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Schrei vor Angst

Oregon Strangler

von Dania Dicken (Autor:in)
270 Seiten

Zusammenfassung

Unter Tränen starrte sie an die Decke. „Warum tust du das?“ Das war eine gute Frage. Weil es ihm Macht gab. Weil es ihn befriedigte. So konnte er die Welt vergessen und alles darin, was ihn frustrierte. Hier ging es nur um ihn und darum, was er wollte. Und er tat es, weil er es konnte. So einfach war das.

Entführen, vergewaltigen, töten – als er einmal damit begonnen hat, kann Rick nicht mehr damit aufhören. In der ruhigen Kleinstadt Klamath Falls lebt der Elektriker vordergründig ein unauffälliges Leben mit seiner schwangeren Frau Clarice und seiner Tochter, doch in seiner Hütte in den Bergen zeigt der Oregon Strangler seinen Opfern sein wahres Gesicht. Jahrelang lebt er seine sadistischen Neigungen unentdeckt aus und avanciert zum gefürchteten Serienmörder. Doch als seine Aggression auch seine Familie trifft, kommt es zur Katastrophe …

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorbemerkung

 

 

 

Bücher über Verbrechensopfer und die Ermittler, die zur Aufklärung der Taten herangezogen werden, gibt es bereits unzählige. In diesem Buch geht es jedoch schwerpunktmäßig um einen sadistischen Serienmörder, seine Gedanken- und Gefühlswelt. Vor dem Hintergrund meiner Recherchen zu meinen bereits veröffentlichten Psychothrillern habe ich mich hier ebenso darum bemüht, seine Motive und Taten möglichst realistisch zu schildern. Auch teils drastische Gewaltdarstellungen sind deshalb Bestandteil dieses Textes. Die Auseinandersetzung damit war beim Schreiben oft nicht leicht, weshalb ich das Geschriebene nicht einfach unkommentiert stehen lassen wollte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Klamath Falls, Oregon, 30. Januar 1989

 

Der nächste Güterzug rauschte hinter dem Gebäude vorbei. Mit geschlossenen Augen konzentrierte Rick sich für einen Moment auf das Dröhnen und ließ seinen Rhythmus eins mit dem gleichmäßigen Rattern der Waggons auf den Schienen werden. Valerie versuchte, ein wenig lauter zu stöhnen, aber das unterstrich nur ihr Schauspiel. Genervt hielt Rick inne und öffnete die Augen.

„Willst du dir noch was extra verdienen?“, fragte er.

Gespannt drehte Valerie sich zu ihm um. „Was schwebt dir vor?“

„Ich will dich fesseln.“

„So was mache ich nicht.“

„Ach, komm. Du kennst mich doch.“

„Nein.“

„Zwanzig Mäuse extra?“

Valerie zögerte kurz, dann nickte sie. „Meinetwegen. Für dich tue ich doch alles.“

Sie schmierte ihm nur Honig ums Maul, aber so klar ihm das auch war, so egal war es ihm auch. Er bezahlte sie schließlich dafür, dass sie tat, was er wollte.

Er gab ihr einen Klaps auf den Po, bevor er aufstand. Dieser Prachthintern bot wirklich einen besonderen Anblick. Verdammt sexy, wie sie da am Boden kniete und ihm zu Willen war … Aber das ging noch besser.

„Hast du Handschellen?“, fragte er.

„Nein. Nehmen wir das hier.“ Sie zog den Gürtel von ihrem Morgenmantel ab und reichte ihn Rick. Er musste ihr nicht sagen, dass sie sich aufs Bett legen sollte. Sie tat es einfach und beobachtete ihn die ganze Zeit mit ihrem typisch lasziven Blick, während er sich über sie beugte und sie mit dem langen Seidenband fesselte.

Dafür nahm er sich Zeit. Es musste schließlich funktionieren. Er tat nicht nur so. Erst ein Handgelenk, dann das nächste … ein Knoten dazwischen, nur zur Sicherheit … und schließlich an den Bettpfosten damit. Als er fertig war, grinste er zufrieden.

„Komm her“, raunte Valerie ihm zu und spreizte die Beine einladend. Er war sofort wieder bei der Sache. Grinsend beugte er sich über sie und machte da weiter, wo sie vorhin aufgehört hatten. Sie so zu sehen, törnte ihn noch mehr an als ohnehin schon. Genüsslich räkelte sie sich unter ihm, war ihm gänzlich ausgeliefert. Der Druck wurde schon beinahe schmerzhaft. Er nahm sie mit tiefen Stößen und genoss es einfach nur.

„Gefällt dir das?“, fragte sie. Es war die übliche Frage, die eine gute Dienstleisterin hin und wieder stellte, aber in diesem Moment wollte er sie nicht reden hören. Er wollte maximal ihr Stöhnen hören. Mit einer raschen Bewegung griff er neben sich, schnappte sich ihren Slip und steckte ihn ihr grob in den Mund. Als Valerie jetzt zu zappeln und zu schreien begann, musste er sich zusammenreißen, um sich nicht von seiner Ekstase mitreißen zu lassen.

„Halt still“, zischte er und drückte sie mit einer Hand am Brustbein nieder. Dann grinste er. „Ist doch bloß ein Spiel.“

„Hmm“, machte Valerie mürrisch, aber sie war besänftigt. Das war gut, schließlich sollte nicht gleich Jimbos ganzes Hinterhofbordell wissen, was er hier gerade machte.

Für einen Moment verharrte Rick reglos und nahm bewusst ein paar Atemzüge. Es sollte noch nicht zu Ende sein. Gerade jetzt nicht, das wollte er erst noch auskosten.

Dann legte er wieder los. Die Art und Weise, wie Valerie ihn ansah, machte ihn verdammt scharf. Ihm war, als hätte er ein wenig Angst in ihren Augen aufblitzen sehen. Nur eine kleine Prise, aber sie war da. Er sah sie genau.

Sie stöhnte immer noch, weil das ihr Job war. Mit ihrem Slip im Mund klang das richtig heiß.

Er genoss es, hielt immer wieder inne, ließ sich Zeit. Dafür war es einfach zu schön. Als Valerie irgendwann ungeduldig wurde und zu zappeln begann, überkam es ihn doch und er explodierte geradezu, ohne es zu wollen. Für einen Moment hielt er die Luft an und erstarrte, dann löste er sich von ihr und ließ sich keuchend neben sie auf die Matratze fallen. Mit erstickten Lauten und heftigem Gezappel gab Valerie ihm zu verstehen, dass er sie losmachen sollte, aber Rick rührte sich nicht gleich. Zuerst griff er nach seinen Shorts und streifte sie wieder über, bevor er Valerie den Slip aus dem Mund zog und sie langsam losband.

„Ich hoffe, es hat dir gefallen.“ Ihre Stimme zitterte leicht, als sie das sagte.

„Und ob“, erwiderte Rick. Er holte sein Portemonnaie aus seiner Jeans und nahm in einer großspurigen Geste einen Zwanzig-Dollar-Schein heraus. Den Rest hatte er ihr schon im Voraus gegeben.

„Danke, mein Süßer“, sagte Valerie und nahm ihm den Geldschein ab, nachdem sie sich in ihren Morgenmantel gehüllt hatte. Rick zog seine Jeans, sein Unterhemd und den Pullover wieder an, bevor er nach seiner dicken Winterjacke griff. Draußen war es beschissen kalt, es herrschte strenger Frost.

„Ich danke dir“, sagte er betont charmant, grinste breit und verschwand schließlich. Mit seinen dicken Stiefeln polterte er die Treppe herunter und folgte dem grellrot beleuchten Flur bis zum Ausgang. Als er die Hintertür aufstieß, schlug ihm schneidend kalte Luft entgegen.

Er ging zu seinem Auto, das er völlig unbeeindruckt keine dreißig Meter weiter am Straßenrand geparkt hatte. Wer um diese Zeit noch in der Gegend unterwegs war, war vermutlich selbst Kunde bei Jimbo. Sein kleines Bordell lag zwischen Autowerkstätten und der Free Will Church of God in der Nähe der Amtrak-Station von Klamath Falls.

Verdammtes Dreckskaff, dachte Rick stumm, während er in seinen Pontiac Sunbird stieg und betete, dass der altersschwache Motor ansprang. Sein Atem kondensierte in Wolken, aus dem Radio plärrte Dirty Diana von Michael Jackson. Die Zündkerzen gaben ihr Bestes, dann startete der Motor endlich.

Weil er keine Lust hatte, sich den Arsch länger abzufrieren als nötig, machte er sich auf den Weg zum Veterans Memorial Park und fuhr dort auf den Highway 95 nach Norden auf. Keine zwei Meilen später verließ er den Highway wieder an der nächsten Abfahrt, hielt sich nach Westen und bog noch zweimal ab, dann war er am Ziel. Langsam und leise ließ er den Sunbird in die Einfahrt rollen und stellte den Motor ab. Im Haus war es dunkel und still, das konnte er beim Aussteigen schon sehen. Gut so. Wenn Clarice schon schlief, stellte sie wenigstens keine Fragen.

Mit ihr konnte er so etwas wie vorhin nicht machen. Wollte er auch gar nicht. Das ging nicht, sie war schließlich seine Frau. Sie hatte ein Gesicht, einen Namen. Valerie hingegen war ihm egal, sie war nur eine billige kleine Nutte, bei der er den Druck ablassen konnte, der irgendwo hin musste. Vor allem jetzt.

Rick schloss die Haustür auf, zog seine Jacke und die Stiefel aus und ging noch einmal in die Küche zum Kühlschrank. Er nahm den Kanister mit Orangensaft heraus, setzte die Öffnung an die Lippen und nahm ein paar gierige Schlucke der herrlich kalten Flüssigkeit. Das tat gut.

So leise wie möglich schlich er die Treppe hinauf. Er wusste, wo die Stufen knarzten und versuchte, dort nicht aufzutreten. Mucksmäuschenstill pirschte er am Kinderzimmer vorbei. Bloß jetzt das Balg nicht wecken, das konnte er überhaupt nicht brauchen.

Leise ließ er die Tür zum Schlafzimmer aufschwingen. In der Dunkelheit hörte er die leisen und gleichmäßigen Atemzüge seiner Frau. Sie schlief. Es war auch schon kurz vor Mitternacht, deshalb hatte er mit nichts anderem gerechnet.

Er ging ins Bad, um sich auszuziehen und die Zähne zu putzen. Schließlich zog er noch ein T-Shirt über, bevor er vorsichtig zu Clarice ins Bett stieg.

Sie lag ihm zugewandt auf der Seite. Die roten Leuchtziffern des Radioweckers verströmten ein fahles Licht, in dem er ihre sanften Gesichtszüge betrachtete. Wirklich hübsch, seine Clarice, obwohl sie ihm blond besser gefallen hätte.

Ihr rechter Arm ruhte auf ihrem großen runden Bauch, den er auch unter der Decke noch erahnen konnte. Wenn er es richtig im Kopf hatte, war sie im siebten Monat. Zwei Monate noch, bis er wieder Vater wurde. Zwei Monate noch, in denen sie ihn am ausgestreckten Arm verhungern ließ – vermutlich eher mehr, denn nach der Geburt würde sie ihn auch nicht ranlassen.

Hätte er das mal vorher gewusst. Seine Besuche bei Valerie gingen ganz schön ins Geld. Das konnte so nicht weitergehen, aber diese Schwangerschaft war anders als die erste. Clarice beschwerte sich dauernd über Rückenschmerzen und hatte ziemlich lang ziemlich viel gekotzt.

Rick legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Nein, bei ihr konnte er sich wirklich nicht vorstellen, sie zu fesseln und dann Sex mit ihr zu haben. Das ging nicht. Irgendwie fühlte sich das falsch an.

Aber bei Valerie hatte es sich richtig angefühlt. Gut. Vor allem dann, als er dieses panische Glitzern in ihren Augen bemerkt hatte. Eigentlich hatte es gereicht, sie gefesselt zu sehen und zu wissen, dass er gerade das Sagen über sie hatte. Sie dann noch ordentlich ranzunehmen, war nur noch das Sahnehäubchen gewesen.

Er versuchte, sich nicht vorzustellen, wie er mal Sex mit einer Frau hatte, die wirklich Angst vor ihm hatte. Die sich wehrte. Die sich unter ihm wand und zappelte und schrie …

Rick hielt die Luft an und versuchte, wieder runterzukommen. Er hatte zwar eben erst Sex mit Valerie gehabt, aber er spürte schon wieder, wie sich bei all diesen Gedanken etwas regte.

Er stellte sich ja schon länger vor, eine Frau beim Sex zu fesseln. Sie vielleicht sogar zu schlagen. Jetzt bei Valerie hatte er getestet, ob das sein Ding war, und verdammt, das war es wirklich.

Aber es war nur ein Spiel gewesen. Rick wollte es richtig haben. Mit Schreien und Tränen. Er hatte keine Ahnung, warum, und eigentlich war es ihm auch egal. Doch der Wunsch wurde dringender. Er nahm Gestalt an. Er wollte sich eine Frau schnappen, irgendeine Fremde, und er wollte sie zwingen. Er wollte tun und lassen, wonach ihm der Sinn stand. Diese Gedanken wurden immer bohrender und drängender, ganz gleich, wie sehr er sie auch zu verdrängen versuchte.

 

 

 

Klamath Falls, Oregon, 6. Februar 1989

 

Mit Handschuhen Auto zu fahren war zwar nicht besonders einfach, aber bei unter Minus zwanzig Grad blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Der Sunbird hatte asthmatisch geröchelt, als er ihn gestartet hatte, aber immerhin war er angesprungen. Wenigstens lag gerade nicht viel Schnee, so dass er keine Schneeketten brauchte. Das hätte ja gerade noch gefehlt.

Während er der Oregon Avenue nach Hause folgte, versuchte er, sich nicht zu sehr über Benson aufzuregen. Dämlicher Scheißkerl. Am liebsten hätte Rick ihm den Hals umgedreht. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, sich einen neuen Job zu suchen. Als Elektriker würde er schon was finden, gute Leute wurden in Klamath Falls immer gesucht. Und er machte seine Sache gut, auch wenn Benson das nicht in seine Birne bekam. Ignoranter Idiot.

Rick bog in seine Straße ein, prügelte den Sunbird die Steigung hinauf und lenkte ihn in die Einfahrt. Vom Dach seines Hauses hingen immer noch Eiszapfen, auf den Schindeln lag Schnee. Verfluchter Winter, warum lebten sie eigentlich nicht in Südkalifornien? Da musste man nicht mal heizen.

