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Grimms gedrehte Geschichten

Starke Prinzessinnen retten

von William Nordlicht (Autor:in)
50 Seiten

Zusammenfassung

Starke Prinzessinnen, mitfühlende Männer, böse Zauberer und ein Happy End. Das war es was ich meiner Tochter gerne vorlesen wollte, doch die alten Märchen waren da leider etwas anders gestrickt. Gefesselt von den alten Geschichten und der Motivation eines „modernen“ Papas habe ich kurzerhand einige meiner alten Lieblingsmärchen für meine Tochter umgedreht. Das Ergebnis erwies sich doch als äußerst unterhaltsam und auch wenn es hin und wieder verwirrend ist, weil sie ihren Freunden von Rapunstin oder Schneefritzchen erzählt, sind die Geschichten der starken Prinzessinnen mit ihren äußerst emotionalen Männern auch für uns große sehr amüsant (sagt auch meine Frau). PS: Einige der Prinzessinnen brauchen noch Namen, sie können mir gerne Vorschläge und Bilder per Mail zukommen lassen, ich würde mich sehr darüber freuen diese in das Buch mit aufzunehmen, viel Spaß!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Rapunstin

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die wünschten sich schon lange vergeblich ein Kind. Endlich machten sich die beiden Hoffnungen, denn das Glück lächelte ihnen zu. Die Leute hatten in ihrem Hinterhaus ein kleines Fenster, daraus konnte man in einen prächtigen Garten sehen, der voller schöner Blumen und Kräuter war. Er war aber von einer hohen Mauer umgeben, und niemand wagte hineinzugehen, weil er einem Zauberer gehörte, der sehr mächtig war und von allen gefürchtet wurde.

Eines Tages stand der Mann an diesem kleinen Fenster und sah in den Garten hinab, da erblickte er ein Beet voll wunderschöner und schmackhafter Rapunzeln. Sie sahen so frisch und grün aus, dass er große Lust empfand, von den Rapunzeln zu essen. Das Verlangen nahm jeden Tag zu, und da er wusste, dass er keine davon bekommen konnte, so ging es ihm immer schlechter, er sah blass und elend aus. Da erschrak die Frau und fragte: "Was fehlt dir, mein lieber Mann?" - "Ach," antwortete er, "wenn ich keine Rapunzeln aus dem Garten hinter unserm Hause zu essen kriege, so weine ich."

Die Frau, die ihn sehr liebhatte, dachte: "Eh du deinen Mann weinen lässt, holst du ihm von den Rapunzeln, koste es was wolle." In der Abenddämmerung stieg sie also über die Mauer in den Garten des Zauberers, stach in aller Eile eine Handvoll Rapunzeln und brachte sie ihrem Mann.

Er machte sich sogleich einen Salat daraus und aß sie voller Genuss auf. Sie hatten ihm aber so gut geschmeckt, dass er am nächsten Tag noch viel mehr Lust auf Rapunzeln bekam. Wollte sie Ruhe haben, so musste die Frau noch einmal in den Garten steigen.

Also machte sie sich in der Abenddämmerung wieder hinab. Als sie jedoch die Mauer herabgeklettert war, erschrak sie gewaltig, denn sie sah den Zauberer vor sich stehen. "Wie kannst du es wagen," sprach er mit zornigem Blick, "in meinen Garten zu steigen und wie eine Diebin mir meine Rapunzeln zu stehlen? Das soll dir schlecht bekommen." – "Ach," antwortete sie, "Verzeiht mir bitte! Ich habe mich nur aus Not dazu entschlossen: mein Mann hat Eure Rapunzeln aus dem Fenster erblickt, und hatte so viel Lust, dass er weinen würde, wenn er nicht davon zu essen bekäme."

Da ließ der Zauberer in seinem Zorne nach und sprach zu ihr: "Wenn es so ist, wie du sagst, so will ich dir gestatten, Rapunzeln mitzunehmen, soviel du willst, aber unter einer Bedingung: Du musst mir dein erstes Kind geben. Es wird ihm gut gehen, und ich werde für es sorgen wie ein Vater." Die Frau rief trotz großer Angst: "Nein, nicht mein Kind", doch der Zauberer verzauberte sie und als ihr Kind kam, so erschien er sogleich und gab dem Kind den Namen Rapunstin und nahm es mit sich fort…

Rapunstin wurde das schönste Kind unter der Sonne. Als er zwölf Jahre alt wurde, schloss ihn der Zauberer in einen Turm, der in einem Wald lag, und weder Treppe noch Türe hatte, nur ganz oben war ein kleines Fensterchen. Wenn der Zauberer hineinwollte, so stellte er sich hin und rief:

"Rapunstin, Rapunstin,
lass‘ deinen Bart herunter."

