Lade Inhalt...

Geschichten aus Latexia

von Stejn Sterayon (Autor:in)
145 Seiten

Zusammenfassung

Ein Leben komplett in Latex gibt es nicht? Im fernen Land Latexia schon! 3+1 Geschichten, die von besonderen Schicksalen erzählen, die sich alle im Lande Latexia auf die eine oder andere Art erfüllen! Denn in diesem magischen Land ist mehr möglich, als man denken mag. Zauberhafte Feen, Träume und ganz viel hautenges Latex! Komm mit, vielleicht erfüllen sich auch deine Sehnsüchte dort!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

Weißchen und Schwarzchen

 

Kapitel 1 – Die zwei Schwestern

 

In einem, der unseren Welt fernen, Land, Latexia, genannt, gab es einmal zwei Schwestern. Sie lebten am Rande eines kleinen Dorfes in einem Haus, welches ihnen ihre früh verstorbenen Eltern hinterlassen hatten, auf dass sie es gemeinsam pflegten und hüteten, sodass es immer einen gepflegten Eindruck machte.

Nun war es so, dass im ganzen Land Latexia viel Wert auf Sauberkeit und Ordnung gelegt wurde, nicht zuletzt auch auf die Kleidung, die die Menschen trugen. Denn es war keine gewöhnliche Kleidung, wie man sie bei uns trägt, sondern sie bestand aus einem gummiähnlichen, sehr eng anliegenden Stoff, der die Körper der Einwohner des Landes betonte, zugleich aber auch dafür sorgte, dass die Vergänglichkeit der Schönheit durch eine immerwährende zweite Haut aus genau diesem Stoff erhalten wurde. Dabei wurde die schwarze Variante des Stoffes bevorzugt, aber zuweilen trugen die Bewohner des Landes auch andere Farben wie weiß oder rot, wenn sie aus der Masse der schwarz glänzenden Körper hervorstechen mochten.

So gaben sie sich selbst ein gepflegtes Aussehen, indem sie den Stoff stets gut säuberten und dafür sorgten, dass er in der warmen Sonne des Landes Latexia glänzte. Und immer, wenn dies besonders gut gelang, dann gab es bewundernde Blicke.

Auch bei den Schwestern am Rande des Dorfes war es nicht anders. Sie beide trugen den Stoff ebenso wie die vielen anderen Einwohner des Landes, wo selbst die Kinder bereits an das Tragen gewöhnt wurden, wenngleich es auf spielerische Art und Weise geschah.

Eine der Schwestern trug einen schwarzen Anzug, während die andere weißen Stoff trug. So hatten es die Eltern einst bestimmt, um sie auseinanderhalten zu können, denn die beiden Schwestern waren Zwillinge und unterschieden sich in der äußerlichen Form kaum.

Die Schwester im weißen Gewand wurde schließlich Weißchen genannt, während die andere Schwester Schwarzchen hieß.

Nun war es so, dass die beiden Schwestern nach dem Tode zwar beide das große Haus ihrer Eltern bewohnten, aber sonst im Geiste völlig verschieden voneinander waren.

Schwarzchen frönte der Ruhe und der Glanzpflege ihrer Kleidung, während Weißchen stets alle Arbeit im Hause und drum herum verrichten musste. Deshalb kam sie nur selten dazu, sich ebenso sehr wie Schwarzchen herzurichten, wie es in Latexia Sitte war.

Ganz im Gegenteil, ihre Schwester Schwarzchen sorgte dafür, dass sie stets schmutzig wirkte, als würde Weißchen die Gesetze des Landes nicht verstehen, während sie selbst sich putzte und stets in ihrem schwarzen Anzug glänzte.

Weißchen trug die Last geduldig, denn sie war die jüngere der Zwillingsschwestern und stand somit immer nur an zweiter Stelle. Das traf auch auf das Haus zu. Denn letztendlich durfte sie froh sein, in dem Haus ebenso leben zu dürfen.

„Ach Weißchen“, sagte stets ihre Schwester, „du bist nur zum Arbeiten tauglich, denn, wenn ich dich hier leben lasse in meinem Haus, so musst du dafür auch eine Gegenleistung erbringen.“ Danach trug sie ihr stets weitere schwere Arbeiten auf, die Weißchen nicht nur viel Kraft abverlangten, sondern sie von unten bis oben beschmutzten, sodass ihr weißer Anzug schmuddelig  wirkte und ihr Ansehen im Dorf stets weiter sank, während sie selbst sich Hoffnungen machte, einen Partner fürs Leben zu finden. Denn das war in Latexia nicht anders als in unserer Welt.

So putzte, wusch, reinigte Weißchen den ganzen Tag das Haus von unten bis oben, brachte Wasser aus dem Brunnen, sorgte für Feuerholz für den Kamin und selbst das Essen kaufte sie von dem Vermögen ein, welches ihnen hinterlassen worden war. Freilich bekam sie davon nur den kleineren Teil, denn Schwarzchen nahm sich stets mehr, als sie benötigte.

Wenn es sich schließlich dem Abend zuneigte, war  Weißchen von der Arbeit geschafft, während Schwarzchen unter ihrem schwarzen Anzug die Pölsterchen wegdrückte, die sich mit der Zeit durch ihre Faulheit auftaten, die sie aber kaum wahrhaben mochte.

Sie standen sich im großen Gemeinschaftsraum gegenüber, wirkten wie zwei Seiten einer Münze. Doch konnte Schwarzchen nicht umhin, den Abscheu gegenüber ihrer fleißigen, jüngeren Schwester auszudrücken. „Das kommt davon, wenn man ganz unten steht und zu dienen hat“, offenbarte ihr stets Schwarzchen, dabei musterte sie angewidert den fleckigen und schmutzigen, ja kurz vor dem Zerreißen befindlichen Anzug ihrer jüngeren Schwester. „Sieh dich bloß an.“ Es folgte stets ein fieses Lachen, was Weißchen neben ihrem geschundenen Körper demütigte und mehr als einmal die Tränen über die verschmutzte weiße Gesichtsmaske tröpfeln ließ. Am liebsten hätte sie dann, wenn die Maske nicht offen für Augen und Mund wäre, sondern nur die Nasenlöcher zum Atmen besitzen würde, damit man ihre Trauer nicht sah. Doch das war ein Wunsch, der sich niemals erfüllen würde.

Während sich Schwarzchen in die Heiterkeit des Abends begab und den Tanz in der Diele des Gasthauses wahrnahm, weinte sich das todmüde Weißchen in den Schlaf. Doch wer sonst sollte die Arbeit tun, wenn nicht sie? Schließlich sollte das Erbe ihrer Eltern gewahrt bleiben! Und Schwarzchen tat da rein gar nichts, außer zu repräsentieren.

Das kleine Täubchen, welches vor der zugigen Fensterscheibe der Kammer saß, und sie beobachtete, bemerkte Weißchen indes nicht. Als sie schließlich auf dem unbequemen Lager schlief, flatterte das Vögelchen in Richtung des Waldes davon.

 

 

 

Kapitel 2 – Begegnung im Walde

 

Tagein, tagaus ging das so. Weißchen versorgte Haus und Hof, Schwarzchen dagegen repräsentierte lediglich und tat nichts, was der Instandhaltung von Haus und Hof diente.

Weißchens Kleidung litt weiter und man konnte deutlich erkennen, dass sie bereits ihre Kopfmaske notdürftig reparieren musste, was aber mehr schlecht als recht gelungen war.

„Du gehörst eigentlich gar nicht mehr in dieses Haus, nicht einmal in dieses Dorf oder gar in unser wunderbares Land“, offenbarte schließlich Schwarzchen ihr. Dabei strich sie ihre Kleidung glatt, die aber die kleinen Pölsterchen nicht mehr komplett verbergen konnte. Zwar spannte sich der Stoff straff auf der Haut, lag wie eine zweite Haut an, aber er besaß auch eine gewisse Dehnbarkeit.