Er hatte die Haustür kaum aufgeschlossen, als schnelle Schritte sich ihm näherten. Kristy tapste übermütig in seine Richtung und strahlte übers ganze Gesicht. „Daddy!“

„Wen haben wir denn da?“ Rick strich seiner Tochter zwischen den zwei kleinen blonden Zöpfchen über den Kopf und warf einen Blick in die Küche, wo Clarice am Herd stand.

„Das riecht gut“, befand  Rick.

„Irish Stew. Das magst du doch so gern.“

„Ja, vor allem an so kalten Tagen wie heute.“

„Allerdings. Wir waren noch nicht draußen, das wollte ich mit der Kleinen nicht.“

Kristy sprang vor ihrem Vater herum und streckte die Arme in die Höhe. Er verstand, nahm sie hoch und hielt sie auf dem Arm. Er ging mit ihr in den Flur, wo er Jacke, Schuhe, Mütze und Handschuhe auszog. Im Haus war es gut geheizt, das gefiel ihm. Er genoss es auch, nach einem harten Arbeitstag so begrüßt zu werden. Kristy freute sich jedes Mal wie wahnsinnig, wenn sie ihn sah. Seine süße kleine Tochter. Sie war wirklich süß – blondes Haar, blaue Kulleraugen, ein niedliches Gesicht. Zum Glück hatte sie mehr von ihrer Mutter als von ihm, und ihre Mutter sah wirklich gut aus. Das musste er ihr ja lassen.

Nachdem er alles abgelegt hatte, nahm er Kristy wieder auf den Arm und ging mit ihr ins Wohnzimmer, wo er sich mit ihr aufs Sofa setzte. Sie zeigte ihm ihr Bilderbuch, während er die Füße hochlegte. Einfach den Feierabend genießen.

Es dauerte nicht mehr lang, bis das Essen fertig war. Clarice balancierte den Topf oberhalb ihres großen runden Bauches zum Esstisch, nachdem sie den Tisch bereits eingedeckt hatte. Sie erkundigte sich bei Rick, was er trinken wollte, und bat ihn, Kristy in ihren Hochstuhl zu setzen. Sie sollte nicht mehr schwer heben, hatte ihr Arzt gesagt, und Kristy wog fast dreizehn Kilo.

Einträchtig saßen sie am Tisch bei Irish Stew. Rick besaß irische Vorfahren und hatte das Gericht oft bei seinen Großeltern bekommen. Wenn Clarice ihm eine Freude machen wollte, kochte sie es ihm, was er nett von ihr fand.

Er hatte sie auf der Party eines Freundes kennengelernt. Sie war zu der anderen High School in Klamath Falls gegangen, deshalb war er ihr zuvor noch nicht begegnet. Bei ihrer ersten Begegnung war er neunzehn, sie noch achtzehn. Er hatte sie auf Anhieb gemocht. Sie war hübsch, hatte feine, gleichmäßige Gesichtszüge, geheimnisvolle braune Augen, trug ihr schulterlanges brünettes Haar in einer Dauerwelle, so wie viele junge Frauen ihres Alters. Und sie hatte eine tolle Figur. Alles an ihr hatte ihm gefallen und deshalb hatte er angefangen, mit ihr auszugehen. Er war ihr erster Freund, was er nicht verstand. Ja, sie war ein ruhiger Typ, fast ein wenig schüchtern, drängte sich nicht in den Vordergrund.

Sie hatte nach ihrem Abschluss begonnen, bei Maclean als Sekretärin zu arbeiten, während Rick bereits seine erste Stelle als Elektriker angetreten hatte. Sie waren ins Kino gegangen, im Sommer an den See gefahren, hatten sich mit Freunden getroffen und Spaß gehabt. Im Hause Foster war Clarice ein gern gesehener Gast, was man umgekehrt nicht in gleichem Maße sagen konnte. Clarice hatte einen Bruder, Paul, der Rick nicht leiden konnte und ihn das bei jeder sich bietenden Gelegenheit deutlich spüren ließ. Clarice hatte Rick auch erzählt, wie Paul versuchte, gegen ihn zu stänkern und sie dazu zu bringen, sich von ihm zu trennen – aber dann hatte sie Rick Anfang 1986 gesagt, dass sie schwanger war.

Das änderte alles. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Rick nicht darüber nachgedacht, was die Zukunft bringen sollte. Clarice war seine Freundin, weil sie ihn anbetete. Er bekam alles von ihr, sie war aufmerksam, las ihm seine Wünsche von den Lippen ab – und wenn er Sex wollte, hatten sie Sex. Da hatte es nie Probleme gegeben. Er konnte wirklich nicht klagen. Aber heiraten? Eine Familie gründen?

Immerhin hatte das den Vorteil gehabt, dass Paul Masters endlich die Klappe gehalten hatte. Im Frühsommer 1986 hatten Rick und Clarice geheiratet, Ende August war dann Kristy geboren, sie hatten das Haus gekauft und waren zusammengezogen.

In diesem Moment hatte Rick zum ersten Mal bezweifelt, ob das alles so eine gute Idee war. Nachts, wenn Kristy schrie und ihm den Schlaf raubte. Wenn Clarice sie stillte und deshalb nichts von ihm wissen wollte. Wenn es selbst oben im Flur noch nach vollgekackten Windeln stank. Das Kind war teuer, raubte ihm nicht nur sprichwörtlich den Schlaf und plötzlich war er Hausbesitzer und Familienvater. Mit einundzwanzig.

Ein Auftrag bei der Arbeit führte ihn wenig später ins Oregon Institute of Technology nördlich von Klamath Falls, die Elektrik in einem neu angebauten Trakt verlegen. In diesem Moment hatte es ihm einen Stich versetzt, dass er nie die Mittel gehabt hatte, um ans College zu gehen. Jetzt war es zu spät. Clarice arbeitete nicht mehr, sie war zu Hause bei Kristy, sorgte sich um Kind und Haus und Rick fand das auch sehr richtig so, denn eine Mutter gehörte zum Kind und er liebte es, wenn das Haus bei seiner Rückkehr von der Arbeit in Ordnung war. Clarice vermisste die Arbeit bei Maclean nicht, aber natürlich fehlte ihnen jetzt Geld, obwohl sie ein Maul mehr zu stopfen hatten. Also musste Rick ran und das Geld beschaffen. Da blieb für solche Tagträumereien wie das College keine Zeit.

Und jetzt war Clarice wieder schwanger. Richtig geplant gewesen war das nicht, es war einfach irgendwie passiert. Im April erwarteten sie jetzt ihr zweites Kind. Wenn der Arzt mit seinem Ultraschallgerät Recht behielt, wurde es wieder ein Mädchen. Clarice wollte sie gern Kim kennen. Rick war es egal. Er freute sich nicht gerade auf noch mehr vollgekackte Windeln und seit sie schwanger war, hatte er keinen Sex mehr mit Clarice gehabt.

Langsam nagte es an ihm. Alles nagte an ihm. Eigentlich hatte er nicht in Klamath Falls versauern wollen mit Ehefrau und zwei Kindern am Bein. Zwei Mädchen. Es hätte ja wenigstens ein Kind ein Junge sein können, mit dem er auf Bäume klettern und Fußball spielen konnte …

Doch als er zu Kristy blickte, die fröhlich an einem Stück Kartoffel aus dem Irish Stew herum lutschte, lächelte er. Sie hatte auch einiges von ihm und jetzt, da sie älter wurde und langsam das Sprechen lernte, konnte er ihrer Existenz sogar etwas abgewinnen.

Mal sehen, wie das mit einem zweiten Kind wurde. Vielleicht gewöhnte er sich ja irgendwann mal an das alles. Aber immerhin Clarice war glücklich damit, das war ja auch schon was. Und wenn das zweite Kind erst mal da war, kam er vielleicht auch wieder zum Zug.

Es sei denn, das nagende Gefühl tief in seinem Inneren kam vorher zum Ausbruch …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Worden, Oregon, 22. Februar 1989

 

Es war der erste Tag seit Wochen, an dem es nicht mehr fror wie in einem Eisschrank. Der Tag, auf den er gewartet hatte, spätestens seit seiner letzten Begegnung mit Valerie. Da hatte er gemerkt, dass das sein Ding war. Genau das. Aber nicht die softe Version mit Schauspielerei und gegen Geld.

Nein, die echte. Mit richtigen Tränen und gedämpften Schreien und Angst.

Mit tief ins Gesicht gezogener Baseballkappe saß er jetzt seit einer guten halben Stunde am Tresen im Truckstop am Highway in Worden, einer winzigen versprengten Ortschaft fünfzehn Meilen südlich von Klamath Falls – und wartete.

Er hatte keine Ahnung, ob es klappte. Das musste er sehen. Clarice hatte er etwas von Überstunden erzählt, einem wichtigen Auftrag, er wisse nicht, wann er nach Hause komme. Sie hatte es akzeptiert. Das tat sie meistens, sie hatte ihre Tochter und war ziemlich glücklich damit. Manchmal war sie ein Schaf.

In seinem Kofferraum lagen Stricke, Handschellen und Gewebeband – das Gute von Home Depot. Nicht billig, aber hier ging es auch um was. Wenn er einen Fisch am Haken hatte, hatte er nur einen Versuch. Es musste klappen. Er setzte alles auf diese eine Karte.

Wochenlang hatte er mit sich gerungen. Eigentlich noch länger. Viel länger. Die Idee war ja älter, nur hatte er nie angenommen, dass er es jemals in die Tat umsetzen könnte. Aber wenn er es richtig anstellte …

Sein Großvater hatte eine Jagdhütte in den Grampian Hills, eine knappe halbe Stunde von Klamath Falls entfernt. Die hatte er sich vor einigen Tagen angesehen und war dort gewesen, bevor er nach Worden gefahren war. Er hatte dafür gesorgt, dass ein wenig Glut in dem kleinen Kamin glomm und den Frost aus der Hütte vertrieb. Sonst machte es bestimmt keinen Spaß, dafür war es gerade einfach zu kalt.

Aber es duldete keinen Aufschub mehr. Vorausgesetzt, er war erfolgreich.

In Klamath Falls auf die Jagd zu gehen, hatte er nicht gewagt. Er war auch nicht sicher, ob Worden weit genug entfernt lag, aber der Barkeeper interessierte sich nicht die Bohne für ihn. Ein weiterer wichtiger Punkt, den er abhaken konnte.

Er begann dennoch daran zu zweifeln, ob seine Idee, in einem Truck Stop zu warten, so geistreich war, als die Tür aufschwang und endlich doch eine junge Frau hereinkam. Bislang war Rick mit dem Barkeeper und ein paar Truckern allein gewesen, aber vielleicht kam da jetzt seine Chance.

Und sie war blond.

Rick beobachtete sie. Nicht zu offensichtlich, aber er ließ sie nicht aus den Augen, als sie sich ebenfalls an die Bar begab und drei Hocker weiter Platz nahm.

„Gibt’s hier auch was zu essen?“, fragte sie den Barkeeper.

„Sicher.“ Er schob ihr die Karte hin, die sie zu studieren begann. Rick musterte sie weiter im Augenwinkel. Er schätzte sie etwas jünger als sich selbst, vielleicht drei oder vier Jahre. Unter ihrer dicken Winterjacke erkannte er nicht viel, aber sie hatte schlanke Beine. Nicht schlecht.

Nachdem sie ihre Wahl getroffen und Chicken Wings mit Pommes bestellt hatte, nickte er ihr zu. „Auf der Durchreise?“

Sie nickte. „Auf dem Weg nach Sacramento.“

„Da hast du ja noch was vor.“

„Ich weiß. Vorhin hätte ich in Klamath Falls bleiben sollen, da gab es wenigstens Motels. Jetzt sitze ich hier mitten in der Pampa, es ist arschkalt und hier kann man nicht mal übernachten, aber wenigstens bin ich den stinkenden Kerl los und was zu essen gibt’s auch.“

„Klingt doch erst mal gut.“

Sie nickte langsam. „Ich glaub, bis nach Sacramento schaffe ich es heute sowieso nicht mehr. Nicht ohne mit irgendeinem gruseligen Typen zu fahren, der bestimmt mein Erstgeborenes als Gegenleistung will.“

Rick lachte. Humor hatte sie und als sie jetzt ihre dicke Daunenjacke auszog, erhaschte er einen Blick auf ihren Körper. Gut proportioniert. Sexy.

Sie kamen ins Gespräch. Er lud sie auf ein Bier ein und als ihr Essen kam, setzten sie sich zusammen an einen Tisch. Während er so dasaß und sich mit ihr über Gott und die Welt unterhielt, arbeitete es in ihm.

Sollte er? Sollte er nicht? Sie war hübsch, das musste er ihr lassen. Ein Glücksgriff. Ahnungslos erzählte sie ihm, dass sie aus Bend gekommen war und ihre Schwester in Sacramento besuchen wollte. Rick bot ihr selbstlos an, sie später mit zurück nach Klamath Falls zu nehmen, was sie ohne zu zögern annahm.

„Das wäre nett. Dann muss ich heute Nacht hier draußen nicht erfrieren.“

„Kein Problem“, erwiderte Rick, der immer noch seine Baseballkappe trug und tunlichst darauf achtete, dass niemand mitbekam, worüber er mit ihr sprach.

„Wie heißt du eigentlich?“, erkundigte er sich schließlich bei ihr.

„Mary, und du?“

„Paul.“ Kleiner Scherz am Rande. Er stellte sich gerade vor, wie irgendwann die Polizei bei seinem verhassten Schwager klingelte und ihn wegen eines Mordes befragte, und grinste in sich hinein.

„Kommst du hier aus der Gegend?“, fragte Mary.

Rick wollte schon verneinen, doch dann fragte er: „Warum willst du das wissen?“

Offensiv lächelte sie ihn an. „Weil du mir sympathisch bist.“

Es machte Klick. Hatte sie ihm gerade wirklich gesagt, dass sie sich für ihn interessierte?

„Sympathisch“, wiederholte er mit hochgezogener Augenbraue.

„Was, kennt ihr Landeier das hier nicht, dass Frauen mit euch flirten?“ Sie lachte.

„Ach, so eine bist du“, sagte Rick im Scherz.

„Was für eine bin ich denn?“

„Du hast es ja faustdick hinter den Ohren.“

Mary lächelte nur zustimmend und errötete leicht. Rick beschloss, aufs Ganze zu gehen.

„Du musst heute nicht in einem Motel übernachten, wenn du nicht willst.“

Sie verstand sofort. „Bietest du mir dein Sofa an?“

„Mein Sofa ist sehr bequem.“

„Das will ich ausprobieren“, sagte sie.

Sie sagte es tatsächlich. Rick schluckte und versuchte, sich seine aufkommende Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.