Rapunstin hatte einen langen, prächtigen Bart, fein wie gesponnenes Gold. Wenn er nun die Stimme des Zauberers hörte, so band er seinen Bart los, wickelte ihn oben um einen Fensterhaken, und dann fiel der Bart zwanzig Meter tief herunter, und der Zauberer kletterte daran hinauf.

Nach ein paar Jahren trug es sich zu, dass eine Prinzessin durch den Wald ritt und an dem Turm vorüberkam. Da hörte sie einen Gesang, der war so lieblich, dass sie still wurde und zuhörte.

Das war Rapunstin, der in seiner Langeweile sich die Zeit vertrieb, indem er mit seiner süßen Stimme ein Lied sang. Die Prinzessin lauschte noch eine ganze Weile und wollte dann vorsichtig zu ihm hinaufsteigen. Sie suchte nach einer Türe des Turms, aber es war keine zu finden, da ritt sie heim, doch der Gesang hatte ihr so sehr das Herz gerührt, dass sie jeden Tag hinaus in den Wald ging und zuhörte.

Als sie einmal so hinter einem Baum stand, sah sie, dass ein Zauberer zum Turm ging, und hörte, wie er hinaufrief:

"Rapunstin, Rapunstin,
lass‘ deinen Bart herunter."

Da ließ Rapunstin den Bart herab, und der Zauberer stieg zu ihm hinauf.

"Jetzt habe ich wohl die Leiter zur Turmspitze entdeckt! Nun will ich einmal mein Glück versuchen.", rief die Prinzessin aus. Und den folgenden Tag, als es anfing dunkel zu werden, ging sie zu dem Turm und rief:

"Rapunstin, Rapunstin,
lass‘ deinen Bart herunter."

Sogleich fiel der Bart herab, und die Prinzessin kletterte hinauf.

Anfangs erschrak Rapunstin gewaltig, als eine Frau zu ihm hereinkam, mit ihrer Rüstung und ihrem Schwert, doch die Prinzessin fing an, ganz freundlich mit ihm zu reden. Sie erzählte ihm, wie wundervoll sein Gesang war, und dass sie diesen einfach nicht vergessen konnte. Sie musste ihn einfach sehen.

Da verlor Rapunstin seine Angst und freute sich unglaublich. Sie redeten und spielten die ganze Nacht, und als die Prinzessin ihn am Morgen fragte, ob er nicht mit ihr ins Königreich wollte, sprach Rapunstin:

"Ich will gerne mit dir gehen, aber ich weiß nicht, wie ich herabkommen kann. Wenn du kommst, so bringe jedes Mal einen Strang Seide mit, daraus will ich eine Leiter flechten, und wenn die fertig ist, so steige ich herunter und du nimmst mich auf deinem Pferd mit." Und die Prinzessin sagte, "Ich bringe eine Leiter mit, das geht schneller" und so verabredeten sie sich für den nächsten Abend, denn am Tage kam der alte Zauberer.

Der Zauberer merkte auch nichts davon, bis einmal Rapunstin anfing und zu ihm sagte: "Sagen Sie mir doch, Herr Zauberer, wie kommt es nur, dass ihr so viel schwerer heraufzuziehen seid als die junge Prinzessin, sie ist federleicht." –

"Ach du gottloses Kind," rief der Zauberer, "was muss ich von dir hören! Ich dachte, ich hätte dich von aller Welt getrennt, und du hast mich doch betrogen!"

In seinem Zorne packte er den schönen Bart des Rapunstins, schlug ihn ein paarmal um seine linke Hand, griff eine Schere mit der rechten, und ritsch, ratsch war er abgeschnitten, und der schöne Bart lag auf der Erde.

Und er war so unbarmherzig, dass er den armen Rapunstin in die Wüste zauberte, wo der arme in großem Jammer und Elend leben musste.

Am selben Tag noch machte abends der Zauberer den abgeschnittenen Bart oben am Fensterhaken fest, und als die Prinzessin am Abend kam und rief:

"Rapunstin, Rapunstin,
lass‘ deinen Bart herunter."

so ließ er den Bart hinab. Die Prinzessin stieg hinauf, aber sie fand oben nicht ihren liebsten Rapunstin, sondern den alten Zauberer, der sie mit bösen und giftigen Blicken ansah.

