Lade Inhalt...

Unexpectedly Married

Unverhofft Verheiratet

von Alina Jipp (Autor:in)
354 Seiten

Zusammenfassung

Charlie: Um den Uniabschluss zu feiern, fliegt sie mit ihren besten Freundinnen in die Stadt der Sünde. Ein Sprichwort sagt ›Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas‹, doch das gelingt ihr nicht. Denn als Charlie am nächsten Morgen erwacht, ist sie mit Devon Parker verheiratet und die Presse hat bereits Wind von der Blitzhochzeit bekommen. Rayan: Der knallharte Mafiaboss hasst es, wenn nicht alles nach seinem Plan läuft. Doch als sein Bruder betrunken in Las Vegas eine junge Journalistin heiratet, gerät sein Leben völlig aus den Fugen. Denn er will Charlie für sich. Dabei könnte sie die ganze Familie in Gefahr bringen, wenn sie nur auf der Suche nach einer Story ist. Feuer trifft auf Eis. Unschuld auf die pure Sünde. Was ist richtig und was falsch? Abgeschlossener Einzelband

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Alina Jipp

 

UNEXPECTEDLY MARRIED

Unverhofft verheiratet

Charlie
Die Abschlussfeier

Als der Wecker klingelte, war ich sofort wach. Einen kurzen Moment blieb ich einfach liegen, um das Gefühl zu genießen. Nie wieder lernen! Aber dann stand ich schnell auf und zog mir den Bademantel über. Heute war der große Tag. Sogar Mom und Dad würden kommen, um bei der Abschlussfeier dabei zu sein. Obwohl sie Texas sonst kaum verließen, taten sie das nur für mich. Das wärmte mein Herz so richtig. Ein Lebensabschnitt ging zu Ende und ich freute mich schon riesig auf den Schritt ins Berufsleben. Auch wenn es mir noch etwas schwerfiel, zu glauben, dass die Lernerei nun wirklich vorbei sein sollte. Okay, man lernte nie aus, aber das sture Starren in die Bücher, hörte nun auf. Die letzten Wochen hatte ich in jeder freien Minute über meinen Niederschriften gesessen und es hat sich gelohnt. Mein Notendurchschnitt war viel besser, als ich es je erwartet hatte.

Im fast leeren Wohnzimmer lief Leah mit einer Kaffeetasse und einem Zettel in der Hand nervös auf und ab und murmelte vor sich hin.

»Oh Charlie, gut, dass du auf bist. Könntest du dir bitte meine Rede anhören? Ich habe heute Nacht noch mehrere Änderungen vorgenommen und du musst mir sagen, ob das so in Ordnung ist.« Ihre Stimme klang ungewöhnlich hoch und schrill, normalerweise war sie das Selbstbewusstsein in Person. Also machte ich mir einen Tee, während sie mir ihre Abschlussrede vortrug. Natürlich war sie wie immer perfekt.

»Leah, die Rede ist genau richtig. Ich bin wirklich stolz auf dich.« Das brachte sie immerhin zum Strahlen. Schnell zogen wir uns an und frühstückten ein paar Bissen. Hunger verspürte ich nicht vor Aufregung, außerdem überfiel mich eine leichte Übelkeit, aber Leah kannte dieses Problem nicht und zwang mich regelrecht zum Essen. Endlich klingelte es an der Tür und ich rannte regelrecht dorthin, um sie zu öffnen.

»Dad!«, rief ich glücklich und fiel ihm um den Hals. Danach begrüßte ich meine Mutter genauso überschwänglich.

»Charlie, ich bin so stolz auf dich. Lass dich ansehen, meine Kleine.« Er schob mich etwas von sich. »Ich kann es kaum glauben. Mein kleines Mädchen ist nun eine Uni-Absolventin. Ich möchte gern dein Studentendarlehen als Abschlussgeschenk tilgen.« Genervt verdrehte ich die Augen. Über dieses Thema hatten wir schon mehrmals diskutiert und ich konnte das nicht annehmen. Dad war kein reicher Mann und brauchte sein Geld selbst oder für seine Hilfsprojekte. Außerdem wollte ich es allein schaffen. Er sollte das Geld lieber an die armen Mitglieder seiner Gemeinde spenden, der er als Pastor vorstand.

»Dad, das Gespräch haben wir doch bereits geführt. Ich arbeite bald und zahle es dann eigenhändig ab. Ich bin eine erwachsene Frau und du musst nicht mehr für mich bezahlen.« Hoffentlich würde das nicht noch zu einem Streit führen. Unsere Dickköpfe knallten schon immer regelmäßig aneinander. Zum Glück war Mom da, die zwischen uns vermittelte und so gab er schnell nach.

Eine Stunde später saß ich mitten unter lauter anderen Studenten in der Universität und lauschte den Ansprachen, die gehalten wurden. Zuerst sprach der Direktor kurz und dann wurde Mr. Rayan Parker von ihm vorgestellt. Der Typ hielt heute eine Rede, weil er der Universität eine Menge Geld gespendet hatte. Und sich dafür nun feiern ließ. Dabei ging ständig das Gerücht um, dass die Familie Parker zur Mafia gehörte und sie so etwas nur zur Tarnung machte. In meinem Journalismusstudium hatte ich sehr viel darüber recherchiert, war allerdings stets auf eine Mauer des Schweigens gestoßen. Es gab Gerüchte, aber sobald man versuchte, tiefer zu graben, wurde man abgeblockt. Die Mädchen vor mir schienen keine Ahnung davon zu haben. Für sie war er einfach nur ein heißer und reicher Kerl, und sie fingen gleich an zu tuscheln, wie fantastisch er aussah und ob er wohl eine Freundin hätte. Auf irgendeine Weise ging mir das gegen den Strich. Noch bevor ich wusste, was mich ritt, beugte ich mich zu den beiden nach vorn und flüsterte ihnen zu, dass er ein Mafioso sein sollte.

»Von der Mafia?«, schrie die eine fast und auch Mr. Parker musste es gehört haben, denn er blickte nun direkt zu uns herüber. Sein Blick wanderte über unsere Reihen und blieb auf einmal an mir hängen. Der Ausdruck in seinen dunkelbraunen Augen hielt mich irgendwie fest und ich fühlte eine Anziehung, die ich noch nie in meinem Leben gespürt hatte. Mir kam jedes Zeitgefühl abhanden und ich hätte später nicht mehr sagen können, ob dieser Blickkontakt fünf Sekunden oder mehrere Minuten lang gewesen war.

Von dem Moment an, an dem er den Mund zu einem leichten Lächeln verzog und den Augenkontakt dann unterbrach, hing ich wie gebannt an seinen Lippen. Er sprach von seinen Hilfsprojekten, die ihm wirklich am Herzen zu liegen schienen. Die Ärmsten der Stadt mit Nahrung und Jobs zu versorgen, schien so gar nicht in das Bild zu passen, das ich von ihm hatte. Aber vielleicht hatte die Rede ja ein PR-Berater für ihn geschrieben, um ihn besser darzustellen. Er konnte ja schlecht den Studenten erklären, wie er das Geld dafür verdiente.

Nach Mr. Parker war Leah an der Reihe und obwohl ich ihre Ansprache schon kannte, lauschte ich ihr begeistert. Sie war witzig, gleichzeitig sehr gut durchdacht und als sie endete, bekam sie Standing Ovations.

Im Anschluss begann die Verteilung der Diplome. Da die in alphabetischer Reihenfolge vonstattenging, dauerte es fast eine Stunde, bis ich an der Reihe war. Zuerst schüttelte der Direktor der Universität mir die Hand, dann der Dekan und zum Schluss Mr. Parker, der mir mein Zeugnis übergeben sollte. Leider stolperte ich bei diesen drei Schritten zu ihm hin und fiel sehr unelegant vor seine Füße. Konnte es einen peinlicheren Moment als diesen geben?

»Herzlichen Glückwunsch, Miss Simmons«, sagte er und hielt mir die Hand hin, um mir aufzuhelfen. »Ich hoffe, Sie haben sich nicht wehgetan.«

»Nein, Mr. Parker, Sir«, flüsterte ich beschämt und konnte gerade noch verhindern, dass ich einen Knicks vor ihm machte. Was war heute nur mit mir los? Irgendwie kam ich mir wie Ana in Shades of Grey vor. Nur dass ich diesen Typen überhaupt nicht kannte und wahrscheinlich nie wieder sehen würde. Einen Moment lang standen wir einfach stumm da und sahen uns an, dann drängte aber der nächste in der Reihe vor, um sein Zertifikat in Empfang zu nehmen. Mit gesenktem Kopf ging ich zu meinem Platz zurück. Ich hatte das Gefühl, dass mich jeder im Raum beobachtete.

Zum Glück war die Zeugnisverteilung nun schnell vorbei und ich konnte aufstehen, um Mom und Dad zu suchen. Gott sei Dank sagten die kein Wort zu meinem Missgeschick und so entspannte ich mich etwas. Was die anderen von mir dachten, durfte mir ja ziemlich egal sein. Die meisten, die heute hier waren, würde ich sowieso nie wiedersehen. Nach dem Studium verteilten sich die Absolventen über den ganzen Kontinent. Leah und ich wollten ebenfalls gleich nach unserem Vegas-Trip umziehen. Okay, nur in einen anderen Stadtteil, aber weg vom Campus. Eigentlich sollte der Umzug ja schon vorher stattfinden, doch durch einen Wasserrohrbruch hatte sich das Einzugsdatum verschoben.

Mom, Dad und ich stießen mit Sekt an, um den Tag zu feiern, und gingen dann auf der Suche nach meiner Mitbewohnerin und ihrer Familie durch die Menge. Ihr Bruder Marcus kam zuerst auf uns zu und umarmte mich zur Begrüßung.

»Das kann auch nur dir passieren, Charlie. Ich denke, Mr. Parker ist daran gewöhnt, dass ihm die Frauen zu Füßen liegen, allerdings sonst wohl eher im übertragenen Sinne«, neckte er mich und ich streckte ihm lachend die Zunge heraus. Das Prickelwasser hatte mich mutig gemacht.

»Charlie«, sprach Leah mich von hinten an und ich drehte mich etwas schwungvoll um und krachte gegen einen Mann, der dort ebenfalls stand.

»Verzeihung«, nuschelte ich verlegen, während er nur leise lachte. »Heute haben Sie es wohl auf die Parker-Männer abgesehen«, witzelte er. »Erst stolpern Sie meinem Bruder vor die Füße und dann fallen Sie mich fast an.« Noch einer dieser Mafiosi. Warum war er denn hier? Vielleicht spielte er den Bodyguard? Leah, Dad und Marcus lachten mit und da blieb auch mir keine andere Wahl, als es ihnen gleich zu tun. Heute schien eindeutig nicht mein Tag zu sein und ich beschloss, den Rest des Tages die Finger vom Alkohol zu lassen. Schließlich wollte ich mich nicht noch mehr blamieren. Mr. Devon Parker, der darauf bestand, dass wir ihn mit Vornamen ansprachen, blieb noch bei unserer Gruppe stehen und wir unterhielten uns richtig gut mit ihm. Große Ähnlichkeit hatte er nicht mit seinem Bruder.

Das Thema kam auf unsere Vegas-Reise und Devon teilte uns zu unserer Überraschung mit, dass er und sein Bruder zufällig ebenfalls an genau diesem Wochenende dort sein würden. Ihre kleine Schwester nahm dort an einem Gesangswettbewerb teil und sie hatten ihr versprochen, sie zu begleiten. Zufälligerweise fand dieses auch noch in dem Hotel statt, in dem wir übernachten wollten.

Plötzlich veränderte sich die Atmosphäre spürbar und ich sah mich verwundert um, warum das so war. Rayan Parker stand auf einmal neben uns und stieß Devon leicht gegen den Arm.

»Verzeihen Sie bitte, aber ich entführe Ihnen den Kleinen jetzt«, erklärte er überaus höflich. »Brüderchen, wir müssen los.« Er klang sehr bestimmend, aber Devon schien das nicht zu stören. Er verabschiedete sich in aller Ruhe von uns, während Rayan Parker immer unruhiger wurde. Wahrscheinlich war sein Bruder immer so und Devon an diese Art gewöhnt.

»Vielleicht sehen wir uns ja wirklich in Vegas. Dann müssen wir unbedingt etwas zusammen trinken gehen«, erklärte er noch, ehe er seinem ungeduldigen Bruder folgte. Ich bezweifelte ja, dass ich die Parker-Brüder jemals wieder treffen würde. Sie spielten einfach in einer völlig anderen Liga als ich. Und egal wie groß die Anziehung war, die Mafia wollte ich auch gar nicht näher kennenlernen.

Charlie
Der erste Abend in Vegas

Obwohl ich schon öfter geflogen war und sogar auch bereits einmal Vegas besucht hatte, so vermochte ich vor Aufregung doch kaum still zu sitzen, als unser Flugzeug startete. Meine Eltern konnten sich nicht dafür begeistern, dass ich ausgerechnet in die Stadt der Sünde reiste, allerdings kümmerte es mich zum ersten Mal nicht. Schließlich war ich erwachsen und durfte somit tun und lassen, was ich wollte. Leah und Nadja lachten mich zwar aus, weil ich vor Spannung ziemlich herumzappelte, bloß das interessierte mich nicht. Nachdem ich mich mühsam an den Gedanken gewöhnt hatte, dass Leah mir diesen Trip zum Abschluss schenkte, wollte ich ihn jetzt genießen. Außerdem gab es sowieso noch etwas zu feiern. Ich hatte lediglich zwei Bewerbungsgespräche geführt und zwei Arbeitsplätze angeboten bekommen. Meine Entscheidung fiel auf die mittelgroße Zeitung, wo ich als Assistentin in der Anzeigenabteilung beginnen durfte. Nicht unbedingt mein Traumjob, aber ein Anfang. Die andere Redaktion wäre zwar größer gewesen, nur dort hätte ich ausschließlich im Archiv tätig sein sollen. Deshalb hoffte ich, mich bei der Daily News persönlich viel besser einbringen zu können. Leider gab mir keine der beiden direkt die Chance als Journalistin zu arbeiten, obwohl das mein Traum war. Irgendwann bekam ich vielleicht doch noch die Möglichkeit dazu. Diese Hoffnung gab ich nicht auf.

Gleich nach unserem Umzug würde ich die Stelle antreten. Darauf freute ich mich schon sehr. Es klang nach einer interessanten Arbeitsstelle, bei der ich sicher noch viel lernen konnte.

»Simmons, ich rede mit dir«, wies Leah mich lachend zurecht und ich entschuldigte mich schnell. »Wo bist du denn mit deinen Gedanken, Charlie?«

»In Chicago und bei Daily News«, gab ich zu und wurde sofort von ihr getadelt.

»Daran kannst du ab Montag denken! Jetzt ist feiern angesagt«, erklärte sie und goss jedem von uns ein Glas Sekt aus den Piccoloflaschen ein, die die Stewardess in diesem Augenblick gebracht hatte.

»Auf uns und ein tolles Wochenende«, prostete Nadja uns zu. Obwohl es noch früh am Tag war und ich nicht viel Alkohol vertrug, stieß ich brav mit ihnen an.