Es klappte. Es funktionierte tatsächlich. Wie im Rausch beobachtete er Mary beim Bezahlen. Sie hatte schlanke, gründlich manikürte Finger. Sie gefiel ihm verdammt gut. Schon fast zu gut.

Er würde es tun.

Mary begleitete ihn nach draußen und folgte ihm zu seinem Auto. Ein letztes Mal schaute er sich um, bevor er einstieg. Niemand zu sehen. Keine Zeugen dafür, dass Mary ihn begleitete. Es war längst stockfinster, deshalb kamen sie ungesehen auf den Highway nach Klamath Falls.

Sie saß neben ihm. Er konnte sie atmen hören. Rick versuchte, sie nicht anzusehen, damit er sich aufs Fahren konzentrieren konnte. Wenn er sich sonst vorstellte, was passieren konnte, ging alles mit ihm durch …

„Dass du keine Freundin hast“, sagte Mary überrascht, um wieder mit ihm ins Gespräch zu kommen.

„Im Moment nicht, nein.“

Er konnte sich nicht auf ein Gespräch konzentrieren. Das ging einfach nicht. Gerade war er damit beschäftigt, sich zu überlegen, wie er sie in die Hütte kriegen sollte. Unbemerkt. Am besten ohne Gegenwehr. Und wenn sie dort war, würde er sie an das alte Bett fesseln, das dort stand, und er würde das tun, wonach jede Faser seines Körpers mit fast brennender Intensität verlangte.

Und danach würde er sie töten. Er musste. Ansonsten würde er eine Zeugin laufen lassen.

Das ging nicht. Das konnte er nicht tun. Ausgeschlossen.

Während er stur auf die Straße starrte und vor sich hin grübelte, musterte Mary ihn und suchte erneut das Gespräch, aber seine Antworten blieben einsilbig. Sein Puls raste, er versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Das war verdammt schwer. Unfassbar schwer. Dann verließ er den Highway in Richtung Stuart Lenox und hoffte, dass Mary es nicht merkte und keine Schilder las.

Aber sie merkte es natürlich. Sie hatten das Willkommensschild von Stuart Lenox gerade hinter sich gelassen, als sie ihn ansah.

„Wir fahren nicht nach Klamath Falls?“

„Nicht direkt, nein“, behauptete er und räusperte sich. „Ich wohne etwas außerhalb.“

„Okay.“ Es klang verhalten. In ihr arbeitete es, das spürte er.

Rasch setzte er alles daran, Stuart Lenox zu verlassen und wieder nach Süden zu fahren. Er fuhr die ganze Zeit einen Umweg, aber das war ihm erst kurz vor der Abfahrt klar geworden.

Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Jetzt ging es um alles.

Sie hatten die Ortschaft gerade hinter sich gelassen, als er auf eine Nebenstraße abbog und am Straßenrand hielt.

„Was ist los?“, fragte Mary.

Doch Rick antwortete nicht. Er schnallte sich ab, wandte sich ihr zu und legte beide Hände um ihre Kehle. Entsetzt schrie sie auf, bevor ihr die Luft wegblieb, und sie versuchte, nach ihm zu schlagen und ihren Gurt zu lösen, aber Rick gab sich große Mühe, sie so fest zu würgen wie irgend möglich. Mary protestierte erstickt, geriet in Panik und war völlig kopflos, was in dem Moment sein Vorteil war. Sie schaffte es nicht, sich gegen ihn zu wehren und sackte schließlich bewusstlos in sich zusammen.

Das reichte ihm. Er sprang sofort aus dem Wagen, rannte um die Motorhaube herum und riss die Beifahrertür auf. Als sie offen stand, rief er sich zur Ruhe und ging zum Kofferraum, wo er die Handschellen herausholte. Nachdem er Mary abgeschnallt hatte, fesselte er ihr die Hände mit den Handschellen auf dem Rücken und wuchtete sie aus dem Auto. Sie war verdammt schwer, aber das schreckte ihn nicht. Mit zusammengebissenen Zähnen schleifte er sie zum Kofferraum und legte sie hinein, bevor er die Rolle mit Klebeband nahm und ein Stück davon abriss, um es ihr auf den Mund zu kleben. Nur um sicher zu gehen. Er musste schließlich immer noch ein Stück fahren.

Ohnmächtig und reglos lag sie da und merkte nicht, wie er sie anstarrte und zufrieden grinste, bevor er die Kofferraumklappe schloss. Das war der Hammer. So verdammt einfach. Es kam ihm zugute, dass er ganz gut aussah und nicht wie der letzte Hillbilly herumlief. So war sie ihm einfach in die Falle getappt und hatte nicht kommen sehen, was jetzt geschah.

Sie gehörte jetzt ihm. Und er würde es auskosten.

Er stieg wieder ins Auto und fuhr weiter. Das Radio hatte er ausgeschaltet und lauschte immer wieder darauf, ob er Laute aus dem Kofferraum hörte, doch es blieb still. Gut so.

Er versuchte, sich auf die Fahrt durch die schneebedeckten, aber düsteren Hügel zu konzentrieren und nicht schon jetzt am Steuer seinen Fantasien hinzugeben. Das war zu früh. Trotzdem konnte er nichts dagegen tun, dass ihm die Hose etwas eng wurde. Verdammt.

Zehn Meilen musste er noch fahren, bis er am Ziel war. Es war sein Glück, dass der kleine Wirtschaftsweg, den er am Ende befahren musste, von den umgebenden Nadelbäumen so geschützt war, dass dort kaum Schnee lag. Noch ein Grund mehr für einen Pick-Up oder vielleicht für den GMC Jimmy, den er schon seit längerem interessant fand. Wer weiß, vielleicht konnte er Clarice von den Vorzügen eines neuen Autos überzeugen, wenn sie erst mal zwei Kinder hatten.

Er wurde von dumpfen Schlägen aus seinen Gedanken gerissen. Sie war also wieder wach. Vermutlich hatte das Holpern des Autos auf dem Waldweg sie aus ihrer Ohnmacht gerissen.

Rick störte sich nicht weiter daran. Sie waren bereits mitten im Wald, weit und breit war niemand. Er folgte dem Weg bis zu seinem Ende, stellte den Motor ab und stieg aus. Für einen kurzen Moment war es ruhig im Kofferraum. Rick hob die Taschenlampe, die er gerade noch aus dem Handschuhfach geholt hatte, und schaltete sie ein, bevor er den Kofferraum öffnete. Zwar stand gerade ein voller Mond am Himmel, aber hier draußen im Wald war es trotzdem beschissen dunkel.

Er ließ die Kofferraumklappe aufschwingen und leuchtete Mary mitten ins Gesicht. Sie blinzelte geblendet und begann, erstickte Schreie auszustoßen, als sie ihn erkannte.

„Schade, Mary“, sagte er grinsend. Was für ein Anblick, wie sie ihn panisch anstarrte, jeder Möglichkeit beraubt, mit ihm zu sprechen oder zu schreien. Nicht, dass es im Wald jemanden interessiert hätte, wenn sie schrie.

Er beugte sich zu ihr hinab und packte sie, um sie aus dem Kofferraum zu zerren. Mary wimmerte erstickt und versuchte irgendwie, sich von ihm loszureißen, aber er hatte es kommen sehen. Um sie unter Kontrolle zu halten, griff er mit einer Hand in ihr Haar und krallte sich darin fest. Sie stieß einen schrillen Schmerzenslaut aus und jammerte, während Rick alles im Kofferraum zusammensuchte, was er brauchte. Mit der Lampe und allen Utensilien in der Hand marschierte er los, nachdem er alles abgeschlossen hatte, und zerrte Mary entschlossen hinter sich her.

Sie weinte leise. Seine Vorfreude wuchs. So hatte er sich das gar nicht vorgestellt. So intensiv.

An der Hütte angekommen, schloss er die Tür auf und stieß Mary hindurch. Als er sie losließ, wollte sie gleich weglaufen, aber da verriegelte er schon die Tür und blieb unbeeindruckt davor stehen. Ängstlich starrte sie ihn an, bevor sie sich in der Hütte umschaute. Inzwischen war es tatsächlich nicht mehr arschkalt, obwohl die Glut im Kaminofen nur noch zaghaft glomm.

„Ich fürchte, du bist bei der falschen Person eingestiegen“, sagte Rick. „Und mein Name ist auch nicht Paul, aber das hast du dir sicher schon gedacht.“

Erneut begann Mary zu schluchzen. Sie wich zurück, als er auf sie zu kam, aber sie konnte nirgends hin. Rick packte sie wieder an den Haaren, schleifte sie zum Bett und warf sie rücklings darauf nieder.

Mary kreischte erstickt, sie zappelte und wehrte sich nach Kräften, als Rick versuchte, sie mit den Stricken ans Bett zu fesseln, die er vorab schon daran befestigt hatte. Als sie ihm ins Gesicht trat, brüllte er vor Wut, beugte sich über sie und legte erneut die Hände um ihre Kehle, um sie zu würgen, bis sie bewusstlos war.  

Das klappte gut. Zufrieden betrachtete er sein Werk und schloss die Handschellen auf, dann fesselte er ihre Hände an die Bettpfosten und machte danach mit ihren Füßen weiter. Die Kleidung interessierte ihn nicht, dafür hatte er ja ein Messer. Aber er wollte noch nicht loslegen. Sie sollte wach sein, wenn er das tat.

Er zog seine Schuhe aus, entledigte sich seines Hemdes und seiner Hose, so dass er bloß noch in Unterwäsche dastand. Dann legte er ein paar Holzscheite im Kaminofen nach. Die Fensterläden waren verriegelt, er war mit Mary allein im Wald. Fantastisch.

Es dauerte nicht lang, bis sie wieder zu sich kam. Erneut begann sie, heftig zu zappeln, als sie Rick sah. Sie protestierte erstickt, wimmerte und zerrte wie verrückt an ihren Fesseln, doch sie war hilflos. Grinsend beobachtete er sie dabei.

„Nicht doch“, sagte er spöttisch. „Wir haben doch noch gar nicht angefangen.“

Flehend starrte sie ihn an, dann schloss sie die Augen und weinte einfach nur. Für Rick war es der Startschuss. Er setzte sein Messer an ihrer Kleidung an und schnitt ihr ein Kleidungsstück nach dem anderen vom Körper, bis sie bloß noch in Unterwäsche dalag. Die ganze Zeit über weinte sie hemmungslos und wimmerte leise.

„Du weißt, worauf das hinausläuft, oder?“, fragte er. Als sie nicht antwortete, schlug er sie und brüllte sie an.

„Ich rede mit dir, du kleines Miststück!“ Als er seine Frage jetzt wiederholte, nickte sie. Mit dem Messer zerschnitt er ihren BH und betrachtete sie eingehend, bevor er auch ihren Slip zerschnitt und seine Shorts auszog. Zu sehen, wie Mary sich verzweifelt und ängstlich wand, machte ihn verdammt heiß. Er kletterte aufs Bett zwischen ihre Beine, beugte sich über sie und grinste.

„Ein bisschen Spaß gefällig?“

Schluchzend schloss Mary die Augen und ballte die Hände zu Fäusten, als er sie anfasste. Dann tat er es. Er entlockte ihr einen Schrei, hielt für einen Moment inne und kostete es einfach nur aus. Rick schloss die Augen und genoss es, sie zu spüren, sie weinen zu hören, ihren stoßweisen Atem.

Jetzt war es echt. Verdammt echt. Er zwang sie – und zwar genau so, wie er sich das vorgestellt hatte. Nur, dass es viel besser war als in seiner Vorstellung.

Mary ließ es über sich ergehen. Sie sah ihn die ganze Zeit über nicht an, bis er sie anbrüllte, schlug und dazu zwang. Er wollte, dass sie ihm in die Augen sah, während er sich seinen Spaß gönnte. Immer wieder musste er innehalten, damit es nicht viel zu schnell vorbei war, aber irgendwann hatte er sich nicht mehr unter Kontrolle und sank stöhnend auf sie nieder. Mary erstarrte und gab keinen Laut mehr von sich.

Er hätte gar nicht beschreiben können, wie sich das anfühlte. Fantastisch. Jede Faser seines Körpers war von Befriedigung erfüllt. Es war wie eine Erlösung. Er konnte sich gar nicht erinnern, wann er sich zuletzt so zufrieden, regelrecht glücklich gefühlt hatte. Es war ein absolutes Hochgefühl.

Langsam stand er auf und zog seine Shorts und das T-Shirt wieder über. So warm war es in der Hütte dann doch nicht. Mary starrte an die Decke und ignorierte ihn.

Rick streckte sich zufrieden und atmete tief durch. Er nahm den Stuhl, der vor dem Kamin stand, und schob ihn neben das Bett. Dann beugte er sich über Mary.

„Wenn ich das Klebeband entferne, wirst du dann brav sein? Nicht, dass dich hier irgendjemand hören würde. Wir sind meilenweit von der nächsten Siedlung entfernt.“

Flehend sah Mary ihn an und nickte, deshalb entfernte Rick das Klebeband von ihrem Mund und sah sie zufrieden an. Sie schrie nicht, aber sie sprach ihn an.

„Bring mich bitte nicht um“, bat sie leise.

„Denkst du, das werde ich?“

„Ich weiß es nicht. Tu es bitte nicht. Wenn du mich einfach nur laufen lässt, sage ich niemandem etwas. Versprochen!“

„Wer sagt denn überhaupt, dass ich dich laufen lasse?“ Rick grinste breit.

„Bitte lass mich gehen …“

Belustigt musterte er sie. „Es hat doch gerade erst angefangen, Spaß zu machen.“

Wieder schluchzte sie. „Meine Schwester wartet in Sacramento auf mich. Bitte, ich … ich muss da hin. Bitte bring mich nicht um …“

„Was interessiert mich deine Schwester?“, fragte Rick.

Unter Tränen starrte Mary an die Decke. „Warum tust du das?“

Das war eine gute Frage. Weil es ihm Macht gab. Weil es ihn befriedigte. So konnte er die Welt vergessen und alles darin, was ihn frustrierte. Seinen verfluchten Chef, seine schwangere Frau, seine gottverfluchte Heimatstadt, einfach alles. Hier ging es nur um ihn und darum, was er wollte.

Und er tat es, weil er es konnte. So einfach war das.

„Weil es Spaß macht“, sagte er.

„Das macht dir Spaß?“

„Findest du das krank?“

Mary erwiderte nichts. „Bitte lass mich gehen. Bitte …“

Für einen langen Augenblick sah Rick sie nur an, dann schüttelte er den Kopf.