„Aber Schwarzchen“, versuchte Weißchen eine Antwort zu geben.

Doch ihre Schwester fiel ihr ins Wort. „Was aber? Du willst doch das Erbe unserer Eltern in Ehren halten. Dann putze gefälligst das Haus. Und weil es kalt werden wird, solltest du dich zudem schicken, Holz aus dem Wald zu holen, damit wir heizen können.“

Weißchen nickte nur kurz. Ihre Schwester hatte ja recht, was das Holz betraf. Sie war nur noch nicht dazu gekommen, welches zu holen.

„Und damit du nicht total verwahrlost, gebe ich dir am Nachmittag frei, damit du dich wenigsten ein wenig in Anstand bringst. Deine Kleidung ist Latexias unwürdig, aber zumindest solltest du sie mal reinigen. Das ist nicht zu viel verlangt. Ich werde derweil im Dorf unterwegs sein, um uns zu präsentieren. Dich kann man ja dort nicht mehr hinschicken.“

Weißchen schaute sich an, schämte sich des zerrissenen, abgenutzten und verdreckten Stoffes. Doch wie sollte sie dies ändern, wenn sie keine Zeit hatte. Vielleicht schaffte sie es zumindest, alles halbwegs zu reinigen, sodass ihr Anzug nicht gänzlich verdreckt und zerlumpt wirke.

„Ich danke dir, Schwarzchen.“

„Dafür nicht. Nun aber schick dich, ehe ich es mir anders überlege. Wenn ich wieder da bin, möchte ich hier Brennholz neben dem Haus sehen.“

Damit wandte sie sich mit einem fiesen Grinsen ab und  verließ das Haus, um ins Dorf zu wandeln, damit alle sahen, wie der schwarze Anzug in der Sonne glänzte.

 

Weißchen indes stand in dem Raum. Auf der einen Seite war es das erste Mal, dass sie am Nachmittag freibekommen hatte. Auf der anderen Seite aber wusste sie auch, dass es kaum möglich war, alle Arbeiten zu erledigen. Doch sie musste es schaffen. Nur dann gab es überhaupt eine kleine Möglichkeit, die Kleidung am Nachmittag zu richten.

„Vielleicht sollte ich erst einmal Brennholz aus dem Walde holen, denn das wird gewiss länger dauern, als das Haus zu reinigen“, sagte sie halblaut zu sich. Sie zupfte den Anzug zurecht, um nicht ganz so zerrissen und fürchterlich auszuschauen. Aber viel war da nicht mehr zu verbergen.

 

 

Dann verließ sie das Haus ebenfalls, nahm eine schwere Kiepe, die neben dem Haus stand, und setzte sie auf. Das Gerät leistete ihr stets gute Dienste, wenn es darum ging, etwas zu tragen. Es schonte den Stoff, den sie trug, denn gerade spitze Äste konnten da schnell etwas zerreißen. Und ehe sie sich das Wenige, was noch ganz war, auch noch kaputt machte, nahm sie lieber dankend die Kiepe zum Tragen.

So machte sie sich schließlich auf den nicht ganz ungefährlichen Weg in den Wald hinein. Es war ihr klar, dass sie recht tief hinein musste, da am Rande kaum noch ausreichend Bruchholz gab, was verwendet werden durfte. Denn es galt als ein ehernes Gesetz in Latexia, nur Bruchholz zum Heizen zu erlauben. Daran hielt sich Weißchen ganz genau.

Es war ein schöner Morgen, der mit seinem Duft dazu verführte, die Luft zu genießen. Die Vöglein sangen und selbst das Gurren eines Täubchens erklang auf ihrem Weg, das offenbar den gleichen Weg hatte.

Natürlich wunderte dies Weißchen, denn Tauben in einem Wald waren eher ungewöhnlich. Trotzdem erfreute es ihr Herz und für einige Momente wich der Ernst des Lebens der Unbekümmertheit der Kindertage, die immer mehr in ihren Gedanken verblassten. Wie glücklich war sie da gewesen, verstand sich bestens mit Schwarzchen. Ganz so, wie es sich für Zwillingsschwestern gehörte. Doch diese Zeit schien lange vorbei. Sie wusste nicht warum, aber nun war davon nichts mehr zu spüren.

Mühsam kam sie mit der Kiepe voran, denn auch ihr Schuhwerk hatte bereits deutlich bessere Zeiten gesehen. Sie musste aufpassen, nicht auch noch den Anzug im Bereich der Füße zu beeinträchtigen, denn das konnte mit dem schlechten Schuhwerk durchaus geschehen. So sah sie sich besonders vor, was aber auf Kosten der zugesagten kargen freien Zeit gehen würde.

Zumindest fand sie ausreichend Holz, wenngleich es wirklich sehr dürr geraten war. Aber es gab ja auch noch andere Sucher. Nicht nur den Schwestern wurde es allmählich kalt.

In den Baumwipfeln glaubte sie, immer noch das Gurren eines Täubchens zu hören. Es war schon recht merkwürdig, tief im Wald dieses Gurren zu vernehmen. Und doch schien es sie auf dem Weg zu begleiten.

Mehr Aufmerksamkeit schenkte Weißchen jedoch dem Boden. Es suchte den Wald gewissenhaft nach Bruchholz ab, dass sie in ihre Kiepe füllen konnte. Wenn sie nun jeden Tag in den Wald ging, würde sich recht bald ein ansehnliches Häufchen Holz zum Verbrennen finden lassen. Vielleicht schaffte sie auch mal mehrere Sammlungen an einem Tag. Dann würde Schwarzchen sicher weniger herablassend zu ihr sprechen.

So langsam füllte sich die große Kiepe auf dem Rücken. Trotzdem brauchte es noch Zeit, bis sie voll war, denn es passte sehr viel Holz hinein. Weißchen scheute nicht die Schwere der Last, denn es bedeutete ein Gang weniger, als wenn sie die Kiepe nur halb füllen würde.

Da hörte Weißchen auf einmal einen lauten Schrei, der nichts Gutes verhieß.

Schnell wuchtete sie die schwere Kiepe vom Rücken, um zu der Stelle zu eilen, an dem offenbar eine Frau in höchster Not schien.

Da konnte das Holz warten, zu helfen hatte Vorrang. Sie würde die Kiepe später wieder auf ihren Rücke wuchten.

Weißchen lief der Stelle zu, von dem sie den Schrei vernommen hatte. Dabei achtete sie kaum auf ihre ohnehin arg lädierte Kleidung. Ob es da einen Riss mehr gab oder eine weitere Stelle einer Verschmutzung anheimfiel, war egal. Hilfe in Not war viel wichtiger als ein makelloser Anzug!

Nach einigen Minuten sah sie die Bescherung.

Eine Frau in einem schwarzen, besonders glänzenden Anzug, saß auf dem Boden und hielt sich ihren Fuß, dessen Zehen jeder einzeln von dem wunderbaren Material umschlossen war. Weißchen wusste, dass es dies gab, aber nur ganz wenige Frauen und Männer in Latexia einen Anzug mit einzeln ausgeformten Zehen trugen.

„Was ist Euch geschehen, gute Dame!“, rief Weißchen aus. „Kann ich Euch helfen.“

„Ach, liebes Kind“, entgegnete ihr da die Dame, „das kannst du gewiss. Auch wenn mein Anzug glänzt und ich jugendlich wirke, so bin ich doch nicht mehr die Allerjüngste. Es wäre so schön, wenn du mir aufhelfen könntest.“

„Das mache ich doch gerne“, entgegnete Weißchen ihr, griff der verunglückten Frau unter die Arme und half ihr, wieder aufzustehen.