Nach unserer Landung gab es das nächste Gläschen und im Hotel auf dem Zimmer wieder eines. Auch wenn wir gerade erst angekommen waren, fühlte ich mich schon ziemlich angeheitert und beschloss, dass es für mich erst einmal reichte. Wir aßen gemeinsam eine Kleinigkeit im Hotel, aber gleich im Anschluss wollten Leah und Nadja unbedingt ins Casino, um den Nervenkitzel beim Glücksspiel zu erleben. Ich war eigentlich nicht der Typ, der gern sein Geld sinnlos riskierte, außerdem predigte mein Vater so oft über Spielsucht als eine der bösen Sünden und ihre Folgen. Ihnen zuliebe ging ich dennoch mit und dann musste ich mir doch eingestehen, dass es Spaß machte. Nadja war zu einem der Geldspielautomaten gegangen, während Leah und ich unser Glück lieber an einem der Blackjack-Tische versuchten.

Im Laufe der dritten Runde bestellte Leah Cosmos für uns und wir stießen an, da ich gerade ein Spiel gewonnen hatte. Wir gewannen noch zweimal hintereinander und Leah war der Meinung, dass wir das mit einem weiteren Cocktail feiern sollten. Da ich kein Spielverderber sein wollte, trank ich brav mit. Auch wenn mir der Alkohol langsam zu Kopf stieg. Kurz darauf schien unsere Glückssträhne beendet zu sein und wir verloren mehrere Runden in Folge.

»Komm, lass uns weitergehen«, forderte Leah mich auf. »Mal sehen, ob Nadja mehr Glück hat als wir. Außerdem könnten wir uns diesen Gesangswettbewerb ansehen. Der ist doch heute hier im Hotel, oder?«

»Welcher Gesangswettbewerb?«, fragte ich nach, denn ich wusste wirklich nicht mehr, wovon sie sprach.

»Na, bei dem die Schwester von Mr. Parker mitmacht. Vielleicht sehen wir ihn ja.«

Leah schien großes Interesse an diesem Mann zu haben, während ich meinen peinlichen Auftritt bei der Abschlussfeier lieber verdrängen wollte. Wahrscheinlich hatte ich deshalb verdrängt, dass die beiden Brüder an diesem Wochenende ebenfalls hier sein würden.

»Du interessierst dich doch gar nicht für solche Möchtegernmusiker und Nadja hat damit erst recht nichts am Hut. Die steht nur auf Hardrock und den gibt es dort bestimmt nicht.« Mein Versuch, sie von dieser Idee abzubringen, schien zum Scheitern verurteilt. Leah sah mich nur erstaunt an, denn sie war es nicht gewohnt, dass ich ihr so energisch widersprach. Der Alkohol machte mich wohl mutig, obwohl der Boden bereits etwas schwankte und ich Probleme damit hatte, mein Gleichgewicht zu halten.

»Du bist heute echt ein Spielverderber, Charlie«, schimpfte sie spaßeshalber mit mir. »Da hat man schon einmal die Chance, die Familie Parker näher kennenzulernen und du willst nicht. Dann suchen wir halt nur Nadja und keine reichen und heißen Typen.«

»Du findest Rayan Parker heiß?«, fragte ich überrascht. »Klar, er sieht gut aus, aber hattest du ihn nicht als eiskalt bezeichnet?«

»Er ist sicherlich ein eiskalter Geschäftsmann und möglicherweise auch wirklich mit der Mafia verbandelt. Trotzdem sieht er doch heiß aus und sein Bruder ist ebenfalls nicht zu verachten«, antwortete sie kichernd. Scheinbar stieg auch ihr der Alkohol langsam zu Kopf, denn normalerweise redete sie nicht so. Die Augen leicht verdreht, stieß ich sie mit dem Ellenbogen an.

»Miller, benimm dich«, forderte ich sie augenzwinkernd auf. Es dauerte ein bisschen, bis wir Nadja an einem der Spielautomaten fanden, den sie fleißig mit Münzen fütterte. Ihr Blick hing völlig gebannt auf der Anzeige des Automaten und erst, nachdem Leah sie das dritte Mal ansprach, reagierte sie endlich auf uns.

»Na, erfolgreich verloren?«, fragte sie grinsend. In diesem Moment ging ein Blinklicht über ihrem Gerät an und das Ding spukte laut klimpernd einen großen Haufen Geldstücke aus, den sie mit einem bereitstehenden Eimer auffing. Nadja fiel erst mir und anschließend Leah um den Hals.

»Ihr seid meine Glücksbringer, Ladys!«, verkündete sie lautstark. »Dafür lade ich euch jetzt auch in die Bar ein, dann gibt es nicht nur einen Cosmo, sondern etwas, das richtig reinhaut. Meinen Gewinn müssen wir schließlich feiern!«

Das taten wir nun auch. Ich wusste zwar nicht, was Nadja uns da bestellt hatte, aber ich musste zugeben, dass der Drink echt gut schmeckte. Allerdings hatte er wohl tatsächlich einige Umdrehungen, denn mir wurde mit einem Mal furchtbar übel.

»Ich muss mal an die frische Luft«, erklärte ich, da sich plötzlich alles um mich herum drehte und Nadja bot sofort an, mich zu begleiten. So standen wir kurz darauf an einem Brunnen vor dem Hotel und ich versuchte, meinen Magen in den Griff zu bekommen, während Nadja auf mich einredete. Was sie sagte, verstand ich gar nicht wirklich, so sehr war ich damit beschäftigt, mich nicht zu übergeben.

»... bereits so lange und du hast es bestimmt auch schon die ganze Zeit bemerkt, Charlie?« Sie sah mich so erwartungsvoll an und ich hatte keine Ahnung, was sie meinte.

»Was bemerkt?«, fragte ich nach und sah sie verständnislos an.

»Oh, Charlie, tu bitte nicht so ahnungslos. Du fühlst es doch auch.« Nadja sah mich gespannt an und schien auf irgendetwas zu warten. Als ich nicht reagierte, zog sie mich auf einmal in ihre Arme und ihr Gesicht kam dem meinen immer näher. Erst im letzten Moment begriff ich, dass sie mich küssen wollte. Seit wann war sie denn lesbisch? Oder bi? Über so etwas hatten wir noch nie gesprochen. Wir waren Freunde. Gute Freunde – zumindest dachte ich das bisher – aber garantiert nicht mehr.

»Nein!«, rief ich laut und versuchte, sie etwas von mir weg zu drücken, allerdings hielt sie mich eisern fest.

»Du willst es doch auch, Charlie«, widersprach sie mir. Ich drehte meinen Kopf so weit wie möglich zur Seite, um ihr auszuweichen, während ich mich immer noch gegen ihre Arme zur Wehr setzte. Wie konnte sie nur glauben, dass ich das hier wollte? Plötzlich wurde Nadja von mir weggezogen. Das Ganze ging so schnell und heftig, dass ich zu straucheln anfing und wohl gefallen wäre, wenn mich nicht starke Arme festgehalten hätten.

»Sie hat Nein! gesagt«, wurde Nadja zurechtgewiesen. »Wenn Sie keine Frau wären, würde ich Sie jetzt verprügeln. Man küsst niemanden gegen dessen Willen.«

»Alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte mich ein zweiter Mann. Um mich herum drehte sich alles, sodass ich ihn nicht wirklich erkennen konnte. Krampfhaft versuchte ich, mich nicht zu übergeben.

»Lass mich los«, meckerte Nadja und schlug nach der Hand, die sie noch immer am Arm festhielt. »Das hier geht euch gar nichts an. Ich liebe Charlie und sie mich auch.«

Ich fragte mich, ob Nadja nun völlig durchdrehte. Wie kam sie nur darauf, dass ich sie liebte? Nur weil ich noch nie einen festen Freund hatte, musste ich schließlich nicht auf Frauen stehen.

Eigentlich wollte ich lautstark protestieren, doch dazu kam ich gar nicht mehr. Ich hatte den Kampf gegen die Übelkeit verloren und kotzte ihr nicht sehr ladylike vor die Füße.

»Oh Charlie, geht es dir nicht gut? Soll ich einen Arzt rufen?« Nun weinte sie fast. Doch mir fehlte die Kraft, mich mit ihr auseinanderzusetzen, während ich mich immer wieder übergab und dabei von starken Armen gehalten wurde.

Nadja gab irgendwann endlich Ruhe und ging einfach davon. Ich wusste nicht, ob ich dankbar oder verstört sein sollte, dass sie mir erst ihre Liebe gestand und mich dann mit zwei fremden Männern allein ließ.

»Geht es?«, fragte einer der beiden und erst jetzt wurde mir bewusst, wer mich da hielt. Die beiden waren keine völlig unbekannten, sondern die Parker Brüder. Rayan stand direkt vor mir und sah mich so eindringlich an, dass ich schnell zu Boden blickte, während sein Bruder mich hielt.

»Es geht schon wieder, danke für die Hilfe«, flüsterte ich leicht heiser. Konnte es etwas Peinlicheres geben?

»Sie sollten auf Ihr Zimmer gehen, Miss Simmons«, erklärte Rayan Parker und ich wunderte mich, dass er meinen Namen noch wusste. Aber wahrscheinlich erinnert man sich leicht an Personen, die einem bei der ersten Begegnung vor die Füße fallen.

»Ich muss noch mal rein, meine Mitbewohnerin hat meine Handtasche und darin befindet sich auch die Zimmerkarte«, erklärte ich.

»Wir begleiten Sie hinein, damit Sie nicht noch einmal unerwünschte Avancen erleben müssen.« Devon Parker schien entschlossen, mich nicht allein zu lassen. Ich wollte protestieren, was die Männer bloß nicht sonderlich interessierte, dazu waren die Parker-Brüder wohl zu bestimmend. Von Leah war zunächst keine Spur zu sehen.

»Ich setze mich einfach hier an die Bar, trinke ein Wasser und warte auf meine Mitbewohnerin. Sie kommt bestimmt gleich zurück«, versuchte ich, die beiden loszuwerden. Aber sie dachten gar nicht daran zu gehen. Im Gegenteil, sie bestellten mir erst einmal eine Kleinigkeit zu Essen und bestanden darauf, dass ich etwas aß. Komischerweise ging es mir jetzt, wo mein Magen leer war, wieder richtig gut und ich hatte tatsächlich Hunger.

Ich war gerade fertig, als Leah endlich auftauchte. Rayan Parker wollte sich verabschieden und auch ich wollte nun lieber aufs Zimmer, aber wir hatten keine Chance gegen Devon, den ich inzwischen duzte, und Leah, die unbedingt noch weiter mit uns feiern wollten.

»Prost!«, rief Devon laut und hielt mir ein Glas hin.

»Meinst du nicht, dass sie schon genug hatte?«, protestierte Rayan und funkelte ihn an. Eigentlich hatte er ja recht und ich hätte wohl auch nichts mehr getrunken, wenn er nicht noch: »Sonst kotzt sie uns auch noch auf die Füße«, hinzugefügt hätte Wie konnte er es wagen, das zu sagen? Das war wirklich ein Schlag unter die Gürtellinie und allein schon aus Protest griff ich nach dem Glas, auch wenn ich es morgen sicher bereuen würde. Wie sehr, ahnte ich jetzt allerdings noch nicht.

Charlie
Ein böses Erwachen

Rasende Kopfschmerzen weckten mich aus dem Tiefschlaf. Ich probierte, die Augen zu öffnen, unterließ es aber gleich wieder, als das Licht die Schmerzen noch verschlimmerte. Was war nur los mit mir? Stöhnend rollte ich mich zur Seite, um an die Wasserflasche heranzukommen, die immer auf meinem Nachtschrank stand. Der Geschmack in meinem Mund war einfach ekelhaft und ich wollte ihn so schnell wie möglich loswerden. Doch wo war mein Nachttisch hin? Außerdem schaukelte das Bett so komisch, dass meine Übelkeit dadurch nur noch verstärkt wurde. Vorsichtig versuchte ich erneut, die Augen zu öffnen, und diesmal ging es schon ein klein wenig besser. Wo befand ich mich? Das hier war eindeutig nicht mein Zimmer und dieses riesige Wasserbett gehörte mir erst recht nicht. Dann fiel es mir langsam wieder ein.

Natürlich! Leah und ich befanden uns in Las Vegas, um unseren Abschluss zu feiern. Und Leah hatte darauf bestanden, dass Nadja und ich, als ihre besten Freundinnen, sie begleiteten. Gestern Abend hatten wir gefeiert und ich dabei wohl etwas zu tief ins Glas geschaut. Okay, nicht nur ein bisschen. Irgendwie endeten meine Erinnerungen ziemlich früh und ich hatte keine Ahnung, was ich nach dem dritten Cocktail getan hatte oder wie ich in dieses Bett gekommen war.

»Scheiße!«, fluchte ich laut, als ich mich an einige Details von gestern erinnerte. War das peinlich. Nadjas Versuch, mich zu küssen. Meine Kotzerei … Aber da war doch noch jemand gewesen. Jemand, der mich gehalten hatte … und danach? Es wollte mir einfach nicht mehr einfallen.

Langsam wurden meine Kopfschmerzen etwas besser, aber der scheußliche Geschmack nicht. Da ich nirgendwo eine Wasserflasche entdecken konnte, stand ich vorsichtig auf, um ins Bad zu gehen und mir wenigstens die Zähne zu putzen und meinen Mund auszuspülen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich außer meinem Slip nur ein mir völlig unbekanntes Herren-T-Shirt trug. Wo zum Teufel waren meine Sachen?

»Oh, du bist wach«, hörte ich auf einmal eine mir seltsam bekannt vorkommende Stimme und ein Mann trat aus dem Badezimmer. Scheinbar hatte er gerade geduscht, denn er trug nur eine schwarze Boxershorts mit Calvin Klein-Aufschrift und rubbelte sich die Haare mit einem Handtuch trocken.

»Deine Sachen habe ich dem Zimmerservice zum Reinigen übergeben, sie haben doch einiges abbekommen«, erklärte er mit einem anzüglichen Grinsen.

»Hast du mich ausgezogen?«, flüsterte ich entsetzt. Wer war dieser Mann? Ich erinnerte mich nur dunkel daran, ihn schon einmal gesehen zu haben, aber im Moment war ich viel zu verwirrt, um ihn zuordnen zu können.

»Natürlich«, antwortete er gelassen.

»Haben wir …?«, fragte ich ängstlich, immerhin war ich noch Jungfrau, zumindest bis gestern Abend noch gewesen, als ich die Bar betreten hatte. Sex vor der Ehe kam für mich nicht infrage.

»Was?«, fragte mein Gegenüber immer noch grinsend zurück. Wenn ich nicht solche Angst vor seiner Antwort hätte, würde ich wahrscheinlich darüber nachdenken, wie gut er aussah.

»Wir hatten keinen Sex, wenn du das meinst. Ich steh nicht so auf Sex mit Bewusstlosen.« Ich wollte gerade erleichtert aufatmen, als er mit einem Satz meine ganze Welt auf den Kopf stellte. »Allerdings scheinst du jetzt ziemlich lebendig zu sein, Mrs. Parker.«

»Mrs. … Mrs. Parker?«, stammelte ich fast panisch und nun sah ich auch endlich, wer dort vor mir stand. Fast nackt und mit nassen Haaren hatte ich ihn vorher nicht erkannt. »Devon Parker, was haben wir gestern getan?« Vage erinnerte ich mich daran, dass er und sein Bruder mich vor Nadja gerettet hatten. Was in die gefahren war, wüsste ich auch zu gern, aber jetzt gab es da doch andere Probleme. Devon lachte nur laut … fand er das Ganze etwa lustig? Oder erlaubte er sich eben nur einen Scherz mit mir? Wie zum Teufel war ich dann in seinem Bett gelandet?

