wie eben hat sich meine Libido sowieso komplett verabschiedet. Wenn ich ehrlich bin, stehe ich nicht sonderlich auf Sex. Sex gibt mir nichts, ich kann mich nicht fallenlassen, gebe niemals die Kontrolle über mich auf. Zu verdanken habe ich das einem Mann namens Sidney Blake und ziemlich schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit. Wahrscheinlich haben mich auch die häufigen Sexshootings abgestumpft. Am Anfang meiner ‚Karriere‘ als Erotikfotografin verspürte ich noch Erregung, wenn ich meinen Models beim Fummeln zusah, doch mittlerweile gehe ich so routiniert an die Sache heran, als würde ich Blümchen auf der Wiese fotografieren.

Außerdem hetze ich die meiste Zeit von einem schlecht bezahlten Shooting zum nächsten, bin oft bis spät in die Nacht auf irgendwelchen Familienfeiern zu Gange und Männer kann man da nicht kennenlernen. Nicht, dass es keine gibt, aber die meisten Kerle, die ich unterwegs treffe, sind entweder verheiratet, vollkommen indiskutabel oder eben Models.

Ich überlege, ob ich ein kleines Intermezzo mit meinem lange vernachlässigten Vibrator einlegen soll, doch ein Blick auf die Uhr macht, dass ich so schnell wie möglich den Schaum von mir abspüle, nach dem Handtuch greife und zusehe, dass ich fertig werde.

 

 

Volles Kontrastprogramm, diese Hochzeit. Die Klamottenauswahl dafür fällt mir nicht schwer. Ich besitze nur zwei ‚bessere‘ Teile, einen kleines Schwarzes für formelle Anlässe und Beerdigungen und eine helles Kostüm von Dolce & Gabbana, das ich preisgünstig in einem Second Hand Laden erstanden habe und in das ich mich bei den erfreulicheren Anlässen werfe. Normalerweise trage ich Jeans, einfache Shirts und schwere Schnürboots, doch die tausche ich jetzt gegen ein ungeliebtes Paar Pumps, die ich ebenfalls im Ausverkauf erstanden habe und die mir eigentlich zu eng sind.

Irgendwas läuft schief in meinem Leben. Ich bin fünfundzwanzig, lebe von der Hand in den Mund und kann nichts vorweisen als ein nach vier Semestern abgebrochenes Jurastudium, ein gemietetes Studio, das zwar billig, aber eine Bruchbude ist und zwei Zimmer mit Bad, die sich direkt daran anschließen.

Ich bin das schwarze Schaf der Familie. George und Ellis West, meine Erzeuger, die ich nach einem Vorfall an meinem sechzehnten Geburtstag nicht mehr Eltern nennen kann, sind erfolgreiche Anwälte und Partner in einer der größten Kanzleien New Yorks. Von mir als ihrer Tochter erwarteten sie, in ihre Fußstapfen zu treten, doch zwei Jahre Gesetztestexte pauken hätten mir fast den Rest gegeben. Noch ein paar Wochen länger an der Uni und ich wäre eingegangen wie eine vertrocknete Primel.

Mein Rückzug von der Juristerei hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. In den Augen meines Vaters war ich nie viel wert gewesen, nichts, was ich tat, war jemals gut genug für ihn. Hauptsächlich nahm er mir übel, dass ich kein Junge war. Vielleicht nahm er auch sich selbst übel, dass er nicht in der Lage war, ein zweites Kind und den ersehnten Thronfolger zu zeugen, jedenfalls war ich seit meiner Geburt der Sündenbock und für alles verantwortlich, was in der Familie schief lief. Meine Mutter war mir keine Hilfe, für sie kam die Arbeit vor allem anderen und ich wurde bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr von einem Kindermädchen zum nächsten durchgereicht.

Meine Entscheidung für die Fotografie entfesselte einen Tornado, den ich so nicht einkalkuliert hatte. Zuerst musste ich mir anhören, dass ich schon immer eine Enttäuschung gewesen sei und mein loser Lebenswandel mich eines Tages umbringen würde. Loser Lebenswandel, dass ich nicht lache! Wer war denn in gewisser Weise mit schuld daran, dass ich über die Stränge schlug? Seit meinem sechzehnten Geburtstag bewegte ich mich permanent am Limit, fühlte mich wertlos und verachtet von meiner eigenen Familie. In Folge dessen trank ich zu viel Alkohol, konsumierte wahllos alles, was es zu schlucken und zu schnupfen gab und hatte zu viele Männer. Wahrscheinlich tat ich das, um meinen Erzeugern zu beweisen, dass ich wirklich die Schlampe war, für die sie mich hielten.

Die Folgen meiner Entscheidung, das Studium sausen zu lassen, waren gravierend, denn ich wurde von meinen Erzeugern im wahrsten Sinne des Wortes ‚gefeuert‘. Von einem Tag auf den anderen stand ich auf der Straße, ohne Geld, ohne Wohnung, nur mit den nötigsten Klamotten in einer kleinen Reisetasche. Ich sollte am eigenen, undankbaren Leib erfahren, dass das Leben hart und ich nicht in der Lage sei, mich allein durchzuschlagen.

Meine Erzeuger warten seitdem darauf, dass ich reumütig zurückgekrochen komme, doch den Gefallen werde ich ihnen niemals tun. Lieber friste ich mein Leben unter einer Brücke, wenn es wirklich mal hart auf hart kommt. Diese Leute haben ihre eigene Tochter verraten, haben mir nicht beigestanden, als ich sie am dringendsten brauchte und das würde ich ihnen niemals verzeihen können.

Die Einzige aus der Familie, die immer zu mir hielt, war meine Großmutter Emilie. Meine Mutter interessierte sich für ihre eigene Mutter genauso wenig wie für mich. Grandma bewohnte eine kleine Dreizimmerwohnung in Brooklyn und nahm mich bei sich auf. Sie spendierte mir meine erste Fotoausrüstung und im Gegenzug ließ ich die Finger von den Drogen. Das Jahr bei ihr wurde das Beste meines Lebens. Ich war dabei, zu mir selbst zu finden, doch dann fand ich sie eines Morgens tot in ihrem Bett und war endgültig auf mich allein gestellt. Sie hinterließ mir zehntausend Dollar, die ich in meine Ausrüstung und in mein Studio investierte.

Das Fotografieren ist meine größte Begabung, ich besitze ein gutes Auge, nur habe ich bei der Vermarktung meiner künstlerisch wertvollen Fotos überhaupt kein Glück. Am liebsten möchte ich zurück an die Uni gehen und Fotografie studieren, doch der Kampf ums tägliche Überleben hindert mich daran. Ich hangele mich von Tag zu Tag mit Hochzeiten, Firmungen, Beerdigungen und eben diesen mittlerweile echt nervigen Erotikshootings. Aber Geld stinkt nicht, die Schmuddelfotos bringen halbwegs gutes Geld und was das Beste daran ist, mein Vater würde durchdrehen, sollte er jemals erfahren, womit ich den Hauptteil meines Lebensunterhalts bestreite. Für ihn wäre ich damit endgültig in der Gosse gelandet.

 

 

Die Hochzeit, zu der ich gleich gehe, ist für mich das Highlight der Woche, denn der Bräutigam ist Jeremy Stansfield … Jamie … mein bester Freund. Die Fotos, die ich an diesem Abend schießen werde, sind mein Hochzeitsgeschenk für ihn und seine zukünftige Frau Gwen. Seine Familie ist mindestens genauso gut betucht wie meine, aber bei weitem nicht so kaputt. Der alte Stansfield hat ein Vermögen mit Autoersatzteilen verdient, wechselte dann in die Politik und überließ seinem Sohn die Firmenleitung.

Jamie und mich verbindet etwas, dass wir vor allen anderen verborgen gehalten haben. Er und seit kurzem auch Gwen sind die einzigen Außenstehenden, die wissen, was in der Nacht nach meinem sechzehnten Geburtstag wirklich geschehen ist. Jamie hat mich damals aufgelesen, als ich zugedröhnt, ohne zu wissen wo ich war, auf der Straße herumirrte und ihm buchstäblich ins Auto lief. Er studierte zu der Zeit im ersten Jahr an der NYU und nahm mich ohne viel zu fragen mit in seine Studentenbude. Er half mir, von meinem Trip runterzukommen und hielt mich fest, bis ich nicht mehr weinen konnte.

