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Eisenkind - Psychothriller

von Arne M. Boehler (Autor:in)
392 Seiten

Zusammenfassung

Emil Thälmann war der Frontmann der umstrittenen, aber erfolgreichen Rockband EISENKIND. Er hat seine satanischen Bühnenshows hinter sich gelassen und sich ins Privatleben zurückgezogen. Als ein zwielichtiger Fan bei ihm auftaucht und ihn zu einem Comeback bewegen will, weist Thälmann ihm die Tür. Dann geschieht ein Mord, der auffallend an die blutigen Taten eines nie geschnappten Serienkillers erinnert. Mit ungeahnter Wucht holt den Sänger seine düstere Vergangenheit wieder ein ...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Table of Contents

Titel

Widmung

Wer nie ...

Prolog

Teil 1

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Teil 2

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

Teil 3

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

Dank

An meine Leser

Das Weinen der Kinder

Totsee

Leseprobe Totsee

Prolog/Kapitel 1

Impressum

 

 

 

 

 

EISENKIND

 

Psychothriller

 

 

 

In Erinnerung an

 

RONNIE JAMES DIO

(1942-2010),

 

den größten aller kleinen Sänger.

 

 

Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

Ihr führt ins Leben uns hinein,
Ihr laßt den Armen schuldig werden,
Dann überlaßt ihr ihn der Pein;
Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

(J.W. Goethe – Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1795)

PROLOG

 

Meine Psychotherapeutin hat gut an mir verdient. Das war vor über zwanzig Jahren, und ich war ihr prominentester Patient. Ich mochte Doktor Hell und ihre Metaphern, mit denen sie komplizierte seelische Vorgänge verständlich erklärte. Sie hat das menschliche Unterbewusstsein einmal mit einem Bergwerk verglichen. Bei den meisten Menschen seien dort Erlebnisse und Erinnerungen zu taubem Gestein erstarrt, aber bei manchen Zeitgenossen befänden sich tief unten auch dünne Adern aus wertvollen Rohstoffen – und in ganz seltenen Fällen sogar Vorkommen von Diamanten.

So wie bei mir.

Aber es lauerten dort auch Gefahren, sagte sie.

So wie bei mir.

Ein wiederkehrender Albtraum hatte mich in Doktor Hells Praxis getrieben, eine unerklärliche Angst, die mich seit Langem plagte. Als Auslöser der Persönlichkeitsstörung verdächtigte sie sofort die Drogen, die ich im Laufe meiner Karriere geraucht, geschnieft, geschluckt und injiziert hatte, das Heroin und vor allem das verfluchte LSD. Nach einem schmerzhaften Entzug und etlichen Wochen in ihrer Klinik gab sie Entwarnung. Ich sei nicht schizophren, aber meine bereits in der Kindheit stark entwickelte Fantasie spiele mir Streiche, wenn ich unter der großen psychischen Belastung stünde, die mein Job mit sich bringe. Dass da noch viel mehr war, hat auch Doktor Hell nicht herausgefunden.

Sie empfahl mir aber dringend, den Beruf an den Nagel zu hängen, zumindest eine Zeit lang, um den angestauten Stress abzubauen. Nach längerem Zaudern folgte ich ihrem Rat, und meine Psychose verschwand von einem Tag auf den anderen.

Der glückliche Zustand hielt zwei Dekaden an.

Dann kehrte der Albtraum zurück, tief aus dem Bergwerk meiner Seele, und mit ihm die Angst, schlimmer als je zuvor.

Ich vermute, dass Doktor Hell nie ein echtes Bergwerk von innen gesehen hat, ganz im Gegensatz zu mir. Ich befinde mich gerade in so einem gottverdammten Stollen, grausame Ironie des Schicksals. Gegen meinen Willen sitze ich tausend Meter unter dem Erdboden, gefesselt an einen grob gezimmerten Sessel aus amerikanischer Eiche. Mein Kopf wummert, mein Atem riecht abgestanden, meine Kehle ist trockener als die Wüste Gobi.

Scheiß Alkohol. Scheiß Drogen.

Ich bin mir absolut sicher, dass das hier real ist und keiner meiner Albträume. So ein grausames Szenario könnte meine Fantasie in tausend Jahren nicht ersinnen.