„Nein. Dafür macht es wirklich zu viel Spaß.“

Mit diesen Worten holte er sein Messer und berührte mit der Spitze der Klinge Marys Haut am Halsansatz. Sie wagte kaum zu atmen. Er ließ die Messerklinge langsam zwischen ihren Brüsten hindurch bis zu ihrem Bauchnabel und noch tiefer wandern. Als sie jetzt ängstlich zu wimmern begann, schloss er kurz die Augen und genoss diese Laute. Er löste das aus. Er sorgte dafür, dass sie panische Angst hatte. Ach, am liebsten hätte er ja schon wieder …

Aber weil er noch nicht wieder konnte, konzentrierte er sich darauf, sich anders mit ihr zu beschäftigen. Er machte ihr mit dem Messer Angst, damit sie weinte und ihn anbettelte, er möge sie doch in Ruhe lassen. Es war fast, als könne er ihre Angst riechen.

Als sie irgendwann doch zu schreien begann, schlug er sie. Ihre Brust hob und senkte sich unter hektischen Atemzügen, deshalb beugte er sich irgendwann über sie und gab dem Bedürfnis nach, ihr weitere Schmerzen zuzufügen, um zu beobachten, wie sie sich wand und um Gnade bettelte. Er war noch immer nicht bereit, wieder Sex mit ihr zu haben, aber er wollte sie spüren. Ganz instinktiv berührte er ihre Haut mit den Lippen und entlockte ihr einen Schrei, als er sie biss.

Er konnte nicht mehr aufhören. Sie gehörte jetzt ihm. Als ihm ihr Jammern zu viel wurde, holte er das Klebeband und brachte sie wieder zum Schweigen. Ja, so war es besser. Das gefiel ihm gut. Dann machte er sich daran, ihr Schnittwunden beizubringen.

Irgendwie musste er sich die Zeit ja vertreiben, bis er wieder konnte, und absolut alles, was er tat, war unglaublich aufregend und intensiv. Er musste es ausprobieren. Er hatte da einen Menschen in seiner Gewalt, mit dem er wirklich alles anstellen konnte. Alles, was er wollte. Das musste er auskosten.

Er vergaß die Zeit. Er verlor sich völlig in seiner Folter und beobachtete jede von Marys Reaktionen. Das alles saugte er in sich auf wie ein Schwamm und wusste, davon würde er nun niemals wieder genug kriegen. Ausgeschlossen.

Während er sie quälte, überlegte er in aller Ruhe, wie er sie umbringen sollte. Er beschloss, es zu tun, wenn er wieder Sex mit ihr hatte. Und er würde sie erwürgen. Instinktiv wusste er, dass das richtig war.

Irgendwann spürte er, dass der Moment gekommen war. Mary wand sich wimmernd unter ihm, als er sie wieder vergewaltigte. Auch das saugte er in sich auf. Er inhalierte es, er kostete es aus. Jede Sekunde lang. Sie konnte nichts dagegen tun.

Dann beschloss er, es zu einem Ende zu bringen, und legte seine Hände um ihren Hals. Er beugte sich vor und sah ihr in die Augen, während er entschlossen zudrückte. Fester als zuvor. Mary geriet in Panik. Er konnte die Todesangst in ihren Augen sehen, als er ihr die Luft abdrückte. Ihr Wimmern klang schrill. Sie zappelte heftig unter ihm und kämpfte um ihr Leben. Im Dämmerlicht des Kaminfeuers sah er, dass ihre Augen sich langsam rot färbten. Das hatte er sich nie bewusst gemacht, aber die kleinen Äderchen platzten. Inzwischen gab sie keine Laute mehr von sich. Sie zappelte noch, aber es wurde schwächer. Ihre Blicke trafen sich und ihre weit aufgerissenen Augen ließen ihn tief in ihre Seele schauen, zumindest fühlte es sich für ihn so an. Dann wurde ihr Blick glasig und Rick wusste sofort, dass er diesen Anblick nie vergessen würde. Das war in diesem Moment der Gipfel der Lust für ihn, er erstarrte keuchend und spürte Erleichterung. Doch er drückte weiterhin zu, denn er wusste, beim Erwürgen trat der Tod erst nach Minuten ein. Er wollte es jetzt nicht versauen. Er war immer noch bei der Sache.

Irgendwann ließ er los. Mary rührte sich nicht. Sie atmete nicht mehr und als er nach ihrem Puls tastete, fand er nichts. Allmählich kam die Erkenntnis, dass er sie tatsächlich umgebracht hatte. Ihm war nach Lachen zumute.

Mit wackligen Knien stieg er vom Bett, zog sich wieder an und starrte dabei die ganze Zeit auf Marys Leichnam. Seine erste.

Und garantiert nicht seine letzte.

Er musterte sie beinahe sentimental. Selbst jetzt im Tod war sie noch wunderschön. Vielleicht schöner als vorher. Ihre toten Augen starrten ins Nichts, was ihm nicht gefiel. Er schloss sie vorsichtig und nickte zufrieden. So war es besser.

Sie hatte reine, ebene, makellose Haut. Ihr langes blondes Haar wallte über die Matratze. Eigentlich war das ja ein Verlust.

Ihm wurde kalt. Als er seinen Pullover überstreifte, fiel sein Blick auf seine Uhr. Vier Uhr nachts. Wenn er klug war, versuchte er gleich, ihre Leiche verschwinden zu lassen. Um diese Zeit merkte es garantiert niemand. Und für Clarice würde ihm schon eine Erklärung einfallen.

Er zerschnitt die Stricke, mit denen er Mary ans Bett gefesselt hatte, aber das Klebeband ließ er auf ihren Lippen. Sollte doch alle Welt wissen, dass sie kein schönes Ende gefunden hatte. An ihrem Hals bildeten sich Blutergüsse, die er durch das Würgen verursacht hatte.

Absolute Macht. Das war es. Er hatte es so unaussprechlich genossen und während er Mary mühsam auf seine Schulter wuchtete, um sie aus der Hütte zu tragen, wurde ihm klar, dass er das wieder tun würde. Tun musste. Er hatte gar keine Wahl.

Im Schein des Mondlichts trug er Marys Leichnam durch den Wald und legte sie in den Kofferraum seines Wagens, bevor er noch einmal zur Hütte zurückkehrte, um notdürftig Ordnung zu schaffen und sie abzuschließen. Als er damit fertig war, stieg er in den Wagen und stellte dann fest, dass Marys Rucksack noch im Fußraum auf der Beifahrerseite stand.

So viel Zeit musste sein.

Er griff danach und begann, darin herumzustöbern. Kleidung, ein Kulturbeutel, ein Buch. Nichts Spannendes. Dann fand er ihr Portemonnaie und betrachtete interessiert ihren Führerschein. Mary McPhee, zwanzig, aus Bend, Oregon. Kurzerhand zog er den Führerschein heraus und steckte ihn in seine Hosentasche.

Den würde er behalten. Ein Andenken an Mary. Das musste einfach sein.

Er stieg noch einmal aus, warf den Rucksack zu Marys Leiche in den Kofferraum und fuhr schließlich los. Nach kurzem Überlegen beschloss er, Mary in der Einöde zwischen Mount McLoughlin und Pelican Butte loszuwerden. Das war nicht so weit weg, wie er es gern gehabt hätte, aber immerhin weit genug, um jeden Verdacht abzulenken – und schön einsam, so dass man sie im Idealfall gar nicht fand.

Er war eine gute Stunde dorthin unterwegs und schlug sich irgendwo kurz vor dem Four Mile Lake in die Wildnis. Vergraben konnte er sie nicht, weil der Boden gefroren war, doch nach einem kurzen Stück kreuzte der Lost Creek seinen Weg. Das war doch gar nicht schlecht.

Kurzerhand ließ Rick die Leiche ins Wasser gleiten und beschloss, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Die Natur hatte sie wieder.

In diesem Moment funktionierte er einfach. Dass er jemanden getötet hatte, erfüllte ihn mit keiner Regung und nun musste er sehen, dass er die Leiche los wurde.

Ohne den Mond wäre er verloren gewesen, was ihm verriet, dass er in Zukunft mehr auf solche Details achten musste. Er wollte ja nicht, dass es an so etwas scheiterte.

Er beobachtete, wie die Leiche langsam in dem kleinen Bach davon trieb. Ein Problem weniger.

Inzwischen war es kurz nach fünf. Rick war furchtbar müde, aber er beschloss, nach Klamath Falls zu fahren und zu Hause so zu tun, als sei er irgendwann nach Hause gekommen und hätte dort geschlafen. Dann würde er so tun, als würde er zur Arbeit fahren und unterwegs seinen Chef anrufen, um ihm zu sagen, dass er krank war.

Und dann fuhr er am besten einfach in die Hütte zurück und schlief sich dort aus. So konnte er sich erholen und in Ruhe darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte … Perfekt.

Sterbensmüde folgte er der Straße durch den Wald und am Upper Klamath Lake vorbei bis nach Hause. Es war immer noch dunkel, als er zu Hause eintraf und mucksmäuschenstill ins Schlafzimmer schlich. Dort lag Clarice und schlief. Glücklicherweise hatte sie einen festen Schlaf, deshalb merkte sie nicht gleich, wie Rick sich ins Bett legte, nachdem er sich im Bad ausgezogen hatte, und erst mal das Bett zerwühlte, als hätte er die ganze Nacht darin geschlafen. Davon erwachte Clarice schließlich doch und blinzelte müde.

„Wie spät ist es?“, wisperte sie.

„Zwanzig vor sieben. Ich muss zur Arbeit. Bleib ruhig liegen.“

Sie machte nur ein zustimmendes Geräusch und schloss die Augen wieder. In dem Moment kam es ihm gar nicht irre vor, dass er neben seiner Ehefrau im Bett lag, nachdem er eine Anhalterin vergewaltigt und ermordet hatte. Grinsend ging er ins Bad und zog sich wieder an.

 

 

 

 

 

 

Klamath Falls, Oregon, 15. April 1989

 

In diesem Moment waren Rick eindeutig zu viele Kinder im Haus. Natürlich hatten Paul und Michelle ihre Kinder nicht in Portland gelassen. Rick versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sein Neffe Tom war nur wenig älter als Kristy, deshalb verstanden die beiden sich gut. Eine Sorge weniger. Die beiden waren endlich zum Spielen im Garten verschwunden. Aber die kleine Angela brüllte zum Herzerweichen und Michelle war gerade damit beschäftigt, ihr die Windel zu wechseln. Noch mehr Windeln. Windeln überall.

Rick war ohnehin gereizt, weil Schlaf gerade Mangelware war. Genau eine Woche zuvor hatten bei Clarice endlich Wehen eingesetzt, weshalb er sie nachts um halb drei ins Sky Lakes Medical Center gefahren hatte. In den Kreißsaal begleitet hatte er sie nicht, das hatte er schon bei Kristys Geburt nicht getan. Wegen Kristy war er aber wieder nach Hause gefahren, schließlich konnte sie nicht einfach allein bleiben. Prompt war er zu Hause wieder eingeschlafen und erst morgens wieder mit Kristy ins Krankenhaus gefahren, um dort seine neugeborene Tochter in Augenschein zu nehmen.

Man hatte Clarice bereits auf ein Zimmer gebracht, wo sie ihn und Kristy abgekämpft, aber glücklich mit einem winzigen Menschen im Arm erwartet hatte. Kristy war maßlos entzückt gewesen und hatte ihre kleine Schwester mit großen Augen bestaunt, doch auch Rick musste der Krankenschwester Recht geben: Er war Vater einer ziemlich niedlichen kleinen Tochter geworden. Die zweite.

Dann hatte Clarice ihm die dreieinhalb Kilo Mensch in den Arm gedrückt und er hatte begutachtet, was er denn da in die Welt gesetzt hatte.

Die winzige Kim hatte eine hübsche kleine Stupsnase, einen winzigen Schmollmund und schon beeindruckend viele Haare auf dem Kopf. Das allein wäre gar nicht so interessant gewesen, aber ihre Haare waren feuerrot. Musste ein Erbe seiner irischen Wurzeln sein, dachte Rick. Sie war ziemlich gut geraten und wohl problemlos und schnell geboren. Das beruhigte ihn, denn Kristys Geburt war etwas schwieriger gewesen und Clarice hatte ihn lang auf Distanz gehalten. Hoffentlich war das jetzt anders.

Michelle kehrte mit Angela auf dem Arm ins Wohnzimmer zurück. Rick saß mit einer Flasche Budweiser in seinem Sessel und starrte müde aus dem Fenster, während Paul sich neben seine Schwester gesetzt hatte und die kleine Kim im Arm wiegte.

„Wunderschön“, sagte er gerührt. Michelle kam mit Angela näher und setzte sich neben Paul, damit Angela das Baby ansehen konnte. Dann schaute sie zu Rick.

„Die Haarfarbe stammt dann aus deiner Familie, oder?“

„Vermutlich“, erwiderte er und nahm noch einen Schluck Bier. „Sowohl mein Großvater als auch mein Onkel Davie hatten rote Haare.“

„Sie ist wirklich entzückend“, fand Michelle. „Und Kim ist auch ein schöner Name.“

„Freut mich, dass er dir gefällt“, sagte Clarice. Angela unternahm erste tapsige Schritte am Sofa vorbei. Wenig später erwachte Kim und begann nach wenigen Augenblicken zu weinen.

„Hast du etwa auch die Windel voll?“, überlegte Clarice und quälte sich vom Sofa hoch, um ihre Tochter nach oben zu bringen und nachzusehen. Rick rührte sich nicht, sondern nahm nur noch einen Schluck Bier, während Clarice Schritt für Schritt die Treppe erklomm. Missbilligend blickte Paul zu seinem Schwager, sagte aber nichts.

Wenig später verstummte das Weinen erst einmal. Einige Minuten später kehrte Clarice mit einem wachen und fröhlichen Baby zurück, doch diese Stimmung hielt nicht lang. Augenblicke später begann Kim hungrig zu weinen.

„Ja, mein Schatz“, sagte Clarice und machte sich daran, sie zu stillen.

„Ich gehe mir noch was zu trinken holen“, sagte Paul, um seiner Schwester ein wenig Privatsphäre zu lassen, und Rick leerte mit einem Nicken sein Budweiser.

„Ich komme mit“, sagte er. Irgendwas fand er immer noch verstörend an dem Anblick seiner stillenden Frau. Gerade so, als sei er eifersüchtig auf den kleinen Wurm. Seine Tochter machte nichts falsch, aber eigentlich wollte er Clarice nicht teilen …

Gemeinsam mit Paul ging er in die Küche. Rick öffnete den Kühlschrank, warf einen Blick hinein und schaute kurz zu Paul. „Auch ein Bier?“

„Nein, danke“, erwiderte Paul. „Wasser reicht.“

„Hm“, machte Rick und holte eine Wasserflasche heraus. Während er Paul nachschenkte, musterte dieser ihn nur schweigend. Als Rick sein Bier öffnete, hob Paul unwirsch die Augenbraue.