»Weißt du es wirklich nicht mehr?« Im Gegensatz zu mir schien ihm die ganze Situation auch noch zu gefallen. Ich schüttelte genervt den Kopf, bereute das aber augenblicklich, da meine Kopfschmerzen dadurch um ein Vielfaches schlimmer wurden und ich kurz davor war, mich zu übergeben. Devon entfernte sich ein paar Schritte und kam dann wieder.

»Hier, trink ein Alka Seltzer und nimm eine Tablette. Sobald es dir besser geht, reden wir in Ruhe«, meinte er und sah mich besorgt an. Er reichte mir ein Glas und eine Packung Kopfschmerztabletten, die ich dankbar annahm. Wenn die Kopfschmerzen nachlassen würden, könnte ich bestimmt auch besser denken. Devons Handy piepte und nachdem er die Nachricht gelesen hatte, entschuldigte er sich.

»Ich muss kurz etwas mit meinem Bruder besprechen. Wenn du möchtest, kannst du in der Zeit ja duschen gehen oder noch ein bisschen schlafen.«

»Okay«, antwortete ich leise und ließ mich wieder aufs Bett fallen, wo ich meinen Kopf im Kissen vergrub. Was hatte ich nur getan? Ein paar Erinnerungen kamen jetzt zwar langsam zurück und ich wusste wieder, dass wir zusammen noch etwas getrunken hatten, nachdem Nadja weg war. Aber an eine Hochzeit konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Warum hatte Leah das nicht verhindert? Sie war doch dabei gewesen oder etwa nicht?

Der Zimmerservice klopfte und brachte meine gereinigten Sachen. Ich zog mir solange die Decke bis an die Nasenspitze und schämte mich furchtbar, hier so halb nackt zu liegen. Wenigstens das konnte ich nun ändern. Ich bedankte mich und bat darum, die Kleidung einfach über den Stuhl zu hängen.

»Mr. Parker bat mich, Ihnen auch frische Unterwäsche aus dem Hotelshop zu besorgen. Ich hoffe, die Größe stimmt, ansonsten wählen Sie die Null Eins auf dem Telefon und ich komme und tausche sie um.« Die Frau blieb höflich und ohne mich komisch anzusehen, ging sie wieder aus dem Raum. Das rechnete ich ihr hoch an, aber vermutlich war sie seltsame Gäste gewohnt.

Da die Tablette langsam anfing zu wirken und ich das Gespräch mit Devon nicht in Dessous führen wollte, lief ich ins Bad, um zu duschen. Zähneputzen musste leider ausfallen, denn so gut, dass ich seine Zahnbürste benutzen würde, kannte ich meinen angeblichen Ehemann nicht. Warum gab es ausgerechnet in diesem Hotel keine einzeln verpackten Zahnbürsten für die Gäste? Deshalb spülte ich meinen Mund nur gründlich mit Mundwasser aus. Den Rest konnte ich später in meinem und Leahs Zimmer nachholen.

Je länger er weg war, umso besser ging es mir. Okay, das hatte wahrscheinlich weniger mit seiner Abwesenheit zu tun, als damit, dass die Kopfschmerztablette wirkte, aber trotzdem gab es eigentlich nur eine Sache zu besprechen, wenn Devon wieder da war. Diese Ehe musste annulliert werden und das so schnell wie möglich. Meine Eltern würden zwar aus allen Wolken fallen, wenn ich mich scheiden ließ. Die Ehe war ihnen heilig, aber deswegen konnte ich ja nicht mit einem Mann verheiratet bleiben, den ich gar nicht kannte und der keine Hemmungen hatte, meinen alkoholisierten Zustand so schamlos auszunutzen. Eine leise Stimme in mir flüsterte zwar, dass er noch viel mehr hätte tun können und es anscheinend nicht getan hatte, aber das ignorierte ich.

Geduscht und angezogen fühlte ich mich gleich schon viel besser und hätte das Gespräch am liebsten hinter mich gebracht. Doch Devon war noch nicht wieder da, als ich ins Schlafzimmer zurückkam. Wo blieb er nur so lange? Das Wort kurz hatte für ihn scheinbar eine andere Bedeutung als für mich. Nervös lief ich im Zimmer auf und ab und stellte dabei fest, dass mein bald Ex-Ehemann sehr unordentlich zu sein schien. Soviel ich wusste, war auch er erst gestern hier angekommen und überall im Raum lagen Klamotten herum. Das arme Zimmermädchen, das hier aufräumen musste, tat mir jetzt schon leid. Kurzfristig überlegte ich, ob ich nicht für Ordnung sorgen sollte, aber diesen Gedanken verwarf ich schnell wieder. Schließlich war ich nicht seine Putzfrau.

Endlich wurde die Tür von außen geöffnet und Devon und Rayan Parker kamen herein. Dabei fragte ich mich, wie zwei so unterschiedliche Männer Brüder sein konnten. Nicht nur äußerlich. Devon war blond und hatte blaue Augen, sein Bruder dagegen war dunkelhaarig und seine Augen von einem dunklen Braun, in denen ich zu versinken drohte. Während Devon mich anlächelte, schaute sein Bruder mich an, als wäre ich ein störendes Insekt, das zerquetscht werden musste. Trotz dieses Ausdruckes auf seinem Gesicht musste ich zugeben, dass er mich sofort wieder in seinen Bann zog. Er hatte einfach eine unheimliche Anziehungskraft auf mich.

»Wie viel?«, fragte Rayan ohne eine Begrüßung und ich wusste gar nicht, was er von mir wollte.

»Rayan!« Devon wies ihn zum Glück gleich zurecht. »Ich glaube nicht, dass es ihr um Geld geht. Sie konnte sich heute Morgen an nichts mehr erinnern.« Er lächelte mir zu und ich versuchte zurückzulächeln, was bloß völlig misslang. Die Anschuldigung, dass ich Geld wollte und ihn deshalb geheiratet hätte, traf mich tief.

»Ich will …« Eigentlich hatte ich sagen wollen, dass ich keinen Cent wollte, doch Rayan fiel mir einfach ins Wort.

»Was?«, fauchte er regelrecht. »Geld? In die Presse? Einen Artikel, um die Karriere zu pushen? Oder einfach nur ein Abenteuer mit meinem treudoofen Bruder, der die Ehe nicht einmal annullieren lassen, sondern sehen will, ob es funktionieren könnte. Was hast du mit ihm gemacht, ihn verhext? Ich erkenne meinen eigenen Bruder nicht wieder.«

»Rayan, so ist es gar nicht.« Devon probierte erfolglos, seinen Bruder zu bremsen, aber auch ihn ließ er nicht ausreden. Er zückte sein Scheckbuch und sah abfällig zwischen uns hin und her.

»Lass mich das regeln, Devon. Also wie viel? Sind Hunderttausend genug?« Was bildete dieser Idiot sich eigentlich ein? Und den fand ich eben noch anziehend. Was lief falsch bei ihm - mit ihm - oder vielleicht auch bei mir?

»Ich habe keine Ahnung, was gestern überhaupt passiert ist …« Wiederum unterbrach Rayan mich rüde.

»Das hast du doch alles schon auf der Abschlussfeier eingefädelt. Erst hast du versucht, mich anzumachen und als das nicht funktioniert hat, hast du dich an Devon heran geschmissen …« Nun platzte mir endgültig der Kragen. Das musste ich mir nicht bieten lassen. Einen Moment lang vergaß ich völlig, wer er war oder sein sollte. Was auch immer. Falls er wirklich ein Mafioso wäre, könnte er mich auch ganz anders aus dem Weg räumen, als mich zu bezahlen. Vermutlich war an den Gerüchten also gar nichts dran und so scheute ich mich, ihn zu unterbrechen.

»Devon, könnten wir das bitte unter vier Augen besprechen? Dein Bruder hat keinerlei Manieren und lässt niemanden aussprechen.« Wütend stapfte Rayan zur Tür, drehte sich noch einmal um und funkelte seinen Bruder böse an.

»Sieh zu, dass du das geregelt bekommst, ehe unsere Eltern davon erfahren. So eine Blitzehe kann nicht funktionieren, also werde sie los, ehe sie dich ausnimmt wie eine Weihnachtsgans. Sonst regle ich das auf meine Art.« Die Drohung klang nun doch wieder ganz nach Mafia. Oh man, was sollte ich nur glauben? Glücklicherweise verließ er nun das Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Was für ein arroganter Mistkerl! Aber er konnte mir ja völlig egal sein, ich musste jetzt nur mit Devon alles regeln und dann brauchte ich die Parker-Brüder nie wieder sehen. Zumindest dachte ich das zu diesem Zeitpunkt noch.

Charlie
Ein außergewöhnlicher Vorschlag

Kaum hatte Rayan das Zimmer verlassen, als es auch schon wieder an der Tür klopfte. Kam er etwa noch einmal zurück? Als Devon die Tür öffnete, stand allerdings nicht sein Bruder davor, sondern eine kleine zierliche Frau, die sich vor ihm aufbaute und ihn böse anfunkelte.

»Devon Parker!«, schimpfte sie los, sowie die Tür geschlossen war. »Wie kannst du heiraten und mich nicht dazu einladen? Wenn es nicht Rayan gewesen wäre, der mir das erzählt hat, würde ich denken, dass es ein schlechter Witz ist, aber Rayan macht keine Scherze. Und welche Frau ist echt so dämlich, dir das Ja-Wort zu geben?«

Auch wenn die ganze Situation eigentlich alles andere als lustig war, musste ich trotzdem ein Lachen unterdrücken. Aber es sah einfach zu komisch aus, wie dieser riesige und kräftige Mann vor dieser fast winzigen Frau zurückzuckte und obendrein den Kopf einzog. Irgendwie konnte er einem sogar leidtun. Allerdings fragte ich mich schon, wer sie war. Hatte er etwa eine Freundin?

»Ich bin die Dämliche«, erklärte ich, um sie von ihm abzulenken. Die Frau wirbelte zu mir herum und starrte mich an.

»Du bist doch gar nicht sein Typ.« Während sie mich mit leicht geöffnetem Mund musterte, als wäre ich das achte Weltwunder, merkte ich, wie ich rot anlief. Wenn sie sein Typ war, konnte ich gut verstehen, was sie meinte. Gegen ihre Ausstrahlung und Eleganz sah ich doch eher wie ein graues Mäuschen aus.

»Katja!«, fuhr Devon sie an. »Könntest du ein einziges Mal vorher überlegen, ehe du sprichst?« Dann wandte er sich entschuldigend an mich. »Sie hat wirklich keinen Filter zwischen Gehirn und Mund und sagt immer, was sie denkt. Dabei meint sie es nicht einmal böse.«

»Oh, entschuldige bitte. Du weißt ja gar nicht, wer ich bin, weil der Trottel uns einander noch nicht vorgestellt hat. Ich bin Katja Parker, Devons kleine Schwester. Ich habe das in der Tat nicht böse gemeint. Es ist nur so, dass er sonst Blondinen bevorzugt.« Sie lächelte mich plötzlich so offen und freundlich an, dass es mir gleich viel besser ging. Seine Schwester also und nicht seine Freundin, eigentlich sollte mich das nicht so erleichtern, schließlich wollte ich diese Ehe gar nicht.

»Charlotte Simmons, aber nenn mich doch bitte Charlie«, stellte ich mich vor.

»Charlie Parker«, berichtigte Devon mich, was Katja wieder zum Strahlen brachte. Warum ritt er darauf nur so herum?

»Devon, wir kennen uns doch gar nicht und meine Erinnerungen an gestern sind auch futsch. Meinst du nicht, dass es besser ist, diese Ehe schnellstmöglich annullieren zu lassen?«, fragte ich. Annullieren wäre für meine Eltern vielleicht nicht ganz so schlimm wie geschieden und im Grunde genommen mussten sie ja gar nicht davon erfahren. »Ich will kein Geld von dir und erst recht keine Presse, wie dein Bruder so nett meinte.«

»Du erinnerst dich an nichts?«, fragte Katja ungläubig. Ich schüttelte beschämt den Kopf.

»Ich vertrage kaum Alkohol und habe gestern wohl eindeutig zu viel getrunken. Ich erinnere mich nur noch daran, wie dein Bruder mir geholfen hat und dass wir dann in die Bar gegangen sind, damit ich meine Handtasche holen konnte. Danach ist alles weg.« Katja schlug empört mit ihrer Tasche nach ihrem Bruder.

»Was bist du denn für ein Idiot?« Sie fuchtelte mit ihren Händen vor seiner Nase herum, als wolle sie ihn gleich schlagen. »Du heiratest eine betrunkene Unbekannte und verbringst die Nacht mit ihr? Hast du wenigstens an Verhütung gedacht? Wie kannst du nur?« Devon bat darum, seine Sicht der Dinge erklären zu dürfen, und ich lauschte gespannt seiner Erzählung über den gestrigen Abend. Demnach waren er und Rayan nach Katjas Gesangswettbewerb eigentlich gerade auf dem Weg zum Essen gewesen, als sie auf Nadja und mich getroffen waren. Sie bemerkten, wie Nadja mich bedrängte und wollten mir tatsächlich nur helfen, bis Nadja von mir abließ. Als ich dann darauf bestand, meine Handtasche aus der Bar zu holen, hatten sie Angst gehabt, dass Nadja es noch einmal versuchen würde. Obwohl ich das nicht glaubte. Sie war schließlich meine Freundin, die durch den Alkohol nur etwas über das Ziel hinaus geschossen war. Auch wenn ich ihr deshalb noch immer böse war. Aber das würde ich schon noch mit ihr klären. Wieso hatte sie nie erzählt, dass sie auf Frauen stand?

»Nachdem Essen ist deine andere Freundin aufgetaucht und da hat sich irgendwie alles verselbstständigt«, fuhr er fort. »Leah und ich haben geschäkert und viel Spaß zusammen. Du hast mit Rayan geflirtet …«

»Was?«, rief ich erschrocken. Ich sollte mit Rayan Parker geflirtet haben? Warum war ich dann aber jetzt mit seinem Bruder verheiratet? Katja kicherte.

»Sie hat sich an Rayan herangemacht? Das wagt sonst selten jemand, weil alle Angst vor ihm haben.« Das konnte ich gut verstehen. Vor allem, wenn man den Ruf der Familie bedachte. Wobei Devon auf mich wirklich nicht wie ein Gangster wirkte, eher wie ein harmloser Junge.

»Ja, nur du kennst ihn ja. Er ist böse geworden und verschwunden …« Devon erzählte weiter und je mehr ich von gestern hörte, umso weniger wollte ich es glauben. Nachdem Rayan weg war, war Nadja aufgetaucht und hatte sich entschuldigt. Ich hatte die Entschuldigung nicht annehmen wollen und mich deshalb mit Leah in die Haare bekommen. Sie meinte, dass ich mich nicht so anstellen sollte und dass Nadja und ich doch ein schönes Paar abgeben würden. Wusste sie etwa schon vorher von deren Neigungen? So richtig konnte ich mir das gar nicht vorstellen, da mussten wir wohl gestern alle zu viel getrunken haben. Jedenfalls war Leah dann wohl ins Zimmer gegangen und hatte später auf mein Klopfen nicht reagiert. Als ich mir eine Ersatzkarte für das Zimmer an der Rezeption holen wollte, hatte ich wieder einmal Devon angerempelt. Er überredete mich dazu, noch weiter mit ihm um die Häuser zu ziehen.

