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Die Seele des Bösen - Blut, Angst und Tränen

Sadie Scott 5

von Dania Dicken (Autor:in)
301 Seiten
Reihe: Sadie Scott, Band 5

Zusammenfassung

In Pittsburgh entführt ein Serienmörder junge Frauen, foltert sie brutal über Wochen und erwürgt sie schließlich. Als der Killer mit den Medien Kontakt aufnimmt, werden FBI-Profilerin Sadie Scott und ihre Kollegen von der Behavioral Analysis Unit hinzugezogen. Für Sadie ist das Motiv des Killers ein Schock: Der sogenannte Pittsburgh Strangler ahmt explizit ihren Vater, den Oregon Strangler, nach. Diese Offenbarung muss Sadie jedoch weitgehend mit sich allein ausmachen, denn ihr Verlobter Matt durchläuft gerade selbst die fordernde Ausbildung an der FBI Academy und ist für sie kaum ansprechbar. Mehr Verständnis bringt ihr eine flüchtige Bekanntschaft namens Brandon entgegen. Er versucht, Sadie Mut zuzusprechen, als der Pittsburgh Strangler Sadie persönlich extrem unter Druck setzt und versucht, sie vollständig zu zermürben. Doch da ahnt Sadie noch nicht, was der Killer tatsächlich im Schilde führt und dass dieser Fall sie bis an ihre Grenzen bringen wird – und weit darüber hinaus …

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Samstag

 

Grinsend rieb Phil sich den blauen Fleck am Ellenbogen. „Ich bereue nichts. Natürlich fragt man sich manchmal, wofür man so hart trainiert, wenn man dann doch oft nur Bereitschaft hat und wartend herumsitzt. Man will ja auch eigentlich nicht zu einem Einsatz gerufen werden, denn das heißt ja immer, dass Menschenleben in Gefahr sind. Aber wenn man dann gerufen wird und wirklich jemanden retten kann ...“

„Du hattest doch noch gar keinen Einsatz“, wandte Sadie ein.

„Sicher, aber ich weiß ja, wie das ist. Als ich damals auf Grimes schießen musste, wusste ich auch nicht, was ich denken soll. Ich wollte ihn ja nicht töten. Aber er hat mir ja nur die Wahl zwischen ihm und Matt gelassen. Da habe ich natürlich nicht überlegt.“

„Das glaube ich“, sagte Sadie. Die Sonne schien in ihr Wohnzimmer, in dem sie es sich mit Phil und Mittens gemütlich gemacht hatte. Figaro lag im Bett und schlief.

„Man fühlt sich wirklich ein bißchen wie ein Held“, sagte Phil. „Was machen da schon ein paar blaue Flecken!“

Die beiden grinsten einander an. Sadie konnte sein Empfinden gut nachvollziehen.

„Freut mich, dass du hier so zufrieden bist“, sagte sie.  

„Ja, das bin ich wirklich. Das ist etwas anderes als Streifendienst in Waterford!“

Phil fühlte sich sichtlich wohl. Sein tägliches Training hatte dazu geführt, dass er ein breites Kreuz bekommen hatte. Er war immer schon athletisch gebaut gewesen, aber nun war er ziemlich muskulös und natürlich gefiel ihm das. Er war unglaublich stolz darauf, jetzt zum Hostage Rescue Team des FBI zu gehören. Dort konnte er sich perfekt als Scharfschütze einbringen. Sadie konnte gut verstehen, dass er diese Herausforderung liebte. Sie genoss es ebenfalls, ihre Fähigkeiten beim FBI nutzen zu können.

„Was machst du denn heute Abend?“,  fragte Sadie.

„Mal sehen, vielleicht gehe ich weg und halte Ausschau nach Frauen.“ Er grinste.

„Wäre doch toll!“

„Ich bin gerade zwar auch allein ganz zufrieden, aber vielleicht ergibt sich ja was.“ Phil nahm noch einen Schluck Wasser. „Und Matt? Wie lang hat er noch an der Academy?“

„Er beginnt jetzt mit den Prüfungen. Eigentlich ist er ja fast fertig ... endlich.“ Sadie seufzte tief.

„Schon vier Monate. Wahnsinn.“

„Ewigkeit trifft es eher ...“

„Ach“, machte Phil und lächelte ihr aufmunternd zu. „Ist doch fast geschafft.“

„Das ist so verrückt, verstehst du? Vorher habe ich jahrelang allein gelebt und das hat mich nie gestört. Aber jetzt ...“

„Ihr zwei seid schon sehr süß“, feixte Phil.

„Mach dich nur lustig.“

„So war das gar nicht gemeint! Aber du musst das mal aus meiner Warte sehen. Jahrelang war das bei dir kein Thema, aber jetzt hat es dich ja total erwischt!“

Sofort schoss Sadie die Röte ins Gesicht. „Ich mache eben keine halben Sachen.“

„Ja, scheint so. Ich kann das ja verstehen. Matt tut dir gut.“

„Ja ... und er fehlt mir so!“ Sadie lachte gequält.

„Oh je“, sagte Phil verständnisvoll. „Mein Mitgefühl.“

„Du machst dich immer noch lustig.“

„Überhaupt nicht! Ihr zwei seid toll zusammen. Und Matt ist echt in Ordnung. Hätte ich ihm nicht zugetraut.“

„Er macht mit mir wirklich etwas mit.“

„Auf mich wirkt er ganz zufrieden“, hielt Phil dagegen.

Sadie erwiderte nichts, sondern seufzte nur. „Wenn er doch endlich mit der Academy fertig wäre!“

Phil schüttete sich aus vor Lachen. „Du bist süß, weißt du das? Du klingst genau wie die verliebten Mädchen damals auf der High School!“

„Phil!“ Lachend warf Sadie ein Kissen nach ihm. „Du bist so gemein. Ich sollte das wirklich mit Tessa erörtern ...“

„Als ob die verstehen würde, was du an Matt findest“, grinste Phil.

„Sie gibt sich zumindest Mühe!“

„Sie ist ja auch in Ordnung. Auch wenn sie gar nicht erst versucht, zu verbergen, wie sie veranlagt ist!“

„Warum auch“, sagte Sadie.

„Hattest du je Befürchtungen, dass sie vielleicht auf dich steht?“

Sadie schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Als sie mir damals gesagt hat, wie sie tickt, hat sie mir auch gleich gesagt, dass wir nur Freunde sind. Das hat sich nie geändert.“

„Sie fehlt dir bestimmt.“

„Schon. Wenigstens bist du hier! Wenn du jetzt nicht hier wärst, wäre ich ganz allein ... das würde ich hassen.“ Sadie zog die Schultern hoch.

„Nicht mehr lange und Matt kommt nach Hause“, sagte Phil.

„Ja, zum Glück. Du kannst wirklich bleiben, es wäre genug zu essen da!“

„Nein, ich lasse euch Turteltäubchen mal allein. So wie du ihm hinterherschmachtest, würde ich da nur stören!“

Kopfschüttelnd sah Sadie ihn an. „Dass du mich auch immer ärgern musst.“

„Klar! Dafür bin ich doch da.“

Die beiden lachten gemeinsam. Es dämmerte schon, als Phil sich auf den Heimweg machte und Sadie zu kochen begann. Sie war unendlich froh, dass Phil sie an diesem Nachmittag besucht hatte, denn sie war es leid, allein zu Hause zu sitzen. Matt fehlte ihr entsetzlich und das nervte sie, aber es war ja nicht zu ändern - und es war auch schon fast vorbei.

Sadie schaltete das Küchenradio ein und machte sich an die Vorbereitungen für den Auflauf. Als sie Lithium von Nirvana erkannte, drehte sie das Radio lauter und war versucht, mitzusingen. Tessa hatte Nirvana damals auf der High School angebetet, obwohl Kurt Cobain schon jahrelang tot gewesen war. So kannte auch Sadie die meisten Lieder der Band und hörte sie immer noch gern, obwohl sie nicht nur positive Erinnerungen an die damalige Zeit hatte.

Sie war wirklich froh, dass zumindest Phil nun drüben bei ihnen an der Ostküste war. Im Augenblick hatte sie nur ihre Katzen und hätte sich ohne Phils Gesellschaft wirklich einsam gefühlt.

Es fiel ihr wahnsinnig schwer, seit Monaten auf Matt zu verzichten. Nach Weihnachten hatte sie ihn wochenlang nicht gesehen, bis sie zumindest regelmäßig zusammen zum Mittagessen gegangen waren. Inzwischen sagte niemand an der Academy mehr etwas, wenn er zumindest am Wochenende zu Hause war, und an diesem Abend wollte er endlich wieder kommen. Wahrscheinlich war er müde vom Lernen, aber das war Sadie ganz gleich. Hauptsache, er war da. Sie gab sich auch damit zufrieden, neben ihm zu liegen und ihn beim Schlafen anzusehen.

Manchmal wunderte sie sich über sich selbst, weil sie tatsächlich in der Lage war, jemandem so sehr zu vertrauen. Das hatte sie so lange nicht gekonnt, aber bei Matt fiel es ihr nicht schwer. Vielleicht war es, weil er nicht nur ihr Geheimnis nie verraten, sondern sie auch immer beschützt hatte. Er hatte ihr nie Anlass gegeben, an seiner Liebe zu zweifeln und sie hatte immer gewusst, dass sie ihm vertrauen konnte. Manchmal erschreckte es sie selbst, dass er in so kurzer Zeit so wichtig für sie geworden war. Ihre erste große Liebe ... und dann hatte es sie so heftig erwischt.

Seufzend schichtete sie Gemüse und Fleisch in die Auflaufform und streute Käse darüber. Hinter ihr tat Mittens sich an ihrem Napf gütlich. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen schob Sadie den Auflauf in den Ofen und stemmte danach die Hände in die Hüften. Jetzt noch schnell die Küche sauber machen und etwas anderes anziehen ­– und dann würde Matt auch schon da sein.

Deshalb beeilte Sadie sich. Sie wischte die Arbeitsplatte ab und räumte die Spülmaschine ein, wusch sich die Hände und ging ins Schlafzimmer, um ihre Freizeithose gegen eine andere zu tauschen. Als sie vor dem offenen Schrank stand und eine Jeans herauszog, hielt sie inne. Zum Valentinstag hatte Matt ihr ein besonderes Geschenk gemacht und ihr damit hochrote Ohren beschert: Er hatte ihr schöne Unterwäsche gekauft. Damit hatte sie nicht gerechnet, zumal er es sorgfältig durchdacht und rechtzeitig ihre Größe herausgefunden hatte. So war das Geschenk perfekt geworden und Sadie hatte sich, neben aller Verlegenheit, riesig gefreut. Schließlich war das auch ein Kompliment.

Kurzerhand zog sie alles aus und wechselte die Unterwäsche. Es würde bestimmt dazu kommen, dass Matt sie sah. Zumindest hoffte Sadie das. Sie konnte es sich auch nicht anders vorstellen, denn schließlich gab es in der FBI Academy wenig Zerstreuung. Solche schon gar nicht. Dabei dachte sie mit einem Grinsen an den Moment zurück, in dem sie Matt dort ohne Vorwarnung überfallen hatte, weil die Sehnsucht nach ihm zu groß geworden war. Sie hatte es nicht bereut. Wie hätte sie das auch bereuen können?

Sie streifte ihren Pullover wieder über und zog die Jeans an. Im Wohnzimmer begannen Mittens und Figaro eine gefauchte Diskussion. Augenrollend ging Sadie dazwischen und trennte die beiden Streithähne.

„Ihr seid albern, wirklich“, sagte sie und begann, den Tisch zu decken. Nicht mehr lange und Matt traf ein.

Und auch gar nicht mehr lang, bis er endlich die Academy geschafft hatte. Zwar jammerte er im Moment immer wieder theatralisch über das fordernde Fitnessprogramm in der Ausbildung, aber er war ja froh, dass er es nun überhaupt leisten konnte. Seine Schulter war endlich verheilt und auch wenn er einer der älteren Anwärter war, schlug er sich wacker. Das erzählte er immer sehr stolz.

Nur noch zwei Wochen, dann hatte er die Academy hinter sich gebracht. Dann gehörte er auch zum FBI. Was dann wurde, stand zwar noch auf einem völlig anderen Blatt, aber Sadie freute sich trotzdem für ihn.

Schließlich war der Tisch gedeckt und die Katzen hatten sich beruhigt. Ein köstlicher Duft breitete sich von der Küche aus. Sadie lief das Wasser im Munde zusammen. Sie hatte einen mexikanischen Auflauf zubereitet, dessen Rezept sie in Matts einzigem Kochbuch entdeckt hatte. Er hatte es markiert, deshalb hatte sie überlegt, es einfach mal zu kochen.

Sie warf einen Blick auf die Uhr. Zwei Minuten vor sieben. Sie wunderte sich sowieso, dass Matt nicht schon längst dort war, denn sie hatten sich darauf geeinigt, dass er bis sieben Uhr zu Hause sein wollte. Aber vielleicht war er aufgehalten worden. In der Academy passierte das schon mal. Der Auflauf brauchte aber auch noch ein bisschen, deshalb war es nicht schlimm.

Sadie ging zum Fenster und blickte hinaus zur Straße. Noch kein Challenger zu sehen. Das war aber wirklich ungewöhnlich.

Sie setzte sich an den Tisch und griff nach ihrem Handy. Kein Anruf, keine Nachricht. Nun war es schon sieben und Matt war immer noch nicht da. Aber Sadie beschloss, zu warten. Er würde schon kommen.

Fünf nach sieben. Sie konnte den Challenger auch nicht hören. Ruhelos ging sie zum Fenster und warf einen weiteren Blick hinaus, doch nichts. Deshalb begann sie, eine Nachricht auf ihrem Handy zu tippen. Wo steckst du? Hier duftet es schon richtig lecker.

Sie schickte die Nachricht ab, legte das Handy auf den Tisch und wartete. Kein Piepen, kein Summen. Allerdings würde er auch kaum antworten, während er fuhr. SMS schreiben am Steuer war immerhin verboten.

Sadie begutachtete den Auflauf im Ofen. Der Käse war zerlaufen. In ein paar Minuten musste der Auflauf raus.

Nachdenklich blickte sie zu ihrem Handy, schaute aufs Display, wurde aber enttäuscht. Immer noch nichts. Matt antwortete nicht. Vielleicht hatte er es auch nicht gehört.

Kurzerhand beschloss sie, ihn anzurufen. Ihr war bewusst, dass sie damit ohnehin nichts ändern konnte, aber sie wollte einfach wissen, wo er steckte und warum das so lange dauerte.

Nicht, dass ihm etwas passiert war. Ein Unfall oder so etwas ...

Sie hielt sich das Handy ans Ohr und lauschte auf das Freizeichen. Es summte vor sich hin, aber Matt ging nicht dran. Seufzend legte Sadie das Handy weg und stellte den Ofen aus.

Jetzt war es schon zwölf nach sieben. Immer noch kein Lebenszeichen von Matt. Das Handy schwieg und er tauchte auch nicht auf. Das sah ihm nicht ähnlich, er war doch nicht unzuverlässig.

Plötzlich war sie da, die Angst. Sadie fürchtete doch immer, dass ihm vielleicht eines Tages etwas zustieß. Dass sie ihn verlor. Beim bloßen Gedanken starb etwas in ihr. Es half ihr auch nicht, sich zu sagen, dass das verrückt war. Für sie war es das nicht, sie hatte ja schon einen furchtbaren Verlust erlitten.

Sie konnte und wollte nicht ohne Matt leben, das zerriss ihr das Herz. Sie liebte ihn doch mehr als alles andere. Das machte sie verletzlich und angreifbar, weshalb ihr auch nicht ganz wohl zumute war, aber sie konnte sich nicht immer verstecken und von allem abschotten. Von Matt schon gar nicht. Sie war so froh, dass er ihre ganze Geschichte kannte und dem keine weitere Beachtung schenkte. Er liebte sie so, wie sie war. Das war ein Geschenk.

Aber sie hatte schon so viel Mist in ihrem Leben erlebt. In Gedanken sah sie sein Auto vor sich ­­– im Graben oder unter einem Truck oder vor einer Wand. Kaputt. Matt konnte verletzt sein oder tot. Es konnte alles Mögliche sein. Denn sie hatte bei ihm noch nie erlebt, dass er sich verspätete, ohne etwas zu sagen.

Sie beschloss, noch einmal bei ihm anzurufen. Mit heftig pochendem Herzen lauschte sie aufs Freizeichen, aber es kam keine Erlösung. Matt ging immer noch nicht dran.

Bitte nicht. Ihm durfte doch nichts passiert sein. Sadie hielt sich für paranoid, aber sie konnte nicht anders. In ihrem Leben war schon zuviel passiert, womit sie zuvor auch nicht gerechnet hatte. Hätte sie als Kind erwartet, dass ihr Vater ihre Familie tötete? Hätte sie später damit gerechnet, dass er freikam und so die Gelegenheit erhielt, sie zu entführen? Das allein war schon zuviel für ein Leben. Aber mit manchen Leuten meinte das Schicksal es nicht gut.

Vielleicht verlor sie Matt wirklich durch so etwas Dummes wie einen Autounfall. Vielleicht war er verletzt ...

Sadie schloss die Augen und konzentrierte sich aufs Atmen. Sie war hysterisch. War das normal, dass man seinen Verlobten tot sah, nur weil er sich um ein paar Minuten verspätete? Wohl kaum. Aber da war sie wohl zu traumatisiert.

Ihr Handy schwieg. Inzwischen war es zwanzig nach sieben. Wie in Trance holte sie den Auflauf aus dem Ofen und stellte ihn neben dem Herd ab. Der Käse war leicht gebräunt. Länger hätte der Auflauf nicht im Ofen stehen dürfen.

Aber Matt war noch immer nicht da. Während Sadie aus dem Fenster auf die Straße starrte, versuchte sie, sich zur Ordnung zu rufen. Matt war nicht tot. Für das alles gab es bestimmt eine ganz einfache und überhaupt nicht schreckliche Erklärung. Sie war verrückt, immer gleich vom Schlimmsten auszugehen.

Aber es half nicht. Der bloße Gedanke daran, wie er vielleicht verletzt in seinem Challenger saß, trieb ihr die Tränen in die Augen. Sadie stellte sich vor, wie ein Polizist ihr sagte, dass er tot war. Andrea Thornton, die britische Profilerin, die sie vor Weihnachten besucht hatte, hatte das ja erlebt. Sie hatte ihre Familie durch einen Autounfall verloren. Sie hatte in ihrem Leben auch mehr erlebt, als man sich vorstellen konnte. So wie Sadie.

