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Miss Marples Töchter: alte Weiber täuscht man nicht

von Klarissa Klein (Autor:in)
125 Seiten

Zusammenfassung

Die rüstigen Damen Anna, Bertha und Cynthia verbrachten früher ihre Freizeit, in dem sie Scotland Yard unter die Arme griffen. Mittlerweile hat sich aber das Alter durchgesetzt; Anna ist tot und so bleibt den verbliebenen Schwestern nur die Erinnerung. Das ändert sich eines Tages, als bei ihnen eingebrochen wird! Jetzt geht es Schlag auf Schlag, Fetzen mehrerer mysteriöser Briefe auf Latein tauchen auf, es geschehen zwei Morde und ein seltsam gebildeter Handwerker bietet den alten Damen Hilfe an. Cynthia und Bertha gehen der Sache auf den Grund. Miss Marples Töchter sind zurück!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1. Von dunklen Ecken

 

 „Da war was.“ Bertha hob den Kopf und tat, als würde sie in die Stille des Hauses lauschen, dann schüttelte sie den Kopf. Außer den Geräuschen, die ein altes Haus von sich zu geben pflegte, war da nichts.

„Du spinnst“, sagte sie unwirsch und wandte sich wieder ihrem Buch zu.

„Doch“, beharrte ich, „da war ganz bestimmt was.“

Da sich mein Schwesterlein aber nicht dazu hinreißen ließ, sich meiner Vermutung anzuschließen, musste ich also allein nachsehen. Mit strengem Blick in ihre Richtung nahm ich mein Strickzeug vom Schoß und legte es in den Korb neben meinem Sessel. An Stricken war bei der Kälte hier nicht zu denken und beim Maschen zählen hatte mich das Klappern meiner Zähne bereits zum dritten Mal so gestört, dass ich mich verzählt hatte. Diese Kälte ging ganz allein auf Berthas Konto.

Wie konnte sie die Heizung im November auch so weit herunterdrehen, dass diese gleich ganz den Dienst einstellte? Gegen sparsames Heizen war ja nichts einzuwenden, schließlich musste das Haus nicht überheizt werden, während wir unsere Cousine im Süden besuchten.

„Elender Sparfuchs“, dachte ich wütend. Bevor ich dem vermeintlichen Geräusch nachging, stocherte ich das Holz im Kamin auf. Wenigstens etwas Wärme, wenn es auch nicht für das ganze Haus reichte.

„Wo willst du hin?“

„Nachsehen“, gab ich patzig zurück.

Bertha stöhnte ausgiebig, legte ihr Buch zur Seite, faltete mit ihren Gichthänden umständlich die wollene Decke zusammen, die über ihren Beinen gelegen hatte, und stand mit lautem Ächzen aus ihrem Sessel auf.

„Du bist eine Nervensäge.“

Mit triumphierendem Blick wartete ich an der Tür des Wohnzimmers.

„Anna wäre sofort aufgestanden“, sagte ich mit leisem Frohlocken in der Stimme.

„Pah.“ Trotzdem dackelte meine Schwester hinter mir her.

Dackeln; dieser Ausdruck traf es. Die Ärzte waren sich nicht sicher, ob es nun Gicht oder vielleicht doch Rheuma war, mit dem sich Bertha rumschlug.

Jedenfalls war sie nach ein paar Minuten Sitzen immer so steif, dass sie ein paar Schritte brauchte, bis sie einigermaßen gut zu Fuß war. Aber dann. Dann war sie meist durch nichts aufzuhalten. Neugier war ein großer Antrieb und siegte über jedes Gebrechen. „Woher?“, fragte sie leise, als sie mich erreichte, meine Hand nahm und sich vorsichtig nach vorne beugte, um aus der Wohnzimmertür heraus in den Flur sehen zu können. Ich schüttelte mich innerlich, als ihre kalten Finger sich um meine legten.

„Von oben“, flüsterte ich.

„Cyn“, schimpfte sie zur Antwort, „da war nichts. Du musst nicht flüstern.“

Bertha schüttelte den Kopf und zog mich – immer noch an der Hand haltend – hinter sich her in den dunklen Flur.

Es war eisig kalt darin, denn bis hierher hatte es die Wärme aus dem Kamin nicht geschafft.

„Warum stehst du dann neben mir?“

„Damit ich dir beweisen kann, dass du paranoid bist. Genau wie Anna.“

Ich lachte leise. Wenn unsere Schwester zu ihren Lebzeiten viele Dinge in sich vereinigte, Paranoia gehörte nicht dazu. In Berthas Stimme konnte ich diese kleine Spur Eifersucht auf Anna und mich heraushören. Bertha war zwar neugierig wie ein Spatz auf dem Fensterbrett, aber sie hatte nicht die Fähigkeit, die wirklich wichtigen Details aus dieser Wissbegier herauszuziehen.

Anna und ich konnten das schon. Und so waren wir kleine Berühmtheiten in unserem Dorf, als Anna noch lebte. Jetzt musste ich mich mit dieser Schmalspurschnüfflerin allein herumschlagen. Vorsichtig betraten wir den Flur. Bertha war sicher nicht die Hellste von uns drei Mädels gewesen. Aber sie war die Mutigste. Deshalb hielt sie auch jetzt und hier immer noch meine Hand, während sie sich langsam die steilen Holzstufen ins obere Geschoss vorarbeitete.