Es war nicht ganz einfach, dann jedoch stand die Frau wieder und Weißchen konnte ihre schlanke Gestalt bewundern, die so gar nicht zu einer älteren Dame passen mochte, sondern eher einer ganz besonderen Schönheit entsprach, die einfach auffiel.

„Ihr seht bezaubernd aus“, sagte sie schließlich.

„Ich danke dir herzlich. Doch nun muss ich langsam zu meiner Hütte zurück.“

Die formvollendete schwarze Dame versuchte, vorsichtig zu gehen, aber bereits beim ersten Schritt sah Weißchen, dass es der Dame kaum gelang. Zudem fiel ihr auf, dass sie barfuß in diesem unwegsamen Gelände unterwegs war.

„Wartet einen Moment, liebe Frau. Ich werde Euch zu Eurem Heim begleiten und zu dem euch meine Sandalen leihen, damit ihr mit dem verletzten Fuß besser treten könnt. Ich muss nur noch schnell meine Kiepe mit Holz holen, damit ich sie nicht im dichten Wald verliere.“

„Da freue ich mich aber, mein Kind“, antwortete die schwarz-glänzende Dame. „Aber sag, warum du ganz alleine im Wald das Holz mit einer Kiepe sammelst. Die ist doch sehr schwer.“

„Ja, liebe Frau. Aber so brauche ich nicht so oft in den Wald zu gehen und kann mich mehr um das Haus meiner Schwester Schwarzchen und mir kümmern, denn das will schließlich auch sauber sein.“

„Ist schon recht, mein Kind. Aber warum hilft dir deine Schwester da nicht? Es ist ja euer Haus.“

„Sie repräsentiert derweil unsere Familie. Ich bin dazu ja nicht in der Lage, denn die viele Arbeit hat meinem weißen Anzug sehr zugesetzt.“

„Aha!“, stellte die Dame fest und sah, wie Weißchen davon eilte, um die schwere Kiepe zu holen.

Es dauerte nicht lange, bis sie mit der Kiepe auf dem Rücken wieder auftauchte.

„Und nun nehmt mein einfaches Schuhwerk. Es mögen nur Sandalen sein, auch nicht mehr die besten, aber für euren Fuß ist es besser, als barfuß zu gehen.“

„Ich danke dir, mein Kind“, meinte die alte Dame. „Aber nun musst du barfuß gehen. Ist es deinen Füßen und deinem weißen Stoff nicht ebenso abträglich, wie meinem angeschlagenen Fuß?“

Weißchen schaute ihr in das sehr stark von einer eng anliegenden Maske verhüllte Gesicht. „Bei mir spielt es doch keine Rolle mehr, liebe Dame. Mein Anzug ist zerschlissen und verdreckt, lässt sich kaum noch reinigen. Da machen ein oder zwei abgewetzte Stellen mehr nichts mehr.“

„Ach mein Kind, so darfst du nicht denken. Ich verspreche dir, bei der Reinigung zu helfen, wenn wir meine Hütte erreicht haben.“

Weißchen wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. „Habt Dank, liebe, gute Frau. Doch nun lasst mich Euch erst einmal zu Eurer Hütte bringen.“ Dabei ließ sie die Frau auf der angeschlagenen Seite bei sich abstützen und gemeinsamen Schrittes humpelte die alte, aber wunderschöne, ebenmäßige Frau an Weißchens Seite den Weg zu ihrer Hütte entlang.

Dabei war es der jungen Frau völlig gleich, wenn ihr freier Nachmittag dadurch entfiel. Der Dame zu helfen, gab ihr unendlich viel mehr, als ihren Anzug zu pflegen, für den bereits jede Hilfe zu spät war.

 

 

 

Kapitel 3 – Die Gabe

 

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie die Hütte der alten Frau an abgelegener Stelle im Wald erreichten. Doch tapfer trug Weißchen nicht nur die Last der Kiepe, sondern auch der geschwächten Frau. Dabei schien ihr Leid mit der Zeit abgenommen zu haben, was Weißchen sehr erfreute. Sie hätte sich gar nicht ausmalen können, was gewesen wäre, wenn es nicht der Fall wäre. So aber schöpfte sie Glaube, dass der Fuß bald abheilte.

Die Hütte entpuppte sich als ein geräumiges Haus, war aber gut versteckt worden. Offenbar sollte es nicht jeder zu Gesicht bekommen.

„Herzlich willkommen in meiner bescheidenen Hütte“, begrüßte die Hausherrin Weißchen, nachdem sie den Eingang erreicht hatten. „Ich danke dir sehr für deine Unterstützung. Nun ist es an der Zeit, dir zu helfen.“ Die Dame wendete die Blicke auf Weißchen. „Stelle deine Kiepe nur ab, sie wird keiner fortnehmen und dann komme mit hinein.“

„Aber ich habe nur wenig Zeit, denn ich muss auch noch das Haus aufräumen, damit alles sauber ist und sich meine Schwester Schwarzchen wohlfühlt“, entgegnete Weißchen.

„Wenn deine Schwester Schwarzchen heißt, so wirst du wohl Weißchen sein“, stellte hingegen die Dame fest, ohne zunächst auf Weißchens Worte einzugehen.

„Ja, da habt Ihr recht“, sagte Weißchen. „Nun muss ich aber wieder los, damit ich noch alles zu Hause schaffen kann.“

Sie machte sich daran, die Kiepe wieder auf zu schultern, um das Brennholz nach Hause zu tragen.

Doch da fasste sie die Dame an den Arm. „Nicht so schnell, Weißchen.“

Sie hielt etwas erschrocken inne und schaute der Dame ins Gesicht. „Habe ich etwas falsch gemacht, dann bitte ich Euch um Entschuldigung.“

„Oh nein, Weißchen! Das hast du ganz und gar nicht. Eher das Gegenteil. Du bist eine fleißige, junge Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck trägt, sich nicht zu schade ist, die eigenen Bedürfnisse hinter anderen zu stellen, wenn es nötig sein soll. Du schonst dich nicht, achtest nicht mal auf deinen wunderbaren weißen Anzug, wenn es darum geht, die Arbeit zu verrichten, die nötig ist.“ Weißchen schaute sie an und wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie senkte einfach ihren Blick.

„Komm mit in mein Haus, denn ich habe dir versprochen, dir beim Reinigen deines Anzuges zu helfen. Und das Versprechen werde ich halten. Einer solchen fleißigen jungen Frau muss einfach geholfen werden.“

Im gleichen Moment öffnete sich die Tür wie von selbst und die Dame zog Weißchen mit ins Haus. Von dem verletzten Fuß war nichts mehr zu spüren. Zudem besaß die alte Dame in ihrem besonders schön glänzenden schwarzen Anzug mehr Kraft, als sie ihr zugetraut hätte. Irgendetwas schien in Weißchens Augen nicht mit rechten Dingen zuzugehen.

Als sie im Gebäude waren, schloss sich die Tür wieder und die bezaubernde Dame in Schwarz ließ das zerlumpt wirkende Weißchen wieder los.

„Wer seid Ihr?“, stieß da das Weißchen hervor und zuckte ein Stück weit zurück.

„Ich sehe, du hast gemerkt, dass ich nicht ganz so hilflos bin, wie es auf den ersten Blick erscheint. Aber du brauchst keine Angst vor mir zu haben, denn dir wird nichts geschehen. Ganz im Gegenteil, du sollst etwas erhalten, eine ganz besondere Gabe, die du dir redlich verdienst hat.“ Dabei zeichnete sich auf der schwarzen und undurchdringlich wirkenden Kopfmaske eine Art Lächeln ab, das Weißchen irritierte, da sie so etwas noch nie in einem Gesicht beobachten konnte.