Jamie Stansfield wurde mein bester Freund, lange Zeit der einzige, dem ich vertraute, dem ich alles sagen konnte und der mich nicht verurteilte. Vielleicht hätte er die Liebe meines Lebens werden können, wenn ich damals nicht viel zu kaputt gewesen wäre, um echte Liebe zu empfinden. Mit der Liebe zwischen uns wurde es nichts, doch unsere Freundschaft überlebte meine wilden Jahre. Er fand in Gwen Taylor die Frau, die er liebt und heute wird er sie heiraten. Gwen und ich verstehen uns gut, ich mag sie sehr. Sie ist wunderschön, hat ein großes Herz und wird Jamie eine wunderbare Frau sein.

Probeweise versuche ich ein paar Schritte in den unbequemen Schuhen und verziehe das Gesicht. Hoffentlich dehnen sich die Dinger im Laufe der Zeit, ansonsten wird der Abend die Hölle werden …

 

 

 

 

Ethan

Familienfeiern öden mich an und wenn mich meine Mutter nicht angefleht hätte, sie zu begleiten, hätte ich meiner Lieblingscousine Gwen, die ich unheimlich gern mag, aber viel zu selten sehe, zur Hochzeit einfach eine Karte geschickt und ihr ein schönes Leben gewünscht.

Mittlerweile ist es kurz vor Mitternacht, ich sitze eingezwängt zwischen meiner Mutter und Tante Elisabeth und bemühe mich, ihre Gespräche über grauen Star und gestiegene Kartoffelpreise zu einem Ohr rein- und zum anderen gleich wieder rausrutschen zu lassen. Mein Vater hat sich längst vom Acker gemacht und sitzt mit ein paar anderen Männern, einer guten Flasche Whiskey und einer Kiste Zigarren im Raucherzimmer. Ich entschuldige mich bei den Damen und flüchte, als sie in allen blutigen Einzelheiten beginnen, die Hämorridenoperation eines Mannes, der mir gänzlich unbekannt ist, auszuschlachten.

Ich bin kein Familienmensch, ich kann gut ohne diese Verpflichtungen, meine Eltern mal ausgenommen, leben. Auf Familienfeiern sind immer dieselben Leute, es werden immer dieselben überflüssigen Fragen gestellt, aber es gibt weit und breit nichts zum Flachlegen.

„Ethan, wie geht es dir?“, Susan, die Frau meines Onkels James fängt mich auf dem Weg zur Bar ab, fällt mir um den Hals und küsst mich auf die Wange. Susan ist fünfundzwanzig Jahre jünger als mein Onkel, hat einen für meinen Geschmack viel zu großen Hintern und winzige Titten. Ich habe sie mal aus lauter Frust bei einer anderen Hochzeit in der Garderobe zwischen den Mänteln gevögelt und musste ihr dabei den Mund zuhalten, damit sie nicht die ganze Gesellschaft zusammenschrie. Später hatten wir uns gemeinsam an der Bar die Kante gegeben.

„Schön dich zu sehen, Susan“, ich überlege tatsächlich kurz, ob ich sie klarmachen soll. Ihr Hintern ist zwar nicht kleiner geworden in der Zwischenzeit, doch ihre Oberweite hat beträchtlich an Umfang zugenommen. Hat Onkel James etwa Geld für eine doppelte Portion Silikon springen lassen? Mein Blick gleitet prüfend an ihr hinunter, ich entdecke eine ziemliche Kugel unter ihrem Kleid und verabschiede mich postwendend von dem Gedanken an einen weiteren Frustfick mit ihr. Susan ist schwanger. Ich lächle unverbindlich und hoffe für Onkel James, dass er selbst den Treffer im Loch versenkt hat. Nach kurzem Smalltalk verschwindet Susan wieder in den Tiefen des Saals und ich steuere die Bar an.

Normalerweise trifft man auf Hochzeiten jede Menge williger Frauen auf der Suche nach Mister Right, doch hier und heute ist nichts zu holen. Gwen und Jeremy haben die Familie und ihren engsten Freundeskreis um sich versammelt einschließlich Gwens besten Freundinnen, doch bei denen beiße ich auf Granit. Sie hassen mich. Denise und Marie hassen mich, weil ich sie gevögelt habe, Sandra, Cat und Jane hassen mich, weil ich sie niemals vögeln werde und da die einzige weitere Frau in diesem Raum, die einen Versuch wert wäre, meine Cousine und damit absolut tabu ist, bleibt mir nur, mich rettungslos zu betrinken.

Versunken in einem ordentlichen Maß Selbstmitleid ordere ich an der Bar einen doppelten Scotch, kippe ihn in zwei schnellen Zügen hinunter und schiebe dem Barmann mein Glas zum Nachfüllen zu.

Vor mir wuselt die blonde Fotografin herum, die den denkwürdigen Abend für die Ewigkeit festhalten soll. Sie ist nicht sonderlich groß, trägt ihr Haar in einer komplizierten Flechtfrisur und ich habe sie bisher nicht wirklich beachtet. Zu klein, zu unscheinbar und permanent einen Fotoapparat vor dem Gesicht. Zudem steckt sie in einem nachgemachten, bonbonrosafarbenen ‚Designerkostüm‘, in dem sie aussieht wie ihre eigene Mutter. Die zwei Jahre bei Violetta und Alexander haben meinen Blick für gute Kleidung geschärft und was die Kleine da trägt, ist grausig. Sie ist jung, maximal Mitte zwanzig, wieso zieht sie sie sowas an? Wahrscheinlich ist sie eins dieser langweiligen Mauerblümchen, die keinen abbekommen und völlig frustriert sind. Von hinten ist ihre Figur nicht schlecht, unter dem engen Rock zeichnet sich ein netter Arsch ab, doch leider ist der Rock viel zu lang, so dass ich ihre Beine nicht in Gänze beurteilen kann.

Leicht gebückt läuft sie rückwärts, streckt dabei ihren runden Hintern heraus und stiert aufs Display. Sie ist so vertieft, dass sie jeden Moment in mich hineinrennen wird. Als ihr Hinterteil nur noch zehn Zentimeter von meiner Körpermitte entfernt ist, überlege ich, ob ich ihr auf die Schulter tippen und sie warnen soll, doch dann lasse ich es darauf ankommen und wappne mich für den Zusammenstoß. Sie prallt gegen meinen Unterleib, ich packe zu und halte sie fest. Nicht am Hintern, obwohl die Verlockung groß ist, aber das ginge dann doch entschieden zu weit. Ich bin kein netter Kerl, aber ich bin auch kein Wüstling. Nein, ich greife ihre Hüften, doch darüber scheint sie mehr zu erschrecken als über den Zusammenstoß, jedenfalls gleitet ihr die Kamera aus der Hand und fällt zu Boden. Sie fährt herum, sieht mich erschrocken an und ich verliere mich in den erstaunlichsten blauen Augen, die mir jemals untergekommen sind - klar wie ein Bergsee, auf dem sich die Sonne spiegelt und tief genug, um darin zu ertrinken.

Ihre herzförmig geschwungenen Lippen öffnen sich vor Erstaunen, entblößen ebenmäßige, weiße Zähne und mich überfällt das unbändige Verlangen, sie an mich zu ziehen und zu küssen.

 

 

 

 

Lily

Wahnsinn, wer ist das? Wieso habe ich ihn die ganze Zeit übersehen? Schon allein auf Grund seiner Körpergröße hätte er aus allen Anwesenden herausragen müssen. Er ist mindestens eins neunzig, trägt einen dunkelgrauen Anzug, der garantiert vierstellig gekostet hat, und sieht überheblich lächelnd auf mich herab. Herrje, ich bin nicht nur einfach mit ihm kollidiert, ich habe ihm meinen Hintern gegen den Schwanz gerammt! Aber fuck, sieht der Kerl gut aus … er sieht viel zu gut aus und er ist gebaut wie … ein Model.

‚Bitte, bitte lass ihn kein Model sein‘, tickert es in meinem Kopf.

Habe ich vorhin tatsächlich behauptet, meine Libido hätte sich verabschiedet? Pustekuchen, die Gute meldet sich mit Getöse zurück und macht sich schmerzhaft in meinem Unterleib bemerkbar.

Sein Blick gleitet über mich, arrogant und herablassend, doch urplötzlich wandelt sich der Ausdruck in seinen Augen. Er starrt mich an, als hätte er einen Geist gesehen. Ich nehme Erstaunen wahr und gleich darauf etwas, das ich nicht benennen kann. Ich könnte fast schwören, so etwas wie Sehnsucht in seinem Blick zu lesen, doch das verwerfe ich schnell wieder. Ein Mann wie er und eine Frau wie ich? Never ever!

