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Die Seele des Bösen - Blackout

Sadie Scott 17

von Dania Dicken (Autor:in)
330 Seiten
Reihe: Sadie Scott, Band 17

Zusammenfassung

Zwei Jahre sind vergangen, seit Stacy Gallagher beinahe Matts Leben zerstört und ihn umgebracht hätte. In diesen zwei Jahren ist es ihm fast gelungen, die verhängnisvolle Nacht im Krankenhaus zu vergessen, in der Stacy den Tod fand. So kommt es für Sadie und ihren Mann umso überraschender, als die Polizei Matt erneut wegen Mordes an Stacy verhaftet und eine Hausdurchsuchung veranlasst. Anfangs wähnt Matt sich noch in Sicherheit, doch die Durchsuchung fördert unvermittelt belastendes Material zutage. Plötzlich sitzt Matt in der Falle: Schweigt er weiterhin, riskiert er die Todesstrafe. Er muss gestehen, wenn er nicht sein Leben riskieren will, und droht damit alles zu ruinieren, was er sich mit Sadie aufgebaut hat. Diesmal scheint es keinen Ausweg zu geben …

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Sonntag, 26. August

 

Sie sah noch immer sein Gesicht über sich, sein selbstsicheres Grinsen und das Glitzern in seinen Augen, während er die Messerklinge über ihre Haut gleiten ließ. Ihre Panik wuchs. Nur noch durch die Nase atmen zu können, machte es nicht besser. Das Klebeband auf ihren Lippen löste sich nicht, egal was sie versuchte.

Er würde es tun. Sie wusste es. Er würde sie vergewaltigen, wenn kein Wunder geschah. Flehend schloss sie die Augen und wünschte sich in diesem Moment, sie wäre doch gläubig gewesen, denn so hätte sie beten können. Aber mit Religionen war sie fertig. Sie war auf sich gestellt.

Zitternd riss Libby die Augen auf und brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass sie in ihrem Zimmer war, in Sicherheit. Sie lag in ihrem eigenen Bett, konnte im Dämmerlicht der Lämpchen ihres Laptops das Poster über sich ausmachen, das die Golden Gate Bridge zeigte.

Allmählich beruhigte ihr Atem sich wieder. Sie hatte nur geträumt. Es war nicht das erste Mal, dass sie Alpträume wegen Brian Leigh hatte und eigentlich ging es immer um denselben Moment, um dieselbe Furcht. Es änderte auch nichts, zu wissen, dass Brian tot war. Dass er es nicht getan hatte. Die Furcht saß einfach zu tief.

Und Sadie …

Beim Gedanken an ihre Adoptivmutter kamen dem Mädchen die Tränen. Sie drehte sich zu ihrem Nachttisch und schaute auf den Radiowecker. Halb vier.

Großartig. Sie war also auf sich gestellt. Sadie oder Matt zu wecken, kam nicht in Frage. Matt schon gar nicht, ihm wollte sie das nicht anvertrauen. Das wäre ihr irgendwie unangenehm gewesen.

Dann hatte sie eine Idee und begann zu rechnen. In London war man acht Stunden weiter, dort war es also schon kurz vor Mittag.

Sie würde es versuchen. An Schlaf war ja doch kein Denken mehr.

Libby schlug die Decke zurück und stieg vorsichtig aus dem Bett.  Leise pirschte sie über den Flur, ging die Treppe hinab und griff an der Garderobe nach ihrer Sweatjacke, bevor sie sich im Wohnzimmer das Telefon holte und die Terrassentür öffnete.

Es war eine warme Sommernacht, die Tiefsttemperaturen in Los Angeles bewegten sich zu dieser Jahreszeit immer noch um zwanzig Grad. Trotzdem zog Libby ihre Jacke über, bevor sie sich auf die Hollywoodschaukel setzte und den Zikaden und dem Rauschen des Verkehrs lauschte. Als plötzlich ein maunzender Schatten zu ihr kam, erschrak sie nicht, sondern lächelte.

„Figaro“, sagte sie und klopfte neben sich, um den Kater anzulocken. Mit einem Satz hüpfte er neben sie und rollte sich zufrieden zusammen, als Libby ihn zu kraulen begann.

Dann wählte sie die Nummer der Familie Thornton in London. Vielleicht hatte sie Glück.

Sie hörte nur zwei Mal das Freizeichen, bis sich eine Frauenstimme meldete. „Andrea Thornton.“

„Hi, hier ist Libby Whitman. Ist Julie zu Hause?“

„Libby! Schön, von dir zu hören. Ist es bei euch nicht mitten in der Nacht?“

„Ja, ist es. Ich … ähm … kann ich mit Julie reden?“

„Es tut mir leid, Libby, sie ist mit einer Freundin in der Stadt“, sagte Andrea bedauernd. „Sie hat ihr Handy dabei.“

„Nein, ich … ich will sie nicht stören. Das würde länger dauern.“

„Soll ich ihr etwas ausrichten? Soll sie zurückrufen?“

„Nein … ich werde ihr einfach schreiben. Schon okay.“

„Alles in Ordnung?“

Libby wunderte sich nicht über die Frage. Andrea hatte dieselbe feine Profilerspürnase wie ihre Adoptivmutter.

„Ja, geht schon. Ich hätte nur gern mit jemandem geredet und hier schlafen ja alle“, erklärte Libby.

„Möchtest du mit mir reden?“

„Danke, aber …“ Plötzlich fehlten Libby die Worte. Sie wollte nicht unhöflich sein.

„Schon okay. Ich werde Julie sagen, dass du angerufen hast.“

„Danke, Andrea. Wiederhören.“

Andrea verabschiedete sich ebenfalls und Libby legte auf. Seufzend streichelte sie Figaro.

Verdammt. Mit Julie hätte sie jetzt wunderbar über alles reden können. Das hatte sie schon am Wochenende nach ihrer Entführung getan. Sie hatte in London angerufen und Julie erzählt, was passiert war. Das hatte sie gebraucht, es hatte ihr gut getan. In ihrer neuen Schule wollte sie das nicht ausbreiten. Dort hatte sie am ersten Tag gefehlt, was seltsam genug war, aber sie hatte es nicht begründet. So war Julie ihre einzige Verbündete und seit ihrer Entführung im Winter wusste Libby, dass sie der Engländerin vertrauen konnte. Julie war klug und verständnisvoll und lag mit ihr voll auf einer Wellenlänge.

Es hätte jetzt geholfen, ihr von dem Alptraum zu berichten. Libby hatte ihr schon erzählt, dass Brian sie fast vergewaltigt hätte. Julie hätte jetzt die richtigen Worte gewählt …

Seufzend stand sie auf und ging wieder ins Haus. Figaro folgte ihr hinein und die ganze Treppe hinauf bis nach oben in ihr Zimmer. Leise schloss Libby die Tür und setzte sich an ihren Laptop. Das Licht des Bildschirms erhellte das Zimmer. Figaro machte es sich mitten in ihrem Bett gemütlich, aber das störte Libby nicht. Vielleicht war er noch da, wenn sie fertig war und sich auch wieder hinlegte. Das hätte ihr gefallen. Ihre persönliche Schmusekatze.

Sie verzichtete darauf, Musik zu hören, während sie ihr Mailprogramm öffnete und die letzte Mail von Julie heraussuchte, um darauf zu antworten. So erfüllte nur das leise Klappern der Tastatur die Luft in dem ansonsten stillen Raum.

 

Hey Julie,

 

bestimmt wunderst du dich über meinen Anruf. Ich hatte vorhin einen Alptraum und ich wollte bloß mit jemandem reden, aber hier schlafen ja alle. Es ist halb vier nachts. Ich glaube aber, es tut auch gut, dir einfach nur zu schreiben.

Ich träume manchmal von Brian. Ich weiß, das ist kein Wunder. Vorhin habe ich ihn neben mir gesehen, eigentlich eher über mir, und er hat mich mit dem Messer bedroht. Das ist ja passiert … beschissenes Gefühl, das kann ich dir sagen. Aber du verstehst das ja.

Ich bin so froh, dass er tot ist. Nach allem, was er und Tyler getan haben, ist es jetzt wenigstens vorbei. Es hätte noch so viel schlimmer ausgehen können. Matt hätte sterben können, eigentlich wollten sie ihn ja umbringen. Es geht ihm inzwischen besser, aber er hat manchmal Probleme beim Sehen. Ich hoffe, das geht wieder weg.

Irgendwie will ich den beiden das auch gar nicht sagen. Bei Matt wäre es mir peinlich und bei Sadie erscheint es mir unangebracht. Ist wahrscheinlich albern, aber ich bin froh, dass du mir zuhörst und das verstehst. Das ist echt toll von dir.

 

Liebe Grüße

Libby

 

Für den Moment wollte sie es dabei belassen. Es wäre einfacher gewesen, am Telefon darüber zu sprechen, aber sie wollte am Nachmittag einen Ausflug mit Sadie und Matt unternehmen und bis sie zurück waren, lag Julie wahrscheinlich schon im Bett. Verdammte Zeitverschiebung. Unter der Woche schafften sie es wegen der Schule nie, zu telefonieren und manchmal klappte es auch am Wochenende nicht. Mails waren da deutlich einfacher.

Julie würde bestimmt antworten, wenn sie die Mail sah. Das reichte Libby in diesem Augenblick.

Wenige Augenblicke später schaltete sie ihren Laptop wieder aus und legte sich zu Figaro ins Bett. Dafür musste sie ihn erst schnappen und dann wieder neben sich ablegen, aber das ließ der geduldige Kater sich alles gefallen und blieb schnurrend vor Libby liegen.

Das Schnurren beruhigte sie. Libby streichelte Figaro noch ein wenig, bis die Müdigkeit sie wieder überfiel und schloss dann die Augen.

Am Morgen erwachte sie spät. Matt, Sadie und die Kleine waren schon auf den Beinen und bereiteten unten das Frühstück vor, als Libby verschlafen dazu stieß. Gähnend setzte sie sich an den Frühstückstisch.

„Alles okay?“, fragte Sadie, der Libbys geistesabwesender Gesichtsausdruck sofort auffiel.

„Ja, alles gut“, sagte Libby und lächelte, um ihren Worten mehr Gewicht zu verleihen.

„Du siehst müde aus“, stellte Matt fest. „Soll ich uns Rührei machen?“

„Au ja“, sagte Libby begeistert, also verschwand er wieder in der Küche und begann, Eier und Speck zu braten. Als beides laut brutzelte, setzte Sadie sich ebenfalls an den Tisch. Auf ihrem Schoß saß Hayley und versuchte, aller Dinge vor ihr auf dem Tisch habhaft zu werden.

„Ich habe dich heute Nacht gehört“, sagte Sadie. „Du kannst mit mir reden, wenn du möchtest.“

Libby errötete und senkte den Blick. „Es ist nichts. Nur düstere Träume.“

„Verstehe. Überleg es dir. Wenn du ein offenes Ohr brauchst – ich bin da.“

„Danke“, sagte Libby und lächelte. Im Moment hatte sie jedoch kein Redebedürfnis mehr.

Sadie beließ es dabei. Sie konnte sich vorstellen, was Libby beschäftigte und ahnte auch, warum das Mädchen es ihr nicht sagen wollte, aber das fand sie unnötig.

Bis zum Mittag vertrieben sie sich die Zeit im Garten. Libby spielte mit Hayley und half ihr bei ihren beherzten Laufversuchen, Matt reinigte den Grill und Sadie war mit dem Blumenbeet beschäftigt. Diese Ruhe tat ihnen allen sehr gut.

Nach Hayleys Mittagsschlaf machten sie sich auf den Weg zum Aquarium of the Pacific in Long Beach. Sadie und Matt waren immer rege bemüht, etwas Schönes mit den Kindern am Wochenende zu unternehmen, was beiden Spaß machte. Libby freute sich immer sehr darüber und war den beiden dankbar, dass sie sie so einbezogen und zwischen ihr und Hayley keinen Unterschied machten.

Abends legten sie noch einen Zwischenstopp bei Pizza Hut ein und fuhren dann nach Hause. Hayley war bereits todmüde und im Handumdrehen eingeschlafen. Libby beschloss, auf ihr Zimmer zu gehen und nahm auf einem Umweg durch die Küche nur noch etwas zu trinken mit. Dann fiel ihr auf, dass beim Telefon auf der Kommode ein Lämpchen für einen verpassten Anruf blinkte. Im Vorbeigehen schaute sie die Anrufliste durch und erkannte die Vorwahl von England. Also hatte Julie es tatsächlich versucht.

Gespannt lief Libby nach oben und setzte sich an ihren Laptop. Tatsächlich hatte sie schon vor Stunden eine Mail von Julie bekommen, die sie gleich öffnete.

 

Hey Libby,

 

Mum sagte mir, dass du angerufen hast. Vorhin habe ich versucht, dich zu erreichen, aber ihr seid nicht zu Hause. Schade, dass ich heute Mittag weg war, als du es versucht hast. Tut mir leid. Ich hätte gern mit dir geredet, aber dann schreibe ich dir eben. Morgen habe ich eine Klausur in Mathe und du weißt ja, wie sehr ich Mathe liebe … deshalb muss ich noch ein bisschen lernen und rechtzeitig ins Bett.

Jedenfalls verstehe ich gut, wie es dir geht. Ich hatte das ja auch ein bisschen nach der Sache mit den Russen im Winter. Aber das war anders, glaube ich. Ich kann mir ja vorstellen, wie Brian war und ich glaube, das ist um einiges schlimmer, oder? Bei den Russen war klar, denen geht es nur um Sex und Geld, aber Brian war ja ein echter sadistischer Killer. Ich bin so froh, dass dir nicht mehr passiert ist.

Aber wenn ich mal ganz blöd fragen darf – warum erscheint es dir unangebracht, Sadie davon zu erzählen? Du weißt, du kannst mir alles sagen, was passiert ist. Bisher hast du das gar nicht, oder?

Und warum wollten die eigentlich Matt umbringen? Warum haben sie ihn überhaupt mitgenommen? Du sagtest, dass Tyler Evans ihn so gehasst hat, aber wieso?

Du weißt, du musst mir das nicht erzählen, aber dann verstehe ich es besser und kann dir vielleicht helfen. Eigentlich war das alles krasser, als du mir erzählt hast, oder?

Das Angebot steht. Du kannst auch anrufen, wenn du früher Schule aus hast, vielleicht kriegen wir das unter der Woche mal hin. Oder du versuchst es auf meinem Handy. Wie du magst.

 

Fühl dich gedrückt.

Julie

 

Gerührt las Libby die Mail noch einmal. Julie war ein Engel. Ihr Herz blutete, wenn sie sich bewusst machte, wie weit entfernt Julie eigentlich lebte. Da hatte sie endlich jemanden gefunden, mit dem sie sich blind verstand und dann wohnte Julie am anderen Ende der Welt …

Aber es stimmte, sie hatte Julie nicht alles erzählt. Sie hatte ihr kurz erklärt, wer Tyler Evans war und dass Tyler und Brian sie entführt und Matt verletzt hatten. Sie hatte auch erzählt, dass Brian geplant hatte, sie zu vergewaltigen und mehrmals kurz davor gestanden hatte. Sie hatte Julie einen groben Abriss dessen geliefert, wie er schließlich versucht hatte, Sadie und Matt zu töten, um dann mit ihr zu fliehen und sie hatte auch berichtet, wie Sadie und Phil ihn gemeinsam zur Strecke gebracht hatten.

Doch natürlich hatte Julie keine Ahnung, warum Tyler Evans eine Rechnung mit Matt zu begleichen gehabt hatte und sie hatte auch unerwähnt gelassen, was Brian Sadie angetan hatte.

Bis jetzt.

Sie überlegte kurz, aber dann beschloss sie, ehrlich zu Julie zu sein. Das war bei der Engländerin auch gut aufgehoben, wie sie wusste. Es würde gut tun, es ihr zu erzählen.

Libby klickte auf Antworten und begann zu tippen.

 

Hey Julie,

 

jetzt liegst du schon im Bett. Schade, dass wir uns verpasst haben. Ich drücke dir die Daumen für den Mathetest. Das wird schon!

Es ist so toll, dass ich mit dir über alles reden kann. Mit dir ist das sowieso anders, du bist ja keine Erwachsene. Aber ich will Sadie und Matt nicht damit in den Ohren liegen, die haben genug eigene Probleme. Du hast nämlich Recht, ich habe nicht alles erzählt. Das war in dem Moment nicht wichtig, aber ich weiß ja, du behältst es für dich.

Ich käme mir albern dabei vor, Sadie zu erzählen, dass ich Alpträume davon habe, wie Brian mir weh tun wollte. Das wäre ihr gegenüber total unangemessen. Ich habe dir doch erzählt, dass Matt Tyler umgebracht hat, um ihn davon abzuhalten, Sadie zu vergewaltigen. Das habe ich nur gehört, ich war nebenan mit Brian. Als es drüben laut wurde, ist Brian rüber gerannt und wollte Tyler helfen, wie du dir denken kannst … und er ist zwei Stunden lang nicht zurückgekommen.

In diesen zwei Stunden hatte ich Todesangst, dass etwas Schlimmes passiert ist. Ich habe nur gehört, wie Brian rumgebrüllt hat und habe da schon geahnt, dass Matt Tyler umgebracht hat. Aber dann wollte Brian auf Matt losgehen und sich rächen. Er war völlig außer sich. Matt ist zusammengebrochen, er war ja verletzt, und dann war Brian allein mit Sadie.

Das war die Hölle. Ich habe sie zwei Stunden lang weinen hören. Ich wusste, was Brian mit ihr macht, und dann kamen die beiden irgendwann zu mir und ich habe es ihr einfach angesehen …

 

Libby musste für einen kurzen Moment aufhören zu schreiben, weil ihr die Tränen kamen. Sie schaffte es nicht, sie zurückzuhalten und gab den Kampf dagegen schließlich auf. Einen Augenblick lang saß sie einfach nur da, bis die Tränen nachließen, wischte sie an ihrem T-Shirt ab und fuhr dann fort, die Mail zu schreiben.

 

Sie wollte es Matt überhaupt nicht sagen. Ich glaube, inzwischen weiß er es, aber ich kann doch jetzt nicht hingehen und sagen: Ich habe so schlimme Alpträume, weil Brian mich fast vergewaltigt hätte … Mit ihr hat er es gemacht, verstehst du?

Das fühlt sich immer noch so beschissen an. Ich sitze gerade hier und weine und höre das immer noch. Es war furchtbar. Umso krasser war es, als sie später reingekommen ist und ihm gegenüberstand, um meinetwegen mit ihm zu verhandeln. Sie ist der tapferste Mensch, der mir je begegnet ist!

Das mit Matt ist eigentlich eine längere Geschichte. Tyler Evans war ja Sadies Fall, das war kurz bevor ich zu den beiden kam. Ein paar Monate vorher wäre Matt fast gestorben, ich glaube, das weißt du gar nicht. Ihn hat eine Frau gestalkt und sie wollte sie beide umbringen – erst Sadie und hinterher Matt, als es ausweglos für sie war. Ich weiß nicht ganz genau, was damals passiert ist, aber sie hat ihm unter anderem den Fuß gebrochen, bloß damit er nicht weglaufen kann. Kannst du dir das vorstellen? Die Frau war vollkommen übergeschnappt.

Als ich zu Sadie und Matt kam, ging es ihm überhaupt nicht gut. An einem Tag hat er versucht, sich umzubringen. Das war wegen dieser Frau. Er hat sie so gehasst, weil sie ihm so weh getan und Sadie fast getötet hat und ich weiß, dass er sie dafür umgebracht hat. Da muss er völlig neben der Spur gewesen sein. Darunter hat er furchtbar gelitten und es immer bereut. Ihm sind einfach alle Sicherungen durchgebrannt. Ich glaube, wäre Sadie damals nicht schwanger geworden … ich weiß nicht, wie er damit klar gekommen wäre.

Jedenfalls hat Tyler Evans das rausgekriegt. Er wollte damals Sadie erpressen, damit sie aufhört, gegen ihn zu ermitteln und hat gedroht, Matt wegen Mordes anzuzeigen. Sie hat sich auch vorübergehend aus den Ermittlungen zurückgezogen, um Matt zu schützen. Ich meine, hier in den USA geht es ja in solchen Fällen um die Todesstrafe …

Geholfen hat es Evans aber auch nicht. Sie haben damals noch versucht, Matt Probleme zu machen, aber zum Glück hat das nicht geklappt, weil es nie Beweise gegen ihn gab.

Ich hoffe, du denkst jetzt nicht schlecht über ihn. Ich habe das nie getan. Er ist ein guter Mensch. Ich war ja nicht dabei, als er Sadie vor Tyler beschützt hat, aber sie sagte, er konnte kaum stehen. Er wollte einfach nur verhindern, dass Tyler ihr weh tut.

Und natürlich wollte Tyler sich an ihm rächen. Ich glaube, er war sauer, weil Matt davongekommen ist und er selbst ja als Mörder im Gefängnis war. Ich glaube, die beiden wollten, dass Matt zusieht, wenn Tyler Sadie vergewaltigt, und ihn dann töten. Sie wollten ja auch Hayley einfach nur töten, um die beiden fertig zu machen.

Es war die Hölle, Julie. Es war einfach furchtbar. Ja, das war anders als mit den Russen, denn hier wussten wir nie, was als Nächstes passiert und was sie sich noch einfallen lassen, um uns zu quälen. Wir könnten jetzt alle tot sein.

Ich bin so froh, dass Brian Sadie für tot gehalten hat. Das hat uns gerettet.

So, jetzt weißt du, was passiert ist. Und bitte … das mit Matt darf niemand wissen. Er ist doch mein Dad.

 

Ich drücke dich.

Libby

 

Ihre Hände waren eiskalt. Sie las die Mail noch einmal durch, bevor sie sie schließlich mit pochendem Herzen abschickte. Jetzt war es zu spät.

Hoffentlich dachte Julie jetzt nicht schlecht von Matt. Zwar glaubte Libby es nicht, denn wenn sie sich recht erinnerte, hatte Julies Mutter auch mal jemanden erschossen. Aber es war ein Wagnis.

Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie zitterte. Diese Mail zu schreiben, hatte ihr einiges abverlangt. Dadurch hatte sich die Erinnerung noch realer angefühlt.

Sie fand es wirklich lächerlich, dass sie Alpträume hatte, obwohl Brian Sadie vergewaltigt und Tyler Matt so verletzt hatte. Libby selbst hatte noch das größte Glück gehabt, dessen war sie sich bewusst.

Sie hatte aus dem Verhalten der beiden geschlossen, dass Matt inzwischen wusste, was Brian mit Sadie gemacht hatte. Sadie hatte sich erst sehr zurückgezogen und Matt war spürbar besorgt gewesen, aber inzwischen hatte die Situation sich entspannt.

Sie surfte noch ein wenig im Netz und ging schließlich schlafen. Hoffentlich riss sie wenigstens in dieser Nacht nichts aus dem Schlaf.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ERSTER TEIL

 

 

 

 

 

 

Montag, 1. Oktober

 

Gespannt wartete Sadie neben der Sicherheitsschleuse unten in der großen Halle. Das hatte schon bei Dennis Johnson gemacht, auch wenn es rein faktisch nicht nötig gewesen wäre, aber sie fand, das gehörte sich so.