"Aha," rief der Zauberer wütend, "du willst meinen Rapunstin holen, aber du wirst ihn nie finden! Ich habe ihn weit in die Wüste gezaubert und dich schnapp ich mir auch!“ und der Zauberer sprang auf die Prinzessin, doch diese schnappte sich den Zauberstab und Bart, und hüpfte aus dem Fenster, so dass der Zauberer nun im Turm feststeckte. Sie wollte auf ihrem Pferd landen, doch stieß sich beim Sprung den Kopf und vergaß plötzlich alles. Ihr Pferd, ihre Eltern und sogar Rapunstin, hatte sie vergessen.

"Wer bin ich, Was mache ich hier“, sprach sie ganz wirr und fing einfach an zu laufen. So wanderte und wanderte sie einige Jahre ganz verwirrt umher. Endlich geriet sie auf ihrer Wanderung in die Wüste, wo auch Rapunstin mit seinen Tieren, die er gepflegt hatte, einer Katze und einem Hund, traurig lebte.

Die Prinzessin hörte plötzlich eine Stimme, eine wundervolle Stimme. Sie klang ihr so bekannt, doch sie konnte sich nicht erinnern. Sie ging darauf zu, und wie sie herankam, sah Rapunstin die Prinzessin und rannte zu ihr, er fiel ihr um den Hals und weinte.

"Ich wusste, dass du mich rettest" sagte Rapunstin mit Tränen in den Augen und eine seiner Tränen fiel auf den Kopf der Prinzessin und plötzlich wurde sie wieder klar. Sie erinnerte sich an alles. Die Prinzessin führte ihn in ihr Reich, wo er mit Freude empfangen wurde. Sie feierten ein großes Fest und lebten noch lange glücklich und vergnügt.


Aschenpeter

Einer reichen Frau, der wurde ihr Mann krank, und als er fühlte, dass sein Ende herankam, rief er sein einziges Söhnelein zu sich ans Bett und sprach: „Liebes Kind, bleibe fromm und gut, so wird dir die Welt immer beistehen, und ich will vom Himmel auf dich herabblicken, und will um dich sein.“

Darauf tat er die Augen zu und verschied. Der Junge ging jeden Tag hinaus zu dem Grabe des Vaters und weinte; und blieb fromm und gut. Als der Winter kam, deckte der Schnee ein weißes Tüchlein auf das Grab, und als die Sonne im Frühjahr es wieder herabgezogen hatte, nahm sich die Frau einen anderen Mann.

Der Mann hatte zwei Söhne mit ins Haus gebracht, die schön und freundlich von Angesicht waren aber garstig und böse von Herzen. Da ging eine schlimme Zeit für das arme Söhnelein an. „Soll der dumme Vogel bei uns in der Stube sitzen!“ sprachen sie, „wer Brot essen will, muss es sich verdienen: hinaus mit dem Küchenbub.“

Sie nahmen ihm seine schönen Kleider weg, zogen ihm einen grauen, alten Kittel an und gaben ihm hölzerne Schuhe. "Seht einmal den stolzen Prinzen, wie er geputzt ist!“ riefen sie, lachten und führten ihn in die Küche. Da musste er von Morgen bis Abend schwer arbeiten, früh vor der Sonne aufstehen, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen.

Obendrein taten ihm die Brüder alles ersinnliche Herzeleid an, verspotteten ihn und schütteten ihm die Erbsen und Linsen in die Asche, so dass er sitzen und sie wieder auslesen musste.

Abends, wenn er sich müde gearbeitet hatte, kam er in kein Bett, sondern musste sich neben den Herd in die Asche legen. Und weil er darum immer staubig und schmutzig aussah, nannten sie ihn Aschenpeter.

Es trug sich zu, dass die Mutter einmal auf den Markt gehen wollte, da fragte sie die beiden Stiefsöhne, was sie ihnen mitbringen sollte. "Schöne Kleider," sagte der eine, "Perlen und Edelsteine," der zweite. "Aber du, Aschenpeter," sprach sie, "was willst du haben?" - "Mutter, den ersten Zweig, der Euch auf Eurem Heimweg an den Hut stößt, den brecht für mich ab!" Sie kaufte nun für die beiden Stiefbrüder schöne Kleider, Perlen und Edelsteine, und auf dem Rückweg, als sie durch einen grünen Busch ritt, streifte sie ein Haselstrauch und stieß ihr den Hut ab. Da brach sie einen Ast ab und nahm ihn mit.