Drei Glatzköpfe starren mich aus dem Zwielicht an, eine Frau und zwei Männer. Sie sind gefesselt so wie ich. Ihre verstörten Gesichter werden durch das Licht einer flackernden Grubenlampe gespenstisch beleuchtet. Der Geruch von Petroleum hängt in der Luft, das Surren von Elektrizität ist hörbar. Ich glaube Angstschweiß zu riechen.

Man hat mir einen Auslöser in die rechte Hand gegeben, und mir erklärt, dass nichts geschähe, solange ich ihn nicht drückte. Zwei Drähte verbinden ihn mit der Apparatur außerhalb meines Gesichtsfeldes, die das nervtötende Surren erzeugt. Man hat mir außerdem geschildert, was geschehen wird, wenn ich den Knopf aktiviere: Zweitausend Volt fließen durch den Körper von einem der Glatzköpfe. Er wird zucken und krampfen, seine Augen werden aus den Höhlen platzen, sein Gedärm wird sich unkontrolliert entleeren. Er wird bluten und brennen, bis er zu Klump verschmort ist.

Vielleicht werde ich sein entsetzliches Kreischen nicht hören müssen, den bestialischen Gestank nicht riechen, den sein kochendes Fleisch im Todeskampf verbreitet.

Denn wenn ich den Knopf drücke, und das werde ich irgendwann tun müssen, dann ereilt mich vermutlich das gleiche Schicksal.

 

 

 

 

 

TEIL 1

 

 

 

 

1. KAPITEL

 

Drei Monate vorher

 

»Geht es Ihnen nicht gut, Herr Thälmann?«

»Doch, Heike, alles bestens«, sage ich. »Ich habe über ein Gedicht nachgedacht, das ich gern schreiben möchte. Verzeihen Sie bitte, ich war unhöflich.«

Der vierjährige Marvin sitzt auf meinem Schoß und mampft in aller Gemütsruhe einen Schokokeks nach dem anderen. Dass die Hälfte seines Festmahls auf meiner schwarzen Lederhose landet, stört ihn wenig. Mich auch nicht, ich freue mich darüber, dass es ihm so gut geht.

Als er von einem Kameraden zum Spielen gerufen wird, packt Marvin sich eine Handvoll Gummibärchen in die Vordertasche seiner blauen Latzhose und grinst mich an.

»Vollat«, sagt er und zieht ab.

Heike bemerkt meinen fragenden Blick.

»Er meint Vorrat. Ist sein neues Lieblingswort.«

Ich wische Marvins Kekskrümel von den Hosenbeinen und grinse.

»Er hat sich prima entwickelt, seit er hier ist.«

Heike sieht ihm zu, wie er auf die Rutsche klettert. Sie nickt versonnen.

»Ja, Herr Thälmann, finde ich auch, dank Ihrer Hilfe. Sie sind ein Engel.«

Die kompakte, kahlrasierte Sozialpädagogin sitzt mir gegenüber und nippt an einem roten Pott mit der Aufschrift ›Boss‹. Sie ist erst siebenundzwanzig Jahre alt, nur halb so alt wie ich, dennoch könnte ich mir keine bessere Leiterin für dieses Projekt vorstellen.

»Ich? Ein Engel? Sie wissen schon, dass etliche Leute mit mir eher das Gegenteil verbinden?«, sage ich und lache.

Heike braucht einen Moment, um zu verstehen, was ich damit meine. Sie lacht ebenfalls. Es ist ein helles, fröhliches Geräusch.

»Das ist aber lange her, Herr Thälmann.«

»Ja. Doch allein, dass Sie wissen, was ich meine, genügt. Jedenfalls engagiere ich mich nicht, damit ich ein Lob von Ihnen bekomme.«

Ich hoffe, sie nimmt es nicht als falsche Bescheidenheit, denn das ist es nicht.

Der Garten des ehemaligen Gutshofs am Rande von Finkenwerder hallt vom fröhlichen Geschrei der spielenden Kinder wider. Die morgendliche Spätsommersonne scheint durch die alten Apfelbäume und zaubert Lichtreflexe auf die mit Wildblumen geschmückten Tische. Über der Scheune, die jetzt den Wohntrakt bildet, hängt ein großes, selbstgemaltes Banner mit vielen roten Herzen: 5 Jahre Schönblick. Danke, Herr Thälmann!!!