Gedankenversunken ließ sie ihre Blicke über die eintreffenden FBI-Mitarbeiter schweifen, die ihre Ausweise scannen ließen und den Metalldetektor passierten. Jeden Morgen die gleiche Prozedur. Sadie konnte sich gut daran erinnern, wie befremdlich Libby das in ihrer Schule gefunden hatte und war der Meinung, dass das auch eigentlich nicht in Schulen gehörte, aber leider trotzdem notwendig war.

Als sie wieder zum Haupteingang blickte, entdeckte sie Maggie Ryan und lächelte. Schließlich winkte sie ihre neue Kollegin zu einem Sicherheitsmitarbeiter, der ihre Daten aufnahm und ihr einen vorübergehenden Besucherausweis ausstellte. Ihren richtigen Ausweis würde Maggie spätestens am nächsten Tag erhalten.

„Das ist alles so aufregend“, sagte Maggie schließlich, nachdem sie den Metalldetektor hinter sich gebracht hatte und Sadie zum Aufzug folgte. Sie war eine kleine, drahtige Person mit halblangem braunem Haar und blauen Augen.

„Ich freue mich, dass du jetzt schon hier bist“, sagte Sadie. „Hat alles mit dem Umzug geklappt?“

„Ja, ich saß ja sozusagen auf gepackten Koffern.“

„Das kenne ich“, sagte Sadie. „Ich freue mich auf jeden Fall, dass du hier bist und hoffe, es gefällt dir.“

„Da bin ich sicher!“, verkündete Maggie gut gelaunt und folgte Sadie aus dem Aufzug ins Büro der Major Crimes Unit. Seit Anfang September hatten die Profiler ihr eigenes kleines Vierer-Büro abseits des Großraumbüros, das Sadie immer ungemütlich gefunden hatte. Hank hatte kurzerhand einen Besprechungsraum umfunktionieren lassen und Sadie sogar vorgeschlagen, dass sie ein Einzelbüro haben könnte, aber das hatte sie mit der Begründung abgelehnt, dass Profiling Teamarbeit war. In ihren Augen war es wenig sinnvoll, erst das Team zu verstärken und sich dann abzusondern.

Inzwischen war es Viertel vor acht. Sadie führte Maggie herum und zeigte ihr alles. Sie standen gerade vor Maggies Schreibtisch, als Cassandra eintraf.

„Wenn ich vorstellen darf: Special Agent Cassandra Williams. Das ist unser Neuzugang Margaret Ryan“, machte Sadie die beiden miteinander bekannt. Cassandra reichte ihrer neuen Kollegin die Hand.

„Maggie“, stellte diese sich mit beherztem Händedruck vor. „Bitte nenn mich bloß nie Margaret, da weiß ich überhaupt nicht, dass ich gemeint bin!“

„Cassie“, erwiderte Cassandra grinsend. „Ich höre aber auf beides.“

„Okay“, sagte Maggie. „Freut mich, dich endlich kennenzulernen. Sadie hat mir schon von Dennis und dir erzählt.“

„Hoffentlich nur Gutes“, sagte Cassandra grinsend und mit einem Zwinkern.

„Das Beste!“, sagte Maggie schlagfertig. Sadie war froh, dass beide sich auf Anhieb so gut verstanden.

„Guten Morgen“, kam es aus dem Türrahmen. Darin stand Dennis Johnson, der mit seiner Umhängetasche und seiner Kleidung eher an einen Studenten erinnerte. So sah Sadie ihn aber tatsächlich auch lieber als in dem Anzug, in dem er am ersten Tag aufgekreuzt war. Darin hatte er wie verkleidet ausgesehen. Er war hochgewachsen und muskulös, hatte dunkles Haar und eine durchaus charismatische Ausstrahlung.

Er ging gleich auf Maggie zu, reichte ihr die Hand und stellte sich vor. Im Handumdrehen war das Eis gebrochen, Maggie stellte ihre Tasche auf ihrem Schreibtisch ab und geriet gleich ins Plaudern mit ihren neuen Kollegen, bis Hank McNamara in der Tür erschien und Maggie offiziell begrüßte. Das ließ er sich als Chef der Einheit nicht nehmen. Als er wieder verschwunden war, besorgte Sadie ihnen Getränke und eine Packung Kekse, die sie aus der Küche stibitzt hatte. Dann setzten sie sich in ihrem Büro zusammen und stellten sich vor.

„Möchtest du den Anfang machen?“, sagte Sadie ermutigend in Maggies Richtung.

„Gern. Ich bin achtundzwanzig, komme aus Chicago und war dort Polizistin in der Intelligence Unit in Ravenswood für zwei Jahre. Davor bin ich Streife gefahren. In den zwei Jahren bei der Intelligence habe ich gemerkt, dass ich mit den Standard-Ermittlungsmethoden manchmal nicht weiterkomme. Mein erster Fall war ein Serienvergewaltiger, den wir schließlich nur durch einen Gentest erwischt haben. Das Profil für diesen Gentest hat uns die BAU in Quantico geliefert. Damit war ich angefixt. Später habe ich immer wieder versucht, meine Fälle auch psychologisch zu betrachten. Das hat mir manchmal wirklich weitergeholfen. Irgendwann war dann der Wunsch zu groß, die Sache zu vertiefen und so bin ich zum FBI und zum Profiling gekommen“, erzählte Maggie.

„Nick Dormer sagte, du wärst gut darin. Ich vertraue seinem Urteil da hundertprozentig“, sagte Sadie. „Auf jeden Fall freue ich mich, dass du jetzt bei uns bist!“

„Ich freue mich auch, hier zu sein.“ Maggie blickte zu Dennis. „Hast du dich hier schon eingelebt?“

„Schon“, sagte er. „Für mich ist der Neuanfang aber nicht so krass. Ich bin ja schon seit vier Jahren beim FBI, allerdings komme ich aus San Diego. Umziehen musste ich also auch.“

„Hast du vorher schon als Profiler gearbeitet?“

Dennis schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht. Ich war nach dem College als Sozialarbeiter im Gefängnis tätig und bin zufällig auf die psychologische Schiene gerutscht. In San Diego habe ich bislang psychologische Gutachten von Straftätern erstellt, meist für Gerichtsverhandlungen. Bislang bin ich also eher mit einem späteren Stadium des Ganzen vertraut, aber Sadie meinte, sie traut mir zu, dass ich das auch aufs Profiling ummünzen kann.“

„Davon bin ich überzeugt“, sagte Sadie.

„Warum auch nicht?“, sagte Maggie. „Du hast schon einiges gesehen, du hast Erfahrung. Du solltest einen Täter also erkennen, wenn du ihn siehst.“

„Ich hoffe.“ Dennis grinste amüsiert. Er war ein Jahr älter als Maggie und Sadie glaubte, dass sie als Team gut funktionieren würden.

Cassandra stellte sich noch einmal kurz vor und erzählte etwas zu ihrem Werdegang. Maggie war begeistert, als sie hörte, dass auch ihre beiden Kolleginnen ursprünglich bei der Polizei gewesen waren.

„Es ist toll, dass ihr jetzt hier bei uns seid“, sagte Sadie. „Bislang haben Cassandra und ich das hier alles allein gestemmt, was nicht immer einfach war. Innerhalb des letzten Jahres musste Cassie oft ohne mich auskommen – letztes Jahr im August wurde meine Tochter geboren und im Winter bin ich verletzungsbedingt länger ausgefallen. Vieles ist liegen geblieben und das soll in Zukunft nicht mehr vorkommen. Ich finde, für einen Profiler ist es wichtig, für alles offen zu sein, auch Kritik ist bei uns immer erwünscht. Als ich hier angefangen habe, dachte ich noch, niemand weiß hier so ganz genau, wer ich bin. Natürlich stimmte das überhaupt nicht.“

Während sie grinste, lachten die anderen amüsiert. Dann fuhr sie fort.

„Ja, mein Vater war ein Serienmörder, das ist hier inzwischen kein Geheimnis mehr. Ihr könnt mich alles fragen und mich auf alles ansprechen. Ich habe schon so allerhand haarsträubende Dinge erlebt, aber genau das kann ich inzwischen auch nutzen. Darüber bin ich sehr froh. Ich bin aber manchmal auch extrem. Zum Beispiel habe ich eine Art, Verhöre zu führen, die manchen vielleicht zu konfrontativ erscheint.“

„Deine Erfolgquote spricht aber für sich“, sagte Maggie leise.

Sadie lächelte. „Da spielt mit Sicherheit auch Glück eine Rolle.“

„Aber dir in Quantico zuzuhören, war einfach sensationell, wenn ich das so sagen darf. Du hast eine Art, dich in das Hirn eines Psychopathen reinzuschrauben, die ich nur bewundern kann. Es ist mir eine riesige Ehre, jetzt mit dir arbeiten zu dürfen. Ich habe mir alle deine Fälle angesehen, ich kenne das Essay über deinen Vater und überhaupt … ich werde von dir lernen können. Darauf freue ich mich.“

„Ich bin auch sehr gerne hier“, sagte Dennis.

Sadie war das eigentlich unangenehm, aber sie beschloss, sich darüber zu freuen. An diesem Morgen nahm sie sich Zeit für Maggie und auch noch mal für Dennis, zeigte Maggie alles, begleitete sie auf dem Weg ins Personalbüro, wo sie ihren richtigen Ausweis und die Dienstmarke bekam und erklärte ihr den Weg zur Waffenkammer. Irgendwann war es an der Zeit für die Mittagspause, die sie zusammen verbringen wollten. Noch auf dem Weg zur Kantine begegneten ihnen im Aufzug Jason und Matt, so dass Sadie sie mit Maggie bekannt machen konnte. Dennis kannte die beiden bereits.

„Habt ihr euch denn beim FBI kennengelernt?“, erkundigte Maggie sich bei beiden Paaren, als sie gemeinsam an einem Tisch saßen. Während Jason nickte, grinste Matt und schaute zu Sadie.

„Nein, das war damals in Waterford, als wir beide noch bei der Polizei waren. Da hat Sadie mir gezeigt, was sie drauf hat und wie Profiling funktioniert“, erzählte Matt und schon waren sie im Gespräch. Die Mittagspause verging wie im Flug.

Auf dem Rückweg ins Büro sagte Maggie: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie es wohl ist, mit einem Kollegen eine Beziehung zu führen. Ist das nicht schwierig?“

Sadie schüttelte den Kopf. „Im Gegenteil. Wir müssen einander nicht erklären, wie der Job ist. Viele Streitpunkte, die sich bei anderen Paaren ergeben hätten, waren bei uns nie ein Thema.“

„So habe ich das noch gar nicht betrachtet“, sagte Maggie. Im Büro angekommen, blieb sie neben Sadies Schreibtisch stehen und betrachtete das dort aufgestellte Foto von Hayley.

„Deine Tochter ist wahnsinnig süß. Aber ich finde, sie hat mehr Ähnlichkeit mit dir als mit Matt.“

„Sie ist ja noch klein“, erwiderte Sadie. Maggie lächelte und setzte sich an ihren Computer, um sich dort einzurichten.

Bis zum Feierabend war Sadie mit ihren Mails beschäftigt und stellte das Kurzprofil in einem Mordfall fertig, in dem das LAPD sie um Hilfe gebeten hatte. So etwas machte sie sehr oft und tatsächlich war sie froh, dass Cassandra nun ein wenig an ihre Stelle treten und den Platz im Rampenlicht einnehmen würde, obwohl Sadie immer noch der verantwortliche Agent war. Cassandra hatte Sadies Wunsch verstanden, sich nicht länger zur Zielscheibe zu machen.

Es war ein Tag wie so viele andere. Auf dem Weg zum Auto traf sie sich mit Matt, gemeinsam fuhren sie nach Culver City und hielten unterwegs bei Hayleys Tagesmutter, um ihre Tochter dort abzuholen. Auf diesen Moment fieberte Sadie den ganzen Tag hin, denn immer, wenn sie ihre Eltern sah, quiekte die Kleine vor Freude und konnte es kaum erwarten, bei einem von ihnen auf dem Arm zu sitzen.

An diesem Tag war es Matt, der Hayley im Challenger in den Kindersitz setzte und anschnallte. Auf dem letzten kurzen Stück nach Hause drehte Sadie sich auf dem Beifahrersitz um und machte Faxen mit ihrer Tochter. Sie trug Hayley schließlich ins Haus und setzte sie im Wohnzimmer ab, wo die Kleine unbeholfen selbst durch die Gegend tapste. Sie kochten gemeinsam und aßen mit den Kindern zu Abend. Um halb acht lag Hayley schließlich im Bett und weil Libby für eine Klassenarbeit lernen musste, hatten Sadie und Matt alle Zeit der Welt, um sich einen gemütlichen Abend mit einer Serie bei Netflix zu machen. Im Schrank hatte Matt noch eine Tüte Nachos gefunden, über die sie sie sich bereitwillig hermachten, während sie sich Manhunt: Unabomber ansahen. Sadie fand es großartig, Sam Worthington als Profiler dabei zuzusehen, wie er Jagd auf Ted Kaczynski machte.

„Wir sind schon ziemlich irre“, sagte Matt, als die zweite Folge vorbei war. „Sitzen hier auf dem Sofa und schauen in unserer Freizeit Fernsehserien über FBI-Agenten.“

„Was denn?“, sagte Sadie arglos. „Ich finde die Serie extrem gut gemacht.“

„Ist sie auch. Aber irgendwie ist uns ja nicht mehr zu helfen.“

Das hatte Sadie gar nicht so gesehen. Sie entschieden sich schließlich dagegen, sich noch eine dritte Folge anzusehen und gingen nach oben. Während Matt sich die Zähne putzte, schlich Sadie in Hayleys Zimmer und blieb neben dem Bett ihrer Tochter stehen, um auf ihren friedlichen Atem zu lauschen. Das war inzwischen ein allabendliches Ritual für sie – es war ihr unmöglich, schlafen zu gehen, wenn sie nicht nach Hayley geschaut hatte.

Im Schlafzimmer zog sie sich aus und huschte hinüber ins Bad. Sie wollte vor dem Schlafengehen noch duschen. Als sie bloß noch mit ihrem Slip bekleidet vor Matt auftauchte, nickte er anerkennend.

„Was muss ich denn hier sehen?“, sagte er mit einem breiten Grinsen.

Sadie knuffte ihn in die Seite. „Als würdest du das nicht kennen.“

„Klar kenne ich das. Genug davon kriege ich trotzdem nicht.“

Um seine Worte zu bekräftigen, blieb er hinter ihr stehen und legte sanft seine muskulösen Arme um sie. Sadie lehnte sich an ihn und schloss die Augen. Er wusste genau, dass sie das mochte und sich dadurch sicher und beschützt fühlte.

„Ich liebe dich“, raunte er ihr ins Ohr.

„Ich dich auch, Matt.“ Sie blinzelte, als sie merkte, wie er sich von ihr lösen wollte, damit sie seine Erregung nicht bemerkte, aber es war zu spät. Sie drehte sich zu ihm um. Wortlos küsste sie ihn und drückte ihre Hüften spielerisch fest gegen seine. Matt hielt die Luft an.

„Möchtest du mir etwas mitteilen, Matt Whitman?“, fragte sie und strich mit ihren Fingerspitzen über seine Brust.

Er räusperte sich und grinste. „Ich warte im Bett, Mrs. Whitman.“

Sadie lachte und wartete, bis er gegangen war, bevor sie in die Dusche huschte und unter dem warmen Wasserstrahl überlegte, ob sie in Stimmung war. Bis gerade war sie es nicht gewesen, aber je länger sie darüber nachdachte, desto fordernder wurde das Kribbeln, das sie spürte.

Doch, sie würde es tun. Das war eine gute Idee. Es nützte ja nichts, sich deshalb zu viele Gedanken zu machen. Je öfter sie es tat, desto normaler würde es wieder werden.

Sie hatte sich seit ihrer Vergewaltigung schon mehrmals wieder getraut, Sex zu haben und zu ihrer Überraschung hatte es sich höchstens beim ersten Mal ein wenig seltsam angefühlt. Diesmal würde es sich nicht so sehr auf ihr Leben auswirken, das hatte sie sich geschworen.

Sie beeilte sich unter der Dusche, trocknete ihr Haar nur mit dem Handtuch und schlich nach dem Zähneputzen hinüber ins Schlafzimmer. Matt lag lesend im Bett und wartete ab.

Das war seine Art. Er ließ ihr immer den Vortritt, es sei denn, sie bat ihn ausdrücklich darum, die Zügel in die Hand zu nehmen. Damit waren sie schon in der Vergangenheit gut gefahren.

Schweigend beobachtete Matt, wie Sadie sich neben ihn ins Bett legte, immer noch nur mit ihrem Slip bekleidet, und ihn wortlos ansah. Sie beugte sich vor, küsste ihn und rutschte näher an ihn heran. Matt verstand und fuhr mit einer Hand durch ihr feuchtes rotes Haar, während er ihre Küsse erwiderte und sich nur langsam von ihren Lippen löste. Er arbeitete sich über ihren Hals hinab vor bis zu ihrer Brust und überhäufte sie mit Zärtlichkeiten. Dabei vermied er es jedoch tunlichst, sich über sie zu beugen. Das war alles, worum sie ihn gebeten hatte und er hatte verstanden, warum das wichtig war.

Genüsslich entledigte er sich ihrer Unterwäsche, zog sie bis an die Bettkante und vergrub den Kopf in ihrem Schoß. Sadie schloss die Augen und krallte sich leise stöhnend in die Bettdecke.

Sie liebte es, wenn er das tat. So konnte er sie alles vergessen lassen. Sie liebte dieses Gefühl. Sie liebte Matt. Daran würde sich niemals etwas ändern. Für einen Moment hielt sie die Augen geschlossen und kostete das Gefühl aus, als er ihr schließlich ganz nah war, dann richtete sie sich auf und legte die Arme um ihn. Sie hockte ihm zugewandt auf der Bettkante und legte den Kopf auf seine Schulter, während er sich weiterhin Zeit ließ und sie zärtlich liebkoste, als er erst einen Rhythmus mit ihr gefunden hatte. Er hatte ihr einmal gesagt, dass es ein Geschenk für ihn war, zu sehen, dass er sie glücklich machen konnte.

Und das konnte er. Sadie hatte keinerlei Schwierigkeiten, sich darauf einzulassen. Sie schlang die Beine um seine und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Sie ließ es einfach geschehen und verlor sich ganz in diesem Moment, bis sie irgendwann nicht mehr an sich halten konnte und fast geschrien hätte. Tatsächlich jedoch hielt sie sich nur an Matt fest und küsste ihn begierig. Er ließ sich sofort davon mitreißen und wollte sie gar nicht mehr loslassen. Keuchend kniete er vor ihr und strich ihr übers Haar.

„Meine wilde, süße Sadie“, sagte er atemlos.

Sie lächelte und sah ihn mit einem entrückten Blick an. „Du machst mich glücklich.“

Mit zitternden Knien stand Matt auf und ging auf die Suche nach seinen Shorts. Sadie stand schließlich auch auf, um sich anzuziehen, und legte sich mit verträumter Miene ins Bett. Matt gesellte sich dazu, dann strich er ihr eine Strähne ihres langen Haares aus dem Gesicht.

„Du bist einfach wunderschön“, sagte er und lächelte.

„Danke“, erwiderte Sadie leise. „Du bist der beste Mann, den ich mir je hätte wünschen können.“

„Mir ist es eine Ehre, dass ich dein Mann sein darf“, sagte er und wollte noch etwas hinzufügen, aber dann schwieg er.

„Was?“, fragte Sadie neugierig.

„Ich will das jetzt nicht ruinieren.“

„Du kannst nichts ruinieren.“

Trotzdem zögerte er noch einen Moment. „Gerade ging mir durch den Kopf, wie erstaunlich es ist, dass du das jetzt schon wieder kannst.“

Unbeeindruckt zuckte Sadie mit den Schultern. „Ich lasse mir von Brian Leigh gar nichts mehr versauen, Matt. Aber so traurig es ist, dass ich darin schon Erfahrung hatte, so nützlich ist das jetzt auch. Ich weiß, was ich vermeiden muss. Und außerdem bist du es, das verwechsle ich nicht. Du könntest mir niemals weh tun. Du bist mein Mann.“

Gerührt sah Matt sie an, beugte sich vor und küsste sie liebevoll. Das war die beste Antwort, die er geben konnte.

 

 

Mittwoch, 3. Oktober

 

„Erst mal machen wir deine Windel und dann gibt’s noch eine Kleinigkeit zu essen“, sagte Matt, bevor er sich Hayley schnappte und mit ihr nach oben ging.

„Soll ich mitkommen?“, bot Sadie an.

„Passt schon“, erwiderte Matt von der Treppe aus und ging hinauf. Wie üblich schallte aus Libbys Zimmer Musik. Sadie war froh, dass der Arbeitstag endlich vorüber war, denn die Besprechungen hatten sich endlos gezogen. Das war der Nachteil, wenn man plötzlich ein Schreibtischtäter war.

Eine Kleinigkeit zu essen … Sadie öffnete den Kühlschrank und spähte hinein. Gab es dort irgendwas zu sehen, das ihr Interesse erregte? Auf Anhieb fand sie nichts, deshalb stöberte sie weiter im Vorratsschrank herum.  

Das Klingeln an der Haustür ließ sie aufhorchen. Stirnrunzelnd ging sie zur Tür und stutzte, als sie durch das kleine Fenster zwei Männer sehen konnte. Sie glaubte, einen von beiden zu kennen, aber er wurde halb von dem anderen verdeckt. Erst, als sie die Tür öffnete und er neben den anderen Mann trat, wusste sie, wer er war.

„Detective Carroll, LAPD“, stellte der vordere der beiden sich vor. „Das ist mein Kollege, Detective Vincenzo.“

Sadie schluckte. „Wir kennen uns.“

Vincenzo nickte ihr zu. „Wir kommen wegen Ihres Mannes.“

„Wegen Matt? Was …“ Sadie unterbrach sich selbst und kniff die Augen zusammen. In diesem Augenblick wurde sie des voll besetzten Streifenwagens hinter dem Dienstfahrzeug der Detectives gewahr. „Warum sind Sie hier?“

„Ist er zu Hause?“, fragte Vincenzo. Noch bevor Sadie antworten konnte, kam Matt mit Hayley auf dem Arm die Treppe hinunter und musterte die Detectives fragend. Als er sie erkannte, blieb er an Ort und Stelle stehen. Er hatte die beiden Detectives nie vergessen, die ihn zwei Tage lang durch den Wolf gedreht und versucht hatten, ihm das Geständnis abzuringen, dass er ein Mörder war.

„Mr. Whitman“, sagte Vincenzo.

„Was wollen Sie denn hier?“, fragte Matt entgeistert. Allerdings fing er sich schnell wieder, ging zu Sadie und reichte ihr Hayley. Er hätte nicht sagen können, warum. Es war nur so ein Gefühl. Doch ihm war klar, dass die Anwesenheit der Detectives nichts Gutes verheißen konnte.