„Es ist noch nicht mal richtig Nachmittag und du trinkst schon Bier?“

Rick setzte die Flasche an und nahm einen tiefen Schluck. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“

„Du bist mein Schwager, Rick. Meine Schwester hat gerade deine zweite Tochter zur Welt gebracht. Vorhin fand ich es schon nicht gut, dass du sie nach oben gehen lässt, damit sie der Kleinen die Windel wechselt. Deine Frau ist bleich wie die Wand. Weißt du, was sie hinter sich gebracht hat?“

„Weißt du es?“, schnappte Rick.

„Ich bin auch zweifacher Vater, wie du weißt. Ich würde es einfach sehr begrüßen, wenn du Clarice unter die Arme greifen würdest. Die Geburt ist eine Woche her, sie braucht deine Unterstützung.“

„Aber die hat sie doch. Sie kann sich den ganzen Tag um das Baby kümmern. Gestern habe ich für uns gekocht.“

Paul seufzte. „Du hast dir nicht einen Tag Urlaub genommen. Sie ist hier mit zwei kleinen Kindern allein!“

Rick kniff die Augen zusammen. „Auch hier wüsste ich nicht, was dich das angeht – Paul. Hat Clarice sich bei dir beklagt?“

„Nein, und du weißt auch, dass sie das nie tun würde.“

„Vielleicht hat sie ja auch gar keinen Grund.“

Paul machte zwei Schritte auf Rick zu. „Wir beide wissen doch genau, wie das hier läuft. Clarice hat dir aus der Hand gefressen, weil so ein gut aussehender Kerl wie du sich für sie interessiert hat. Du hast sie mit Blumen und Versprechungen geködert und weil meine Schwester nun mal ein gutgläubiger und geduldiger Mensch ist, sieht sie dir eine Menge nach. Oder denkst du, ich wüsste nicht, wie oft du sie hier allein lässt?“

„Du vergisst dich, Paul. Du bist hier zu Gast und ich frage mich wirklich, wie du darauf kommst, mir jetzt irgendwelche Vorträge zu halten! Falls es dir entgangen sein sollte: Ich habe mir bereits einen neuen Job gesucht, in dem ich mehr verdienen werde. Irgendwie will der neue Wagen draußen ja auch bezahlt sein, oder? Clarice möchte gern bei den Kindern zu Hause bleiben, das ist okay für mich. Ich zwinge sie nicht, arbeiten zu gehen. Sie kümmert sich um Kinder und Haus und ich mich um den Rest. Natürlich muss ich sie auch mal allein lassen, schließlich gehören Monteurseinsätze zu meinem neuen Job. Ich würde wirklich vorschlagen, dass du dich aus meinem Eheleben raushältst, klar?“

Unnachgiebig starrten sie einander an. Paul würde nicht nachgeben, das spürte Rick genau.

„Wäre Clarice damals doch bloß nicht schwanger geworden“, murmelte Paul.

„Wie war das?“, schnappte Rick gereizt.

„Du verstehst mich schon. Ich traue dir nicht über den Weg, Rick Foster. Das habe ich noch nie und das werde ich auch nicht mehr. Meine Schwester schwebt auf Wolke sieben, sie ist naiv, sie sieht nicht, dass du eigentlich ein herzloser Scheißkerl bist, der es sich hier auf ihre Kosten gut gehen lässt. Was trägst du denn zum Familienalltag bei? Deine Kinder sind dir doch scheißegal.“

„Du bist wirklich die dreihundert Meilen aus Portland gekommen, um mir das zu sagen? Du bist ja nicht mehr ganz dicht, hier solche Sprüche unter meinem Dach zu klopfen, nachdem meine Frau vor einer Woche unser Kind geboren hat! Wie wäre es, wenn du dich zum Teufel scherst?“

Paul wich ihm nicht aus. „Ich habe dich im Auge, Rick. Wenn ich rauskriege, dass du dich nicht exakt so verhältst, wie sich ein liebender Ehemann und Vater verhalten sollte, dann ist hier was los.“

„Raus!“, brüllte Rick gereizt. „Mach, dass du nach Portland zurückkommst, und nimm deine schreienden Kinder mit!“

„Fein.“ Paul verließ die Küche und ging ins Wohnzimmer. Rick hörte nur, wie er Michelle zum Gehen aufforderte und Tom aus dem Garten herbeizitierte. Clarice war vollkommen überrascht und aufgelöst und bestürmte ihren Bruder mit Fragen.

„Dein Mann hat mich gerade rausgeworfen, weil ich ihm ein paar Takte dazu gesagt habe, dass er dich dauernd die Treppe hochlaufen lässt und sich nicht mal Urlaub zur Geburt seiner zweiten Tochter nehmen konnte. Wahrheiten erträgt der feine Herr ja nicht sonderlich gut“, schnaubte Paul.

„Warum könnt ihr es denn nie gut sein lassen?”, fragte Clarice unter Tränen. „Jetzt lass Rick doch mal in Ruhe! Ich habe mich so auf euren Besuch gefreut, weil hier gerade deine neue Nichte geboren wurde und du hast nichts Besseres zu tun, als dich mit ihrem Vater anzukeifen!“

„Clarice, ich … ach, vergiss es. Du liebst ihn vermutlich noch, wenn er hier alles in die Luft jagt.“

Rick beobachtete, wie Paul mitsamt seiner ganzen Familie das Haus verließ. Die Tür fiel scheppernd hinter ihnen ins Schloss. Aus dem Wohnzimmer drang heftiges Schluchzen an seine Ohren.

Gut gemacht, Paul, dachte er wütend, während er ins Wohnzimmer ging. Dort saß Clarice weinend mit dem Baby im Arm, war regelrecht über der Kleinen zusammengesunken. Kristy stand staunend in der Terrassentür und traute sich nicht hinein.

„Es tut mir so leid“, sagte Rick sanft, während er sich neben sie setzte und einen Arm um sie legte. „Ich wünschte, er hätte heute mal nicht davon angefangen.“

„Ich weiß nicht, warum er immer so gegen dich stänkert“, stieß sie traurig hervor. „Er hat dir einfach nie eine Chance gegeben, aber er kennt dich auch nicht, wie ich dich kenne. Ja, manchmal gibt es Schwierigkeiten, aber wo gibt es die nicht? Manchmal kannst du nicht zeigen, was du für mich und die Kinder empfindest, aber ich weiß, dass du es tust …“

„Selbstverständlich“, sagte Rick, drückte seine Frau an sich und küsste sie auf die Schläfe. „Du bist doch alles für mich. Du und unsere beiden wunderbaren Töchter.“

Allmählich beruhigte Clarice sich wieder. Rick sah dem kleinen rothaarigen Mädchen in die Augen und ließ den Stolz zu, den er für seine Tochter empfand. Niemals würde er zulassen, dass Paul einen Keil zwischen ihn und seine Frau trieb.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wolf Creek, Oregon, 25. August 1989

 

Sie hatten immer noch keine Ahnung, was er mit Mary gemacht hatte. Dass sie tot war. Rick hatte die Nachrichten aufmerksam verfolgt und auch immer die Zeitung studiert, aber es war nie die Rede von einer Frauenleiche am Four Mile Lake.

Das war noch das Allerbeste an der Sache. Er hatte sie vergewaltigt, ermordet – und niemand hatte es auch nur gemerkt. Das schrie ja geradezu nach einer Wiederholung.

Während seiner letzten Arbeitseinsätze hatte er immer Ausschau nach jungen Frauen gehalten, die in sein Beuteschema passten. Manche hatte er auch angesprochen, aber keine war mit ihm gekommen.

Bis jetzt. Auf dem Heimweg hatte er tatsächlich Glück gehabt und am Straßenrand unweit der Auffahrt zur I-5 hatte eine hübsche blonde Tramperin gestanden, die nach Medford wollte. Das lag bei ihm auf dem Weg, deshalb wurde sie ganz lang nicht misstrauisch. Sie wurde auch dann nicht misstrauisch, als er an einem einsamen, abgelegenen Parkplatz rausfuhr und behauptete, er müsse pinkeln. Dann hatte er es gemacht wie bei Mary und sie bewusstlos gewürgt.

Aber er wusste, jetzt musste er schnell sein. Er hatte sich nicht auf dem Parkplatz getraut, sie in den Kofferraum zu legen, deshalb war er an der nächsten Abfahrt rausgefahren und hatte an einer kaum einsehbaren Stelle am Waldrand gehalten. Jetzt stieg er aus, holte die Handschellen und das Klebeband aus dem Kofferraum und machte sich ans Werk. Als er ihren Gurt löste, sackte sie ihm schwer in die Arme. Flink ließ er die Handschellen zuschnappen, lehnte sie noch einmal gegen den Sitz und klebte ihr Mund und Augen zu. Seit er keinen in sich abgeschlossenen Kofferraum mehr hatte, war das besser. Schon wuchs seine Vorfreude. Jetzt wurde es ernst.

Er packte sie und schleifte sie zum Heck des Wagens. Mit zusammengebissenen Zähnen wuchtete er sie in den Kofferraum, deckte sie zu und kehrte zurück zur Interstate. Am nächsten Truck Stop parkte er den Wagen möglichst weit weg von allem und ging kurz ins Gebäude, um zu telefonieren. Hoffentlich wurde die Kleine im Kofferraum nicht genau jetzt wach.

Er warf ein paar Quarters in den Münzschlitz des Fernsprechers und wählte seine eigene Nummer. Als Clarice dran ging, hörte er im Hintergrund eins der Kinder schreien, vermutlich Kim.

„Ich bin es“, sagte er. „Schlechte Nachrichten.“

„Was ist los?“

„Wir sind noch nicht fertig mit dem Auftrag. Ich komme vermutlich erst am Sonntag nach Hause.“

„Oh, das ist schade. Wir hatten uns schon so auf dich gefreut.“

„Ich weiß, ich mich auch. Tut mir leid. Das bringt der Job leider mit sich …“

„Na ja, wenn du es entsprechend bezahlt bekommst. Die Mädchen und ich kommen schon zurecht.“

„Ich weiß. Vielleicht schaffe ich es ja noch mal, anzurufen.“

„Das wäre schön. Dann bis Sonntag. Ich liebe dich.“

Rick erwiderte die Worte und legte auf, dann ging er kurz in den kleinen Shop und kaufte sich Sandwiches, Bananen und etwas zu trinken. Wenn er genug zu essen hatte, musste er die Hütte nicht mal verlassen …

Für sie brauchte er ja nichts.

Er kehrte mit seinen Einkäufen zum Auto zurück und legte alles auf die Rückbank. Der GMC Jimmy war wirklich eine feine Sache. Er hatte Clarice relativ problemlos vom Kauf überzeugen können, zumal sie nun sein Auto übernommen hatte, weil er mit dem Jimmy unter der Woche unterwegs war. Sie hatten also ohnehin ein zweites Auto gebraucht, seit er den neuen Job angetreten hatte. Vielleicht konnte er den Kofferraum noch so modifizieren, dass er auch einen in sich abgeschlossenen Raum bildete.

Er war gerade erst eingestiegen und losgefahren, als sich im Heck des Wagens etwas regte. Rick hörte erstickte Schreie, drehte das Radio leiser und rief nach hinten: „Wenn du schön brav bist, passiert dir nichts. Oder willst du, dass ich dir weh tun muss, damit du still bist?“

Das wirkte. Sie war auf der Stelle ruhig und Rick konnte sich wieder auf die Autofahrt konzentrieren. Gerade wollte er nicht darüber nachdenken, dass er sich für sie noch viel mehr Zeit nehmen würde – all die Möglichkeiten, die sich da auftaten …

Nach einer weiteren Stunde Fahrt verließ er den Freeway hinter Ashland und folgte dem Green Springs Highway in Richtung Klamath Falls. Die Hütte lag auf dem Weg, inzwischen dämmerte es. Das kam ihm alles sehr gelegen. Im Kofferraum war es ruhig, was ihn nicht wunderte. Bestimmt hatte sie Angst, weil sie nichts sehen konnte. Aber das war wichtig, sonst wäre sie nur übermütig geworden und hätte versucht zu fliehen.

Völlig ungehindert fand er den Weg zur Hütte, parkte den Jimmy am Ende des Weges und stieg aus. Zuerst nahm er seine Vorräte und alles, was er sonst noch brauchte, schloss den Wagen ab und ging zur Hütte. Ein fantastisches Wochenende lag vor ihm.

Nachdem er alles vorbereitet hatte, kehrte er zum Wagen zurück. Beim Näherkommen hörte er ein ersticktes Wimmern und grinste. Das Blut schoss ihm in die Lendengegend. Dann entriegelte er den Kofferraum und öffnete die Tür.

Die Kleine zuckte zusammen und schluchzte erstickt. Rick wuchtete sie hoch, stellte sie neben dem Auto auf ihre Füße und packte sie an den Haaren. So dirigierte er sie gewaltsam in Richtung seiner Hütte, brachte sie hinein und führte sie zum Bett.

Er machte es genau wie mit Mary, nur musste er dieses Mädchen hier nicht würgen, um sie mit allen Vieren ans Bett zu fesseln. Sie hatte zu viel Angst, um sich zu wehren.

Das war ja grandios. Warum war er bei Mary darauf nicht gekommen? Dieses Mädchen hier hatte Angst, weil sie nichts sehen konnte. Wie praktisch.

Er beschloss, es so zu lassen, während er erst sich auszog und sich dann genüsslich mit seinem Messer an ihrer Kleidung zu schaffen machte. Sie dabei schluchzen und wimmern zu hören, war verdammt lustvoll und steigerte seine Vorfreude enorm. Umso erfüllender war es, als er sein Vorhaben in die Tat umsetzte.

Dieses Mädchen reagierte viel ängstlicher als Mary, was Rick noch mehr anspornte. Trotzdem hatte er jetzt schon Erfahrungen gesammelt und er nahm sich mehr Zeit. Es sollte noch nicht vorbei sein. Dafür genoss er es zu sehr.

In den letzten Monaten hatte er viel darüber nachgedacht, welche Möglichkeiten es noch gab. Er hatte sich vorgenommen: Wenn er wieder ein Mädchen erwischte, dann nahm er sich mehr Zeit. Ein ganzes Wochenende, nicht bloß eine Nacht. Er würde ihr Schmerzen zufügen, ihr Schreie entlocken und sie so oft zum Sex zwingen, wie er wollte. Sie gehörte jetzt ihm.