„Da!“ Ich stockte und lauschte erneut in die Dunkelheit hinein.

„Da war es wieder.“ Dieses Mal nickte Bertha.

„Jetzt hab ich es auch gehört.“

Sie schluckte so laut, dass ich es hören konnte. Dann gab sie sich einen Ruck und, mit mir im Schlepptau, ging sie die Treppe nach oben weiter hinauf. Auch hier oben herrschte eine Kälte, die in alle Glieder fuhr. Eine Wärmeflasche würde in der kommenden Nacht nicht reichen. „Eher noch das eine oder andere Oberbett“, dachte ich fröstelnd.

Fünfzehn Stufen hatte diese alte Treppe. Und jede einzelne ächzte zum Gotterbarmen vor sich hin, als sie mit unserer beider Gewicht belastet wurde.

Rums.

Vor Schreck erstarrten wir zu Salzsäulen. Nun ja, beinahe. Jedenfalls standen uns beiden die Haare vor Angst zu Berge. Der Knall war aus Annas Zimmer gekommen. Seltsam genug, denn wir hatten es seit ihrem Tod vor einem Jahr nicht mehr betreten. Pflichtbewusst hatten wir seinerzeit die Möbel mit Plastikhüllen abgedeckt, die letzten Überreste einer Topfpflanze entsorgt und die beiden Fenster – mit dem sensationellen Ausblick auf den See – abgedichtet und verschlossen.

Was konnte also in diesem Raum „rumsen“? So langsam, wie wir die Treppe hochgestiegen waren, gingen wir den kleinen Gang nach rechts. Unsere Schlafzimmer lagen auf der anderen Seite des Flurs. Diese Seite hier nutzten wir selten. Neben Annas Zimmer gab es hier noch das Bad und ein kleines Büro, das in grauen Vorzeiten von Annas Mann benutzt worden war und den einzigen Telefonanschluss in diesem Haus besaß. Wir tasteten uns vor, immer an der Wand entlang, immer die Hand der anderen fest umschlossen.

„Warum gehen wir hier eigentlich im Dunkeln“, fragte Bertha verärgert und dem darauffolgenden Patschen konnte ich entnehmen, dass sie den Lichtschalter an der Wand suchte.

Es knallte erneut, zumindest hörte es sich ähnlich an, aber es war nur der alte Lichtschalter und der dazugehörige Generator, die sich beide zeitgleich einschalteten. Geblendet durch das plötzliche Licht, musste ich für einen Moment die Augen schließen. Keinen Schritt wollte ich mit geschlossenen Augen weitergehen, doch Bertha zog mich hinter sich her.

 

2. Von verschlossenen Türen und Geheimnissen

 

 „So“, sagte sie leise, „dann wollen wir doch mal schauen.“

Sie griff nach dem Schlüssel, den wir im Schloss hatten stecken lassen. Damals. Doch er ließ sich nicht drehen. Oder sie hatte nicht genug Kraft in ihren Händen. Sie ließ meine Hand los, griff mit beiden Händen nach dem Schlüssel, aber einen Augenblick später sah sie mich hilflos an.

„Ich krieg´s nicht auf.“ Bertha trat zur Seite und nun versuchte ich, den Schlüssel zu drehen.

Es klackte und das Schloss entriegelte sich. So weit, so gut. Doch die Tür zu öffnen, nein, dazu schlotterten mir mittlerweile zu sehr die Knie.

„Feigling“, lachte Bertha leise und stupste mich an, damit ich zur Seite ging.

Und ich war nicht böse darüber. Beherzt griff sie nach dem Türgriff und drückte ihn herunter. Mit leisem Knatschen öffnete sich die Tür zu Annas Zimmer. Abermals erschraken wir. Das Licht, das vom Flur aus ins Zimmer fiel, offenbarte uns das reine Chaos. Bertha griff um den Türrahmen, fand den Lichtschalter, und als das Licht anging, hielten wir uns vor Schreck die Hände vor die Münder. „Einbruch“, war der erste Gedanke, den ich hatte. Bertha war wie immer schneller mit ihrem Mundwerk.

„Da ist einer eingebrochen“, stellte sie fest und ging in das Zimmer.

Es war, als hätte jemand das Unterste nach oben gekehrt und wirklich nicht ein Ding dort gelassen, wo es ursprünglich stand. Kleidungsstücke, Bücher, persönliche Unterlagen: All das, flatterte durch das Zimmer. Das doppelte Fenster stand sperrangelweit offen und die Gardine wurde durch den Gegenzug der Tür hinaus geweht.

„Rühr´ nix an“, befahl Bertha und verschwand in das nebengelegene Büro.

Ich hätte gar nichts anrühren können. Fassungslos stand ich in Annas Zimmer. Wer brach bei einer Toten ein? Oder besser: Wer brach in das Haus einer Toten ein, in dem immer noch ihre sehr lebendigen, wenn auch steinalten Schwestern lebten? Ich sah mich um, während ich Bertha telefonieren hörte.

„Bruce“, brüllte sie in den Hörer, „stell dich nicht dämlicher an, als du bist. Hier ist eingebrochen worden.“

Obwohl ich über den Anblick des Zimmers ziemlich geschockt war, musste ich doch lachen. Bruce war der örtliche Constable und in seiner Kinderzeit ein Schüler von Bertha. Die Aussage, dass er nicht besonders helle war, war noch die höflichste, die sie über ihren einstigen Schüler tätigen konnte.