Konnte doch sein. War doch möglich, dass Matt einen Unfall hatte und nicht mehr nach Hause kam ...

Beim bloßen Gedanken daran war ihre Kehle wie zugeschnürt. Sie schloss die Augen, aber das half nicht. Die Tränen kamen trotzdem.

Jetzt saß sie an ihrem Esstisch und heulte, weil sie sich vorstellte, dass Matt tot war. Dabei war er einfach nur nicht pünktlich und rief auch nicht zurück. Das konnte tausend Gründe haben, aber nein, Sadie stellte sich ihn mausetot vor. Das war idiotisch.

Sie wusste es, aber sie weinte trotzdem. Einfach weil sie den Gedanken nicht ertragen konnte, Matt zu verlieren. Das war zuviel für sie. Nicht das einzig Gute in ihrem Leben.

Zitternd wischte sie sich über die tränennassen Wangen und versuchte, die Tränen zurückzuhalten, weil sie das albern fand. Aber es klappte nicht. Es kamen immer weitere.

Inzwischen war es halb acht. Sadie schaffte es schließlich, sich zu beruhigen, schaltete das Radio ein und stellte den Auflauf auf den Tisch. Trotz allem hatte sie Hunger.

Dann begann sie eben allein, zu essen.

Nachdem sie sich etwas auf den Teller genommen hatte, rief sie noch einmal bei Matt an, aber vergebens. Mit verheulten Augen und halb verstopfter Nase saß sie da und stocherte unentschlossen im Essen herum. Schmeckte gut. Aber allein essen wollte sie eigentlich nicht.

Das hatte sie immer befürchtet. Dass sie sich von einem Mann abhängig fühlen würde, wenn sie dann mal einen fand. Und jetzt war es soweit. Beides. Sie liebte Matt über alles und ertrug es nicht, ohne ihn zu sein. Sie konnte es kaum erwarten, bis er die Academy endlich abgeschlossen hatte und wieder bei ihr war. Da war sie wie ein Mädchen in der tiefsten Pubertät.

Gedankenversunken aß sie ein wenig und ehe sie es sich versah, war es acht Uhr abends. Matt hatte sich noch immer nicht gemeldet. Es hatte auch noch kein Polizist bei ihr geklingelt und ihr mitgeteilt, dass er tödlich verunglückt war. Es war, als sei er vom Erdboden verschluckt.

Sie überlegte, ob sie nicht nach Quantico fahren und nach ihm sehen sollte. Vielleicht war es ja noch etwas Anderes.

Was auch immer. Ihr wollte, außer irgendwelchen mittelschweren Katastrophen, nichts einfallen, das ihn davon abhielt, ans Telefon zu gehen. Das war eigentlich überhaupt nicht seine Art. Bei ihr schon gar nicht.

Das fand sie nun doch wieder beunruhigend. Aber die bloße Vorstellung, dass er sie vielleicht einfach nur vergessen hatte und sie ganz umsonst die wildesten Ängste ausstand, ärgerte sie. Mehr noch, sie spürte, wie sie zwischen Angst und Wut schwankte.

Vielleicht sollte sie Tessa anrufen und sich bei ihr ausweinen. Ihre beste Freundin hatte immer ein Ohr für so etwas. Für Männer hatte sie ja sowieso nichts übrig.

Sie stellte ihren Teller in die Spülmaschine, räumte auch den Rest ab und überlegte, was sie nun überhaupt mit diesem Abend anstellen sollte. Vielleicht wirklich nach Quantico fahren und sehen, was mit Matt los war.

Aber wenn er nicht gerade tot war, hatte er sie versetzt und das absolut nicht verdient.

Sie überlegte noch, als plötzlich ihr Handy zu vibrieren begann. Mit zwei Schritten war sie am Tisch und nahm das Telefon in die Hand. Auf dem Display leuchtete Matts Foto, sein Name stand darüber.

Sofort nahm sie das Gespräch an. „Matt ... wo bist du?“

Er beantwortete die Frage nicht. Im Hintergrund hörte Sadie Musik und Stimmengewirr. Klang nach einer Party.

„Du hast mich angerufen, habe ich gesehen“, stellte er fest.

„Ja, und ich habe dir vor einer Stunde auch schon geschrieben. Wo zum Teufel steckst du?“,  fragte Sadie.

„Ich bin mit den Jungs hier in Quantico was trinken, warum?“

Ihr fehlten die Worte. Sekundenlang wusste Sadie nicht, was sie erwidern sollte. Ihr Kopf war wie leergefegt.

„Ist das dein Ernst?“,  fragte sie.

Matt stutzte. „Wieso?“

„Weil hier vor einer Stunde das Essen fertig war, das ich für uns beide gekocht habe. Hast du das vergessen?“

Erneut sagte er einige Augenblicke lang nichts. „War das heute?“

Wieder brannten Tränen in Sadies Augen. „Wann soll das denn sonst gewesen sein?“

„Nächste Woche, dachte ich. Stand so in meinem Kalender.“

Sadie schloss die Augen und atmete tief durch. „Nein, das war heute, Matt.“

„Verdammt ... tut mir leid, Sadie. Ehrlich. Das muss ich mir falsch eingetragen haben. Ich hatte ja überlegt, zu kommen, aber als die anderen vorhin fragten, ob ich mitgehen will ...“

„Ja, vergiss es“, murmelte sie leise. Erneut liefen ihr Tränen über die Wangen.

„Nein, das war blöd von mir. Ich würde ja jetzt kommen, aber ich hab schon zuviel getrunken. Ich kann nicht mehr fahren.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich müsste mir ein Taxi rufen oder du müsstest ...“

„Nein“, unterbrach Sadie ihn kopfschüttelnd. Es kamen immer mehr Tränen, aber sie wollte nicht, dass er das hörte. „Nein, schon gut. Bleib einfach da.“

„Aber jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen. Du hast gekocht und auf mich gewartet. Ich habe deine Anrufe nicht mal gehört, es ist so laut in der Bar.“

„Ja, Hauptsache, es geht dir gut.“

Matt zögerte. „Hast du dir Sorgen gemacht?“

Sadie wollte nicht antworten, es war ihr peinlich. „Wie auch immer ... mach dir einen schönen Abend.“

„Sadie, es tut mir wirklich leid. Das ist meine Schuld. Ich komme sofort, wenn du möchtest. Dann ruf ich mir eben ein Taxi!“

„Nein“, sagte sie. „Du kannst ja ruhig auch mal mit den anderen weggehen.“

„Und was machst du jetzt?“

„Das sehe ich dann. Ist ja egal.“

Matt seufzte. „Sorry ... wirklich. Ich bin ein Idiot.“

„Nein, schon gut. Wir reden später.“

„Okay“, sagte er, klang aber nicht überzeugt. „Ich liebe dich.“

Sadies Lippen bebten und sie wusste, sie würde diesen Satz jetzt nicht aussprechen können, ohne lauthals in Tränen auszubrechen.

„Mach’s gut“, sagte sie deshalb und legte auf.

Fast rutschte ihr das Handy aus der Hand. Sie stützte sich am Tisch ab und begann zu schluchzen.

Sie war wirklich hysterisch. Matt hatte doch bloß einen Fehler gemacht, das konnte passieren. Sie hatte gehört, dass es ihm leid tat. Und jetzt stand sie hier und heulte schon wieder Rotz und Wasser.

Aber sie wollte ihn jetzt nicht sehen. Das hätte sie nicht ertragen.

Da war doch wirklich etwas kaputt in ihr. So reagierte kein normaler Mensch, das wusste sie. Aber trotzdem konnte sie nicht aus ihrer Haut.

Das hatte sie immer gescheut. Unbewusst. Sie hatte gewusst, dass sie da anders war als andere Menschen, dass sie klammern und die kleinsten Kleinigkeiten sie verletzen würden. Dass sie paranoid und empfindlich war.

Aber wie auch nicht? Sie hatte als Elfjährige gehört, wie ihr Vater ihre Schwester erst vergewaltigt und dann erschossen hatte, bevor er auch auf sie geschossen hatte. Natürlich war da etwas kaputt. Das ließ sich auch nicht mehr reparieren.

Und Matt sollte das alles nicht ausbaden müssen. Das musste sie jetzt allein tun.

Es tat weh. Er hatte gesagt, dass er ohnehin fast gekommen wäre, es dann aber vorgezogen hatte, feiern zu gehen. Sie wusste, dass es ihr nicht zustand, aber sie war eifersüchtig und verletzt. Sie vermisste ihn doch sowieso.

Aber gerade wollte sie ihn wirklich nicht sehen. Dafür war sie auch zu wütend. Sie hätte es nicht genießen können. Nein, sie blieb besser allein.

Obwohl ihr beim bloßen Gedanken daran, dass sie jetzt allein die Wand anstarren musste, ganz seltsam zumute war. Sie wollte gar nicht wirklich allein sein. Sie wollte nur Matt jetzt nicht sehen. Sollte er doch machen, was er wollte. Das war auch sein gutes Recht.

Nur: Was sollte sie jetzt tun?

Sie konnte es machen wie Matt. Sie konnte einfach auch etwas trinken gehen. Allein, wenn sie schon niemand begleitete. Es war sehr lange her, dass sie das zuletzt gemacht hatte, aber das war keine schlechte Idee. Zwei Straßen weiter war eine nette Bar, das wusste sie. Dahin konnte sie zu Fuß gehen, sich ein wenig leid tun, ihren Frust ertränken und einen Kater heranzüchten.

Warum eigentlich nicht.

Kurzerhand zog sie Schuhe und Jacke an, griff nach ihrem Schlüssel und machte sich auf den Weg. Als sie das Haus verließ, schlug ihr kalte Luft entgegen. Es roch zwar schon nach Frühling, war aber immer noch frisch.

Und es war dunkel. Sadie war es leid und, wenn sie ehrlich war, vermisste sie Kalifornien. Wenn es wirklich eine Chance gab, zurückzukehren, würde sie es tun. Nick hatte da doch etwas angedeutet.

Sie zog die Schultern hoch und atmete tief durch. Inzwischen weinte sie nicht mehr, sie war nur wütend. Vor allem auf sich selbst. Was war schon passiert? Sie war albern. Zickig. Empfindlich. Und es tat ihr leid.

Erneut musste sie an ihren Vater denken, wie so oft in solchen Situationen. Er hatte so viel zerstört. Er hatte nicht ihr ganzes Leben zerstört, das ließ sie nicht zu. Aber sie hatte nie ein normales Leben führen können und sie wusste auch nicht, ob sie das je konnte. Der Gedanke an Kinder, eine Familie, löste Angst in ihr aus.

Noch mehr, was man verlieren konnte.

Schließlich erreichte sie Barney’s Bar und stieß die Tür auf. Gelächter schlug ihr entgegen, die Musik hatte eine angenehme Lautstärke. Die Bar war gut besucht, schön warm, aber nicht stickig. Sadie beschloss, sich rechts an die Bar zu setzen, wo noch ein wenig Platz war.

Was genau sie vor hatte, wusste sie nicht. Als der Barkeeper sie ansprach, bestellte sie sich einen irischen Whisky. Bei Alkohol kannte sie sich nicht besonders gut aus, aber Norman hatte den irischen Jameson immer gemocht und Sadie kannte ihn. Den konnte man trinken, ohne dass es einem die Speiseröhre verätzte.

Ja, Alkohol würde jetzt helfen. Als Jugendliche hatte Sadie sich betrunken, als sie es noch gar nicht gedurft hatte. Seit sie zur Polizei gegangen war, hatte sie jedoch kaum noch Alkohol angerührt.

Bis jetzt. Jetzt musste das sein.

Der Barkeeper stellte ihr den Jameson hin und Sadie legte die Finger um das Glas. Nachdenklich starrte sie hinein. Der fruchtige Geruch des Whiskys stieg in ihre Nase. Stumm blickte sie auf und schaute sich um. Viele junge Männer, auch ältere, Pärchen und Gruppen. An der Bar saßen aber auch einige Einzelgäste.

Sie wusste nicht, ob sie reden wollte. Sie wollte nur nicht allein sein. Und vielleicht half der Alkohol dabei, zu vergessen.

Vielleicht rief sie später auch noch Tessa an. Die Zeitverschiebung kam ihr entgegen, deshalb konnte sie das machen. Tessa würde sie verstehen.

Aber jetzt brauchte sie erst einmal einen Whisky.

Sie hob das Glas und stürzte den ganzen Whisky in einem Schluck herunter. Das kribbelte in der Nase und brannte in der Speiseröhre, schmeckte aber nicht schlecht. Augenblicke später wurde ihr warm.

„Sieht man auch selten.“ Mit diesen Worten setzte sich ein junger Mann neben sie, der nicht älter war als sie, eher jünger. Er war kräftig gebaut, hatte dunkles Haar und seine Stimme klang angenehm.

„Meinst du mich?“,  erwiderte Sadie.

Er nickte. „Ich sehe es selten, dass Frauen Whisky auf Ex trinken. Wenn ja, haben sie einen guten Grund.“

„Hab ich“, erwiderte Sadie wortkarg und hob dem Barkeeper gegenüber die Hand. „Noch einen bitte.“

Der Barkeeper schnappte sich die Flasche und füllte das Glas wieder auf. Der junge Mann neben ihr beobachtete alles schweigend.

„Mein Name ist Brandon.“ Er lächelte ihr zu. „Hat mich gewundert, dass so eine hübsche Frau ganz allein hier sitzt.“

Sadie zuckte mit den Schultern. „Wäre normalerweise nicht so.“

„Wurdest du versetzt?“

Sie nickte. „Ärgerlich, aber was will man machen.“

Brandon ging nicht darauf ein. „Wie heißt du?“

„Sadie.“ 

„Schöner Name. Hört man nicht so oft.“

Sadie sagte nichts. Sie wusste nicht, was.

„Du klingst aber auch nicht, als kämst du von hier“, sagte er.

„Nein ... ich komme eigentlich aus Kalifornien. Glaub, das hört man ganz gut.“

„Stimmt. Na ja, ich komme aus Oregon, eigentlich gar nicht so weit weg.“

Wie elektrisiert sah Sadie ihn an. „In Oregon bin ich geboren.“

„Oh, tatsächlich! Die Welt ist klein.“ Brandon lächelte. „Und was verschlägt dich hier an die Ostküste?“

„Arbeit“, erwiderte sie knapp.

„Mich auch. Wo arbeitest du?“

Sie blickte in ihr Whiskyglas. „Beim FBI.“

„Was, in Quantico? Wirklich? Das ist cool. Was machst du dort?“

Sadie nahm noch einen Schluck Whisky. Der tat gut. „Ich bin bei der Behavioral Analysis Unit. Die Profiler.“

„Ehrlich?“ Brandon lachte. „Ist ja irre. Damit hätte ich nicht gerechnet. Was siehst du, wenn du mich ansiehst?“

Sadie lächelte kurz. „So funktioniert das nicht. Ich kann nichts aus der Farbe deines Hemdes ableiten.“

„Aber kannst du etwas ableiten?“

Nachdenklich musterte Sadie ihn. „Du bist ein guter Beobachter und nicht dumm. Wenn ich mir anhöre, welche Worte du wählst, würde ich vermuten, dass du Anfang zwanzig bist. Das mit Oregon wäre schon geklärt ... Ich glaube, du bist jemand, der gut anpacken kann. Du wirst eher etwas Handwerkliches tun als an einem Schreibtisch sitzen. Außerdem bist du selbstbewusst, aber nicht aufdringlich. Mehr kann ich noch nicht sagen.“

Anerkennend pfiff Brandon durch die Zähne und bestellte sich ein Bier. „Das war doch schon mal was. Wie kommst du darauf, dass ich kein Bürotyp bin?“

„Dein ganzes Auftreten“, sagte Sadie.

„Du hast Recht. Ich bin Schreiner. Schon faszinierend irgendwie.“

Unbeeindruckt zuckte Sadie mit den Schultern. „Ich verdiene mein Geld damit, anhand von Indizien und Anhaltspunkten das Profil unbekannter Verbrecher zu erstellen. Man lernt, auf die Details zu achten.“

„Wie kommt man denn darauf, so einen Job zu machen?“,  fragte Brandon.

„Ich war vorher bei der Polizei. Die dortige Ausbildung hat mir aber nicht gereicht.“

„Cool. Wirklich. Das hätte mich auch immer gereizt. Würdest du ... nein.“ Lachend schüttelte er den Kopf.

„Was denn?“

„Würdest du mir deine Dienstmarke zeigen?“

„Die habe ich nicht dabei, tut mir leid.“

„Nicht schlimm. Ich war nur neugierig“, sagte er und lachte. „Profiler stelle ich mir immer vor wie im Schweigen der Lämmer. Clarice Starling. Trifft es das?“

Kopfschüttelnd sagte Sadie: „Nein, nicht ganz. In der Realität ist es viel unspektakulärer.“

„Aber so Typen wie diesen Buffalo Bill ... gibt es die?“

Sadie nickte. „Schon. Soweit ich weiß, hat Thomas Harris sich Ed Gein und Gary Heidnik zum Vorbild für seinen Buffalo Bill genommen. Die gibt es wirklich.“

„Irre. Was haben die gemacht?“

Die Ablenkung kam Sadie in diesem Moment gerade recht, auch wenn sie eigentlich keine Lust hatte, über Serienmörder zu plaudern. Aber wenigstens musste sie so nicht an Matt denken.

„Ed Gein ist vor über hundert Jahren geboren. Man nannte ihn den Plainfield Ghoul. Seine Erziehung war streng religiös und er wurde zum Mörder, als seine Mutter starb. Er war sehr auf sie fixiert. Er hat Frauen entführt und ermordet und als man ihm auf die Schliche kam, fand man allerhand Leichenteile bei ihm zu Hause. Das war Vorbild für Buffalo Bill, der seinen Opfern die Haut abgezogen hat.“

„Da kriegt man ja eine Gänsehaut“,  sagte Brandon interessiert. „Und der andere?“

„Gary Heidnik hat es geliebt, Frauen in seinen Keller zu sperren, zu foltern und zu ermorden.“

Brandon nickte aufmerksam. „So wie dieser Typ in Cleveland?“

„So ähnlich“, sagte Sadie. „Nur noch schlimmer.“

„Uh. Hattest du mit so einem schon zu tun?“

Wie vom Donner gerührt starrte Sadie ihn an. Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. Brandon war ihr nicht unsympathisch, er zeigte die typische Neugier und plapperte unbefangen drauflos. Aber sie war ja dankbar für diese Ablenkung.