Wie wir dann in die Kapelle gekommen waren und warum wir uns von einem Elvis-Imitator hatten trauen lassen, wusste Devon auch nicht mehr so genau. Bloß hatte er heute Morgen die Fotos von der Trauung und die Ehepapiere auf dem Tisch in seinem Zimmer gefunden und mich in seinem Bett.

»Im ersten Moment wusste ich nicht, ob ich lachen oder schreien sollte. Aber dann dachte ich, dass es vermutlich Schicksal ist und unsympathisch bist du mir ja echt nicht.« Super! Das war unzweifelhaft die beste Voraussetzung für eine Ehe.

»Du willst diese Ehe nicht tatsächlich bestehen lassen?«, fragte ich entsetzt. »Wir kennen uns doch gar nicht richtig.«

»Das können wir durchaus ändern«, meinte er ungerührt. »Natürlich lernt man sich normalerweise erst kennen, verliebt sich und heiratet später irgendwann. Trotzdem sind wir ja nun schon mal verheiratet. Also wieso lernen wir uns nicht erst einmal kennen und schauen, ob es funktioniert und falls nicht, können wir uns immer noch scheiden lassen.« Für ihn schien das ganz einfach zu sein, aber ich wusste wirklich nicht, was ich von seinem Vorschlag halten sollte.

»Ich weiß nicht. Wie soll das denn bitte funktionieren?« Wie oft, wenn ich nicht die richtigen Worte auf Anhieb fand, spielte ich nervös mit meinen Fingern. Warum fragte ich überhaupt und lehnte diese Schnapsidee nicht sofort ab?

»Leah und ich ziehen jetzt zwar nur innerhalb von Chicago um und verlassen die Stadt nicht, da könnte man sich sicher mal treffen, bloß dazu müssten wir ja nicht verheiratet bleiben. Die Leute werden sowieso alle denken, dass ich nur dein Geld will.« Devon lachte.

»So ein Quatsch, ich bin doch nicht mein Bruder, sondern nur ein ganz gewöhnlicher Bauunternehmer.« Dann erklärte er mir seine Idee. Er hatte gerade ein Penthouse mit Seeblick gekauft, das er eigentlich hatte umbauen und dann weiterverkaufen wollte. Sein Steckenpferd war es nämlich, alte Häuser oder Wohnungen aufzukaufen und zu renovieren. Sodass sie auf dem neuesten technischen Stand waren, ohne ihren alten Charme zu verlieren, um sie dann mit beträchtlichem Gewinn wieder zu verkaufen. Nach Mafioso klang das ja nun wahrhaftig nicht.

»Wir könnten diese Wohnung aber auch erst einmal provisorisch einrichten …«, schlug Devon vor, wurde allerdings gleich von Katja, die völlig begeistert von seiner Idee war, unterbrochen.

»Dabei helfe ich euch«, verkündete sie, obwohl ich ja noch gar nicht zugestimmt hatte. Devon erzählte weiter von seiner Idee und ich hörte immer interessierter zu. Im Grunde genommen war das Ganze gar keine so schlechte Idee angesichts unserer seltsamen Situation. Dennoch konnte ich mir nicht wirklich vorstellen, verheiratet zu sein. Vor allem fragte ich mich, wie ich meinen Eltern das erklären sollte.

»Devon, du scheinst echt ein netter Kerl zu sein, aber wir sollten die Ehe besser sofort annullieren lassen.« Er musste doch irgendwann zur Vernunft kommen. »Wenn ich in Chicago wohne, dann können wir uns ja gern trotzdem mal treffen. Aber ich kann nicht mit einem mir völlig fremden Mann zusammenziehen. Ich weiß nicht, was gestern mit mir los war, eigentlich ist so ein Verhalten echt nicht meine Art. Ich gehe jetzt besser in mein Zimmer. Ich muss unbedingt mit Leah sprechen, ehe sie sich Sorgen um mich macht.«

»Du kannst es dir ja noch überlegen, Charlie.« Nun lachte Katja auch noch. »Unser Vater ist Anwalt und wenn du wirklich die Annullierung willst, kümmert er sich sicher schnellstmöglich darum.« Devon zog ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen, während ich überlegte, ob vielleicht doch gar nichts an den Gerüchten über die Familie dran war. Ein Anwalt, ein Geschäftsmann und ein Bauunternehmer. Ging es noch weiter weg von der Mafia? Oder war das alles nur Tarnung?

»Müssen wir Dad da mit reinziehen? Unsere Eltern müssen schließlich nicht alles wissen.«

»Devon Parker!«, schimpfte Katja los. »Du kannst ihnen doch nicht verheimlichen, dass du verheiratet bist. Was denkst du dir eigentlich?« Der arme Devon sah aus wie ein begossener Pudel. Scheinbar wusste er genau so wenig wie ich, wie er das seiner Familie erklären sollte. Mom würde wahrscheinlich enttäuscht von mir sein, dass ich so leichtfertig geheiratet hatte. Für Dad würde eine Welt zusammenbrechen, wenn ich mich einfach so scheiden ließe. Für ihn war der Bund der Ehe heilig. Aber sollte ich ihnen deshalb alles verschweigen, wenn wir die Ehe schnellstmöglich wieder auflösten? Lügen konnte ich tatsächlich noch nie. Vielleicht war Devons Idee mit der Versuchsehe ja gar nicht so schlecht. Immerhin würde ich dann nicht gleich wieder aufgeben. Ich versprach Devon, darüber nachzudenken, und wir tauschten noch unsere Handynummern aus, ehe ich mich von ihm mit einem Kuss auf die Wange verabschiedete.

Rayan
Nachforschungen

»Ich will, dass ihr sie komplett durchleuchtet und das am liebsten bis vorgestern!« Ohne es zu sehen, konnte ich mir vorstellen, wie mein Hacker am anderen Ende der Leitung zusammenzuckte. Aber das störte mich nicht. Im Gegenteil. In meinem Job war es unbedingt nötig, dass die Leute vor mir zitterten. Immerhin war ich Rayan Parker, Sohn von Raymond Parker, der es schaffte, neben seiner Scheinidentität als rechtschaffener Anwalt und Familienvater, zu den gefährlichsten Männern der Welt zu zählen. Und ich befand mich auf dem besten Weg, in seine Fußstapfen zu treten, da mein Bruder ja kein Interesse daran hatte und lieber ein bürgerliches Leben führen wollte. Er wirkte oft so naiv auf mich. Mal schauen, was für ein Früchtchen er sich da angelacht hatte. Wahrscheinlich eine, die es auf das Geld der Parkers abgesehen hatte, oder – was noch schlimmer wäre, auf eine Enthüllungsstory. Schließlich hatte sie Journalismus studiert und da ihr Anmachversuch bei der Abschlussfeier bei mir nicht gewirkt hatte, schmiss sie sich nun an meinen Bruder heran. Und der musste auch noch so dämlich sein, sie gleich zu heiraten.

Casper, mein Mann für die Informationsbeschaffung fragte noch nach dem Namen und versprach sich dann um alles zu kümmern. Ich hoffte sehr, dass ich die Informationen noch vor meinem Abflug aus Vegas bekam. Auch wenn ich am liebsten Katja und Devon postwendend in meinen Privatjet gesetzt und sie sofort nach Hause geschickt hätte. Was besprachen die beiden nur mit dieser Frau so lange in Devons Zimmer? Ich hatte ihr doch schon Geld angeboten, aber wahrscheinlich reichte ihr das nicht. Wie viel würden wir wohl noch darauflegen müssen, um diese so unschuldig aussehende Miss Simmons loszuwerden? Normalerweise würde ich ja einfach versuchen, sie aus dem Weg zu räumen. Nur leider gab es für diese Lösung schon zu viele Zeugen und Kameraaufnahmen, die uns zusammen zeigten. Dabei wollte ich eigentlich unauffällig hier sein, da ich einen wichtigen Deal mit dem Casinomanager abgeschlossen hatte. Der Typ wusch einen Teil unseres Schwarzgeldes.

Außerdem würde Devon mir das nie verzeihen, wenn ich ihr irgendwas antat und irgendwie konnte ich ihn sogar verstehen, süß sah die Kleine ja aus. Allerdings - ehrlich gesagt - eher mein Typ, als der meines Bruders. Sein Beuteschema sah für gewöhnlich eher groß und blond aus, während ich kleine Dunkelhaarige bevorzugte und gerade sie hätte ich jetzt gerne genau dort, um sie zu bestrafen. Wenn ich mit ihr fertig wäre, würde sie es sich dreimal überlegen, ob es klug war, einen Unbekannten zu heiraten, um an dessen Geld heranzukommen. Vielleicht sollte ich mir eine Sklavin aufs Zimmer bestellen, um mich etwas abzulenken. Das war zwar nicht dasselbe, wie ihr direkt zu zeigen, was sie verdiente, aber immerhin ein Anfang.

Schon bei der Abschlussfeier in Chicago fiel sie mir in der Menge auf. Aus irgendeinem Grund hatte ich in ihre Richtung geschaut und der Ausdruck in ihren Augen nahm mich beinahe gefangen. Zum Glück ließ ich mich nie von solchen Gefühlen leiten und deshalb hatte ich den Blickkontakt schnell unterbrochen. Als sie dann vor mir auf die Knie gefallen war und so devot zu mir aufsah, musste ich mich sehr zusammenreißen, damit ich keine Erektion bekam. Das wäre vor all diesen Menschen wirklich peinlich geworden. Später hatte ich sie mit meinem Bruder zusammen gesehen und sie sah so unschuldig aus, dass ich mir selbst sagte, dass sie für mich tabu war. Ich stand nun einmal nicht auf unerfahrene Mädchen, sondern auf gut ausgebildete Sklavinnen. Je größer ihre Schmerztoleranz umso besser, Anfängerinnen gingen mir tierisch auf die Nerven. Also kam Charlie für mich nicht infrage und jetzt, als Ehefrau meines Bruders, war sie natürlich erst recht tabu. Egal wie verführerisch diese verbotene Frucht schien. Der Bruderkodex verbot das einfach und so oft ich mich sonst über irgendwelche Gesetze hinwegsetzte, dieses bedeutete mir etwas.

Hätte ich die beiden gestern Abend bloß nicht allein gelassen, nachdem wir Miss Simmons von ihrer Freundin befreien mussten. Das Ganze konnte doch keine Show gewesen sein, um sich einen von uns zu angeln? Diesen Gedanken verwarf ich aber gleich wieder. Sie hätte sicher auch einen Typ gefunden für so ein Theaterspiel. Sie vor einem Kerl zu retten, wäre viel heldenhafter erschienen als vor einer Frau. Außerdem hätte sie ja wissen müssen, dass wir gerade um diese Zeit dort vorbei kommen würden. Zudem sah sie für mich wirklich sehr betrunken aus und hatte sich ja sogar übergeben. Nur hatte sie sich danach echt rasch wieder erholt und kein Problem damit gehabt, weiter zu feiern.

Meine Lust auf Party hielt sich in Grenzen und so verabschiedete ich mich schnellstmöglich. Dieses blonde Gift, Miss Simmons` sogenannte Freundin, war mir tierisch auf die Nerven gegangen und eigentlich hätte ich eher gedacht, dass Devon mit ihr anbandelt. Zumal Miss Simmons gestern noch mit mir geflirtet hatte, bevor ich gegangen war. Im Grunde genommen könnte es mir ja egal sein, was Devon tat. Allerdings fragte ich mich, ob ich irgendwie mitschuldig an dieser Ehe war, weil wir gestern eine Wette abgeschlossen hatten. Gedanklich ging ich die ganze Situation noch einmal durch.

Devon rekelte sich auf dem Sofa in meiner Suite und sah mir dabei zu, wie ich meine Krawatte band. Er selbst war für meinen Geschmack viel zu leger gekleidet, aber ich hatte es aufgegeben, mit ihm darüber zu diskutieren.

»Sowie Katjas Show vorbei ist, gehen wir etwas trinken, Bruderherz«, bestimmte er.

»Ich habe noch zu arbeiten«, widersprach ich, nur wie so oft interessierte es ihn nicht wirklich.

»So ein Quatsch«, antwortete er. »Die Geschäfte können auch ein paar Stunden ohne den Juniorpaten auskommen. Wir sind hier in Las Vegas, lass uns Spaß haben und ein paar heiße Bräute aufreißen oder willst du irgendwem eine Lektion erteilen? Vielleicht macht es dich ja an, Kerle umzubringen, wenn die nichts von dir wollen.« Es war das erste Mal, dass er sich traute, so eine Andeutung zu machen, obwohl ich schon länger das Gefühl hatte, dass meine Familie mich für schwul hielt. Ich unterdrückte ein Grinsen, wenn die wüssten … allerdings war es besser, dass sie nichts von meinem Lebensstil ahnten. Mom würde ausrasten, wenn sie die Wahrheit kennen würde. Sie hat kein Problem mit Drogen, Schutzgeld und so weiter, aber den Menschenhandel hatte sie meinem Vater ausgetrieben. Eine gut abgerichtete Sklavin bekam ich aber nun einmal kaum auf der Straße. Daher mietete ich mir welche. Sie bekamen zwar auch von mir Geld und Geschenke, falls sie die verdienten. Doch Mom würde mir dafür trotzdem den Kopf abreißen. Da konnte ich mir sicher sein.

»Ich bezweifle, dass ich hier die richtige FRAU fürs Leben finden werde und du solltest es ebenfalls lassen, hier zu suchen. Nicht, dass aus Spaß irgendwann ernst wird und dir eine deiner Gespielinnen ein Kind anhängt«, tadelte ich ihn. Devon wechselte seine Freundinnen teilweise schneller als seine Unterwäsche, was seine Sache war, nur dürfte er dabei ruhig diskreter sein.

»Niemals, ich betreibe nur Safer-Sex. Außerdem bin ich ja nur auf der Suche nach der Richtigen und wenn ich die gefunden habe, dann können mir alle anderen egal sein«, beteuerte er. Dennoch konnte ich ihm das nicht glauben. Das wäre ja so, als würde ich plötzlich mein Spielzimmer abschließen und den Schlüssel wegwerfen.

»Das würdest du keine vier Wochen durchhalten, dann wäre ›die Richtige‹ auch schon wieder langweilig und du würdest dich nach etwas Neuem umsehen.« Manchmal überkam mich einfach das Bedürfnis, ihn ein bisschen aufzuziehen. Doch Devon schien es ernst zu meinen.

»Ich wette, dass ich eher als du die Frau finde, mit der ich ohne Probleme mindestens sechs Monate zusammenbleiben werde.« Er grinste mich an, als wollte er wirklich wetten. Für ihn musste immer alles ein Spiel oder ein Wettkampf sein.

»Devon, das ist kein Wettstreit.« Bloß ließ er sich nicht mehr stoppen.