Carroll griff nach den Handschellen an seinem Gürtel. „Matt Whitman, ich verhafte Sie wegen des Verdachts, Stacy Gallagher ermordet zu haben. Sie haben das Recht, zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Können Sie sich keinen leisten, wird Ihnen einer gestellt. Verstehen Sie Ihre Rechte?“

Matt stand einfach nur da und starrte die Detectives an. Er wusste nicht, was er sagen oder wie er reagieren sollte.

„Bitte leisten Sie keinen Widerstand“, sagte Carroll. „Nehmen Sie die Hände auf den Rücken und drehen Sie sich um.“

„Was soll das jetzt?“, fragte Sadie düster. „Das Thema hatten wir doch schon. Er war es nicht!“

Doch Carroll ignorierte sie und blickte zu Matt. „Mr. Whitman, haben Sie mich verstanden?“

„Sie wollen mich festnehmen?“, fragte Matt verständnislos.

Carroll nickte. „Würden Sie sich bitte umdrehen?“

Matt schluckte und tat, was Carroll gesagt hatte. Er rührte sich nicht, während der Polizist ihm Handschellen anlegte. In diesem Moment erschien Libby auf der Treppe und rannte hinunter, als sie sah, was geschah.

„Matt!“, rief sie aufgewühlt.

„Auf welcher Grundlage nehmen Sie ihn fest?“, fragte Sadie scharf.

„Es gibt berechtigten Grund zur Annahme, dass wir damals etwas übersehen haben“, sagte Vincenzo, während die Handschellen sich mit einem rasselnden Geräusch schlossen. Matts Blick ging an Sadie vorbei ins Nichts. Hayley klammerte sich an ihrer Mutter fest und blickte unglücklich zu den Polizisten.

„Sie wissen, dass das Unfug ist!“, rief Sadie wütend. „War das Evans? Versucht er es wirklich wieder?“

Vincenzo hielt ihr ein Blatt Papier vor die Nase, das er die ganze Zeit festgehalten hatte. „Wir kommen mit einem Durchsuchungsbefehl.“

„Bitte was? Das kann nicht ihr Ernst sein!“ Sadie war vollkommen außer sich.

„Ich muss Sie und die Kinder bitten, im Wohnzimmer Platz zu nehmen und sich dort nicht wegzubewegen, während wir alles durchsuchen“, sagte Vincenzo. Sadie bildete sich ein, eine Spur des Bedauerns aus seiner Stimme herausgehört zu haben, doch sicher war sie sich nicht.

„Sie werden überhaupt nichts finden“, sagte Matt, der sich wieder einigermaßen gefasst hatte.

Vincenzo nickte seinem Kollegen zu. „Fahrt ihr schon mal vor, ich komme nach, wenn die Durchsuchung abgeschlossen ist.“

„Sie tun überhaupt nichts!“, regte Sadie sich auf.

„Hey, lass sie nur machen“, sagte Matt. „Sie machen bloß ihre Arbeit. Sie können doch gar nichts finden!“

„Darum geht es doch überhaupt nicht!“ Sadie schluckte, als Hayley auf ihrem Arm laut zu weinen begann. Die Kleine spürte genau, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.

„Matt …?“, sagte Libby fragend, als Carroll ihn am Oberarm packte und nach draußen bringen wollte.

Matt drehte sich um und sah Libby eindringlich an. „Es ist okay. Mach dir keine Sorgen. Das wird schon wieder, hörst du? Hab keine Angst. Sadie, du musst den Anwalt anrufen. Ich weiß nicht, was hier los ist, aber ich brauche ihn.“

Hayley weinte markerschütternd laut. Sie zappelte und versuchte, von Sadies Arm zu hüpfen, als Carroll Matt Richtung Tür zog. Hektisch blickte Sadie zu Libby und schaute dann Matt hinterher.

„Bitte, kannst du sie nehmen?“ Mit diesen Worten drückte Sadie Libby ihre kleine Tochter in den Arm und war mit zwei Schritten draußen.

„Ich komme, so schnell ich kann, Matt. Ich besorge dir einen Anwalt. Das wird sich bestimmt klären!“, rief sie.

„Wird es“, grollte Matt, der sich widerstandslos von Carroll zum Dienstwagen führen ließ. Hilflos blickte Sadie ihm hinterher.

„Mrs. Whitman“, holte Vincenzos Stimme sie in die Realität zurück. „Kommen Sie.“

Doch Sadie stand einfach nur da und sah zu Matt, der ihren Blick stumm erwiderte. Sie achtete nicht darauf, wie Vincenzo den Kollegen im Streifenwagen zunickte, woraufhin sie ausstiegen und zur Tür kamen.

Vincenzo trat neben Sadie und legte seine Hand auf ihren Arm, weshalb sie zusammenzuckte.

„Fassen Sie mich bloß nicht an!“, schnappte sie und stapfte an ihm vorbei ins Haus. Libby stand mit entsetzter und hilfloser Miene auf der Treppe und versuchte vergeblich, die kreischende Hayley zu beruhigen. Wortlos nahm Sadie ihr die Kleine wieder ab und ging mit ihr auf dem Arm hindurch ins Wohnzimmer, wo sie sich aufs Sofa setzte und Hayley beruhigend wiegte. Sie versuchte, die Kleine zu trösten, die knallrot im Gesicht war und verzweifelt schrie. Natürlich wusste sie nicht, was eine Verhaftung war, aber sie spürte, dass etwas in der Luft lag.

Wortlos nahm Libby neben Sadie Platz. Vincenzo blieb vor den beiden stehen, dann starrten er und Sadie einander unnachgiebig an, während Sadie beruhigend summte und Hayley über den Kopf strich. Allmählich wurde Hayleys Weinen leiser. Sie vergrub den Kopf an Sadies Schulter. Es machte Sadie nervös, zu hören, wie Vincenzos Kollegen überall herumliefen und raschelten, dann tauchten zwei der Männer bei ihnen auf und begannen, alles zu durchsuchen.

„Das war Evans, oder?“, fragte Sadie.

Vincenzo mauerte. „Dazu kann ich nichts sagen.“

„Dass er es wirklich wieder damit versucht … Warum wirft er meinem Mann nicht vor, seinen Sohn ermordet zu haben? Tylers Tod hat Matt doch tatsächlich zu verantworten.“

„Ja, aber im Kontext Ihrer Entführung und aufgrund Ihrer Aussage ist ziemlich offensichtlich, dass das Notwehr und kein Mord war.“

Sadie lächelte kühl und nickte. „Also war es wirklich Evans.“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Kommen Sie, Detective. Wenn Sie so genau über diese Angelegenheit Bescheid wissen, ist das doch nicht ohne Grund so.“

Vincenzo atmete laut aus. „Ich weiß, man sollte Sie nicht unterschätzen, Agent Whitman.“

„Er war es nicht. Wie hat Evans es geschafft, das wieder aufzuwärmen?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Vincenzo. Sadie glaubte ihm, aber das spielte keine Rolle.

„Was dagegen, wenn ich telefoniere?“, fragte sie. Vincenzo schüttelte den Kopf. Vollkommen unbehaglich saß Libby neben ihr, die Schultern hochgezogen, und beobachtete die Polizisten dabei, wie sie alles auf den Kopf stellten.

„Machen Sie nur“, sagte Vincenzo betont großzügig. Sadie hätte ihm die Augen auskratzen können.

Doch entgegen Matts Bitte rief sie nicht zuerst den Anwalt an, sondern versuchte es bei Nathan. Sie fluchte, als bei ihm nur die Mailbox anging, und rief doch den Anwalt an, der Matt schon beim letzten Mal beigestanden hatte. Matt war damals zufrieden mit Andrew Rhodes gewesen, der Sadie am Telefon gleich versprach, zur Polizei zu fahren und sich um Matt zu kümmern.

Dann wollte Sadie Phil anrufen. In diesem Moment benötigte sie dringend Beistand und wenn Nathan schon nicht erreichbar war, dann hoffentlich Phil.

„Ist es okay, wenn ich auf der Terrasse telefoniere?“, fragte sie.

„Solange ich Sie sehen kann und die Tür offen bleibt, ist das kein Problem.“

Sadie lächelte kurz und freute sich über Vincenzos Entgegenkommen, dann bat sie Libby, ihr Hayley noch einmal abzunehmen. Inzwischen hatte die Kleine sich soweit beruhigt, dass das überhaupt eine Option war.

Als sie draußen war, atmete sie befreit auf. Sie hoffte immer noch, dass das nur ein Alptraum war, aus dem sie schnell erwachte. Die konnten nicht einfach Matt schon wieder festnehmen. Ungeduldig lauschte sie auf das Freizeichen.

„Sadie“, erlöste Phil sie endlich.

„Phil, ich bin so froh, deine Stimme zu hören.“

„Was ist los?“, fragte er besorgt. „Was ist passiert?“

„Das LAPD ist hier. Sie haben Matt schon wieder wegen Stacy festgenommen. Gerade durchsuchen sie unser Haus.“

Phil brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. „Das ist doch auf Evans’ Mist gewachsen.“

„Glaube ich auch. Phil …“ Plötzlich geriet Sadies Fassung ins Wanken. „Sie haben ihn vorhin in Handschellen rausgeführt.“

„Ist sein Anwalt unterwegs?“

„Ja, der weiß schon Bescheid.“

„Und Nathan?“

„Geht nicht ran.“

„Okay … ich komme zu euch. Ich helfe Amelia noch schnell dabei, die Kleine ins Bett zu bringen und bin dann gleich bei euch“, sagte er.

„Du musst nicht …“

„Hey, warum sonst hast du mich denn angerufen? Matt ist mein Freund. Ich komme zu euch. Bis gleich.“

„Bis gleich“, erwiderte Sadie und legte auf. Wieder kribbelte ihre Haut verräterisch. Sie hatte immer so ein eigenartiges Gefühl, wenn Gefahr drohte.

Sie konnten nichts finden. Oder doch? Damals hatten sie keinen Durchsuchungsbefehl beantragt, aber jetzt hatten sie ihn gleich mitgebracht.

Konnten sie wirklich nichts finden?

Als das Handy in ihrer Hand zu vibrieren begann, erschrak sie zu Tode. Erleichtert las sie Nathans Namen auf dem Display.

„Danke, dass du zurückrufst, Nathan“, sagte Sadie.

„Was kann ich für dich tun?“

„Deine Kollegen sind hier und haben Matt festgenommen. Wegen Stacy.“

„Wegen Stacy? Ernsthaft?“ Nathan konnte es nicht fassen.

„Sie durchsuchen gerade unser Haus.“

„Bitte wie?“

„Vincenzo meinte, sie hätten irgendwelche neuen Hinweise.“

„Bullshit“, erwiderte Nathan ungehalten. „Ich bin gerade noch mal ins Büro rein und deshalb kann ich mich jetzt gleich mal an den Computer klemmen und dir sagen, wer das abgesegnet hat.“

„Warum ist das wichtig?“, fragte Sadie.

„Weil ich mich frage, wer bescheuert genug ist, das neu aufzurollen. Vincenzo und Carroll haben sich doch damals schon eine blutige Nase geholt. Warte kurz … da haben wir es.“ Nathan schnaubte. „Vincenzo und Carroll wurden von Chief Hooker darauf angesetzt. Kein Wunder, der ist ganz dicke mit Evans Senior.“

Sadie nickte ernst. „Dachte ich es mir doch.“

„Ich sehe hier auch den Durchsuchungsbefehl.“ Nathan atmete tief durch. „Sadie, ich sage das nur ungern, aber leg dich jetzt bitte nicht mit ihnen an.“

„Tue ich nicht.“

„Nein, ich meine … lass sie einfach machen. Am besten redest du gar nicht mit ihnen. Ich weiß nicht, was die vorhaben, aber das ist ein abgekartetes Spiel. Die fahren schwere Geschütze auf. Die wollen unbedingt etwas finden.“

„Sie können nichts finden, Nathan.“

„Ja … ach, vergiss es. Ich komme zu euch. Mal sehen, wie sie auf mich reagieren.“

„Danke, das klingt großartig.“

„Ist doch klar. Bis gleich.“

Sadie wollte noch etwas sagen, aber Nathan hatte schon aufgelegt. Sie ließ ihr Handy sinken und starrte ins Nichts, zumindest nahm sie gerade überhaupt nichts wahr.

Sie hatten Matt in Handschellen aus seinem eigenen Haus geführt, vor den Augen seiner Familie. Wenn Evans sie fertig machen wollte – das war eine verdammt effektive Methode.

Und wieder fragte sie sich, ob die Polizei irgend etwas finden konnte. Was sollte das sein? Da gab es nichts. Sie hatte nur immer wieder mit Matt darüber geredet, alle hatten immer nur geredet. Es gab keinerlei Beweise oder Hinweise. Nichts.

Trotzdem hatte sie entsetzliche Angst. Das war keine Lappalie. Sie steckte ihr Handy weg und verschränkte die Arme vor der Brust, die Schultern hochgezogen, die Augen zusammengekniffen.

Als sich die Terrassentür hinter ihr öffnete, drehte sie sich um. Vincenzo kam zu ihr nach draußen.

„Verraten Sie mir, mit wem Sie gesprochen haben?“, fragte er.

„Eigentlich geht es Sie nichts an, aber sie kommen gleich ohnehin her.“

„Sie?“ Vincenzo war überrascht.

„Detective Morris und Phil Richardson. Ich nehme an, der Name sagt Ihnen noch etwas?“

Der Polizist nickte. „Er war es, der Sean Taylor erschossen hat, richtig? Ein Freundschaftsdienst, nehme ich an.“

Hasserfüllt starrte Sadie ihn an. „Ich kann es nicht fassen, dass Sie gerade wirklich davon anfangen.“

„Ich habe es damals niemandem gesagt. Damit bin ich ziemlich angeeckt. Ich musste sagen, dass ich Ihnen geglaubt habe, durfte es aber nie fundiert begründen.“

„Das ist immerhin anständig“, murmelte sie.

Vincenzo machte einige Schritte auf sie zu. „Ich habe nichts gegen Sie.“

„Und trotzdem sind Sie hier. Sie haben vorhin meinen Mann als Mörder verhaftet. Schon wieder.“

„Ich mache nur meine Arbeit. Sie wissen doch, wie das ist.“

„Ja, natürlich. Aber wir sind beide Ermittler, Detective. Wo kämen wir hin, wenn wir uns nicht auf unsere Spürnasen verlassen könnten?“

„Da haben Sie Recht, Mrs. Whitman. Ich kann Sie auch als Agent Whitman ansprechen, wenn Ihnen das lieber ist.“

„Das ist mir scheißegal“, sagte Sadie gereizt. „Glauben Sie ernsthaft, dass mein Mann eine hilflose Frau umgebracht hat?“

„Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Irgendwas war immer seltsam an der Sache.“

Sadie straffte die Schultern. „Ich lasse nicht zu, dass Sie meine Familie zerstören, Detective.“

Abwehrend hob er die Hände. „Hey, nicht doch. Ich bin nicht Ihr Feind.“

„Sie haben keine Ahnung, was Sie hier anrichten! Ich habe es Ihnen damals schon erklärt. Ich habe meinem Mann mein Leben zu verdanken. Er ist ein guter Mensch, er hat mich schon mehrmals gerettet. Zuletzt im Winter in England, als ich an einem Schuss in die Leber fast verblutet wäre. Wissen Sie, wie schnell das geht?“

„Schnell“, sagte der Polizist. „Vorhin war ich überrascht, hier zwei Kinder vorzufinden. Sie haben Liberty adoptiert und noch ein eigenes Kind bekommen.“

„So sieht’s aus.“ Abwartend erwiderte Sadie seinen Blick.

„Sie legen für Ihren Mann wirklich die Hand ins Feuer, oder? Wie alt ist Ihre Tochter?“

Sadie lachte kurz. „Verstehe. Sie wollen wissen, wann sie gezeugt wurde. Hören Sie auf damit, ich bitte Sie. Stacy Gallagher hat meinem Mann Narben zugefügt, und das meine ich nicht bloß im Wortsinn. Er war verzweifelt, weil sie sich ihm aufgezwungen hat. Am Ende war er selbstmordgefährdet. Und jetzt … jetzt kommen Sie und nehmen ihn wieder deshalb fest.“ Plötzlich glitzerten Tränen in ihren Augen. „Das nehme ich Ihnen verdammt übel, wissen Sie das? Sie haben keine Ahnung, was das für uns bedeutet.“

Diese Worte hinterließen tatsächlich Eindruck bei Vincenzo, sie verunsicherten ihn. Diesmal wich Sadie seinem Blick nicht aus.

„Wir waren damals die ermittelnden Detectives und deshalb stehen wir jetzt wieder hier. Wenn Sie meine persönliche Meinung hören wollen – ich habe kein übersteigertes Bedürfnis danach, mir hier wieder die Zähne für nichts auszubeißen. Aber wir müssen der Sache nachgehen, ihn befragen und hier nach Beweisen suchen. Wenn wir nichts finden, ist doch alles in Ordnung“, sagte er.

„Es ist trotzdem unnötig“, schnaubte Sadie und ging an ihm vorbei wieder ins Wohnzimmer. Hayley streckte die Arme nach ihrer Mutter aus und Sadie nahm sie auch gleich wieder auf den Schoß. Mit düsterer Miene beobachtete Sadie Vincenzo dabei, wie er die Tür hinter sich schloss und zu seinen Kollegen ging.

Als er außer Hörweite war, sagte Libby: „Dürfen die das einfach so machen?“

Sadie nickte. „Leider ja. Nathan sagte vorhin zu mir, ich soll sie einfach lassen. Vielleicht hat er Recht.“

„Aber …“ Libby blickte verstohlen zu den Polizisten, was niemand merkte, dann wisperte sie: „Ich habe Angst.“

„Musst du nicht“, behauptete Sadie, während sie nach Libbys Hand griff und sie ganz fest drückte. Sie warf ihr einen ermutigenden Blick zu und war unaussprechlich erleichtert, als es wenig später klingelte. Vincenzo begleitete Sadie zur Haustür, nachdem sie Hayley wieder auf Libbys Schoß gesetzt hatte.

Phil würdigte den Polizisten keines Blickes, während er Sadie fest umarmte. Erst dann musterte er Vincenzo prüfend.

„Sie haben den Falschen“, sagte er.

„Mr. Richardson“, sagte Vincenzo trocken und reichte ihm die Hand.

„Sie wissen, wer ich bin“, stellte Phil irritiert fest und schüttelte Vincenzos Hand.

„Ich habe mich damals schon sehr genau mit jedem von Ihnen auseinandergesetzt, als wir Matt Whitman zum ersten Mal verhaftet hatten.“

„Solange Sie mich jetzt nicht auch festnehmen.“

„Nein, wobei Ihr Auftritt hier mir einiges verrät.“

„Sadie und Matt Whitman sind meine besten Freunde“, sagte Phil. „Vermutlich haben Sie keine Vorstellung, was Sie hier gerade anrichten, aber ich würde gern dabei helfen, den Schaden zu begrenzen.“

Sadie hätte Phil gar nicht sagen können, wie gut diese Worte in diesem Moment in ihren Ohren klangen. Dass nun auch Phil so leidenschaftlich Matts Ehre verteidigte, machte ihr Mut.

„Komm rein“, sagte sie.

„Und Sie durchsuchen hier gerade ernsthaft das Haus?“, fragte Phil an den Detective gerichtet.

„Vielleicht finden wir ja doch etwas“, erwiderte Vincenzo trocken.

„Ich würde mich sehr wundern“, sagte Phil. Im Wohnzimmer angekommen, begrüßte er auch Libby und Hayley und beobachtete die Polizisten dabei, wie sie alles durchwühlten. Dabei ließ er sich keine Verunsicherung anmerken. Sadie fiel es inzwischen nicht mehr schwer, ohne mit der Wimper zu zucken für Matt zu lügen, aber sie hatte nicht gewusst, dass Phil das in ähnlichem Maße perfektioniert hatte.

„Sie waren damals dabei, nicht?“, richtete Vincenzo sich an Phil.

„Sie meinen, als Stacy Gallagher versucht hat, Matt umzubringen?“, fragte Phil und der Detective nickte. „Ja, das war ich allerdings. Ich weiß noch, wie Matt mich damals angesehen hat. Er hatte bloß Angst. Nicht zu Unrecht, schließlich hat sie ihn fast verbluten lassen.“

Phil blickte nur kurz zu Sadie, während er sprach, aber ihre Miene war wie versteinert. „Ich habe in dem Moment verhindert, dass Matt stirbt, glaube ich. Aber das hat ihn verändert.“

„Spräche doch dafür, dass er sich an ihr gerächt hat, oder? Wenn sie ihm so zugesetzt hat …“ murmelte der Detective.

„Matt ist kein Mörder“, sagte Phil und sah Vincenzo dabei genau in die Augen. Er hatte es wirklich perfektioniert. Sadie hätte ihn küssen mögen.

„Sind Sie einer?“, fragte Vincenzo.

Wütend sprang Sadie auf. „Jetzt reicht es aber wirklich!“

„Lass nur“, erwiderte Phil ruhig und griff nach ihrer Hand, woraufhin sie sich wieder setzte. „Worauf spielen Sie an?“

„Ich weiß, dass Sie den Pittsburgh Strangler erschossen haben. Dafür, dass Sie Ihre Waffe unauthorisiert mit sich geführt haben, hat man Sie vor die Tür gesetzt. Aber war es Mord?“

Phil tauschte einen kurzen Blick mit Sadie, dann sah er den Detective wieder an. „Wären Sie dort gewesen, würden Sie eine solche Frage überhaupt nicht stellen.“

„Sie weichen aus.“

Nun stand Phil auf und hielt dem Detective demonstrativ seine Arme hin. „Bitte, nehmen Sie mich fest, wenn Sie wollen. Sean Taylors Tod wurde damals hinreichend untersucht. Er hat mit Matt gekämpft. Wie Sadie aussah, will ich mir gar nicht mehr vorstellen. Ich war froh, dass ich meine Waffe dabei hatte und es irgendwann einen Moment gab, in dem ich schießen konnte, ohne Matt zu gefährden. Ich musste die Situation unter Kontrolle bringen. Da fragt man bei einem Serienmörder nicht lange. Hatten Sie schon mit einem Serienmörder zu tun?“

„Nein“, sagte Vincenzo. „Glücklicherweise nicht.“

Phil ließ die Arme sinken. „Nichts für ungut, aber dann können Sie wohl kaum mitreden, Detective. Ich hatte Alpträume von diesen Momenten da unten im Keller und das nicht, weil ich ihn ermordet hätte, das können Sie mir glauben.“

Als einer von Vincenzos Kollegen sich am Computer in der Ecke hinter dem Sofa zu schaffen machte, sprang Sadie wieder auf.

„Was wird das denn?“

„Wir nehmen alle Computer mit“, sagte Vincenzo. „Könnte doch sein, dass wir darauf etwas finden. Würden Sie uns die Passwörter verraten?“

Innerlich kochte Sadie vor Wut, aber sie wusste, damit kam er durch. Diese ganze Hausdurchsuchung war die pure Schikane, finden würden sie ohnehin nichts. Aber sie konnte nichts dagegen tun.