Seine Augen lösen sich aus meinen und wandern langsam an mir hinunter. Sie taxieren mich, bleiben eine Weile an meinen Brüsten hängen und ziehen mich schamlos aus. Jedem anderen hätte ich spätestens jetzt eine gescheuert, doch bei ihm stört es mich überraschenderweise nicht. Seine Blicke machen, dass mein ganzer Körper prickelt, so als würde ich in Champagner baden. Nicht, dass ich das jemals getan hätte, aber ich stelle mir vor, dass es sich genauso so anfühlen muss. Oh ja, mit einem wie ihm würde jede Frau gern mal in Champagner baden.

Seine vollen, sinnlichen Lippen bewegen sich, ich klebe mit meinen Augen an ihnen, doch ich begreife kein Wort von dem, was er sagt. Die Zeit scheint still zu stehen und nur langsam dringen mir seine Worte ins Bewusstsein.

„… Ihre Kamera“, verstehe ich schließlich und muss ihn wohl angesehen haben wie ein Volltrottel, denn er nimmt mich bei den Schultern, dreht mich um und weist auf den Boden. Dort liegt meine Canon und ich komme schlagartig wieder zu mir. Der Typ hat mich so in seinen Bann gezogen, dass mir überhaupt nicht bewusst geworden ist, dass ich sie fallengelassen habe. Natürlich hat sie den Aufschlag auf dem harten Steinboden nicht überlebt und ist zerbrochen.

„Fuck, fuck, fuck“, fluche ich, starre fassungslos auf den Haufen Schrott vor meinen Füßen und bin den Tränen nah. Das Ding ist eindeutig hin, Reparatur unmöglich und eine neue kann ich mir im Moment nicht leisten.

„So schmutzige Worte aus einem so schönen Mund?“, kommt es spöttisch von oben. Ich schieße ihm einen tödlichen Blick zu, was bewirkt, dass sich seine dichten, schön geformten Augenbrauen zusammenziehen und er herablassend sagt:

„Schon Mist, dass man hinten keine Augen hat. Sie sollten in Zukunft besser aufpassen, wo Sie hinlaufen.“

Als ob ich das nicht selbst wüsste, Klugscheißer! Ich bücke mich, klaube die Reste der Canon zusammen und sehe traurig auf den Schrott in meinen Händen.

„Vielleicht kann man ja die Speicherkarte noch retten“, sagt er. „Sind da auch die Fotos von der Trauung mit drauf?“

„Nein, dafür habe ich eine andere Kamera benutzt“, antworte ich mit belegter Stimme.

„Alles klar, Lily?“, Gwen steht plötzlich neben mir und mustert mich besorgt.

„Ja, alles gut, außer dass ich eine kleine Kollision mit dem Herren da hatte und meine Kamera dabei zu Bruch gegangen ist. Aber keine Angst, die wirklich wichtigen Bilder sind in Sicherheit.“

„Kleine Kollision?“, Gwen schießt Mister Wahnsinn einen missbilligenden Blick zu.

„Ich kann nichts dafür“, er hebt entschuldigend die Hände und lächelt entwaffnend. „Passiert mir ständig. Die Frauen machen alles Mögliche, um mich kennenzulernen.“

Ich habe mich wohl verhört? Denkt er tatsächlich, ich hätte das absichtlich gemacht?

„Glauben Sie wirklich, ich hätte das nötig?“, zische ich. „Ich stehe nicht auf arrogante Mistkerle.“

Ihm scheint das einen Heidenspaß zu machen, seine Augen blitzen vor Vergnügen. Der Idiot begreift offenbar nicht, dass ich die Kamera brauche, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Sicher kommt es bei ihm nicht drauf an, so wie er aussieht, hatte er genug Geld, um in Saus und Braus zu leben.

Gwen sagt resolut:

„Schluss jetzt Ethan!“

Er zuckt gespielt erschrocken zusammen, nimmt sie grinsend in den Arm und drückt ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Wer könnte dir widersprechen, Gwen. Ich benehme mich ab sofort, versprochen.“

„Versprich nicht, was du nicht halten kannst“, sagt sie und versetzt ihm einen spielerischen Stoß mit der Faust. „Oh Lily, was für ein Mist mit der Kamera. Ich spreche mit Jamie, wir ersetzen dir den Schaden natürlich. Außer, der liebe Ethan will das Unheil selbst wieder gut machen, das er angerichtet hat.“

Unwillig schüttele ich den Kopf. Soweit kommt es noch, dass ich andere für meine Blödheit bezahlen lasse! Gwen ist wie immer hartnäckig und lässt sich nicht beirren.

„Kein Widerspruch! Und bitte versprich mir, dass du eine Rechnung für den heutigen Tag stellst.“

Mittlerweile bin ich wieder komplett Herrin meiner Sinne und auch meine Stimme funktioniert wieder richtig.

„Die Fotos sind euer Hochzeitsgeschenk!“, protestiere ich energisch. „Wenn ich euch schon sonst nichts schenken kann, dann wenigstens das.“

Ich schicke einen Blick zu Ethan und sehe, dass er mich mit eigentümlichem Blick beobachtet.

„Dafür, dass die Kamera kaputt ist, kann niemand was außer mir. Er hat recht, ich hätte besser aufpassen müssen.“

„Lily!“, Gwen sieht mich eindringlich an. „Lass dir doch helfen.“

Ich schüttle noch einmal den Kopf und werfe einen Seitenblick zum ‚lieben Ethan‘. Hinsehen und sofort wieder die Augen abwenden ist eins. Wie er mich anstarrt … mit zusammengekniffenen Augen, wie ein hypnotisiertes Karnickel. Bekommt der das überhaupt mit?

„Gwen lass bitte“, sage ich. „Ich habe nicht aufgepasst und bin in ihn hineingerannt. Das ist alles durch meine eigene Blödheit passiert, also vergiss es einfach.“

Ich stopfe die Reste der Kamera in meine Tasche und beschließe spontan, nach Hause zu fahren.

„Sei mir nicht böse, aber ich werde jetzt gehen, war ein langer Tag für mich. Aber eins kannst du mir glauben, du bist die hinreißendste Braut, die ich jemals fotografieren durfte.“

Gwen grinst und bedankte sich artig, dann nimmt sie mich in die Arme und drückt mich.

„Ich schätze, Jamie und ich bleiben auch nicht mehr lange“, flüstert sie mir ins Ohr. „Schade, dass du nicht siehst, was ich drunter trage, ich kann es kaum erwarten, dieses Kleid loszuwerden.“

Sie sieht mich verrucht an und wir prusten los. Oh ja, Jamie wird eine denkwürdige Hochzeitsnacht bekommen, dessen bin ich mir sicher.

„Ich verabschiede mich noch schnell von ihm“, sage ich. „Ich maile euch die Fotos vorab Mitte der Woche, dann könnt ihr während der Flitterwochen schon mal einen Blick drauf werfen.“

„Danke Lily“, Gwen küsst mich zum Abschied auf die Wange, ich nicke dem ‚lieben Ethan‘ knapp zu und mache mich auf die Suche nach Jamie.

 

 

 

 

Ethan

Sie hat tatsächlich Tränen in den Augen, als sie die Bescherung mit der Kamera realisiert. Ihre bodenlosen blauen Augen mit den goldenen Pünktchen um die Iris glänzen verdächtig, als sie mich ansieht und ich flüchte mich in die üblichen blöden Sprüche, die ich normalerweise bei solchen Gelegenheiten absondere.

Sie fängt sich schnell wieder, wirkt cool, doch ich hätte meinen Arsch darauf verwettet, dass sie verletzlicher ist, als sie sich gibt. Etwas an ihr berührt mich, ich kann nicht sagen was es ist, aber ein Blick in ihre Augen hat gereicht, um mich umzuhauen. Jetzt ist sie weg und ich könnte mich ohrfeigen, dass ich sie einfach so habe gehen lassen.

„Wer ist sie?“, frage ich Gwen, die noch immer neben mir steht.

„Sie heißt Lily, Lily West. Jamie und sie kennen sich schon ewig. Wir sind sehr gut miteinander befreundet.“

„Eine kleine Chaos- Braut, oder? Warum habt ihr sie die Fotos schießen lassen und keinen Profi?“

„Oh, sie ist ganz und gar nicht chaotisch und sie ist ein Profi. Sie hat ein eigenes Studio. Allerdings läuft das nicht besonders gut, deshalb trifft sie der Verlust der Kamera mit Sicherheit hart.“

„Warum hat sie dann deine Hilfe abgelehnt?“

Gwen lächelt.