Die Dame holte sie jedoch aus ihren Gedanken hervor, ehe sie weitere Beobachtungen machen konnte. „Zu deiner durchaus berechtigten Frage. Nun, ich bin eine Fee, die hier im Wald lebt und doch überall sein kann. Ich beobachte die Menschen in Latexia und auch anderswo. Und wo immer ich ein Unrecht erkenne, versuche ich zu helfen. So auch bei dir, mein liebes Weißchen.“ Die Stimme nahm dabei einen sehr gütigen Ton an.

„Aber mir geschieht doch kein Unrecht“, meinte Weißchen.

Die Fee schüttelte den Kopf. Weißchen war eines so reinen Herzens, dass sie selbst die größte Erniedrigung und Herabwürdigung nicht als Unrecht ansah, dabei wurde es ihr jeden Tag angetan.

„Ich beobachte dich und deine Schwester jeden Tag“, sagte da die Fee. „Erinnere dich nur an das kleine Täubchen, das dich mit seinem Gurren auf dem Wege in den Wald begleitet hat.“

„Das wart Ihr?“, fragte da die junge Frau.

„Ja, das war ich. Es ist eine meiner Gaben, mich verwandeln zu können. So kann ich unerkannt beobachten und dort eingreifen, wo es nötig ist. Doch das ist jetzt nicht so wichtig. Mir liegt vielmehr am Herzen, dich wieder zu einer stolzen Frau zu machen, die ein Leben in Würde lebt. Du sollst dich nicht schämen müssen, weil sich die Kleidung nicht richtig säubern lässt und immer mehr zerreißt.“

Weißchen senkte erneut den Blick. Sie sah das bisher immer anders, suchte in sich selbst die Schuld, sich zu wenig zu pflegen. Aber die Arbeit am Haus, die Bewahrung des Erbes ihrer Eltern, daran lag ihr sehr viel. Sie sorgte für die Pflege des Erbes, Schwarzchen für das Repräsentieren.

„Grüble nicht, Weißchen“, holte sie die seltsame Fee aus ihren Gedanken hervor. „Vertraue mir einfach.“

Weißchen schaute der Fee ins maskenbedeckte Gesicht. „Vertrauen!?“

Die Fee nickte, anschließend murmelte sie einen Zauberspruch und nur einen Moment später stand Weißchen vollkommen unbekleidet vor ihr. Ihre alter, zerrissener und verschmutzter Anzug samt Kopfmaske war verschwunden. Es war schon Ewigkeiten her, dass sie zum letzten Mal nichts trug.

„Nun bin ich ...“, versuchte sie zu einem Satz anzusetzen, der ihrer Empörung Ausdruck verleihen sollte. Schließlich galt es in Latexia als verpönt, komplett nackt zu sein. Nicht umsonst wurde viel Wert auf den glänzenden Stoff gelegt, der eng an die Haut gepresst den ganzen Körper bis auf ganz wenige Ausnahmen bedeckte.

„Habe keine Angst, du wirst wieder gekleidet sein, wie es die Sitte des Landes erfordert. Doch bevor du wieder erglänzen kannst, muss ich das Alte, Kaputte, Vergangene für immer von dir bannen. Nur so gibt es Platz für Neues!“

Weißchen nickte kurz. Da hatte die Fee recht, auch wenn ihr es nicht geheuer erschien. Schließlich tat sie nur dass, was jeder tun sollte, wenn sich jemand in Not befand. Das war nichts Besonderes.

„Du hast wirklich einen bezaubernden Körper“, lobte sie die Fee. „Alles ist in richtigen Proportionen, abgehärtet durch die Arbeit, die du tagtäglich verrichtest.“

„Ich danke Ihnen“, entgegnete Weißchen. „Aber ich bin nur eine ganz durchschnittliche Frau, die tagtäglich ihre Arbeit verrichtet. Mehr nicht.“

Die Augen der Fee lächelten sie aus der Maske an. „Doch, du bist etwas Besonderes!“

Dann murmelte sie erneut einige Worte und schlagartig wurde Weißchen von neuem, glänzenden Stoff in weißer Farbe umhüllt, der sich ganz ihrer Körperform anpasste und sie zudem auch an Stellen umhüllte, wo sie es nie vermutet hätte.

„So gefällst du mir schon viel besser als in dem zerschlissenen Anzug“, meinte die Fee und berührte sie am perfekt umhüllten Kopf.

Weißchen wusste gar nicht, was sie sagen sollte. Dieser Anzug war etwas, was ihr nicht zustand. Sie war jetzt so perfekt gekleidet, als wäre es eine zweite Haut, die sie nahezu überall umhüllte und sich dabei so geschmeidig anfühlte, als wäre es ihre Haut.

„Das ist unglaublich“, fand sie schließlich ihre Worte wieder. „Das habe ich doch gar nicht verdient.“

„Doch, das hast du, mein Kind“, gab ihr die Fee zurück. „Wer eines solch reinen Herzens wie du ist, hat es verdient.“ Sie strich Weißchen dabei über den Kopf. „Dieser Anzug ist jedoch noch ein wenig mehr, als du dir im Moment vorstellen kannst.“

„Mehr?“ Weißchen schaute die schwarz glänzende Fee aus ihrem weißen und ebenso stark glänzenden Stoff an.

„Oh ja, mein Kind. Ich wäre eine schlechte Fee, wenn ich dir nur einen neuen Anzug gegeben hätte, der ebenso schnell und rasch durch die tagtägliche fleißige Arbeit in Mitleidenschaft gezogen würde. Der Stoff, der dich kleidet, weist magische Fähigkeiten auf, denn er wird niemals schmutzig sein. Jede Art von Dreck und Unrat wird abtropfen. Zudem wird er nie verschleißen und rissig werden. Wenn du Lust empfinden willst, so wird er dir diese geben, wenn du komplett eingeschlossen sein willst, um eine ganz besondere Enge zu verspüren, auch das wird dir erfüllt werden, ohne dass du Schaden nimmst. Und da gibt es noch einige Dinge mehr, die dich aber überraschen sollen, wenn du sie erlebst.“ Die Augen der Fee zeigten sich weiterhin voller Güte. „Es gibt nur eine Bedingung!“

Weißchen blickte erschrocken auf. „Welche denn?“

„Du musst immer so ehrbar und fleißig bleiben, wie du bist.”

„Ich denke, diese Bedingung werde ich mit Leichtigkeit erfüllen“, entgegnete Weißchen.

„Da habe ich keine Bedenken, denn die Reinheit deines Herzens wird dich auf einem guten Wege leiten.“

„Da danke ich Euch von ganzem Herzen.“ Dann warf sie sich der schwarzgekleideten Fee in die Arme.

Die Fee spürte, den ehrlichen und herzlichen Dank Weißchens.

„Nun muss ich mich aber eilen, liebe Fee, damit ich nicht zu spät zu Hause ankomme. Schließlich muss ich da noch einiges herrichten und ganz gewiss wird meine Schwester Schwarzchen die Freude über meine neue Kleidung teilen. Denn nun kann ich mich auch wieder im Dorf zeigen.“

„Aber gewiss doch, mein Kind.“ Doch hegte die Fee aus dem Wald Zweifel daran, ob sich Weißchens Schwester wirklich mit ihr freute. Denn Weißchen erstrahlte in ihrem Weiß noch viel mehr als das Schwarzchen in ihrem Schwarz, in dem sich das müßige Leben immer deutlicher zeigte.

„Habt nochmals vielen Dank, liebe Fee. Euch werde ich das nie vergessen.“ Dann wandte sie sich zur Tür und stieß sie auf. Doch drehte sie sich noch einmal kurz um.

„Auf Wiedersehen!“

Die Fee war nicht mehr zu sehen.