Als sie nach Haus kam, gab sie den Stiefsöhnen, was sie sich gewünscht hatten, und dem Aschenpeter gab sie den Ast von dem Haselbusch. Aschenpeter dankte ihr, ging zu seines Vaters Grab und pflanzte den Ast darauf, und weinte so sehr, dass die Tränen darauf niederfielen und ihn begossen.

Er wuchs schon bald und ward ein schöner Baum. Aschenpeter ging alle Tage dreimal darunter, weinte und erzählte, und allemal kam ein weißes Vöglein auf den Baum, und wenn er einen Wunsch aussprach, so warf ihm das Vöglein herab, was er sich gewünscht hatte.

Es begab sich nun, dass die Königin ein Fest anstellte, das drei Tage dauern sollte, und wozu alle schönen jungen Männer im Lande eingeladen wurden, damit sich seine Tochter einen Bräutigam aussuchen konnte. Die zwei Stiefbrüder, als sie hörten, dass sie auch erscheinen sollten, waren guter Dinge, riefen Aschenpeter und sprachen: "Kämm uns die Haare, bürste uns die Schuhe und mache uns die Schnallen fest, wir gehen zur Hochzeit auf das Schloss der Königin."

Aschenpeter gehorchte, weinte aber, weil er auch gern zum Tanz mitgegangen wäre, und bat den Stiefvater, er möchte es ihm erlauben. "Aschenpeter," sprach er, "Du bist voll Staub und Schmutz, und willst zur Hochzeit? Du hast keine Kleider und Schuhe, und willst tanzen!" Als er aber mit Bitten anhielt, sprach er endlich: "Da habe ich dir eine Schüssel Linsen in die Asche geschüttet, wenn du die Linsen in zwei Stunden wieder ausgelesen hast, so sollst du mitgehen."

Der Junge ging durch die Hintertür in den Garten und rief: "Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir aufzulesen,

Die guten sollen euer sein,
die anderen in das Töpfchen rein."

Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein, und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder.

Und die Täubchen nickten mit den Köpfchen und fingen an pick, pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an pick, pick, pick, pick, und lasen alle guten Körnlein in das Töpfchen. Kaum war eine Stunde herum, so waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da brachte der Junge das Töpfchen dem Stiefvater, freute sich und glaubte, er dürfte nun mit auf die Hochzeit gehen.

Aber der Stiefvater sprach: "Nein, Aschenpeter, du hast keine Kleider, und kannst nicht tanzen: du wirst nur ausgelacht." Als er nun weinte, sprach er: "Wenn du mir zwei Töpfe voll Linsen in einer Stunde aus der Asche rein lesen kannst, so sollst du mitgehen," und dachte: "Das kann er ja nimmermehr." und schüttete die zwei Töpfe Linsen in die Asche.

Da ging der Junge durch die Hintertür nach dem Garten und rief:

"Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir auflesen,

Die guten ins Töpfchen hinein,

die anderen sollen euer sein."

Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit ihren Köpfchen und fingen an pick, pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an pick, pick, pick, pick, und lasen alle guten Körner in die Töpfchen. Und ehe eine halbe Stunde herum war, waren sie schon fertig, und flogen alle wieder hinaus.

Da trug der Junge die Töpfchen zu dem Stiefvater, freute sich und glaubte, nun dürfte er mit auf die Hochzeit gehen. Aber er sprach: "Es hilft dir alles nichts: du kommst nicht mit, du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen; wir müssten uns deiner schämen." Darauf kehrte er ihm den Rücken zu und eilte mit seinen zwei stolzen Söhnen fort.

Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenpeter zum Grab seines Vaters unter den Haselbaum und rief:

"Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich."

Da warf ihm der Vogel goldene und silberne Kleider herunter und mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln. In aller Eile zog er die Kleider an und ging zur Hochzeit. Seine Brüder aber und der Stiefvater erkannten Aschenpeter nicht und meinten, es müsse ein fremder Königssohn sein, so schön sah er in den goldenen Kleidern aus.

An Aschenpeter dachten sie gar nicht und dachten, er säße daheim im Schmutz und suchte die Linsen aus der Asche. Die Prinzessin kam Aschenpeter entgegen, nahm ihn bei der Hand und tanzte mit ihm. Sie wollte auch sonst mit niemandem tanzen, also dass sie ihm die Hand nicht losließ, und wenn ein anderer kam, ihn aufzufordern, sprach die Prinzessin: "Das ist mein Tänzer."