„Lily würde sich niemals auf diese Art helfen lassen, dafür ist sie viel zu stolz. Sie ist eine super Fotografin, nur hat sie es bisher nicht geschafft, auch den Rest der Menschheit davon zu überzeugen. Jamie sorgt in regelmäßigen Abständen dafür, dass sie neue Werbefotos für die Firma macht, aber mehr kann er auch nicht für sie tun. Sie schlägt sich so durch.“

Das kenne ich, noch vor zwei Jahren habe ich mich auch gerade so durchgeschlagen. Immer am Rand des Minimums … bis Violetta in mein Leben trat, die Frau, der ich einen Großteil von dem verdanke, was ich heute bin.

„Du scheinst sie zu mögen … diese Lily“, stelle ich scheinheilig fest. Leider kann ich Gwen nicht täuschen, bei ihr läuten sofort sämtliche Alarmglocken.

„Du wirst mich nicht über Lily aushorchen und dein Wissen gegen sie verwenden“, sagt sie. „Wir wissen doch beide, was für ein Schweinehund du bist.“

„Schweinehund?“, entgegne ich gespielt empört, doch Gwen schüttelt den Kopf.

„Lily hat es schwer genug, sie kann nicht noch zusätzliche Komplikationen durch einen Mistkerl wie dich gebrauchen, also schlag sie dir gleich wieder aus dem Kopf. Hast du verstanden?“

Ich kenne meine Cousine gut genug, um nicht weiter in sie zu dringen. Aus ihr werde ich kein Wort mehr über Lily West herausbekommen.

Gwen versucht, sich mit ihrem weiten Brautrock auf einen Barhocker neben mich zu setzen, doch es gelingt ihr nicht so recht. Ich umfasse ihre schmale Taille mit beiden Händen, hebe sie hoch und setze sie sicher auf dem Hocker ab.

„Und, wie läuft’s bei dir?“, fragt sie. „Wir haben uns ewig nicht gesehen.“

„Ziemlich gut“, antworte ich. „Ich bereite gerade eine Ausstellung hier in New York vor und im Herbst bekomme ich einen eigenen Ausstellungsraum in der Gleeson- Galerie in Los Angeles.“

„Die Gleeson in L.A., wow“, Gwen macht große Augen. „Du hast es wirklich geschafft, Ethan.“

„Kann man so sagen.“

„Wer hätte das gedacht, aus dem kleinen Ethan ist tatsächlich ein großer Maler geworden.“

„Kleiner Ethan“, schnaube ich verächtlich, doch dann muss ich lachen. Sie hat ja recht. Gwen ist zwar drei Jahre jünger als ich, doch als sie dreizehn war, überragte sie mich um einen guten halben Kopf. Erst mit siebzehn schoss ich in die Höhe und meine Mutter hatte berechtigte Angst, dass ich nicht aufhören würde, zu wachsen. Ich habe es auf stattliche eins zweiundneunzig gebracht und fühle mich recht wohl in der Höhe.

„Naja, von groß reden wir lieber noch nicht“, ich gebe mich bescheiden. „Sagen wir es so, ich bin gut und auf dem besten Weg, mir dauerhaft einen Namen zu machen.“

„Dann sollten wir wohl noch schnell zuschlagen, bevor du so teuer wirst, dass wir uns dich nicht mehr leisten können“, Gwen grinst schelmisch. Ich gebe das Grinsen umgehend zurück und sage:

„Daraus entnehme ich, dass du noch nicht alle Hochzeitsgeschenke geöffnet hast.“

„Du hast uns ein Bild geschenkt?“, quietscht Gwen begeistert. Ich zucke mit den Schultern und lache.

„Was sollte ich euch sonst schenken? Einen Satz Töpfe vielleicht?“

Gwen springt mit Schwung vom Hocker und fällt mir um den Hals.

„Danke, Ethan. Das muss ich gleich Jamie erzählen, der wird sich freuen, er ist ein großer Fan von dir.“

„Ist er das?“, brumme ich. „Er kennt mich doch eigentlich überhaupt nicht.“

„Sei nicht so ein Miesepeter!“, Gwen küsst mich auf die Wange und flitzt davon, ihren weiten Rock hoch aufgebauscht hinter sich herziehend. Ich genehmige mir einen weiteren Scotch, ignoriere das einladende Winken von Großonkel Ben und rufe mir ein paar ganz spezielle meerblaue Augen in Erinnerung.


Zwei

 

 

Lily

Dieser Ethan … er geht mir nicht aus dem Kopf. Sollte er aber, er ist mit Sicherheit ein Scheißkerl und ich werde ihn aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso nicht wiedersehen. Natürlich hätte ich lediglich Gwen anrufen müssen, um herauszufinden, wer er ist, aber die schwebt mit Jamie im Flitterwochenhimmel und hat garantiert seit Tagen das Bett nicht verlassen.

Wie er mich angesehen hat! Noch immer kann ich seine Blicke nicht recht deuten. Seine anfängliche Herablassung war in Bewunderung umgeschlagen, eindeutig, aber ich kann mich natürlich täuschen. Vielleicht habe ich nur gesehen, was ich sehen wollte. Wahrscheinlich ist er einfach nur ein guter Schauspieler und unglaublich von sich eingenommen. Männer im Allgemeinen und vor allem Männer wie er können mir gestohlen bleiben, ich kenne die Sorte nur zu genau.

 

 

Im Studio herrscht brütende Hitze. Die Scheinwerfer, die ich für meine Aufnahmen benötige, heizen die eh schon stickige Luft noch zusätzlich auf und eine funktionierende Lüftung gibt es in meinem Laden nicht.

Vor mir, auf einem altmodischen Chaiselongue, welches ich letztes Jahr vom Sperrmüll geklaut und mit schwülstigem, burgunderrotem Samt neu bezogen habe, räkelt sich Janice, mein letzter Termin für heute. Sie ist eine Frau Mitte vierzig, die sich für ihren Mann erotisch in Szene setzen lassen will. Das Shooting mit ihr ist der Hammer, diese Frau einfach Lebensfreude pur und von einer natürlichen Sinnlichkeit, die kaum eins meiner Erotikmodels vorweisen kann.

Sie erzählt mir, dass sie in ein paar Wochen silberne Hochzeit feiern wird und ihren Mann mit diesen ganz speziellen Aufnahmen überraschen will. Wahnsinn, dass es tatsächlich Paare zu geben scheint, die selbst nach so langer Zeit noch richtig scharf aufeinander sind.

Ich muss ihr kaum Anweisungen geben. Nur mit einer langen Perlenkette und halsbrecherisch hohen Heels bekleidet, hat sie sich quer über das Sofa drapiert und posiert wie ein waschechter Profi. Solche, leider viel zu seltenen Momente rufen mir in Erinnerung, warum ich meinen Beruf gewählt habe.

Nach neunzig Minuten sind die Aufnahmen mit Janice im Kasten. Sie zieht sich hinter dem Vorhang an und bringt ihr sexy Makeup zurück auf Tagesstandard.

„Es war total schön mit dir, das machen wir bei Gelegenheit mal wieder.“

Sie umarmt mich und küsst mich zum Abschied auf beide Wangen.

„Ich werde dich auf jeden Fall weiterempfehlen.“

„Danke, Janice“, antworte ich gerührt. „Hat mir auch riesigen Spaß gemacht.

 

 

Ich sichte gerade die Fotos am Computer, als ich höre, dass sich die Ateliertür öffnet.

„Es ist geschlossen“, rufe ich und recke mich über den Bildschirm, um zu sehen, wer gekommen ist. Die Erkenntnis, dass ‚ER‘ es ist, trifft mich wie ein Schlag.

Ethan lehnt lässig in der Tür, mit einem Lächeln auf den Lippen, das die schwüle Atmosphäre im Studio noch um ein paar Grad zusätzlich aufheizt. Den Anzug hat er zu Hause gelassen, heute trägt er schwarze Designerjeans und ein enges, blaugraues T- Shirt, unter dem sich jeder einzelne Muskel seines austrainierten Oberkörpers abzeichnet. Als er mich entdeckt, löst er sich aus dem Türrahmen, kommt auf mich zu und reicht mir die Hand.