Als es erneut klingelte, bot Phil an, nachzusehen. Sadie war einverstanden, so dass er Augenblicke später mit Nathan erschien.

Vincenzo nickte ihm zu. „Morris.“

„Wessen hirnverbrannte Idee war das?“, fragte Nathan, ohne die Begrüßung zu erwidern. „Ihnen ist aber klar, dass Chief Hooker mit Evans golfen geht, oder?“

Arglos zuckte Vincenzo mit den Schultern. „Ich mache hier nur meine Arbeit.“

„Sie wissen, dass das Schwachsinn ist“, schnaubte Nathan.

„Ich finde es wirklich interessant, wie vehement Sie alle sich mir in den Weg stellen. Haben Sie Angst, ich könnte doch etwas finden?“

„Nein, ich habe nur etwas gegen Willkür. Evans kriegt Matt nicht dafür dran, dass er Tyler getötet hat, also versucht er es jetzt noch mal auf diese Tour. Das ist ganz mies. Und Sie unterstützen das auch noch!“

„Ich mache nur meine Arbeit“, sagte Vincenzo gelassen.

„Ach, hören Sie doch auf! Sie werden nichts finden, aber der Scherbenhaufen ist dann trotzdem da.“

„Wenn Sie so weitermachen, lade ich Sie alle vor. Das können Sie sehr gern haben. Da mache ich auch keinen Unterschied bei Kollegen.“

„Schön, von mir aus. Wir hatten das zwar schon mal, aber wir können das gern wiederholen“, schnaubte Nathan.

„Hey“, sagte Sadie und stand auf. „Jetzt beruhige dich doch erst mal.“

„Ich beruhige mich überhaupt nicht! Ich fasse es einfach nicht, dass Evans damit durchkommt.“

„Wir alle regen uns weitaus mehr auf als Matt“, sagte Sadie.

„Was mir ein Rätsel ist. Sie werden ihn aber jetzt nicht wieder zwei Tage lang nerven, oder?“, fragte Nathan seinen Kollegen.

Doch Vincenzo antwortete nicht darauf. „Ernsthaft, Morris, warum fangen Sie jetzt auch noch so an? Ich finde Sie alle gerade mehr als verdächtig, wenn ich das so sagen darf.“

„Gehen Sie mir jetzt nicht auf den Keks“, grollte Nathan. „Hätten wir im Büro eine Chance, mit Matt zu sprechen?“

„Weiß ich nicht, das muss Carroll entscheiden“, sagte Vincenzo. „Allein ganz bestimmt nicht. Aber vielleicht lässt er ja Mrs. Whitman zusammen mit dem Anwalt rein.“

„Wie großzügig“, ätzte Nathan.

„Ich kann doch nicht die Kinder allein lassen“, wandte Sadie ein.

„Du lässt sie auch nicht allein. Ich bleibe hier“, bot Phil an.

„Das würdest du tun?“

„Aber sicher. Wir kommen zurecht, oder, Libby?“

Während ihre Adoptivtochter nickte, wusste Sadie nicht, wie sie reagieren sollte. Phils Angebot rührte sie und sie wollte nichts lieber, als Matt beizustehen, aber sie wusste nicht, ob man sie lassen würde.

Libby, die Sadie den Konflikt ansehen konnte, lächelte ihr zu. „Geh ruhig. Ich bringe Hayley ins Bett. Das klappt schon.“

„Bist du sicher?“, fragte Sadie.

„Na klar. Phil kümmert sich um uns.“

„Worauf du dich verlassen kannst“, sagte Phil.

„Also gut. Bin bald zurück“, sagte sie zu den Kindern, bevor sie Nathan nach draußen folgte.

 

Während der Fahrt zum LAPD Headquarters in Downtown starrte Matt aus dem Fenster des Dienstwagens, ohne irgendwas wahrzunehmen. Das alles fühlte sich so surreal an, dass er gar nicht sicher war, ob er nicht vielleicht träumte.

Denn er hatte nachts oft davon geträumt. Er hatte davon geträumt, wie man ihn festnahm – auch bevor es tatsächlich passiert war. Danach hatte er das noch öfter im Traum gesehen. Ähnlich wie Sadie hatte er sich vorgestellt, er stünde vor Gericht und würde verurteilt. Zum Tode. Und das alles nur wegen Stacy, die ihn so furchtbar gequält hatte, dass ihm einfach die Sicherungen durchgebrannt waren. Das konnte doch nicht richtig sein.

Besonders fest hatte Carroll die Handschellen zwar nicht angelegt, aber Matt fand es trotzdem furchtbar unbequem. Er versuchte, nicht daran zu denken, wie Stacy ihn seinerzeit ebenfalls mit Handschellen gefesselt hatte. Und er versuchte, nicht daran zu denken, wie sehr Hayley geweint hatte, als er gegangen war. Das traf ihn einfach zu hart. Er durfte sich jetzt nicht vorstellen, dass die Polizisten doch etwas fanden und seine Alpträume plötzlich Realität wurden. Nicht jetzt. Er musste doch jetzt für Hayley sorgen …

Es fiel ihm schwer, die Fassung zu wahren, als Carroll mit ihm auf einen Parkplatz vor dem Gebäude fuhr und ihn hineinbrachte. Matt folgte ihm erhobenen Hauptes und starrte an allen vorbei, die ihnen begegneten. Er kannte es ja schon, das sagte er sich immer wieder. Sie hatten ihn schon einmal wegen Mordverdachts an Stacy Gallagher festgenommen und auch wieder laufen lassen. Er konnte das schaffen – und er würde. Das würde jetzt nicht sein Leben zerstören.

Carroll führte ihn in einen Verhörraum ähnlich dem, in dem die beiden ihn vor gut zwei Jahren schon zwei Tage lang gegrillt hatten. Sie hatten alles an ihm ausprobiert: Guter Cop – böser Cop, Verständnis, Druck, Drohungen, diverse Versuche, ihn mürbe zu machen. Es war sein Glück, dass er das alles aus eigener Anschauung kannte und gewusst hatte, dass er bloß zwei Tage lang standhaft sein musste, weil sie ihm ansonsten überhaupt nichts nachweisen konnten.

Hoffentlich blieb das so. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, was sie nun Neues vorbringen wollten, aber das alles verunsicherte ihn.

„Was trinken?“, fragte Carroll.

„Bitte“, sagte Matt. Der Detective verließ den Raum und kehrte kurz darauf mit einer Flasche Wasser und zwei Gläsern zurück. Dann nahm er Matt wortlos die Handschellen ab. Matt rieb sich die Handgelenke und versuchte, den Blicken des Detectives zu entgehen, ohne dabei allzu schuldig auszusehen.

Carroll nahm gegenüber von Matt Platz. „Hätte nicht gedacht, dass wir uns deshalb noch mal wiedersehen.“

„Ich auch nicht“, sagte Matt. Das rote Lämpchen an der Kamera oben an der Decke verriet ihm, dass alles gefilmt wurde.

„Können Sie mir noch mal erzählen, was in der Nacht auf den 26. September vor zwei Jahren passiert ist?“

Matt versuchte, nicht genervt zu wirken. Natürlich, Carroll hoffte darauf, dass sich seine jetzige Aussage mit der von damals nicht deckte. Dass Ungereimtheiten auftauchten. Also erzählte er erneut seine Geschichte von dem Sturz im Bad und der Verletzung, die er sich selbst beigebracht hatte, weshalb sein Krankenhemd voller Blut gewesen und getauscht worden war.

„Sie waren in dieser Nacht also nicht bei Stacy Gallagher?“, fragte Carroll.

Matt verkniff sich einen Stoßseufzer. „Wie ich Ihnen damals schon sagte: Es gibt keinen Menschen auf der Welt, nach dem ich in diesem Augenblick weniger Sehnsucht hatte. Ich wollte wirklich alles, aber wiedersehen wollte ich sie nicht.“

„Sie hätten Grund genug gehabt, sie umbringen zu wollen. Sie hat Sie zum Sex gezwungen, das haben Sie nie geleugnet, und dementsprechend hätte sie schwanger sein können.“

Unter dem Tisch ballte Matt die Hände schmerzhaft fest zu Fäusten. „Ja, sie hat etwas Abstoßendes getan. Aber das hat nur zwei Minuten gedauert, dann hatte sie keine Lust mehr. Mir ist nicht klar, wie sie hätte schwanger werden wollen.“

Carroll wollte schon etwas sagen, aber dann besann er sich. „Sie hatte versucht, Ihre Frau zu töten. Vor Ihren Augen. Und Sie haben auch erst geglaubt, dass es funktioniert hat.“

„Sie müssen mich nicht daran erinnern, dass ich tausend Motive gehabt hätte“, sagte Matt. „Ich habe Stacy Gallagher nie vergessen. Können Sie sich vorstellen, wie beschissen es sich anfühlt, wenn eine Frau Sie zum Sex zwingen will und auch noch Erfolg damit hat? Ich habe die ganze folgende Nacht damit zugebracht, mich zu fragen, wie sie das schaffen konnte. Und ja, ich wusste nicht, wie ich das meiner Frau beibringen soll, die ja zum Glück immerhin noch am Leben war. Das war alles nicht schön. Zumal ich wirklich dachte, ich verblute, als Stacy mir das Messer ins Bein gerammt hat und alles voller Blut war. Ich habe gemerkt, wie ich langsam ohnmächtig werde und mich gefragt, ob ich jemals wieder aufwache. Aber deshalb gehe ich nicht los und töte eine Frau mit einem stumpfen Messer.“

„Aber können Sie sich vorstellen, was Ihre Frau dann gegenüber Detective Morris gemeint haben könnte?“

„Wie wäre es, wenn Sie meine Frau fragen?“

Carroll lachte. „Sie waren damals schon ein sturer Hund, Mr. Whitman.“

„Ich wäre eigentlich gerade gern zu Hause, um meine kleine Tochter ins Bett zu bringen, die im Übrigen ein verdammt guter Grund ist, nach der ganzen Scheiße weiterzumachen. Stattdessen haben Sie vorhin meiner Familie einen Riesenschreck eingejagt und das Letzte, was ich von meiner Tochter im Kopf habe, ist furchtbares Geschrei. Ist das wirklich nötig?“

„Nun … Sie wissen, dass die Krankenschwester sich damals wirklich gewundert hat, weil sie sehr viel Blut auf Ihrem Krankenhemd hatten“, fuhr Carroll nüchtern fort.

„Ich kann mir schon denken, dass Sie einiges dafür geben würden, dieses Hemd untersuchen zu können.“

„Das könnte Sie auch entlasten.“

Matt beugte sich vor. „Sie können mir glauben – hätte ich gewusst, dass man mir mal vorwirft, ich könnte Stacy Gallagher umgebracht haben, ich hätte das Ding behalten.“

„Dass Sie dazu imstande sind, einen Menschen zu töten, haben Sie kürzlich erst wieder bewiesen. Sie haben Tyler Evans mit bloßen Händen erwürgt, und das mit einem Schädelbasisbruch.“

Matt nickte. „Das ist richtig. War übrigens verdammt anstrengend. Zu dem Zeitpunkt, als mir schwarz vor Augen wurde, hatte ich keine Ahnung, wie es Evans geht. Ob er nur bewusstlos ist oder tot. Ich wollte bloß verhindern, dass er Hand an meine Frau legt.“

„Stacy Gallagher hat auch Hand an Ihre Frau gelegt. Anders natürlich … aber für mich ergibt es absolut Sinn, dass Sie deshalb aufgebracht waren.“

„Aufgebracht ist ein nettes Wort dafür“, sagte Matt. „Wie hätte ich denn mit meinem gebrochenen Fuß zu ihr gelangen sollen? Unbemerkt?“

Er fand es schrecklich ermüdend, diese Diskussion schon wieder führen zu müssen. Es war nicht, dass er nicht zu dem stehen wollte, was er getan hatte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er sich so sehr nach Sühne gesehnt hatte, dass es ihm wie ein probates Mittel erschienen war, sich mit seiner eigenen Dienstwaffe zu erschießen. Auf diese Art hätte er eine Strafe erhalten, ohne Sadie als die Ehefrau eines Mörders dastehen zu lassen, was ihr als FBI-Agentin beruflich das Genick brechen musste. Erst in der direkten Konfrontation mit ihr war ihm bewusst geworden, dass diese Art der Strafe natürlich trotzdem Folgen für sie gehabt hätte und deshalb musste er jetzt damit leben, ein Mörder zu sein. Jede Form der Strafe hätte auch unweigerlich das Leben seiner Familie zerstört, die nun wirklich nichts dafür konnte. Selbst vor der Todesstrafe fürchtete er sich nicht so sehr wie davor, Sadie allein lassen zu müssen. Und nun auch noch mit zwei Töchtern …

Sie wurden von einem Klopfen unterbrochen. Jemand teilte Carroll mit, dass Matts Anwalt eingetroffen war, woraufhin Carroll bereitwillig das Feld räumte und die Kamera abschaltete. Gleichzeitig betrat Andrew Rhodes den Verhörraum. Seine Krawatte saß schief und an seinem dunklen Haaransatz entdeckte Matt Schweißperlen.

„Matt“, sagte der Strafverteidiger atemlos und reichte ihm die Hand. „Tut mir leid, dass wir uns unter solchen Umständen wieder begegnen.“

„Mir auch“, murmelte Matt.

„Ich bitte um Entschuldigung für meinen Auftritt, ich war gerade beim Sport, als Ihre Frau anrief“, erklärte Rhodes. Er war noch jung, vielleicht Mitte dreißig, und er hatte auch noch nicht viele Fälle als Strafverteidiger verhandelt, aber ihm eilte ein exzellenter Ruf voraus.

„Schon gut. Ich bin einfach nur froh, dass Sie hier sind“, sagte Matt.

„Und warum sind Sie hier? Hat man Ihnen das gesagt?“

„Nein … die Detectives meinten, sie hätten damals wohl etwas übersehen.“

„Konkreter sind sie dabei nicht geworden?“

Matt schüttelte den Kopf. „Die Vermutung ist, dass Evans über einen anderen Chief die Ermittlungen neu angestoßen hat.“

„Senior?“

„Richtig. Sie wissen, was im August passiert ist?“

„Tyler Evans ist mit Brian Leigh aus dem Gefängnis geflohen und kam auf der Flucht ums Leben.“

Matt nickte. „Raten Sie, durch wen.“

Rhodes stutzte. „Was, das waren Sie?“

„Ganz genau“, sagte Matt und schilderte seinem Anwalt, wie es zu Tylers Tod gekommen war.

„Verstehe“, sagte Rhodes dann. „Das muss Evans Senior ein Dorn im Auge sein. Er konnte damals schon mit seiner Drohung gegen Sie und  Ihre Frau nicht verhindern, dass sie seinen Sohn ins Gefängnis bringt, und nun haben Sie Tyler auch noch umgebracht, ohne dass man Sie dafür belangen könnte.“

„Er versucht es wirklich mit allen Mitteln“, sagte Matt.

„Klar soweit … ich muss diese Frage jetzt stellen“, sagte Rhodes. Zwar ahnte Matt, was kommen würde, aber er sagte nichts.

„Gibt es irgendwas, was die Detectives finden können?“

Matt schüttelte den Kopf. „Ausgeschlossen.“

„Und Sie haben wirklich nichts mit dem Tod von Stacy Gallagher zu tun?“

„Meine Antwort dazu wird sich nicht ändern.“

„Matt, ich bin Ihr Anwalt. Sie können – nein, Sie müssen – ehrlich zu mir sein“, erinnerte Rhodes ihn.

„Ich war es nicht“, sagte Matt.

„Die werden Sie mit Pech trotzdem wieder zwei Tage lang durch die Mangel drehen. Wenn Sie es nicht waren und es entsprechend keine Beweise gibt, dann würde es theoretisch reichen, zu schweigen.“

„Ich weiß … ich wünschte, ich könnte meine Unschuld beweisen“, sagte Matt.

„Ja, das würde die Sache in der Tat vereinfachen.“

„Kann ich mich denn nicht wehren? Kann ich denn gar nichts tun, um Evans endgültig das Handwerk zu legen?“

Rhodes musste ihn enttäuschen. Die Option, Evans wegen Verleumdung anzuzeigen, hatten sie damals schon verworfen. Das hatte Matt nicht gewollt und eigentlich wollte er es auch jetzt nicht, denn das hätte alles nur unnötig in die Länge gezogen.

Eigentlich wollte Matt nur raus und nach Hause.

 

Stumm starrte Sadie aus dem Fenster, während Nathan mit seinem Dienstwagen auf die Interstate fuhr. Sie hoffte, es war okay, die Kinder jetzt allein zu lassen.

„Ich glaube, die wissen selbst, dass das Bullshit ist“, sagte Nathan ins Schweigen hinein.

„Ist es eben nicht“, widersprach Sadie. „Oder hast du vergessen, dass Matt es war?“

„Keineswegs. Aber es wird jetzt nicht mehr Beweise geben als vor zwei Jahren.“

„Nein, sicher. Es ist nur so deprimierend.“

„Evans ist ein Mistkerl. Bestimmt will er nur davon ablenken, dass gegen ihn ein Strafverfahren läuft.“

Überrascht sah Sadie Nathan an. „Weshalb das?“

„Weil es Beweise dafür gibt, dass er von Tylers geplanter Flucht wusste und dabei geholfen hat. Er hat uns seinerzeit angelogen.“

„Welche Überraschung. Das hast du gar nicht erzählt.“

„Nein, weil ich nicht geglaubt habe, dass ihr gerne etwas über Evans hören wollt.“

„Das stimmt.“

„Mach dir keine Sorgen, Sadie“, sagte Nathan. „Die können Matt nichts anhaben. Evans wird seinen Golfkumpel bequatscht haben, euch noch mal ans Bein zu pinkeln und das war’s.“

„Ich hoffe, du hast Recht“, murmelte sie.

„Aber die können doch nichts finden, oder?“

„Nein. Im ganzen Haus gibt es nichts über diese Sache. Natürlich nicht.“

„Dann bleibt es doch dabei, dass es nur unangenehm für Matt ist.“

Unangenehm … das fand Sadie untertrieben, aber sie wusste, was Nathan meinte. Ja, es war verdammt unangenehm. Libby musste sich jetzt wieder um Hayley kümmern und Sadie wusste gar nicht, was sie ohne Phil getan hätte.

Sie musste jetzt zu Matt. Sie musste sehen, ob es ihm gut ging. Damals hatte man sie nicht gelassen, aber hoffentlich jetzt. Ihre Angst, dass Stacy Gallagher ihm irgendwann wirklich zum Verhängnis wurde, war ja nie gewichen. Ebensowenig war sie unbegründet.

„Danke, dass du hier bist“, sagte Sadie nach kurzem Schweigen.

„Natürlich. Ich habe damals gebohrt, was ich wirklich hätte lassen sollen, und jetzt muss ich das mittragen. Das habe ich damals beschlossen und es bleibt dabei. Davon abgesehen habt ihr nichts anderes verdient.“

Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Lieb von dir.“

„In längstens achtundvierzig Stunden ist das vorbei. Allerdings muss ich gestehen, dass die Hausdurchsuchung wirklich frech ist.“

„Mehr als das“, brummte Sadie.

Schließlich waren sie in Downtown angekommen und Nathan fragte sich zu Detective Carroll und Matt durch. Im ersten Moment waren sie überrascht, Carroll an seinem Schreibtisch vorzufinden, aber dann begriff Sadie, dass Matts Anwalt bei ihm sein musste.

„Morris“, begrüßte Carroll seinen Kollegen ohne besonderen Enthusiasmus.

„Guten Abend“, erwiderte Nathan höflich.

„Sie können es auch nicht lassen, oder?“

„Nein, kann ich nicht. Sie ja auch nicht. Wo ist Matt Whitman?“

„Er spricht gerade mit seinem Anwalt, deshalb habe ich Pause“, erwiderte Carroll.

„Mrs. Whitman würde ihren Mann gern sehen.“

Carroll verzog das Gesicht. „Muss ich Ihnen jetzt ernsthaft erklären, dass das nicht geht?“

„Kommen Sie schon. Sie werden einfach nicht über den Fall reden und Sie bleiben auch die ganze Zeit dabei“, sagte Nathan und bemühte sich um den schönsten Dackelblick, den er zustande brachte.

Carroll seufzte tief. „Warum sollte ich das tun?“

„Weil es für Sie keinen Unterschied macht, für die Whitmans aber sehr wohl.“

Die beiden Polizisten starrten einander an, aber dann nickte Carroll. „Also schön. Nur kurz und nur in meiner Anwesenheit, aber was soll’s.“

„Danke“, sagte Sadie, die wusste, dass Carroll es problemlos hätte ablehnen können. Eigentlich hätte er es sogar ablehnen müssen.

Sie begleiteten den Detective zu den Verhörräumen, wo er erst klopfte und seinen Kopf hineinsteckte. „Wenn ich kurz stören darf … Mrs. Whitman ist hier. Wenn Sie einverstanden sind, dass ich hier bleibe, darf sie kurz rein.“

Sadie konnte es kaum erwarten, zu Matt zu kommen. Als Carroll sie in den Raum ließ, stand Matt bereits. Neben ihm am Tisch saß Andrew Rhodes.

Ungeachtet dessen, ob der Polizist es guthieß, umarmte sie ihren Mann fest. Carroll wollte schon etwas sagen, aber dann überlegte er es sich anders.

Matt vergrub sein Gesicht in Sadies wunderbar duftendem Haar. Ihr Geruch, ihre Wärme, ihre überraschend feste Umarmung – all das tat gerade so gut. Er küsste sie auf die Stirn und lächelte.

„Wie geht es den Kindern?“, fragte er.

„Phil ist bei ihnen“, sagte Sadie. „Er kümmert sich mit Libby um die Kleine. Es ist alles in Ordnung.“

„Durchsuchen die gerade wirklich unser Haus?“

Sadie nickte. „Nathan spuckt schon Gift und Galle wegen Evans.“

„Das kann ich mir vorstellen.“

„Mr. Rhodes“, sagte Sadie und reichte dem Anwalt die Hand. Er lächelte und nickte ihr zu, während er ihre Hand schüttelte.

„Lass sie ruhig suchen, Sadie“, sagte Matt. „Sie werden ja nichts finden. Ich sitze das einfach aus und …“

„Bitte äußern Sie sich nicht zu Dingen, die den Fall betreffen“, mahnte Carroll von der Seite.

„Das … ach, vergessen Sie’s“, grollte Matt.

„Schon gut“, sagte Sadie. „Ich wollte nur sehen, ob du okay bist. Ich wusste gar nicht, ob ich die Kinder allein lassen kann.“

„Libby ist doch gar kein Kind mehr, aber du hast Recht. Ich komme hier schon zurecht. Fahr wieder nach Hause.“

„Wenn du meinst“, sagte Sadie unglücklich.

„Ja, schon okay. Nett genug, dass der Detective dich reingelassen hat“, sagte Matt mit Blick zu Carroll. Der verzog keine Miene.

Sadie umarmte Matt noch einmal. „Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch“, erwiderte Matt. Er sah, wie ungern Sadie sich nur von ihm lösen wollte, aber schließlich tat sie es und ging wieder nach draußen.