Zu viel der Ehre. Natürlich bin ich stolz darauf, was meine Stiftung an Gutem geschaffen hat. Aber ein Engel bin ich deswegen noch lange nicht. Es ist ja nicht mein Verdienst, dass ich auf der Sonnenseite des Lebens geboren wurde und danach eimerweise Dusel hatte. Klar, ich habe hart an meiner Karriere gearbeitet, und Rückschläge musste ich ebenfalls einstecken, aber im Vergleich zu den Bewohnern meines Kinderheims bin ich immer ein Glückspilz gewesen.

Die vierzehn Jungen und Mädchen, die hier eine Heimat gefunden haben, hatten das Pech, in die falsche Familie geboren worden zu sein oder gefühlskalte und überforderte Eltern zu haben. Manche sind durch einen Schicksalsschlag zu Waisen geworden, wie Marvin, der jetzt dort drüben mit seiner Latzhose unermüdlich die Rutsche wienert.

Warum sollte ich ihnen nicht etwas von dem Wohlstand zurückgeben, den mir das Leben schenkte? Ich habe viel Geld verdient, mehr als ich je allein ausgeben kann. Gleichzeitig hatte ich tief im Innersten immer ein schlechtes Gewissen, so viel Glück gehabt zu haben. Eines Tages fragte mich meine Frau, warum ich mein Vermögen nicht mit anderen Menschen teilte.

Und so wurde ich zum Stifter. Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, setzt mehr Endorphine frei als alles, was ich je zuvor getan habe. In meinem Fall mag der Satz unglaubwürdig klingen, aber es ist tatsächlich so.

Mein Handy klingelt. Das Display zeigt die Nummer des Stiftungsbüros an.

»Entschuldigen Sie mich für einen Moment?«

Heike nickt.

Ich stehe auf und entferne mich ein Stück vom Trubel.

»Ja?«

Die Sekretärin meldet sich. Der unsichere Klang ihrer Stimme verheißt nichts Gutes.

»Sind Sie es, Herr Thälmann?«

»Ja, Martha. Am Apparat.«

»Es geht um Ihren Sohn …«

Ich weiß, dass ein Unglück geschehen ist, noch bevor ich meine Frage ausspreche: »Ist ihm was passiert?«

Martha antwortet behutsam, dennoch fühlen sich meine Knie an, als ob mir jemand mit voller Wucht einen Baseballschläger hineingedroschen hätte.

Ich beende den Anruf und verabschiede mich eilig von Heike. Dann schwinge ich mich auf meine Vespa und rase in Richtung Innenstadt.

Hoffentlich ist es nicht so schlimm, wie es sich anhört.

 

Ich brauche eine wahnsinnige Dreiviertelstunde, um eine Distanz zurückzulegen, die Luftlinie keine zehn Kilometer beträgt, und das, obwohl ich über die Köhlbrandbrücke knattere, die für Mopeds eigentlich gesperrt ist.

Der Parkplatz des Klinikums in Hamburg-Eppendorf ist überfüllt, es ist beste Besuchszeit. Ich stelle den roten Roller irgendwo ab und folge den verwirrenden Hinweisschildern zum Haupteingang. Nachdem ich ihm hastig mein Anliegen vorgetragen habe, tätigt der Pförtner – ein älterer Mann mit Schnauzer und dunklen Augenringen – einen kurzen Anruf. Währenddessen mustert er mich mit dem typischen Blick eines Zeitgenossen, der glaubt, mich von irgendwoher zu kennen.

Freundlich bedeutet er mir, mich in der Empfangshalle kurz zu setzen.

»Es kommt gleich jemand zu Ihnen.«

Ich habe nicht die Ruhe, um mich auf einem der mintgrünen Ledersofas niederzulassen, dazu bin ich viel zu angespannt. Ich gehe auf und ab, missbilligend beobachtet von einer älteren weißhaarigen Dame, die mich in ihrem hellblauen Kostüm an die Königin von England erinnert.

Meine Haare reichen immer noch bis zur Brust, ich trage gewöhnlich eine Lederhose und meine alte Motorradjacke. Wäre ich nicht so klein, könnte man mich mit dem Chef einer Hamburger Rockerbande verwechseln, von dem ich genauso weit entfernt bin wie von dem ›Penner‹, als den mich liebenswürdige Zeitgenossen von Zeit zu Zeit ungefragt bezeichnen.