„Er kommt“, fluchte sie, als sie das Zimmer wieder betrat, „der Trottel, der.“ Nun sah sie sich die Bescherung genauer an.

„War hier was drin, was sich hätte lohnen können?“

Energisch stemmte sie ihre Hände in die Hüften. Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, nicht dass ich wüsste.“

Trotzdem überlegte ich, wo wir unsere Wertsachen und die von Anna aufbewahrten. Hier oben war definitiv nichts gelagert.

„Kann ich wenigstens das Fenster schließen?“

Es wurde immer kälter hier drinnen und langsam fingen wir beide an zu bibbern.

„Dann müssen wir halt unsere Fingerabdrücke abgeben“, sagte Bertha mit dem gewissen Stolz in der Stimme, dass sie eben doch an solche Dinge denken konnte.

„Bertha. Jeder Einbrecher, der was auf sich hält, trägt heutzutage Latexhandschuhe. In diesem Raum wimmelt es von unseren Fingerabdrücken“, schimpfte ich mit ihr, aber doch mit einem Schmunzeln um die Lippen herum.

„Klugscheißer.“

Sie grummelte noch ein wenig und begann, sich noch weiter im Zimmer umzusehen. Bertha ging zur Bettseite und ich machte mich an die Spiegelkommode. Es sah wirklich fürchterlich aus hier drinnen. Der Inhalt der Kommode lag – samt Schubladen – auf dem Boden zerstreut umher. Ebenso der Inhalt des Kleiderschranks. Ein paar Bücher waren zerrissen und flogen in ihren Einzelteilen im Raum umher.

„Wer macht so was“, fragte Bertha leise, um gleich darauf entsetzlich zu stöhnen.

Sie war neben dem Bett auf die Knie gegangen und kam nun nicht mehr hoch. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und sich an der Plastikschutzhülle des Bettes festklammernd, versuchte sie irgendwie wieder auf die Füße zu kommen. Mit einem Schritt war ich bei ihr. Bei meinem Alter eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, aber tatsächlich war ich flinker, als es im ersten Moment den Anschein hatte.

Und Bertha brauchte Hilfe, und da ich die Einzige war, die anwesend war, musste sie diese auch in Anspruch nehmen. Sie sah mich kurz resignierend an, ergriff meine Hand, die ich wiederum durch meine zweite Hand stützte, und zog sich daran hoch.

„Scheiß Alter“, sie hustete, sie räusperte sich und ich wusste, dies war ihre Art zu danken.

„Was suchst du auch da unten“, pures Unverständnis klang in meiner Schelte an sie mit.

„Was wohl … Spuren.“

Ich lachte.

„Du … Spuren suchen? Hier …? In dem Chaos?“ Nachsichtig schüttelte ich den Kopf.

Es passierte nicht oft, dass Bertha ihr kriminalistisches Gespür, welches zugegebener Maßen spärlich ausgeprägt war, zur Schau stellen konnte. Und dann kam ich und machte dieses zarte Pflänzchen zunichte. Keine besonders nette Eigenschaft, zugegeben. Aber manchmal provozierte die Gute solche Reaktionen einfach.

„Also: Der Dieb – gehen wir mal von der männlichen Form aus – ist durch das rechte Fenster rein und durch das linke wieder raus. Das rechte Fenster ist zerbrochen, die Scherben liegen unter dem Fenster, das linke geöffnet. Weiß der Henker, warum er das getan hat. Wahrscheinlich war er ungeübt. Zuerst ist er an die Kommode gegangen. Er muss nasse Schuhe gehabt haben - nicht wirklich erstaunlich im November - die bei seiner weiteren Suche trockneten. Also: von hier … nach da. An der Kommode zeigen Spuren, dass er versucht hat, nach etwas Verborgenem zu suchen. Kratzer von einem Messer sprechen dafür.“

Bertha hörte mir zu und ihr Gesichtsausdruck sprach Bände.

„Nachdem er die Schubladen kontrolliert hatte, ging er hinüber zum Schrank. Auch da sind Kratzspuren auf dem Holz zu sehen und lassen somit vermuten, dass er auch hier glaubte, ein Geheimfach suchen zu müssen.“

„Anna hatte keine Geheimnisse, geschweige denn irgendwelche Fächer für Geheimnisse“, konstatierte Bertha unwirsch. Ich nickte. „Er wurde gestört“, fuhr ich fort, „sonst hätte er die Tür aufgebrochen und wäre ins Büro und das restliche Haus gegangen.“

Wieder nickte ich. Allerdings nickte ich mir zur Bestätigung meiner eigenen Worte zu. Auch wenn ich mich irgendwie in einem Zustand befand, den man getrost Schock nennen konnte, konnte ich mich trotzdem nicht gegen dieses Gefühl erwehren, so etwas Ähnliches schon einmal gesehen zu haben. Die Szene erinnerte mich vage an einen Fall, den Anna und ich vor ein paar Jahren rekonstruiert hatten.