»Lass uns echt zocken, Rayan«, forderte er mich heraus. »Wer von uns zuerst die richtige Partnerin findet und es schafft, mindestens sechs Monate mit ihr zusammen zu bleiben, der hat gewonnen. Wenn ich gewinne, überlässt du mir die Yacht …« Schnappte er jetzt völlig über? Ich wollte im ersten Moment widersprechen. Mein neues Boot wurde erst vor vier Wochen geliefert und ich platzte fast vor Stolz, doch dann kam mir eine Idee. Denn Devon besaß ebenfalls etwas, das ich haben, er mir aber nicht überlassen wollte. Für mich wäre es doch ein Leichtes, mir eine neue Sklavin zu kaufen, die auch meine Freundin spielen konnte und so würde ich die Wette gewinnen.

»… und wenn ich gewinne, dann bekomme ich das Haus am Strand, das du gerade renovierst«, stimmte ich also zu. Und wenig später besiegelten wir den Vertrag per Handschlag.

Aber es war ja nicht gleich vom Heiraten die Rede gewesen, nur von einer Beziehung, die länger als sechs Monate dauerte. Wollte er diese Ehe etwa ein halbes Jahr lang führen, nur um meine Amyra – Mom vergoss sogar ein paar Tränen wegen meiner Namenswahl – zu bekommen. Oder war da tatsächlich mehr zwischen den beiden? Kannten sie sich in Wirklichkeit bereits viel länger und spielten uns nur etwas vor? Schließlich gab es nicht mal einen Ehevertrag und ganz arm war er ja auch nicht, selbst wenn er nichts mit dem Familiengeschäft zu tun hatte. Er könnte durch dieses Spiel weit mehr Geld verlieren, als nur den Wert meines Schiffes. Das hatte ich heute Morgen auch versucht, ihm klarzumachen, als er zu mir gekommen war und mir von der Hochzeit erzählt hatte, aber er schien das nicht wirklich ernst zu nehmen. Deshalb hatte ich ihn ja zum Gespräch mit seiner Ehefrau begleitet. Und dieses Biest hatte es echt gewagt mich – Rayan Parker, Juniorchef des Parker-Kartells – aus dem Zimmer zu werfen. Das hatte sich bisher niemand getraut.

Mein Telefon klingelte und Casper meldete sich. Nur halfen seine Informationen nicht großartig:

Einzige Tochter eines Priesters, der seit fünfundzwanzig Jahren mit ihrer Mutter – einer Sonntagsschullehrerin – verheiratet war.

Fleißige Studentin.

Beliebt bei Professoren und Mitstudenten.

Ein Aushilfsjob in einem Café während des Studiums.

Viel mehr gab es über sie und ihre Familie nicht zu berichten. Alle, mit denen Caspers Leute gesprochen hatten, waren voller Lob über die Familie. Dann kam jedoch der Knackpunkt mit ihrem Journalismusstudium, eine Anstellung bei der Daily News in Chicago hatte sie auch schon. Allerdings nur in der Anzeigenabteilung, was gegen eine Reportage über uns sprach. Oder versprach sie sich den Aufstieg mit einer Geschichte über die Parkers? Sie jobbte neben ihrem Studium in verschiedenen Bars und Cafés und lebte mit Miss Miller zusammen. Die Millers besaßen Geld, ob sie sich wohl deshalb mit ihr anfreundete? Nur um an deren Vermögen zu kommen? Obwohl es dafür bisher auch keine Anzeichen zu finden gab. Sie teilten sich die ganze Zeit über die Miete zu gleichen Teilen und außer dieser Reise hierher, bekam sie keine größeren Geschenke von der Familie ihrer Freundin.

Ihr Noten-Durchschnitt sah fantastisch aus. Sie hatte die Prüfungen alle mit sehr gut oder Auszeichnung bestanden. Über Beziehungen war nichts bekannt. Ihre Sozialversicherungsnummer und ihre Adresse waren relativ uninteressant für mich und ihr Kontostand nicht ungewöhnlich für jemanden, der gerade das Studium abgeschlossen hatte. Ein paar hundert Dollar, nachdem sie die Hälfte der Mietkaution für die neue Wohnung bezahlt hatte.

»Versuch mehr über mögliche Freunde herauszufinden«, wies ich Casper an und legte auf. Irgendwas musste doch über sie zu finden sein.

Fast bereute ich es, dass wir sie vor dieser Lesbe gerettet hatten. Wären wir einfach weiter gegangen, wäre sie jetzt vielleicht mit ihr verheiratet und nicht mit Devon. Allerdings zeigte sie gestern sehr deutlich, dass sie die nicht küssen wollte, was die Andere nicht interessierte und da ging mein Beschützerinstinkt mit mir durch. Zwar mochte ich ein Mafioso und Dom sein, der es liebte, Frauen Schmerz zuzufügen, aber das war ja etwas anderes. Außerdem lag da irgendetwas in ihrem Blick, das mich geradezu zwang, ihr zu helfen. Selbst noch, als sie ihren Mageninhalt auf dieser Tussi verteilte. Ich beschloss, trainieren zu gehen, um meine Gedanken besser sortieren zu können. Leider lief ich auf dem Flur ausgerechnet dieser Frau von gestern über den Weg.

»Wissen Sie, wo Charlie ist? Leah sucht sie überall«, fragte sie mich ohne Begrüßung. Hatte eigentlich gar keiner mehr Respekt vor mir?

»Bei ihrem Ehemann«, erwiderte ich kurz angebunden und genoss das Entgleisen ihrer Gesichtszüge.

»E…Ehe…Ehemann?«, stammelte sie entsetzt.

»Ja, Ehemann.« Eine mir bereits viel zu vertraute Stimme antwortete hinter mir. »Aber das geht dich nichts an. Das regele ich schon, Nadja.«

»Brauchst du dabei Hilfe?« Sie musterte Charlie mit einem Hundeblick, doch diese funkelte sie nur an.

»Ich bin so sauer wegen gestern, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Du bist schließlich an allem schuld. Also vergiss es. Du darfst mir nicht ewig verschweigen, dass du auf Frauen – auf mich – stehst und mich dann so ohne Vorwarnung anmachen. Ich dachte, wir wären gute Freundinnen und nun habe ich das Gefühl, dich gar nicht zu kennen.« Charlie stolzierte mit hoch erhobenem Kopf an uns vorbei, ohne dieser Nadja oder mir einen weiteren Blick zu gönnen. Irgendwie war das sehr heiß, auch wenn ich gar nicht auf so widerborstige Frauen stand.

Charlie
Ein Streit mit Folgen

Gerade als ich mich auf den Weg zu meinem und Leahs Zimmer machte, sah ich Nadja und Rayan im Flur stehen. Natürlich kam ich nicht umhin, ihr Gespräch mitzuhören, und da konnte ich meinen Mund nicht mehr halten. Nachdem ich Nadja meine Meinung gegeigt hatte, ließ ich sie einfach stehen. Ob sie wohl irgendwann begreifen würde, warum ich so reagierte? Mich störte es nicht, dass sie auf Frauen stand – obwohl mein Vater immer darüber predigte, dass es Sünde wäre – aber dass sie nie etwas gesagt hatte. Das regte mich so auf.

Irgendwie war es ja schon ein gewaltiger Zufall, dass die Suiten der Parkers nicht nur im gleichen Hotel wie unsere Zimmer lagen, sondern zudem noch auf dem gleichen Flur. Ich musste allerdings ganz bis zum anderen Ende, bis ich zum Zimmer Nummer 145, das ich mir mit Leah teilte, gelangte. Ich klopfte an und fast sofort wurde die Tür aufgerissen.

»Wo warst du denn die ganze Nacht? Geht es dir gut? Wie konntest du nur einfach so mit diesem Kerl verschwinden?« Die Fragen prasselten nur so auf mich ein, ohne dass ich auch nur die Möglichkeit gehabt hätte, auf eine davon zu reagieren. »Weißt du eigentlich, was ich mir für Sorgen gemacht habe? Ich wollte sogar schon die Cops informieren. Warst du bei diesem Parker? Oder tatsächlich bei Nadja, obwohl die behauptet, dass sie nicht wüsste, wo du abgeblieben bist? Nun sag doch irgendwas, Charlie.« Wie kam sie darauf, dass ich die Nacht bei Nadja verbracht haben sollte? Wusste sie etwa über deren Gefühle für mich Bescheid? Warum hatte sie mich dann nie vorgewarnt? Endlich machte sie eine Pause zum Luftholen, sodass ich schließlich mal etwas sagen konnte.

»Wie soll ich deine Fragen beantworten, wenn du mich nicht zu Wort kommen lässt?« Ich musste ein Lachen unterdrücken, ungeachtet der Tatsache, dass ich furchtbar sauer war. Was für ein Gefühlschaos heute. Aber immerhin erfuhr man nicht jeden Tag, dass man einen fast Fremden geheiratet hatte. Außerdem sah ich, dass Leah kurz vorm Explodieren stand, so wie sie aufgeregt auf und ab lief. Offensichtlich hatte sie mir den Streit von gestern noch nicht verziehen und jetzt, wo ich wohlbehalten vor ihr stand, musste sie ihre Wut heraus lassen.

»Wir haben gestern eindeutig zu viel getrunken«, fing ich an zu erzählen und berichtete ihr alles haarklein, was laut Devon in der Nacht noch passiert sein sollte. Leah hörte mir ungläubig zu, hielt aber ihren Mund, bis ich geendet hatte. Danach legte sie allerdings richtig los.

»Bist du denn total bescheuert, Simmons? Du kannst doch nicht einen wildfremden Kerl heiraten und hinterher behaupten, du könntest dich an nichts erinnern. Was werden deine Eltern nur dazu sagen? Wie bekloppt muss man dafür nur sein? Und dann auch noch ausgerechnet ein Parker. Der passt so gar nicht zu dir, außerdem kennt schließlich jeder die Gerüchte über die Familie.« Fehlte eigentlich nur ein drittes Mal, dass sie mir sagte, wie bescheuert, blöd oder Ähnliches ich gehandelt hatte.

»Leah!« Ich versuchte, sie zu stoppen, und wurde langsam böse. Natürlich hatte ich Mist gebaut, nur so ließ ich dennoch nicht mit mir reden, völlig egal, dass ich wirklich nicht in die Parker Familie passte. Gar nicht passen wollte. Entweder stimmten die Gerüchte, dann spielte ich mit meinem Leben, sobald ich mich auf sie einließ, oder sie waren einfach gut situierte Leute, die absolut nicht in meiner Liga spielten. »Du schlägst unter die Gürtellinie. Können wir uns bitte wie erwachsene Menschen unterhalten?« Doch scheinbar war Leah dazu im Moment nicht in der Lage.

»Wieso bist du nicht einfach ins Bett gegangen? Nein, Miss Simmons muss ja richtig einen drauf machen und sich den Schönen und Reichen Chicagos an den Hals werfen. Als es bei Rayan nicht geklappt hat, dachtest du wohl, dass Devon besser wäre als gar kein Parker. Hätte ich dich nur nie mit nach Vegas genommen.« Nun wurde ich auch langsam ärgerlich und fühlte mich echt von ihr verletzt durch ihre Worte. So wie heute Morgen hatte ich Leah noch nie erlebt, aber die Frage, warum sie so reagierte, schob ich beiseite.

»Mit dir kann man wirklich nicht reden, Leah. Hörst du dir eigentlich selber zu? Ich habe das doch nicht geplant. Letztendlich hast du mich zu der Reise eingeladen und mich überredet mitzukommen. Ich wollte schließlich zuerst gar nicht mit.« Ein paar Mal holte ich tief Luft, um nicht vor Wut in Tränen auszubrechen. Diese Genugtuung durfte ich ihr nicht geben. »Und du warst es auch, die gestern die Schlüsselkarte dabei hatte und mich nicht ins Zimmer gelassen hat …« Weiter kam ich nicht, denn Leah fiel mir einfach ins Wort.

»Und ich war es wohl auch, die dich getraut hat, oder was?«, zischte sie regelrecht. »Mach mich nicht für deine Fehler verantwortlich. Du hast doch die letzten Jahre ganz gut bei mir gelebt und nun willst du dich anscheinend verbessern, Miller reicht nicht mehr, nun muss es gleich Parker sein.« Nun platzte mir endgültig der Kragen.

»Wenn du so von mir denkst, sollte ich tatsächlich besser gehen und auch nicht mit dir zusammen ziehen. Wie gut, dass sich unser Umzug verschoben hat, dann kannst du gleich allein dort einziehen und ich suche mir etwas anderes in der Stadt.« Während ich das sagte, ging ich durchs Zimmer und sammelte meine wenigen Sachen ein, die ich schon ausgepackt hatte. Dabei kämpfte ich die ganze Zeit mit den Tränen, aber ich schaffte es, sie zurückzudrängen. Auf keinen Fall wollte ich ihr zeigen, wie sehr mich ihre Anschuldigungen trafen. Leah schwieg währenddessen. Sie stand einfach nur mit verschränkten Armen da und sah mir zu. Kein Wort der Entschuldigung kam über ihre Lippen.

Ich war wirklich froh, dass ich meine Kreditkarte dabei hatte. Ich würde den nächstmöglichen Flug nach Hause nehmen und dann gleich mit der Wohnungssuche in Chicago anfangen. Vielleicht könnten wir unsere Freundschaft dann irgendwann wieder aufleben lassen, aber im Moment wollte ich mir nicht einmal vorstellen, ihr ihre unangebrachten Vorwürfe zu verzeihen. Irgendetwas in mir zerbrach in dem Moment und ich wusste nicht, ob wir das noch flicken konnten. Vier Jahre lang waren wir beste Freundinnen gewesen. Wie oft stand ich mit offenem Mund daneben, wenn sie anderen die Meinung sagte, aber nie hatte ich sie dabei so ungerecht und gemein erlebt wie gerade eben. Nie hätte ich auf ihre Kosten leben wollen. Nicht umsonst bin ich immer arbeiten gegangen. Die Hälfte der Miete und auch der Kaution für die zukünftige Wohnung waren von mir.

Keine zehn Minuten später schloss ich die Zimmertür von außen, genauso wie auch eine Tür in meinem Herzen. Keinesfalls wollte ich heulend mit dem Koffer in der Hand durch dieses Hotel laufen. Zum Glück war es nicht weit bis zum Aufzug, der zufällig genau in dieser Sekunde anhielt, da jemand ausstieg. Ohne darauf zu achten, dass er zuerst nach oben fahren würde, stieg ich ein und drückte den Knopf für das Erdgeschoss.

In der obersten Etage, in der sich das Fitnessstudio befand, leerte sich die Kabine. Eigentlich dachte ich schon, dass ich nun wenigstens einen Atemzug allein sein würde, als ausgerechnet ein stinksaurer Rayan Parker den Lift betrat.

»Das lasse ich mir nicht gefallen«, grummelte er in seinen nicht vorhandenen Bart und stellte sich gleich neben die Tür. Im ersten Moment hoffte ich, dass er mich gar nicht wahrgenommen hatte. Aber das war wohl ein Wunschtraum, denn kaum schlossen sich die Türen, setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung, da drehte er sich zu mir um.