Weißchen schritt über die Schwelle und merkte erst jetzt, dass sie neue Sandalen trug. Die Fee hatte an alles gedacht.

Als sie schließlich draußen war und die Tür schloss, spürte sie, wie ihr kurz schwarz vor den Augen wurde. Doch dauerte es nur einen winzigen Moment. Dann sah sie sich dem elterlichen Haus gegenüber, neben ihr die Kiepe voll bestem Holz. Und über ihrem Kopf gurrte ein Täubchen, ehe es davonflog.

„Ich danke dir liebe Fee!“, rief Weißchen dem Täubchen hinterher, denn es konnte nur die Fee aus dem Wald sein, die sich wieder in eine Taube verwandelt hatte.

Als der Vogel außer Sicht war, machte sie sich daran, das Holz zu stapeln und dabei zeigte es sich, dass die Fee wohl auch beim Holz ein wenig Zauber hatte einfließen lassen. Denn es war mehr Holz in der Kiepe, als diese hätte fassen dürfen.

Nochmals dankte sie der Fee. Und siehe da, kein Dreck zierte den Anzug. Er war noch genauso weiß wie in der Hütte der Fee. Es würde ihr viel Zeit ersparen. Aber Weißchen war sich ganz sicher, dass sie ihn trotzdem pflegen würde. Ganz so, wie es sich gehörte! 

 

Kapitel 4 – Als Schwarzchen nach Hause kam

 

Die Arbeit im Haus erledigte sich fast wie von selbst, sodass Weißchen tatsächlich noch ein wenig Zeit fand, sich um ihren neuen, so wundervollen Anzug zu kümmern, der wie eine zweite Haut an ihrem Körper lag und das gewisse Gefühl vermittelte, dessen man sich in ganz Latexia rühmte. Die Fee hatte ihr da wirklich ein ganz zauberhaftes Geschenk gemacht, dessen sie sich gar nicht recht würdig fühlte.

Tatsächlich perlte der Schmutz vom Anzug, als wäre es Wasser. Die Fee in Schwarz hatte nicht gelogen, was dies betraf. Sie würde immer den perfekten, glänzenden Anzug mit der wunderbaren Maske tragen. So recht mochte Weißchen das noch immer nicht glauben.

Zu arbeiten war ihr stets lieb. Etwas zu schaffen wirkte viel erfüllender, als sich dem Müßiggang zu verschreiben. Wie ihre Schwester das nur aushielt?

In diesem Moment hörte Weißchen die Tür gehen. Schwarzchen kam aus dem Dorf zurück und würde sicher Augen machen, wenn sie ihren neuen Anzug sah.

Einen Moment später öffnete sich die Tür zur kleinen Küche, in der es sich Weißchen bequem gemacht hatte, um dem glänzenden Stoff auf ihrer Haut Pflege angedeihen zu lassen.

Schwarzchen blieb abrupt stehen, als sie das strahlende Weißchen erblickte.

„Wer bist du?“, polterte sie zugleich los. „Was hast du in diesem Haus zu suchen? Und wo ist das Weißchen?“

Sie kam kaum zum Atemholen.

„Dieses nichtsnutzige Ding schafft es nicht einmal, unser Haus vor Fremden zu schützen.“

Dann drehte sie sich um und schrie laut „Weißchen!“

„Ich bin doch hier“, entgegnete ihr Weißchen und stand vom Stuhl auf.

Da drehte sich Schwarzchen wieder zu ihr um. „Du bist Weißchen? Aber, wie ...“, sie fand keine Worte, um ihre Überraschung auszudrücken. Das ist doch unmöglich ...“, setzte sie schließlich nach etlichen Momenten hinterher.

Sie starrte ihre Schwester an, als wäre es eine Fremde. Das war nicht das Weißchen, das sie kannte, sondern eine wahre Dame, deren Stoff die Vorzüge so sehr betonte, dass es ihr schier den Atem verschlug.

Es war die perfekte latexialische Frau, die da vor ihr stand. Mochte sie selbst sich noch so stark putzen, gegen dieses strahlende Weiß kam sie nicht an.

„Du freust dich gar nicht, dass ich mich endlich wieder  gesellschaftsfähig zeigen kann?“, fragte Weißchen betrübt nach.

„Für die Gesellschaft bin ich zuständig, das haben wir schon vor langer Zeit geklärt. Bei dir hätte es auch weiter der alte Anzug getan. Ich will gar nicht wissen, wie du die viel zu glänzende Kleidung gekommen bist. Aber lange wird er nicht strahlen, dafür werde ich sorgen. Schließlich macht sich die Arbeit nicht von alleine.“

Die Augen Schwarzchens funkelten ihre Schwester böse an.

„Du arbeitest und ich repräsentiere. Damit das gleich klar ist, Weißchen.“

Weißchen nickte. Sie verstand sehr wohl, wie die Rollenverteilung in diesem Haus funktionierte. Dabei hatte sie gehofft, sich nun doch wieder ab und zu im Dorf sehen lassen zu dürfen. Dieser Traum würde wohl für den Moment unerfüllt bleiben.

„Und nun schick dich, du hast sicher noch etwas zu tun“, meinte schließlich Schwarzchen.

„Eigentlich habe ich alle Arbeiten gemacht, die zu erledigen waren.Darüber hinaus hast du mir einen freien Nachmittag versprochen.“

„Der ist gestrichen.“

Man sah es Schwarzchen deutlich an, dass sie alles andere als erfreut über Weißchens neue Kleidung war. Diese perfekt vom Stoff umhüllte Frau durfte ihr nicht den Rang ablaufen, denn zweifelsfrei konnte ihre Schönheit den Männern den Kopf verdrehen. Männern, denen sie lieber sie selbst den Kopf verdrehen wollte.

Weißchen wandte sich zur Tür. „Ich werde mal meine Kammer aufräumen“, meinte sie schließlich. Das war zwar eher eine kleine Notlüge, um sich ihrem neuen Anzug intensiver widmen zu können, aber das musste Schwarzchen nicht wissen. Weißchen spürte es ganz genau, wie der Neid am Herzen ihrer Schwester nagte. Sie würde sich jetzt noch mehr putzen wollen.

„Das wäre schon mal ein Anfang. Sieht ja immer wie ein Schweinestall aus!“

Das stimmte zwar nicht, da sich Weißchen eher bescheiden auf Stroh bettete, war ihr Schlafplatz bei Weitem nicht der Eleganz eines schönen Bettes fähig.

 

So begab sich Weißchen in ihre Kammer, während Schwarzchen damit zu kämpfen hatte, nun nicht länger eine bescheiden aussehende Schwester zu haben. Aber sie würde dafür sorgen, dass sie genug zu Geltung kam, während ihre Schwester mit Arbeit zugedeckt würde.

Vielleicht fertigte man auch ihr einen neuen Anzug und eine neue Kopfmaske, die ihren Körper wieder so betonten, wie er es verdient hatte und die kleinen Pölsterchen wegzudrücken schaffte, die ihre Gestalt zu verunstalten begannen.

„Dir werde ich ganz schnell wieder zeigen, wie die Verhältnisse in diesem Haus sind“, sagte sie halblaut vor sich hin. Dann begab sie sich in den Wohnraum, um das zu tun, was sie am liebsten tat: dem Müßiggang frönen.

 

***

 

Weißchen indes legte sich in ihr Bett aus Stroh, um auszuruhen, denn ihre Kammer hatte sie längst aufgeräumt. Ein Stück weit war sie traurig darüber, wie ihre Schwester Schwarzchen auf den neuen Stoff an ihrem Körper reagiert hatte. Letztendlich waren sie doch beide die Frauen des Hauses.