Als Witwen, mit angemessener Rente, einem Verstand, der immer noch fit genug war, konnten und wollten wir uns irgendwann nicht mehr mit dem Kreuzworträtsel aus der Times begnügen. So kamen wir auf die Idee, alte ungelöste Kriminalfälle zu untersuchen. Nun, nicht wirklich untersuchen, aber immerhin hatten wir genug Fantasie und Gespür für das Ungewöhnliche, dass wir einige ungelöste Fälle dem Scotland Yard als gelöst präsentieren konnten. Bertha hatte dabei immer die Funktion der Versorgerin. Sie versorgte uns mit allem: Essen, Tee, Strickzeug und Gerüchten.

Sie plapperte wie ein Papagei alles aus und nach, was sie hörte. Ohne irgendetwas davon auf seinen Wahrheitsgehalt zu prüfen. Auch so eine Sache des Alters. Es war nicht wichtig, ob man etwas zu hören bekam, sondern nur, dass man es zu hören bekam. Anna war die Analytikerin. Ich eher diejenige, welche die Informationen zusammentrug, sortierte und auf ihren Gehalt hin überprüfte. Aber Analyse wollte ich das nicht nennen. Anna fehlte. Nun, der Fall, den wir vor ein paar Jahren gefunden hatten, war mehr als seltsam. Ein Einbruch, der scheinbar nur auf Bargeld und Kapriziösen aus zu sein schien. Doch die Spuren erzählten eine andere Geschichte. Die Besitzerin des Raumes, in welchen eingebrochen war, hatte im 2. Weltkrieg in Bletchley für den britischen Geheimdienst gearbeitet.

Seinerzeit waren Dokumente, die nun – beinahe dreißig Jahre später – für einen Fall von enormer Wichtigkeit wurden, verschwunden.

Man vermutete zunächst einen normalen Einbruch. Anna und ich fanden jedoch heraus, dass in einem der Schränke ein Geheimfach verborgen war und dort lagen die Dokumente, die einen ehemaligen Kriegsverbrecher hinter Gitter bringen konnten, verborgen. Niemand wusste von diesen Dokumenten. Beinahe niemand. Denn Anna fand ein Schreiben des Einbruchsopfers, codiert natürlich. Meine älteste Schwester schaffte es auch, diesen Geheimcode zu knacken. Dem Kreuzworträtsel in der Times sei Dank.

Und somit war klar, dass dort nicht nach Schmuck und Geld gesucht worden war. Das Ergebnis war so brisant, dass Scotland Yard der Meinung war, drei alte Ladys müssten sich nicht damit beschäftigen. Sie benötigten beinahe ein Jahr, bevor sie sich eingestanden, dass drei alte Ladys sehr wohl mit den theoretischen Dingen dieses Falles besser umgehen konnten, als diese Grünschnäbel vom Yard. Wir wussten einfach zu viel über die damalige Zeit und die Vorkommnisse, als dass sie uns von diesem Fall hätten fernhalten können. Die Lösung war so einfach, wie beinahe genial.

Ein Pfarrer, der damals eigentlich Flüchtlinge aus Deutschland betreuen sollte, war selbst einer der Schergen des Teufels. Und beinahe dreißig Jahre später konnte er – mit unserer Hilfe – dingfest gemacht werden. Ein gutes Gefühl.

Und was erinnerte mich nun an diesen alten Fall? Die Fenster. Auch damals war der Einbrecher, also der Pfarrer, durch das rechte eingebrochen, um dann durch das linke die Flucht anzutreten.

Warum, konnte der Mann damals nicht sagen, aber wir schätzten, dass er Angst hatte, sich an den Splittern des kaputten Fensters zu verletzen. Natürlich konnte es auch einfach eine Unachtsamkeit des Räubers sein, aber soweit wollte ich in meinen Vermutungen nicht gehen. Hinzu kam, dass ich bei Weitem nicht über Annas Fähigkeiten verfügte. Sie sah etwas und konnte die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Bei mir dauerte es immer etwas länger.

„Er hat nichts mitgenommen.“

Bertha hatte sich von ihrem Schmerz erholt und nun noch einmal im Raum umgesehen. Sie zuckte mit den Schultern. „Nur einen Dreckstall hinterlassen.“

 

3. Von Trotteln und Witwen

 

„Hallo?“, hörten wir eine männliche Stimme von unten rufen.

„Oben du Trottel, so wie ich es dir am Telefon gesagt hab“, beantwortete Bertha die Frage des Besuchers, der nach ihrem Gesichtsausdruck nur der Constable sein konnte.

Vorsichtshalber verließ ich den Raum, denn wenn Bertha ihre ehemaligen Schüler traf, ging dies in den seltensten Fällen für die Herrschaften glimpflich aus. Und da ich mich – praktisch nie – bei ihren Schimpftiraden mit meinen Lachanfällen zurückhalten konnte und somit die Peinlichkeit noch in die Höhe trieb, zog ich es vor, mich vom Ort des Geschehens zu entfernen. Höflich nickte ich dem Constable zu und, während ich hinunterging, versuchte ich mich an den Nachnamen des jungen Mannes zu erinnern. Aber er wollte mir nicht einfallen. Von oben konnte ich Berthas Stimme hören, wie sie den armen Kerl zur Minna machte.