Sie nickte. „Ist noch gar nicht so lang her.“

„Wirklich? Wer war das?“

Sadie nahm noch einen Schluck Whisky. „Rick Foster, der Frauenmörder.“

Brandon war fasziniert. Seine Augen leuchteten geradezu. „Der Kerl, der in Oregon getürmt ist?“

„Genau der“, sagte Sadie.

„Hast du mit ihm gesprochen?“

„Ja ... schon.“ Sie straffte die Schultern und sah Brandon geradeheraus an. „Was treibt dich denn an einem Samstag Abend hierher?“

Brandon nippte an seinem Bier. Er hatte lebhafte Augen und trug einen fusseligen Dreitagebart.

„Langeweile“, sagte er. „Ich hatte gehofft, ich könnte hier jemanden kennenlernen. Hat ja geklappt.“

Sadie lächelte. „Wenn du auf Brautschau bist, muss ich dich enttäuschen. Ich bin vergeben.“

„Hm“, machte Brandon enttäuscht. „Aber kennengelernt habe ich dich ja trotzdem. Ich muss ja nicht auf Brautschau sein, um eine Frau anzusprechen.“

„Nein“, stimmte Sadie ihm zu.

„Und was macht dein Freund so?“

„Er ist auch beim FBI“, sagte Sadie.

„Warum ist er nicht hier? Muss er arbeiten?“

„So in der Art.“ Präziser wollte Sadie nicht werden.

„Er ist es, der dich versetzt hat, oder?“

Sadie trank ihren Whisky aus und winkte dem Barkeeper. Inzwischen merkte sie den Alkohol deutlich, aber das kam ihr nur gelegen.

„Okay, falsches Thema“, sagte Brandon.

„Ach, es ist nichts“, sagte Sadie. „Ich habe ihn nur seit Wochen nicht gesehen und er fehlt mir.“

„Du solltest ihm auch fehlen.“

Verdutzt sah sie ihn an und suchte nach Worten. „Flirtest du mit mir?“

Brandon zuckte arglos mit den Schultern. „Du bist hübsch und sympathisch. Das darf ich ja wohl noch feststellen.“

„Das ist nett von dir, Brandon.“ Über dieses Kompliment freute sie sich ehrlich.

„Das ist mein Ernst. Du bist zwar auch ziemlich respekteinflößend, aber ...“

Sadie lachte. „Was, weil ich beim FBI bin?“

„Ja, schon. Das bloße Wissen reicht aus. Ich meine, du jagst Serienmörder. Ich baue Schränke.“

Sie lachte lauter. Das kann man doch kaum vergleichen. Aber Schränke bauen ist doch auch sinnvoll!“

„Schon, aber ... Ich rette keine Leben. Du wahrscheinlich schon.“

„Manchmal“, sagte Sadie knapp.

„Warum wolltest du Polizistin werden?“,  fragte er.

„Ach ... weiß nicht. War einfach so.“

„Gab es keinen bestimmten Grund dafür?“

Sie schüttelte den Kopf – hoffend, dass er ihr die Lüge nicht ansah. Der Barkeeper schenkte ihr nach. Sie wusste nicht, wieviel Whisky sie problemlos trinken konnte, aber das würde sie ja sehen.

„Ich dachte nur ...“ murmelte Brandon. „Als ich jünger war, habe ich auch davon geträumt, zur Polizei zu gehen.“

„Das kannst du doch immer noch machen“, sagte Sadie.

„Ja, wenn ich dir so zuhöre, wäre das vielleicht eine Überlegung wert.“

„Nur zu. Die Erfolgsaussichten, bei der Polizei angenommen zu werden, sind ja auch gar nicht so schlecht“, versuchte sie, ihn zu motivieren.

„Und beim FBI?“

Sadie machte ein vielsagendes Gesicht. „Das Rekrutierungsverfahren ist nicht ohne und die Erfolgsaussichten sind bescheiden.“

„Und trotzdem hast du es geschafft. Cool. Aber warum will man das beruflich machen?“

„Ich kann das einfach gut“, sagte Sadie.

„Ist dein Freund auch in deiner Einheit?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, er will etwas anderes machen. Profiling ist nicht sein Ding.“

„Das ist bestimmt auch kein leichter Job.“

„Geht so.“ Sadie trank weiter von ihrem Whisky. Die Farben wurden bunt und grell, die Musik schien lauter zu werden. Der Alkohol zeigte Wirkung.

„Vielleicht mache ich das wirklich“, sagte Brandon. „Vielleicht bewerbe ich mich noch bei der Polizei.“

„Nur zu.“

„Wenn ich dazu Fragen habe ... dürfte ich dich da kontaktieren?“

Zwar zögerte Sadie kurz, aber dann nickte sie. Diesen Wunsch abzulehnen, wäre ihr unhöflich erschienen und es gab keinen Grund dafür. Im Moment war ihr aber auch alles egal. Sie bekam allmählich Kopfschmerzen, alles drehte sich. Sie hatte definitiv zuviel getrunken.

„Okay, wieso nicht“, sagte sie, zog sie eine ihrer Visitenkarten vom FBI aus ihrem Portemonnaie und reichte sie Brandon.

„Toll“, sagte er. „Special Agent Sadie Scott. Ganz schön eindrucksvoll.“

Achselzuckend sagte sie: „Ist bloß eine Jobbezeichnung.“

„Ja, aber ich kenne bisher niemanden beim FBI. Bist du schon lange dort?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ungefähr ein halbes Jahr.“

„Immerhin.“ Brandon betrachtete die Visitenkarte eingehend und steckte sie dann in sein Portemonnaie. „Echt nett von dir.“

„Kein Ding“, sagte sie und überlegte, ob sie weitertrinken sollte oder nicht.

„Dein Freund ist der Grund dafür, dass du geweint hast, oder?“

Wie vom Donner gerührt starrte Sadie ihn an. Ihr war nicht klar gewesen, dass man es ihr so deutlich ansehen konnte.

„Das muss dir nicht unangenehm sein“, sagte Brandon. „Liebeskummer kommt vor. Leider. Auch wenn ich nicht verstehe, wie ein Mann es ertragen kann, jemanden wie dich weinen zu sehen.“

Sadie schluckte. „Das ist lieb, Brandon, aber es ist okay. Ich will nicht drüber reden.“

„Schon gut. Manchmal gehen die Pferde mit mir durch.“ Er lächelte sie an und wirkte immer noch sehr sympathisch dabei. Er trank von seinem Bier und seufzte.

„Hast du noch Familie drüben in Kalifornien?“,  wechselte er das Thema.

Sie nickte. „Meinen Onkel und meine Geschwister. Na ja, eigentlich sind sie nicht meine Geschwister, aber ich bin mit ihnen aufgewachsen.“

„Verstehe. Waisenkind?“

„Ja ... meine Familie starb, als ich elf war.“

„Oh, das muss hart sein.“ Brandon lächelte sanft, um sein Mitgefühl auszudrücken.

„Und bei dir?“,  fragte Sadie.

„Ich hatte nur meine Mutter. Bin bei ihr aufgewachsen.“

Sadie nickte nur und fragte nicht weiter. Sie trank ihren Whisky aus und kramte in ihrem Portemonnaie herum. Mehr trinken wollte sie nicht, der Alkohol stieg ihr ohnehin schon zu Kopf.

„Du willst schon gehen?“,  fragte Brandon.

„Das war zuviel Alkohol in zu kurzer Zeit“, gab sie unumwunden zu.

„Soll ich dich noch nach Hause begleiten?“

„Nein, lass mal“, sagte sie kopfschüttelnd. „Ich hab’s nicht weit. Aber danke.“

Brandon stand auf, während sie dem Barkeeper einen Schein zuschob. Sadie griff nach ihrer Jacke, steckte ihr Portemonnaie ein und nickte Brandon zu.

„War nett, mit dir zu plaudern. Schönen Abend noch.“

„Du hörst von mir“, versprach er. Sadie lächelte kurz, ging dann an ihm vorüber und verließ das Barney’s. In der kalten Luft zog sie unwillkürlich die Schultern hoch und trottete nach Hause.

Das war zuviel Whisky gewesen. Dafür, dass sie nie trank, auf jeden Fall. Wenigstens bohrte der Gedanke an Matt nicht mehr. Es tat nicht mehr weh. Genaugenommen war es ihr egal, so wie ihr gerade alles egal war.

Sie verbarg das Gesicht hinter dem Kragen ihrer Jacke. Mit langsamen Schritten kehrte sie nach Hause zurück. Schnellere Schritte konnte und wollte sie gerade nicht machen. Sie wollte überhaupt nichts. Doch, ins Bett und schlafen. Diesen Tag vergessen.

Nachdem sie den Apartmentkomplex erreicht hatte, schloss sie die Eingangstür auf und ging zu ihrem Apartment. Figaro stand maunzend vor den Näpfen. Mit hämmerndem Kopf gab Sadie ihm etwas zu fressen, ging dann ins Bad und putzte sich die Zähne.

Sie schaffte es gerade noch, sich auszuziehen und irgendwie ihr Nachthemd überzustreifen, bevor sie sich ins Bett fallen ließ und die Augen schloss.

 

Sonntag

 

Anscheinend kam sie doch ungestraft davon. Zwar fühlte Sadie sich noch müde, als die Katzen sie aus dem Schlaf rissen, aber die Kopfschmerzen waren weg. Sie hatte doch keinen Kater, jedenfalls von Figaro abgesehen.

Nachdem sie die Katzen gefüttert hatte, stellte sie sich unter die Dusche und wusch ihr langes rotes Haar. Das tat gut. Anschließend setzte sie sich an den Frühstückstisch und griff nach ihrem Handy. Sie hatte zwei Nachrichten - eine von Matt und eine von einer unbekannten Nummer.

Zuerst öffnete sie Matts Nachricht. Er hatte ihr ein Bild geschickt, das eine kleine Comicfigur mit einem Herz in der Hand zeigte. Darunter stand: Ich bin ein Idiot, aber ich liebe dich. Ich mache es wieder gut, wenn die Prüfungen vorbei sind.

Sadie lächelte und wollte schon antworten, aber zuerst wollte sie herausfinden, wer ihr die andere Nachricht geschickt hatte. Sie war einfach neugierig. Also öffnete sie die Nachricht und las.

Danke für den schönen Abend, Sadie. War sehr nett, mit dir zu reden. Hoffe, du bist gut nach Hause gekommen. Brandon

Nachdenklich blickte sie aufs Display und fragte sich, was er sich davon erhoffte. Auskünfte über die Polizeiarbeit konnte sie ihm geben, aber sie befürchtete, dass das nicht alles war, was er beabsichtigte. Er hatte deutlich gemacht, dass er auf der Suche nach einer Frau war und sie hatte ebenso unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie nicht zu haben war. Aber vielleicht interpretierte sie auch zuviel hinein und er wollte wirklich nur den Kontakt halten. Sie hatte nichts dagegen. Zwar fragte sie sich im Nachhinein, warum sie ihm ihre Karte gegeben und nicht einfach nach seiner Nummer gefragt hatte, aber jetzt war es eben so. Der Alkohol ...

Vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn sie noch jemanden in der Gegend kennenlernte. Außer ihren Kollegen und Phil kannte sie keine Menschenseele, weder in Quantico noch in Dale City. Da waren sonst nur noch Matt und die Nachbarin, die sich um die Katzen kümmerte, aber das war ja kein Kontakt in dem Sinne. Sie hatte kaum Freunde, mit denen sie weggehen konnte, und genau das war im Augenblick auch das Problem: Sie hatte nur Matt.

Inzwischen war sie darüber hinweg, dass er sie versetzt hatte. Zumindest tat es nicht mehr so weh. Sie antwortete auf seine Nachricht: Ist ja nicht mehr lang, bis du es geschafft hast. Kann es kaum erwarten. Ich liebe dich auch.

Dann machte sie sich daran, auch Brandon zu antworten. Das fand sie nur höflich.

Bin gut nach Hause gekommen und habe keinen Kater. Es war wirklich nett. Können wir mal wiederholen. Sadie

Sie drückte auf Senden und speicherte seine Nummer ab, damit sie zukünftig seinen Namen statt seiner Nummer sehen würde. Das machte es einfacher.

Dann widmete sie sich dem Frühstück. Es dauerte jedoch gar nicht lang, bis Matt ihr antwortete. Kann es auch kaum erwarten, bis es vorbei ist. Ich lerne schon wieder. Mir platzt der Kopf, das kann ich dir sagen. Wollen wir heute Abend essen gehen? Kleine Entschädigung. Ich lade dich ein.

Sadie lächelte. Diese Wiedergutmachung war ganz nach ihrem Geschmack. Also tippte sie zurück: Gern, das ist eine tolle Idee. Kommst du her?

Nach dem Frühstück wollte Sadie sich dem Hausputz widmen und zwischendurch mit Tessa sprechen, wenn es drüben in Kalifornien nicht mehr so früh war. Sonst würde Tessa ihr ewig Vorhaltungen machen.

Wenig später erhielt sie von Matt Antwort. Er versprach, um achtzehn Uhr da zu sein - diesmal wirklich. Sadie lächelte und freute sich darauf, ihn wiederzusehen. Er nahm seine Ausbildung sehr ernst, was Sadie verstehen konnte, aber das war trotzdem nicht leicht für sie.

Augenblicke später summte ihr Handy erneut. Es war Brandon. Hab dich gegooglet. Du hast ja drüben in Kalifornien schon einen Serienmörder dingfest gemacht.

Sadie grinste wenig überrascht. Natürlich hatte er sie gegooglet. Sicherlich hatte er damit auch Verweise auf Rick Foster gefunden, aber wenigstens hatte er das nicht angesprochen.

Sie antwortete: Das war kurz bevor ich herkam. So etwas mache ich öfter.

Augenblicke später antwortete er: Hat dein Freund sich bei dir entschuldigt?

Zwar fand Sadie das ziemlich neugierig, aber schließlich hatte Matt es getan. Ja, hat er. Ich sehe ihn heute Abend. Was hast du vor?

Auch diesmal ließ die Antwort nicht lang auf sich warten. Vielleicht gehe ich ins Kino. Keine Ahnung, ob man da gut Frauen treffen kann. Wo hast du deinen Freund kennengelernt?

Sadie antwortete: Bei der Arbeit. Hast ihn beim Googlen auch gefunden, er ist der Polizist, den Rick Grimes als Geisel genommen hat.

Das beeindruckte Brandon. Da musst du dir aber ziemlich in die Hose gemacht haben. Hut ab, dass du mit Grimes verhandelt hast.

Sadie schrieb: Musste ich ja. Sonst war niemand da und ich wollte nicht, dass er Matt umbringt. War aber wirklich nicht leicht.

Du musst ihn sehr lieben, schrieb Brandon.

Sadie antwortete: Ja, das tue ich.

Daraufhin kam erst einmal nichts mehr von Brandon. Achselzuckend legte Sadie ihr Handy weg und widmete sich der Wäsche. Im Hintergrund lief der Fernseher, Mittens folgte ihr auf Schritt und Tritt. Sadie lächelte und kniete sich vor die Katze, um sie zu streicheln.

„Manchmal bist du richtig anhänglich“, sagte sie und hob Mittens auf den Arm. Sofort sprang der Schnurrmotor an. Ergeben setzte Sadie sich mit der Katze aufs Sofa und kraulte sie. Die Katzen hielten sie immer wieder von der Arbeit ab, aber sie erinnerten sie auch daran, dass es gut war, mal eine Pause einzulegen. Sadie liebte die beiden Fellknäuel.

Schließlich hatte sie soweit alles erledigt und wählte die Telefonnummer ihrer besten Freundin. Tessa war gleich am Apparat.

„Dass du auch noch lebst“, war gleich das Erste, was sie sagte.

„Klar lebe ich“, sagte Sadie. „Ich habe nur zu tun.“

„Ja, ich weiß. Wie geht’s?“

„Ganz gut“, behauptete Sadie.

„Und Matt?“

„Er hat viel Stress.“

„Ja, den hattest du damals auch. Steigt es ihm schon zu Kopf?“

„Ich weiß nicht“, sagte Sadie. „Vielleicht. Gestern Abend hatte ich für uns gekocht und er ist nicht aufgetaucht. Hatte sich den Termin im Kalender falsch eingetragen.“

„Pff!“,  machte Tessa. „Im Ernst?“

„Ja. Ich war begeistert, wie du dir denken kannst.“

„Hätte ich ihm gar nicht zugetraut.“

„Ich auch nicht. Er hat es nicht böse gemeint.“

„Trotzdem ist das scheiße“, sagte Tessa unverblümt. „Macht er es wieder gut?“

„Ja ... er will mich heute Abend zum Essen einladen.“

„Das ist ja wohl auch das Mindeste! Dem Kerl huste ich was ... er kann gern Herzen brechen, wie er will, aber bitte nicht bei dir. Du brauchst keinen Mist mehr in deinem Leben.“

Sadie lächelte. „Danke, Tessa, du bist ein Schatz. Du verteidigst mich ja wie eine Löwenmutter.“

„Na aber Hallo, das muss ich ja wohl auch. Du warst immer meine beste Freundin, weil dir egal war, ob ich ausgeflippt bin oder lesbisch oder was auch immer. Du hast mich einfach so angenommen. Und ich nehme dich auch an! Ist mir scheißegal, ob dein Vater ein Irrer war. Du bist nicht irre. Und das ist es ja, was zählt. Aber du brauchst definitiv einen Mann, der sich gut um dich kümmert. Wenn Matt das nicht tut, sag mir Bescheid und ich geige ihm die Meinung!“

„Nein, lass ihn in Ruhe“, sagte Sadie lachend. „Er hat es ja nicht so gemeint.“

„Ist doch egal. Er hat dich versetzt.“

„Stimmt.“

„Hab ich auch alles schon erlebt. Ich hasse das. Dann möchte ich immer gleich gemeinsame Erinnerungsfotos zerschnippeln“, sagte Tessa dramatisch.

„Ich bin in eine Bar gegangen.“

Tessa lachte. „Wer, du? Ist ja abgefahren. Wolltest du dich betrinken?“

„Weiß nicht. Vielleicht. Ich habe mich aber nicht betrunken. Hab mich nett mit einem Typen unterhalten.“

„Aha? Aber Matt ist eben nicht der einzige Kerl auf der Welt. Er sollte sich vorsehen!“

„Nein, ach was“, sagte Sadie kopfschüttelnd. „Ich bin nicht interessiert. Aber ich sollte mir ja hier auch mal einen Freundeskreis aufbauen.“

„Wenn du vor hast, drüben zu bleiben, macht das Sinn. Wie heißt er denn?“

„Brandon. Ich habe ihm gesagt, dass ich vergeben bin und er gräbt nicht weiter. Vielleicht will er zur Polizei gehen, deshalb hoffte er, ein paar Tips von mir zu bekommen.“

„Hast du ihm deine Nummer gegeben?“, fragte Tessa.