Augenblicklich veränderte sich die Atmosphäre in dem engen Raum und als er auch noch auf mich zukam, fing mein ganzer Körper an zu kribbeln. Er sah mich so durchdringend an, dass ich fast das Gefühl hatte, er könnte mir in die Seele schauen. Und die Tränen, die ich gerade erfolgreich zurückgedrängt hatte, liefen nun ohne Unterlass. Ich wollte mich umdrehen, damit er es nicht sah, doch er griff nach meinem Kinn und hielt mich zwar sanft, aber sehr bestimmt fest.

»Was ist los?«, fragte er, als ginge es ihn irgendetwas an.

»Nichts«, log ich mehr schlecht als recht. Ich konnte noch nie gut lügen.

»Und dieses Nichts bringt Sie so durcheinander, dass Sie hier weinen?«, bohrte er weiter. »Charlotte, sag mir, was passiert ist. Hat dir jemand etwas angetan?« Auf einmal duzte er mich und seine Stimme klang auch ganz anders. Viel wärmer.

»Es ist tatsächlich nichts, zumindest nichts, was Sie etwas angehen würde, Mr. Parker. Richten Sie Ihrem Bruder bitte aus, dass ich jedes Dokument die Annullierung unserer Ehe betreffend unterzeichnen werde. Außerdem kann er gern schriftlich haben, dass ich auf sämtliche finanziellen Forderungen verzichte. Ich werde so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren, um zu packen und mir ein Zimmer in einer Pension zu suchen. Ich melde mich dann, sobald ich eine Wohnung in Chicago oder anderswo gefunden habe.«

»Was ist los?« Er sprach so bestimmt mit mir, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte. Wenn er so mit Geschäftspartnern umging, sprangen die sicher sofort. In dieser Haltung konnte ich ihn mir auch wirklich gut als Mafiaboss vorstellen. Er schüchterte die Leute echt problemlos ein und brauchte dafür nicht einmal eine Waffe. »Wo ist die starke, zickige Frau von vorhin und warum musst du dir eine Wohnung suchen? Ich dachte, du ziehst in den nächsten Tagen um? Wie können sich alle deine Pläne, von denen du uns erst gestern erzählt hast, so plötzlich ändern?« Nun begannen die Tränen noch unaufhaltsamer zu fließen. Wie sollte ich ihm etwas erklären, was ich selbst nicht verstand? Zum Glück öffnete sich nun die Tür und drei Männer stiegen ein, die uns interessiert musterten. Rayan stellte sich so hin, dass ich vor ihren Blicken ein bisschen abgeschirmt war und reichte mir sein Stofftaschentuch. Wer benutzte denn heute noch so etwas?

»Du kommst jetzt erst einmal mit zu Devon und dann besprechen wir das alles in Ruhe«, wies er mich an und wehrte meinen Widerspruch mit einer kurzen Handbewegung ab. »Du läufst jetzt nicht einfach weg!« Und ich folgte ihm. Warum konnte ich später nicht einmal sagen, aber aus irgendeinem Grund tat ich, was er sagte.

Charlie
Eine Schnapsidee oder doch eine Lösung?

Rayan klopfte kurz an Devons Zimmertür und fast augenblicklich wurde von innen geöffnet. Katja stand in der Tür und sah verwirrt zwischen mir und Rayan hin und her, dann verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck.

»Was hast du getan, dass sie weint?«, fuhr sie ihren Bruder an. Der schob sie etwas zur Seite, zog mich und meinen Koffer ins Zimmer und schloss die Tür hinter uns. Ich würde mich nicht trauen, ihn so zu behandeln, aber sie schien absolut keine Angst vor ihm zu haben.

»Das müssen wir nicht öffentlich diskutieren, Katja«, tadelte er sie. »Außerdem war sie bereits so aufgelöst, als ich sie traf. Scheinbar gab es einen Streit mit dem blonden Gift. Genaueres weiß ich auch nicht, jedenfalls wollte Charlotte abreisen.« Normalerweise hätte ich protestiert, wenn jemand Leah als blondes Gift bezeichnete, aber im Moment konnte ich es nicht. Katja kam zu mir und legte ihren Arm um mich.

»Was ist los?« Sie sah mich mitfühlend an, aber vor ihren Brüdern mochte ich wirklich nicht reden.

»Es ist schon gut«, versuchte ich abzuwiegeln, aber irgendwie schien mir niemand zu glauben. Wahrscheinlich, weil ich die Tränen kaum zurückhalten konnte. Warum ließen sie mich nicht einfach abreisen. Ich wollte mich doch nur verkriechen und meine Wunden lecken. Was interessierte die Familie Parker meine Probleme? Sollten die nicht Menschen erpressen, Drogen verkaufen oder sonst irgendwelche schlimmen Dinge tun? Je länger ich mit ihnen zusammen war, umso weniger konnte ich mir so etwas vorstellen.

»Was ist los, Charlie?« Devons Blick ging mir durch und durch. Die Besorgnis um mich war fast greifbar. So konnte niemand schauspielern. »Ist es wegen der Hochzeit? Hast du deshalb jetzt den Ärger?« Eigentlich wollte ich nicht antworten, denn er sollte sich nicht die Schuld daran geben. Aber als er Katja und Rayan bat, das Zimmer zu verlassen, damit wir Ruhe zum Reden hatten, beschloss ich, es doch zu tun. Rayan weigerte sich anfangs, zu gehen, da er der Meinung war, dass es alle anginge, was ich zu sagen hatte, nur Devon war da anderer Meinung.

»Charlie ist meine Ehefrau. Lass uns die Angelegenheit erst einmal unter vier Augen klären. Oder rennen Mom und Dad mit ihren Problemen zuerst zu jemand anderem? Nein, sie regeln das untereinander.« Rayan lachte böse auf.

»Du willst dich und Charlie ja wohl kaum mit unseren Eltern vergleichen. Sie lieben sich und kannten sich schon länger bei der Eheschließung. Sie hätten niemals betrunken irgendeinen völlig Fremden geheiratet.« Auch wenn er mit seinen Worten wahrscheinlich absolut recht hatte, so verletzten sie mich doch sehr. Natürlich hatten Devon und ich Mist gebaut und Mr. Superreich würde so etwas nie tun, aber deshalb musste er sich nun wirklich nicht gleich so aufspielen. Vielleicht sollte ich ihn zu Leah schicken, dann könnten die beiden gemeinsam über uns lästern.

»Rayan, das reicht jetzt. Lass uns gehen. Die beiden sind erwachsen und müssen das allein klären.« Katja versuchte, ihren Bruder zu beruhigen. Sie legte ihm dabei vorsichtig die Hand auf den Arm und zog ihn in Richtung der Tür. Währenddessen warf sie mir und Devon einen Blick zu, als wollte sie sich für sein Verhalten entschuldigen. Sie redete leise auf Rayan ein und tatsächlich schaffte sie es, dass ihr Bruder mit ihr zusammen das Zimmer verließ.

Kaum hatte sich die Tür hinter den beiden geschlossen, ging Devon zur Minibar und untersuchte den Inhalt. Unterdessen murmelte er irgendwas, scheinbar war das, was er vorfand, nicht nach seinem Geschmack, aber schließlich holte er einen Piccolo und zwei Sektgläser heraus.

»Lass uns erst einmal anstoßen und dann verrätst du mir, was passiert ist. Vielleicht kann ich dir ja helfen«, schlug er vor. Anstoßen? Damit fing der ganze Mist doch erst an.

»Danke, aber vom Trinken habe ich genug.« Sollte ich ihm echt alles erzählen? Ich kannte ihn schließlich kaum. Doch was für eine andere Wahl hatte ich eigentlich? Devon nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche und verzog angewidert das Gesicht.

»Ihhh ist das süß. Bloß das ist jetzt nicht das Thema, sag schon, was los ist, Charlie.« Ich überlegte nicht mehr länger, sondern beschloss, ihm wirklich alles zu berichten. Wenn ich fertig wäre, könnte ich ihn bitten, telefonieren zu dürfen, um mir ein Flugticket zu buchen. So musste ich das wenigstens nicht völlig verheult an der Rezeption tun. Devon hörte mir neugierig zu, ohne mich zu unterbrechen. Erst als ich geendet hatte, fing er an zu sprechen.

»Es tut mir leid, dass du wegen unserer Ehe jetzt Stress mit deiner Freundin hast. Aber vielleicht weiß ich eine Lösung für dein Problem. Es ist nur ein Vorschlag und du musst ihn nicht annehmen, bitte hör ihn dir erst in Ruhe an.« Das klang ja geheimnisvoll.

»Natürlich höre ich dir zu.« Was sollte ich auch sonst tun?

»Mein Bruder besitzt eine Yacht …« Was zum Teufel interessierte mich jetzt Rayans Boot? Im Moment hatte ich nun wirklich andere Sorgen. Trotzdem hörte ich ihm weiter zu »Jedenfalls haben wir gewettet, wer von uns zuerst eine längere Beziehung hat. Falls er gewinnt, bekommt er mein Penthouse und wenn ich gewinne, dann erhalte ich die Amyra, sein Schiff.«

»Und deshalb soll ich deine Freundin spielen?«, fragte ich völlig perplex.

»Wohl eher meine Ehefrau.« Er setzte ein Lächeln auf, das sonst bestimmt die Frauenherzen zum Schmelzen brachte. Aber mich ließ es kalt. »Keine Angst, ich erwarte nicht, dass du das umsonst tust. Du bekommst selbstverständlich eine Entschädigung dafür, außerdem kannst du in der Zeit kostenlos bei mir wohnen. Ich besitze eine riesige Wohnung, die ich eigentlich umbauen will. Aber das kann ich auch verschieben. Die ist groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen, es sei denn, du willst mehr …« Devon machte eine kunstvolle Pause und zwinkerte mir frech zu. Jedoch glaubte ich nicht, dass er das ernst meinte, zumindest den letzten Satz nicht, oder?

»Du willst also eine Scheinehe führen, um ein Boot bei einer Wette zu gewinnen?«, fragte ich ungläubig. Das konnte er jetzt nicht wirklich so meinen. Scheinbar allerdings doch, wie ich feststellen musste.

»Genau.« Er nickte begeistert. Ob der Mann – mein Ehemann – wohl nicht richtig tickte? Oder vielleicht war er spielsüchtig? So eine Idee konnte ja keinem normal denkenden Menschen einfallen.

»Ich hatte zwar nicht damit gerechnet, gleich zu heiraten. Aber eigentlich ist das der ideale Deal. Ich gewinne meine Wette und du hast eine Unterkunft in Chicago. In sechs Monaten lassen wir uns dann einfach scheiden, weil es nicht geklappt hat. Bis dahin hat deine Mitbewohnerin sich entweder wieder beruhigt, oder du suchst dir in aller Ruhe eine eigene Wohnung. Dabei kann ich dir auch gern helfen, schließlich bin ich Bauunternehmer und kenne mich in Chicago aus.« Im ersten Moment war ich sprachlos. Hatte er sich das schon vorher so zurechtgelegt und mich deshalb gestern geheiratet? Oder war er ebenso betrunken gewesen wie ich und wollte nun das für ihn Beste aus unserer Situation machen? Außerdem würden meine Eltern ausrasten, egal wann ich mich scheiden ließ.

»Hast du das alles geplant?«, fragte ich leise, nicht sicher, ob ich die Antwort darauf wirklich hören wollte.

»Was?« Er sah mich ehrlich erstaunt an. »Meinst du die Hochzeit? Nein, ich war gestern selbst betrunken und habe nur bruchstückhafte Erinnerungen an die Eheschließung. Irgendwie fand ich es wohl witzig, nur die Idee, die Ehe weiter zu führen, kam mir erst, als du mir von deinem Streit mit deiner Mitbewohnerin erzählt hast. Heute Morgen wollte ich dich nur ein klein wenig necken. Du sahst so entsetzt aus, als ich aus dem Bad kam. Dabei war ich selbst nach dem Aufwachen ebenfalls nicht gerade begeistert, als ich die Ringe sah.« Auf irgendeine Weise beruhigte mich das ein bisschen, so was konnte eigentlich niemand konkret vorher planen. Doch dann fiel mir etwas auf.

»Welche Ringe?«, fragte ich verwundert. Weder er noch ich trugen einen.

»Die lagen in einer offenen Schachtel auf meinem Nachtschrank. Ich glaube, wir wollten sie erst anpassen lassen, da deiner viel zu groß und meiner etwas eng war. So genau weiß ich das aber auch nicht mehr«, erklärte Devon. »Ich hatte sie mit ins Badezimmer genommen, damit du sie nicht entdeckst und davon rennen würdest, ehe wir miteinander geredet haben. Willst du sie sehen?« Ich wusste nicht, ob ich das wollte. Der Anblick der Ringe würde diese Ehe irgendwie viel greifbarer machen. Bisher hatte ich schließlich nur Devons Aussage, dass wir geheiratet hatten, möglicherweise war das ja alles nur ein Scherz. Dann freilich ein geschmackloser. Musste es nicht auch irgendwelche Papiere geben?

»Ja, ich will die Ringe sehen und vor allem die Heiratsurkunde.« Wo hatten wir eigentlich so schnell eine Heiratslizenz her? Vielleicht war es ja doch alles nicht wahr und Devon hatte einfach nur eine komische Art von Humor. Das konnte ich zwar im Grunde genommen ebenfalls nicht glauben, nur ein kleiner Funken Hoffnung flackerte dennoch auf. Allerdings löschte Devon ihn gleich wieder, indem er mir das Gewünschte reichte. Nun hielt ich es schwarz auf weiß in der Hand, dass Charlotte Rose Parker, geborene Simmons und Devon Parker am 21. Mai diesen Jahres geheiratet hatten.

»Die Heiratserlaubnis ging hier ganz schnell. Wir mussten keine zwanzig Minuten darauf warten und in der Zeit haben wir die Ringe ausgesucht.« Mit diesen Worten überreichte Devon mir die Schachtel. Hatte ich bis gerade noch auf einen Billigring aus Edelstahl gehofft. Oder noch besser, auf ein Plastikteil aus dem Kaugummi-Automaten, zeigte mir allein schon die Aufschrift ›Cartier‹, dass es sich hier nicht um günstiges Spielzeug handelte. Dabei konnte ich mir ein echtes Schmuckstück nur schwer leisten. Ich traute mich kaum sie zu öffnen. Erst als Devon neben mir ungeduldig anfing herumzuzappeln, tat ich es doch und wurde angenehm überrascht. Das war zwar absolut sicher kein billiger Ring, aber dafür gefiel mir das schlichte Weißgold ausnehmend gut.

»Du wolltest nichts mit Edelstein«, erklärte Devon mir und gab mir den Ring. Ich war froh, dass ich auch betrunken noch etwas Geschmack bewiesen hatte.

»Und, denkst du über mein Angebot nach? Du musst dich ja nicht gleich entscheiden. Wir können zusammen mit meinen Geschwistern nach Chicago fliegen und ich zeige dir erst einmal mein Haus und dann sehen wir weiter. Allerdings hoffe ich sehr, dass du zusagst. Du bist mir sympathisch und ich denke, wir würden es schon eine Zeit lang miteinander aushalten.« Ich zögerte noch. Sollte das die Lösung für meine Probleme sein, oder war es einfach eine Schnapsidee? Ich wusste es nicht und es gab niemanden, den ich um Rat fragen konnte.

»Ich denke darüber nach.« Zu mehr Zugeständnissen war ich im Moment noch nicht bereit. Eine leise Stimme in mir sagte, dass ich mich damit selbst verkaufen würde und dann nicht besser wäre, als Leah über mich dachte.