Im warmen Wohnzimmer angekommen, stocherte ich noch einmal das Kaminfeuer auf, legte einen Scheit nach und ein leichtes Ziehen in meinem Rücken sagte mir, dass auch ich nicht mehr die Jüngste war. Bertha aufzuhelfen, hatte meine Rückseite etwas überbeansprucht und das bekam ich nun zu spüren. Langsam ließ ich mich in meinem geblümten Ohrensessel nieder, legte mir eine Decke über die Beine, nahm mein Strickzeug und dachte nach.

Warum sollte jemand, während wir in Devonshire bei Cousine Sybill verweilten, bei uns einbrechen? Wir waren nie reich gewesen. Das wussten auch alle hier im Dorf und nicht nur hier. Wir hatten als die drei Witwen von Belstone Corner einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt, den wir auch nicht verleugnen wollten. Als dann die ungelösten Fälle, und somit die Leute vom Scotland Yard hier auftauchten, damit wir ihnen zur Seite stünden, waren wir so bekannt wie bunte Hunde.

 

Wir waren zu dritt. Drei Schwestern, einig wie ein Kleeblatt. Die Älteste von uns war Anna und leider im letzten Jahr verstorben. Ihr hatte dieses Cottage, welches wir immer noch bewohnten, gehört. Nachdem Anna ihren Mann Josef verlor, der als Verwalter eines kleinen Gutes hier in der Nähe gearbeitet hatte, holte sie uns zu sich. Die nächste im Reigen war Bertha. Die Mittlere. Heute würde man sagen ein Sandwichkind. Allerdings kannten wir diesen Begriff und die dazugehörigen Eigenschaften zu unserer Zeit noch nicht. Ein Umstand, den wir bis heute nicht bedauern. Bertha war, bis zu ihrer Pensionierung, Lehrerin, ebenso wie ihr Mann, der kurz vor Josef verstorben war. Und zum guten Schluss kam dann noch ich. Das Küken der Familie. Während Anna und Bertha die zarten 70 Jahre bereits überschritten hatten, konnte man mich durchaus als Nachzügler sehen. Mein Gatte war bereits kurz nach unserer Hochzeit verunglückt und hatte mich somit schon recht bald zur Witwe gemacht.

Die nächsten Jahre lebte ich für meinen Beruf als Krankenschwester, der mich voll und ganz ausfüllte. Wir waren schon als Kinder wie Kaugummi. Wir klebten ständig beisammen, obwohl wir so verschieden waren. Aber wir ergänzten uns auch. Ein unschätzbarer Vorteil nach den Kriegsjahren, die voller Entbehrungen waren. Es wurden zwar bis weit in die fünfziger Jahre hinein Lebensmittelkarten verteilt, aber die sollten ja nur das Überleben sichern. Doch auch danach war die Versorgung hier auf dem Dorf nicht besser.

Also mussten wir drei Bell-Mädchen losziehen. Während Anna reden konnte wie ein Wasserfall, besaß Bertha schon immer ein gewisses Maß an Autorität. Und ich? Wenn alle Stricke rissen, ging ich bei unseren Betteltouren schon mal als Hebamme durch – obwohl ich verdammt jung war und gerade erst in der Ausbildung zur Krankenschwester – aber so konnten wir uns ab und an ein großes Stück Schinken mehr mit nach Hause nehmen. Wir waren eine Einheit. Drei war bei uns nie eine zu viel.

Bis zu dem Zeitpunkt als Anna Josef kennenlernte. Wir zwei Übriggebliebenen mussten uns zunächst daran gewöhnen, dass wir nur noch zu zweit waren. Bis auch Bertha ihren Dorfschullehrer kennen und lieben lernte. So blieb nur ich und allein war mir die Welt in unserem Dorf zu eng. Also ging ich. Aber als mich Anna rief, um zu ihr zu ziehen, habe ich – genauso wie Bertha – keinen Augenblick länger gezögert als nötig war, meine Sachen zu packen und nach Hause zu kommen. Und nun war Anna tot. Bertha und ich waren wieder allein. Wir hatten in unseren Leben keine Reichtümer anhäufen können, aber das sagte ich ja bereits. Trotzdem hatten wir ein angenehmes Leben hier draußen im Cottage. Wenn wir uns auf die Nerven gingen, so wie alte Weiber dies beizeiten zu tun pflegen, dann konnten wir getrennte Wege gehen, ohne dass wir es wirklich taten. Und nun hatte jemand Annas Heiligstes, ihr Zimmer, durchwühlt und verwüstet.

Ich lauschte den Schritten, die durch die alten Holzpaneele von oben viel Lauter klangen, als sie tatsächlich waren. Auch die leise Stimme des Constable konnte ich hören. Während Bertha ihn immer noch mit Kosenamen der speziellen Art bedachte, und dies lautstark, begann ich die Maschen an meinem Strickzeug zu zählen. Genau das hatte ich getan, als ich das Geräusch von oben hörte. Doch weit kam ich nicht.

„Ja Madame!“, sagte der Constable leise, als er die Treppe herunterkam, Bertha im Schlepptau.

„Und lass mich deinen Bericht vorher lesen, sonst ist er wieder voller Rechtschreibfehler“, tadelte ihn Bertha.

Die Haustür wurde geöffnet, Bertha schickte eine letzte Freundlichkeit hinter dem Polizeibeamten her und die Tür wurde geschlossen.

„Verfluchte Kälte“, sagte sie, als sie das Wohnzimmer betrat.