Aschenpeter tanzte, bis es Abend war und da wollte er nach Hause gehen. Die Prinzessin aber sprach: "Ich gehe mit und begleite dich," denn sie wollte sehen, wem der schöne Junge angehörte. Er entwischte ihr aber und sprang in das Taubenhaus. Nun wartete die Prinzessin, bis die Königin kam, und sagte ihr, der fremde Junge wäre in das Taubenhaus gesprungen.

Der Stiefvater, der das sah, dachte: "Sollte es Aschenpeter sein?" und sie mussten ihm Axt und Hacken bringen, damit er das Taubenhaus entzweischlagen konnte; aber es war niemand darin. Und als sie nach Haus kamen, lag Aschenpeter in seinen schmutzigen Kleidern in der Asche, und ein trübes Öllämpchen brannte im Schornstein; denn Aschenpeter war geschwind aus dem Taubenhaus hinten herabgesprungen, und war zu dem Haselbäumchen gelaufen: da hatte er die schönen Kleider abgezogen und aufs Grab gelegt, und der Vogel hatte sie wieder weggenommen, und dann hatte er sich in seinem grauen Kittelchen in die Küche zur Asche gesetzt.

Am andern Tag, als das Fest von neuem begann, und der Stiefvater und die Stiefbrüder wieder fort waren, ging Aschenpeter zu dem Haselbaum und sprach:

"Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich!"

Da warf der Vogel noch viel stolzere Kleider herab als am vorigen Tag. Und als er mit diesen Kleidern auf der Hochzeit erschien, erstaunte jedermann über seine Schönheit. Die Prinzessin aber hatte gewartet, bis er kam, nahm ihn gleich bei der Hand und tanzte nur allein mit ihm. Wenn die andern kamen und ihn aufforderten, sprach die Prinzessin: "Das ist mein Tänzer."

Als es nun Abend war, wollte er fort, und die Prinzessin ging ihm nach und wollte sehen, in welches Haus er ging: aber er sprang ihr fort und in den Garten hinter einem Haus. Darin stand ein schöner großer Baum, an dem die herrlichsten Birnen hingen, er kletterte so schnell wie ein Eichhörnchen zwischen die Äste, und die Prinzessin wusste nicht, wo er hingekommen war. Sie wartete aber, bis die Königin kam, und sprach zu ihr: "Der fremde Junge ist mir entwischt, und ich glaube, er ist auf den Birnenbaum gesprungen."

Der Stiefvater, des das sah, dachte: "Sollte es Aschenpeter sein?", ließ sich die Axt holen und hieb den Baum um, aber es war niemand darauf. Und als sie in die Küche kamen, lag Aschenpeter da in der Asche, wie sonst auch, denn er war auf der andern Seite vom Baum herabgesprungen, hatte dem Vogel auf dem Haselbäumchen die schönen Kleider wiedergebracht und sein graues Kittelchen angezogen.

Am dritten Tag, als der Stiefvater und die Brüder fort waren, ging Aschenpeter wieder zum Grab seines Vaters und sprach zu dem Bäumchen:

"Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich!"

Nun warf ihm der Vogel Kleider herab, die waren so prächtig und glänzend, wie sie noch keiner gehabt hatte, und die Pantoffeln waren ganz golden. Als er in den Kleidern zu der Hochzeit kam, wussten sie alle nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Die Prinzessin tanzte ganz allein mit ihm, und wenn ihn einer aufforderte, sprach die Prinzessin: "Das ist mein Tänzer."

Als es nun Abend war, wollte Aschenpeter fort, und die Prinzessin wollte ihn begleiten, aber er entsprang ihr so geschwind, dass sie nicht folgen konnte. Die Prinzessin hatte aber eine List gebraucht, und hatte die ganze Treppe mit Pech bestreichen lassen: da war, als er hinabsprang, der linke Pantoffel des Jungen hängen geblieben. Die Prinzessin hob ihn auf, und er war klein und zierlich und ganz golden. Am nächsten Morgen ging sie damit zu der Königin und sagte zu ihr: "Kein anderer soll mein Gemahl werden als der, an dessen Fuß dieser goldene Schuh passt." Da die Prinzessin jedoch auf Reisen musste, schickte sie ihre Dienerin alle Buben mit dem Schuh zu prüfen. Die Dienerin besuchte alle Häuser, so auch das Haus des Aschenpeters und seiner Brüder.

Die beiden Brüder freuten sich schon, denn sie hatten schöne Füße.

Der Älteste ging mit dem Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobieren, und der Vater stand dabei. Aber der Schuh war zu groß, da reichte ihm der Vater Steine und sprach: "Steck diese hinein, das wird schon recht sein. " Der Junge stopfte sie rein und ging zur Dienerin.