„Hi, ich bin Ethan Prince, Sie erinnern sich? Wir kennen uns von Gwens Hochzeit“, sagt er mit seiner tiefen, samtigen Stimme, die mir schon auf der Hochzeitsfeier aufgefallen ist. Ich stehe auf, ergreife seine Hand, sehe ihm in die Augen und versinke in dem warmen Braunton.

 

 

 

 

Ethan

Sie sieht heiß aus, ganz anders als vor ein paar Tagen in ihrem komischen, rosafarbenen Bonbonkostüm. Heute trägt Lily West uralte, verwaschene Jeans, die kurz vor der Auflösung stehen und ein hautenges Tanktop, das ihre Kurven geradezu atemberaubend zur Geltung bringt. Die blonden Haare hat sie zu einem dicken Pferdeschwanz nach hinten gebunden und der Haaransatz über ihrer Stirn ist feucht und kringelt sich zu winzigen Löckchen, kein Wunder bei der Affenhitze hier drin. Der schäbige Laden erinnert mich daran, wo ich herkomme und dass ich vor noch gar nicht allzu langer Zeit ähnlich gehaust habe.

Sie sieht mich dermaßen fassungslos an, dass ich plötzlich Hemmungen bekomme, auf sie zuzugehen. Hemmungen? Ich? Ist ja mal was ganz neues! Entschlossen halte ich ihr meine Hand entgegen, schließlich habe ich eine gute Erziehung genossen, und sage:

„Hi, ich bin Ethan Prince, Sie erinnern sich? Wir kennen uns von Gwens Hochzeit.“

„Ja, ich erinnere mich“, antwortet Lily und ich bin schon wieder weg von diesen Augen … diesen bodenlosen, tiefblauen Seen, sie überraschen mich von neuem und ich vergesse für einen Moment, warum ich gekommen bin. Dann wird mir schmerzlich bewusst, dass sie meine Hand losgelassen und sich hinter einen Tresen geflüchtet hat, der den Eingangsbereich vom Rest des Ateliers abtrennt.

Das Klingeln ihres Handys bringt mich endgültig in die Realität zurück. Lily sieht mich entschuldigend an, läuft in den hinteren Teil der Räumlichkeiten, um ungestört zu telefonieren und ich sehe mich um. Das Studio ist nicht sonderlich groß und ziemlich verwinkelt. Ein Teil davon wird von einem plüschigen, uralten Samtsofa dominiert, das vor einem überdimensionalen Spiegel mit wuchtigem, barocken Rahmen steht. Nicht unbedingt mein Geschmack, aber es passt hierher in die leicht marode wirkende Umgebung. Schräg gegenüber befindet sich ein Schreibtisch mit einem großen Monitor und ich erhasche einen Blick auf eine Fotoübersicht. Lily ist noch am Telefonieren, ich höre ihre Stimme und in der Hoffnung, dass sie noch einen Moment wegbleibt, trete ich an den Schreibtisch. Die Fotos auf dem Bildschirm sind fantastisch. Auf dem Plüschsofa räkelt sich eine nackte Frau im Halbdunkel. Man ahnt mehr von ihrem Körper, als man sieht. Gern hätte ich mir die Bilder größer angesehen, doch plötzlich steht Lily neben mir und klickt sie weg.

„Die sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt“, schimpft sie und ich schäme mich ein wenig, weil ich geschnüffelt habe.

„Was kann ich für Sie tun?“, ihr Tonfall wandelt sich, klingt geschäftsmäßig. „Möchten Sie sich fotografieren lassen?“

Ich begreife nicht gleich, doch dann lache ich und schüttele den Kopf.

„Nein … nein, möchte ich nicht. Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen. Wegen Samstag … die Kollision.“

„Aber das war doch nicht Ihre Schuld“, sagt Lily und runzelt verwirrt die Stirn. Dort löst sich ein Schweißtropfen und rinnt langsam an ihrer Schläfe herunter. Wie gebannt starre ich darauf, würde ihn am liebsten mit dem Finger verfolgen. Lily wischt den Tropfen mit dem Handrücken weg, nimmt dabei unbewusst ihre Unterlippe zwischen die Zähne und lässt sie langsam wieder herausgleiten. Herrgott, sieht das scharf aus. Ich stelle mir vor, die Konturen ihrer Lippen mit dem Daumen nachzuziehen und meine Zunge folgen zu lassen. Verdammt, ich sollte an etwas anderes denken, denn allein der Gedanke daran lässt meinen Schwanz zum Leben erwachen.

„Doch, war es“, antworte ich schnell. „Ich wusste, dass Sie in mich hineinrennen würden. Sie waren so vertieft in die Arbeit, ich fand es witzig, wie Sie vor mir herumgetanzt sind und ich hätte Sie aufhalten können, aber ich habe es nicht getan, also … meine Schuld. Hier …“

Ich schiebe ihr das Päckchen, das ich mitgebracht habe, über den Tresen.

„ … zur Wiedergutmachung.“

Ihr Gesichtsausdruck wechselt binnen Sekunden von verwirrt über skeptisch zu absolut wütend. Sie ignoriert das Päckchen und funkelt mich mit mittlerweile dunkelblauen Augen an.

„Sie wollen also sagen, dass meine Kamera nur zu Bruch gegangen ist, weil Sie sich einen Scherz auf meine Kosten erlaubt haben?“

Ich zucke bedauernd mit den Schultern, lege mein bestes zerknirschtes Grinsen auf und weil ich weiß, wie das auf Frauen wirkt, schicke ich noch ein richtiges Lächeln hinterher. Leider vergeblich, sie lässt sich nicht um den Finger wickeln. Im Gegenteil, sie flitzt hinter dem Tresen hervor und pflanzt sich in ihrer vollen Größe von geschätzten eins fünfundsechzig vor mir auf.

„Sie können sich Ihre Entschuldigung sonst wohin stecken“, faucht sie. „Mit der Kamera habe ich gearbeitet. Auch wenn sich so ein reicher Schnösel wie Sie es sich wahrscheinlich nicht vorstellen kann, manche Leute müssen tatsächlich für ihren Lebensunterhalt arbeiten!“

Reicher Schnösel? Ich lache auf. Ja, klar, auf der Hochzeit trug ich meinen schweineteuren Maßanzug, den ich mir auf Violettas Anraten hin für besondere Anlässe zugelegt habe. Sie ist der Ansicht, dass ich mittlerweile genug verdiene, um mir anständige Klamotten leisten zu können, aber reicher Schnösel? Davon bin ich meilenweit entfernt.

„Beruhigen Sie sich“, sage ich besänftigend. „Es tut mir wirklich leid, was passiert ist. Bitte sehen Sie sich doch wenigstens an, was ich mitgebracht habe, bevor …“

Blitzschnell dreht sie sich zum Tresen um und greift nach der Schachtel.

„Nicht werfen“, brülle ich erschrocken, doch es ist zu spät, sie schmeißt mein Mitbringsel Richtung Ausgang. Ich mache einen Hechtsprung, kann die Schachtel gerade noch fangen und lege mich dabei fast lang. Da ich eindeutig auf verlorenem Posten stehe, beschließe ich, mich vom Acker zu machen, ehe die Sache komplett eskaliert.

„Okay“, sage ich und hebe beschwichtigend die Hand. „Bin schon weg.“

Im Hinausgehen lege ich die Schachtel neben der Tür ab, drehe mich noch einmal um und sage:

„Es tut mir wirklich leid, was passiert ist. Bitte sehen Sie wenigstens hinein, bevor Sie es wegwerfen.“

Ich zwinkere ihr zu und werfe einen letzten Blick auf sie. Eine goldene Strähne hat sich aus ihrem Zopf gelöst und hängt ihr ins Gesicht. Wie sie da steht, breitbeinig, die Hände in der Taille, die Brust herausgestreckt, wirkt sie wie eine kriegsbereite Amazone und so sexy, dass ich fast einen Ständer bekomme. Wie ich diese Frau jemals für hausbacken und langweilig hatte halten können, ist mir ein Rätsel. Lily West hat Pfeffer im Blut und zwar gewaltig … und sie ist wunderschön.

„Raus jetzt“, schnauzt sie und ich mache zu meiner eigenen Sicherheit, dass ich wegkomme. Irgendwie bin ich mir sicher, dass ich sie schon bald wiedersehen werde.

 

 

 

 

Lily

Der Typ hat echt Nerven. Kreuzt hier auf, erzählt mir mal eben, dass er sich einen kleinen Scherz mit mir erlaubt hat und denkt tatsächlich, den Verlust meiner Kamera mit einem Lächeln und einem Entschuldigungsgeschenk wiedergutmachen zu können. Allerdings ist das Lächeln umwerfend gewesen und sein Oberkörper unter dem engen Shirt einfach atemberaubend.