Am liebsten wäre Sadie nicht gegangen, aber sie wusste, sie hatte keine Wahl. Sie würden Matt jetzt filzen, solange sie konnten. Sie würden ihre Computer durchforsten, was ihr gar nicht gefiel, aber wohl kein Problem darstellen würde. Sie musste jetzt einfach abwarten.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte Nathan sich, als Carroll die Tür hinter ihnen schloss.

Sadie nickte. „Er berät sich jetzt mit seinem Anwalt.“

„Haben Sie denn irgendwelche neuen Hinweise?“, erkundigte Nathan sich bei Carroll.

„Netter Versuch“, blockte Carroll ab. „Sie wissen schon, dass wir Sie immer noch für einen Mitwisser halten, oder?“

Nathan stöhnte. „Vergessen Sie’s. Und überreizen Sie es nicht wieder so wie beim letzten Mal.“

„Raus jetzt, Morris. Warum genau war ich gerade nett zu Ihnen?“

Abwehrend hob Nathan die Hände. „Schon gut. Sind schon weg.“

„Ich will es hoffen.“

Sadie und Nathan verließen das Büro und kehrten zur Tiefgarage zurück. Im Aufzug blickte Sadie zu Nathan.

„Wir sollten vielleicht wirklich aufpassen.“

Verständnislos erwiderte er ihren Blick. „Weshalb?“

„Wir sind schon verdammt auffällig.“

„Ich habe es nur über die Kollegenschiene versucht. Hätte ja klappen können.“

„Das hat es doch damals schon nicht.“

„Matt kriegt das schon hin.“

„Ich weiß …“ Beim Verlassen des Aufzugs seufzte Sadie unglücklich. „Ich kann einfach nicht ohne ihn, verstehst du?“

„Ich weiß. Die Gründe kenne ich ja.“

„Ich bin da nicht normal. War ich noch nie.“

„Hey, wenn ich mir vorstelle, es hätte meine Frau und mich getroffen … ich würde doch gar nicht anders reagieren.“

Sadie erwiderte nichts. Ihre Beziehung zu Matt hatte sich irgendwann verändert, inzwischen waren sie deutlich mehr auf Augenhöhe. Das hatte sich geändert, als Stacy aufgetaucht war. Da hatte Sadie Matt zwar nicht zum ersten Mal das Leben gerettet, aber vor allem nach seinem Selbstmordversuch hatte sich das Gefüge in ihrer Beziehung ein wenig verschoben. Es war für beide okay, was absolut nicht selbstverständlich war. Andreas Ehe wäre beinahe einmal an ihrem Beruf zerbrochen, wie Sadie wusste – an ihrem Beruf und den Veränderungen, die er für die Persönlichkeit mitbrachte. Sadie hingegen hatte das Gefühl, dass ihre Ehe seitdem stabiler war.

Die Ungewissheit machte sie nervös. Matt tat ihr so leid.

Während der Rückfahrt schwiegen Sadie und Nathan die meiste Zeit. Es gab nichts zu sagen. Jetzt lag es in den Händen der Detectives, wie es weiterging. Aber zum Glück war Matt nicht allein, sondern hatte Rhodes bei sich. Das war immerhin etwas.

Zwanzig Minuten später waren sie wieder in Culver City. Die Polizisten kamen ihnen entgegen, sie hatten kistenweise Aktenordner dabei. Einer trug Libbys Laptop zum Auto.

Vincenzo erschien in der Haustür und nickte ihnen zu. „Schon wieder da?“

„Ja, wobei Carroll einen guten Tag hatte. Wir waren also nicht umsonst unterwegs“, entgegnete Nathan.

„Wir sind tatsächlich ganz nett“, sagte Vincenzo trocken. Sadie sagte nichts dazu, sie ging auf die Suche nach Phil und den Mädchen. Hayleys Weinen nach zu urteilen waren sie oben.

„Gehen Sie ruhig“, sagte Vincenzo und nickte, deshalb rannte Sadie die Treppe hinauf ins Kinderzimmer. Phil und Libby waren bei Hayley, die untröstlich weinte. Libby ging mit ihr auf dem Arm durchs Kinderzimmer, Phil stand mit besorgter Miene daneben. Als die beiden Sadie bemerkten, kam Libby gleich auf sie zu und reichte ihr Hayley.

„Hey“, sagte Sadie und nahm ihre Tochter auf den Arm. Sie wiegte Hayley sanft, strich ihr über den Kopf, summte leise und war froh, dass ihr Weinen schnell nachließ. Libby und Phil stahlen sich aus dem Kinderzimmer, während Sadie Hayley schließlich hinlegte und ihr Köpfchen streichelte, bis sie eingeschlafen war. Auf Zehenspitzen schlich sie aus dem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Libby und Phil standen an der Tür zu Libbys Zimmer.

„Was war denn los?“, fragte Sadie leise.

„Vorhin hatten wir mit den Herren von der Polizei eine etwas unerfreuliche Diskussion“, sagte Phil. „Hayley brauchte vor dem Schlafengehen dringend eine frische Windel, wenn du verstehst … aber sie wollten uns nicht ins Kinderzimmer lassen. Vincenzo ist schließlich mitgegangen und hat uns die Windel wechseln lassen, aber dann wollten sie erst noch das Zimmer durchsuchen, bevor wir die Kleine schlafen legen konnten. Bis dahin war sie völlig überdreht.“

Sadie stöhnte. „Haben die alle keine Kinder?“

„Das habe ich mich auch gefragt“, sagte Phil. „Ich fand das auch überhaupt nicht witzig, aber es war ihnen völlig egal. Bis auf Vincenzo vielleicht.“

„Danke, dass ihr es versucht habt.“

„Ist doch klar. Ich wünschte, es hätte besser geklappt“, sagte Phil.

„Ist ja nicht eure Schuld“, sagte Sadie.

„Warst du bei Matt?“

Sie nickte. „Alles okay, er spricht mit seinem Anwalt. Lasst uns wieder runtergehen.“

Die anderen waren einverstanden. Sadie griff noch nach dem Babyfon und folgte ihnen ins Wohnzimmer, wo Nathan und Vincenzo sich gerade unterhielten.

„Mütter sind und bleiben eine Geheimwaffe“, sagte Vincenzo zu Sadie, die ihn nur böse anstarrte, aber nichts erwiderte.

„Wir sind hier gleich fertig. Sie haben es vielleicht gesehen, wir haben einige Aktenorder und alle Computer mitgenommen. Sobald wir damit durch sind, bekommen Sie natürlich alles zurück.” 

„Das hatte ich jetzt vorausgesetzt“, antwortete Sadie.

„Wie ich hörte, waren Sie einigermaßen erfolgreich.“

„Waren wir. Bitte seien Sie ein bisschen nachsichtig mit Matt.“

Vincenzo zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. „Wir verdächtigen ihn wegen Mordes.“

„Er wollte sich schon wegen Stacy umbringen. Eigentlich hatte ich gehofft, er kann irgendwann mit dem Thema abschließen.“

Vincenzo nickte bloß. „Wir machen nur unsere Arbeit, nichts weiter. Machen Sie sich keine Gedanken.“

In Sadies Ohren klangen diese Worte wie Hohn. Während Vincenzo noch überlegte, wie er zurück nach Downtown kommen sollte, bot Nathan ihm an, ihn mitzunehmen. Sadie bewunderte ihn für seine Geistesgegenwart, denn es war mit Sicherheit nicht verkehrt, wenn Nathan sich auf diese Weise kollegial und unverdächtig zeigte.

Mit einer Umarmung verabschiedete sich Nathan von ihr, wünschte auch den anderen noch einen angenehmen Abend und zog als letzter die Tür hinter sich zu. Plötzlich war es totenstill.

In diesem Moment war es, als fiele alles von Sadie ab. Als sie durch das Fensterchen in der Tür sah, wie Nathans Wagen abfuhr, begann sie zu zittern.

„Hey“, sagte Phil von hinten. Wortlos drehte Sadie sich um und umarmte ihn.

„Das wird wieder“, sagte er. „Die lassen nur Muskeln spielen.“

„Sicher … aber steckt Matt das auch weg?“, erwiderte Sadie, während sie wieder aufblickte.

 

Donnerstag, 4. Oktober

 

Matt war entsetzlich müde. Carroll und Vincenzo hatten ihn bis tief in die Nacht verhört. Um kurz vor Mitternacht hatte Matt seinen Anwalt nach Hause geschickt, weil er der Meinung war, dass Rhodes ihm ausgeschlafen mehr nützte und er fürs Erste auch ohne ihn zurecht kam. Unbeeindruckt erzählte er die immer gleiche Geschichte. Ja, er hatte Stacy gehasst und nein, er hatte sie nicht umgebracht. Er argumentierte damit, dass sie schon im Motel versucht hatte, sich umzubringen. Irgendwann, als sie alle zu müde waren, hatten die Detectives ihn in eine Arrestzelle gebracht, wo er trotz seiner Müdigkeit erst noch eine ganze Weile wach gelegen hatte. Es musste gegen drei Uhr gewesen sein, als er eingeschlafen war, und um halb acht war so viel Lärm im Zellentrakt, dass er nicht mehr schlafen konnte.

Er fühlte sich wie gerädert, als er um kurz nach acht mit den Detectives im Verhörraum saß und ein Sandwich aß, das sie ihm mitgebracht hatten. Rhodes war ebenfalls schon da und versuchte immer wieder, dazwischenzugrätschen, als Vincenzo und Carroll Matt richtig unter Druck setzten. Sie baten ihn noch einmal, zu berichten, wie Stacy versucht hatte, Sadie zu töten und baten schließlich um eine Schilderung dessen, wie Stacy ihn zum Sex gezwungen hatte.

Matt hasste sie dafür, aber er wusste, warum sie es taten. Sie wollten ihn stressen, damit er sich verplapperte. Das hatten sie damals schon versucht.

„Sie sagten damals, dass Miss Gallagher Ihnen die Wahl gelassen hat. Sie wollte nur einmal Sex und hätte Sie dafür laufen lassen. Haben Sie das denn gar nicht in Erwägung gezogen?“, fragte Vincenzo.

Matt holte tief Luft. „Nein, habe ich nicht. Müssen wir darüber reden?“

„Natürlich müssen wir. Das ist doch ein starkes Motiv, denken Sie nicht? Sie müssen sie gehasst haben.“

„Ja, das gebe ich zu. Was im Übrigen auch der Grund dafür ist, dass ich nicht darauf eingegangen bin. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja schon, dass meine Frau noch lebt. Wie hätte ich das tun können?“

„Sie hätten es ihr nicht sagen müssen.“

Matt lachte kurz. „Sie ist Profilerin. Sie hat mir im Krankenhaus angesehen, dass Stacy diesbezüglich nicht gelogen hat.“

„Dann hätten Sie Miss Gallagher auch dafür anzeigen können.“

„Ist das Ihr Ernst? Ich weiß noch, welche Fragen Sie mir damals dazu gestellt haben. Diese Fragen hätte mir jeder gestellt, weil sich niemand vorstellen kann, wie das funktionieren soll. Aber Sie können mir glauben, es hat. Sie musste … nein, vergessen Sie’s. Ich werde es Ihnen nicht sagen“, sagte Matt kopfschüttelnd.

„Sie sollten es wirklich versuchen. Vielleicht kann ich es mir dann besser vorstellen.“

Zornig starrte Matt Vincenzo an. „Glauben Sie wirklich, ich durchschaue Ihre Taktik nicht? Sie wollen mich unter Stress setzen, damit ich etwas Dummes sage. Natürlich eignet es sich hierfür hervorragend, mit mir darüber zu reden, wie Stacy sich mir aufgezwungen hat. Das ist wirklich erbärmlich, wissen Sie das?“

„Hey, ganz ruhig“, sagte Carroll. „Ich für meinen Teil kann mir bis heute nicht vorstellen, wie das funktioniert haben soll. Ganz im Ernst, vielleicht fanden Sie es ja doch gar nicht so schlimm?“

In Matt arbeitete es. Er wusste, sie wollten ihn nur provozieren. Es ging ihnen gar nicht darum, mit ihm darüber zu reden, was Stacy ihm angetan hatte. Sie wollten gar nicht wissen, wie das abgelaufen war. Zumindest nicht wegen der Sache an sich. Sie wollten ihn wirklich nur stressen – und das klappte hervorragend. Seine Handflächen waren schweißnass, sein Herz raste, er wollte am liebsten schreien. Er konnte sich nur zu gut daran erinnern, wie Stacy ihn gegen seinen Willen angefasst hatte, wie sie auf ihm gehockt und versucht hatte, es zu genießen. Das war so furchtbar abstoßend.

Ja, er war ein Mann und ja, eine Frau hatte ihn zum Sex gezwungen. Das war möglich. Er wusste immer noch genau, wie sie das angestellt hatte und natürlich war es für ihn auch nicht ganz ohne Verletzungen abgegangen, dafür hatte Stacy es einfach zu grob angestellt. Aber sie hatte es geschafft. Und er hatte nie das abgrundtiefe Gefühl der Demütigung und des Schmerzes vergessen, als sie zwar schnell aufgegeben, aber deshalb natürlich die Wirkung der Tablette nicht gleich nachgelassen hatte …

„Ich habe sie dafür wirklich gehasst“, sagte Matt. „Aber ich bin nicht der Typ Mensch, der wehrlose Frauen im Bett umbringt.“

„Es wäre doch verständlich“, sagte Carroll.

„Ach, kommen Sie. Das können Sie besser.“ Matt blickte zu Vincenzo. „Ich weiß, was meine Frau Ihnen damals erzählt hat. Über Sean Taylor, meine ich. Glauben Sie ernsthaft, ich hätte Stacy umbringen können, nachdem das passiert ist? Hätte ich mir da nicht immer meine Frau vorstellen müssen?“

Weil Carroll keine Miene verzog, vermutete Matt, dass Vincenzo ihm davon berichtet hatte. Die beiden tauschten einen Blick und Vincenzo beugte sich mit versöhnlicher Miene vor.

„Ich verstehe“, sagte er. „Trotzdem kann einem doch mal die Sicherung durchbrennen.“

„Ich war es nicht“, beharrte Matt stur.

„Miss Gallagher hat Ihnen ein Messer ins Bein gestoßen und wollte Sie verbluten lassen. Sie hat Ihnen einen Fuß gebrochen. Sie war vollkommen besessen und bereit, Ihre Frau und Sie umzubringen, nur um ihren Wahn zu befriedigen“, sagte Vincenzo.

Rhodes warf einen Blick auf seine Uhr. „Wir müssten an dieser Stelle mal unterbrechen.“

„Was ist los?“, fragte Matt.

„Ich muss um zehn im Gericht sein. Es geht bloß um eine Vorführung vor dem Haftrichter. Ich sollte spätestens bis zum Mittag zurück sein.“

Vincenzo stöhnte. „Das fällt Ihnen jetzt ein.“

„Ich mache hier auch nur meine Arbeit“, entgegnete der Anwalt.

„Gehen Sie ruhig, Andrew, ich setze das mit den Detectives auch gern allein fort“, sagte Matt. „Hat ja heute Nacht auch geklappt.“

„Wenn Sie meinen …“

Matt nickte. „Das geht schon. Machen Sie sich keine Gedanken.“

Mit unglücklicher Miene stand Rhodes auf, verabschiedete sich und verließ den Verhörraum. Matt straffte die Schultern und sah die Polizisten an.

„Hatten Sie Angst, dass Stacy Gallagher schwanger werden könnte?“, fragte Carroll unvermittelt.

Matt stöhnte. „Das hatten wir doch schon. Nein, hatte ich nicht. Dafür hat etwas Entscheidendes gefehlt.“

„Da kann man doch nie sicher sein.“

„Doch, konnte ich.“

„Auch das wäre ein starkes Motiv. Ich weiß gar nicht, ob unsere Rechtsprechung für ein solches Szenario überhaupt eine Lösung hat.“

„Verdammt noch mal, könnten wir das bitte lassen?“, schnaubte Matt.

„Ich verstehe, dass das unangenehm ist, aber das ist wichtig“, beharrte Carroll.

„Ich kann jederzeit von meinem Recht zu schweigen Gebrauch machen“, sagte Matt.

„Lass es“, sagte Vincenzo zu seinem Kollegen. „Wir verrennen uns da. Vielleicht sollten wir eher über die entscheidende Nacht sprechen. Hatten Sie da keine Lust, Miss Gallagher umzubringen?“

Matt konnte es nicht mehr hören. Sie drehten sich im Kreis. Die Detectives fingen immer wieder von vorne an, genau wie damals. Sie warteten auf Widersprüche, auf Ungereimtheiten.

Aber Matt blieb standhaft. Er stritt alles ab.

„Ich muss noch mal auf das Blut auf ihrem Hemd zurückkommen“, sagte Carroll schließlich. Leidend sah Matt ihn an. Wann hatte das ein Ende? Sie hatten ihn erst vor fünfzehn Stunden festgenommen. Da konnten noch über dreißig kommen …

Ein Klopfen an der Tür schreckte sie auf. Carroll bat denjenigen herein, woraufhin ein junger Mann den Kopf durch die Tür steckte und mit bedeutungsvoller Miene murmelte: „Ich muss Sie sprechen. Beide.“

„Haben Sie etwas gefunden?“, fragte Vincenzo beim Aufstehen. Der Kollege antwortete nicht, sondern verschwand draußen. Vincenzo und Carroll folgten ihm und zogen die Tür hinter sich zu. Erst hörte Matt ihre Stimmen leise durch die geschlossene Tür, dann wurde es still.

Bis auf das Ticken des Sekundenzeigers der Uhr, die ihm gegenüber an der Wand hing, war nichts zu hören. Matt sah sich selbst in der verspiegelten Scheibe und fand, dass er auch so müde aussah, wie er sich fühlte.

Drei Minuten. Fünf. Nach acht Minuten wurde er stutzig. Wo blieben die Detectives denn?

Die Kamera war immer noch eingeschaltet. War das auch Teil ihrer Taktik? Sie wollten ihn wirklich mürbe machen.

Elf Minuten. Inzwischen war es zwanzig nach zehn. Hoffentlich kam Rhodes bald zurück.

Zwei Minuten später ging die Tür wieder auf. Vincenzo und Carroll setzten sich wortlos an den Tisch und Carroll schob Matt zwei Blatt Papier hin.

„Was ist das?“, fragte Matt.

„Lesen Sie“, sagte Vincenzo. „Das haben unsere Techniker vorhin auf dem Laptop Ihrer Adoptivtochter gefunden.“

Unbehaglich zog Matt die Blätter zu sich heran. Das war eine ausgedruckte Mail von Libby an Julie Thornton. Sie datierte auf Sonntag, den 26. August um 21.19 Uhr, Betreff: Re: Telefonieren.

Schlagartig war er am ganzen Körper angespannt und fokussierte sich bloß auf diese Mail. Vorgebeugt saß er da und las, was Libby geschrieben hatte.

Es ging um ihre Entführung durch Brian und Tyler. Noch während Matt las, überlegte er fieberhaft, zu welcher Gelegenheit Libby das geschrieben hatte, doch er konnte sich nicht an diesen Tag erinnern. Er konnte auch nicht darüber nachdenken, während er las.

Libby hatte mit anhören müssen, wie Brian Sadie vergewaltigt hatte. Zwei Stunden lang? Matt hatte keine Ahnung gehabt. Ihm wurde eiskalt, wenn er sich das vorstellte. Sein Blick verengte sich, das Blut rauschte in seinen Ohren.  

Sie hatte beim Schreiben geweint. Das konnte er sich nur allzu gut vorstellen und spürte einen Kloß im Hals beim bloßen Gedanken daran.

Dann wechselte Libby plötzlich das Thema und kam auf ihn zu sprechen. Auf ihn und Stacy. Sie erklärte Julie kurz, was Stacy gemacht hatte, und erwähnte dann seinen Selbstmordversuch.

 

An einem Tag hat er versucht, sich umzubringen. Das war wegen dieser Frau. Er hat sie so gehasst, weil sie ihm so weh getan und Sadie fast getötet hat und ich weiß, dass er sie dafür umgebracht hat. Da muss er völlig neben der Spur gewesen sein.

 

Matt hielt inne und las den Absatz noch einmal. Da stand es, unscheinbar in einem Nebensatz. Ich weiß, dass er sie dafür umgebracht hat.

Sein Lesefluss geriet ins Stocken, aber er wagte es nicht, die Polizisten anzusehen. Er tat so, als überfliege er die Mail bis zum Schluss, um sich Zeit zu verschaffen. Um zu überlegen. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte.

Dann blieb sein Blick an den letzten Sätzen hängen.

Und bitte … das mit Matt darf niemand wissen. Er ist doch mein Dad.

Seine Hände waren eiskalt. Er war am Ende der Mail angekommen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er fast vergessen hatte zu atmen. Er war völlig verkrampft und hatte die Hände so fest zu Fäusten geballt, dass seine Knöchel hervortraten. Er lockerte seinen Griff und blickte auf.

Tatsächlich waren die Gesichter von Vincenzo und Carroll starr, fast ausdruckslos. Für einen Moment sahen die Männer einander nur an.

Es war Vincenzo, der das Schweigen brach. „Sie wissen, Sie müssen überhaupt nichts sagen, Mr. Whitman. Sie müssen sich nicht selbst belasten. Aber dann werden wir Ihre Familie befragen und Ihre Freunde. Ich könnte mir vorstellen, dass das einem Haftrichter als Beweis reicht. Einem Haftrichter … und einer Jury.“

Matt starrte ihn bloß an, er starrte beinahe durch ihn hindurch. Er hatte die Zähne fest zusammengebissen und spürte, wie ihm übel wurde.

„Jetzt haben wir etwas. Überlegen Sie sich gut, was Sie jetzt machen. Wenn es der Staatsanwaltschaft gelingt, Ihnen Heimtücke nachzuweisen, droht die Todesstrafe. Aber ich vermute, das wissen Sie längst.“

Ein leichtes Zittern machte sich bei Matt bemerkbar. Er schluckte und wollte etwas sagen, aber im ersten Moment versagte seine Stimme.

„Was wollen Sie hören?“, fragte er leise und räusperte sich.

„Wir waren so lange draußen, weil wir mit dem Staatsanwalt gesprochen haben. Er hat vorgeschlagen, dass wir Ihnen einen Deal anbieten.“

„Einen Deal“, wiederholte Matt tonlos.

„Um die Todesstrafe abzuwenden, verstehen Sie?“

Die Worte hallten in Matts Ohren nach. Dann nickte er.

 

Als der Wecker klingelte, fühlte Sadie sich wie gerädert. Sie hatte selten so schlecht geschlafen wie in dieser Nacht. Erst hatte sie gar nicht einschlafen können und als es ihr doch gelungen war, hatte es keine Stunde gedauert, bis Hayley unruhig geworden war und geweint hatte. Kurzerhand hatte Sadie sie aus ihrem Bettchen geholt und neben sich gelegt. Hayley hatte sich rücklings an sie geschmiegt und immer wieder zufriedene kleine Geräusche gemacht, während sie schlafend an ihrem Schnuller nuckelte. Aber sie hatte auch zur üblichen Zeit Hunger gehabt und Sadie hatte sich wie überfahren gefühlt, weil sie nie richtig in den Tiefschlaf gefunden hatte.