Die nahm ihn als neuen Prinzen aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Sie mussten aber an dem Grabe vorbei, da saßen die zwei Täubchen auf dem Haselbäumchen und riefen:

"Rucke di guh, rucke di guh,
Stein ist im Schuh:
Der Fuß ist zu klein,
Der rechte Prinz sitzt noch daheim."

Da blickte sie auf seinen Fuß und sah, wie kleine Steine herausquollen. Sie wendete ihr Pferd um, brachte den falschen Mann wieder nach Hause und sagte, das wäre nicht der rechte, der andere Bruder solle den Schuh anziehen.

Da ging dieser in die Kammer und kam mit dem Fuß glücklich in den Schuh, aber der Fuß war zu dünn.

Da reichte ihm der Vater eine Wurst und sprach: "Steck die Wurst hinein, das wird schon recht sein. " Der Junge steckte die Wurst hinein und ging hinaus zur Dienerin. Da nahm sie ihn als neuen Prinzen aufs Pferd und ritt mit ihm fort.

Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, saßen die zwei Täubchen darauf und riefen:

"Rucke di guh, rucke di guh,
Wurst ist im Schuh.
Der Fuß ist zu klein,
Der rechte Prinz sitzt noch daheim."

Sie blickte nieder auf seinen Fuß und sah, wie die Wurst aus dem Schuh quoll. Da wendete sie ihr Pferd und brachte den falschen Mann wieder nach Hause.

"Das ist auch nicht der rechte," sprach sie, "habt ihr keinen anderen Sohn?" - "Nein," sagte der Stiefvater, "nur von meiner verreisten Frau ist noch ein kleines verbuttetes Aschenpeter da: das kann unmöglich der Mann sein."

Die Dienerin sprach, er sollte ihn heraufschicken, der Stiefvater aber antwortete: "Ach nein, der ist viel zu schmutzig, der darf sich nicht sehen lassen." Sie wollte ihn aber durchaus sehen, und Aschenpeter musste gerufen werden. Da wusch er sich erst Hände und Angesicht rein, ging dann hin und neigte sich vor die Dienerin, die ihm den goldenen Schuh reichte. Dann setzte er sich auf einen Hocker, zog den Fuß aus dem schweren Holzschuh und steckte ihn in den Pantoffel, dieser war wie angegossen. Und als er sich in die Höhe richtete und die Dienerin ihm ins Gesicht sah, so erkannte sie seine Liebe und Freundlichkeit und rief: "Das ist der rechte Mann."

Der Stiefvater und die beiden Brüder erschraken und wurden bleich vor Ärger: Sie aber nahm Aschenpeter aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, riefen die zwei weißen Täubchen:

"Rucke die guh, rucke di guh,
Nur der Fuß ist im Schuh.
Der Schuh nicht zu klein,
Den rechten Prinz, führt ihr heim."

Und als sie das gerufen hatten, kamen sie beide herabgeflogen und setzten sich dem Aschenpeter auf die Schultern, eine rechts, die andere links, und blieben da sitzen.

Als die Hochzeit mit der Prinzessin sollte gehalten werden, kamen die falschen Brüder, wollten sich einschmeicheln und teil an seinem Glück nehmen. Doch die Prinzessin erkannte ihre bösen Absichten und sperrte die zwei für eine lange, lange Zeit ein.

Die neuen Kleider der Kaiserin

Vor vielen Jahren lebte eine Kaiserin, die so ungeheuer viel auf neue Kleider hielt, dass sie all ihr Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein. Sie kümmerte sich nicht um ihre Soldaten, kümmerte sich nicht um Theater und liebte es nicht, in den Wald zu fahren, außer um ihre neuen Kleider zu zeigen. Sie hatte einen Rock für jede Stunde des Tages, und ebenso wie man von einer Königin sagte, sie ist im Rat, so sagte man hier immer: "Die Kaiserin ist in der Garderobe!"

In der großen Stadt, in der sie wohnte, ging es sehr munter her. An jedem Tag kamen viele Fremde an, und eines Tages kamen auch zwei Betrügerinnen, die gaben sich für Weberinnen aus und sagten, dass sie das schönste Zeug, was man sich denken könne, zu weben verstanden. Die Farben und das Muster seien nicht allein ungewöhnlich schön, sondern die Kleider, die von dem Zeuge genäht würden, sollten die wunderbare Eigenschaft besitzen, dass sie für jeden Menschen unsichtbar seien, der nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei.