Kleine Tränen kullerten aus ihren Augen und wieder einmal stellte sie sich die Frage, warum sie nur so verschieden voneinander waren. Eine Antwort fand sie darauf jedoch nicht. Das alles hätten ihre Eltern sicher nicht gewollt. Doch die konnten nichts mehr sagen und sie hatte ihre Rolle angenommen.

Da merkte sie auf einmal, wie sie der weiße Stoff noch enger umspannte, selbst die Augenlöcher und den Mund auf seltsame Art und Weise verschloss, währenddessen er in ihre Scham hinein wuchs, als sei es der Freudenspender eines Mannes.

Was hatte das zu bedeuten? Wollte der Anzug sie auf seltsame Art und Weise trösten?

Da begann er, sie zu verwöhnen und Weißchen ahnte, dass in ihrer neuen Bekleidung viel mehr Magie steckte,  als nur die Gabe, stets sauber und glänzend zu wirken. Davon hatte ihr die Fee nichts gesagt.

Doch einen Moment später begann sie, einfach zu genießen. Der Anzug verstand es, ihr in der Trauer Freude zu geben. Das war ihr sehr viel wert.

Langsam, aber mit steigender Lust, fühlte sie ein sanftes Verführen. Der Stoff umschmiegte und liebkoste zugleich, steigerte ihre Lust, sodass Weißchen unaufhörlich in eine immer tiefere Ekstase hinein glitt, abgeschirmt von außen, nur auf sich selbst fixiert. Vergessen waren die bitteren Tränen, die Worte ihrer Schwester. Jetzt zählte nur noch das Hier und Jetzt, bis sie schließlich die absolute Erfüllung fand.

Am Fenster der Kammer konnte man ein Täubchen gurren hören. Es war zufrieden mit dem, was es durch die fast blinden Scheiben des kleinen Fensters erblicken konnte.

 

***

 

Schwarzchen hingegen saß in ihrem Schlafzimmer und pflegte den Stoff auf ihrer Haut. Doch so sehr sie sich auch abmühte, so strahlend und glänzend wie der seltsame neue Anzug ihrer Schwester wurde ihrer nicht. Da mochte sie sich bemühen, aber ihr Anzug glänzte einfach nicht so sehr wie der von Weißchen. Zudem hatte er noch damit zu kämpfen, die kleinen Pölsterchen zu verdecken.

Im Haus war es erstaunlich ruhig, denn normalerweise hörte sie immer ihre Schwester schuften. Das war auch gut so, denn schließlich sollte ihr Haus glänzen. So glänzen, wie es der Stoff tat, den sie trug. Mochte Weißchen zerrissen und lumpig aussehen, ihr war das egal. Sie schließlich war die, die das Haus nach außen hin repräsentierte. In der Welt von Latexia zählten  Sauberkeit und die schönen Dinge des Lebens, wie der alles verdeckende, und zugleich auch zeigende, glänzende Stoff. Schmutzige und zerrissene Kleidung fanden da keinen Platz.

Doch dieser neue Anzug von Weißchen, der überstrahlte alles, was sie bisher in der Welt sehen durfte. Schwarzchen konnte kaum umhin, sich zu fragen, wer ihr diese Pracht angezogen hatte. Dieser Anzug, der überirdische Glanz und das perfekte Sitzen schienen nicht von dieser Welt zu sein. Eigentlich viel zu schade für Weißchen, die ihn ohnehin wieder einsauen und zerreißen würde. Aber an ihr, da würde es glänzen können, auch außerhalb der eng begrenzten Mauern des elterlichen Hauses.

„Vielleicht sollte ich sie einfach fragen, sie wird mir schon  Antwort geben“, dachte sich Schwarzchen. „Es wäre doch gelacht, wenn ich nicht ebenso glänzen könnte wie sie.“

Sie stellte ihr Pflegemittel weg und beschloss, zu Weißchens Kammer zu gehen, um nachzufragen. Wie sie ihre Schwester kannte, so würde jene sicher nicht zögern, ihr es mitzuteilen. Sie war eben nur das naive Weißchen, das alles glaubte und sich an das Erbe ihrer verstorbenen Eltern klammerte. Letztendlich aber auch ihr eigenes Glück, denn so konnte sie selbst das tun, was ihr am besten lag.

Nachdem sie die steile Treppe hinauf gestiegen war, da die Kammer abseitig im oberen Geschoss des Hauses lag, horchte Schwarzchen an der Tür.  

Es kam ihr immer noch verdächtig leise vor. Spätestens hier hätte sie Weißchens Rumoren und Klappern hören müssen. Doch nichts dergleichen ließ sich vernehmen. Offenbar räumte und putzte sie doch nicht ihre Kammer.

Schwarzchen wollte zunächst klopfen, aber das wäre gegenüber ihrer Schwester viel zu höflich gewesen. Weißchen war es nicht wert.

Darum riss sie die unverschlossene Tür einfach auf und wollte sie ganz gehörig anschreien. Doch Schwarzchen blieb offenen Mundes stehen, denn sie sah Weißchen in ihrem Bett aus Stroh liegen, komplett mit dem weißen Stoff bedeckt. Trotzdem ließ ihr sich hebender und senkender Brustkorb erkennen, dass sie atmete. Dabei waren selbst mögliche Atemlöcher in der nun vollständig verhüllenden Kopfmaske nicht vorhanden. Ihre Schwester sah aus wie eine Puppe, deren Gesicht fehlte. Aber genau das war etwas, was besonders die Frauen in Latexia faszinierte. Da war Schwarzchen wie die vielen anderen Frauen des Landes.

Umso mehr wurmte es sie, dass Weißchen genau dieses besondere Gefühl erleben durfte. Dieses Weißchen, was für sie nicht mehr als ein unnötiges Anhängsel war.

Da fand sie ihre Sprache wieder und brüllte ihre Schwester an. „Weißchen! Wer hat dir erlaubt, Muße zu tun. Stehe sofort auf und arbeite, wie es sich für eine Frau deines Standes gehört.“

Dabei betonte sie vor allem die letzten Worte derart, dass sie abwertend klangen. Und das sollten sie auch.

Doch es brauchte, bis ihre Schwester reagierte.

 

***

 

Aus der Ferne des Bewusstseins hörte Weißchen die Schwester rufen. Fast hätte jene es geschafft, ihre tiefe innere Lust und die Befriedigung derer zu zerstören. Aber es war gut gegangen.

Der Anzug zog sich aus ihr zurück und auch ihr Gesicht wurde wieder freigegeben, sodass sie direkt in Schwarzchens zornig dreinblickende Augen schauen konnte.

„Das nennst du sauber machen?“, polterte jene schließlich los.

Aber Weißchen erkannte, dass das nicht alles war.

„Sag mal, woher hast du eigentlich diese seltsame Kleidung her? Die ist wohl kaum einfach so zu dir gekommen, oder?“

Weißchen schüttelte den Kopf.

„Das ist eine seltsame Geschichte, Schwarzchen.“

„Wenn du mir sie erzählst, dann kann ich vielleicht darüber hinweg sehen, dass du mich angelogen hast, was das Saubermachen betrifft.“

Weißchen nickte, denn es lag ihr fern, jemanden anzulügen. Also gab es für sie keine andere Möglichkeit, als über ihre Erlebnisse im Wald zu berichten.

Bei ihrer Schwester erzeugte ihr Bericht immer mehr Neugier, aber sie spürte auch ganz genau die Abneigung Schwarzchens ihr gegenüber. Es war ihr bisher noch nie aufgefallen, doch nun merkte sie es überdeutlich, dass da ein gewisser Hass ihr gegenüber herrschte. Oder war es Neid, weil sie diese besondere Kleidung für ihre Hilfe erhalten hatte?