Charlie
Hochzeitsfotos der anderen Art

Ich saß in Devons Hotelzimmer auf dem Bett und spielte gedankenverloren mit dem Ring – meinem Ehering – der an meinem Finger wirklich toll aussah, wie ich zugeben musste. Mein frisch gebackener Ehemann hatte das Zimmer verlassen, um mit seinen Geschwistern zu reden. Zumindest hatte er das gesagt, aber ich hatte das Gefühl, er versuchte mir einfach nur die Ruhe zu geben, damit ich ungestört über seinen Vorschlag nachdenken konnte. Im Grunde genommen gab es da gar nicht viel nachzudenken, eine Scheinehe mit dem Bruder eines angeblichen Mafioso einzugehen, kam echt nicht in Frage. Eigentlich hatte ich gerade beschlossen, dass ich Devons Angebot ausschlagen würde, als mein Handy klingelte. Ich warf einen Blick auf das Display, in der Hoffnung Leahs Namen dort zu lesen, die sich entschuldigen wollte. Wenn wir uns wieder vertrugen, würde das eine Menge Probleme lösen. Leider rief mich nicht Leah an, sondern meine Mutter. Sofort läuteten bei mir alle Alarmglocken. Um diese Uhrzeit meldete sie sich sonst nie, der Gottesdienst war schließlich erst vor ein paar Minuten beendet und damit begann die Zeit für die Sonntagsschule. Außerdem wusste sie, dass ich dieses Wochenende mit Leah und Nadja in Vegas verbrachte.

»Hallo, Mom.« Weiter kam ich nicht, da sie mir direkt ins Wort fiel.

»Charlie!«, schrie sie fast und ich hielt das Telefon automatisch ein Stück vom Ohr weg. Trotzdem verstand ich jedes Wort, und sackte nach und nach immer mehr in mich zusammen. Wieso ging nur alles schief?

»Wie konntest du heiraten, ohne uns vorher auch nur zu sagen, dass du einen Freund hast? Woher kennst du diesen Parker?« Verdammt! Aus welcher Quelle hatte sie nur ihre Informationen. Ich versuchte, ihr zu antworten, doch sie ließ mich gar nicht zu Wort kommen. »Weshalb heiratest du nicht in einem vernünftigen Hochzeitskleid und in einer Kirche, wie es sich gehört? Ich dachte, du würdest mit Leah eine neue Wohnung in Chicago beziehen, war das alles nur eine Ausrede? Und warum musste ich aus dem Internet erfahren, dass meine Tochter geheiratet hat? Weißt du eigentlich, was du deinem Vater damit antust?« Wieso stand irgendetwas über diese verfluchte Hochzeit im Netz? Und woher wusste Mom, was ich gestern getragen hatte? Gab es sogar Fotos von unserer Trauung? Hatte Devon etwas damit zu tun, um mir keine andere Wahl zu lassen als zuzustimmen?

»Charlotte Rose Simmons! Hörst du mir überhaupt zu? Sag endlich irgendetwas!« Offenbar hatte meine Mutter nun doch aufgehört, mich mit Fragen zu bombardieren, und erwartete eine Antwort von mir. Eine, die ich selbst nicht kannte.

»Mom … Das ist kompliziert … war auch nicht geplant …«, stammelte ich mir zurecht. Wie sollte ich ihr das auch erklären? Als Pastorentochter hatte ich die Einstellung zur Ehe sozusagen mit der Muttermilch eingetrichtert bekommen. Der heilige Bund der Ehe.

»Wie meinst du das?«, fragte meine Mutter völlig perplex. Schließlich kannte sie mich und wusste, dass ich normalerweise nie so handeln würde. »Was meinst du damit? Du bist doch nicht der Typ, der einfach so heiratet. Erst vor ein paar Wochen hast du mir erzählt, dass du so schnell nicht heiraten willst. Kanntest du da diesen Kerl bereits? Hat er dich bedrängt, weil du keusch bleiben wolltest bis zur Eheschließung? Das ist der Grund, oder?«

»Devon. Er heißt Devon.« Die Antwort klang selten dämlich, aber was sollte ich ihr sagen? Die Wahrheit kam kaum infrage. Es würde ihr das Herz brechen, wenn sie erfuhr, dass ich meinen Ehemann vorgestern zum ersten Mal getroffen hatte und diese Ehe schnellstens wieder auflösen wollte. Allein das war schon der Supergau. Wenn allerdings die Presse auch gegenwärtig darüber berichtete, würde das noch viel komplizierter werden. Eine zündende Idee musste her.

»Mom, ich komme nächstes Wochenende nach Texas und dann erkläre ich euch die Geschichte haarklein. Es wird alles gut.« Noch wusste ich zwar wirklich nicht, in welcher Weise es sich regeln sollte, nur im Augenblick beruhigte es sie. »Jetzt muss ich leider Schluss machen, sonst verpassen wir unseren Flug.« Das war zwar eine Ausrede, aber ich musste erst einmal alles ordnen, ehe ich mit ihr reden konnte.

»Melde dich bitte, wann du ankommst, Charlie«, bat sie und ich versprach, ihr meine Ankunftszeit mitzuteilen, sowie ich sie wusste.

»Bye, Mom. Ich hab dich lieb. Grüß Dad bitte herzlich von mir und sag ihm, er soll nicht zu enttäuscht von mir sein.« Es brach mir das Herz, das aussprechen zu müssen.

»Bis bald, Kleines. Ich hoffe, du hast nicht nur geheiratet, weil du es musstest«, sagte sie noch, ehe sie auflegte. Am liebsten hätte ich laut geschrien. Jetzt hielt sie mich auch noch für schwanger. Was war nur aus meinem wohlgeordneten Leben geworden? Ich beschloss, so schnell wie möglich herauszufinden, was im Internet über uns stand. Mein Handy war nun allerdings leer und das Ladekabel lag leider noch bei Leah im Zimmer. Dort konnte ich jetzt nicht hin, um nach Nachrichten zu googeln. Ob Devon einen Laptop hier hatte, den ich benutzen durfte? Gerade als ich mich suchend im Raum umsah, kam Devon wieder herein und strahlte mich an.

»Ich habe alles geregelt«, erklärte er fröhlich. »Wir fliegen in zwei Stunden zusammen mit Katja und Rayan in seinem Privatflugzeug nach Chicago. Noch weiß ja niemand von unserer Hochzeit, also können wir relativ unbelastet nach Hause reisen. Dort zeige ich dir erst einmal meine Wohnung, damit du weißt, worauf du dich einlässt, falls du mein Angebot annimmst.« Scheiße! Er wusste noch nichts von den Bildern im Internet. Nun musste ich ihn wohl aufklären.

»Was guckst du so erschrocken, Charlie?« Er sah dabei ehrlich besorgt aus.

»Leider wissen anscheinend doch schon einige Leute über unsere Heirat Bescheid, meine Mutter …« Ich setzte gerade zu einer Erklärung an, als es kräftig gegen die Tür hämmerte. Devon beeilte sich, diese zu öffnen, und ein stinksaurer Rayan stürmte herein. Ohne seinen Bruder zu beachten, kam er auf mich zu und ich wich automatisch ein Stück zurück. Wenn er sich so gab, glaubte ich die Mafiagerüchte sofort. Er sah aus, als wollte er mich am liebsten umbringen. Dann straffte ich jedoch die Schultern und ging ihm entgegen. Schließlich hatte ich mir nichts vorzuwerfen, das seine Wut verdiente.

»Hast du etwas damit zu tun? Denkst du, dass du so noch mehr Geld bekommen kannst?«, fauchte er mich an. Die Verachtung für mich war deutlich in seinen Augen zu erkennen und verletzte mich sehr. Unterm Strich hatte ich ihm nun schon mehrfach gesagt, dass ich kein Geld wollte. Aber scheinbar war das das Einzige, was ihn interessierte.

»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, dennoch verbitte ich mir diesen Ton!«, schimpfte ich los. Angriff war doch die beste Verteidigung, oder? »Nicht alles im Leben dreht sich nur um Geld.«

»Dann erklär mir bitte, wie diese Fotos und Meldungen ins Internet kommen«, forderte er mich auf und hielt mir sein Smartphone vor die Nase. In der dort geöffneten Mail sah ich mehrere Screenshots von Schlagzeilen.

Devon Parker, einer der begehrtesten Junggesellen Chicagos, ist vom Markt.

Wer ist die unbekannte Schöne?

 

Studentin angelt sich Bauunternehmer

 

Sohn der Mafiafamilie heiratet Pastorentochter. Wendet er sich von der Familie ab?

 

Blitzhochzeit! Devon Parker heiratet in Las Vegas

 

Wer ist Charlotte Simmons, die Braut von Devon Parker? Lesen Sie bei uns die ganze Wahrheit

 

 

Ich scrollte weiter, da sich vieles wiederholte. Allerdings war es wirklich erschreckend, wie viele Berichte es gab. Verdammte Scheiße. Hoffentlich hatte Mom die Artikel mit den Mafiagerüchten nicht gelesen. Sonst würde sie ausrasten. Überall gab es Schlagzeilen und die meisten mit Bildern. Darunter waren Fotos von Devon und mir von gestern Abend. Wir in einer Kapelle vor einem Elvis Imitator.

Devon, der mir den Ring ansteckte.

Wir beide, wie wir uns küssten.

Ein Foto, wie wir das Hotel betraten …

Ich hielt Devon das Handy hin, damit er es sich ebenfalls ansehen konnte. Doch im Gegensatz zu Rayan und mir, schien er es eher amüsant als grauenhaft zu finden.

»Dann haben wir wenigstens ein paar Hochzeitsfotos«, erklärte er seelenruhig. Woraufhin nicht nur ich ihm böse Blicke zuwarf. Sein Bruder fand das wohl genauso schrecklich wie ich.

»Ihr solltet euch sehen«, lachte Devon nun außerdem noch. »Ihr habt beide den gleichen Gesichtsausdruck. Aber was nutzt es jetzt, sich aufzuregen? Die Sache ist passiert, die Meldungen kriegen wir sowieso nicht mehr aus dem Internet und warum sollten wir uns da groß aufregen. Wir sind ja wirklich verheiratet.«

»Und die Gerüchte über unsere Familie? Soll ich das etwa witzig finden? Zumal deine ›Ehefrau‹ Journalistin ist. Vielleicht will sie ja auch nur eine Enthüllungsstory über uns schreiben. Hast du daran schon mal gedacht?« War etwa doch was dran? Bevor ich allerdings weiter über diese Möglichkeit nachdenken konnte, klingelte Rayans Handy in Devons Hand. Der wollte es an seinen Bruder zurückgeben, doch der warf nur einen Blick auf das Display und schüttelte den Kopf

»Das ist Mom, mit der kannst du dich auseinandersetzen. Vermutlich versucht sie sowieso, dich zu erreichen.« Rayan grinste hinterhältig und Devon ging seufzend ans Telefon.

»Hallo, Mom«, meldete er sich und hielt dann das Handy ein Stück vom Ohr weg.

»Devon Parker! Was hast du getan?«, hörte ich eine weibliche Stimme bis hierher schimpfen. Unsere erste Gemeinsamkeit. Unsere Mütter benutzten beide den vollen Namen, wenn wir Mist bauten. Devon lief ein paar Schritte von uns weg und probierte, etwas zu sagen. Aber offensichtlich ließ auch seine Mutter ihn kaum zu Wort kommen. Nun musste ich mir wirklich ein Lachen verkneifen. Ihm erging es also echt nicht besser als mir. Wahrscheinlich war keine Mutter begeistert, wenn sie aus dem Internet oder der Zeitung erfahren musste, dass ihr Kind geheiratet hatte.

Er versuchte erneut, das Wort zu ergreifen, konnte aber meist nur einen halben Satz sagen, ehe er wieder unterbrochen wurde. Dabei war er erstaunlich ehrlich und gab zu, dass wir uns nur flüchtig kannten und beide betrunken gewesen waren. Ich wollte gar nicht wissen, was Mrs. Parker deshalb von mir hielt. Wahrscheinlich dachte auch sie, dass ich nur auf Geld aus war und ihren Sohn überrumpelt hatte.

»Ich möchte es versuchen, Mom … Ja, natürlich stelle ich sie euch vor, wenn wir in Chicago sind. Charlie ist bezaubernd, das kannst du mir glauben.« Devon warf mir dabei einen bittenden Blick zu. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als zu nicken. Wer zusammen Mist baute, musste es auch gemeinsam ausbaden. Vielleicht sollte ich das Angebot tatsächlich annehmen, allein schon, um unsere Mütter zu beruhigen.

Devon war mir sympathisch und eventuell konnte ja sogar mehr daraus werden, als nur eine Scheinehe. Obwohl ich bisher wirklich keine romantischen Gefühle für ihn hatte. Allerdings wusste man ja nie und wir entwickelten vielleicht beim Zusammenleben welche und wenn nicht, dann würden wir uns eben in sechs Monaten scheiden lassen. Was hatte ich zu verlieren? Leah, flüsterte meine innere Stimme, bloß die ignorierte ich. Mit der Zeit würde sie sich bestimmt auch wieder beruhigen und wir könnten uns vertragen. Rayan trat näher an mich heran und sofort spürte ich ein Kribbeln auf der Haut.

»Das Treffen mit meinen Eltern lasse ich mir nicht entgehen«, flüsterte er. »Du weißt hoffentlich, dass mein Vater Anwalt ist.« Das wusste ich, aber warum sollte mich das stören? Außerdem betonte er es so komisch. Schließlich hatte ich kein Verbrechen begangen, sondern nur geheiratet. Ungeachtet der Tatsache, dass Rayan das wohl anders sah, oder dachte, dass ich nicht in diese Welt passen würde. Vielleicht wollte er mir ja damit auch nur unterschwellig zu verstehen geben, dass sein Vater eben nicht nur Anwalt war, sondern doch etwas mit der Mafia zu tun hatte. Wahrscheinlich war ich völlig verrückt, aber ich würde mich nicht von ihm oder seiner Familie einschüchtern lassen. Das nahm ich mir fest vor.

Charlie
Widersprüchliche Gefühle

Im Anschluss an das Telefonat besprachen Devon und Rayan, wann wir abfliegen würden. Dass ich mit ihnen zusammen nach Chicago flog, schien Mr. Megawichtig nicht so sehr zu stören, was mich ehrlich gesagt etwas wunderte. Als alles geklärt war, schickte ich Leah und Nadja jeweils eine Nachricht, dass ich nicht mit ihnen zurückflog. Von Leah kam keine Antwort, aber Nadja textete sofort zurück:

 

Es tut mir leid, was gestern passiert ist. Ich hätte dich nie mit diesem Kerl allein lassen dürfen. Leah kriegt sich bestimmt auch bald wieder ein und dann ist alles beim Alten.

 

Als ich das las, musste ich ein Lachen unterdrücken, obwohl es alles andere als witzig war. Ohne ihre Anmache säße ich nun nicht im Schlamassel. Die Zeit konnten wir nun einmal nicht mehr zurückdrehen und deshalb würde es auch nie wieder werden, wie vor dieser Reise. Alle Fragen über hätte, wäre und wenn erübrigten sich. Vor allem jetzt, da unsere Eltern Bescheid wussten. Mein Dad betete wahrscheinlich schon seit Stunden für mich und mein Seelenheil.