Anfangs war es ihr schwer gefallen, überhaupt die Augen offen zu halten, aber Libby war extra früher aufgestanden, um ihr mit Hayley zur Hand zu gehen. Sie hatten gemeinsam gefrühstückt und Libby war zur Schule gegangen, so wie jeden Tag. Und so wie jeden Tag hatte Sadie Hayley zur Tagesmutter gebracht, was ihr diesmal enorm schwer gefallen war, und war dann allein mit Matts Auto zur Arbeit gefahren.

Ihr erster Weg an diesem Morgen führte zu Matts Chef Peter Warner. Sadie war noch vor ihm da und wartete auf sein Eintreffen. Neugierig sah er sie an, als er zu seinem Büro kam.

„Sadie“, begrüßte er sie freundlich. „Was kann ich für dich tun?“

„Ich muss Matt für heute entschuldigen“, sagte sie.

„Oh, ist alles in Ordnung mit ihm?“

Sie senkte den Blick. „Können wir in deinem Büro reden?“

„Selbstverständlich.“ Peter nickte, bat Sadie hinein und schloss die Tür hinter ihr. Er bot ihr an, sich zu setzen, aber sie wollte nicht.

„Matt ist gestern Abend von der Polizei festgenommen worden“, sagte Sadie.

Peter war sichtlich entsetzt. „Ist es wegen Evans?“

„Nein, ich meine … es ist nicht, weil Matt Tyler Evans umgebracht hat. Es ist wegen Evans Senior. Er hat die Polizei wieder auf Matts Spur gebracht, und zwar wegen Stacy Gallagher.“

„Verstehe“, sagte Peter ernst.

„Sie haben unser Haus durchsucht.“

Nun seufzte Peter kopfschüttelnd. „Haben die denn nie genug?“

„Sie werden nichts finden. Können sie gar nicht,  aber ich wollte, dass du das weißt. Ich habe keine Ahnung, wann sie ihn wieder laufen lassen und ob er wenigstens morgen kommt.“

„Selbstverständlich. Mach dir deshalb bitte keine Gedanken, Sadie. Das geht schon in Ordnung.“

„Danke, Peter.“

„Wenn ich etwas für dich tun kann …“

Sie lächelte scheu. „Danke, aber es ist alles okay. Wir machen das Beste draus.“

„Natürlich. Bitte melde dich, wenn du etwas brauchst.“

Sadie versprach es und ging hinauf in ihr Büro. Ihre Kollegen waren alle schon dort und am liebsten hätte sie sich eingegraben, nur um ihnen nicht in die Augen sehen zu müssen. Dennis und Maggie unterhielten sich über etwas und lachten. Cassandra hatte nur zugehört und das Lächeln auf ihren Lippen verschwand sofort, als sie Sadies Gesichtsausdruck bemerkte.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie.

Als Sadie sie unbestimmt ansah, verstand Cassandra und ging mit ihr auf den Flur, wo niemand sie hören konnte.

„Was ist passiert?“, fragte sie dann.

„Matt wurde gestern Abend festgenommen“, sagte Sadie. „Wegen Stacy.“

Ihre Kollegin machte ein entsetztes Gesicht. „Nicht schon wieder. War das Evans?“

Sadie nickte. „Man hat unser Haus durchsucht.“

„Ich fasse es nicht! Das darf doch nicht wahr sein. Wie ist das möglich?“

Sadie erzählte Cassandra, was sie wusste, woraufhin Cassandra sie wortlos umarmte.

„Ich bin für dich da“, sagte sie. „Eigentlich kann ja nichts passieren.“

„Nein, aber das darf einfach nicht sein. Ich hoffe, es reißt ihn nicht runter.“

„Das wird schon. Hab keine Angst.“

Sadie wusste es zu schätzen, dass Cassandra ihr Mut machen wollte, aber es verfehlte seine Wirkung. Als sie ins Büro zurückkehrten, vergrub Sadie sich hinter ihrem Computer und war froh, dass Dennis und Maggie feinfühlig genug waren, jetzt keine Fragen zu stellen.

Verbissen versuchte Sadie, sich auf die Arbeit zu konzentrieren und Mails zu beantworten. Die Polizei hatte eine Anfrage gestellt. Die Ironie war Sadie nur allzu bewusst. Sie sichtete die Falldaten und bat dann Maggie, sich darum zu kümmern. Gerade war sie nicht in der Lage dazu.

Immer wieder ertappte sie sich dabei, wie sie den Bildschirm gedankenlos anstarrte, unkonzentriert und mit einem steten Gefühl der Angst. Ganz unterschwellig, aber sie ließ einfach nicht nach. Sie versuchte, sich zu sagen, dass nichts passieren konnte. Was hätte passieren sollen?

Sie fragte sich, wie es Matt gerade ging. Wie lange sie ihn befragen wollten. Was sie sich davon versprachen …

Als ihr nach Flucht zumute war, verschwand sie für einige Minuten auf der Damentoilette. Dort hätte sie am liebsten losgeheult, aber sie wollte nicht, dass man es ihr ansah. Das hätte sie jetzt überhaupt nicht brauchen können.

Dann setzte sie sich wieder an ihren Schreibtisch und versuchte zu arbeiten. Die Zeit verging wie im Schneckentempo. Irgendwann war es endlich elf Uhr. Mittagspause in neunzig Minuten. Dann konnte sie wieder mit jemandem reden. Gerade war es unmöglich.

Um zwanzig nach elf hatte sie gerade beschlossen, sich etwas zu trinken zu holen, als ihr Telefon klingelte. Das Display verriet ihr, dass jemand von der Security am Eingang anrief. Sie hatte Besuch?

„SSA Whitman“, meldete sie sich.

„Hier ist Detective Nathan Morris vom LAPD für Sie.“

„Schicken Sie ihn hoch“, sagte Sadie arglos.

„Er bittet darum, dass Sie nach unten kommen.“

Das fand Sadie zwar merkwürdig, aber sie beschloss, Nathans Bitte nachzukommen.

„Danke“, sagte sie und legte auf.

„Wer ist gekommen?“, fragte Cassandra.

„Nathan. Er will, dass ich runterkomme.“

„Soll ich dich begleiten?“

Sadie überlegte kurz, dann nickte sie. „Gern.“

Gemeinsam verließen die beiden das Büro. Da sie im Aufzug nicht allein waren, stellte Cassandra keine Fragen. Sadie beobachtete unruhig die Anzeige im Inneren des Aufzugs, die mit jedem Stockwerk wechselte. Endlich waren sie unten.

In der Halle herrschte nicht viel Betrieb, deshalb entdeckte sie Nathan gleich vor der Sicherheitsschleuse. Als ihre Blicke sich trafen, verlangsamte Sadie ihre Schritte. Sie konnte sich nicht erinnern, schon je einen solchen Gesichtsausdruck bei Nathan gesehen zu haben.

Die Security ließ Sadie und Cassandra passieren. Nathan stand etwas abseits und rührte sich dort nicht von der Stelle, sah Sadie aber die ganze Zeit an.

„Guten Morgen“, sagte er und nickte den beiden Frauen zu. „Ich muss mit dir reden, Sadie.“

„Was ist los?“, fragte sie.

„Allein“, schob er hinterher.

„Geht es um Matt?“

Er nickte.

„Cassandra weiß Bescheid. Über alles, meine ich“, erklärte Sadie.

„Also gut“, sagte Nathan und sammelte sich. Sadie ballte die Hände zu Fäusten.

„Vincenzo hat mich vorhin angerufen“, sagte Nathan. „Hätte er nicht tun müssen, aber … egal. Vergiss es. Die Techniker haben etwas auf Libbys Laptop gefunden.“

Verständnislos starrte Sadie ihn an. „Bei Libby? Was denn”“

„Es geht um eine Mail an Julie Thornton. Frag mich nicht, was genau drinsteht, aber Libby hat ihr geschrieben, was Matt getan hat. Dass er es getan hat.“

Sadie schüttelte den Kopf. „Nein. Ausgeschlossen. Das ergibt überhaupt keinen Sinn.“

„Vincenzo ist nicht ins Detail gegangen. Er sagte nur, dass sie Matt diese Mail vorgelegt haben. Daraufhin muss er wohl ganz still geworden sein und …“ Nathan fehlten kurz die Worte. „Sie haben sich schon mit dem Staatsanwalt beraten und ihm einen Deal vorgeschlagen.“

„Was? Nein. Das ist doch Schwachsinn!“, rief Sadie mit zitternder Stimme.

„Er hat ihn angenommen, Sadie. Er hat vorhin gestanden, Stacy Gallagher umgebracht zu haben.“

Wortlos starrte Sadie Nathan an. Vor ihren Augen verschwamm alles, dann wurde es schwarz.

 

Im ersten Moment sah Sadie Nathan wie durch einen Nebel. Alles war unscharf, sie blinzelte geblendet.

„Hörst du mich?“, fragte Nathan.

Sadie nickte langsam. „Wo sind wir?“

„Im Pausenraum der Security. Du bist vorhin in der Halle ohnmächtig geworden.“

Sie schluckte. Was redete Nathan da?

Dann fiel es ihr wieder ein.

Schlagartig setzte sie sich aufrecht und schaute sich hektisch um. Besorgt sahen Nathan und Cassandra sie an.

„Was hat Matt gesagt?“, fragte sie nervös.

Mit dieser Frage hatte Nathan nicht gerechnet. „Hast du mich vorhin verstanden?“

„Ja … du sagtest, er habe gestanden.“

Der Polizist nickte ernst. „Sie haben ihm einen Deal angeboten. Wenn er gesteht, verzichtet der Staatsanwalt darauf, die Todesstrafe zu beantragen und weitere Zeugen aufzurufen.“

„Was …“ Sadie schüttelte den Kopf. Sie verstand gar nichts.

„Er hat es gestanden, Sadie. Er hat gestanden, damit ihm die Todesstrafe erspart bleibt“, wiederholte Nathan.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Das würde er nicht tun.“

„Vincenzo hat es mir gesagt. Sie waren noch mittendrin und wurden nur unterbrochen, weil Matts Anwalt vom Gericht zurückkam. Ich habe Vincenzo gestern auf der Rückfahrt gebeten, mir wegen allem Bescheid zu geben, und das hat er. Wir waren uns einig, dass ich es dir sagen sollte.“

Sie schüttelte wieder den Kopf. „Das ist doch Unfug.“

Nathan seufzte. „Wir können hinfahren. Vielleicht lassen sie dich zu ihm.“

Unentwegt starrte Sadie ihn an. „Bitte sag, dass das nicht wahr ist.“

Betreten senkte Nathan den Blick. „Es tut … nein, vergiss das. Ich halte besser den Mund.“

Zwar fühlte Sadie sich noch wie gelähmt, doch allmählich begriff sie. Tränen stiegen ihr in die Augen.

„Ist das dein Ernst, Nathan? Er hat gestanden?“

Morris nickte erneut, dann umarmte er Sadie wortlos. Die Berührung holte Sadie in die Wirklichkeit zurück. Noch während er sie an sich drückte, begann sie plötzlich, zu schreien und wollte sich losreißen. Nathan hielt sie unbeeindruckt fest, während Sadie mit den Fäusten gegen seine Brust schlug und dabei heftig schluchzte.

„Nein … nicht doch … nein …“ wiederholte sie stoisch, bevor sie erneut einen Schrei ausstieß. Sie sackte gegen Nathan, der sie ruhig festhielt und glaubte, es zerreiße ihm das Herz. Mit Tränen in den Augen trat Cassandra neben sie und umarmte Sadie von hinten, ohne etwas zu sagen. Ihr fehlten die Worte.

Doch das alles half nicht. Sadie weinte so furchtbar, dass sie fast hysterisch wurde. Mit Blick und Gesten gab Cassandra Nathan zu verstehen, dass sie kurz vor die Tür gehen würde. Nathan fragte nicht, denn er wusste, dass Cassandra sich etwas dabei dachte. Sie war auch nicht lange weg, sondern kehrte keine zwei Minuten später zurück und versuchte weiter gemeinsam mit Nathan, Sadie zu beruhigen.

Doch Sadie spürte bloß noch Schmerz, sah nur noch Tränen. Die Erkenntnis kam langsam, aber nichtsdestotrotz mit ungeheurer Wucht.

Wenn er gestanden hatte, gab es keine Chance mehr für ihn. Man würde ihn einsperren. Vermutlich lebenslänglich.

Er würde nicht wieder nach Hause kommen. Er würde nie wieder in seinem Bett schlafen. Sie war fortan allein mit den Mädchen.

Er würde nicht miterleben, wie Hayley aufwuchs …

Als sie fast zu hyperventilieren begann, beugte Cassandra sich vor sie, legte ihr die Hände auf die Oberarme und brachte sie dazu, sie anzusehen. Ganz ruhig redete sie auf Sadie ein.

„Wir sind bei dir. Du musst da nicht allein durch. Es ist alles gut.“

„Nichts ist gut!“, schrie Sadie und schlug zitternd die Hände vors Gesicht.

Als es an der Tür klopfte, löste Cassandra sich von Sadie. „Herein.“

Aber Sadie blickte nicht auf. Sie hockte immer noch auf der kleinen Pritsche in einer Ecke des Pausenraums und starrte mit leerem Blick ins Nichts. Sie merkte nicht, wie Phil hereinkam, die anderen wortlos ansah und dann vor Sadie trat. Erst schaute er sie nur an, aber dann legte er beherzt seine Arme um sie und strich ihr über den Kopf.

Auch jetzt sah Sadie ihn nicht an. Sie erkannte ihn bloß am Geruch und klammerte sich plötzlich ganz fest an ihn.

„Gebt ihr uns einen Moment?“, bat Phil die anderen.

„Sicher“, sagte Nathan und ging mit Cassandra hinaus. Dankbar blickte er ihnen hinterher. Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, stand Sadie auf und klammerte sich an Phil, als würde sie sonst sterben.

In diesem Augenblick wiegte Phil sie fast, wie er seine kleine Tochter wiegte, wenn er sie beruhigen wollte. Er trug noch die Hose seines Kampfanzugs mit allen Waffen und sein T-Shirt war voller Schweißflecken, aber darauf achteten beide überhaupt nicht. Sadie hielt sich einfach nur an ihm fest und musste plötzlich an Hayleys Geburt denken. In diesem Moment hatte sie sich zuletzt so aufs Atmen konzentriert.

„Was kann ich tun?“, fragte Phil leise.

Anstatt zu antworten, vergrub Sadie für einen Moment den Kopf an seiner Schulter. Phil verstand und strich ihr mit der Hand übers Haar.

Das hatte er so noch nie gemacht. Aber er hatte Sadie auch noch nie so erlebt, nicht einmal, als Matt mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus gelegen hatte. Denn damals hatte man immer noch hoffen können.

Aber jetzt …

Sadie legte die Hände an die Lippen und wandte den Blick zur Decke. „Du kannst nichts tun. Niemand kann das …“

„Das weißt du doch gar nicht. Wenn ein Gutachter für ihn aussagt, kann man den Geschworenen vielleicht begreiflich machen, warum er es getan hat.“

Schluchzend entgegnete Sadie: „Er hat gestanden, ein Mörder zu sein, Phil. Er ist gerade dabei, ein umfassendes Geständnis abzulegen, das hat einer der Detectives Nathan gesagt. Damit will er der Todesstrafe entgehen und verhindern, dass wir aussagen müssen. Sie können ihn lebenslang einsperren. Wir haben ein Kind, Phil … eigentlich sogar zwei. Hayley verliert ihren Dad, verstehst du?“

Phil nickte und biss sich auf die Lippen. Sadie war überrascht, zu sehen, dass er Tränen in den Augen hatte.

„Wir dürfen nicht aufhören, zu hoffen“, sagte er leise.

Sadie schlug die Hände vors Gesicht. „Ich sterbe beim Gedanken daran, dass er nicht wieder nach Hause kommt …“

Stumm umarmte Phil sie wieder. Sadie erwiderte die Umarmung, so dass sie eng umschlungen dastanden. Phil hatte einen dicken Kloß im Hals und versuchte gar nicht, gegen seine Tränen anzukämpfen. Dafür wusste er zu gut, was das für Sadie bedeutete.

„Es tut mir so unendlich leid“, wisperte er gepresst.

Doch Sadie antwortete nicht. Sie konnte nicht.

Fast hätte sie geglaubt, dass sie noch nie im Leben einen solchen Schmerz empfunden hatte, aber das stimmte nicht. Sie hatte sich genau so gefühlt, als sie damals im Krankenhaus in Klamath Falls aufgewacht war und begriffen hatte, dass ihre ganze Familie tot war. Als sie damals realisiert hatte, dass sie Kristy, Toby und ihre Mum niemals wiedersehen würde, hatte sie das Gleiche gespürt.

Und jetzt … jetzt würde man ihr den Menschen nehmen, der dieses Leben überhaupt erst lebenswert für sie gemacht hatte. Der ihr gezeigt hatte, was bedingungslose Liebe war. Matt hatte sie gerettet, sie aufgebaut, bestärkt und immer an sie geglaubt. Er hatte sie in einer der dunkelsten Stunden ihres Lebens geheiratet und er hatte mit ihr eine wundervolle kleine Tochter bekommen – etwas, das Sadie sich vorher niemals hätte träumen lassen. Er hatte sie immerzu geliebt und versucht, sie glücklich zu machen. Seinetwegen hatte Sadie doch noch daran zu glauben gewagt, dass das Leben gut war.

Und jetzt würde sie ihn verlieren.

 

Es fühlte sich an, als sei die Zeit stehengeblieben, obwohl sie es nicht war. Das Leben um Sadie herum ging weiter. Auf den Straßen waren unzählige Menschen unterwegs, zu Fuß oder in ihren Autos. In Los Angeles wimmelte es nur so vor Leben, aber in Sadie war alles tot.

Neben ihr auf der Rückbank saß Phil und hielt ihre Hand. Nathan fuhr zum Police Headquarters in Downtown. Im Auto war es still, das Radio war ausgeschaltet. Die ganze Fahrt über hatte keiner der drei ein Wort gesagt.

Als sie am Ziel waren, glaubte Sadie kurz, keinen Schritt machen zu können. Ihre Füße waren schwer wie Blei. Sie hatte Angst. Irgendwie wollte sie gar nicht zu Matt. Sie fürchtete sich davor, ihn zu sehen und es nicht auszuhalten.

Er gehörte doch zu ihr nach Hause, nach Culver City.

Wie sollte sie das überhaupt den Kindern erklären?

Sie starrte stur geradeaus, während sie Nathan zu dem Verhörraum folgte. Phil war gleich neben ihr, aber das machte es kaum besser. Jetzt half überhaupt nichts mehr.

Auf dem Flur begegneten sie Detective Carroll, der gerade zum Mittagessen ein belegtes Baguette verspeiste. Als er sie kommen sah, nickte er und kam auf sie zu.

„Mein Kollege ist noch drin“, sagte er. „Wir sind aber vorhin fertig geworden.“

„Können wir rein?“, fragte Nathan ohne ein Wort der Begrüßung.

„Ich denke schon. Mrs. Whitman …“

„Ich will es überhaupt nicht hören“, sagte Sadie scharf. „Gar nichts.“

„Wir könnten Sie dafür belangen, dass Sie uns belogen haben.“

„Verdammt, Carroll, jetzt reicht es aber wirklich!“, brüllte Nathan ihn gereizt an.

„Sie alle wussten doch davon! Ist Ihnen klar, dass er es zugegeben hat, um Ihnen allen den Arsch zu retten?“

Beinahe wäre Nathan mit geballten Fäusten auf Carroll losgegangen, aber Phil war sofort zur Stelle und hielt ihn geistesgegenwärtig fest.

„Sie haben überhaupt keine Ahnung, was damals passiert ist! Wenn Sie irgendeine Vorstellung davon hätten, würden Sie jetzt nicht so eine Scheiße erzählen, Carroll. Ernsthaft. Lassen Sie es einfach!“, brüllte Nathan weiter.

„He, ganz ruhig“, sagte Phil mit erhobener Hand. Beschwörend sah er Nathan an und versuchte, ihn zu beruhigen.

Nathan schnaubte kurz, aber dann nickte er. „Hast Recht. Mein Fehler.“

„Wollen Sie Ärger mit mir?“, fragte Carroll scharf.

„Nein, will er nicht.“ Eindringlich sah Phil den Detective an.

„Ich hätte große Lust, Sie alle zur Verantwortung zu ziehen.“

„Machen Sie nur“, zischte Sadie. „Viel zerstörter kann mein Leben eigentlich kaum sein.“

Das saß. Sie sah dem Detective geradewegs in die Augen, aber er hielt ihrem Blick nicht stand.

„Ich kann überhaupt nichts tun“, sagte er dann. „Das war eine Bedingung Ihres Mannes. Er wollte nur ein Geständnis ablegen, wenn wir davon absehen, Sie alle zur Rechenschaft zu ziehen.“

Sadie fühlte sich, als hätte er ihr ins Gesicht geschlagen, wahrte aber die Fassung. „Darf ich zu ihm?“

„Meinetwegen“, sagte Carroll gelangweilt. Er ging voraus zu den Befragungsräumen und stieß die Tür auf. Sadie blieb hinter Nathan und Phil stehen und traute sich nicht, weiterzugehen. Nathan und Carroll taxierten einander immer noch aggressiv, dann kam Vincenzo aus dem Raum. Er nickte jedem zu und blieb dann kurz vor Sadie stehen. Es sah aus, als hätte er etwas sagen wollen, aber dann verschwand er wortlos und Carroll mit ihm. Wütend stierte Nathan ihnen hinterher, dann gab Phil ihm einen Stoß und ging in den Verhörraum. Sadie folgte ihm nur, weil Nathan ihr unbedingt den Vortritt lassen wollte.

Rhodes saß neben Matt und redete leise mit ihm. Mit hängenden Schultern und völlig in sich zusammengesunken kauerte Matt auf seinem Stuhl und bedachte seine Freunde mit einem Blick, den Sadie noch nie zuvor an ihm gesehen hatte. Schuldbewusst, beschämt, voller Trauer. Niemand sagte ein Wort, weil niemand wusste, was angemessen gewesen wäre.

Sadie konnte nichts dagegen tun, dass ihr wieder die Tränen kamen. Zitternd und schluchzend stand sie da, so dass Matt aufstand und langsam zu ihr ging. Er umarmte sie, ohne ein Wort zu sagen, und drückte sie seufzend an sich. Sadie schluchzte laut, sie schrie fast gegen seine Schulter. Er biss sich auf die Lippen und blickte zu Phil, der ihm kaum sichtbar zunickte.

Matt hielt Sadie ganz fest – froh darüber, dass er die Gelegenheit dazu noch hatte. Erst wenige Minuten zuvor hatte er Vincenzo noch gebeten, mit den Handschellen zu warten, bis Sadie dort war. Darauf hatte der Polizist sich achselzuckend eingelassen. Mit Vincenzo war er besser zurechtgekommen als mit Carroll, weil er das Gefühl hatte, dass Vincenzo ihn nicht so sehr verurteilte. Aber er war auch derjenige, der damals mit Sadie gesprochen hatte.