'Das wären ja prächtige Kleider', dachte die Kaiserin; wenn ich solche hätte, könnte ich ja dahinterkommen, welche Leute in meinem Reich zu dem Amte, das sie haben, nicht taugen, ich könnte die Klugen von den Dummen unterscheiden! Ja, das Zeug muss sogleich für mich gewebt werden!' Sie gab den beiden Betrügerinnen viel Handgeld, damit sie ihrer Arbeit nachgingen.

Sie stellten auch zwei Webstühle auf, taten, als ob sie arbeiteten, aber sie hatten nicht das geringste auf dem Stuhle. Trotzdem verlangten sie die feinste Seide und das prächtigste Gold, das steckten sie aber in ihre eigenen Taschen und arbeiteten an den leeren Stühlen bis spät in die Nacht hinein.

'Nun möchte ich doch wissen, wie weit sie mit dem Zeuge sind!', dachte die Kaiserin, aber es war ihr beklommen zumute, wenn sie daran dachte, dass keiner, der dumm sei oder schlecht zu seinem Amte tauge, es sehen könne. Sie glaubte zwar, dass sie für sich selbst nichts zu fürchten brauche, aber sie wollte doch erst eine Andere senden, um zu sehen, wie es damit stehe. Alle Menschen in der ganzen Stadt wussten, welche besondere Kraft das Zeug habe, und alle waren begierig zu sehen, wie schlecht oder dumm ihr Nachbar sei.

'Ich will meine alte, ehrliche Ministerin zu den Weberinnen senden', dachte die Kaiserin, sie kann am besten beurteilen, wie der Stoff sich ausnimmt, denn sie hat Verstand, und keiner versieht ihr Amt besser als sie!'

Nun ging die alte, gute Ministerin in den Saal hinein, wo die zwei Betrügerinnen saßen und an den leeren Webstühlen arbeiteten. 'Gott behüte uns!', dachte die alte Ministerin und riss die Augen auf. 'Ich kann ja nichts erblicken!' Aber das sagte sie nicht.

Beide Betrügerinnen baten sie, näher zu treten und fragten, ob es nicht ein hübsches Muster und schöne Farben seien. Dann zeigten sie auf den leeren Stuhl, und die arme, alte Ministerin fuhr fort, die Augen aufzureißen, aber sie konnte nichts sehen, denn es war nichts da. 'Herr Gott', dachte sie, ‘sollte ich dumm sein? Das habe ich nie geglaubt, und das darf kein Mensch wissen! Sollte ich nicht zu meinem Amte taugen? Nein, es geht nicht an, dass ich erzähle, ich könne das Zeug nicht sehen!'

"Nun, Sie sagen nichts dazu?", fragte eine von den Weberinnen. "Oh, es ist niedlich, ganz allerliebst!", antwortete die alte Ministerin und sah durch ihre Brille. "Dieses Muster und diese Farben! - Ja, ich werde der Kaiserin sagen, dass es mir sehr gefällt!"

"Nun, das freut uns!", sagten beide Weberinnen, und darauf benannten sie die Farben mit Namen und erklärten das seltsame Muster. Die alte Ministerin merkte gut auf, damit sie dasselbe sagen könne, wenn sie zur Kaiserin zurückkomme, und das tat sie auch.

Nun verlangten die Betrügerinnen mehr Geld, mehr Seide und mehr Gold zum Weben. Sie steckten alles in ihre eigenen Taschen, auf den Webstuhl kam kein Faden, aber sie fuhren fort, wie bisher an den leeren Stühlen zu arbeiten.

Die Kaiserin sandte bald wieder eine andere tüchtige Staatsfrau hin, um zu sehen, wie es mit dem Weben stehe und ob das Zeug bald fertig sei; es ging ihr aber gerade wie der Ersten, sie guckte und guckte; weil aber außer dem Webstuhl nichts da war, so konnte sie nichts sehen.

"Ist das nicht eine ganz besonders prächtiges und hübsches Stück Zeug?", fragten die beiden Betrügerinnen und zeigten und erklärten das prächtige Muster, das gar nicht da war.

'Dumm bin ich nicht', dachte die Frau; 'es ist also mein gutes Amt, zu dem ich nicht tauge! Das wäre seltsam genug, aber das muss man sich nicht merken lassen!' Daher lobte sie das Zeug, das sie nicht sah, und versicherte ihnen ihre Freude über die schönen Farben und das herrliche Muster. "Ja, es ist ganz allerliebst!", sagte sie zur Kaiserin.