„Ja, warum auch nicht?“

„Hm, hast du auch wieder recht.“

„Ich werde Matt doch nicht untreu“, sagte Sadie.

„Nein, das kann ich mir bei dir auch nicht vorstellen. Du liebst ihn doch abgöttisch. Ist es echt so gut mit ihm im Bett?“

Sadie lachte. „Und schon bist du wieder beim Thema. Klar ist es gut, aber darum geht es doch gar nicht.“

„Ja, schon klar. Die Gefüüüühle ...“ sagte Tessa gedehnt.

„Du sagst das so, als wäre das etwas Seltsames.“

„Nein, hör nicht auf mich. Aber das ist eben alles wichtig. Bin ja froh, dass du mir nicht als alte Jungfrau stirbst. Ich hatte schon Bedenken.“

Sadie verdrehte die Augen. „Nein, diese Gefahr ist gebannt.“

„Das ist gut. Grüß Matt schön von mir, er muss dich hegen und pflegen. Ich weiß das.“

„Danke, Tessa. Es ist immer so nett, mit dir zu plaudern“, sagte Sadie nicht ganz frei von Ironie.

„Na, das hoffe ich doch!“

Tessa erzählte, dass sie mit ihrer neuen Freundin eine recht lockere, aber trotzdem stabile Beziehung pflegte. Es ging ihr gut. Zwar fluchte sie wie ein Rohrspatz über ihr Studium und die Anstrengungen, die es mit sich brachte, aber Sadie kannte Tessas Theatralik und maß dem nicht allzu viel Bedeutung bei. Stattdessen überlegte sie, ob sie Tessa erzählen sollte, dass die Möglichkeit für sie bestand, wieder nach Kalifornien zurückzukehren. Möglicherweise - und abhängig davon, was Matt nach seiner Ausbildung machte. Aber dann behielt Sadie es für sich. Sie wollte Tessa nicht die Nase lang machen und sie hinterher enttäuschen müssen.

Schließlich war eine Stunde wie im Flug vergangen und Tessa beendete das Gespräch, weil sie eine Verabredung hatte. Sehnsüchtig blickte Sadie auf die Uhr und stellte fest, dass es inzwischen schon drei Uhr nachmittags war. Also gar nicht mehr so lang, bis sie Matt endlich wiedersah.

Sie freute sich, auch wenn sie immer noch verletzt war. So schnell heilten Wunden bei ihr einfach nicht. Sie hatte auch lang gebraucht, um sich von der Begegnung mit ihrem Vater zu erholen. Das war überraschend schwierig gewesen – und das, obwohl er nun endlich tot und aus ihrem Leben verschwunden war.

Aber die Psyche war eben fragil. Das wusste sie jetzt – obwohl sie glaubte, dass sie in mancherlei Hinsicht auch erstaunlich robust war.

Sie hatte gerade beschlossen, sich ein wenig vor den Computer zu setzen und sich dort die Zeit zu vertreiben, als ihr Handy klingelte. Sie rechnete mit einem Anruf von Matt, aber auf dem Display stand Nicks Name. Sadie war überrascht über einen Anruf ihres Chefs am Sonntag.

„Nick. Was kann ich für dich tun?“

„Gut, dass ich dich erreiche, Sadie. Es tut mir leid, dich heute zu stören, aber es geht nicht anders.“

„Was ist los?“ fragte sie.

„Wir haben hier einen Fall auf dem Tisch, wegen dem ich dringend mit dir sprechen muss. Kannst du nach Quantico kommen?“

„Klar ... worum geht es?“

„Ein Serienmörder in Pennsylvania. Alexandra hat mir vorhin deshalb Bescheid gesagt. Lass uns gleich darüber sprechen, okay?“

„Sicher. Ich komme nach Quantico. Gib mir eine halbe Stunde.“

„Kein Problem. Bis gleich.“

Irritiert legte Sadie auf. Wenn Nick sie sonntags ins Büro bat, musste es wirklich wichtig sein. Das tat er normalerweise nie. Schnell zog sie sich andere Sachen an, packte ihr Handy und ihr Portemonnaie ein und machte sich auf den Weg. Sonntags war wenig los auf den Straßen, deshalb brauchte sie nicht lang bis nach Quantico. Sie war froh, dass der Weg nicht so weit war.

Es war kurz nach halb vier, als sie sich auf den Weg ins Gebäude machte. Auch sonntags arbeiteten dort Menschen, deshalb war sie nicht ganz allein. Mit ihrem Ausweis verschaffte sie sich Zutritt und fragte sich während der Fahrt nach oben, warum Nick sie wohl alarmiert hatte. Ausgerechnet sie ... Es hatte nicht so geklungen, als hätte er alle angerufen.

Mit pochendem Herzen betrat sie das große Büro der BAU, konnte aber auf Anhieb niemanden dort entdecken. Deshalb ging sie gleich zu Nicks Büro. Noch bevor sie dort eintraf, hörte sie seine Stimme. Im Türrahmen blieb sie stehen und klopfte.

Nick saß an seinem Schreibtisch, Alexandra stand neben ihm. Beide hatten die Köpfe über irgendwelchen Unterlagen zusammengesteckt.

„Sadie“, sagte Nick und gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie hereinkommen sollte. Sie setzte sich vor seinen Schreibtisch und er schob ihr den Stapel Blätter hin, den er sich gerade noch mit Alexandra angesehen hatte.

Gleich obenauf lag das Foto einer toten jungen Frau. Auf ihrem Körper war Blut getrocknet. Viel Blut. Ihre toten Augen starrten reglos ins Nichts. Auch auf dem recht kleinen Foto konnte Sadie eine starke Rötung der Augen erkennen, außerdem entdeckte sie Würgemale an ihrem Hals. Die Tote hatte Hämatome an den Beinen, Schnitte auf dem ganzen Körper, verfilzte Haare und einen ganz verzerrten Gesichtsausdruck. Das waren die Spuren wochenlanger Folter.

Noch sagte Sadie nichts. Sie blätterte vorwärts und entdeckte weitere Fotos der jungen Frau. Sie lag an einem Flussufer, war voller Schmutz. Sie schien eine Weile im Wasser gelegen zu haben. An den Hand- und Fußgelenken hatte sie Schürfwunden, die von Fesseln stammen mussten.

Erneut blätterte Sadie weiter. Es gab weitere Fotos der jungen Frau und eine Kopie vom Obduktionsbericht, die Sadie nur überflog. Sie las Erwürgen und Vergewaltigung, was ihr schon reichte. Die übrigen Spuren der Misshandlung hatte sie ja gesehen. Da hatte sich jemand ausgetobt.

Auf der nächsten Seite erwartete sie das Foto einer weiteren jungen Frau. Auch sie hatte Würgemale am Hals, geplatzte Äderchen in den Augen, Fesselmale, Wunden und viele andere Verletzungen, die denen der ersten Frau ähnelten. Beide waren brünett und jung, wahrscheinlich keine zwanzig.

Sadie hatte schon den Mund offenstehen, um Nick eine Frage zu stellen, als er ihr wortlos ein weiteres Blatt hinschob. Stumm begann Sadie, zu lesen.

 

Carrie Ambrose und Stacy Parks waren erst der Anfang. Die Polizei hat nicht die geringste Ahnung, wer ich bin. Die tappen völlig im Dunkeln. Vielleicht sollten sie die Profiler des FBI einschalten - ich wäre gespannt, zu hören, was die über mich denken. Und die sollten sehen, in wessen Fußstapfen ich trete. Ich würde mich freuen, wenn Sie über mich als den Pittsburgh Strangler schreiben. Die Stadt sollte sich auf weitere entführte Frauen einstellen, ich habe gerade erst angefangen. Findet mich doch.

 

Sadie hob den Blick. „Was ist das?“

„Das ist ein anonymer Brief, der gestern beim Pittsburgh Tribune eingegangen ist. Eine Reporterin hat sich dahintergeklemmt und sowohl mit der Polizei als auch mit Alexandra gesprochen. Die beiden toten Frauen, die du da siehst, sind Carrie Ambrose und Stacy Parks. Stacy wurde im Oktober entführt, wochenlang gefangengehalten und schließlich ermordet. Gefunden wurde sie vor sieben Wochen. Nach Weihnachten ist auch Carrie Ambrose verschwunden. Ihre Leiche wurde vor drei Wochen entdeckt.“

„Und warum soll ich mir das ansehen?“, fragte Sadie ehrlich verwirrt.

Nick seufzte. „Es gibt einiges an dem Fall, das mir Sorgen macht. Natürlich sind entführte, vergewaltigte und erwürgte Frauen kein Alleinstellungsmerkmal, aber wenn du dir die Obduktionsberichte genauer ansiehst, solltest du sehen, dass da nicht irgendein Irrer am Werk ist. Wirklich Sorgen macht mir jedoch dieser Brief.“ Er holte tief Luft und beugte sich vor. „Warum schickt ein Serienmörder einen Brief an eine Zeitung, in der er nach der BAU fragt? Warum sollte er das tun?“

„Verbrecher, die sich in der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sonnen, gibt es doch nicht erst seit dem Unabomber“, erwiderte Sadie.

„Natürlich nicht ... aber lies mal weiter. Er tritt in die Fußstapfen von jemandem und nennt sich selbst den Pittsburgh Strangler.“ Ernst sah Nick sie an. Sadie begriff langsam, worauf er hinaus wollte.

„Du siehst einen Zusammenhang mit dem Oregon Strangler“, mutmaßte sie.

„Und ob ich den sehe. Er entführt die Frauen, hält sie wochenlang gefangen ... im Falle von Stacy ging das von Oktober bis Dezember. Und kaum hatte er sie umgebracht, hat er sich Carrie geholt und sie im Februar umgebracht. Das sind jeweils acht oder zehn Wochen. Die beiden haben gehungert, wurden geschlagen, gebissen, geschnitten, mit Elektroschocks gefoltert, vergewaltigt und schließlich erwürgt.“ Er holte tief Luft. „Da kopiert jemand deinen Vater, Sadie.“

Sie nickte nachdenklich, während sich die Härchen in ihrem Nacken aufrichteten. „Sieht irgendwie so aus.“

Nick war erstaunt über diese Reaktion. „Mehr sagst du nicht dazu?“

„Was soll ich dazu sagen? Ich hab doch auch keine Ahnung, wer der Kerl ist und warum er das tun sollte.“

„Schon klar, aber ...“ Nick wusste nicht, wie er es formulieren sollte. „Ich verstehe alles an diesem Brief. Er macht uns darauf aufmerksam, dass er jemanden nachahmt und indem er sich selbst Strangler tauft, verrät er uns auch, wen er kopiert. Das ist soweit nicht ungewöhnlich. Seltsam finde ich aber, dass er gezielt nach uns Profilern fragt.“

„Wieso? Wenn er sich mit uns duellieren will ... das hat es doch auch schon gegeben. Typen, die den Ermittlern zeigen wollen, dass sie schlauer sind“, sagte Sadie.

„Natürlich, da hast du recht. Aber ich bin schon zu lange Profiler, um nicht zwischen den Zeilen zu lesen.“ Nick kräuselte die Lippen. „Ich habe Angst, dass er von dir weiß, Sadie. Dass er nicht nach uns Profilern als solche gefragt hat, sondern dass er weiß, dass die Tochter des Oregon Stranglers bei der BAU arbeitet.“

Sadie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und zog fragend eine Augenbraue hoch. „Das meinst du nicht im Ernst.“

„Ich weiß es nicht, Sadie, aber das macht mir Sorgen. Ich glaube nicht an Zufälle.“

„Wenn er wüsste, wer ich bin, hätte er gezielt nach mir fragen können“, hielt Sadie dagegen.

„Das könnte Teil seines Spiels sein.“

„Ja, aber wer soll er sein?“

„Das ist eben die Frage“, sagte Nick bedeutungsvoll. „Ich weiß, ich bin auch dahintergekommen. Ich habe selbst herausgefunden, wer du bist, so wie Matt und dein Kollege. Man kann das herausfinden, wenn man weiß, wo man suchen muss. Vielleicht ist es aber auch viel einfacher als das. Vielleicht ist er jemand, der mit uns zusammenarbeitet oder den du kennst, Sadie. Jemand aus unserem Umfeld, für den das sowieso kein Geheimnis war.“

„Nick ...“ Sie seufzte ergeben.

„Ich meine das ernst, Sadie. Ich habe nur einfach Angst, dass er dich im Visier hat.“

„Du bist ja paranoid. Glaubst du das wirklich?“

„Ich weiß es nicht, aber wir haben schon bei deinem Vater fälschlicherweise geglaubt, dass er dir nichts anhaben kann. Dass wir dich vor ihm beschützen, dass dein Freund ein Auge auf dich hat. Aber jetzt ist Matt nicht mal in deiner Nähe.“

Sadie schüttelte den Kopf. „Nick, hör auf damit. Mir stellt kein verrückter Serienmörder nach, das kannst du nicht ernst meinen. Du interpretierst viel zuviel in diesen Brief hinein!“

„Und was, wenn nicht?“ erwiderte Nick.

Sadie starrte ihn an. „Du meinst das wirklich ernst, oder?“

„Ich sehe das ähnlich“, sprang Alexandra ihm zu Hilfe. „Als ich mit der Journalistin telefoniert habe, war das ehrlich gesagt gleich mein erster Gedanke. Ich habe mich sofort gefragt, warum der Kerl so gezielt von uns spricht. Die BAU und der Strangler in einem Atemzug ... ich musste auch gleich an dich denken.“

„Okay“, sagte Sadie. „Lassen wir das mal so dahingestellt. Warum sollte ich herkommen, Nick? Deshalb?“

„Nicht nur“, sagte Nick. „Wir sollten uns diesen Fall generell ansehen, denn wenn der Kerl schon ankündigt, dass er weitermacht, macht er weiter. Wir wissen noch nicht, ob er nicht längst ein neues Opfer hat. Das ist möglich. Wir müssen ihn stoppen, so oder so. Ich hatte aber gehofft, dass du etwas Nützliches dazu beisteuern kannst.“

Sadie seufzte tief. „Du solltest Andrea Thornton fragen und nicht mich. Sie ist die Expertin für Sexualsadisten.“

„Ja, ich telefoniere auch noch mit ihr, dazu bin ich bislang nicht gekommen. Ich hatte nur gehofft, dass dir etwas auffällt, denn immerhin ahmt er deinen Vater nach“, betonte Nick.

„Du vergisst, dass ich in meinem Vater immer den Mörder meiner Familie gesehen habe“, wandte Sadie ein. „Das war jahrelang so. Dass er ein Sexualsadist war, hat mich erst interessiert, als ich studiert habe. Ich kann dazu wenig sagen, ich war nicht dabei.“

„Bei allem Respekt ...“ Nick zögerte. „Du warst dabei. Du hast ihn als den Sadisten erlebt, der er war.“

„Meinst du?“ fragte Sadie skeptisch. „Er hatte noch gar nicht richtig angefangen.“

„Ja, aber das ist dir zum Beispiel schon mal klar. Du kannst das einschätzen. Ich könnte verstehen, wenn du ablehnst, aber ich wäre für deine Hilfe sehr dankbar.“

„Die hast du. Ich will nur nicht, dass du dir zuviel erhoffst.“

„Tue ich nicht“, sagte Nick. „Ich weiß noch nicht, wen ich darüber hinaus mitnehmen will, aber ich würde gern morgen früh nach Pittsburgh fliegen. Wäre toll, wenn du mitkommst.“

„Kein Problem. Dann bist du auch beruhigt“, sagte Sadie. Nick blieb jedoch ernst.

„Ich bin einfach vorsichtig. Sollte sich herausstellen, dass ich voreilig war, kann ich damit leben. Aber wir müssen wissen, was der Kerl will und wir sollten öffentlichkeitswirksam agieren, damit er wieder Kontakt mit uns aufnimmt. Dadurch wird er uns einiges verraten.“

Sadie nickte. „Kann ich Unterlagen mitnehmen? Dann schaue ich mir das schon mal an.“

„Von mir aus. Tut mir auch leid, dass ich dich heute damit behellige, aber ich fand das wichtig.“

„Nicht schlimm“, sagte Sadie. „Du weißt, ich bin immer für das Team da.“

Nick lächelte und schob ihr die Unterlagen hin. „Ich habe das alles nochmal. Das kannst du ruhig mitnehmen.“

„Okay, danke“, sagte Sadie. „Wenn es das war, sehen wir uns morgen.“

Dormer nickte und damit verabschiedete Sadie sich. Sie kehrte allerdings nicht zu ihrem Auto zurück, sondern hielt geradewegs auf die Unterkünfte zu. Sie wollte nicht warten, bis Matt zu ihr kam. Jetzt war sie ohnehin gerade in seiner Nähe.

Diesmal fühlte sie sich nicht unbehaglich dabei, zu Matt zu gehen. Auf den Gängen begegnete ihr fast niemand. Gedankenversunken folgte sie den Fluren und überlegte sich, was da eben passiert war. Sie war insofern Nicks Meinung, als dass sie auch glaubte, es hier mit einem Nachahmer zu tun zu haben. Hätte es nur die Toten und die Merkmale ihrer Todesumstände gegeben, wäre sie da nicht so sicher gewesen, aber aus dem Brief las sie fast dasselbe heraus wie Nick. Er sprach davon, jemanden nachzuahmen, nannte sich selbst Strangler – das konnte sie nicht ignorieren. Das kombiniert mit dem modus operandi sprach eine eindeutige Sprache.

Aber wollte der Täter auf sie anspielen? Warum sagte er das dann nicht einfach?

Sadie hatte den Gang erreicht, auf dem Matts Zimmer lag. Schließlich klopfte sie an seine Tür und wartete, bis er öffnete. Er trug nur eine Trainingshose und ein Muskelshirt, auf dem noch Schweißflecken zu sehen waren. Aber er hatte ja auch nicht mit ihr gerechnet.

„Sadie“, sagte er und umarmte sie ohne ein weiteres Wort. Sie erwiderte seine Umarmung und stellte fest, dass er verschwitzter aussah, als er war. Dabei mochte sie das ja irgendwie, denn sie konnte ihn einfach gut riechen – im wahrsten Sinne.

„Komm rein“, sagte er, zog sie sanft in sein Zimmer und schloss die Tür hinter ihr. „Es tut mir so leid, Süße. Ich habe heute Nacht kein Auge zugetan.“

„Ich hab’s überlebt“, sagte Sadie achselzuckend.