Beim Gedanken daran, was er alles mit ihr tun würde, überkam es ihn. Er konnte sich nicht länger bremsen, sank keuchend auf sie nieder und schloss für einen Moment zufrieden die Augen, während er sie immer noch schluchzen hörte.

Warum tat er das alles erst jetzt? Diese Befriedigung konnte Clarice ihm nicht geben. Unmöglich. Mit ihr konnte er das nicht tun, er wollte es gar nicht. Sie war die Mutter seiner Töchter und das war gut so. Seinen beißenden Hunger stillte er anderweitig …

Er kletterte vom Bett, zog seine Shorts wieder an und beschloss, ein wenig mit ihr zu reden. Er wusste ja nicht mal, wie sie hieß. Das interessierte ihn nun doch. Kurzerhand entfernte er das Klebeband von ihrem Gesicht, so dass sie trotz des dämmrigen Lichts geblendet blinzelte und befreit nach Luft schnappte. Mit kurzen, panischen Blicken schaute sie sich um und begann erneut, zu schluchzen, als sie ihn sah.

„Bittest du mich jetzt auch, dich wieder laufen zu lassen?“, fragte Rick mit abfälliger Miene.

Sie schluckte. „Wie … auch?“

Rick verstand die Frage erst gar nicht, aber dann begriff er. „Ach so. Nein, du bist nicht die Erste. Wieso?“

Sie schluchzte erneut. „Was hast du jetzt vor?“

„Willst du das wirklich wissen?“, fragte Rick irritiert.

Sie antwortete nicht gleich. „Willst du mich umbringen?“

„Das werde ich schon müssen, oder? Bei dem, was ich hier mit dir mache, gehe ich sonst ewig in den Knast.“

„Nein, bitte nicht … Bitte lass mich einfach laufen …“

Rick verdrehte die Augen. „Herrgott, das hat die Letzte auch gesagt. Habt ihr keinen anderen Text?“

„Bitte …“

„Eigentlich wollte ich mich mit dir unterhalten, aber wenn du mich jetzt vollflennst, überlege ich mir das noch mal.“

„Ich sage auch niemandem etwas!“

„Ich weiß. Schön. Wir wollen mal sehen … wenn du brav bist, überlege ich es mir vielleicht.“

Hoffnung blitzte in ihren Augen auf. „Was heißt brav?“

„Dass du tust, was ich sage. Dass du nicht versuchst, abzuhauen oder irgendwas. Ich habe hier das Sagen, klar?“

Sie nickte verängstigt. „Klar.“

„Wie heißt du überhaupt?“

„Thora.“

„Okay.“ Rick griff wieder zum Klebeband, irgendwie hatte er gerade keine Lust, mit ihr zu diskutieren. Das war so erschreckend sinnlos. Sie würde ja doch nur weiter jammern und betteln und ihm den Appetit verderben. Darauf hatte er keine Lust.

„Wie heißt du?“, fragte sie.

„Warum interessiert dich das?“, wollte er überrascht wissen.

„Ich will verstehen, wer du bist.“

„Du liebe Güte, willst du mich bequatschen?“ Rick schüttelte den Kopf und riss ein Stück Klebeband ab, das er ihr trotz heftiger Gegenwehr auf den Mund klebte. Dann setzte er sich gegenüber an den kleinen Tisch, öffnete eine Packung Sandwiches und begann zu essen, doch die ganze Zeit über ließ er sie nicht aus den Augen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Grampian Hills, Oregon, 27. August 1989

 

Inzwischen war er verdammt müde. Er hatte beschlossen, Thora noch in der Nacht zu töten, dann ein wenig zu schlafen und gegen Mittag nach Hause zurückzukehren. Die Leiche würde er mitnehmen und am nächsten Tag irgendwo in der Gegend um Chiloquin entsorgen, wo sein nächster Einsatz wartete. Wenn er seine Autoschlüssel vor Clarice verbarg, würde sie es nicht merken, aber sie hatte ohnehin keinen Grund, an sein Auto zu gehen.

Thora hing leise schluchzend an den Stricken, mit denen er sie an die Decke gefesselt hatte. Getrocknetes Blut klebte überall an ihrem Körper, er war mit Striemen, Schnitten und Abdrücken seiner Zähne übersät.

Er hatte sie immer wieder schreien lassen. Das gehörte dazu. Wenn sie Schmerzen hatte, war sie auch nicht in der Stimmung, zu reden und ihm auf die Nerven zu gehen. Das Einzige, was er von ihr hören wollte, war ihr Gebettel, dass er aufhören sollte, wenn er ihr weh tat. So ein langgezogenes, wehleidiges Neiiiinnn

Er hatte sich verdammt viel Zeit für sie genommen, sie die halbe Nacht hindurch gefoltert und irgendwann aufgehört, als er zu müde gewesen war. Dann hatte er sie vom Bett losgemacht und an den Stuhl gefesselt, damit er sich ins Bett legen und dort schlafen konnte. Er hatte ihr gedroht, dass er sie sofort umbringen würde, wenn sie ihn beim Schlafen störte. Das hatte Wirkung gezeigt, sie war ruhig gewesen und als er irgendwann wieder aufgewacht war, hatte sie auch geschlafen.

Aber er hatte sie nicht gelassen. Er hatte sie wieder vergewaltigt, dann hatte er sie an die Decke gefesselt, damit er sie von allen Seiten erreichen konnte, und er hatte sie mit einer Art Rohrstock geschlagen. Mit jedem Hieb hatte er ihr einen Schrei entlockt. Das war Musik in seinen Ohren gewesen. Inzwischen hatte er sie wieder geknebelt, was auch seinen Reiz hatte.

Die Hütte war ein sehr gutes Versteck, wenn auch kein perfektes. Während er damit beschäftigt war, Thora zu quälen, war ihm der Gedanke gekommen, dass es vielleicht reizvoll war, sie nicht gleich töten zu müssen. Natürlich musste er jetzt, er konnte sie nicht tagelang in dieser Hütte lassen. Sie lag einsam und abgelegen, aber man konnte nie wissen. Gut wäre gewesen, wenn es einen kleinen Verschlag unter der Hütte gegeben hätte, wo er sie in seiner Abwesenheit hätte einsperren können in der guten Gewissheit, dass niemand sie dort hören oder finden würde. Wenn er so etwas hatte, dann konnte er die Mädchen wochen- oder gar monatelang gefangen halten, denn außer ihm nutzte niemand diese Hütte und er hatte die einzigen Schlüssel. Das war ein Gedanke, den er durchaus reizvoll fand. Seine eigene Sklavin, die er immer dann besuchen konnte, wenn ihm danach war … Und dann musste er auch nicht gleich ein ganzes anstrengendes Wochenende dafür einplanen.

Das war viel besser! Sobald er konnte, würde er unter dem Boden der Hütte ein Loch ausheben und eine solide Falltür installieren. Der kalte Winter stellte ihn noch mal vor ein besonderes Problem, aber das würde sich finden. Vielleicht konnte er das Loch so isolieren, dass sich auch im Winter dort jemand aufhalten konnte, ohne zu erfrieren. Schön warm mussten sie es ja nicht haben.

Seine Gedankenmaschinerie lief, er hatte eine Berufung gefunden. Und da man ja noch nicht mal Mary entdeckt hatte …

Aber zunächst hatte er noch etwas zu tun. Thora hing immer noch leise wimmernd an den Stricken, weshalb Rick aufstand und sie mit seinem Messer von der Decke losschnitt. Inzwischen war sie so entkräftet, dass sie nichts dagegen tun konnte. Rick stieß sie vor dem Bett auf den Boden, band ihre Handfesseln an einem Bettpfosten fest und sorgte dafür, dass sie auf allen Vieren am Boden kniete. So war es immer noch am besten.

Während er sich hinter sie kniete und zufrieden feststellte, dass sie zwar weinte, aber nicht zappelte, fragte er sich kurz, ob sie vielleicht ahnte, dass er sie jetzt töten würde. Nein, vermutlich nicht. Woher hätte sie das wissen sollen?

Aber er wusste es und entsprechend zelebrierte und genoss er diese letzte Vergewaltigung. Thora kniete ganz brav vor ihm – wahrscheinlich hatte sie sich seine Worte zu Herzen genommen. Sie ließ es über sich ergehen, was ihn langweilte. Er bemühte sich darum, sie leiden zu lassen, weil er ihre Qualen hören wollte. Als sie schließlich wieder weinte, war er zufrieden. Um sie nicht auf Ideen zu bringen, verzichtete er darauf, sie jetzt schon zu würgen, aber als er irgendwann spürte, dass er sich nicht mehr lang zurückhalten konnte, beugte er sich vor und schloss seine Hände um ihre Kehle.

Sie bäumte sich auf. Sie begann, heftig und verzweifelt zu zappeln, so dass sie sich sogar kurz losreißen konnte.

„Verdammtes Miststück“, fluchte Rick. Er sprang auf, riss sie an den Haaren hoch und warf sie gewaltsam herum. Mit brutaler Kraft stieß er sie zu Boden, so dass sie mit dem Kopf ungebremst aufschlug und für einen Moment benommen war. Diesen Moment nutzte er, um sich zwischen ihre Beine zu knien und da weiterzumachen, wo er aufgehört hatte – nur, dass er diesmal die Hände um ihre Kehle schloss und sie würgte. Ihr dabei in die Augen zu sehen, machte es eigentlich noch besser. Bei ihr kam der Moment der Erkenntnis schneller als bei Mary. Rick liebte es, in ihren Augen zu sehen, wenn sie begriffen, dass sie jetzt sterben würden.

Und sie konnte nichts tun. Sie war ja gefesselt. Zwar versuchte sie noch, ihn von sich herunterzustoßen, wimmerte und zappelte nach Kräften, aber sie hatte keine Chance. Todesangst trat in ihren Blick, ihre Augen wurden immer größer, die Äderchen platzten. Ihm wurde bewusst, wie intim dieser Moment war – er hatte nicht nur Sex mit ihr, er brachte sie mit bloßen Händen um und sah ihr dabei auch noch in die Augen. Er versuchte, nicht nachzulassen und bemühte sich, weiter Sex mit ihr zu haben, aber der Wechsel hatte ihn irritiert. Thora verlor das Bewusstsein, bevor er damit rechnete, und die Ekstase, die er gerade noch gespürt hatte, verwandelte sich augenblicklich in Frust.

Nein, so sollte das nicht sein. Nicht so … Er spürte ein Knacken und wusste, dass er ihren Kehlkopf eingedrückt hatte. Jetzt war sie tot.

Rick brüllte vor Frust. Sein Stehvermögen ließ ihn vollends im Stich, was ihn noch zusätzlich aufregte. Er stand auf, rannte tobend und brüllend durch die Hütte und brauchte einen Moment, bis er sich wieder abgeregt hatte.

Verdammt. Das konnte doch nicht sein. Das alles hatte so verdammt viel Spaß gemacht und dann ging es auf der Zielgeraden schief? Was war passiert?

Er wusste es nicht und jetzt war es auch egal. Es war zu spät. Sie war tot. Da er plötzlich furchtbar müde war, beschloss er, sie an Ort und Stelle liegen zu lassen und legte sich schlafen. Es dauerte eine Weile, bis seine kreisenden Gedanken Ruhe gaben, aber schließlich fiel er in einen tiefen Schlaf, der irgendwann am Vormittag vom nahen Brunftschrei eines Hirsches unterbrochen wurde.

Der Blick auf die Uhr offenbarte, dass es schon kurz nach zehn war. Das passte ihm gut, er würde seine Ankunft zu Hause so bestens verkaufen können. Einigermaßen erfrischt, wenn auch immer noch frustriert stand er auf und beschloss, Thoras Leiche jetzt in den Wagen zu bringen. Als er sie losgebunden hatte und hochwuchten wollte, stellte er fest, dass sie inzwischen fast am ganzen Körper ziemlich steif war. Verdammt, die Totenstarre. Daran hatte er überhaupt nicht gedacht, bei Mary hatte ihn das ja nicht weiter interessiert. Aber lang ausgestreckt bekam er Thora niemals ins Auto …

Am Kopf und Oberkörper war sie am meisten erstarrt, an den Beinen noch nicht so sehr. Rick versuchte mit aller Kraft, die Starre in ihren Gelenken zu brechen, bevor er die Tür der Hütte öffnete und vorsichtig in den Wald spähte.

Niemand zu sehen, nicht mal der Hirsch, der ihn geweckt hatte. Dennoch hüllte er den Leichnam in eine Decke, bevor er ihn zum Auto brachte und in den Kofferraum hob. Ihm war ja nicht ganz wohl dabei, sie die ganze Zeit durch die Gegend zu fahren, aber er war nicht sicher, ob es so viel besser war, ihre Leiche am nächsten Morgen vor der Arbeit noch zu holen. Nein, es würde schon klappen … Er stellte das Auto zu Hause einfach in die Garage und dann fiel es sicher gar nicht weiter auf. Bislang hatte alles so gut geklappt, warum sollte das jetzt anders werden?

Als er schließlich im Auto saß, durchwühlte er wieder Thoras Tasche. Diesmal behielt er nicht ihren Führerschein, sondern einen Snoopy-Schlüsselanhänger. Der gefiel ihm irgendwie. Dann warf er die Tasche in den Kofferraum, stieg wieder ein und fuhr nach Klamath Falls.

Es war kurz nach elf, als er dort eintraf. Zuallererst setzte er den Jimmy in die Garage, bevor er ins Haus ging. Clarice war in der Küche, wo es bereits köstlich duftete. Spaghetti mit Fleischbällchen – das liebte er.

„Oh mein Gott, wie köstlich“, sagte er beim Betreten der Küche.

„Hey“, begrüßte Clarice ihn und lächelte. Rick ging zu ihr, umarmte und küsste sie.

„Schön, wieder hier zu sein“, sagte er. „Wo sind denn unsere Töchter?“

„Sieh mal im Wohnzimmer nach.“

Auf dem Weg dorthin zog Rick nur seine Schuhe aus, aber den Autoschlüssel behielt er in seiner Tasche. Im Wohnzimmer auf dem Boden vor dem Kamin fand er Kristy und Kim zusammen. Kim lag strampelnd unter einem Spielbogen, von dem kleine Puppen herab baumelten, und Kristy hockte daneben, um immer wieder eine Puppe mit Glöckchen anzustupsen.

„Wen haben wir denn da?“, sagte er.

„Daddy!“ Kristy sprang auf und rannte zu ihm, um ihn zu umarmen. „Du bist wieder da!“

„Ja, ich bin wieder da. Warst du auch schön brav?“

„Klar“, behauptete Kristy.