Sie ließ sich – noch langsamer als ich es getan hatte – in ihren Sessel sinken und legte die Decke darüber.

„Haben wir noch Tee?“

Ich nickte, beugte mich zu dem kleinen Tisch neben mir und schenkte ihr ein.

„Was sagt der Constable?“, wagte ich zu fragen, als ich ihr die Tasse reichte.

„Der Trottel kann seine eigene Nase nicht von einem Pickel unterscheiden … war schon immer so“, grummelte Bertha in ihre Teetasse.

 

Sie nahm einen Schluck, lehnte sich dann mit geschlossenen Augen zurück.

„Warum haben wir das nicht schon gestern bemerkt?“

Müde zuckte ich mit den Schultern.

„Weil es keine Veranlassung dazu gab. Außer der Tatsache, dass es hier sehr kalt war, aber wir ja wussten warum, … warum sollten wir also dort drinnen nachsehen?“ Bertha sah mich an. Das klang doch logisch. „Der Trottel hat das Fenster jetzt zugemacht und die zerbrochene Scheibe mit einem Laken abgedeckt. Das sollte den schlimmsten Wind abhalten. Und morgen will er jemanden von der Spurensicherung schicken.“

Wir lachten und schüttelten den Kopf.

„Doch schon morgen?“

Es gab nichts mehr zu tun, für heute. Also beschlossen wir, zu Bett zu gehen. Mir war nicht mehr danach zu Stricken, Bertha hatte ihr Buch nicht mehr angerührt. Es war immer noch kalt im Flur, aber es zog nicht mehr so stark, als wir beide die Treppe hinaufgingen. Dieses Mal brauchte Bertha noch etwas länger. Die Kälte und der Aufstieg vorhin hatten ihr übel mitgespielt.

„Warte nicht auf mich mit dem Frühstück“, sagte sie leise, als wir uns auf die Wange küssten und uns eine gute Nacht wünschten, „ich gönne mir morgen eine Stunde mehr.“

Ich lächelte verständnisvoll und musste zugeben, dass ich mir Sorgen machte. In diesem Moment, als sie gebeugt vor mir stand, konnte man ihr Alter nicht nur erahnen, es war deutlich sichtbar. Außerdem war ihr Körper durch ihre Versteifung so offenkundig gezeichnet, dass sie noch gebrechlicher wirkte, als sie es durch ihre zarte Statur schon tat. Es geschah selten genug, dass sie sich über ihre Schmerzen äußerte. Eine Bell jammerte nicht. Und so hielt sie sich zu 99 % ihres Lebens aufrecht. Und sie würde nie zugeben wollen, dass es ihr wirklich schlecht ging. Mutig und tapfer halt. Meine große Schwester.

 

Hundemüde und gleichzeitig doch aufgedreht wusste ich, dass mir eine unruhige Nacht bevorstand. Schlaflosigkeit war einer der nervigsten Umstände des Alters. Wenn man alt wird, ist das so eine Sache mit dem Schlaf. Er kommt und geht und er wird sicherlich nicht einer der besten Freunde, den man an seinem Lebensabend haben kann. Warum ich allerdings in dieser Nacht nicht einschlafen konnte, war mir klar. Ein Einbruch wirft Fragen auf. Warum wir, warum jetzt?

Dass es nicht nur mir so ging, stellte ich fest, als das Babyphone auf meinem Nachttisch kurz krächzte und Bertha sich leise meldete. Dieses Babyphone war eine geniale Erfindung. Wir konnten miteinander plaudern, ohne das Bett verlassen zu müssen. Wir konnten die Andere rufen, wenn es uns nicht gut ging. Äußerst praktisch.

„Bist du noch wach“, fragte Bertha leise und ich nahm das Gerät in die Hand.

„Ja, mir geht so viel im Kopf herum.“

„Mir auch …“, sie machte eine Pause und sagte dann etwas, das mir Sorgen machte. „Ich hab Angst, Cyn.“

Meine große, mutige, manchmal etwas gefahrenblinde Schwester hatte Angst! Eine Tatsache, die mir Unwohlsein verursachte.

Für gewöhnlich war sie diejenige, die beschwichtigte. Aber jetzt?

„Egal, wer es war, Bertha, er kommt nicht wieder. Nicht heute Nacht.“ Sie murmelte etwas und ich musste lächeln. Der Schlaf schien sie doch zu übermannen. So war ich mit meinen Gedanken allein und in dieser Nacht fand ich auf meine Fragen keine Antwort.

 

4. Von Berühmtheiten

 

Der Morgen begann mit einer Diskussion. Der örtliche Klempner war noch vor der Polizei angekommen und sein Kostenvoranschlag zur Reparatur der Heizung war ein Witz. Doch was blieb uns anderes übrig?

 

Der November pflegte in dieser Gegend mehr als nur fürchterlich zu sein und Bertha brauchte die trockene Wärme einer Zentralheizung. Wir hatten zwar hier in der Küche unseren wundervollen alten Herd, den man mit Holzscheiten befeuern musste, sowie den Kamin im Wohnzimmer, aber im Winter reichte das nicht.