„Und du bist für deine Mühen derart fürstlich entlohnt worden?“, fragte Schwarzchen schließlich noch einmal nach und erntete von Weißchen ein bejahendes Nicken.

„Ja, so ist es, Schwarzchen. Ich bin ja selbst ganz verwundert darüber und empfinde es als sehr großzügig.“

„Das ist viel zu großzügig“, meinte daraufhin Schwarzchen und merkte gar nicht, dass Weißchen den gemeinen Hintergrund genau zu deuten wusste. „Aber gut, dass du mir das verraten hast“, setzte sie dann fort. „So weiß ich genau, was ich morgen machen werde.“ Dabei überzog ein höhnisches Grinsen das Gesicht. „Und du wirst derweil Fenster und Türen streichen, denn die sind schon lange fällig.“

Das Schwarzchen dabei Hintergedanken hegte, wurde auch Weißchen bewusst. Doch sie glaubte an das, was die gutherzige Fee versprochen hatte.

„Nun schick dich in die Küche, es wird Zeit für das Abendmahl.“

Weißchen widersetzte sich nicht und Schwarzchen folgte ihr auf dem Fuße. Morgen würde sie wieder die schönste Frau des Hauses sein.

An der fast blinden Scheibe der Kammer ließ sich der Schatten eines Täubchens erkennen und das Gurren nur schwerlich überhören.

 

 

 

Kapitel 5 – Schwarzchen im Wald

 

An nächsten Morgen stand Schwarzchen ebenso früh  wie Weißchen auf. Das geschah zwar sehr selten, aber wenn sie sich ein Ziel setzte, was höchst selten geschah, dann brachte sie dieses Opfer.

Heute hatte sie sich ein solches Ziel gesetzt, indem sie sich auf Weißchens Spuren in den Wald begab, um die seltsame Fee zu finden, die derartig großzügige Geschenke machte. Schließlich verdiente auch sie einen neuen Anzug, viel mehr noch als Weißchen. Die war nur im Haus und der näheren Umgebung, sie dagegen repräsentierte.

Vorsichtig strich sie noch einmal alles zurecht. Auch im Wald war es nicht verkehrt, ordentlich aufzutreten. Allerdings verzichtete sie auf die Kiepe und das Holzsammeln. Das überließ sie lieber Weißchen.

Als sie mit ihren Vorbereitungen schließlich fertig war, rief sie Weißchen zu sich, deren Anzug noch immer strahlte, als wäre er ganz frisch.

„Ich werde heute in den Wald gehen, Weißchen, um diese seltsame Frau aufzusuchen, die du als Fee bezeichnet hast. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht einen ebenso schönen neuen Stoff angezogen bekomme, um unser Haus in Zukunft noch besser zu repräsentieren. Schließlich will ich auch weiter für einen guten Ruf sorgen. Die Fee wird das sicher verstehen.“

„Ganz sicher“, bestätigte Weißchen ihr, obwohl sie einige Zweifel daran hatte.

Aber sie wünschte ihrer Schwester nur das Beste. Das verdankte sie ihrem reinen Herzens.

„Und du wirst derweil die Fensterläden streichen, denn die haben es dringend nötig. Farbe sollte noch im Hause sein.“

„Aber die habe ich doch vor gar nicht langer Zeit gestrichen“, entgegnete Weißchen ihr.

„Dann warst du dabei wohl nicht gründlich genug“, kam es von Schwarzchen. „Oder willst du das Erbe unserer Eltern nicht mehr pflegen?“

Weißchen schüttelte ihr Haupt. Das lag ihr fern.

„Dann streiche die Läden noch mal neu und alles ist in Ordnung. Wenn ich wiederkomme, dann möchte ich Ergebnisse sehen.“

Dann wandte sich Schwarzchen ohne ein weiteres Wort um und ging zur Haustür, um kurz darauf die Fee im Wald zu suchen. Das fleißige Weißchen hingegen ging auf die Suche nach der Farbe, die sie brauchte, um die Läden neu zu streichen.

 

***

 

Schwarzchen war froh, eine Arbeit für Weißchen gefunden zu haben, denn eigentlich konnten sich die Läden durchaus sehen lassen. Aber schließlich durfte Weißchen nicht in dem strahlenden weißen Anzug bleiben. Vielleicht mochte Schmutz daran abperlen, bei Farbe jedoch wirkte die zauberhafte Kraft ganz gewiss nicht. Dann würde Weißchen wieder das schmutzige Weißchen sein, neben der sie in ihrem Schwarz erstrahlte. Voller Freude überzog ihr Gesicht ein selbst durch die Gesichtsmaske erkennbares Grinsen. Über ihr war das Krächzen eines Rabenvogels zu hören, das die eher lieblichen Klänge der Natur übertönte.

Schritt für Schritt ging sie in den Wald hinein, der ihr allerdings kaum gefiel. Es gab zu viele Äste und Gestrüpp, die dem Stoff arg zusetzen konnten. Vielleicht hätte sie sich direkt von Weißchen hinführen lassen sollen, aber das verbot Schwarzchens Stolz.

Wie konnte es Weißchen nur in diesem Dreck aushalten? Schwarzchen widerte der Wald an. Nun ja, Weißchen sorgte für Feuerholz, da war der Wald für sie eher nebensächlich. Bei Weißchen war da ohnehin nichts mehr zu verderben, denn mit der Zeit würde auch ihr neuer Anzug den Glanz verlieren, schmutzig werden und kaputt gehen. Nichts hielt ewig, wenn man es zu sehr beanspruchte.

Immer tiefer schritt Schwarzchen in den Wald. Alleine mochte sie kaum den Weg zurück nach Hause finden. Aber das war auch keine Absicht ihrerseits, denn sie hoffte da ganz und gar auf die Fee. Laut ihrer Schwester, hatte sie jene ganz sicher direkt vor ihre Haustür gebracht. Das mochte bei ihr genauso sein. Weißchen hatte noch nie die Unwahrheit gesagt, sah man mal davon ab, dass sie sich lieber ihrem neuen Anzug hingab, anstatt Frust beim Reinigen zu haben.

Obwohl sich Schwarzchen auf den nicht vorhandenen Weg konzentrierte, hörte sie auf einmal einen Aufschrei in der Nähe. Sie blieb für einen Moment stehen und schaute in die Richtung, aus der der Schrei kam. Doch sie konnte  zunächst nichts sehen.

„Wenn das die seltsame Fee ist, dann muss sie ein wahrer Tollpatsch sein“, stellte sie für sich fest.

Trotzdem machte sie sich langsam auf den Weg, denn schließlich musste sie ja schauen, wer es da gewesen war, der den markanten Schrei ausgestoßen hatte. Es konnte schließlich auch eine völlig andere Person sein.

Nach etlichen Momenten fand sie schließlich eine in ebenso schwarzen Stoff wie sie gekleidete Frau vor, die sich den linken Fuß hielt. Dabei saß die Frau wie ein Häufchen Unglück da und Schwarzchen konnte nicht umhin über so viel Tollpatschigkeit zu schmunzeln.

„Du solltest wohl mehr auf den Weg achten, als auf den Glanz deiner Bekleidung, dann passiert das nicht“, fuhr sie die Frau an.

Dabei hielt sie es ganz genau so.

„Vielleicht sollte ich das“, gab die Frau zurück. „Kannst du mir helfen, um wieder auf die Füße zu kommen?“

Schwarzchen wollte erst ablehnen, doch da fiel ihr ein, dass es besser sein könnte, ihr den Gefallen zu tun. So trat sie näher auf die Frau hinzu, fasste sie bei den Armen und zog sie so derb nach oben, dass jene bald erneut gefallen wäre. Die Frau verzog vor Schmerz ihr Gesicht, was selbst unter der eng anliegenden Maske sich nicht übersehen ließ. „Bitte sehr!“, gab Schwarzchen danach kurz zurück.