Ich erleide einen mittleren Schock, als ich ihn so plötzlich in der Tür stehen sehe, mein Herz schlägt Stakkato und so richtig habe ich mich noch immer nicht beruhigt. Mit Gwen muss ich dringend ein Hühnchen rupfen, denn wahrscheinlich habe ich es ihr zu verdanken, dass er hier aufgetaucht ist.

„Komm runter, Lily“ murmele ich vor mich hin. „Den hast du so gekonnt vergrault, der lässt sich garantiert nicht wieder blicken.“

An der Tür steht noch immer sein Mitbringsel, schön verpackt in silbernes Geschenkpapier. Ich bleibe davor stehen und überlege, ob ich es mit einem Tritt in die Ecke befördern soll, doch dann siegt die Neugier. Ich trage es zum Tresen, reiße die Verpackung runter und schnappe nach Luft. Himmelherrgott nochmal, ich habe das Päckchen quer durchs Studio gepfeffert, nicht auszudenken, wenn Ethan es nicht gefangen hätte!

Vor mir steht ein niegelnagelneues Canon- Modell der Spitzenklasse. Ich habe es letztens in der Auslage eines Fotoladens gesehen, mich mit tränenden Augen wegen des Preises abgewandt und das gute Stück im Internet gesucht. Dort war es zwar ein wenig günstiger im Angebot, aber immer noch absolut unerschwinglich für mich. Und jetzt liegt es hier vor meinen Augen! Das Teil ist dreimal so teuer wie die Kamera, die ich geschrottet habe. Entweder ist der Kerl verrückt oder Krösus. Aber selbst wenn er Geld wie Heu hat, ich kann das unmöglich annehmen.

Vorsichtig nehme ich das Prachtstück aus der Schachtel, begutachte es von allen Seiten und ärgere mich jetzt schon schwarz, dass ich es zurückgeben muss. Aber muss ich wirklich?

Auf meinen Schultern lässt sich das sprichwörtliche Engel- Teufel- Gespann nieder. Der Satansbraten links flüstert mir ein, dass Ethan ganz allein schuld an meinem Missgeschick gewesen und es nur recht und billig von ihm ist, den Schaden wieder gutzumachen. Der Stolz- Engel rechts plustert sich empört auf und motzt, dass ich ständig schusselig und unaufmerksam sei und gefälligst aufzupassen habe, wo ich hinlaufe, worauf der Teufel entgegenhält, dass dieser Ethan höchstwahrscheinlich im Geld schwimmt und es ihm sicher nicht drauf ankommt, ein paar tausend Dollar locker zu machen und ich mir dieses Modell im Leben nicht leisten kann.

Engelchen schüttelt entsetzt den Kopf, dann richtet es sich zu einer schier unglaublichen Größe auf und befiehlt:

„Du gibst die Kamera gefälligst zurück, Lily West!“

Der Teufel zuckt zusammen und verzieht sich auf Nimmerwiedersehen, als der Engel ein patziges:

„Basta!“, hinterherschießt.

Ich lege mit einem überaus bedauernden Seufzen das Prachtstück zurück in die Schachtel und schließe den Deckel. Natürlich werde ich sie zurückgeben. Sobald ich weiß, wo ich den spendablen Mister Prince finden kann. Ich beschließe, Gwen doch auf die Nerven zu fallen, sie ist mir was schuldig, Flitterwochen hin oder her!


Drei

 

 

Lily

Endlich erreiche ich Gwen und ihr Staunen über meine Frage nach Ethan ist über die gesamten viertausend Meilen, die sich momentan zwischen ihr und mir befinden, förmlich greifbar.

„Er war tatsächlich bei dir?“, fragt sie entgeistert. „Dieser Mistkerl wird sich nie ändern! Ich schwöre dir, von mir hat er deine Adresse nicht. Im Gegenteil, ich habe ihn ausdrücklich darum gebeten, dich in Ruhe zu lassen.“

„Tante Google lässt grüßen“, sage ich. „Er hat mir eine neue Kamera vorbeigebracht und ich will ihm das Ding unbedingt zurückgegeben.“

„Wie vorbeigebracht … eine Kamera?“

Ich setze Gwen kurz in Kenntnis, lasse aber weg, dass ich das teure Stück um ein Haar auch noch zerdeppert hätte. Nach unserem halbstündigen Telefonat weiß ich Folgendes:

Ethan Prince ist Gwens Cousin, einunddreißig Jahre alt und ein begabter Kunstmaler, der gerade dabei ist, seinen landesweiten Durchbruch zu schaffen. Eben dieser Ethan ist aber auch mit absoluter Vorsicht zu genießen, denn er ist ein ausgesprochener Mistkerl und sein Frauenverschleiß legendär, was mich im Grunde nicht wundert, so wie er aussieht und wie er sich gibt.

Gwens gesamte Familie ist nicht sonderlich wohlhabend, Ethan hat jahrelang genau wie ich von der Hand in den Mund gelebt und dann einen Mäzen gefunden, der seinen Werdegang als Maler unterstützt, ihn fördert und mit den richtigen Leuten zusammenbringt.

„Und warum habe ich sowas nicht?“, seufze ich, entschuldige mich noch einmal überschwänglich für die Störung und lege nach einem eindringlichen Appell Gwens, bloß die Finger von Ethan zu lassen, auf.

Da ich, auch wenn ich das auf gewisse Weise bedauere, nicht vorhabe, Hand an ihn zu legen, packe ich die Kamera ein, setze mich ins Auto und mache mich auf den Weg nach Tribeca, wo sich sein Atelier befindet. Vielleicht habe ich Glück, dass er nicht da ist und ich das Teil irgendwo abgeben kann …

 

 

Das Hinterhofhaus, in dem sich sein Atelier befindet, muss einstmals eine Werkstatt gewesen sein und sieht von außen mindestens genauso schäbig aus wie die Bude, in der ich hause. Eine Klingel finde ich nirgends, also schlage ich fest mit der Faust gegen die Blechtür, höre von innen ein gedämpftes:

„Es ist offen!“, und atme tief durch. Heute ist wohl doch nicht mein Glückstag …

Das Herz schlägt mir unter dem Kinn, als ich die Tür öffne und einen hohen, sonnendurchfluteten Raum betrete. Die Rückwand des Gebäudes ist komplett mit Glas ersetzt worden, ideale Bedingungen für ein Maleratelier. Ich blinzele, weil ich gegen die Sonne sehen muss, gehe ein paar Schritte vorwärts und verharre. In der Mitte des Raumes steht eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe, zwar nicht mehr ganz jung, aber groß und schlank, mit sinnlichen Rundungen und üppiger, tizianroter Mähne, die bis in die Mitte ihres Rückens wallt. Sie hat eine anmutige Pose eingenommen und ist splitterfasernackt. Von Ethan sehe ich nur die Beine hinter einer Staffelei.

„Einen Moment“, ruft er. „Ich komme sofort.“

Der Schönheit scheint meine Anwesenheit nicht viel auszumachen, sie lächelt ein wenig anzüglich und dreht ihren Kopf in die Ausgangsposition zurück.

„Ich … Entschuldigung … ich wollte nicht stören“, stottere ich verlegen. „Ich komme ein anderes Mal wieder.“

„Lily West, na sowas“, Ethan kommt grinsend hinter der Staffelei hervor, wischt sich die Hände an einem Tuch, das seitlich an seiner Hose hängt, ab und mir stockt der Atem. Er trägt lediglich über den Knien abgeschnittene Jeans und der Anblick seiner nackten, wohlproportionierten Brust und seiner kräftigen, langen Beine haut mich glatt aus der Bahn.

„Wir machen eine kurze Pause, Violetta“, der Blick, den er seinem Modell zuwirft, hat etwas Vertrautes, geradezu Intimes und ich fühle mich sofort fehl am Platze. Die Schönheit nickt und hüllt sich in einen eleganten, seidenen Morgenmantel. Auch in Ethans Atelier gibt es ein Sofa, allerdings sieht das nach hippem Designer aus und ist garantiert nicht vom Sperrmüll. Sie geht hinüber, zündet sich eine Zigarette an und drapiert sich auf dem Sofa wie eine Diva.