Alle Menschen in der Stadt sprachen von dem prächtigen Zeuge. Nun wollte die Kaiserin es selbst sehen, während es noch auf dem Webstuhl sei. Mit einer ganzen Schar auserwählter Frauen, unter denen auch die beiden ehrlichen Staatsfrauen waren, die schon früher da waren, ging sie zu den beiden listigen Betrügerinnen hin, die nun aus allen Kräften webten, aber ohne Faser oder Faden.

"Ja, ist das nicht prächtig?" sagten die beiden ehrlichen Staatsfrauen. "Wollen Eure Majestät sehen, welches Muster, welche Farben?" und dann zeigten sie auf den leeren Webstuhl, denn sie glaubten, dass die andern das Zeug wohl sehen könnten.

'Was!', dachte die Kaiserin; 'ich sehe gar nichts! Das ist ja schrecklich! Bin ich dumm? Tauge ich nicht dazu, Kaiserin zu sein? Das wäre das Schrecklichste, was mir passieren könnte.' "Oh, es ist sehr hübsch," sagte sie; "es hat meinen allerhöchsten Beifall!" und sie nickte zufrieden und betrachtete den leeren Webstuhl; sie wollte nicht sagen, dass sie nichts sehen könne. Das ganze Gefolge, was sie mit sich hatte, sah und sah, aber es bekam nicht mehr heraus als alle anderen, aber sie sagten gleich wie die Kaiserin: "Oh, das ist hübsch!" und sie rieten ihr, diese neuen prächtigen Kleider das erste Mal bei dem großen Feste, das bevorstand, zu tragen.

"Es ist herrlich, niedlich, ausgezeichnet!", ging es von Mund zu Mund, und man schien allerseits innig erfreut darüber. Die Kaiserin verlieh jeder der Betrügerinnen eine Auszeichnung, um es in das Knopfloch zu hängen, und den Titel Hofweberin.

Die ganze Nacht vor dem Morgen, an dem das Fest stattfinden sollte, waren die Betrügerinnen auf und hatten sechzehn Lichte angezündet, damit man sie auch recht gut bei ihrer Arbeit beobachten konnte. Die Leute konnten sehen, dass sie stark beschäftigt waren, die neuen Kleider der Kaiserin fertigzumachen. Sie taten, als ob sie das Zeug aus dem Webstuhl nähmen, sie schnitten in die Luft mit großen Scheren, sie nähten mit Nähnadeln ohne Faden und sagten zuletzt: "Sieh, nun sind die Kleider fertig!"

Die Kaiserin mit ihren vornehmsten Beamtinnen kam selbst, und beide Betrügerinnen hoben den einen Arm in die Höhe, gerade, als ob sie etwas hielten, und sagten: "Seht, hier sind die Beinkleider, hier ist das Kleid, hier ist der Mantel!" und so weiter. "Es ist so leicht wie Spinnwebe; man sollte glauben, man habe nichts auf dem Körper, aber das ist gerade die Schönheit dabei!"

"Ja!" sagten alle Beamtinnen, aber sie konnten nichts sehen, denn es war nichts da.

"Belieben Eure Kaiserliche Majestät Ihre Kleider abzulegen," sagten die Betrügerinnen, "so wollen wir Ihnen die neuen hier vor dem großen Spiegel anziehen!"

Die Kaiserin legte ihre Kleider ab, und die Betrügerinnen taten so, als ob sie ihr jedes Stück der neuen Kleider anzogen, und die Kaiserin wendete und drehte sich vor dem Spiegel.

"Ei, wie gut sie kleiden, wie herrlich sie sitzen!", sagten alle. "Welches Muster, welche Farben! Das ist ein kostbarer Anzug!"

"Draußen stehen sie mit dem Thronhimmel, der über euch Kaiserin getragen werden soll!", meldete die Oberzeremonienmeisterin.

"Seht, ich bin ja fertig!" sagte die Kaiserin. "Sitzt es nicht gut?" und dann wendete sie sich nochmals zu dem Spiegel; denn es sollte scheinen, als ob sie ihre Kleider recht betrachte.

Die Kammerfrauen, die das Recht hatten, die Schleppe zu tragen, griffen mit den Händen gegen den Fußboden, als ob sie die Schleppe aufhöben, sie gingen und taten, als hielten sie etwas in der Luft; sie wagten es nicht, es sich merken zu lassen, dass sie nichts sehen konnten.

Autor

  • William Nordlicht (Autor:in)

Junger Papa einer wundervollen Tochter
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Titel: Grimms gedrehte Geschichten