 

Es tut mir wirklich leid, Charlie!

 

Ich fragte mich zwar, ob sie ihren Kuss-Versuch meinte, oder dass sie mir nie etwas über ihre Gefühle für mich gesagt hatte. Oder dass sie mich allein gelassen hatte, aber im Grunde war das egal und ich eigentlich nur froh, gestern nicht sie geheiratet zu haben. Denn mich interessierte zwar nicht, ob sie auf Frauen stand, bloß ich tat es definitiv nicht.

Ist schon in Ordnung, schrieb ich Nadja zurück, nachdem ich den ursprünglichen Text, in dem stand, dass sie an allem schuld war, gelöscht hatte.

»Und was schreibst du jetzt schon wieder?« Rayans Stimme erklang plötzlich direkt an meinem Ohr. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er mir so nahe gekommen war, und bekam augenblicklich eine Gänsehaut. Dabei konnte ich nicht einmal sagen, ob aufgrund seiner Nähe oder seines arroganten Tonfalls. »Musst du ein paar Interview-Termine ausmachen?«

»Ich gebe ganz sicher keine Interviews. Ich habe nur Leah und Nadja geschrieben, dass ich nicht mit ihnen zurückfliege.« Der Kerl brachte echt die schlimmsten Seiten an mir zum Vorschein. So zickig war ich sonst nie. Aber im Moment reichte seine Art allein bereits aus, um mich wirklich zum Kochen zu bringen. Ich verstand selber nicht, warum ich mich einerseits vor ihm rechtfertigte und mich gleichzeitig darüber aufregte.

»Dann informiert möglicherweise eine deiner tollen Freundinnen die Presse, schließlich willst du Journalistin werden und so ein Artikel über die Familie Parker wäre doch ein gutes Sprungbrett für deine Karriere.« Die Verachtung hörte ich in jedem einzelnen Wort.

»Das würden weder ich noch sie jemals tun. Sie sind meine Freunde«, widersprach ich und ignorierte dabei die leise Stimme, die meinte, dass Freunde sich nicht wie Leah vorhin aufführten. Vermutlich taten ihr ihre Worte sowieso schon längst leid.

»Vielleicht ist diese Heirat auch nur ein Trick, um einen besseren Bericht schreiben zu können. Und da sie trotz ihrer Flirterei gestern nicht bei Devon landen konnte, hast du diesen Part übernommen«, spekulierte Rayan weiter. Litt er etwa unter Verfolgungswahn?

»Ich weiß nicht, was du für Medikamente nimmst, aber entweder solltest du mehr oder weniger davon nehmen. Deine Ideen sind doch krank«, konterte ich. So schlagfertig war ich sonst selten, bloß Rayan regte mich furchtbar auf. Mittlerweile standen wir uns gegenüber und funkelten uns böse an. Wenn ich nicht so sauer wäre, dann würde mir sein Blick wahrscheinlich Angst machen, nur so brachte er mich nur noch mehr auf. Falls er wirklich mit der Mafia zu tun hatte, würde er mich aller Voraussicht nach so oder so aus dem Weg räumen. Warum sollte ich also jetzt vor ihm kuschen? Devon schien das Ganze witzig zu finden, denn auf einmal lachte er laut los.

»Was ist so lustig?«, fragten Rayan und ich nicht nur gleichzeitig, sondern auch noch mit ähnlich genervtem Tonfall, was Devon noch mehr zum Lachen brachte.

»Ihr solltet euch mal sehen und euch hören. Ihr seid aus demselben Holz geschnitzt. Zwei Dickköpfe, die nicht nachgeben wollen.« Nun lachte er aus vollem Halse und es dauerte einen Augenblick, ehe er weitersprechen konnte. »Vielleicht hättet ihr beide euch trauen lassen sollen, das wäre spaßig geworden. Bloß wahrscheinlich hätte es da weder eine Annullierung noch eine Scheidung gegeben, sondern eher einen Mord.« Ihn schien die Vorstellung sehr zu amüsieren, ganz im Gegensatz zu mir. Rayan brachte mich völlig aus dem Konzept, so kannte ich mich gar nicht. Warum nur hatte dieser Mann so eine Wirkung auf mich? Und irgendwie sorgte die Anspielung auf den Mord für ein ganz mieses Gefühl in meinem Bauch. Wie viel Ernst steckte in dieser Aussage?

»Devon, es reicht«, tadelte Rayan ihn mit kalter Stimme. »Abgesehen davon, dass ich niemals betrunken heiraten würde, wäre Charlotte sicher die Letzte, die ich als meine Braut wählen würde. Und jetzt lasse ich euch allein, ich habe noch zu tun. Wir sehen uns in zwei Stunden am Wagen, um zum Flughafen zu fahren.« Nach dieser nicht gerade netten Ansprache rauschte er regelrecht aus dem Zimmer. Erst als die Tür mit einem leisen Klick schloss, merkte ich, wie sehr mich seine Worte doch trafen und das, obwohl ich ihn ebenfalls ganz sicher nicht ausgesucht hätte.

»Arrogantes Arschloch«, murmelte ich und brachte damit Devon wieder zum Lachen.

»Ein Familiendinner mit euch beiden, wird ganz gewiss witzig«, meinte er.

»Wenn es denn eins geben sollte«, antwortete ich bissig. Wie konnte er das nur alles so lustig finden?

»Noch habe ich nicht zugestimmt. Ich kann diese Ehe auch ganz schnell beenden, falls der Rest deiner Familie genauso ist wie dein Bruder.« Verdammt, wieso zog ich überhaupt ernsthaft in Erwägung mit einem Mitglied einer Mafiafamilie verheiratet zu bleiben? Okay, noch blieb die Möglichkeit, dass alles nur Gerüchte waren. Jedoch deshalb das Risiko eingehen? Nur, um meine Eltern nicht mit einer Scheidung vor den Kopf zu stoßen?

»Rayan ist einmalig, das verspreche ich dir und normalerweise sieht die Familie ihn sowieso kaum.« Devon lächelte mir aufmunternd zu. »Katja hat ihn wochenlang bearbeitet, damit er mit hierher fliegt. Für den Fall, dass du zustimmst, was ich sehr hoffe, wirst du ihn fast nie zu Gesicht bekommen.« Einerseits fühlte ich mich deswegen erleichtert, bloß gleichzeitig auch ein bisschen traurig. Was war nur mit mir los? Vielleicht litt ich an einer Vorstufe des Wahnsinns. Devon und ich beschlossen, uns nach diesem aufregenden Vormittag noch ein klein wenig hinzulegen und zu schlafen, bis wir losmussten. Zuerst wollte ich nicht das Bett mit ihm teilen, aber er nahm mir schnell die Angst.

»Letzte Nacht haben wir genauso nebeneinander geschlafen, ohne dass ich dir etwas getan habe. Damit fange ich jetzt nicht an. Mach also die Augen zu und sei still.« Wenig später schlief ich tatsächlich bereits tief und fest. Erst das anhaltende Klingeln eines Handys weckte uns wieder, beziehungsweise mich. Devon zog sich das Kissen über den Kopf und grummelte nur irgendetwas in seinen nicht vorhandenen Bart.

»Devon, dein Handy klingelt, nun geh endlich dran.« Ich nahm das Gerät vom Nachtschrank und hielt es ihm hin, bloß er dachte gar nicht daran, es mir abzunehmen.

»Geh du dran«, grummelte er und drückte sich das Kissen noch fester gegen die Ohren. Das meinte er jetzt nicht wirklich so, oder? Ich konnte doch nicht so einfach an sein Telefon gehen. Ein Handy gehörte für mich zu den Sachen, die absolute Privatsphäre bedeuteten. Da das Ding aber unbeirrt weiter nervte und Devon gar nicht daran dachte, sich zu bewegen, nahm ich das Telefon zumindest noch einmal in die Hand und blickte auf das Display. Rayan stand dort, nur was mich viel mehr erschreckte, war die Uhrzeit.

»Scheiße!«, rief ich laut und griff nach dem Kissen unter dem Devon sich versteckte. »Wir haben verschlafen und sollten uns schon vor zehn Minuten unten mit deinen Geschwistern treffen.« Devon murmelte nur irgendetwas und holte sich seine Deckung, die ich ihm weggezogen hatte, zurück, ohne dabei richtig wach zu werden. Wieder klingelte sein Handy und er machte keinerlei Anstalten zu reagieren. Wie konnte ein Mensch nur so tief schlafen? Das Ding bimmelte immer fünf Mal und dann kam eine kurze Pause, ehe es von vorne losging. Ich versuchte erneut, ihn zu wecken. Weiterhin ohne Erfolg. Irgendwann überwand ich mich und ging doch selbst dran. Hoffentlich würde mein ›Ehemann‹ später nicht böse deshalb sein.

»Ja?« Vorsichtshalber hielt ich das Handy ein Stück weg, um dem erwarteten Donnerwetter zu entgehen.

»Devon?«, fragte eine weibliche Stimme, die ich nicht kannte, zurück. Das war diesmal eindeutig nicht Rayan. Einerseits fühlte ich mich erleichtert, aber gleichzeitig etwas enttäuscht.

»Devon schläft. Kann ich etwas ausrichten?« Ich hoffte, dass es nicht seine Freundin war, die jetzt vielleicht explodieren würde. Ich sollte ihn unbedingt fragen, ob er eine hatte. Auch wenn wir keine echte Ehe führen würden, so durfte ich dennoch nicht zulassen, dass er eine andere Frau wegen mir verletzte. Dabei ignorierte ich mein Unterbewusstsein, das mich fragte, wann ich mich dazu entschieden hatte, diese Ehe nicht annullieren zu lassen.

»Sind Sie seine Ehefrau?« Die Frau klang eher belustigt als böse. Trotzdem schluckte ich trocken, ehe ich es bejahte.

»Hier spricht Amyra Parker, Devons Mutter.« Zu meiner Überraschung hörte sich die Frau gar nicht sauer an, sondern total freundlich. Außerdem klang ihre Stimme so jung und nicht so, als könnte sie erwachsene Kinder haben. Es fiel mir schwer, das zu glauben. »Wecken Sie ihn bitte? Ich muss dringend mit ihm sprechen.«

»Ich versuche es schon die ganze Zeit, da Katja und Rayan auf uns warten, bisher aber erfolglos«, gab ich zu und Mrs. Parker lachte laut. Wie konnte so eine nette Frau so einen grantigen Sohn wie Rayan aufgezogen haben?

»Das kenne ich. Halten Sie ihm mal das Handy ans Ohr, vielleicht bekomme ich ihn geweckt.« Ich tat, was sie mir gesagt hatte und obwohl sie nicht besonders laut sprach, denn ich verstand kein Wort, war Devon augenblicklich wach. Falls wir zusammenbleiben würden, musste seine Mutter mir unbedingt verraten, wie sie das gemacht hatte. Während Devon mit seiner Mutter redete oder ihr eher zuhörte, denn er selbst sagte nicht viel, packten wir schnell seine Sachen zusammen, die noch im Hotelzimmer herumlagen. Wir mussten seine Geschwister ja nicht noch länger warten lassen als nötig.

»Ja, Mom … Ja … Nein … Natürlich nicht … Mache ich …« Aus seinen Worten konnte ich leider nichts über den Inhalt des Gesprächs erahnen. »Komm, wir müssen sofort zu Rayan«, sagte er zu mir, nachdem er aufgelegt hatte. »In Chicago befindet sich eine Horde Paparazzi vor dem Haus meiner Eltern, da irgendwo steht, dass er geheiratet hätte. Rayan bringt mich um.« Schon wieder diese Andeutung auf Mord. Wie konnte er nur Witze darüber machen? Das waren ja tolle Aussichten. Und dann noch Paparazzi. Obwohl ich selbst Journalistin werden wollte, hasste ich solche Menschen, die nur den Sensationen hinterherjagten. Auf dieses Niveau würde ich mich niemals herab begeben. Aber jetzt sollte ich vielleicht über etwas anderes nachdenken, als über meine Karriere. Selbst wenn ich wollte, konnte ich diese Ehe jetzt vermutlich nicht mehr so einfach annullieren lassen. Die Presse würde sich wahrscheinlich trotzdem auf mich stürzen.

Rayan
Heimflug

Nervös lief ich in der Lobby dieses verdammten Hotels auf und ab und versuchte zum wiederholten Male, meinen dämlichen Bruder zu erreichen. Der Kerl ging einfach nicht ans Telefon und nun erreichte ich sogar nur noch die Mobilbox. Langsam fiel es mir schwer, meine Wut zu unterdrücken. Wir hatten genau besprochen, wann wir uns hier unten treffen wollten und wenn ich eines absolut nicht ertragen konnte, dann war es Unpünktlichkeit. Jeder andere müsste dafür bezahlen, nicht unbedingt mit seinem Leben, aber auch das war schon vorgekommen. Irgendwie musste ich mir ja Respekt verschaffen. Nur Mom würde es mir nie verzeihen, falls ich ihrem Goldjungen etwas antat. Also beherrschte ich mich, selbst wenn es mir schwerfiel.

An allem trug wahrscheinlich nur diese kleine brünette Hexe die Schuld. Sie hatte ihn sicher verführt und deshalb vergaß er die Zeit. Dafür würde ich sie am liebsten in meinem speziellen Zimmer über den Strafbock legen und ihr für jede Minute Verspätung einen Schlag verpassen, damit sie in Zukunft pünktlich wäre. Jeder Funken Mitgefühl, den ich vielleicht noch vorhin für sie gehabt hatte, verschwand nun endgültig. Ich würde ihr jetzt gern einen anderen Grund zum Weinen geben. Vorzugsweise mit einem Rohrstock auf ihrem Arsch, damit dieses richtig glühte. Schnell verdrängte ich den Gedanken daran, wie ihr Hintern sich langsam rot färben könnte. Sie gehörte Devon und damit bestand ein absolutes Tabu für mich, sie anzufassen. Ich fing grundsätzlich nichts mit vergebenen Sklavinnen oder Frauen aus dem Bekanntenkreis an. Und schon gar nicht mit der Ehefrau meines Bruders. Obwohl ich manchmal davon träumte, mir einfach eine Frau zu entführen und sie zu meiner persönlichen Sklavin abzurichten, tat ich es allerdings trotzdem nie. Aber träumen durfte man ja. Charlie stände da ganz oben auf meiner Wunschliste, doch mein Vater war gegen Menschenhandel. Drogen – ja. Schutzgelderpressung, Glücksspiel – alles in Ordnung. Auch Prostitution, aber niemals unfreiwillig. Das war sein Motto, an das ich mich zu halten hatte, wenn ich der Chef bleiben wollte.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752107128
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Juli)
Schlagworte
Mafia Liebesroman Hochzeit Romance Las Vegas

Autor

  • Alina Jipp (Autor:in)

Alina Jipp wurde 1981 in einem kleinen Ort im Harz geboren und lebt, nach einigen Jahren an der Nordsee, nun mit ihren Kindern wieder dort. Sie liebt beides, die See und die Berge und würde am liebsten ständig pendeln. Das Schreiben ist ihr Ausgleich vom oft sehr stressigen Alltag, auch wenn sie erst 2013 damit angefangen hat, nun kann sie nicht mehr damit aufhören.