„Ich mache ein paar Aktstudien“, Ethan fühlt sich zu einer Erklärung bemüßigt. „Ich hoffe, Sie sind nicht schockiert.“

Schockiert? Fast lache ich auf. Wenn er wüsste, was normalerweise in meinem Studio abgeht, wäre mit Sicherheit er schockiert. Ich ignoriere seinen Erklärungsversuch, versuche, das Übermaß an nackter Haut auszublenden und halte ihm das Päckchen mit der Kamera entgegen.

„Ich bin sofort wieder weg, ich wollte das hier nur zurückgeben.“

„Oh, Sie haben sie nicht weggeschmissen und sie scheint sogar noch ganz zu sein“, stellt Ethan fest und bleibt einen knappen Meter vor mir stehen. Zu nah für mich … viel zu nah. Ich kann nicht anders, mein Blick gleitet an seiner Brust entlang, die wie gemeißelt aussieht. Bei jeder noch so kleinen Bewegung zeichnet sich das Spiel seiner Muskeln unter der leicht gebräunten Haut ab. Seine Brust ist so gut wie haarlos, doch unterhalb des Nabels weist ein verheißungsvoller, flaumiger Streifen den Weg zu einem verlockenden Ort in seinen tief auf den Hüften sitzenden Jeans.

Ich schlucke, obwohl mein Mund inzwischen so trocken ist, dass mir die Zunge am Gaumen klebt. Darüber sollte ich wohl froh sein, denn sonst würde sie mir wahrscheinlich bis zu den Knien hängen vor Begeisterung. Natürlich bemerkt er das und wirft mir ein spöttisches Lächeln zu.

‚Nimm dich zusammen, West!‘, befehle ich mir, reiße mich von dem sündigen Anblick seines Hosenbundes los und sehe ihm in die Augen.

‚Fehler ... fataler Fehler!‘, funkt meine innere Alarmanlage los, denn seine Augen verschlingen mich, ziehen mich zu ihm und schnell bringe ich das Päckchen mit der Kamera zwischen uns.

„Es war sehr nett von Ihnen, mir die Kamera zu ersetzen“, sage ich mühsam. „Aber dieses Modell ist viel mehr wert als meine alte. Genauer gesagt dreimal so viel. Das kann ich unmöglich annehmen.“

Der Spott in seinem Blick erlischt und wandelt sich zu etwas … Zärtlichem?

 

 

 

 

Ethan

Dreimal soviel wert? Das ist mir nicht bewusst gewesen. Für mich ist Kamera gleich Kamera, ich schieße selten Fotos und wenn, reicht mein Handy. Ich habe dem Händler gesagt, dass ich eine Kamera für einen Profi brauche, es eine Canon sein soll und er hat mir das Teil über den Ladentisch gereicht. Natürlich zuckte ich, als er mir den Preis nannte, doch wie gesagt, ich habe keinen blassen Schimmer von Fotografie und jeder andere an Lilys Stelle hätte das Ding stillschweigend einkassiert und sich über meine Dummheit gefreut. Jeder, nur nicht sie. Gwen hat recht, sie ist etwas Besonderes. Nicht, dass ich das nicht längst selbst bemerkt habe …

Sie steht vor mir und starrt mich an. Ihr gefällt, was sie sieht, ihr Gesichtsausdruck und ihre Körpersprache verraten sie und wahrscheinlich würde sie mich umbringen, wenn sie wüsste, dass ich es ihr ansehe. Sie wirkt, als würde sie am liebsten sofort die Amazone herauskehren, mich in ihre Hütte schleifen und sich über mich hermachen. Komisch, normalerweise läuft sowas doch immer andersherum.

„Ist sie das?“, vernehme ich Violettas Stimme aus dem Hintergrund. „Ist das die Fotografin, von der du gesprochen hast?“

„Ja, das ist sie“, antworte ich und drehe mich zu ihr um. Violetta liegt auf dem Sofa und beobachtet uns beide mit einer Mischung aus Interesse und Neugier. Jetzt steht sie auf und kommt herüber. Sie überragt Lily um ein gutes Stück und ich analysiere fasziniert die Unterschiede zwischen den beiden Frauen.

Lily … klein, drahtig und jung, ihre Brüste würden gerade so in meine Hand passen, ihre Taille schmal und ihr Hintern verheißungsvoll geschwungen. Daneben Violetta in der Blüte ihrer Jahre … groß, weich und sehr fraulich, Typ italienische fünfziger Jahre Diva.

„Darf ich vorstellen? Violetta, das ist Lily West. Lily, das ist Violetta Callahan, eine sehr gute Freundin und so etwas wie meine Muse.“

Ich sehe große Fragezeichen in Lilys Augen aufblinken. Verständlich, wer benutzt heutzutage noch das Wort Muse. Ich schon, denn es trifft den Nagel auf den Kopf. Violetta inspiriert mich von unserer ersten Begegnung an. Natürlich schlafe ich mit ihr und wäre Lily eine Stunde früher hier eingetrudelt, wäre sie mitten in unser übliches Schäferstündchen vor dem Malen geplatzt.

Lilys Augen wandern von mir zu Violetta und wieder zurück zu mir. Sie ist nicht blöd, sicher zählt sie eins und eins zusammen. Ihre Augen verengen sich und ich merke, dass sie nur noch weg will.

„Behalten Sie die Kamera“, sagt Violetta lächelnd. „Sie müssen kein schlechtes Gewissen haben, Ethan kann es sich leisten.“

Das stimmt, ich kann, obwohl ich immer noch Hemmungen habe, mein Geld einfach so auszugeben. Die vielen mageren Jahre haben mich vorsichtig gemacht und mir ist ein gutes Polster auf der Bank lieber, als mein sauer Verdientes mit vollen Händen rauszuwerfen. Nein, ich bin nicht geizig und mein Lebensstil hat sich radikal geändert, seit meine Bilder gefragt sind. Aber ich bin kein Verschwender und werde das sicher auch niemals sein.

„Wir machen einen Deal“, sage ich zu Lily. „Am kommenden Freitag habe ich eine Vernissage in der Browns Galerie. Sie behalten die Kamera und schießen an diesem Abend ein paar Fotos damit. Ich wollte auch schon seit Ewigkeiten einige meiner Bilder für meine Webseite fotografieren lassen. Also, ich engagiere Sie offiziell für die beiden Shootings und wir sind quitt. Was meinen Sie?“

„Dann mache ich aber immer noch einen besseren Schnitt als Sie“, antwortet sie und sieht mich ernst an.

„Herrgott sind Sie kompliziert“, sagte ich kopfschüttelnd. „Dann sehen Sie den Rest als Schmerzensgeld oder nein … mir fällt etwas Besseres ein – Sie laden mich nach der Vernissage zum Essen ein.“

Die Überraschung in ihrem Gesicht ist nicht gespielt und geht mir direkt ins Herz. Sie ringt mit sich, doch dann hält sie mir die Hand entgegen.

„Abgemacht“, jetzt lächelt sie. „Zwei Shootings und Abendessen, das beste Geschäft meines Lebens. Ihre Freundin kommt doch auch mit?“

Ich schlage ein, doch ehe ich weitersprechen kann, sagt Violetta:

„Ich bin nicht seine Freundin. Sie werden ihn zum Essen ganz für sich allein haben.“

„Oh, na dann …“, erwidert Lily. „Aber Sie können ruhig mitkommen. Es ist nur ein Geschäftsessen.“

„Aber natürlich ist es das“, ich verkneife mir das Grinsen. „Geben Sie mir Ihre Mailadresse, dann schicke ich Ihnen alles, was Sie wegen Freitag wissen müssen.“

„Die steht auf meiner Website“, gibt sie zurück und ist plötzlich wieder total die Amazone. „Ich gehe mal davon aus, dass Sie sie kennen. Meine Visitenkarten sind alle und neue sind erst im Budget für nächsten Monat drin.“

Sie zuckt bedauernd mit den Schultern und klemmt sich den Kamerakarton unter den Arm.

„Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen“, sie nickt Violetta zu, lässt ein leises:

„Danke, bis Freitag dann also“, in meine Richtung folgen und weg ist sie.

 

 

„Die Kleine hat was“, sagt Violetta. „Besorg mir ein paar Arbeiten von ihr, wenn sie vielversprechend sind, rede ich mit Alexander.“

„Das würdest du tun? Danke Liebling“, ich lege meinen Arm um ihre Taille und hauche ihr einen Kuss auf die Schläfe.

„Versprich dir nicht zu viel davon, Ethan. Du weißt, wie Alexander ist. Vielleicht gefällt es ihm, vielleicht nicht.“

Sie öffnet den Gürtel ihres Morgenmantels, nimmt meine Hand und schiebt sie zwischen ihre Beine.