„Und Kim?“

„Die ist auch brav.“

Gemeinsam mit Kristy ging Rick zu dem fröhlichen kleinen Baby, das fasziniert die Figürchen am Spielbogen fixierte und zu berühren versuchte. Die Kleine hatte immer noch einen feuerroten Flaum auf dem Kopf. Vorsichtig hob Rick sie unter den Armen, stützte ihren Kopf und wiegte sie im Arm. Kim gluckste fröhlich und nahm ihn genau in Augenschein.

„Was haltet ihr davon, wenn wir heute einen Ausflug zum See machen?“, schlug Clarice vor.

Rick schluckte und räusperte sich. „Ach, muss das denn sein? Ich war die ganze Woche unterwegs und würde heute am liebsten nur mit meiner Familie entspannen.“

„Ach so. Das verstehe ich natürlich. Das Essen ist übrigens gleich fertig, du bist im richtigen Moment gekommen.“

„Das war so geplant.“ Rick zwinkerte ihr zu und grinste dann seine kleine Tochter Kim an.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Grampian Hills, 7. Oktober 1989

 

Inzwischen hatte ein Förster die sterblichen Überreste von Mary McPhee in den Wäldern gefunden. Vor ein paar Tagen hatte Rick davon in der Zeitung gelesen, dass sie Anfang September entdeckt worden war und man sie inzwischen anhand ihres Zahnstatus identifiziert hatte. Der Polizei war bekannt, dass sie versucht hatte, als Anhalterin nach Sacramento zu kommen, doch unterwegs verlor sich jede Spur. Der Gerichtsmediziner vermutete, dass sie seit sechs bis zehn Monaten tot war, was Rick auf beachtliche Weise präzise fand. Nun rätselten die Ermittler, ob sie direkt nach ihrem Verschwinden ermordet worden war und sie hatten sogar bekanntgegeben, dass man sie nackt und mit Resten von Fesseln aufgefunden hatte. Man vermutete, dass sie erwürgt worden war und dachte deshalb in Richtung eines Sexualverbrechens, aber Anhaltspunkte fehlten, man bat in der Bevölkerung um Hilfe.

Rick fand es grandios. Im ersten Moment hatte es ihn erschreckt, weil er nicht damit gerechnet hatte, aber als er dann las, dass die Polizei nichts in der Hand hatte, war er beruhigt. Der Trucker, der Mary mitgenommen hatte, erinnerte sich also nicht an sie und scheinbar auch niemand im Truck Stop.

Er hoffte, dass seine amateurhafte Isolierung funktionierte, während er das nächste Brett festhämmerte. Inzwischen war er das sechste Wochenende in Folge damit beschäftigt, seine Hütte zu einer richtigen Folterkammer umzufunktionieren. Auch nach Feierabend war er gelegentlich dort gewesen, wenn er nicht gerade auf Montage war.

Die Tür war verstärkt und mit zusätzlichen Schlössern gesichert, die Fensterläden hatte er vernagelt. Neben der Tür hatte er genügend Brennholz gestapelt, er hatte eine Kochplatte gekauft und hergebracht, draußen stand ein Generator und selbst eine Toilette gab es inzwischen. Rudimentär und nur ein besseres Plumpsklo, aber immerhin.

Dann hatte er gegraben. An einer Stelle hatte er die Bodenbretter entfernt, ausgiebig gegraben und kleidete das Loch nun mit einer doppelten Holzwand aus, die er zu isolieren versuchte. Wenn er damit fertig war, würde er den Boden der Hütte schalldicht erneuern und eine gut gesicherte Falltür einbauen.

Das Loch war nicht tief, man konnte kaum darin stehen, und war vielleicht drei Quadratmeter groß. Ihm war bewusst, dass er auch für eine Belüftung sorgen musste. Es würde noch ein wenig dauern, bis das alles fertig war und er hatte sich gedanklich schon darauf eingerichtet, dass er vermutlich erst im nächsten Frühjahr jemanden dort einziehen lassen würde, aber damit konnte er leben. Er hatte jetzt die Geduld einer Spinne. Alles musste perfekt sein, er durfte jetzt keinen Fehler machen. Sein Plan war, eine Frau dort möglichst lange einzusperren und das stellte ihn natürlich vor einige Herausforderungen. Sie würde etwas für ihre Hygiene brauchen und Nahrungsmittel. Er hatte auch schon überlegt, eine Lampe einzubauen, die er von außen steuern konnte. Einem Elektriker wie ihm fiel das natürlich nicht schwer.

Bei Clarice hatte er behauptet, er würde ins Fitness-Studio gehen und sich mit Kollegen treffen. Noch hatte sie keinen Verdacht geschöpft. Sie war brav zu Hause mit Kristy und der kleinen Kim, die allmählich begann, die Welt unsicher zu machen. Soweit Rick das beurteilen konnte, war sie damit glücklich. Sie liebte es, Mutter zu sein und sie hatte ihm vor kurzem gesagt, wie dankbar sie ihm war, dass sie sich ganz darauf konzentrieren konnte. Am liebsten hätte er gelacht. Wenn sie bloß geahnt hätte, was er in seiner Freizeit so trieb …

Sie hatten ja sogar wieder Sex. Er hatte sich inzwischen schon öfter dabei ertappt, wie er sich beim Sex mit ihr vorstellte, was er mit seinen Opfern alles tun könnte. Für die Baumaßnahmen hatte er sich ein Notizbuch genommen, in dem er alles gesammelt hatte und er hatte dann angefangen, darin weitere Ideen festzuhalten. Einige Ideen betrafen mögliche Entführungsszenarien. Tramperinnen waren ihm hochwillkommen, nur im Notfall würde er auf Prostituierte zurückgreifen. Vielleicht konnte er auch, wenn er auswärts auf einem Einsatz war, junge Frauen in Bars ansprechen. Wichtig war, dass niemand ihn zusammen mit seinen Opfern sah oder zumindest später nicht beschreiben konnte. Er würde immer versuchen, am letzten Tag eines Montage-Einsatzes jemanden zu finden und mit nach Hause zu nehmen. Sie hatten Einsätze über ganz Oregon verteilt und manchmal auch in Kalifornien, aber dort wollte er nach Möglichkeit niemanden entführen. Er wusste, wenn die Polizei irgendwann herausfand, dass er über die Grenze von Bundesstaaten hinweg agierte, musste das FBI eingeschaltet werden und darauf konnte er nun wirklich verzichten.

Er würde sie überall in Oregon kidnappen und auch ihre Leichen überall verteilen, damit die Polizei nicht herausfand, wo er lebte. Das würde funktionieren. Bisher hatte es auch gut geklappt. Vielleicht würde er auch im Sommer den Sunbird und nicht den Jimmy nehmen, weil der abgeschlossene Kofferraum durchaus seine Vorteile hatte.

Und er hatte Ideen dazu gesammelt, was er mit seinen Opfern anstellen konnte. Er hatte schon festgestellt, dass er ihnen in die Augen sehen wollte, wenn sie starben, und er hatte sich auch schon überlegt, mal etwas anderes zu versuchen, als sie zu erwürgen. Erstechen war vielleicht auch was, das musste er probieren. Vielleicht war es reizvoll, sie selbst wählen zu lassen.

Überhaupt war ihm klar, dass er mehr mit ihnen interagieren würde, wenn er sie so lang in seiner Hütte festhielt. Das gefiel ihm. Er würde sie mehr einbinden, sie teilhaben lassen, wollte ihnen sagen, was er mit ihnen plante. Er hatte bei Thora schon festgestellt, wie grandios er es fand, die Angst in ihren Augen zu sehen, als er angekündigt hatte, sie wieder vergewaltigen zu wollen.

Und manchmal wollte er eben auch nicht reden. Ihnen die Stimme zu nehmen war ungemein reizvoll. Er würde sie unter Druck setzen und erpressen: Wenn du brav bist, lasse ich dich vielleicht gehen. Natürlich würde er das nie tun. Das war ja ausgeschlossen. Inzwischen gehörte das Töten dazu – er wollte es wieder so ekstatisch haben wie bei Mary, als er einfach zugedrückt hatte, ganz ohne Planungen und Vorstellungen. Bei Thora war da irgendwas schiefgelaufen. Das sollte nicht wieder passieren.

Er hatte Ideen gesammelt, auf welche Arten und in welchen Positionen er sie vergewaltigen wollte, ob sie schreien durften oder nicht – er war da beängstigend kreativ. Es gab ihm auch etwas, sie zu beißen, sie mit dem Messer zu verletzen, mit dem Rohrstock zu schlagen … im Moment überlegte er, welche Gegenstände er noch benutzen könnte und er plante jetzt schon ein, dass er sie hungern lassen würde. Notgedrungen. Er konnte ja nicht dauernd zur Hütte.

Es würde ein Fest werden. Jetzt musste er nur noch dafür sorgen, dass niemand ihm auf die Schliche kam, schon gar nicht Clarice. Aber bislang hatte sie keinen Verdacht geschöpft und Rick ging auch nicht davon aus, dass sich das bald ändern würde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Klamath Falls, Oregon, 16. März 1990

 

Thora hatte man schneller gefunden als Mary, was Rick nicht weiter beunruhigte. Sein folgender Einsatz hatte ihn nach Springfield geführt und er hatte sie dort zwar in der Einöde der Wälder am Fuße der Berge verscharrt, aber ein Jäger mit Hund hatte sie irgendwann Anfang November entdeckt. Sie war in einem besseren Zustand gewesen als Mary, aber auch diesmal wusste die Polizei in Springfield nicht besonders viel. Rick amüsierte sich prächtig, weil man nicht mal wusste, dass Thora eigentlich nach Süden getrampt war. Man hatte sie nördlich von Roseburg entdeckt und überlegte jetzt in eine völlig falsche Richtung. Es hatte auch noch niemand die Verbindung zu Mary McPhee entdeckt, weil ihre Leiche ja in einem ganz anderen County aufgefunden worden war. Dafür las er diesmal etwas davon, dass man DNA-Spuren des Täters sichergestellt hatte.

Anfänglich hatte er keine Ahnung, was das bedeutete, aber er hatte sich schlau gemacht. Das bedeutete, dass sie noch Spermaspuren sichergestellt und daraus einen so genannten genetischen Fingerabdruck gewonnen hatten. Rick hatte gar nicht gewusst, dass das ging, aber ähnlich wie bei Fingerabdrücken brachte das die Polizei ohne eine Vergleichsprobe auch nicht weiter. Er musste jetzt also nicht dauernd Kondome benutzen, das hätte ihm den letzten Nerv geraubt. Solange man ihn nicht aus irgendwelchen Gründen verdächtigte oder zu einer DNA-Reihenuntersuchung aufrief und fünftausend Männer zum Speicheltest einbestellte wie in England, wo jemand wirklich deshalb überführt und verurteilt worden war, hatte er ja nichts zu befürchten.  

Gerade war er auf dem Rückweg aus Redding, Kalifornien. Die Stadt lag zweieinhalb Stunden von Klamath Falls entfernt, drei Tage war er dort nun im Einsatz auf einer Großbaustelle gewesen. Er freute sich auf das Wochenende und bald hatte er auch Urlaub. Himmlisch. Das war geradezu perfekt …

Er ließ sich mit dem Verkehr auf dem Highway 97 ganz entspannt bis nach Klamath Falls treiben und verließ ihn an der Ausfahrt Oregon Avenue. Fast zu Hause. Es war erst kurz nach fünf, an diesem Tag waren sie überraschend früh fertig gewesen. Das begrüßte er sehr.

Er bog in seine Straße ein, parkte in der Auffahrt und ging ins Haus. Im Wohnzimmer fand er nicht nur Clarice und die Kinder, sondern auch seine Schwiegermutter. Anders als ihr Sohn Paul hatte sie kein Problem mit ihm und begrüßte ihn freundlich. Rick wusste nicht, ob sie ihn mochte, aber sie respektierte ihn zumindest. Sie hieß es gut, dass Rick und Clarice eine klare Rollenteilung hatten und sie sich um die Kinder kümmerte, während er den Familienernährer gab.

„Da bist du ja schon“, sagte Clarice erfreut. Kristy saß neben ihr auf dem Sofa und kämmte einer ihrer Puppen die Haare, während Kim in Windeseile auf ihn zu krabbelte und sich an seinen Beinen hochzog, als sie ihn erreicht hatte. Er beugte sich zu ihr herab und nahm sie auf den Arm. Die Kleine quiekte fröhlich, als er ihre Nase mit seiner anstupste. Clarice hatte ihr die Haare wieder einmal zu zwei winzigen Zöpfchen gebunden, womit sie richtig süß aussah.

„Hast du mich vermisst?“, fragte er. „Ja? Hast du?“

Sie lachte, als er sie durch die Luft wirbelte. Irgendwie war sie niedlicher als Kristy seinerzeit. Fröhlicher. Kristy war immer schon lauter gewesen, eine kleine Draufgängerin, aber Kim war aufmerksam, neugierig und klug. Sie verbrachte aber auch viel Zeit damit, ihrer älteren Schwester zuzusehen. Kristy war immer noch manchmal in Zerstörungslaune, was Kim völlig abging. Vielleicht auch, weil Rick immer fuchsteufelswild wurde, wenn Kristy wieder etwas ausgefressen hatte.

Cecilia Masters erkundigte sich interessiert bei ihm, wie es bei der Arbeit lief. Rick erzählte ein wenig, während er Kim auf seinen Knien reiten ließ und immer wieder eine Hand vor seine Augen hielt, um sie damit zu amüsieren. Sie lachte schließlich, bis sie davon Schluckauf bekam. Als Clarice ankündigte, kochen zu wollen, brach ihre Mutter wieder auf. Sie verabschiedete sich von den Kindern und von Clarice und Rick und dann war sie auch schon verschwunden.

„Schön, wieder hier zu sein“, sagte Rick und meinte es so. Er genoss es, von seinen Töchtern begrüßt und umschwärmt zu werden und spielte mit ihnen, während Clarice kochte. Er machte Faxen mit Kristys Fingerpuppen, was vor allem Kim faszinierte.

Schließlich aßen sie zusammen zu Abend und brachten erst Kim und schließlich auch Kristy ins Bett. Anschließend setzten Rick und Clarice sich zusammen vor den Fernseher. Während im Hintergrund leise die Nachrichten liefen, unterhielten sie sich ein wenig. Dann sahen sie sich zusammen einen Film an. Clarice schmiegte sich an ihn, sie war eindeutig auf der Suche nach Zärtlichkeiten, aber Rick war nicht in Stimmung.

Er hatte ja noch etwas vor.

Als er nicht anbiss und der Abspann des Filmes lief, sagte Clarice, dass sie schlafen gehen wollte. Rick war einverstanden und ging mit ihr ins Bett. Sie schlief immer schnell ein und da beide Kinder gut und zuverlässig schliefen, waren die Nächte auch meistens ruhig. Das kam ihm entgegen.