Das Cottage war einfach zu zugig gebaut und der Anbau im hinteren Bereich gab der Wärmeregulation hier im Haus den Rest. Für mich allein wäre es kein Problem gewesen. Aber eben für meine Schwester. Sie würde über kurz oder lang keinen Schritt mehr machen können. Also nickte ich den Auftrag ab, wohl wissend, dass Bertha ein entsetzliches Theater machen würde. Der Handwerker versprach sogar, noch am gleichen Tag mit seinen Leuten anzurücken, damit wir am Abend nicht mit Schal und Handschuhen hier würden sitzen müssen.

Wenigstens etwas. Meine Schwester verfehlte den guten Mann um knapp fünf Minuten. Sein Glück oder meines? Ich war mir nicht sicher, denn auch er war einer ihrer Schüler gewesen, hatte im Laufe der Jahre durch harte Arbeit einen kleinen Betrieb gründen können, der sich auch noch gut hielt. Ein Umstand, dem Bertha Respekt zollte. Sie stand gerade in der Küche vor dem Toaster, als die Polizei anrückte.

Und nicht nur die. Wir bekamen Besuch vom Scotland Yard. Erstaunt sahen wir uns an. Der Constable, der uns schon am Vorabend die Ehre gegeben hatte, stand vor der Tür, die zum Garten hinausführte, und sah aus wie ein begossener Pudel. Anscheinend gefiel ihm die Tatsache nicht besonders, dass London ihm seinen Fall wegnehmen wollte. Denn der Inspektor von Scotland Yard, ein äußerst höflicher und zuvorkommender Mensch namens Oliver Holmes, hatte mit seinem Auftreten unmissverständlich klargemacht, dass wir nun unter seiner besonderen Fürsorge stünden.

„Womit haben wir das verdient?“, ich konnte mir diese Frage nicht verkneifen.

Zum einen, weil mir der Constable leidtat, denn er hatte wahrlich nicht viel zu tun in unserem Kaff und zum anderen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, warum das Yard zwei alte Schachteln, die im Yard auch als Nervensägen bekannt waren, bewachen wollte.

„Nun“, der Inspektor nickte mir dankend zu, als ich ihm seine Tasse reichte und er strahlte Bertha an, als diese ihm die Kekse zuschob, „nun, wir wissen, welch hervorragende Arbeit Sie für das Yard geleistet haben.“

Er schmatzte etwas und lächelte uns dafür entschuldigend an.

„Sicherlich können Sie nachvollziehen, dass wir mit der aktuellen politischen Lage und den daraus folgenden kriminalistischen Aktivitäten einiger Weniger, dermaßen ausgelastet sind, dass wir für Hinweise und hilfreiches Handreichen durch unsere Mitbürger, gerade bei unaufgeklärten Fällen, mehr als dankbar sind.“

Bertha konnte es nicht lassen und grunzte abfällig.

„Ihr Chief sah das aber etwas anders.“

Das entlockte mir ein leises Lachen. Bertha und der Chief vom Yard. Wenn man das Wort „Hassliebe“ bildlich darstellen wollte, dann würden Bertha und ihr Chief ein perfektes und anschauliches Bild abgeben.

„Nun …“, das Lieblingswort des Inspektors schien „nun“ zu sein, „Chief Winchester ist im wohlverdienten Ruhestand und der Neue ist wirklich für jede Hilfe dankbar.“

Eine seltsame Aussage und sie schwebte danach im Raum, wie der Gestank einer Stinkbombe, die in einem Klassenzimmer hochgegangen war. Dass sich meine Schwester nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, sich nun – unter gewissen Umständen - mit einem neuen Chief herumschlagen zu müssen, ließen Körperhaltung und Gesichtsausdruck Berthas auch ungeübten Beobachtern gegenüber deutlich werden.

„Woher wissen Sie eigentlich von unserem Einbruch?“, fragte sie ungeniert aggressiv.

„Intranet“, antwortete er brav und schob sich den nächsten Keks in den Mund. „Die schind ächt gut“, quetschte er zwischen seinen Zähnen hervor.

 

Mittlerweile hatte er den Keks in die ewigen Jagdgründe seines Magens mittels eines weiteren Schlucks Tee geschickt und konnte nun wieder einwandfrei sprechen.

„Wir haben bestimmte Keywords, und da alle PCs untereinander vernetzt sind, war es ein Leichtes Ihr Problem hier herauszufinden.“

Er lächelte Bertha gewinnend an. Zumindest versuchte er es.

„Siehst du, Cyn, ich hab dir gesagt, wir brauchen auch PCs.“

Ihr triumphierender Unterton störte mich nicht, da ich wusste, dass sie das System eines Computers nie verstehen würde. Deshalb nickte ich sachte und sie war zufrieden.

„Wenn ich mir jetzt den Raum ansehen dürfte, damit ich mir ein Bild machen kann?“, fragte der Inspektor höflich.

Wir verzichteten darauf häufiger als nötig hinaufzugehen und so übernahm der geschasste Constable die Führung an den Ort des Geschehens. Zehn Minuten später kamen beide zurück.

„Und? Was haben Sie herausgefunden?“, fragte ich ihn, während ich ihm noch einmal Tee einschenkte.