„Ich bin im Moment nicht zu gebrauchen. Ich lerne und schlafe und zwischendurch quäle ich mich draußen durch den Wald. Wobei das fast noch am angenehmsten ist.“ Matt seufzte tief. „Ich bin froh, wenn das vorbei ist. Du hast meinen tiefsten Respekt verdient.“

„Als ich das gemacht habe, war ich auch fitter als jetzt“, sagte Sadie augenzwinkernd.

„Das glaube ich sogar. Aber trotzdem.“ Er küsste sie zärtlich und strich ihr übers Haar. „Was zum Teufel tust du hier?“

Sie hob den Papierstapel in ihrer Hand. „Nick hat mich angerufen und gebeten, herzukommen. Und hier bin ich. Wir fliegen morgen nach Pittsburgh.“

„Okay ... und dafür hat er dich heute herbestellt?“

„Ja ...“ Plötzlich fehlten ihr die Worte. Matt gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie sich auf sein Bett setzen sollte und nahm daneben Platz. Auf seinem Schreibtisch lagen aufgeschlagene Bücher, über der Lehne seines Stuhls hing ein Handtuch. Das erinnerte Sadie stark an sich selbst vor einigen Jahren.

„Was ist los?“, fragte Matt, dem nicht entging, wie sehr Sadie in Gedanken war.

Sie starrte auf die Unterlagen. „Er nennt sich Pittsburgh Strangler. Zwei Frauen hat er schon umgebracht, nachdem er sie wochenlang gefangengehalten und gefoltert hat. Er hat sie erwürgt. Dann hat er einen Brief an eine Zeitung geschickt und darin von uns Profilern gesprochen ... und davon, dass er jemanden nachahmt.“

Matt nickte. Er begriff nicht gleich, aber dann hielt er inne. „Er nennt sich Strangler?“

„Ja. Nick glaubt, dass er meinen Vater nachahmt.“

„Oh verdammt“, sagte Matt.

Sadie hielt ihm den Brief hin. „Lies das mal und sag mir, was du davon hältst.“

„Okay.“ Matt nahm das Blatt und las sich den Brief durch.

„Hm“, machte er dann. „Der Kerl will wohl Aufmerksamkeit.“

„Ja ... findest du es seltsam, dass er nach den Profilern fragte?“

Schulterzuckend sagte er: „Keine Ahnung, wieso?“

„Nick sieht einen Zusammenhang. Er denkt, dass der Nachahmer des Oregon Stranglers nicht zufällig nach der BAU fragt - sondern meinetwegen.“

Nachdenklich straffte Matt die Schultern und überlegte. „Hab ich nicht so gesehen ... aber vielleicht ist da was dran.“

„Dafür müsste er es aber wissen.“

„Ja, das ist nicht sehr wahrscheinlich.“ Matt griff nach ihrer Hand. Seine Unbekümmertheit beruhigte sie. „Es ist schön, dass du damit zu mir kommst. Verdient hätte ich das nicht.“

„Jetzt mach dich nicht so runter“, mahnte Sadie. „Wie gesagt, ich lebe ja noch.“

„Ja, aber ... du hast gestern nicht auf meine Frage geantwortet, ob du dir Sorgen gemacht hast. Ich könnte es verstehen. Ich sollte so etwas nicht machen - mit dir schon gar nicht. Aber ich hab’s mir einfach falsch eingetragen und das überhaupt nicht gemerkt. Ich merke im Moment überhaupt nichts ... mein Kopf platzt vor lauter Regeln und Gesetzen und Abläufen.“

„Ich weiß“, sagte sie. „Es ist bald geschafft. Du kannst wirklich stolz auf dich sein, dass du das durchgezogen hast.“

„Ja, warum auch immer ...“ Er lachte. „Aber weißt du, was das Schlimmste ist?“

Sadie schüttelte den Kopf.

„Es macht Spaß. Es ist unfassbar anstrengend, aber es fordert mich auch so, wie mich noch nie etwas gefordert hat. Hier kann ich mich beweisen. Das ist großartig.“

„Ich weiß. Genieße es.“

„Oh, ich werde die Zeit genießen, in der ich nach der letzten Prüfung die Füße hochlegen darf! Das muss auch sein.“ Er legte einen Arm um sie. „Soll ich heute Nacht bei dir bleiben?“

Sie blickte zu ihm auf. „Würdest du das machen?“

„Klar. Ich wollte sowieso gleich duschen gehen und mich umziehen, um zu dir zu fahren. In meinen Kopf passt ohnehin nichts mehr rein.“

„Dann lass dich nicht aufhalten“, sagte Sadie.

„Okay.“ Bevor Matt aufstand, gab er ihr erneut einen Kuss. „Tut mir wirklich leid mit gestern. Ich hab gehört, dass du traurig warst. Das kann ich verstehen. Ich wäre auch noch gekommen, wenn ich nicht schon so viel getrunken hätte. Ich hätte dir nur etwas vorgelallt.“

„Hat man am Telefon gar nicht gehört.“

„War aber so. Außerdem hatte ich das Gefühl, du willst mich gar nicht sehen.“

Betreten senkte Sadie den Blick. „Stimmt, ich ... ich war wütend. Und verletzt.“

„So etwas sollte ich mit dir nicht machen, das ist mir klar“, sagte Matt.

„Schon gut.“ Sie stand auf und umarmte ihn. „Ich habe mich danach aber auch betrunken.“

„Im Ernst? Du?“, fragte er lachend.

Sie nickte. „Ich war bei Barney’s und hab’s mir gegeben.“

Plötzlich fand Matt das gar nicht mehr so lustig. Er drückte sie an sich und strich ihr übers Haar.

„Ich bin wirklich ein Idiot“, sagte er. „Es tut mir leid.“

Langsam löste er sich von ihr und verschwand in seinem kleinen Bad. Sadie wunderte sich nicht über seine plötzliche Flucht – er schämte sich. Das tat ihr leid, aber sie beschloss, ihn in Ruhe zu lassen. Augenblicke später hörte sie das Wasserrauschen aus der Dusche.

Im Moment reichte es ihr völlig, in seiner Nähe zu sein. Inzwischen war ihr auch wirklich nicht mehr wichtig, was am Vorabend passiert war. Jetzt hatte sie andere Sorgen.

Während Matt im Bad war, betrachtete sie die Unterlagen aus Pittsburgh. Erneut las sie den Brief und versuchte, Nicks Gedankengänge nachzuvollziehen, doch es gelang ihr nicht. Sie konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass dieser Täter ihretwegen nach den Profilern gefragt hatte. Das konnte tausend Gründe haben. Vermutlich hätte der Täter sich selbst gewundert, hätte er gewusst, dass die Tochter des Oregon Stranglers als Profilerin arbeitete. Das war alles nur ein dummer Zufall.

Ein ziemlich dummer allerdings. Wenn sie die Fotos betrachtete, fühlte sie sich auch unweigerlich an ihren Vater erinnert. Sie hasste solche Kerle und war wirklich gespannt, was Andrea davon hielt, denn sie war die Expertin. Sie hatte doch auch schon mit einem Täter zu tun gehabt, der den Kerl nachgeahmt hatte, der sie entführt hatte. Bis ins Detail. Wenn also jemand helfen konnte, dann sie.

Sie wurde unterbrochen, weil Matt aus dem Bad kam. Er hatte sich ein Handtuch umgebunden und zog sich frische Sachen an. Sadie legte die Unterlagen weg. Das hatte Zeit bis morgen. Niemand behelligte sie jetzt gerade, was für sie das deutlichste Indiz dafür war, dass sie sich keine Gedanken machen musste. Hätte jemand sie terrorisieren wollen - er hätte es jederzeit gekonnt, und zwar viel unmittelbarer.

Als Matt fertig war, machten sie sich auf den Weg. Hinter dem Gebäude hatte er seinen Challenger geparkt. Auf dem Weg dorthin sagte er: „Du kannst auch fahren.“

Sadie winkte ab. „Du weißt, ich bin bei dir auch gern Beifahrer.“

Er lächelte, denn das freute ihn immer wieder. Trotzdem sah er seine Freundin mit einem schlechten Gewissen aus dem Augenwinkel an, als er auf dem Fahrersitz saß und losfuhr. Er hatte auch nicht übertrieben, als er gesagt hatte, dass er kein Auge zugemacht hatte.

Sein Weg führte ihn schnurstracks in eins der gehobeneren Restaurants in Dale City. Er wollte sich jetzt nicht lumpen lassen, sondern eine anständige Wiedergutmachung abliefern. Sadie nahm es gerührt zur Kenntnis. Sie waren früh, deshalb war es noch nicht sehr voll im Restaurant und sie bekamen einen gemütlichen, abgelegenen Tisch. Sadie erkundigte sich nach Matts Lernfortschritten und seinen Prüfungen.

„Dienstag geht’s los“, sagte er mit einem nervösen Grinsen. „Ich hoffe so, dass ich das alles packe.“

„Klar packst du das. Du hast dich so reingehängt.“

„Ja ... ich bin eben nervös. Es hängt so viel daran. Und wenn ich es dann geschafft habe, verfrachten die mich bestimmt in irgendein Kaff in Nebraska, wohin du nicht mitkommen kannst ...“

„Ach was, nein“, sagte Sadie. „Du willst doch immer noch undercover arbeiten, da bietet Nebraska sich nicht wirklich an, meinst du nicht?“

„Ich hoffe wirklich, dass das alles klappt. Könntest du wirklich woanders als Profilerin arbeiten?“

Sadie nickte. „Sicher, warum nicht? Das FBI hat immer Arbeit für seine Agenten, egal wo. Und die werden schon nicht blöd genug sein, dich an die Westküste zu schicken und von mir zu verlangen, dass ich hier an der Ostküste bleibe.“

„Ich hoffe es so sehr. Schließlich sind wir noch nicht verheiratet ...“

„Es ist aber bekannt, dass wir das vor haben. Jetzt mach dir keine Sorgen!“ Lächelnd griff Sadie nach seiner Hand. Er hob ihre Hand an seine Lippen und küsste sie. Zum Valentinstag hatte er ihr einen ganz klassischen Verlobungsring mit einem kleinen Brillianten geschenkt, den sie seitdem voller Stolz trug. Da sie zuvor keinerlei Ringe besessen hatte, hatte er ihre Größe raten müssen und den Ring zu groß gekauft, so dass er erst noch hatte angepasst werden müssen.

Den ganzen Abend unterhielten sie sich über die unterschiedlichsten Dinge, doch der Fall in Pittsburgh, zu dem Sadie am nächsten Tag reisen würde, war kein Thema zwischen ihnen. Als sie später mit Matt auf dem Weg zum Apartment war und die Unterlagen mitnahm, fragte Sadie sich, warum sie überhaupt darum gebeten hatte. Anschauen würde sie sie jetzt nicht mehr. Dieser Abend gehörte ihr und Matt.

„Da seid ihr ja“, sagte Matt beim Betreten des Apartments und machte Jagd auf die Katzen, um sie zu knuddeln. Figaro genoss es, aber Mittens war nicht ganz so begeistert.

Matt atmete tief durch, den Kater auf seinem Arm kraulend. „Zu Hause ist es immer noch am schönsten.“

„Da sagst du was“, erwiderte Sadie. „Es ist immer noch unfassbar, wie schnell ich mich daran gewöhnt habe, nicht mehr allein zu leben. Ich finde es im Moment ganz schrecklich, allein hier zu Hause zu sein und zu wissen, dass du allein in Quantico bist. Früher war mir so etwas egal ...“

„Geht mir aber auch so“, sagte Matt. „Ich kann allein leben, aber die Academy ist schon fast wie eine Jugendherberge ... dafür bin ich eigentlich zu alt.“ Er lachte.

„Du bist nicht zu alt“, sagte Sadie und umarmte ihn von hinten. Sie küsste ihn hinterm Ohr und genoss es, seine Nähe zu spüren. Nichts anderes zählte in diesem Moment.

Montag

 

Die Nachbarin wusste wieder einmal Bescheid, aber Sadie hatte ihren Katzen gegenüber trotzdem ein schlechtes Gewissen. Sie waren so viel allein ... Da fragte Sadie sich wirklich, ob sie die Tiere nicht besser bei Norman gelassen hätte. Und zwar gerade, weil sie die beiden so liebte. Norman hätte den beiden mehr Aufmerksamkeit entgegenbringen können. Zwar hatte sie nicht den Eindruck, dass die Tiere litten, aber schließlich konnte sie sie auch nicht fragen.

Im Berufsverkehr war viel los auf der Interstate, besonders auf der Gegenfahrbahn. Matt hatte eine CD mit Musik aus den frühen Achtzigern eingelegt. Sadie mochte die Musik, auch wenn sie erst gegen Ende des Jahrzehnts geboren war. Sie hatte einen anderen Bezug dazu als Matt.

Er war mit bester Laune aufgestanden. Das überraschte Sadie nicht, schließlich hatte er zuhause geschlafen. Im eigenen Bett war es immer noch am schönsten.

Nicht mehr lang und er würde das wieder regelmäßig tun. Zumindest hoffte sie das, denn ihre gemeinsame berufliche Zukunft stand immer noch in den Sternen. Wenn er wirklich als Undercover-Agent arbeiten wollte, würde sich das auch auf ihre Beziehung auswirken. Das fand Sadie schwierig, aber sie glaubte auch, dass sie damit klarkommen würde. Schließlich stand bei ihnen ja kein normales Familienleben auf dem Spiel.

Sadie dachte immer wieder darüber nach, aber nichts in ihr wünschte sich Kinder oder eine Familie. Wenn sie in sich hineinhorchte, war da Totenstille. Es genügte ihr völlig, Matt an ihrer Seite zu haben und bisher schien er auch ganz zufrieden damit zu sein.

Zum Glück.

Er lenkte den Wagen von der Interstate und fuhr nach Quantico hinein. Sadie zog die Schultern hoch und wünschte sich, die Zeit bliebe stehen. Aber den Gefallen tat die Zeit ihr natürlich nicht. Bald würde sie sich von Matt trennen und mit einem Fall beschäftigen müssen, den sie lieber ignoriert hätte.

Schließlich stellte Matt den Challenger auf dem Parkplatz hinter den Unterkünften ab und sie stiegen aus. Wortlos umarmten sie einander und versanken in einem Kuss.

„Mach den Kerl fertig“, sagte Matt augenzwinkernd.

„Das mache ich ja nicht allein. Und du kümmer dich um deine Prüfungen“, mahnte Sadie nicht ganz ernst gemeint.

„Und wie. Bald darf ich mich dann hoffentlich auch Special Agent nennen!“

Sadie lachte. „Special Agent Matthew Whitman. Das hat was!“

Matt küsste sie noch einmal. „Pass gut auf dich auf, ja?“

Sie nickte und löste sich von ihm, auch wenn es schwer fiel. Während sie hinüber zum Hauptgebäude ging, drehte sie sich noch einmal um und lachte, als sie sah, dass Matt dasselbe tat. Das war wirklich zu schön, um wahr zu sein. Aber etwas Gutes hatte sie auch verdient.

In ihrer Tasche vibrierte ihr Handy. Überrascht zog sie die Augenbrauen hoch, als sie entdeckte, dass Brandon ihr eine Nachricht geschrieben hatte.

Guten Morgen. Schon irgendeinen spannenden Fall auf dem Tagesplan? schrieb er.

Sadie grinste. Ihr Beruf schien ihn wirklich ungemein zu faszinieren.

Du googlest doch so gern. Google mal Pittsburgh Strangler, antwortete sie. Scheinbar machte er das gleich, denn die Antwort ließ auf sich warten. Sadie steckte ihr Handy wieder weg, ließ ihren Ausweis scannen und ging zum Aufzug. Noch waren nicht viele Leute dort, denn sie war früh dran. Es hätte für sie gereicht, um neun im Büro zu sein, aber Matt musste ja um halb neun schon in seinen Kursen sitzen.

Als sie aus dem Aufzug stieg, summte ihr Handy erneut. Ein Frauenmörder. Über solche Typen hatten wir ja noch gesprochen. Also geht es jetzt nach Pittsburgh?

Genau, schrieb Sadie zurück. Mal sehen, was die Polizei dort schon hat.

Sie steckte ihr Handy wieder weg und ging ins Büro. Mit geschäftiger Miene und Blättern in der einen und einer Kaffeetasse in der anderen Hand kam Nick aus der Kaffeeküche und hätte sie fast umgerannt.

„Sadie, da bist du ja schon! Du bist aber früh dran.“

„Matt muss um halb in seinen Kursen sein“, erklärte sie.

„Ah“, machte Nick. „Er ist fast fertig, oder?“

„Morgen hat er die erste Prüfung.“

„Das schafft er, da habe ich keinen Zweifel. Aber es ist gut, dass du schon da bist. Gleich um halb will Andrea anrufen. So können wir noch mit ihr sprechen, bevor wir losfliegen.“

„Okay“, sagte Sadie und begleitete Nick in sein Büro. „Wer kommt denn noch mit?“

„Cassandra wollte noch. Die anderen werden wie gehabt der Polizei in Richmond helfen.“

Sadie nickte. Richmond lag gar nicht so weit von Quantico entfernt. Die Polizei dort hatte es ebenfalls mit einer Mordserie zu tun, die sowohl sie als auch Nick im Bandenmilieu ansiedelte, aber die Polizei kam allein nicht weiter.

Sie setzte sich an Nicks Schreibtisch und er schloss die Tür. Er hatte kaum ebenfalls Platz genommen, als sein Telefon klingelte und er das Gespräch annahm.

„Andrea, ich stelle dich auf Lautsprecher, Sadie ist bei mir.“ Er drückte einen Knopf.

„Guten Morgen, ihr beiden“, sagte Andrea. Ihre Stimme klang ganz klar, auch wenn sie fast auf der anderen Seite der Welt saß. „Zumindest ist es ja bei euch Morgen.“

„Stimmt“, sagte Nick. „Danke, dass du dich um den Fall gekümmert hast. Ich wollte nicht darauf verzichten, vorab deine Meinung zu hören.“

„Ich kann euch gern sagen, was ich davon halte, auch wenn noch einige Fakten fehlen“, sagte Andrea.