Als ich dem pikierten Blick der Queen kurz standhalte, wendet sie ihre Augen ab und beginnt, in ihrer Handtasche zu kramen.

»Herr Thälmann?«

Eine Ärztin mit straff nach hinten gebundenem Haar kommt auf mich zu. Sie ist so groß, dass ich zu ihr aufschauen muss. Ich folge ihr, und sie bittet mich in ein spärlich möbliertes Dienstzimmer. Eine benutzte Kaffeetasse und ein Teller mit einem halb aufgegessenen Stück Pflaumenkuchen stehen auf dem Tisch. Sie schiebt beides zur Seite und nötigt mich, auf einem der beiden Stühle Platz zu nehmen.

Irritierenderweise sieht sie mir nicht in die Augen, sondern fixiert die hinter mir an einer Pinnwand hängenden Dienstpläne. Dann teilt sie mir mit, dass mein Sohn gegen eine Betonsäule geschleudert wurde, weil ein Idiot ihn auf dem Heimweg von der Schule angefahren hat.

»Wie geht es ihm? Kann ich zu ihm?« Das ist doch im Moment viel wichtiger. Warum erzählt sie mir den Hergang des Unfalls?

Sie lächelt gequält und blickt mir zum ersten Mal direkt in die Augen. »Ihr Kind wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit überleben, Herr Thälmann, das müssen Sie wissen.«

Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit!

Es soll wohl eine beruhigende Botschaft sein, doch aus ihrem Mund klingt sie grauenvoll, nicht nur weil ein verstörendes Aber mitschwingt.

Sie studiert wieder die Pläne.

»Beim Aufprall wurden mehrere Wirbel gebrochen, das Rückenmark ist beschädigt.«

Mein Herz zieht sich zusammen. Obwohl ich kein Mediziner bin, weiß ich, was das bedeuten kann.

»Ist er … wird er …?« Ich kämpfe den Schock zurück. Und die Tränen. Ohne Erfolg.

Aus einer Box, die hinter ihr auf einer Ablage steht, zieht die Ärztin ein Papiertaschentuch heraus und reicht es mir.

»Wir wissen noch nicht, ob er gelähmt bleiben wird. Es war sein Glück, dass eine Passantin ihn so schnell gefunden und den Notarzt gerufen hat, nachdem der Unfallfahrer die Flucht ergriff. Wir konnten ihn sofort versorgen. Weitere OPs werden aber nötig sein. Die gute Nachricht ist, dass Ihr Sohn lebt.«

»Wie groß ist die Chance … ich meine das Risiko … kann es sein, dass Majk nie wieder gehen kann?«

»Die Heilungschancen liegen bei fünfzig Prozent.«

Ich versuche, die Tränen zu trocknen, die nicht aufhören wollen, in meine Augen zu drängen.

»Kann ich zu ihm?«

»Kommen Sie.« Die Ärztin steht auf. »Er liegt noch im künstlichen Koma.«

Durch einen breiten Gang geleitet sie mich zu einem geräumigen Aufzug. Beim Betreten weht ein Hauch ihres frischen Geruchs zu mir herüber, der irgendwie unpersönlich ist. Zitrus.

Sie drückt die Taste D. Auf der kurzen, schweigsamen Fahrt nach oben schießen absurde Gedanken in mein Bewusstsein.

Ist das die Strafe Gottes?

Natürlich nicht. Warum sollte Majk für meine Sünden büßen? Dafür bin ich ganz allein verantwortlich.

»So glimpflich komme ich nicht davon.«

»Was sagten Sie?« Die Ärztin sieht mich von der Seite an.

»Verzeihung, ich war in Gedanken«, murmele ich.

Die Fahrstuhltüren öffnen sich. Sie führt mich zu einer Milchglastür mit der Aufschrift Trakt 2D – Intensiv – Besucher nur in Begleitung von Personal. Eine Codekarte aus ihrer weißen Jeans verschafft uns Zutritt.

Der phenolische Geruch von Zimmer 2D-14 nimmt mir fast den Atem.

Majks Oberkörper ist vollständig geschient, diverse Schläuche und Drähte führen von seinem Kopf und seinen Armen zu den Apparaten, die das Bett umringen. Die Mächtigkeit der Maschinen lässt ihn wie eine winzige Nebensache wirken, ein Häufchen Mensch, klein und zerbrochen. Ein Leben am seidenen Faden.