Er schloss die Augen und konzentrierte sich ganz darauf, Sadie in seinen Armen zu halten, sie zu riechen, ihre Wärme zu spüren. Er musste das auskosten, weil er nicht wusste, wann er das wieder tun konnte. Dieser Kummer tat ihm körperlich weh, auch wenn er ihn nicht genau verorten konnte.

„Es tut mir leid, Sadie“, wisperte er. „Bitte vergib mir.“

Unter Tränen blickte sie auf. „Es ist meine Schuld.“

Matt war fassungslos. „Deine Schuld?“

Flehend starrte sie an die Decke, die Hände zu Fäusten geballt. „Ich hätte es Nathan einfach nicht sagen dürfen. Ich hätte das abblocken müssen. Es ist meine Schuld …“

Während Nathan sich schon einklinken wollte, um etwas zu sagen, schüttelte Matt heftig den Kopf.

„Nein, ihr tragt daran alle keine Schuld, im Gegenteil. Ihr wolltet mich schützen. Ihr habt etwas für mich getan, um das ich niemals hätte bitten können. Ihr habt euch mit schuldig gemacht …“ Seine Stimme bebte, als er das sagte. Er holte tief Luft. „Ich hatte vorhin keine Wahl, das müsst ihr mir glauben. Ich saß in der Falle. Irgendwie musste ich reagieren.“

„Carroll meinte, wir seien Teil des Deals“, sagte Nathan ausdruckslos.

Matt nickte. „Das musste ich tun. Als ich Libbys Mail gelesen habe, wusste ich, damit bin ich geliefert. Natürlich hätten weder Sadie noch Libby mich vor Gericht belasten müssen, aber was, wenn sie euch vereidigt hätten?“ Damit richtete Matt sich an Phil und Nathan. „Und ihr seid ja gar nicht die Einzigen, die es wissen. Aber auch das ist meine Schuld. Alles ist meine Schuld. Ich habe etwas getan, das ich niemals hätte tun dürfen, und ich hätte es dir nicht sagen dürfen, Sadie. Es tut mir leid.“

„Du hast wirklich gestanden?“, fragte sie leise.

„Ja. Ich wusste, da komme ich nicht mehr raus. Ich nicht und ihr auch nicht. Hätte ich es jetzt nicht zugegeben, hätten sie euch alle gegrillt. Die Konsequenzen will ich mir einfach nicht vorstellen.“

„Aber jetzt … du bist Hayleys Dad“, stieß Sadie gepresst hervor.

„Ich weiß. Das weiß ich alles. Ich verdiene eine Strafe, ganz ohne Frage, aber ich wünschte, sie würde dich und die Kinder nicht treffen. Deshalb …“ Für einen Moment wandte er den Blick ab. „Bitte vergib mir, Sadie. Ich wollte den Schaden begrenzen. Es tut mir so unendlich leid.“

Ihre Lippen bebten. „Du kommst nie wieder nach Hause …“

Matt griff nach ihren Händen und führte sie an die Lippen. „Was jetzt kommt, ist Andrews Aufgabe. Er wird dafür sorgen, dass die Anklage auf Totschlag lauten wird. Dann sind wir bei fünfzehn Jahren als Mindeststrafmaß.“

„Ja, und wenn er das nicht schafft, bei irgendwas zwischen fünfundzwanzig Jahren und lebenslänglich.“

„Ich hatte keine Wahl“, stieß Matt verzweifelt hervor. „Hätte ich es nicht getan, hätten sie mich des Mordes angeklagt und mir Heimtücke unterstellt. Das wisst ihr. Darauf steht die Todesstrafe. Sie hätten jeden von euch befragt und euch damit alles ruinieren können. Ich musste euch schützen! Ich musste versuchen, das Schlimmste abzuwenden.“

Sadie wusste, dass er Recht hatte. In diesem Moment konnte sie zwar nicht klar denken, aber sie war all diese Optionen auch schon im Geiste durchgegangen.

Er hatte Recht. Er hatte keine Wahl gehabt.

Erneut umarmte sie ihn ganz fest, nahm seinen Kopf in ihre Hände und küsste ihn unter Tränen. „Ich liebe dich, Matt Whitman. Ich vergebe dir. Ich werde zu dir stehen.“

Damit hatte Matt in diesem Moment nicht gerechnet. Hastig wandte er sich ab, damit die anderen seine Tränen nicht sahen, woraufhin Nathan vorschlug, dass sie alle draußen warteten. Sadie achtete gar nicht darauf, wie sie den Raum verließen, so dass sie Augenblicke später mit Matt allein war.

„Es tut mir leid, Sadie“, wiederholte er. „So unendlich leid. Ich hätte das niemals tun dürfen.“

Als Sadie sah, wie sehr Matt sich selbst damit quälte, wusste sie gar nicht, was sie sagen sollte. So sah sie ihn nur schweigend an, was ihn aber vollkommen rastlos machte.

„Sag doch wenigstens was“, flehte er dann. „Ich habe vorhin die ganze Zeit an dich gedacht, an dich und die Kinder. Ich habe gebetet, dass du mich nicht dafür hasst, was ich hier gerade tue. Mir ist bewusst, dass ich damit auch dein Leben zerstöre.“

„Du hast doch wirklich keine Wahl“, flüsterte sie.

„Ich würde nicht davonkommen. Ich wollte nicht, dass der Staatsanwalt die Todesstrafe beantragt. Ich konnte doch nicht anders …“ 

„Ich weiß, Matt … ich weiß“, sagte Sadie und griff nach seiner Hand. „Komm bitte wieder her.“

Matt nickte und umarmte sie erneut. „Es bringt mich um, Sadie. Es bringt mich jetzt schon um. Ich weiß, dass du jetzt alles allein schultern musst. Die Kinder, das Haus … und ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben soll.“

Er weinte, als er das sagte. Das traf Sadie so tief im Herzen, dass sie ihn küsste und ihm die Tränen von den Wangen wischte.

„Ich wollte das nicht“, beteuerte Matt. „Ich war dumm. Ich hätte sie einfach in Ruhe lassen sollen. Ich bereue es so wahnsinnig …“

Sadie versuchte, die Tränen zurückzuhalten. „Lass Rhodes seine Arbeit machen. Vielleicht kriegt er es auf fünfzehn Jahre heruntergehandelt.“

Matt nickte. „Das ist auch der einzige Gedanke, der mich aufrecht hält.“

Keiner von beiden sprach aus, dass Hayley dann schon fast erwachsen sein würde. Allerdings wich der unerträgliche, brutale Schmerz, der Sadie fast in die Knie gezwungen hätte, allmählich einem Gefühl der Taubheit.

Es war echt. Es würde passieren. Matt würde für eine lange Zeit ins Gefängnis gehen.

„Du musst Libby sagen, dass ich ihr keine Schuld gebe“, bat Matt. „Ihr war vermutlich nicht bewusst, was sie da tut. Und sie hat es nicht so gemeint. Wenn du ihre Mail liest … sie schrieb am Ende, dass Julie unbedingt darüber schweigen sollte. Der letzte Satz lautete: Er ist doch mein Dad.“

„Oh mein Gott …“ Sadie konnte es nicht fassen.

Er nickte ernst. „Du hast meine Erlaubnis, alles zu tun, was nötig ist. Egal, worum es geht. Ich überlasse alle Entscheidungen dir. Du bist jetzt für unsere Familie verantwortlich. Es tut mir so leid. Jetzt lasse ich dich doch mit Hayley allein. Sie wird mir so fehlen.“

Sadie schlug die Hände vors Gesicht. „Ich weiß nicht, wie ich das ertragen soll …“

Matt nickte traurig. „Das frage ich mich auch. Wobei ich diese Strafe verdiene. Ich werde mir jeden Tag sagen müssen, dass die Jahre mit dir die schönsten meines Lebens waren.“

„Hör auf“, bat Sadie flehentlich. „Das halte ich nicht aus.“

„Du schaffst das. Du bist stärker als ich. Ich weiß, dass du gut für unsere Tochter sorgen wirst.“

Sadie wollte etwas erwidern, wurde aber von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Als Carroll seinen Kopf durch den Türspalt steckte, verdüsterte sich ihre Miene.

„Ich hoffe, Sie sind fertig“, sagte er und Sadie wusste nicht, wie sie diese Aussage bewerten sollte. Als er mit Handschellen hineinkam, hätte sie ihn umbringen mögen.

Matt starrte ihn einfach nur an. „Dafür bin ich wohl nie bereit.“

Sadie wandte den Blick ab, als Matt dem Detective die Hände hinhielt und Carroll ihm Handschellen anlegte. Danach kamen Rhodes, Nathan und Phil wieder herein.

„Zwei Minuten“, sagte Carroll scharf. „Dann verschwinden hier alle bis auf den Anwalt.“

„Seien Sie bloß nicht großzügig, Carroll“, ätzte Nathan gegen seinen Kollegen, der ihm einen giftigen Blick zuwarf, bevor er verschwand.

„Lass ihn“, bat Matt.

„Ich lasse ihn überhaupt nicht“, schnappte Nathan, aber dann beruhigte er sich. „Es tut mir leid, Matt. Es war meine indiskrete Frage, der wir das zu verdanken haben. Und jetzt rettest du mir auch noch den Hintern.“

„Ich hoffe, das klappt“, sagte Matt. „Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihr deshalb Probleme bekommt.“

„Ich hätte dazu gestanden“, sagte Phil. „Trotzdem bin ich dir unendlich dankbar und weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Gar nichts“, erwiderte Matt. „Versprich mir nur, dass du für meine Familie da bist.“

„Wenn es nur das ist.“

„Machen Sie bloß Ihre Arbeit“, sagte Nathan mit strengem Unterton zu Rhodes und es war nicht klar, ob er das ernst meinte oder nur als Scherz.

Der Anwalt nickte. „Wir haben noch Optionen. Das ist zwar vorhin etwas unglücklich gelaufen, weil Matt noch in meiner Abwesenheit begonnen hat, sein Geständnis abzulegen. Im Rückblick kann ich nun nicht mehr sicher sagen, ob es sinnvolle andere Möglichkeiten gegeben hätte und ich habe zum Beispiel noch gar nicht geprüft, ob überhaupt der Durchsuchungsbefehl, aufgrund dessen die Mail gefunden wurde, rechtens war. Aber das Angebot der Staatsanwaltschaft lautete, auf die Beantragung der Todesstrafe zu verzichten, wenn im Gegenzug ein Geständnis vorliegt. Wie gut kennen Sie sich mit solchen Verständigungen in Strafverfahren aus?“

„Nicht gut“, räumte Sadie ein.

„Wir müssen uns jetzt noch mit der Staatsanwaltschaft auf das Strafmaß verständigen. Zum Glück hatte Matt noch nicht viel gesagt, als ich wieder hier war, und er hat es erst mir dargelegt, bevor er den Detectives den Tatablauf geschildert hat. Im Moment ist der Plan, dass er sich des Totschlags schuldig bekennt und die Staatsanwaltschaft uns einen Vorschlag für das Strafmaß unterbreitet. Dieser Deal hat den Vorteil, dass keine weiteren Zeugen gehört werden müssen und Matt hat es auch zur Bedingung gemacht, dass bestimmte Personen nicht zur Sache befragt werden dürfen“, sagte Rhodes mit Blick zu Nathan und Phil.

„Der Rest ist nun Verhandlungssache. Das Geständnis und unsere Bedingungen einerseits und ein Vorschlag für das Strafmaß von der Staatsanwaltschaft andererseits werden einem Richter vorgelegt und wenn er den Deal absegnet, ist das Urteil rechtskräftig. Er kann den Deal aber auch ablehnen und dann käme es zu einer Gerichtsverhandlung.“

Sadie nickte. „Ich verstehe. Das kriegen Sie schon hin.“

„Ich werde mich jetzt mit Matt ausführlicher darüber beraten“, sagte der Anwalt, bevor er leiser hinzufügte: „Das alles tut mir sehr leid.“

Für diese ehrliche Anteilnahme war Sadie ihm dankbar. Sie mochte den Anwalt.

Phil ging zu Matt und umarmte ihn. „Du kannst dich auf mich verlassen.“

„Danke, Phil. Das hilft.“

„Ich werde für Sadie und die Mädchen da sein.“

„Ich genauso“, sagte Nathan und umarmte Matt ebenfalls. In diesem Augenblick erschien Carroll erneut und wiederholte seine Aufforderung an Sadie, Nathan und Phil, dass sie verschwinden sollten. Sadie ignorierte ihn, ging noch einmal zu Matt, schloss ihn in die Arme und küsste ihn zum Abschied.

„Wir schaffen das“, sagte Matt, um ihr Mut zu machen. „Bitte gib Hayley einen Kuss von mir.“

Sadie schluckte hart und nickte. „Ich liebe dich unverändert.“

Matt lächelte bloß gequält, küsste sie noch einmal und wünschte, er hätte ihre Umarmung erwidern können, doch die Handschellen verwehrten es ihm.

Sadie wollte ihn nicht loslassen. Sie tat es erst, als Carroll erneut nachdrücklich darum bat. Bevor die Tür sich schloss, blickte sie noch einmal über die Schulter zurück zu Matt und wunderte sich, dass sie sich ruhiger fühlte. Ihn zu sehen, zu spüren und mit ihm zu reden, hatte es wider Erwarten besser gemacht.

Doch als nun die Tür hinter Carroll und Vincenzo zufiel und sie mit Nathan und Phil zurück zum Auto ging, verblich dieses Gefühl sofort. Sie war gleich wieder in der Realität angekommen, in der die Zeit unerbittlich weiterlief. Matts Schicksal würde nun seinen Lauf nehmen und es gab nichts, was sie dagegen tun konnte.

 

Nathan hatte Phil und Sadie zum FBI zurückgebracht und war dann wieder zur Polizei gefahren, weil er im Augenblick nichts tun konnte. Als er fort war, standen die beiden immer noch auf den Parkplatz und wussten nicht, was sie tun oder sagen sollten.

Irgendwann brach Phil dann doch das Schweigen. „Ist es okay für dich, wenn ich später bei euch vorbeikomme? Ich muss wieder rein. Keaton lässt uns zwar im Notfall ohne Erklärung weg, aber nicht sonderlich gern und …“

„Schon gut“, sagte Sadie. „Es ist toll, dass du vorhin da warst. Du hast mich wirklich gerettet.“

Phil nickte verstehend. „Ich habe das auch ernst gemeint. Ich bin für euch da.“

„Ich weiß. Danke.“

Kameradschaftlich legte er eine Hand auf ihre Schulter, woraufhin Sadie ihn umarmte.

„Was machst du jetzt?“, fragte Phil.

„Ich denke, ich rufe Matts Vater an. Zwar sollte ich eigentlich auch wieder rein, aber …“

„Ich bitte dich!“

„Mein Chef hat keine Ahnung, was hier los ist, aber das kann warten.“

„Allerdings. Wir telefonieren später, okay?“

„Natürlich.“ Sadie lächelte und blickte Phil hinterher, als er sich schließlich von ihr löste und wieder ins Gebäude ging. Ja, eigentlich hätte sie auch noch mal reingehen und mit Hank sprechen müssen, Cassandra etwas erklären müssen – aber sie konnte nicht. Mit versteinerter Miene ging sie zu Matts Auto. Sein Challenger, auf den er immer so stolz gewesen war. Als sie sich auf den Fahrersitz setzte, glaubte sie, ihr Herz zerspringe in Scherben.

Sie überlegte, was sie tun sollte. Allein nach Hause zu fahren, traute sie sich nicht. Das brachte sie nicht über sich.

Sie beschloss, zur Culver City High School zu fahren und dort auf Libby zu warten. In einer guten Stunde hatte Libby Schulschluss, wenn sie ihren Stundenplan richtig im Kopf hatte.

Sie ließ das Radio ausgeschaltet, während sie auf den Freeway fuhr und innerhalb kurzer Zeit am Ziel eintraf. Dort parkte sie am Straßenrand, wo Libby auf ihrem Heimweg vorbeikommen musste, und suchte die Handynummer von Matts Vater heraus. Sie hatte ihn schon mehrmals anrufen und ihm sagen müssen, dass etwas mit seinem Sohn war, aber noch niemals so. Während sie auf das Freizeichen lauschte, hatte sie kurz das Gefühl, keine Luft zu bekommen.

„Whitman“, meldete er sich.

„Jim, hier ist Sadie. Kann ich mit dir reden?“

„Augenblick, warte … so. Jetzt kann ich dich besser verstehen. Ist was mit Matt?“

Natürlich, er kannte das ja auch schon. Sadie rief ihn eigentlich immer nur an, wenn etwas mit Matt nicht in Ordnung war.

„Ich … oh Gott.“ Sie fuhr sich mit einer Hand über die Stirn und schloss die Augen.

„Geht es ihm gut?“

„Ja, er hat nichts, wenn du das meinst.“ Sadie atmete tief durch und versuchte, sich zu konzentrieren. „Am Independence Day haben wir doch über etwas gesprochen. Du hast dich bei mir bedankt, weil ich Matt geholfen habe, als es um Stacy ging.“

„Ich erinnere mich, ja“, sagte Matts Vater.

„Du hattest Recht. Ich konnte dir das nie sagen und Matt wollte dir wohl nie Kummer bereiten, aber du hast richtig vermutet. Er ist schuld an Stacys Tod.“

„Ich weiß, ich meine … nein, ich hatte es angenommen“, sagte Mr. Whitman überraschend gefasst.

„Matt wurde deshalb gestern wieder festgenommen“, sagte Sadie.

„Nicht doch …“

„Außerdem wurde unser Haus durchsucht. Die Polizei hat auch etwas gefunden und vorhin …“ Sadies Stimme begann zu zittern. „Er hat gestanden, Jim. Er hat bei der Polizei ein Geständnis abgelegt.“

Am anderen Ende der Leitung war es erst so still, dass Sadie sich fragte, ob Matts Vater noch dran war. Dann hörte sie ihn schwer atmen.

„Ich hatte immer Angst davor, dass du mich eines Tages anrufst und mir das sagst“, murmelte er.

„Er hatte keine Wahl. Er musste es tun. Alles andere hätte es noch schlimmer gemacht.“

Wieder war es still, dann hörte Sadie ihren Schwiegervater plötzlich leise schluchzen. „Wie konnte das alles nur passieren?“

„Es tut mir so leid. Ich konnte gar nichts tun.“

„Das muss dir nicht leid tun, Sadie. Niemanden trifft das so hart wie dich.“ Das Beben seiner Stimme stand in direktem Widerspruch zu seiner Aussage.

„Sein Geständnis ist Bestandteil eines Deals. Er gesteht und dafür klagen sie ihn hoffentlich nur des Totschlags an. Sonst hätten sie auch die Todesstrafe fordern können.“

„Liebe Güte … die schicken meinen Sohn ins Gefängnis?“

Sadie schloss die Augen und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. „Er hat sie umgebracht. Ein paar Wochen später hat er es mir gestanden, weil er nicht damit zurechtkam. Ich habe versucht, ihm zu helfen, aber irgendwann hatte er seine Dienstwaffe in der Hand und war so verzweifelt, dass er sich erschießen wollte. Das war das, was du meintest … Weihnachten.“

„Ja, natürlich. Was hat diese Frau meinem Sohn nur angetan?“

„Bitte frag nicht.“

„Er ist doch so ein guter Mensch, aber ich weiß, wie er reagiert, wenn man ihn in die Enge treibt. Können wir denn gar nichts tun?“

„Ich weiß nicht, was. Ich …“ Sadie brach ab und konzentrierte sich aufs Atmen, um nicht loszuheulen.

„Soll ich nach Los Angeles kommen?“

„Nicht meinetwegen. Matt bleibt jetzt in Untersuchungshaft. Ich nehme nicht an, dass der Haftrichter etwas anderes anordnen wird.“

„Ich komme sofort, wenn einer von euch mich braucht oder …“ Mr. Whitman stockte. „Wenn etwas mit meiner Enkelin ist.“

„Ich weiß. Danke. Ich stehe immer noch neben mir.“

„Warst du bei ihm?“

„Ja. Er war gefasster als ich.“

„Es tut mir so leid. Bitte, du darfst meinen Sohn nicht dafür hassen.“

„Oh Gott, Jim!“, rief Sadie entsetzt. „Wie könnte ich? Du hattest Recht, ich habe ihn damals rausgepaukt. Ich habe ihn gedeckt, damit das nicht passiert. Sein Geständnis diente auch dazu, mich und die anderen, die davon wussten, zu schützen. Ich hasse ihn doch nicht! Ich weiß nur nicht, wie ich damit leben soll, dass er ins Gefängnis geht. Hayley verliert ihren Dad …“

„Ich komme am Wochenende. Ihr braucht mich jetzt.“

„Danke, Jim“, sagte Sadie ehrlich. „Das ist lieb von dir.“

„Du bist ein Engel, Sadie. Ich weiß noch, wie Matt mir zum ersten Mal von dir erzählt hat. Damals dachte ich, du musst ein besonderer Mensch sein und das bist du. Ich war immer froh, dass mein Sohn dich hat.“

Sadie bedankte sich für seine rührenden Worte, aber dann beendete er das Gespräch auch schon. Er sagte, dass er einen Moment brauchen würde, um diese Nachricht zu verdauen, was Sadie nur zu gut verstehen konnte.

Dann schrieb sie ihrer besten Freundin eine Nachricht, in der sie um ein Telefonat bat. Tessa würde gerade arbeiten und das war nicht der richtige Zeitpunkt, aber sie musste mit ihr sprechen.

Im Anschluss rief sie Norman an. Sie musste es allen sagen, auch wenn ihr nicht danach zumute war.

„Sadie“, meldete ihr Onkel sich. „Warum rufst du um diese Zeit an?“

„Matt wurde gestern verhaftet. Es ging wieder um Stacy. Vorhin hat er ein Geständnis abgelegt.“

Nach einem kurzen Moment des Schweigens sagte Norman: „Er hat was?“

Sadie erzählte auch ihm, was vorgefallen war, und versuchte, ruhig zu bleiben. Norman hörte die ganze Zeit nur zu, sie hörte seine Atemzüge. Irgendwie wirkte das beruhigend auf sie. Als Norman sich erkundigte, ob sie okay war, brach es erneut aus ihr heraus und sie weinte am Telefon, was ihn sehr beunruhigte. Er bot ihr gleich an, vorbeizukommen, was sie zunächst ablehnte.

„Du kannst nichts tun, ich meine … niemand kann etwas tun. Sein Anwalt wird jetzt den Schaden begrenzen, aber …“ Für einen Moment schloss sie die Augen. „Wie soll ich denn allein für die Mädchen sorgen?“

„Bitte mach dir keine Sorgen, Sadie. Ich weiß, dass das jetzt schwierig wird, das ist völlig klar. Lass uns in Ruhe überlegen, was wir tun können. Aber du sollst wissen, dass noch einiges von Fannys Lebensversicherung da ist.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Norman …“

„Ich möchte das aber so“, widersprach er gleich. „Du solltest dir nichts vormachen, der Anwalt wird eine Stange Geld kosten und du wirst allein für zwei Mädchen sorgen und für das Haus aufkommen müssen. Nichts für ungut, aber ich glaube, dass ich dir da helfen kann.“

Sadie biss sich auf die Zunge, um nicht laut zu schreien. So weit hatte sie noch gar nicht gedacht, allein der Anwalt würde sie ein Vermögen kosten. All ihre Kalkulationen hatten darauf gebaut, dass sie Doppelverdiener waren. Nie im Leben würde sie allein Rhodes bezahlen und ihre Familie unterhalten können, das war ausgeschlossen.