„Ja, ich weiß. Wir fliegen in anderthalb Stunden nach Pittsburgh und werden dann in Erfahrung bringen, was die Polizei sonst noch weiß. Vor allem, ob es weitere Vermisste gibt.“

„Das ist mir nämlich auch gleich aufgefallen“, sagte Andrea. „Wenn man sich die Zeitpunkte anschaut, arbeitet er in einer schönen Regelmäßigkeit. Kaum hat er das erste Opfer ermordet, hat er sich auch schon das zweite geholt. Entsprechend ist davon auszugehen, dass er auch jetzt wieder ein Opfer hat.“

„Das befürchte ich auch“, sagte Nick. „Was ist dir sonst aufgefallen?“

„Ich kenne es ja, dass solche Täter Kontakt mit jemandem aufnehmen. Jonathan Harold hat sich damals an mich gewandt und nicht an die Medien, weil er mich unter Druck setzen wollte. Es hat ihm Spaß gemacht, mir Angst einzujagen. Hier kann ich das nicht erkennen, er scheint sich wohl nur unterschätzt zu fühlen. Die Polizei ermittelt ihm noch nicht genug und ihm fehlt auch euer Einsatz. Vermutlich denkt er, dass er nur ein ernstzunehmender Serienmörder ist, wenn ihr dabei seid.“

„Hm“, machte Nick. „Ich hatte da eine andere Theorie.“

„Welche denn?“ fragte Andrea. Sadie spürte, wie eine gewisse Anspannung von ihr abfiel. Wenn nicht einmal Andrea eine Verbindung sah ... Wie Sadie wusste, hatte Andrea ja schon so einiges erlebt.

„Wenn er wirklich den Oregon Strangler nachahmen will, kann es doch kein Zufall sein, dass er die Einheit anspricht, in der die Tochter des Stranglers arbeitet“, sagte Nick.

Für einen Moment war es still am anderen Ende. „Bist du denn sicher, dass er den Oregon Strangler meint?“

„Der modus operandi legt das nahe, oder?“

„Ja, das stimmt schon, aber ich kenne ja nicht alle Serienmörder drüben bei euch, die irgendwas mit Strangler im Namen tragen und Frauen ermorden. Sexualsadisten sind sich schon alle irgendwie ähnlich in ihrer Vorgehensweise, aber er ist da sehr exakt in der Nachahmung, das stimmt.“

„Woran ist dir das aufgefallen?“ fragte Nick.

„Er hält die Frauen ähnlich lang gefangen. Er hat einen Typ, entführt immer Frauen, die sich ähnlich sehen, aber das ist ja nicht ungewöhnlich. Auffällig ist, dass er die Frauen wirklich erwürgt. Da war Foster nicht so festgelegt, er hat ja auch durchaus mal ein Messer benutzt. Was mir aber aufgefallen ist, sind die Verbrennungsspuren auf der Haut der Opfer, die von den Elektroschocks kommen. Das ist schon eine sehr spezielle Vorliebe - ein spezielles Merkmal. So etwas ist aufwendig und erfordert gewisse Kenntnisse. Bei Foster war das einfach, er hat beruflich mit Elektrizität gearbeitet. Vielleicht ist das hier auch der Fall. Aber das ist eine Vorliebe, die mir auch nur selten begegnet ist.“

„Stimmt“, sagte Nick.

„Meiner Erfahrung nach haben Sexualsadisten eine Vorliebe für Fesseln und im Besonderen für die psychische Folter der Opfer. Das kann man hier zwar nur schwer beurteilen, weil kein überlebendes Opfer befragt werden kann, aber ich würde mal vermuten, dass es hier nicht anders ist. Allerdings war Rick Foster damit ja auch nicht zufrieden, er hat gern körperliche Gewalt angewendet und das sehe ich hier auch als gegeben an. Dieser Kerl hier ahmt ihn wirklich ziemlich exakt nach.“

„Das finde ich auch“, sagte Nick. „Aber warum?“

„Auf der Isle of Skye hatte ich auch schon mit einem solchen Nachahmungstäter zu tun. Bei ihm war der Grund, dass er sich anfangs nicht getraut hat, eine eigene Handschrift zu entwickeln. Ihn haben bestimmte Verbrechen fasziniert, deshalb hat er sie nachgeahmt. So ähnlich kann es hier auch sein.“ Andrea machte eine Pause. „Ist euch aufgefallen, wann das erste Opfer entführt wurde?“

„Im Oktober“, sagte Nick. „Da war Foster gerade tot.“

„Also siehst du doch einen Zusammenhang“, murmelte Sadie.  

„Das könnte eine Art Stressauslöser für ihn gewesen sein“, sagte Nick.

„Das denke ich auch. Er hatte irgendeinen Bezug zu Rick Foster – fragt mich jetzt bitte nicht, welchen. Aber es hat ihn getroffen, dass Foster tot ist. Daraufhin hat er begonnen ...“ Andrea machte eine Pause. „Sein Werk weiterzuführen. So würde ich das sehen. So sieht er das jedenfalls. Und zu seinem Entsetzen hat das bei den Ermittlern niemand wahrgenommen. Vermutlich hat er eine Schlagzeile vor sich gesehen: Der Oregon Strangler ist wiederauferstanden. So etwas in der Art. Aber was ist? Nichts. Deshalb hat er die Zeitung kontaktiert, sich Strangler getauft und euch sozusagen eingeladen. Er will die Aufmerksamkeit, von der er denkt, dass sie ihm zusteht. Als Andenken für Foster.“

Während Andrea sprach, sahen Sadie und Nick einander ernst an. Weil Nick nichts sagte, ergriff Sadie das Wort.

„Vor diesem Hintergrund muss ich Nick aber fast zustimmen ... dann könnte es doch sein, dass der Kerl von mir weiß. Wenn er so auf meinen Vater fixiert ist. Er wird wissen, dass mein Vater mich entführt hat und dass er bei meiner Befreiung erschossen wurde.“

„Das wird mit Sicherheit so sein, aber dann weiß er doch erst mal nur, dass Special Agent Scott entführt wurde. Von Kim Foster muss er nicht zwingend wissen.“

„Nein, wird er aber“, sagte Nick. „Ich bleibe dabei. Sadie war mit einem Foto in den Nachrichten. Wer Rick Fosters Fall kennt, weiß von seiner rothaarigen Tochter.“

„Aber selbst wenn es so ist, dann kannst du es nicht ändern“, sagte Andrea. „Scheinbar habt ihr da ein mitteilungsbedürftiges Kerlchen erwischt. Wendet euch an ihn, ermittelt medienwirksam und achtet darauf, dass Sadie oft genug vor den Kameras steht. Wenn er wirklich weiß, wer sie ist, wird ihn das provozieren und er wird es euch schon mitteilen.“

„Die Frage ist ja nicht nur: Kennt er Sadie ... sondern auch: Was könnte er von ihr wollen?“, sagte Nick.

„Bei allem Respekt, Nick, aber du machst dir zuviele Sorgen“, sagte Andrea.

„Gerade du hast doch schon die absurdesten Dinge erlebt!“ verteidigte Nick sich.

„Ja, und ich sehe auch, dass ihr da einen Nachahmungstäter habt, der irgendeine Botschaft vorzubringen hat. Was soll ich lange reden – er wird euch schon sagen, was er will. Ihr müsst ihn eigentlich nur fragen.“

„Stimmt“, sagte Nick. „Hast du noch mehr für uns?“

„Ich kann euch Tips für ein Profil geben.“

„Nur zu!“ Nick lächelte.

„Er ist jung. Soviel kann man festhalten, da es sich um einen Nachahmungstäter handelt. Er ist irgendwas um Anfang zwanzig, vielleicht sogar etwas drunter, maximal aber leicht drüber. Da er die Frauen wohl, wie mir scheint, unbemerkt entführen konnte, ist er weder hässlich noch wirkt er furchteinflößend. Dass er einen Ort haben muss, an dem er die Frauen unbemerkt festhalten kann, ist nun ein alter Hut ... darauf wärt ihr sicher selbst gekommen“, sagte Andrea und lachte.

„In der Tat“, sagte Nick grinsend.

„Er ist intelligent und ziemlich organisiert. Die Spurenlage ist verdammt dürftig, das kommt nicht von ungefähr. Ich halte ihn ansonsten für einen unauffälligen Typen, der aber schon früh in seiner Jugend sadistische und gewalttätige Tendenzen an sich festgestellt hat. Er ist motorisiert, hat ein eigenes Auto und eben diesen Ort, an dem er seine Opfer gefangenhält. Das kann er nur durch regelmäßige Arbeit finanzieren, wenn er nicht gerade ein Erbe ist. Seine Schwäche ist sein Narzissmus. Er wäre gern die Reinkarnation von Rick Foster, warum auch immer. Ein berüchtigter Serienmörder. Dementsprechend wird er sich weiter steigern, aber er ist eben auch anfällig für Kommunikation mit euch. Er muss sich unbedingt mitteilen.“

„Okay, danke“, sagte Nick. „Du hast uns auf jeden Fall schon mal sehr geholfen.“

„Kein Problem. Ich habe zuviel Erfahrung mit solchen Scheißkerlen“, sagte Andrea trocken. „Und macht das aktuelle Opfer ausfindig. Es gibt mit Sicherheit eins.“

„Machen wir. Danke, Andrea. Ich halte dich auf dem Laufenden.“

„Gern. Ich wünsche euch viel Erfolg bei den Ermittlungen!“

Sie verabschiedeten sich voneinander und Nick beendete das Gespräch. Danach sah er Sadie lange an, ohne etwas zu sagen.

„Was?“, fragte sie irritiert.

„Ich finde es interessant, dass du mir jetzt doch zustimmst.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn er so fixiert auf meinen Vater ist, könnte ich ihm durchaus aufgefallen sein. Ich bin da nur nicht ganz sicher, weil ich erwartet hätte, dass er mir das direkt mitteilt.“

„Kommt vielleicht noch“, sagte Nick seufzend. „Werden wir sehen. Gleich fliegen wir erst mal nach Pittsburgh.“

 

 

drei Monate zuvor

 

Seine Hände zitterten. Er hatte noch nie einen Menschen umgebracht.

Aber er musste. Das gehörte zum Plan.

Das war gar nichts gegen Stacy persönlich. Sie hatte einfach das Pech, ihm aufgefallen zu sein. Ihm ... dem Pittsburgh Strangler.

Ob man ihn so nennen würde? Wenn nicht, würde er nachhelfen müssen. Er wusste ja nicht, ob die Ermittler automatisch das FBI einschalteten. Die würden natürlich sofort sehen, in wessen Fußstapfen er hier trat.

Und er liebte es. Er hatte immer schon geahnt, dass er es lieben würde, sein halbes Leben lang. Er hatte kaum erwarten können, damit anzufangen.

Jetzt endlich war es soweit. Seine Hände zitterten immer noch, als er nach unten ging. Da lag sie, an allen vieren gefesselt, mit getrocknetem Blut auf der Haut und blauen Flecken. Apathisch drehte sie den Kopf und sah ihn an.

Ob sie es ahnte?

Sean ging ganz langsam auf sie zu. Er überlegte, ob er noch einmal mit ihr sprechen wollte. Ob er sie sprechen lassen wollte.

Aber nein, eigentlich war ihm nicht danach. Gerade war es ihm ganz recht, dass er sie wie ein Objekt behandeln konnte.

Das wusste er ja inzwischen. Serienmörder sahen nur Objekte in ihren Opfern, keine Menschen. Das fiel ihm nicht schwer.

Gleich würde es sich entscheiden. Der erste Mord war wichtig, das hatte das FBI gesagt. Danach leckten die meisten Serienmörder Blut. Und er wollte Blut lecken. Er wollte sein wie der Oregon Strangler.

Er wollte nicht einfach nur ein Serienmörder sein. Er wollte auch nicht einfach nur jemanden nachahmen. Nein, es musste der Oregon Strangler sein. Das war wichtig. Erwürgen ... und er liebte Messer. Genau wie Rick Foster. Er liebte es, wenn das Messer in die Haut des Opfers eindrang, das war so ein befriedigendes Gefühl.

Die Ermittler würden sehen, dass der Oregon Strangler nicht wirklich tot war. Er war immer noch da.

Stacy lag so einladend da. Er konnte mit ihr tun, was er wollte - und das würde er nutzen. Noch ein letztes Mal.

Er knöpfte seine Hose auf. Stacy reagierte gar nicht mehr. Das ärgerte ihn. So machte das keinen Spaß mehr. Er beschloss, sich trotzdem nicht davon beeindrucken zu lassen. Noch war sie hier ... noch lebte sie. Das konnte er sich unmöglich entgehen lassen.

Aber als er begann, über sie herzufallen, regte sich doch etwas in ihr. Sie zerrte an ihren Fesseln und begann, zu weinen. Sean spürte, wie ihn ein angenehmes Kribbeln überlief. Er liebte es, wenn sie sich wand und sträubte. So musste das sein.

Er wusste jetzt, wovon der Oregon Strangler nie genug bekommen hatte. Das war wirklich der Wahnsinn. Und er war jetzt noch da, um sein Werk weiterzuführen. Das musste er einfach. Dazu fühlte er sich berufen.

Während Stacy wimmerte und weinte, legte Sean langsam die Hände um ihren Hals und drückte zu. Stacy zappelte noch heftiger und warf den Kopf hin und her, versuchte verzweifelt, sich zu befreien. Zwar kannte sie das schon, aber trotzdem hatte sie immer wieder Angst. Und Sean liebte diese Angst.

Er war fast soweit. Deshalb beschloss er, diesmal nicht mehr loszulassen. Er wollte, dass sie starb. Dass sie erstickte. Schließlich musste er sich den Namen Pittsburgh Strangler verdienen. Schenken würde man ihm diesen Namen nicht.

Stacy hatte Panik. Todesangst. Zu Recht ... Sean würde sie töten. Jetzt und hier. Erst vergewaltigte er sie und dann brachte er sie um. Der bloße Gedanke trieb seine Erregung auf die Spitze. Er drückte noch fester zu und spürte, wie er ihren Kehlkopf zerquetschte. Ihre Bewegungen erlahmten. Reglos lag sie da, die Augen blutunterlaufen, der Blick glasig.

Keuchend starrte Sean sie an. Sie war tot. Er hatte sie umgebracht.

Das war wundervoll.

Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als seine Erregung abflaute und er Stacys toten Körper betrachtete. Das war er gewesen. Mit seinen eigenen, bloßen Händen.

Es war ihm gar nicht schwergefallen. Er fühlte sich jetzt auch nicht schlecht – ganz im Gegenteil.

Er fühlte sich großartig, als er aufstand und Stacy zufrieden ansah. Er war seinem Ziel ein Stück näher gekommen.

Jetzt musste er nur sehen, dass er sie nach Pittsburgh zurück schaffte, aber sein Auto war ja groß genug. Es war wichtig, dass sie dort gefunden wurde. Sie würden sie finden und sagen: Das sind Verletzungen wie beim Oregon Strangler.

Aber der war ja tot. Er war tot! Eine Tatsache, die Sean immer noch entsetzte.

Nur konnte er es nicht ändern. Er konnte nur versuchen, ihn lebendig zu halten, indem er ihm nacheiferte. Und er wusste alles über ihn. Absolut alles. Wieviele Frauen er getötet hatte ... und wie er es getan hatte.

Das war inspirierend.

Er konnte das. Er würde weitermachen. Und er würde sein Ziel erreichen.

 

 

Mit dem Flieger war es nur ein Katzensprung bis Pittsburgh. Stumm blickte Sadie aus dem Fenster. Die Landschaft unter ihnen war immer noch winterlich kahl und wirkte wenig einladend.

Ihr gegenüber saß Cassandra, die sich in die Unterlagen vertieft hatte. Sie war erst nach dem Telefonat mit Andrea eingetroffen und wusste auch sonst noch nicht alles über den Fall, so dass Nick und Sadie sie erst einmal gebrieft hatten und sie sich jetzt einmal gründlich einlas.

Sadie war schon fertig. Sie war im Bilde, so dass sie nach ihrer Ankunft in Pittsburgh gleich loslegen konnten. Es war auch gar nicht weit bis dorthin.

Seufzend legte Cassandra die Unterlagen weg. „Also ich sehe nicht, dass der Kerl irgendwas von dir weiß, Sadie. Das ist Zufall. Wir sind jetzt irgendwie darauf gepolt, weil die Flucht deines Vaters auch schon völlig unwahrscheinlich war, genauso wie die Tatsache, dass er dich problemlos gefunden hat. Jetzt gibt es - aus welchen Gründen auch immer - einen Serienmörder, der ihn nachahmt. Aber das hat mit dir erst mal nichts zu tun.“

„Ich hoffe es“, brummte Sadie. „Mal wieder denke ich mir, dass ich den falschen Vater hatte.“

Cassandra seufzte mitfühlend. „Das tut mir wirklich leid. Jedes Mal, wenn ich mir das vorstelle ... aber du lässt dich nicht unterkriegen.“

„Ich versuche es zumindest“, sagte Sadie.

„Schade, dass ich euer Telefonat mit Andrea verpasst habe. Hätte ich gewusst, dass ihr mit ihr sprecht, wäre ich auch früher gekommen.“

„Du weißt ja jetzt, was wir besprochen haben“, sagte Nick.

Sadie spürte das Vibrieren ihres Handys. Sie rechnete mit einer Nachricht von Matt - aber es war Brandon.

Schon auf dem Weg nach Pittsburgh?, fragte er.

Ich sitze im Flieger, antwortete Sadie.

Augenblicke später kam die Antwort. Und da kannst du SMS schreiben?

Wir haben Mobilfunk- und Internetanbindung an Bord. Das geht ganz gut.

Sorry, dass ich dich so ausfrage, aber ich finde das total faszinierend. Sag mir einfach, wenn ich nerve, ja?

Sadie lächelte, denn das fand sie charmant von ihm. Schon okay. Meine beste Freundin quetscht mich ja auch immer aus, also kenne ich das schon.

„Matt?“ richtete Cassandra sich an Sadie.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, eine Bekanntschaft vom Wochenende. Er fährt total darauf ab, dass ich beim FBI bin.“

Cassandra lachte. „Ja, das habe ich auch schon durch. Das findet immer jeder spannend. Und dann kommt die Frage, ob das wie im Fernsehen ist.“

Sadie prustete erstickt los. „Genau diese Frage haben wir auch schon erörtert. Er hat mich sogar schon gegooglet.“

„Ehrlich? Was hat er gefunden?“

„Meinen letzten Fall in Waterford. Irgendwie finde ich sein Interesse nett.“

„Ja, es schmeichelt einem. Weiß Matt davon?“

Sadie schüttelte den Kopf. „Er ist gedanklich bei seinen Prüfungen. Würde ich es ihm erzählen, hätte er es nach fünf Minuten vergessen.“

„So wie du an ihm hängst, muss er sich auch keine Sorgen machen“, warf Nick von der Seite ein. Überrascht sah Sadie ihn an.

„Ich habe Cassandras Frage verstanden“, sagte er lachend.

„So war das gar nicht gemeint“, verteidigte Cassandra sich.