Als Clarice schließlich tief und fest schlief, schlich Rick sich wieder aus dem Bett. Er nahm seine Kleidung mit, zog sie unten vor der Treppe an und verließ das Haus. Er startete den Wagen ganz vorsichtig an und ließ ihn langsam aus der Einfahrt rollen. Erst an der nächsten Kreuzung gab er Gas und fuhr hinaus in die Grampian Hills, wo Lindsay auf ihn wartete.

Bei ihr war es nicht ganz so gelaufen, wie es sollte. Er hatte sie vor zwei Wochen in einer Bar in Warm Springs angesprochen und mitgenommen. Das war noch problemlos abgelaufen, aber es hatte Zeugen gegeben, als er sie außer Gefecht gesetzt und in den Kofferraum gesperrt hatte. Zwar hatte der Zeuge sein Kennzeichen nicht erkannt und nicht mal das Modell richtig identifiziert, aber er hatte Klamath Falls noch gar nicht erreicht, als er im Radio die erste Suchmeldung nach Lindsay Pratt hörte. Keinen Tag später hatte man ihre Eltern vor Fernsehkameras gezerrt und sie einen rührseligen Aufruf verlesen lassen, wie sehr sie ihre Tochter doch vermissten, dass sie ein wunderbarer Mensch war und dass ihr Entführer sie doch bitte nach Hause lassen sollte. Clarice hatte neben ihm auf dem Sofa gesessen, als es gesendet wurde und ganz betroffen ihr Mitgefühl für die Eltern ausgedrückt, während Rick versucht hatte, seine Gesichtszüge am Entgleisen zu hindern. Trotzdem änderte es nichts an seinen Planungen. Er würde sie natürlich nicht freilassen. Vergewaltigt hatte er sie inzwischen mehrmals und er musste jetzt erst mal sehen, ob sie überhaupt noch lebte. Zwar hatte er ihr Dienstag Abend ein paar Vorräte dagelassen und auch eine Taschenlampe, weil etwas an der Elektrik der Lampe in dem kleinen Loch kaputt war, aber jetzt war es schon Freitag Nacht. Es wurde Zeit, sich um sie zu kümmern. In jeder Hinsicht.

Im Wagen hatte er schon ein paar neue Nahrungsmittel für sie: Äpfel, Bananen, ein paar Wasserflaschen, Sandwiches. Jemanden dauerhaft gefangenzuhalten, war auch ein Kostenfaktor. Und trotzdem war es das absolut wert, das wusste er jetzt schon.

Den Weg in die Grampian Hills kannte er inzwischen im Schlaf. Als er die sicher verriegelte Hütte erreichte, war dort alles still. Sie war doch nicht etwa wirklich tot?

Er betrat die Hütte, verriegelte die Tür hinter sich und ging dann zur Falltür. Es war kühl, deshalb überlegte er, den Kamin anzufeuern. Zuerst  entriegelte er jedoch die Falltür und spähte hinab.

Auf der Matratze zusammengerollt lag Lindsay unter ihrer Decke und blickte mit trüben Augen zu ihm hoch. Unten im Loch stank es erbärmlich, was an dem Eimer lag, den er ihr für ihre Notdurft dagelassen hatte.

„Da bin ich wieder“, sagte er. „Ich habe dir etwas zu Essen mitgebracht. Willst du es haben?“

„Tötest du mich nicht sowieso?“, fragte sie desillusioniert zurück.

„Was denn, hättest du das gern?“ Rick lachte.

„Du bist doch krank.“

„Ach, willst du doch nichts zu essen?“

Als sie teilnahmslos mit den Schultern zuckte, merkte er, dass er sie erst mal nach oben holen und ihr etwas zu essen geben musste. Er bat sie darum, ihm den Eimer anzureichen, dessen Inhalt er ins Klo entleerte. Dann reichte er ihr die Hand, aber sie rührte sich nicht. Er verdrehte die Augen, warf ihr eine Packung Sandwiches und eine Flasche Wasser nach unten, während er den Kamin anfeuerte. Er würde ja eine Weile bleiben. Er würde Sex mit ihr haben und mal sehen, was er dann noch alles mit ihr anstellen konnte …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Grampian Hills, 12. September 1990

 

Für einen Moment schloss Rick die Augen und konzentrierte sich nur auf das erstickte Schluchzen und gequälte Stöhnen, das er ihr mit jedem Stoß entlockte. Als er die Augen wieder öffnete, genoss er den Anblick, der sich ihm bot.

Der alte kleine Tisch in der Hütte hatte exakt die richtige Höhe, weshalb er Lucy mit dem Oberkörper darauf nieder gedrückt und mit Stricken an zwei Tischbeine gefesselt hatte. Sie kam nicht mehr hoch, aber genau so sollte das sein. Er hatte sie geknebelt und hielt sie nun an ihren langen blonden Haaren gepackt, während er sich alle Zeit der Welt nahm, um sie wieder zu vergewaltigen.

Diesmal war es ein Traum. Er hatte sie in Ashland gefunden, wo er seit einigen Wochen einen längerfristigen Auftrag hatte. Ashland lag nur etwa anderthalb Autostunden von Klamath Falls entfernt – und nur eine Stunde von seiner Hütte in den Grampian Hills. Als er Lucy entführt und in die Hütte gebracht hatte, hatte er Clarice etwas von Überstunden erzählt, die erforderten, dass er unter der Woche in Ashland blieb. Seinem Chef hatte er erzählt, dass er nach Hause fuhr … und in Wahrheit war er in seiner Hütte. Jeden Abend. Es war einfach fantastisch.

Irgendwann legte Rick seine Hände um Lucys Kehle und würgte sie. Inzwischen hatte er den Dreh raus und ließ sich von ihr nicht mehr abschütteln, wenn er das tat. Er würgte sie, bis er erlöst keuchend auf ihr niedersank. Wimmernd und erstickt hustend versuchte Lucy, sich loszureißen und zog dabei ihre Fesseln immer fester. Die Stricke hatten ihr die Handgelenke inzwischen blutig wund gescheuert.

Rick streckte sich und ging auf die Suche nach seinen Shorts, während Lucy immer noch erstickt schluchzend auf dem Tisch lag. Schließlich trat er vor sie und sprach sie an. Als sie den Kopf hob, blickte er in blutunterlaufene, tränennasse Augen.

„Wenn ich dich jetzt losmache, wirst du dann brav sein?“, fragte er. „Du willst doch sicher was zu essen haben.“

Bittend sah Lucy ihn an und versuchte zu nicken. Rick behielt sein Messer im Gürtel und löste ihre Fesseln, ging aber gleich dazu über, ihr die Hände vor dem Körper wieder zu fesseln. So konnte sie ihn nur schlecht angreifen, aber immerhin konnte sie selbst essen.

Ihre Hüftknochen traten inzwischen gut sichtbar hervor, ebenso wie ihre Rippenbögen. Sie war schon schlank gewesen, als er sie gekidnappt hatte, aber er bemühte sich ja nur darum, sie irgendwie am Leben zu halten. Inzwischen war sie mager – und von Verletzungen übersät. Ihr Hals war voller Blutergüsse, überall hatte sie Schnitte und ein blaues Auge. Das hatte er ihr verpasst, als sie bockig gewesen war und nicht aus dem Loch hatte kommen wollen, als er es ihr befohlen hatte.

„Kannst das Klebeband abmachen“, sagte er. Lucy nickte stumm und zog sich das Klebeband vom Mund.

„Ich höre ja gar nichts“, sagte er.

„Danke“, erwiderte Lucy tonlos und leise.

„Hast du Hunger auf Tomatensuppe?“

Sie nickte und fragte leise: „Kann ich zur Toilette?“

„Sicher“, sagte Rick mit einem gönnerhaften Unterton. Er stellte sich so vor die Kochplatte, dass er Lucy die ganze Zeit im Auge behalten konnte.

Inzwischen war ihr das egal. Anfangs war sie sehr trotzig gewesen, aber Rick hatte da nicht lang gefackelt und jedes Mal zugeschlagen, wenn er den Eindruck gehabt hatte, dass es nötig war.

Schließlich ging sie wieder in seine Richtung. „Darf ich mir was anziehen? Mir ist kalt.“

Rick nickte nur. Wenn sie brav und höflich fragte, wollte er mal nicht so sein. Ihre Sachen lagen unten im Loch, weshalb sie herabkletterte und sich ihren Slip und ihr T-Shirt anzog. Für beides hatte sie ihn vor kurzem um Nähzeug gebeten, um es wieder zu flicken. Ihre Hose hatte er zu sehr zerschnitten, das hatte sie nicht versucht.

Er kam gut mit ihr zurecht. Sie hatte sich zwar am Anfang heftig gegen ihn gewehrt, aber nachdem er sie einmal zugerichtet hatte, dass sie sich kaum noch hatte rühren können, war das auch vorbei. Inzwischen spurte sie und war der absolute Traum einer gefügigen Sklavin.

Sie kam wieder hoch und fragte, ob sie sich an den Tisch setzen durfte. Rick stimmte zu und sah sie an, während er in der Suppe rührte.

„Würdest du mir sagen, wie du heißt?“, fragte sie.

Überrascht sah er sie an. „Dir ist schon klar, dass ich dich nicht mehr laufen lassen kann, wenn ich das tue.“

Mit trüben Augen blickte sie zu ihm hoch. „Das tust du doch sowieso nicht.“

Das verblüffte ihn nun doch. „Wie kommst du darauf?“

„Mein Schwager ist Polizist in Warm Springs. Er gehört zur Ermittlungskommission im Fall Lindsay Pratt.“ Forschend sah sie ihn an und weil er mit einer solchen Aussage nicht gerechnet hatte, gelang es ihm nicht, seine Überraschung zu verbergen.

„Der Name sagt dir also was“, stellte sie fest.

Er nickte. „Red weiter.“

Mit gesenktem Blick fuhr Lucy fort. „Sie wurde ja entführt von jemandem mit einem Auto wie deinem … zumindest wurde es so ähnlich beschrieben. Sie war etwa vier Monate verschwunden, bevor man ihre Leiche gefunden hat, aber da war sie noch nicht lange tot. Sie muss also irgendwo gefangen gehalten worden sein. An einem Ort wie diesem.“

Rick nickte aufmerksam. Er erinnerte sich noch daran, wie er Lindsay in der Nähe der I-5 mitten in der Nacht auf einem Parkplatz abgeladen hatte. Natürlich hatte man sie da sofort gefunden, aber das war ihm egal. Man musste ja variieren.

„Er hat erzählt, dass sie erwürgt wurde und dass sie noch Klebeband auf dem Mund hatte, so wie das, was du hast …“ Lucy schluckte. „Er hat auch erzählt, dass sie ganz übel zugerichtet war und dass man sie vergewaltigt hat. Sie war abgemagert …“ Sie brach ab, traute sich nicht, weiterzusprechen.

„Ja und?“, fragte Rick deshalb.

„Das warst du, oder? Du machst das doch nicht zum ersten Mal, das merke ich. Und das, was du machst … vorhin hast du mich wieder gewürgt, ich meine …“ Sie schluckte hart und versuchte, nicht in Tränen auszubrechen. „Darauf stehst du. Lindsay war vor mir hier, oder?“

Für einen langen Augenblick starrten Rick und Lucy sich nur an, dann nickte er.

„Stimmt. Sie war hier. Was sagst du jetzt?“

Lucys Augen füllten sich mit Tränen, sie wandte den Blick ab. „Du wirst mich also töten.“

„Na ja … denkst du vielleicht, ich will für das in den Knast, was hier läuft?“

„Warum tust du das?“, fragte sie verzweifelt schluchzend. „Was ist denn in deinem Leben passiert, dass du jetzt so etwas tun musst?“

Rick zuckte mit den Schultern. „Muss denn etwas passiert sein?“

„Ich meine … das tut doch niemand einfach so.“

„Es macht Spaß. Brauche ich einen anderen Grund?“

Lucy schluckte hart. Sie war sich nicht im Klaren darüber, wie sehr es Rick in diesem Moment wieder gefiel, ihre Tränen zu sehen. Sie weinte seinetwegen. Weil er die Macht über sie hatte.

„Aber warum macht dir das denn Spaß?“, stieß sie hervor.

„Keine Ahnung. Hab nie drüber nachgedacht. Aber nein, mein Vater war kein Säufer und ich habe auch keinen Onkel, der mich begrapscht hat. Sorry.“

Lucy schluckte und sammelte sich. „Hast du … bist du verheiratet? Hast du Familie?“

Nach kurzem Zögern nickte er. „Das ist der Grund, warum ich nicht immer hier bin. Neben der Arbeit, natürlich.“

Sie nickte gefasst und beobachtete, wie er die Suppe vom Herd nahm und in zwei Schalen füllte. Den leeren Topf stellte er neben die Spülschüssel. Er setzte sich Lucy gegenüber an den Tisch und begann zu essen, während sie bloß in die Schale starrte.

„Doch keinen Hunger?“, fragte er.

„Schon, aber ich warte, bis ich die Suppe aus der Schale trinken kann“, sagte sie. „Ist einfacher, wenn man gefesselt ist.“

Rick nickte bloß. Das sah er ein. Auf die Idee, ihr die Fesseln abzunehmen, kam er nicht.

„Ich heiße übrigens Rick“, sagte er.

Lucy nickte. „Wie alt bist du?“

„Fünfundzwanzig. Weißt du, dass mich das noch nie eine gefragt hat?“

Ungläubig starrte sie ihn an. „Wie viele waren denn vor mir hier?“ 

„Drei“, antwortete er ohne zu zögern.

Wieder nickte sie gefasst. „Wie hießen sie?“

„Mary, Thora und eben Lindsay.“

„Und … es gibt absolut nichts, was ich tun kann, damit du mich wieder gehen lässt?“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739429526
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (April)
Schlagworte
Serienkiller Psychothriller Thriller Psychogramm Frauenmörder Serienmord Krimi Spannung Sadismus

Autor

  • Dania Dicken (Autor:in)

Dania Dicken, Jahrgang 1985, schreibt seit der Kindheit. Die in Krefeld lebende Autorin hat Psychologie und Informatik studiert und als Online-Redakteurin gearbeitet. Mit den Grundlagen aus dem Psychologiestudium setzte sie ein langgehegtes Vorhaben in die Tat um und schreibt seitdem Psychothriller zum Thema Profiling. Bei Bastei Lübbe hat sie die Profiler-Reihe und ihre neue Serie "Profiling Murder" veröffentlicht, im Eigenverlag erscheinen "Die Seele des Bösen" und ihre Fantasyromane.
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Titel: Schrei vor Angst