„Nicht viel, zu meinem Leidwesen. Aber sobald ich diesen hervorragenden Tee genossen habe, werde ich die Jungs von der Spur hinaufjagen. Vielleicht finden die was und dann werden wir weitersehen.“

Mit übertriebenem Gesichtsausdruck, der wohl deutlich machen sollte, dass er den Tee wirklich hervorragend fand, nahm er einen weiteren Schluck. Kurz darauf verließ er uns, aber nur um einer Horde wildgewordener weiß gekleideter Männer Platz zu machen, die dann die obere Etage stürmten. Bewaffnet mit kleinen schwarzen Koffern und jeder Menge technischem Gerät nahmen sie dort oben Spuren auf, die ich am Abend vorher schon gesehen hatte. Und das ohne dieses Brimborium. Wir warteten, bis die Invasion der Polizisten uns wieder verließ, und blieben in der Küche sitzen.

„Bist du mit deinen Überlegungen schon weiter?“, fragte mich Bertha, als ich ihr einen Teller für einen Lunch reichte. Ich hielt kurz inne, dann schüttelte ich den Kopf. „Wer wusste, dass wir in Devonshire waren?“

„Alle … vom Kaminkehrer bis hin zum Trottel“, stellte Bertha nach kurzer Überlegung fest.

„Warum jetzt?“, fuhr ich in meinen Überlegungen fort. „Ich meine, Anna ist seit einem Jahr tot und wir waren in diesem Jahr schon häufiger ein paar Tage fort. Warum also jetzt?“

Bertha sah mich fragend an. Dann zuckte sie mit den Schultern und ihr Gesichtsausdruck ließ mich ahnen, dass sie diese Bewegung bitter bereute. Ich stand noch in der Nähe des Herdes und setzte Wasser auf, damit ich ihr eine Wärmflasche machen konnte. Die Kälte der letzten Nacht musste ihr übel zugesetzt haben. Dankbar lächelte sie mich an. Unter medizinischen Gesichtspunkten wusste ich, dass die Wärmeflasche ihr nicht wirklich helfen konnte, aber der Wille allein zählte.

„Ist in den letzten Tagen im Dorf etwas Ungewöhnliches passiert“, fragte ich sie, während ich die Gummiflasche öffnete.

Das war Berthas Stichwort. Der Dorftratsch. Schmunzelnd nahm ich den mittlerweile pfeifenden Wasserkessel vom Herd und goss das Wasser in die Flasche.

„Nein, eigentlich nicht. Nur der Pfarrer hat eine neue Aushilfe. So ein kleines dummes Dingen. Kann nicht geradeaus sehen, die Kleine. Aber was will man machen? Heutzutage muss man auch in der Kirche nehmen, was man kriegt. Wählerisch kann man wohl nicht mehr sein.“

Ich legte ihr die Flasche auf die Schultern und sie seufzte ergeben.

„Danke dir.“

„Hast du das Mädchen gesehen?“, bohrte ich nach und meine Schwester nickte.

„Sie ist wirklich nicht sehr helle“, sie sah mich über den Rand ihrer Tasse hinweg an. Dann lächelte sie. „Wenn du meinst, dass die…?“, sie lachte und schüttelte den Kopf, „… die nicht. Die findet nicht mal ihre Hände in ihren Taschen.“

Keine besonders befriedigende Aussage, wenn man nur ein neues Gesicht in der Gemeinde hatte und einen Einbruch zu klären.

„Aber mir will ums Verrecken ihr Name nicht einfallen.“

Bertha legte die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach. Irgendwann schüttelte sie den Kopf, es schien sinnlos zu sein.

„Warum taucht das Yard hier auf?“

Meine Tasse stellte ich zur Seite und stützte meinen Kopf auf meine Hände. Bertha ahnte, dass ich der Meinung war, hier könne etwas nicht stimmen. „Seit wann schlagen die sich mit einfachen Einbrüchen herum?“

Sie lächelte, denn nun hatte sie verstanden.

„Und außerdem war der Kerl viel zu höflich für einen Polizisten, beinahe schon schmierig. Es sei natürlich“, ich unterbrach mich selbst, um ein Stück Brot zu essen, „die stehen neuerdings alle unter Drogen.“

Jetzt war es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei und sie kicherte wie ein Teenager.

„Ja, du hast Recht. Vor allem der Satz: Der neue Chief würde unsere Arbeit zu schätzen wissen?“, sie runzelte die Stirn, während ich sie anlächelte.

„Die Heizung läuft, vorläufig.“

Einer der Monteure stand in der Küchentür und wischte sich die Hände an einem Lappen ab.

„Der Chef kommt morgen vorbei und nimmt für den neuen Heizer Maß.“

Er nickte und verschwand.

„Neu?“, Bertha fiel aus allen Wolken und ich zog eine schräge Grimasse.

„Das Dingen ist uralt und nur noch notdürftig zu reparieren. Also hab ich uns einen Kostenvoranschlag für eine Neue machen lassen.“

„Teuer?“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739440026
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Mord Scotland Yard Pfarrer Krimi Einbruch

Autor

  • Klarissa Klein (Autor:in)

Klarissa Klein, Jahrgang 1966, lebt und arbeitet seit 17 Jahren mit ihrer Familie im Sauerland und der Normandie. 2009 erschien ihr Erstling „Lustschmerz“ (bluepanther books), weitere Romane im erotischen Genre folgten. 2017 verabschiedete sie sich mit „Games of Trust“ (Droemer Knaur) aus dem romantischen Milieu und folgt seitdem ihren großen Idolen der Kriminal- und Horrorliteratur.
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Titel: Miss Marples Töchter: alte Weiber täuscht man nicht