„Ist auch egal“, sagte Sadie schlichtend. „Nick hat Recht, ich hänge an Matt ... das trifft es ganz gut.“

„Das macht auch nichts“, sagte Nick. „Obwohl du noch nicht so lang bei uns im Team bist, kenne ich dich besser als viele der anderen Kollegen. Es ist nur natürlich, verständlich und schön, dass du dir da jetzt etwas aufbaust. Und ich habe Matt erlebt, als wir auf der Suche nach dir waren.“

Sadie lachte verlegen. „Was kommt denn jetzt, Nick?“

„Verzeih diese väterliche Ansprache“, sagte er und lachte ebenfalls. „Aber ich wollte nur loswerden, dass ich mich für dich freue. Ich bin absolut sicher, dass du keinen besseren Mann hättest finden können.“

Schlagartig stieg Sadie die Röte ins Gesicht. „Danke, Nick. Es ist schön, das von dir zu hören.“

„Ich bin gern offen, das weißt du, und ich denke, du bist auch nicht anders. Du hattest es schwerer als jeder, den ich kenne, aber das merkt man fast überhaupt nicht. Und solange du Matt hast, was sich mit Sicherheit nicht bald ändern wird, hast du endlich etwas Stabilität in deinem Leben.“

„Allerdings“, sagte Sadie und lächelte. Nick hatte es mal wieder auf den Punkt getroffen.

Der Flieger setzte zum Landeanflug an. In diesem Augenblick bekam Sadie wieder eine SMS. Machen dir solche Serienmörder keine Angst?

Sadie schluckte. Brandon konnte ja nicht wissen, welchen wunden Punkt er da erwischt hatte. Einer plötzlichen Eingebung folgend, textete Sadie zurück: Wenn ich mir das nicht nüchtern ansehen könnte, hätte ich meinen Beruf verfehlt.

Sie schickte die Nachricht ab und blickte aus dem Fenster auf Pittsburgh, das bereits unter ihnen zu sehen war.

Brandon hatte schon geantwortet. Das kann ich verstehen. Aber Angst machen können sie dir ja trotzdem. 

Sadie atmete tief durch. Da hatte er Recht, das musste sie ihm lassen. Sie kräuselte die Lippen und antwortete: Ich hatte Angst, als David Blackwood in Utah wie verrückt auf unseren Streifenwagen geschossen hat. Der war nicht mehr zu halten.

Sie schickte die Nachricht ab und lehnte sich zurück, aber es dauerte gar nicht lang, bis sie Antwort von Brandon hatte. Ach, der. Von dem habe ich auch gelesen. Du hattest ja schon mit einigen Verbrechern zu tun. Auch wenn du mir ja verschwiegen hast, was da mit Foster wirklich passiert ist. Kann ich verstehen.

Sadie seufzte gequält. Natürlich hatte er davon gelesen. Es war ja damals kein Geheimnis gewesen, dass Rick Foster die FBI-Agentin Sadie Scott entführt hatte. Darüber hatte Brandon ja fallen müssen.

Sie tippte zurück: War auch keine besonders schöne Erfahrung.

„Da scheint aber jemand interessiert an dir zu sein“, sagte Nick.

„Ist er vielleicht ... aber er weiß, dass ich nicht zu haben bin. Er ist eben neugierig“, sagte Sadie.

„Ja, das kenne ich auch. Ich finde das nicht schlimm.“

„Ich auch nicht.“

Das Handy vibrierte wieder. Bin froh, dass das gut ausgegangen ist. Vor dem hätte ich auch Angst gehabt.

Sadie lächelte und steckte ihr Handy weg, weil sie nicht wusste, was sie noch antworten sollte. Sie wollte jetzt nicht über ihren Vater nachdenken. Das musste sie ohnehin schon viel zu sehr, denn schließlich war sie irgendwie auch seinetwegen unterwegs.

Am Flughafen von Pittsburgh wurden sie von einem Detective namens Mick Caffrey in Empfang genommen. Nick hatte am Vortag mit der Polizei gesprochen, die nichts gegen einen Besuch der Profiler einzuwenden gehabt hatte – eher im Gegenteil.

Caffrey war ein junger, dunkelhaariger Mann, etwas schmächtig, aber durchaus nicht unauffällig. Er begrüßte sie mit lauter Stimme und schüttelte ihnen kräftig die Hand.

„Gut, dass Sie hier sind“, sagte er. „Wir hatten sowieso schon überlegt, ob wir Sie kontaktieren sollen, weil wir ganz offensichtlich allein mit den Ermittlungen nicht weitergekommen sind. Bis zum Wochenende hatten wir keine Ahnung, worum es hier geht.“

„Ich denke, wir bringen schon einige Antworten mit“, sagte Nick. „Wichtig ist, dass wir eng mit den Medien zusammenarbeiten und den Täter in unsere Ermittlungen einbeziehen, denn er scheint da sehr mitteilungsbedürftig zu sein.“

„Sie halten diesen Brief also für echt?“, fragte der Detective.

Nick stutzte. „Natürlich. Sie nicht?“

„Wir waren uns nicht sicher. Wie können Sie sicher sein?“

„Ich hatte keinerlei Grund, daran zu zweifeln. Hatten Sie denn den Zusammenhang zwischen den beiden Morden erkannt?“

„Wir hatten ihn ziemlich sicher vermutet“, sagte Caffrey. Gemeinsam verließen sie den Flughafen und nahmen in einem Zivilfahrzeug der Polizei Platz. Augenblicke später fanden sie sich auf der Interstate zur Stadt wieder. Caffrey war ein souveräner Fahrer, der sich nicht aus der Ruhe bringen ließ.

„Womit wollen Sie beginnen?“, fragte er.

„Wir müssen herausfinden, ob der Täter schon das nächste Opfer in seiner Gewalt hat“, sagte Nick.

„Das hatten wir uns auch überlegt, aber wir sind da noch zu keinem Ergebnis gekommen.“

„Das macht nichts, dafür sind wir ja hier.“

„Wenn Sie sagen, dass der Brief echt ist - warum tut er das? Warum nimmt er Kontakt auf?“

Nick legte ihm die Gründe dafür dar, warum ein Täter so etwas machte und verschwieg erst einmal seinen Verdacht gegenüber Sadie. Das überraschte sie nicht, denn auch sie war der Meinung, dass sie gerade nicht wichtig war.

Die Fahrt bis zum Police Department dauerte eine gute halbe Stunde, aber kurz, bevor sie ihr Ziel erreichten, gerieten sie in einen Stau an einer Baustelle. Caffrey wich schließlich über Seitenstraßen aus und brachte sie auf Umwegen ans Ziel. Er parkte neben dem Gebäude und führte sie hinein in ein Büro, in dem er alles vorbereitet hatte. Fotos waren an eine Wand gepinnt, Akten lagen auf dem Tisch. Er stellte sie auch den anderen Kollegen vor, kümmerte sich dann aber in der Hauptsache allein weiter um sie. Kaffee und Wasser standen bereit, deshalb legten sie gleich los.

„Haben Sie schon Schlussfolgerungen mitgebracht?“ fragte Caffrey.

Dormer nickte. „Wie ich Ihnen schon am Telefon angedeutet hatte, sind wir sicher, dass der Täter sich auf den Serienmörder Rick Foster bezieht. Er hat kurz nach dessen Tod zu morden begonnen und seine Vorgehensweise ist nahezu identisch mit der des Oregon Stranglers. Nicht zuletzt nennt er sich wohl auch deshalb Pittsburgh Strangler.“

„Warum könnte er das tun?“ fragte Caffrey.

„Wir denken, dass der Täter noch recht jung ist und erst mit der Zeit eine eigene Handschrift entwickeln würde. Vorhin haben wir noch mit einer britischen Profilerin telefoniert, die eine Expertin für solche Fälle ist und sie konnte uns aus ihrer Erfahrung berichten, wie es zu solchen Nachahmungstaten kommt.“

„Okay, also ahmt der Pittsburgh Strangler den Oregon Strangler nach. Das sehe ich ein“, murmelte Caffrey nachdenklich.

„Wir haben es hier mit einem intelligenten Täter zu tun.“ Nick legte Caffrey die Anhaltspunkte dar, die Andrea ihnen am Telefon genannt hatte. Dann fügte er hinzu: „Unsere Aufgabe ist jetzt, herauszufinden, ob er ein neues Opfer hat und um wen es sich dabei handelt. Sie können auf jeden Fall schon für den Nachmittag eine Pressekonferenz einberufen, denn wir müssen bald mit den Medien sprechen, egal was wir bis dahin haben. So locken wir ihn aus der Reserve.“

„Okay“, sagte Caffrey. „Ich kümmere mich darum ... wollen Sie die Vermisstenanzeigen durchgehen?“

Dormer nickte. „Das kann ich mit Cassandra übernehmen. Willst du noch ein wenig am Profil feilen, Sadie?“

„Kann ich machen“, sagte sie.

„Vielleicht fällt dir noch etwas auf.“

Caffrey wollte eigentlich schon nach nebenan gehen, um zu telefonieren, doch dann hielt er inne. „Endlich habe ich Hoffnung, dass wir ihn kriegen. So einen wie Rick Foster kann ich hier nicht brauchen.“

„Wer braucht das schon?“, sagte Nick und lachte. „Aber meine Kollegin kennt Rick Foster gut. Deshalb habe ich sie auch mitgebracht.“

Sadie hatte schon den Mund offenstehen, um zu protestieren, als Nick hinzufügte: „Agent Scott ist ihm auf seiner Flucht persönlich begegnet, vielleicht haben Sie das mitbekommen.“

Caffrey legte die Stirn in Falten und machte dann ein wissendes Gesicht. „Die entführte Agentin? Das sind Sie?“

Sadie nickte. „Ich habe ihn kennengelernt, ja.“

Caffrey pfiff durch die Zähne. „Dann müssen wir ihn einfach kriegen!“

„Ich hoffe es“, sagte Sadie. „Solche Kerle laufen besser nicht frei herum.“

„Das glaube ich Ihnen. Gut, dass nichts Schlimmeres passiert ist.“ Caffrey hielt inne. „Denken Sie, der Täter weiß davon?“

Sadie ließ sich nicht anmerken, dass diese Frage sie verunsicherte. „Das werden wir herausfinden, wenn ich mit vor die Kameras trete.“

„Gut“, sagte Caffrey und verließ den Raum nun doch. Kaum dass er fort war, wandte Sadie sich an Nick.

„Wenigstens hast du ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt.“

„Nein, aber er kriegt das sowieso raus. Besser, wenn er vorgewarnt ist.“

Das konnte Sadie verstehen. Während Nick und Cassandra die Vermisstenanzeigen durchgingen, betrachtete Sadie nochmal alle Unterlagen. Die Obduktionsberichte waren grauenvoll, genauso wie die Fotos. Beiden Toten war anzusehen, dass der Täter sie monatelang gefoltert hatte. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, das viele getrocknete Blut von ihren Körpern zu entfernen.

Er hatte sie hungern lassen, der Gerichtsmediziner hatte in den Mägen nichts gefunden. Besonders Carrie war anzusehen, dass sie abgemagert war. Außerdem hatte der Pathologe zahlreiche Verletzungen im Intimbereich gefunden - viele schon vernarbt. Man hatte Sperma sichergestellt, aber die Datenbank hatte keinen Treffer geliefert. Die beiden hatten Schläge bekommen, davon zeugten die Blutergüsse, und ihre Körper waren mit zahlreichen Schnitten verunziert. Auch die charakteristischen Brandverletzungen hatte der Gerichtsmediziner festgestellt. Bei beiden Frauen gab es kaum Unterschiede.

An Carrie hatte er sogar einen Armbruch gefunden, blutunterlaufen und mit verschobenen Knochen. Der Täter hatte heftige Gewalt ausgeübt. An Hand- und Fußgelenken hatten beide Frauen teils vernarbte Abschürfungen.

Es war nichts, was Sadie nicht kannte, doch das berührte sie jedes Mal aufs Neue. Deshalb war sie schließlich auch Profilerin geworden: Um solchen Tätern das Handwerk zu legen. Wenn der Pittsburgh Strangler wirklich den Oregon Strangler nachahmte – und alles sah danach aus – dann wusste Sadie, was die beiden Frauen in den Wochen ihrer Gefangenschaft erlitten hatten. Vergewaltigungen, Misshandlungen, Folter. Das war das tägliche Werk dieses Sadisten.

Eins unterschied ihn jedoch vom Oregon Strangler, das verriet Sadie der Armbruch. Er übte viel rohe Gewalt aus, hatte die beiden geschlagen, bis sie Blutergüsse hatten. Also war nicht nur sexuelle Gewalt sein Ding.

Er wollte sie besitzen, sie dominieren, sie völlig vereinnahmen. Deshalb hatte er ihnen Elektroschocks verpasst und sie geschnitten. So etwas hatte auch ihr Vater getan, aber an seinen Opfern hatte man später weniger Blutergüsse gefunden. Schläge waren nicht sein Ding gewesen, er hatte sich anders Gehör verschafft.

Doch ansonsten konnte Sadie beim besten Willen nicht leugnen, dass eine unfassbare Ähnlichkeit bestand. Sie waren festgehalten, wiederholt vergewaltigt, wochenlang gefoltert und schließlich erwürgt worden. Jedes einzelne Detail hätte keine Aussagekraft gehabt, doch zusammengenommen ergab das alles ein Bild. Sie konnte den Ermittlern nicht verübeln, dass die nicht gleich eine Ähnlichkeit gesehen hatten, aber der Brief sprach für sich. Es schien den Täter zu ärgern, dass bislang niemand erkannt hatte, wer er war und wen er nachahmte. Dabei sehnte er sich nach Aufmerksamkeit der Ermittler.

Das unterschied ihn auch vom Oregon Strangler. Rick Foster war es immer vollkommen egal gewesen, ob ihm jemand auf den Fersen war oder nicht, er hatte die Ermittlungen nie verfolgt. Aber dass dieser Täter es tat, machte Sinn. Schließlich wollte er wahrgenommen werden.

Seufzend legte Sadie die Fotos der jungen Frauen weg. Carrie hatte studiert und Stacy war Sozialarbeiterin gewesen. Sie waren so jung aus dem Leben gerissen worden.

Und warum? Damit jemand seine kranken Triebe befriedigen und es unter dem Deckmantel eines anderen Täters verbergen konnte. Dabei musste Sadie sich eingestehen, dass ihr Vater zur Zeit seines ersten Mordes auch nicht viel älter gewesen war als der Mann, den sie jetzt suchten. Wenn überhaupt.

Sie arbeitete das Profil weiter aus. Aller Wahrscheinlichkeit nach suchten sie nach einem Weißen, denn die meisten Serienmörder blieben in ihrer ethnischen Gruppe. Dadurch, dass er Foster nachahmte, verriet er jedoch wenig über sich selbst. Nichtsdestotrotz musste er auch selbst eine sadistische Veranlagung haben, sonst hätte er die Taten wohl kaum entsprechend nachahmen wollen und können.

Sie schaute sich den Brief noch einmal an. Ja, er hatte eine narzisstische Veranlagung, hielt sich selbst für klüger als die Polizei und gab auch einen indirekten Hinweis darauf, dass er bereits ein weiteres Opfer in seiner Gewalt hatte. Der Brief war fehlerfrei geschrieben und bediente sich keiner zu einfachen Sprache, was auch für seine Intelligenz sprach.

„Ich glaube, wir haben da jemanden“, sagte Nick und drehte den Bildschirm zu Sadie. Sie blickte auf und sah das Foto einer brünetten jungen Frau. Ihr Name war Anna Pike und sie war seit knapp drei Wochen verschwunden. Sie war auch Studentin und von der Uni nicht zurückgekehrt.

„Das passt vom Zeitraum her und vom Typ“, sagte Nick. „Seit drei Wochen gibt es keine Spur von ihr, aber das macht Sinn, weil er sie länger behalten will.“

„Kommt sonst noch jemand in Frage?“, wollte Sadie wissen.

„Nicht wirklich. Zu dem Zeitpunkt sind nur noch eine wesentlich ältere Frau und ein vierzehnjähriger, blonder Teenager verschwunden. Vor einer Woche ist noch eine Frau verschwunden, die ins Schema passen würde, aber soviel Zeit wird er sich nicht gelassen haben.“

Das glaubte Sadie auch nicht. Sie betrachtete Annas Foto und verglich es mit denen der beiden ermordeten jungen Frauen. Die Ähnlichkeit war ausreichend groß.

„Du hast ja recht mit dem, was du Caffrey vorhin gesagt hast“, murmelte Sadie. „Vielleicht sucht der Täter ja in unserer Einheit nicht nach Kim Foster, sondern nach mir – der Frau, deren Entführung zu Rick Fosters Ermordung geführt hat. Könnte ihm auch schon reichen.“

„Möglich“, sagte Nick. „Wir werden sehen müssen, wie er reagiert. Sollte er tatsächlich mehr wissen, bleibt ja immer noch die Frage, woher er das weiß. Ich weiß noch nicht, ob unser Profil mit diesen Möglichkeiten überhaupt zusammenpasst. Wenn er nicht gerade ein findiger Kerl ist, müsste er irgendwie zu den Ermittlungsbehörden gehören. Ich weiß nicht, für wie wahrscheinlich ich das halten soll.“

Caffrey kehrte zu ihnen zurück. „Die Presse kommt um drei. Haben Sie schon etwas?“

Dormer nickte. „Wir vermuten, dass Anna Pike sein neuestes Opfer ist“, sagte er und begründete seine Vermutung. Schließlich gingen sie gemeinsam das Profil durch, woraufhin Caffrey nickte.

„Da können wir der Presse doch schon Einiges sagen. Ich bin gespannt, was das bringt“, sagte er zufrieden. „Hat noch jemand Hunger?“

Sie beschlossen, sich Pizza zu bestellen. Caffrey und Nick gerieten ins Plaudern, aber Sadie beteiligte sich nicht daran. Sie ging hinaus auf den Flur und beschloss, ihren Onkel anzurufen. Bisher war sie noch nicht dazu gekommen, denn der Vorabend hatte Matt gehört. Das stand ihm zu.

Norman war immer noch nicht arbeitsfähig, die blutige Attacke von Rick hatte seinen vom Krebs angegriffenen Körper noch zusätzlich geschwächt. Er ging seit Monaten nicht arbeiten. Das war seiner Trauer um Fanny nicht gerade zuträglich - und jetzt musste Sadie ihn noch einmal verletzen. Aber er hatte ein Recht, das zu wissen.

„Sadie, Liebes“, sagte Norman, der ihre Nummer schon gesehen hatte. „Was gibt es? Von wo rufst du an?“

„Aus Pittsburgh“, sagte sie. „Wie geht es dir?“

„Ich wollte gerade frühstücken“, sagte Norman. „Ende der Woche geht es noch mal zum Arzt. Vielleicht kann ich bald wieder arbeiten gehen. Wünschen würde ich es mir.“

„Das kann ich verstehen“, sagte Sadie.