„Mein Gott“, wisperte sie kaum hörbar.

„Ich könnte mir vorstellen, dass Matt das nicht annehmen will, aber bei allem Respekt, dazu fragen wir ihn nicht nach seiner Meinung. Ich muss dir und meiner Enkelin helfen und Libby ist ja auch noch da.“

„Norman …“ Sadie schlug eine Hand vor den Mund.

„Du darfst jetzt nicht aufgeben. Denk an die Mädchen.“

„Ich weiß, aber … die nehmen mir meinen Mann weg“, stieß sie verzweifelt hervor. „Er ist doch alles, was ich immer wollte. Er hat mich gerettet. Er ist so ein toller Vater …“

„Oh, Liebes, ich weiß“, sagte Norman verständnisvoll. „Er hat da einen furchtbaren Fehler gemacht, darüber sind wir uns wohl alle einig.“

„Sein Vater bat mich vorhin, dass ich ihn nicht hassen soll, kannst du dir das vorstellen?“

„Ja, ich verstehe auch, warum er das gesagt hat. Was jetzt kommt, wird sehr schwer – aber so wie ich Matt kenne, findet er es weniger schlimm, ins Gefängnis zu müssen, als zu fürchten, dass ihr darunter zu leiden habt.“

„Das sagte er vorhin gleich.“

„Der arme Junge. Diese Frau muss ihm Furchtbares angetan haben.“

„Ja, und deshalb verstehe ich auch, was er getan hat. Ich hätte Sean damals auch gern umgebracht, das meine ich ernst.“

„Das verstehe ich gut. Was glaubst du, wie ich über deinen Vater gedacht habe?“

Sadie war geschockt. So hatte sie das noch nie gesehen, aber Norman hatte Recht. Er kannte solche Gefühle selbst.

„Ich wünschte so sehr, das wäre nur ein böser Traum“, sagte Sadie weinend.

„Ich weiß. Es tut mir so unendlich leid. Ich kann morgen Abend bei dir sein.“

Sadie wehrte sich nicht länger dagegen. „Okay …“

„Lass uns später noch mal telefonieren. Ich bin immer für dich da.“

„Ich weiß, Norman. Ich hab dich lieb.“

„Ich dich auch, mein Kind.“

Sadie legte auf und wartete weiter auf Libby. Irgendwann stieg sie aus dem Auto und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen an die Fahrertür.

Die Erkenntnis kam langsam und Sadie gab sich redlich Mühe, sie nicht allzu sehr an sich heran zu lassen.

Mindestens fünfzehn Jahre, und das auch nur, wenn Rhodes Erfolg hatte. Einige der Schwierigkeiten, die ihr bevorstanden, hatte Norman gerade angesprochen; andere waren ihr selbst nur allzu bewusst. Dass Matt seinen Freunden mit seinem Geständnis Immunität erkaufen wollte, war schön und gut und Sadie musste ihren Ehemann ohnehin nicht belasten, aber sie befürchtete einschneidende berufliche Konsequenzen. Das FBI konnte nicht außer Acht lassen, dass sie mit einem Mörder verheiratet war und verdächtigt wurde, Bescheid gewusst zu haben. Und dann fingen die Probleme erst richtig an.

Was sollte sie Hayley sagen?

Wie sollte das überhaupt alles funktionieren?

Es war lange her, dass sie ihr Leben so gehasst hatte. Sie hatte den Fluch, den ihr Vater über ihr Leben gebracht hatte, überwunden geglaubt – spätestens seit Hayleys Geburt.

Doch nun spielte ihr das Schicksal einen besonders grausamen Streich. Sie hatte schon etwas erreicht, war endlich angekommen und glücklich und nun fiel sie tiefer denn je.

Irgendwann merkte sie, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen. Schnell wischte sie über ihre Wangen und versuchte, sich zu beruhigen. Erste Schüler verließen das Gebäude, wenig später ertönte der Gong. Sadie blieb stehen, wo sie war und beobachtete die plötzlich aus dem Schulgebäude strömenden Schülergruppen, die zu Fahrrädern, Autos oder den unweit geparkten Schulbussen liefen. Sie straffte die Schultern und hielt Ausschau nach Libby. Das alles zu sehen, erinnerte sie an ihre eigene Schulzeit. Die High School hatte sie nicht in allzu schlechter Erinnerung.

Libby entdeckte sie, bevor Sadie sie bemerkt hatte. Schnellen Schrittes und mit erstaunter Miene kam sie auf Sadie zu und wurde langsamer, als sie Sadies Gesichtsausdruck bemerkte. In respektvollem Abstand blieb sie stehen, war sichtlich irritiert.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie gleich.

„Komm“, sagte Sadie. „Fahren wir nach Hause.“

Libby witterte etwas, sagte aber nichts, bis sie neben Sadie auf dem Beifahrersitz saß. Als Sadie schweigend losfuhr, musterte Libby sie fragend von der Seite.

„Was ist passiert?“, fragte sie.

„Lass uns zu Hause darüber sprechen“, wich Sadie aus.

„Aber hast du dich mal angesehen? Sadie …“ Inzwischen klang Libby ängstlich.

„Bitte”, begann Sadie nur, ohne zu wissen, was sie eigentlich sagen wollte.

„Was ist mit Matt? Bitte sag, dass alles gut ist!“, bat Libby inständig.

„Ich wünschte, ich könnte.“

Betreten senkte Libby den Blick. „Jetzt habe ich Angst.“

Sadie wusste nicht, was sie erwidern sollte, aber sie waren wenige Augenblicke später zu Hause. Sie gingen gemeinsam ins Haus, was Sadie in diesem Moment wie eine Strafe vorkam. Als wäre es alles nichts mehr wert gewesen. Alles schien ihr leer und tot.

Libby ließ ihren Rucksack einfach im Flur stehen und folgte Sadie in die Küche. „Was ist mit Matt? Jetzt sag schon, bitte.“

Sadie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die Finger in die Oberarme gekrallt, als sie sich umdrehte. „Er hat ein Geständnis abgelegt.“

Vollkommen ausdruckslos starrte Libby sie an. „Das kann er nicht machen.“

„Er musste. Er konnte nicht anders.“

„Warte.“ Libby schloss die Augen und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. „Aber warum, ich meine …“

Gequält sah Sadie sie an. „Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll, ohne dass es dir den Boden unter den Füßen wegreißt.“

„Mir? Wieso?“

„Sie haben auf deinem Laptop einen Beweis gefunden.“

Libby verstand kein Wort. „Bei mir? Aber wie?“

„Du hast Julie in einer Mail davon berichtet. Ich weiß gar nicht, wann. Die Polizei hat diese Mail gefunden.“

Libby antwortete nicht gleich. Sadie konnte ihr ansehen, dass sie selbst erst darüber nachdenken musste und sich gar nicht auf Anhieb erinnerte.

„Ich weiß, das war vor ein paar Wochen.“ Sie wurde blass. „Das kann nicht dein Ernst sein. Dürfen die das denn? Das ist doch …“

„Sie dürfen, Libby. Sie dürfen und sie haben es getan. Sie haben ihm diese Mail vorgelegt und ihm damit gedroht, die Todesstrafe zu fordern, wenn er nicht gesteht. Welche Wahl hätte er gehabt?“

Libby begann zu zittern und hielt sich am Tisch neben ihr fest. „Nein. Nein. Nein …“ Sie schüttelte den Kopf.

Sadie ging zu ihr und wollte sie umarmen, aber Libby machte einen Satz zurück und schrie.

„Nein, das geht nicht! Das dürfen die nicht, das wollte ich doch nicht, ich meine … er ist mein Dad, das ist doch … “

Sie sackte auf die Knie und begann, herzzerreißend zu wimmern. Sadie konnte sich nicht daran erinnern, schon je einen Menschen so gehört zu haben. Es ging ihr durch Mark und Bein, so deutlich waren Libbys Entsetzen, ihr Schock und ihre Verzweiflung. Sie raufte sich die Haare und sank dann zitternd in sich zusammen. Sadie ertrug es nicht, sie so zu sehen, kniete sich vor sie und wollte sie umarmen, aber Libby wich schreiend zurück und schnappte zu Tode erschrocken nach Luft.

„Das heißt, das ist meine Schuld? Geht er jetzt wegen mir ins Gefängnis?“

Sadie nickte. „Ja, er wird ins Gefängnis gehen.“

Libbys folgender Schrei war dem viel zu ähnlich, den Sadie am Morgen von sich selbst gehört hatte. Er war einfach aus ihr herausgebrochen, ohne dass sie etwas dagegen hätte tun können.

„Niemand gibt dir die Schuld, Libby“, sagte Sadie, was Libby tatsächlich aus ihrem Schockzustand riss.

„Was? Aber es ist meine Schuld! Das ist nur meinetwegen! Oh mein Gott …“ Aufgelöst und mit Tränen in den Augen sah Libby zu Sadie und schüttelte immer wieder den Kopf.

„Ich wusste das nicht. Ich hätte doch nie … das wollte ich nicht, Sadie. Er ist doch wie ein Vater für mich, ich liebe euch beide, euch und die Kleine, das musst du mir glauben! Bitte … oh nein …“

„Komm her“, sagte Sadie und diesmal ging Libby darauf ein. Sie beugte sich vor, so dass Sadie sie umarmen konnte und klammerte sich schluchzend und weinend an ihr fest.

„Es tut mir leid … es tut mir so leid, Sadie, das wollte ich doch nicht. Das wollte ich nicht …“

„Ich weiß, Libby, und Matt weiß das auch. Er hat die ganze Mail gelesen.“

„Er hat was?“, stieß Libby entsetzt hervor. „Und die Polizei auch?“

Sadie nickte.

„Oh Gott, bitte … das dürfen die doch gar nicht wissen! Ich … ich hatte schlecht geträumt. Ich hatte einen Alptraum wegen Brian und ich wollte nicht, ich meine … das wollte ich dir nicht sagen und Matt schon gar nicht. Deshalb dachte ich, Julie versteht mich. Das hat sie auch, aber sie hatte Fragen. Sie hat nicht verstanden, warum Tyler Matt so gehasst hat und … und ich habe auch erzählt, was Brian gemacht hat. Es tut mir leid …“

Sadie hatte das Mädchen zuletzt so aufgelöst gesehen, als sie ihr die Nachricht vom Tod ihrer Mutter hatte überbringen müssen.

„Niemand gibt dir die Schuld“, wiederholte sie. „Du konntest nicht wissen, dass das passieren kann.“

„Nein, sonst hätte ich doch nie … oh Gott, Sadie. Sie stecken ihn ins Gefängnis?“

Sadie nickte langsam. „Er hat vorhin alles gestanden, um der Todesstrafe zu entgehen. Sein Anwalt versucht jetzt, es auf Totschlag herunterzuhandeln.“

„Totschlag? Was heißt das?“ Vor lauter Tränen konnte Libby sie kaum sehen.

„Das heißt, dass er nicht so lang ins Gefängnis muss.“

„Nicht so lang?“

„Für Mord gibt es mindestens fünfundzwanzig Jahre, für Totschlag nur fünfzehn“, erklärte Sadie.

„Was?“, schrie Libby. „Aber … nein … “

Während Sadie noch überlegte, wie sie Libby trösten konnte, riss das Mädchen sich los und schnappte entsetzt nach Luft.

„Das ist meine Schuld. Ich habe euer Leben zerstört!“

„So sehen wir das beide nicht“, sagte Sadie schnell.

„Das ist mir egal, das ändert doch nichts daran! Das ist doch … ihr habt mich adoptiert! Ihr wart so gut zu mir, immer, und ich … ich schicke meinen Dad ins Gefängnis …“

Libby schrie vor Entsetzen und noch bevor Sadie wusste, was vor sich ging, schlug Libby mit dem Kopf gegen die nächste Wand. Sadie war mit zwei Schritten bei ihr und riss sie von der Wand weg, woraufhin Libby sich von ihr losriss und verzweifelt schrie: „Dafür musst du mich doch hassen!“

Sadie schüttelte den Kopf. „Das würde ich nie.“

„Er geht für fünfzehn Jahre ins Gefängnis? Das geht nicht. Das kann ich nicht zulassen!“

„Es ist zu spät, Libby.“

„Nein, ist es nicht. Ich gehe zur Polizei und sage, dass ich das nur geglaubt habe. Dass es gar nicht stimmt.“

„Es ist zu spät“, wiederholte Sadie.

Mit bebenden Lippen sah Libby Sadie an, dann rannte sie an ihr vorbei und die Treppe hinauf.

„Libby“, rief Sadie ihr hinterher und wollte ihr folgen, aber da fiel Libbys Zimmertür ins Schloss. Für einen Moment zögerte Sadie, aber dann ging sie ebenfalls nach oben und wollte noch einmal mit dem Mädchen reden, aber sie hatte die Tür abgeschlossen.

„Lass mich rein“, bat Sadie sanft.

„Geh weg ... Ich kann nicht ...“

„Libby, du bist trotzdem meine Tochter. Matt ist nicht böse auf dich und ich bin es auch nicht.“

„Geh weg“, bat Libby erneut und schluchzte.

Sadie zögerte kurz. „Machst du keine Dummheiten, wenn ich Hayley abhole?“

„Geh ...“

Sadie wusste nicht, was sie davon halten sollte, aber sie hatte ohnehin keine Wahl. Sie musste Libby ja irgendwann allein lassen und Hayley abholen.

„Ich bin in zehn Minuten wieder da“, sagte sie dann und ging ins Schlafzimmer, wo sie ihre Dienstwaffe aus ihrer Schatulle holte und mitnahm. Sie wusste nicht, ob sie paranoid war, aber sie wollte es nicht ausprobieren. Leider konnte sie nicht sämtliche Messer aus der Küche mitnehmen.

Oder reagierte sie über?

„Ich habe dich lieb, Libby“, sagte sie und meinte es so.

„Lass mich in Ruhe.“

Sadie beschloss, sie beim Wort zu nehmen. Nein, Libby würde sich wohl nicht in den nächsten zehn Minuten deshalb umbringen. Dazu gehörte wohl etwas mehr.

Trotzdem beeilte sie sich, als sie in den Challenger stieg und das kurze Stück zu Hayleys Tagesmutter fuhr. Dort angekommen, klingelte sie ungeduldig und wartete rastlos. Endlich wurde die Tür geöffnet und Sadie erntete fragende Blicke.

„Mit Ihnen hatte ich ja noch gar nicht gerechnet. Was ist denn los?“

„Lange Geschichte“, sagte Sadie knapp. „Wo ist Hayley?“

„Ich kann sie holen.“

„Ich hole sie selbst.“ Mit diesen Worten folgte Sadie Hayleys Tagesmutter ins Wohnzimmer. Als Hayley ihre Mutter sah, jauchzte sie vor Freude, aber Sadie nahm sie einfach nur hoch und ging mit ihr zum Auto.

„Ist alles in Ordnung?“ Fragend blickte die Tagesmutter ihr von der Haustür aus nach.

„Ja. Bis morgen.“ Sadie blickte gar nicht auf, sie war damit beschäftigt, Hayley im Kindersitz anzuschnallen. Hayley brabbelte fröhlich und nahm einfach zur Kenntnis, dass ihre Mutter sie allein abholte. In diesem Moment quälte es Sadie, sich das fröhliche Murmeln ihrer Tochter anzuhören und sie war froh, als sie wieder zu Hause war. Kurzerhand nahm sie Hayley auf den Arm und ging mit ihr ins Haus. Ihr erster Weg führte sie nach oben.

„Libby?“

„Nein“, kam es gereizt aus dem Mädchenzimmer zurück.

„Wir sind unten“, sagte Sadie. Libby antwortete nicht, also ging Sadie mit Hayley wieder nach unten. Die Kleine hatte ihre Ärmchen um den Hals ihrer Mutter geschlungen und hüpfte fröhlich auf ihrem Arm. Sadie hatte die Zähne zusammengebissen und versuchte, Fassung zu bewahren. Ihre Tochter brauchte sie jetzt.

Auch wenn sie nicht wusste, wie sie das stemmen sollte.

 

Hayley war zwar noch klein, aber sie hatte empfindliche Antennen für die Befindlichkeiten anderer. Zwar versuchte Sadie, sich nichts anmerken zu lassen, aber Hayley fuhr mit ihren Fingerchen über Sadies Wangen, sprang immer an ihr hoch und wollte am liebsten ununterbrochen auf ihrem Schoß sitzen. Ab und zu schaute sie sich um, wie um nachzusehen, wo ihr Dad wohl steckte. Sadie saß einfach nur bei ihr und schaute ihr beim Spielen zu, weil sie nicht wusste, was sie sonst hätte tun sollen. Eine Katastrophe bahnte sich an und ihr waren die Hände gebunden. Sie konnte rein gar nichts dagegen tun.

Weil sie schon nicht zu Mittag gegessen hatte, meldete sich allmählich doch so etwas wie Hunger bei ihr. Sie klopfte an Libbys Zimmertür und fragte, ob das Mädchen auch etwas essen wollte, bekam aber wieder nur ein Nein zurück. Also machte Sadie sich allein Sandwiches, das reichte ihr in diesem Moment völlig. Aber sie musste essen.

Sie war erst seit ein paar Minuten fertig und saß bei Hayley auf dem Teppich, als ihr Handy klingelte. Sofort griff sie danach, stets in der Hoffnung, dass irgendein Wunder geschah, aber der Anruf kam von Tessa. Es war zwanzig nach fünf.

„Hey“, sagte Tessa. Im Hintergrund hörte Sadie ein regelmäßiges Klappern. Ihre Freundin saß im Zug.

„Du hast schon Feierabend“, stellte Sadie fest.

„Ja, hab früher Schluss gemacht. Deine Nachricht hat mir Sorgen bereitet. Bin jetzt auf dem Heimweg.“

„Ich hätte es dir lieber gesagt, wenn du zu Hause bist.“

„Okay“, murmelte Tessa besorgt. „Was ist los? Was hat er gemacht?“

Sadie konzentrierte sich darauf, Hayley zu beobachten, als sie Tessa erzählte, was seit dem Vorabend passiert war. Die ganze Zeit über stellte Tessa fast keine Rückfragen und schwieg kurz, als Sadie geendet hatte.

„Süße, ich weiß nicht, was ich sagen soll”, murmelte sie dann.

„Das weiß keiner.“

„Du hast Recht, du hättest mir das nicht sagen sollen, während ich noch im Zug sitze. Gerade möchte ich heulen.“ So klang Tessa auch.

„Du solltest mich sehen.“

„Du musst verrückt werden.“

„Es ist nah dran. Wenn ich mir die Konsequenzen ausmale, möchte ich ununterbrochen schreien.“

„Hat er denn keinen Anwalt?“

„Doch“, sagte Sadie und berichtete, was Rhodes vorgeschlagen hatte.

„Fünfzehn Jahre“, murmelte Tessa betroffen. „Das ist doch scheiße. Die Frau hat doch angefangen. Gibt’s da keine mildernden Umstände?“

„Ich weiß es nicht. Rhodes hat noch nichts dazu gesagt, vielleicht kommt das noch. Ich bin keine Juristin.“

„Nein, schon klar.“ Tessa seufzte tief. „Oh Gott, Süße, ich weiß, wie es dir geht. Am liebsten würde ich dich jetzt drücken, dass dir die Luft wegbleibt. Kann ich irgendwas für dich tun?“

„Es ungeschehen machen.“

„Verdammt, ich heule gleich wirklich fast. Ich muss schon aufpassen, was ich sage. Er hat sich doch nur gewehrt. Sie wollte ihn umbringen. Zählt das denn nicht?“

„Er war doch nicht mehr in unmittelbarer Gefahr. Ich habe dir doch erzählt, wie es abgelaufen sein muss. Er kann froh sein, wenn er mit Totschlag durchkommt. Das war Selbstjustiz.“

„Ja, aber damals in West Virginia hat doch auch keiner was gesagt.“

Sadie verstand die Anspielung auf Phil und Sean. „Damals gab es, anders als jetzt, auch keinen Beweis.“

„Aber er ist doch kein … ich meine … er ist beim FBI. Die können ihn doch nicht zu den Typen stecken, die er selbst festgenommen hat.“

Sadie schloss die Augen und schluckte. Diesen Gedanken hatte sie noch gar nicht entwickelt. „Klar können sie.“

„Wir müssen – nein. Ich kann das gar nicht glauben.“

„Ich weiß nicht, wie ich heute Nacht ohne ihn einschlafen soll. Und alle weiteren Nächte“, sagte Sadie mit erstickter Stimme. Hayley sah ihre Mutter fragend an.

„Oh nein … ich komme zu euch.“

„Gern, aber bitte nicht jetzt.“ Sadie hatte einen Kloß im Hals. „Ich kann mich nicht um dich kümmern. Morgen wird er dem Haftrichter vorgeführt, bevor die achtundvierzig Stunden ablaufen und ich werde ins Büro müssen.“

„Du musst gar nichts.“

„Natürlich muss ich!“, rief Sadie. „Wer soll denn hier sonst die Mädchen ernähren? Wer soll Matts Anwalt bezahlen?“

„Sadie, wenn du irgendwas brauchst, und sei es Geld – bitte sag mir Bescheid.“

„Danke“, sagte Sadie und weinte leise. Hayley krabbelte auf den Schoß ihrer Mutter und hielt sich an ihr fest. Es war ein Versuch, sie zu umarmen. Nachdem sie sich von Tessa verabschiedet hatte, legte sie auf.

Es kam immer wieder hoch. Jedes Mal, wenn sie daran dachte, welche Konsequenzen das jetzt hatte. Matt war ihr Ehemann, der Vater ihrer Tochter. Sie liebte ihn über alles, sie vertraute niemandem so sehr wie ihm, sie begehrte ihn mit jeder Faser ihres Herzens.

Und das alles nahm man ihr jetzt weg.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739435008
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Februar)
Schlagworte
Schuld Profiler Thriller Gerichtsprozess Krimi Spannung Geständnis Ermittler Psychothriller

Autor

  • Dania Dicken (Autor:in)

Dania Dicken, Jahrgang 1985, schreibt seit der Kindheit. Die in Krefeld lebende Autorin hat Psychologie und Informatik studiert und als Online-Redakteurin gearbeitet. Mit den Grundlagen aus dem Psychologiestudium setzte sie ein langgehegtes Vorhaben in die Tat um und schreibt seitdem Psychothriller zum Thema Profiling. Bei Bastei Lübbe hat sie die Profiler-Reihe und ihre neue Serie "Profiling Murder" veröffentlicht, im Eigenverlag erscheinen "Die Seele des Bösen" und ihre Fantasyromane.
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Titel: Die Seele des Bösen - Blackout