„Ein wenig sanfter wäre besser gewesen. Beinahe wäre meine Bekleidung zerrissen.“ Die Frau schaute sie an. „Aber trotzdem danke.“

„Dann hat der Stoff aber keine besonders gute Qualität“, erwiderte Schwarzchen überzeugt.

„Vielleicht! Ich muss ihn in meiner Hütte prüfen. Aber mein Fuß lässt kein schnelles und sicheres Gehen zu. Es wäre sehr lieb, wenn du mich begleiten könntest, damit ich sicheren Fußes nach Hause komme.“

„Aber sicher doch“, entgegnete Schwarzchen, doch unterstützte sie nicht, als die schwarz gekleidete Frau anfing, unter Schmerzen in eine bestimmte Richtung zu humpeln. Doch Schwarzchen sah keine Veranlassung sie zu stützen, sondern schritt neben ihr her, immer sorgsam darauf bedacht, ihren Anzug nicht zu zerreißen.

Und vielleicht konnte ihr die Fee, denn um diese handelte es sich ganz bestimmt, wenn Weißchen nicht gelogen hatte, auch einen neuen, passend sitzenden Anzug geben. Damit ließ sich dann das verdecken, was ihr im Moment nicht gerade zum Vorteil gereichte.

Mehr schlecht als recht ging es auf diese Weise immer tiefer in den Wald hinein, bis sie das Haus der Frau erreichten, das auch in Schwarzchens Augen alles andere als eine Hütte war. Der Fee musste es wirklich sehr gut gehen, wenn sie sich ein solches großes Haus mitten im irgendwo leisten konnte.

„Da wären wir“, ließ sich erschöpft die Frau vernehmen, deren Fuß sich eher verschlimmert denn verbessert hatte. Der lange Weg ohne Unterstützung war dem Fuß nicht besonders gut bekommen. Er schien angeschwollen zu sein.

Die Frau öffnete die Tür und trat hinein. Schwarzchen folgte ihr einfach, ohne zu fragen. Schließlich war auch ihre Schwester im Haus willkommen gewesen. Da galt für sie nichts anderes.

An ihrer glänzenden Kleidung konnte Schwarzchen einige Verunreinigungen erkennen, die sich trotz aller Vorsicht auf ihrem Anzug abzeichneten.

„Um deine Kleidung kümmern wir uns später“, meinte da die Frau. „Zunächst müsste ich meinen geschwollenen Fuß behandeln und den Stoff zerschneiden. Denn der drückt ganz erheblich.“

Sie schaute zu Schwarzchen hinüber, die nach wie vor am Eingang stand.

„Wenn du mir vielleicht ein Messer reichen könntest. Ich muss mich setzen, der Fuß schmerzt zu sehr.“

„Wo finde ich das denn?“, fragte Schwarzchen etwas verwundert nach.

„In der Küche, gleich einen Raum weiter.“

Dabei wies die Fee mit der Hand zu einer Tür und Schwarzchen setzte sich etwas unwillig in Bewegung, um das verlangte Utensil zu holen.

Auf einem Tisch in der Mitte des Raumes fand sie sofort ein Messer, nahm es in die Hand und ging zurück.

„Ich danke dir“, ließ sich da die Frau vernehmen und Schwarzchen warf ihr dabei das Messer zu, ohne darauf zu achten, dass sie die Frau damit verletzten konnte.

„Du hättest es mir auch geben können. Das wäre weitaus weniger gefährlich gewesen.“

Schwarzchen zuckte mit den Schultern. Es war ihr reichlich egal. Schließlich war sie nicht die Dienerin der Frau. Diese Rolle überließ sie lieber dem Weißchen. Die konnte das viel besser.

Die Frau schnitt mit dem Messer vorsichtig den Stoff am Fuß auf, um ihm Luft zu geben. Da sah man, wie stark der Fuß angeschwollen war.

„Der schöne Anzug“, stellte Schwarzchen fest.

„Was sein muss, das muss sein“, entgegnete ihr die Frau, dann nahmen ihre Blicke strenge Formen.

„Bei deiner Schwester Weißchen störte dich das doch auch nicht. Ich habe nur einen kleinen Schnitt machen müssen, aber der Anzug deiner Schwester war überall zerrissen, Schwarzchen!“

Da erstarrte das Schwarzchen. „Du weißt, wer ich bin?“

„Allerdings, denn ich beobachte deine Schwester Weißchen und dich schon sehr lange. Und mir gefällt es gar nicht, was aus dir geworden ist.“

Schwarzchen musste schlucken.

Dass sich der Fuß der Fee wieder in einen normalen Zustand versetzte und der Anzug sich von selbst verschloss, bekam sie gar nicht erst mit.

„Wie konntest du nur so werden, wie du jetzt bist“, ging die Fee weiter mit ihr ins Gericht. „Du trittst arrogant und selbstsüchtig auf, gibst dich nur noch der Muße und dem Vergnügen hin und erkennst dabei nicht einmal, wie du deinem Körper damit schadest. Deine Schwester arbeitet wie eine Besessene, um das Erbe eurer Eltern zu erhalten.“

„Aber ich repräsentiere doch!“, warf da das Schwarzchen ein, dem dies genauso wichtig wie das Reinigen des Anwesens erschien.

„Schweig!“, befahl da die Fee. „Das, was du tust, ist Ausnutzen deiner Schwester. Du kannst dir gewiss sein, dass sie sich auch heute nicht beschmutzen wird, denn auch Farbe kann dem weißen Anzug, den sie von mir für ihren Fleiß und ihre Aufrichtigkeit, ja ihrem reinen Herzen erhalten hat, nichts anhaben.“

Die Fee funkelte das Schwarzchen finster an.

„Auch dir wird ein Geschenk zuteilwerden“, setzte sie dann fort.

„Du erhältst ebenso wie das Weißchen einen neuen Anzug. Doch deiner wird unansehnlich sein, verschmutzt, verdreckt und vielleicht sogar zerrissen.“

Da brach Schwarzchen in Tränen aus, die über ihre stoffbedeckten Wangen flossen.

„Das kannst du ... könnt Ihr … doch nicht machen ...“, stotterte sie. „Wer soll dann …? Das ist hartherzig!“

Die Fee berührte ihre Schultern.

„Das ist genauso hartherzig wie dein Umgang mit deiner Schwester. Nicht mehr und nicht weniger.“

Im nächsten Moment verschwand die Kleidung von Schwarzchens Körper. Dann erhielt sie neuen Stoff. Doch der war weder glänzend, noch sehr anschmiegsam, teilweise wirkte er arg verschlissen. Letztendlich war er wie die alte Kleidung Weißchens, nur in schwarzer Ausführung. Das einst stolze Schwarzchen gab ein Bild des Jammers ab.

„Das wird deine neue Bekleidung sein. Sie wird nicht glänzen, sie wird sich nicht reparieren lassen“, offenbarte die Fee. „Aber da ich zwar zornig werden, aber nie wirklich abgrundtief böse sein kann, wird es für dich einen Ausweg aus deiner neuen Lage geben. Du musst ihn nur selbst erkennen.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783962480271
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juni)
Schlagworte
bdsm dominanz märchen unterwerfung latex Erotik Erotischer Liebesroman Liebesroman

Autor

  • Stejn Sterayon (Autor:in)

Stejn Sterayon ist ein Autor, der nur wenig über sein Leben preisgibt. Er ist ein Kind des Nordens, was sich in seinem Namen äußert, liebt es, in seinen erotischen Geschichten häufig Ungewöhnliches und Morbides einfließen zu lassen. Aber er ist auch dem Horror und anverwandten Gebieten zugetan.
Zurück

Titel: Geschichten aus Latexia