„Und du? Wie geht es dir?“

„Alles okay“, behauptete sie. „Norman, ich wollte dir etwas sagen.“

Sie konnte seinen Atem hören. „Okay.“

„Hier ins Pittsburgh ist ein Serienmörder aktiv, der sich Pittsburgh Strangler nennt. Er hat damit Bezug auf den Oregon Strangler genommen.“

Norman sagte nichts.

„Wenn du davon in den Nachrichten hörst, musst du dich nicht wundern. Wir sind an der Sache dran.“

„Ach, Liebes, ich bewundere dich dafür, dass du es erträgst, diesen Beruf zu machen. Da muss man doch eigentlich verrückt werden“, sagte Norman.

„Nein, es geht. Wir werden herausfinden, wer dieser Kerl ist. Ich lasse mich davon nicht unterkriegen.“

„Das darfst du auch nicht. Aber wenigstens musst du das nicht allein durchstehen. Wie geht es Matt?“

„Er ist sehr gestresst. Morgen hat er die erste Prüfung. Bald ist es endlich geschafft“, berichtete Sadie.

„Er ist ein guter Junge. Wie geht die Hochzeitsplanung voran?“

„Im Moment gar nicht“, musste Sadie zugeben. „Erst mal muss Matt die Academy schaffen.“

„Ja, das sehe ich ein.“ Norman seufzte. „Sehen wir uns Ostern?“

„Klar“, sagte Sadie. „Norman ... ich habe eine Frage.“

„Schieß los.“

„Ich vernachlässige meine Katzen, wenn ich ehrlich bin. Ich habe zwar nicht den Eindruck, dass es sie stört, aber mich stört es. Sie leben bei mir, aber ich bin ständig weg und sie sind allein.“

„Verstehe. Ich würde sie nehmen, aber theoretisch gehe ich auch arbeiten, das weißt du.“

„Ja, aber du bist nicht tagelang verschwunden, so wie ich. Die Tiere haben Besseres verdient.“

„Aber es sind auch deine Tiere, vergiss das nicht. Sie mögen dich.“

„Ich weiß ... ich wollte ja nur mal hören, wie du dazu stehst.“

„Ich würde sie nehmen, ich mag die beiden. Aber mach das nur, wenn es nicht anders geht, okay?“

„Okay“, sagte Sadie. „Ich hab dich lieb, Norman. Ich komme wieder nach Waterford, sobald ich kann.“

„Ich weiß, Kind. Ich habe dich auch lieb. Und jetzt mach deinen Job!“

Sadie lachte. „Das mache ich, Norman. Bis dann.“

Sie legte auf und seufzte. Wenn sie konnte, würde sie so bald wie möglich nach Kalifornien zurückkehren. Zwar war Los Angeles, wo sie möglicherweise arbeiten konnte, auch weit von Waterford entfernt. Aber es war nicht ganz so weit. Sie wollte gern für Norman da sein, denn er war auch immer für sie da gewesen.

 

Inzwischen machten Pressekonferenzen Sadie nicht mehr nervös. Sie hatte sich daran gewöhnt. Außerdem hatte Nick sein Statement gründlich vorbereitet. Er wollte, dass Sadie das Profil vorlas, nachdem er die Einleitung und die Vorstellung von Annas Vermisstenanzeige übernahm.

Sadie straffte die Schultern, als sie neben Nick trat. Zahlreiche Journalisten und Kamerateams hatten sich vor ihnen versammelt, ein leises Stimmengewirr war zu hören. Schließlich trat Caffrey vor das Mikrofon.

„Danke für ihr Erscheinen! Wir können Ihnen nun aktuelle Informationen im Fall des sogenannten Pittsburgh Stranglers zukommen lassen.“ Er machte eine kurze Pause. „Wie sie im Pittsburgh Tribune gesehen haben, hat der Mann, den wir für dringend tatverdächtig in den Fällen der ermordeten Carrie Ambrose und Stacy Parks halten, Kontakt mit den Medien und mit uns aufgenommen. Auch wenn sein Brief nicht im Wortlaut abgedruckt worden ist, so kann ich Ihnen sagen, dass er sich selbst Pittsburgh Strangler getauft hat und angibt, in die Fußstapfen des Oregon Stranglers zu treten. Seit heute Morgen unterstützt uns nun die Einheit der Behavioral Analysis Unit des FBI aus Quantico bei den Ermittlungen. Ich gebe ab an Supervisory Special Agent Nicholas Dormer.“

„Vielen Dank“, sagte Nick. „Wir haben den Brief, den der Pittsburgh Tribune erhalten hat, überprüft und können bestätigen, dass es sich in den Mordfällen Carrie Ambrose und Stacy Parks nicht nur um denselben Täter handelt, sondern dass er das Verhalten des vor einigen Monaten geflohenenen und später bei einem Polizeieinsatz erschossenen Serienmörders Rick Foster, den viele von Ihnen als Oregon Strangler kennen, nachahmt. Er hat die beiden Frauen nacheinander entführt, über Wochen gefangengehalten, sie vergewaltigt und schließlich erwürgt. Nun gehen wir davon aus, dass sich aktuell in seiner Gewalt die seit gut drei Wochen vermisste Studentin Anna Pike befindet.“ Nick deutete auf das große Foto hinter sich und verlas Details zu Anna und ihrem Verschwinden.

„Meine Kollegin Sadie Scott hat bereits ein Profil des unbekannten Mörders angefertigt, das sie Ihnen nun vorstellen möchte. Wir bitten bei der Bevölkerung um Mithilfe auf der Suche nach dem Täter und hoffen, dass jemand diesen Mann erkennt.“ Er nickte Sadie zu, die sich ein wenig vorbeugte und ins Mikrofon sprach.

„Der Gesuchte ist ein Weißer im Alter von etwa achtzehn bis höchstens fünfundzwanzig Jahren. Er wirkt nach außen unauffällig, ist intelligent, wird einer geregelten Arbeit nachgehen und lebt irgendwo in Pittsburgh oder Umgebung. Vermutlich hat er ein eigenes Haus oder einen anderen abgeschiedenen Ort, an dem er seine Opfer festhalten kann. In seiner Jugend ist er möglicherweise durch gewalttätige Tendenzen gegen Tiere aufgefallen, später vielleicht auch gegen Frauen. Er hat von sich eine hohe Meinung, wenn nicht gar eine narzisstische Persönlichkeit. Vor einigen Monaten hat es für ihn einen Umbruch gegeben, der auch Außenstehenden aufgefallen sein könnte. Seitdem ist er zurückgezogener und zeigt sich seltener.“

Dormer nickte ihr zu und sie setzte eine gleichmütige Miene auf. Das war im Augenblick alles, was sie über den Täter sagen konnten. Mehr hatten sie einfach noch nicht über ihn.

„Ich danke meinen Kollegen vom FBI für diese Einschätzung“, sagte Caffrey. „Gibt es Fragen?“

„Warum reagiert die Polizei denn erst jetzt auf diesen Serienmörder?“, fragte ein anzugtragender Reporter.

„Den Ermittlern haben bisher Ansätze gefehlt. Bewegung kam erst durch die Nachricht des Täters in den Fall“, sagte Nick an Caffreys Stelle.

„Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Tod des Oregon Stranglers Rick Foster und dem Beginn dieser Mordserie?“

„Den sehen wir“, sagte Nick. „Wir kennen noch nicht den Grund dafür, dass dieser Täter Rick Foster nachahmt, aber ein Zusammenhang besteht definitiv.“

„Denken Sie, dass Sie Anna Pike rechtzeitig finden werden?“

Caffrey kam Nick zuvor. „Davon gehen wir aus.“

Ein anderer Reporter meldete sich zu Wort und blickte zu Sadie. „Special Agent Scott, ich gehe wohl richtig in der Annahme, dass Sie als Expertin für Rick Foster bei den Ermittlungen mitwirken?“

Sadie atmete tief durch und versuchte, das Kribbeln auf ihrer Haut zu ignorieren. Sie räusperte sich und sagte: „Als Expertin würde ich mich nun nicht bezeichnen.“

„Aber Sie haben ihn persönlich kennengelernt. Er wurde erschossen, als Sie aus seiner Gewalt befreit wurden.“

„Das stimmt, ich kannte ihn“, sagte Sadie. „Natürlich arbeite ich deshalb an den Ermittlungen mit. Wir sehen deutliche Parallelen, aber das alles hat nichts mit meiner Begegnung mit Rick Foster zu tun.“

Ihre Handflächen waren schweißnass. Sie war froh, als der Reporter aufhörte, nachzubohren, weil er merkte, dass er sie nicht verunsichern konnte. Die nächsten Fragen gingen noch an Nick und Caffrey und dann war die Pressekonferenz auch schon vorbei. Sie machten sich auf den Weg zum Aufzug. Die Türen hatten sich gerade erst hinter ihnen geschlossen, als Caffrey sich zu Sadie drehte.

„Dreiste Frage, wenn ich das mal so sagen darf. Ob sie eine Expertin wären ... unglaublich.“

„Sie kennen doch die Medien“, sagte Sadie. „Ich habe einem Serienmörder gegenübergestanden, das sorgt für Quote.“

„Scheinbar. Davon abgesehen ist es ja im Moment nur von Vorteil für uns.“

„Am liebsten hätte ich damals ihren Namen ganz aus der Sache rausgehalten, aber das ging ja schlecht. Wir mussten ja nach den beiden suchen“, sagte Nick.

„Das ist doch nicht deine Schuld“, sagte Sadie. „Die hätten das sowieso herausgefunden.“

„Ja, ich weiß. Das ärgert mich trotzdem. Es ist ja zum Glück nichts weiter passiert.“

Sadie erwiderte nichts. Das war nicht ganz zutreffend und sie wusste, dass Nick sich dessen bewusst war, aber gerade musste er das natürlich sagen.

Sie setzten sich im Büro wieder zusammen und warteten darauf, dass die Medien die Informationen weitergaben. Eine Stunde später waren Ausschnitte der Pressekonferenz im Fernsehen. Grinsend stellte Nick fest, dass der Zwischenruf des neugierigen Reporters dafür gesorgt hatte, dass vor allem Sadie mit ihrer Verlesung des Profils ausführlich gezeigt wurde. Sie hatten sich vor dem Fernseher zusammengeschart und verfolgten die Berichterstattung. Sadie fand es eigenartig, sich selbst im Fernsehen zu sehen. Sie fand den Klang ihrer Stimme unmöglich, aber sie wusste, das ging jedem Menschen so.

Nachdem sie fertig war, sagte ein Sprecher: „Die FBI-Agentin bringt in diesem Fall eine besondere Expertise mit, da sie im Herbst auf seiner Flucht von Serienmörder Rick Foster entführt wurde. Nun bleibt nur noch zu hoffen, dass bald nützliche Hinweise eingehen, damit Anna Pike gerettet werden kann.“

„Hören die sich eigentlich selber zu?“, regte Caffrey sich auf. „Die tun ja so, als wäre uns das egal.“

„Das sind Medien, Detective“, sagte Nick. „Ärgern Sie sich nicht darüber. Die schlachten doch bereitwillig alles aus, was sie kriegen können.“

„Ich weiß, ich weiß ... trotzdem ist das ärgerlich.“

Das fand Sadie allerdings auch. Sie hatte immer solche Angst gehabt, dass ihre Identität aufflog, weil sie befürchtet hatte, dass man ihr deshalb negativ gegenübertreten könnte – dabei gab es eine viel größere Gefahr. Sollten die Medien herausfinden, wer sie war, würde sie sich vor einer Belagerung nicht mehr retten können.

Hoffentlich passierte das nie.

Ihr Handy vibrierte. Diesmal rechnete sie damit, dass es Brandon war, und er war es tatsächlich. Hab dich vorhin im Fernsehen gesehen. Irgendwie ganz schön abgefahren! Vor allem, dass dieser Täter den Oregon Strangler nachahmt. Ich hoffe, das macht dir nichts aus.

Doch, es machte ihr etwas aus, aber sie hatte sich ja daran gewöhnt. Deshalb schrieb sie: Eigentlich stimmt es, wenn die alle darauf rumreiten, dass ich mich gut mit ihm auskenne. Deshalb bin ich ja hier.

Augenblicke später erhielt sie Antwort. Ich hätte dir nicht angemerkt, dass du einem Serienmörder begegnet bist. Was wollte er von dir?

Sadie gab die Antwort, die sie auf diese Frage immer gab. Ich habe in sein Beuteschema gepasst. Er war frei und hatte Hunger nach all den Jahren. Bin froh, dass meine Kollegen mich so schnell gefunden haben.

Ja, und du hast einen Freund, der sich gut um dich kümmert, antwortete Brandon. Ich beneide den Kerl, aber das weißt du ja.

Sie grinste. Als ob du Probleme hättest, Frauen anzusprechen. Bist doch nett. Und es spricht ja für dich, dass du mich nicht links liegen lässt, nur weil ich vergeben bin.

Diesmal brauchte die Antwort etwas länger. Nein, man kann mit Frauen auch einfach befreundet sein. Du bist eine viel zu interessante Person, um dich einfach zu ignorieren. Aber dass ich neugierig bin, hast du ja gemerkt.

Allerdings, dem konnte Sadie nur zustimmen. Er war sogar verdammt neugierig. Für einen kurzen Moment ertappte sie sich bei dem Gedanken, dass Brandon genaugenommen auch prima in ihr Profil gepasst hätte. Er war ein Weißer im richtigen Alter, alles andere als dumm und zeigte ein mehr als gesundes Selbstbewusstsein. Sadie wusste nicht, ob sie weit genug gehen würde, um ihm Narzissmus zu attestieren, denn dafür kannte sie ihn nicht gut genug. Aber das war überzogen, er hatte nichts damit zu tun. Pittsburgh lag vier Autostunden von Quantico entfernt, allein das schloss Brandon aus. Der Pittsburgh Strangler verlangte nach der Aufmerksamkeit der Medien, aber Brandon flirtete mit ihr.

Nein, das war etwas anderes. Seufzend gestand Sadie sich ein, dass es ihr Vater war, der sie auf solche Gedanken brachte. Nicht jeder Mensch, der in ihr mit Kontakt trat, tat das, um ihr zu schaden. Und mit ihrem Vater hatte sie schon so viele vollkommen unwahrscheinliche und unfassbare Dinge erlebt ... irgendwann musste auch mal gut sein.

Sie antwortete Brandon nicht, sondern steckte ihr Handy weg. Erst, als sie Feierabend machten und ins Hotel gingen, holte sie es wieder heraus. Sie wollte jetzt Matts Stimme hören, deshalb rief sie ihn an. Die Ungewissheit hinsichtlich der Ermittlungen machte sie nervös. Wen jagten sie da? Was hatte er vor? Und wie würde er auf das reagieren, was sie im Fernsehen gesagt hatte?

Jetzt mit Matt zu sprechen, würde sie beruhigen. Den ganzen Tag über hatte er sich nicht gemeldet, aber das konnte sie ihm nicht übel nehmen. Er hatte zuviel zu tun, war aber gleich in der Leitung.

„Hey, Süße, wie geht es dir in Pittsburgh?“ fragte er.

„Ach, geht so ... vorhin wollten die Pressegeier mich zum Opfer des Oregon Stranglers stilisieren“, sagte sie und ließ sich auf das Bett fallen. Schon wieder allein im Hotel.

„Oh, wundervoll. Gehen eure Ermittlungen denn voran?“

„Ja, wir haben schon ein Profil und eine weitere Vermisste. Jetzt hoffen wir, dass er anbeißt und uns wieder kontaktiert.“

„Macht der schon.“

„Bestimmt ... aber ich frage mich, was jetzt passiert. Nicks Vermutungen spuken mir immer im Kopf herum.“

„Was, dass der Pittsburgh Strangler es auf dich abgesehen hat?“, fragte Matt.  

„Genau.“

„Ganz ehrlich: Wie wahrscheinlich ist das?“

„Nicht sehr“, gab Sadie zu. „Aber trotzdem. Das ist alles so seltsam.“

„Und selbst wenn. Was will er schon tun?“

Sadie lachte. „Den Text kenne ich doch. Wir dachten auch bei meinem Vater, dass nichts passieren kann.“

„Ja, aber ... das war etwas anderes.“

Sadie war nicht überzeugt, aber sie verstand, dass Matt sie beruhigen wollte. Sekunden später sagte er es auch.

„Mach dir keine Sorgen, ich glaube nicht dran, dass dir jemand etwas Böses will.“

„Ich hoffe es.“

Es raschelte im Hintergrund und Matt stöhnte theatralisch. „Ich bin so fertig, ich kann’s dir gar nicht sagen.“

„Ich weiß, wie das ist“, sagte Sadie verständnisvoll. „Aber du schaffst das morgen schon.“

„Ich hoffe. Aber ich habe auch kaum noch etwas Anderes im Kopf als das Zeug, das ich wissen muss. Wenn das morgen nicht rauskommt, müsste ich mich sehr wundern.“

„Richtig.“ Sadie seufzte. „Heute Mittag habe ich mit Norman gesprochen. Vielleicht kann er bald wieder arbeiten gehen.“

„Oh, das wäre doch toll! Ich mag deinen Onkel wirklich.“

„Das freut mich. Bald sind wir eine Familie ... Da fällt mir ein, Norman hat gefragt, wie unsere Hochzeitspläne voranschreiten.“

„Oh, ich weiß nicht. Hast du bestimmte Wünsche?“ fragte Matt.

Sadie überlegte. „Keine Ahnung. Ich weiß ja nicht mal, ob ich ein weißes Kleid anziehen will.“

„Klar willst du! Oder sagen wir mal so, ich heirate dich nur, wenn du eins trägst.“

„Na klar, Mr. Whitman. Das will ich sehen“, spottete sie.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739342955
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Juni)
Schlagworte
USA Profiling Profiler Thriller Serienmörder Serienmord Spannung Sadismus FBI Krimi Ermittler

Autor

  • Dania Dicken (Autor:in)

Dania Dicken, Jahrgang 1985, schreibt seit ihrer Kindheit. Die in Krefeld lebende Autorin hat in Duisburg Psychologie und Informatik studiert und als Online-Redakteurin gearbeitet. Mit den Grundlagen aus dem Psychologiestudium setzte sie ein langgehegtes Vorhaben in die Tat um und schreibt seitdem Psychothriller mit Profiling als zentralem Thema.
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Titel: Die Seele des Bösen - Blut, Angst und Tränen