„Sie will dich“, sagt sie und stöhnt, als ich ihre feuchte Spalte teile und mich zu ihrer Perle vortaste. „Ich habe dich beobachtet. Wie du sie angesehen hast. Ich kenne viele deiner Affären, du hast keine von ihnen so angesehen.“

Ich weiß, dass sie recht hat und ich will nicht darüber reden, daher verschließe ich ihren Mund mit meinem und beschäftige ihre Zunge auf andere Weise. Violetta öffnet meine Jeans, zieht sie nach unten und gleitet an mir hinab. Als sie vor mir kniet, sieht sie mir in die Augen und flüstert:

„Du wirst dich in sie verlieben und du wirst mich vergessen, doch das werde ich nicht zulassen …“

Ich schließe die Augen, als sie mich mit ihren vollen Lippen umfängt und sie mich tief in sich aufnimmt.

„Ich könnte dich niemals vergessen, Baby“, stöhne ich und überlasse mich dem Spiel ihrer Zunge, doch während Violetta hingebungsvoll meinen Schwanz verwöhnt, sehe ich vor mir ein paar meerblaue Augen mit goldenen Sonnenflecken.

 

 

 

 

Lily

Sie ist seine Geliebte, und das nicht erst seit gestern, das sieht ein Blinder mit nem Krückstock. Die Blicke, die sie wechseln, das stille Einvernehmen zwischen ihnen, ich komme mir vor wie ein Störenfried. Dass er auf ältere Frauen steht, hätte ich nicht erwartet, allerdings ist sie eine dieser Frauen, neben denen man Minderwertigkeitskomplexe bekommt. Sie ist nicht perfekt, keineswegs. Man sieht ihr an, dass sie die vierzig schon ein Stück überschritten hat, ihre Brüste sind nicht mehr so straff, ihr Bauch rundet sich leicht und auch ihre Oberschenkel zeigen erste Dellen. Doch an ihr verblassen diese kleinen Makel und ihr Gesicht ist ausdrucksstark und wunderschön und ich würde sie gern so fotografieren, wie Ethan sie gemalt hat.

Sie hat Stil, man merkt sofort, dass sie aus einem guten Stall kommt, sie ist üppig, fraulich und unglaublich sexy. Wie kann ich gegen eine solche Frau ankommen mit meinem Allerweltsgesicht und meiner Durchschnittsfigur? Gut, ich bin mindestens zwanzig Jahre jünger als sie, aber das ist auch schon mein einziger Vorteil. Ich sehe ganz passabel aus, aber ich finde mich zu klein, meine Brüste sind ein Witz, so richtig gefällt mir an mir selbst nur mein Hintern.

Nun ja, ich werde also auf seiner Vernissage fotografieren und seine Bilder für die Ewigkeit festhalten. Und mit ihm essen gehen … Bloß wohin? Der Monat neigt sich dem Ende zu und meine Kasse ist so gut wie leer. Ich habe zwar noch Außenstände, doch die gehen sofort für laufende Kosten drauf.

Nächstes Problem, in welches Restaurant soll ich ihn einladen? Was mag er? Vor allem, womit gibt er sich zufrieden? Ich kichere, für den Hot Dog- Stand um die Ecke reicht mein Etat noch, ob ich es wagen kann?

‚Schäm dich, Lily‘, schimpfe ich mit mir selbst. ‚Dieser Mann hat dir gerade eine schweineteure Kamera geschenkt und du willst ihn mit einem Hot Dog abspeisen.‘

Entgeistert lasse ich mich in mein Auto sinken. Erst jetzt wird mir klar, dass ich gerade ohne mit der Wimper zu zucken ein Geschenk für dreieinhalbtausend Dollar angenommen habe, denn als solches sehe ich es. Bin ich komplett verrückt geworden?


Vier

 

 

Ethan

Die Tür zu Lilys Studio ist verschlossen, doch ich höre Geräusche und klopfe an. Ich bin mir nicht sicher, ob es gut ist, schon wieder bei ihr aufzutauchen. Ich will nicht, dass sie sich bedrängt fühlt, doch Violetta hat sich einige ihrer Fotos im Internet angesehen und will mehr. Sicher hätte ich auch anrufen können, um Lily das zu sagen, doch ich will sie schlichtweg wiedersehen.

Innen rumort es, als schiebt jemand Möbel hin und her, doch zur Tür kommt niemand, also klopfe ich stärker. Schließlich wird geöffnet und ein Kerl, der noch größer ist als ich und der außer seinen Tattoos nichts trägt als ein winziges Stück Stoff, welches kaum seinen enormen Penis bedeckt, motzt mich an:

„Wird ja Zeit, dass du kommst, du bist eine halbe Stunde zu spät.“

Hinter ihm schiebt sich eine dünne, weißblonde Tussi, die ebenfalls nur einen String anhat, ins Blickfeld. Aufgepumpte Brüste mit riesigen Brustwarzen springen mich an und ich wundere mich, dass sie durch die Last nicht nach vorn kippt.

„Das ist nicht Joe“, piepst sie, mustert mich mit verhangenem Schlafzimmerblick und kichert. „Ein Neuer … Frischfleisch und gar nicht mal übel.“

Wo um alles in der Welt bin ich hier hingeraten? Dreht Lily West heimlich Pornos? Offensichtlich fehlt noch ein Darsteller und man verwechselt mich mit ihm, doch jetzt bin ich neugierig und verkneife mir, den Irrtum klarzustellen.

„Wo ist Lily?“, frage ich.

Der Typ ignoriert meine Frage und grunzt:

„Sieh bloß zu, dass du fertig wirst, ich habe später noch einen Dreh.“

Ich nicke zustimmend und zucke zusammen, denn die Nackte hängt sich an meinen Arm und zirpt:

„Ich bringe dich nach hinten, du sollst für das erste Shooting auch so einen Tanga tragen wie Brandon.“

„Oh, das wird mir sicher super stehen“, sage ich und unterdrücke ein hilfloses Lachen. Blondie stakst auf schwindelerregenden Highheels vor mir her, schwingt ihren üppigen Arsch und wirft mir immer wieder eindeutig zweideutige Blicke über die Schulter zu. Sie weist auf einen Vorhang, hinter dem ich Lily sprechen höre, offensichtlich telefoniert sie.

„Da kannst du dich umziehen“, sagte Blondie und stellt sich dicht vor mich. „Ich heiße Sandra. Wollen wir uns schon mal ein bisschen warm machen?“

Ohne zu Zögern greift sie mir in den Schritt und ich mache reflexartig einen Satz nach hinten.

„Woah …sorry“, sage ich schnell. „Ich bin nicht der, für den du mich hältst, also würdest du bitte …“

„Ethan, was machen Sie hier?“, plötzlich steht Lily vor mir und sieht mich entgeistert an.

„Vielleicht sollte ich Sie das fragen?“, gebe ich zurück und nicke in Richtung Blondine. Schroffer, als ich will frage ich:

„Was um alles in der Welt ist das hier?“

Das kommt überhaupt nicht gut an, Lily schießt mir einen bösen Blick zu und sagt:

„Sandra, entschuldigst du uns bitte kurz?“

Die Blondine, die uns mit offenem Mund anstarrt, nickt und trollt sich von dannen. In Lilys Gesicht ballen sich Gewitterwolken zusammen und in ihren Augen tobt ein Sturm. Sie bemüht sich wirklich, nicht auszurasten, doch es gelingt ihr kaum.

„Sie fragen, was das hier ist?“, zischt sie. „Ich verdiene meinen Lebensunterhalt.“

Höhnisch fügt sie hinzu:

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739445885
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Hollywood Millionär Filmstar Billionär Krimi Rockstar Los Angeles Los_Angeles Drama Theater Drehbuch Schauspiel Humor Thriller Spannung

Autor

  • Anna Graf (Autor:in)

Anna Graf startete ihre ersten Schreibversuche in den neunziger Jahren. Sie schrieb kleinere Romane, die allerdings in der Schublade blieben.
2013 nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und veröffentlichte erfolgreich den ersten 'Schubladenroman'.
Seitdem schreibt sie, über das Leben, die Liebe, über Irrungen und Wirrungen, den Weg zum Glück zu finden.
Ihre Heldinnen sind keine schwachen Frauen, im Gegenteil, sie sind selbstbewusst und wissen, sich im Leben zu behaupten.
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Titel: JUST LOVE - Verhängnisvolle Affären_1: New York