Die Ärztin zieht mir einen Hocker heran.

»Ich lasse Sie beide kurz allein«, sagt sie sanft. »Ist das in Ordnung?«

Ich nicke, wende dabei nicht den Blick von meinem Kind ab, das unter der Atemmaske seltsam fremd aussieht. Eine klebrige Locke seines dunklen Haares hängt ihm in die blasse Stirn. Ich streiche sie zur Seite.

Ohne hinzusehen, setze ich mich auf den Hocker und nehme vorsichtig seine Hand.

Der Siebenjährige war das Wunschkind, auf das Roana und ich über acht Jahre gewartet hatten. Er kam gerade noch zur rechten Zeit, um erste Risse in unserer Beziehung zu kitten, zumindest vorläufig. Und obwohl wir uns inzwischen getrennt haben, schweißt er uns zusammen. Roana und ich sind nicht im Streit auseinandergegangen und Majk ist unser ganzer Stolz. Bei ihm vereint sich unsere Liebe immer noch.

Ich kann die feinen Adern auf seinem Handrücken sehen, streiche über seine warme Haut. Das schlafende Gesicht unter der Maske zeigt keine Regung, nicht einmal seine Augen zucken unter den geschlossenen Lidern.

Aber er atmet, ruhig und gleichmäßig.

Gott sei Dank.

Ich schäme mich vor mir selbst, dass ich den unbescheidenen Wunsch hege, er möge nicht zeitlebens an einen Rollstuhl gefesselt bleiben. Sollte ich nicht dankbar sein, dass er noch lebt? Das ist doch wohl das Wichtigste.

Die Ärztin führt Roana herein.

Sie sieht schrecklich aus, zehn Jahre älter als beim letzten Mal. Kein Wunder. Ihre geröteten Augen starren fassungslos aus ihrem leichenblassen Gesicht. Wir umarmen uns kurz, irgendwie geschäftsmäßig, dann setzt sie sich zu unserem Kind und weint leise. Schüttelt immer wieder fassungslos den Kopf.

»Ajude-o Deus no céu! Ajude-o Deus no céu!«

Hilf uns, Gott im Himmel.

Ich versuche bei diesem Anblick gar nicht erst, meine Tränen zurückzuhalten. Roana war meine Traumfrau, meine Seelenverwandte, die zu finden ich bereits aufgegeben hatte. Und obwohl Emil Friedrich Thälmann und Roana de Marcos Coelho ein Altersunterschied von fünfzehn Jahren trennt, und obwohl sie als Brasilianerin sich nie vollständig mit den Eigenheiten des deutschen Klimas anfreunden konnte, waren wir über ein Jahrzehnt ein Dream-Team. Sie so leiden zu sehen beim Anblick unseres schwer verwundeten Kindes ist für mich unerträglich.

Behutsam lege ich ihr die Hand auf die Schulter. Sie ergreift sie, ohne mich anzusehen.

Roana war meine Retterin. Nur ihr habe ich es zu verdanken, dass ich noch auf Erden wandle, davon bin ich überzeugt.

Sie schleppte mich zur Psychoanalyse, als ich in den finstersten Stunden erwog, mich umzubringen, weil mich immer wieder der gleiche Albtraum heimsuchte. Dafür bin ich ihr unendlich dankbar, auch wenn unsere Leidenschaft füreinander langsam verglühte.

»Nicht verzagen!«

Ich weiß nicht, wem ich Mut zuspreche, ihr oder mir. Nur ein Gedanke schwebt in dem sterilen Raum, ein inniger Wunsch, zum Greifen präsent.

Werde wieder gesund, unser Herz. Unser Leben.

Ajude-o Deus no céu.

 

Es ist früher Nachmittag, als ich die Klinik verlasse. Der Himmel ist mit Wolken verhangen, aber es regnet nicht.

Ich bin jetzt ruhig, fast entspannt. Der erste Schock über den schrecklichen Unfall hat sich gelegt.

Roanas Nähe hat mir Hoffnung gegeben, ebenso die Professionalität des Ärzteteams und der Gedanke, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können.

Unser Leben wird weitergehen.

Wir werden uns arrangieren mit dem Schicksal, so oder so. Wir werden unser Kind aufwachsen sehen, das ist alles, was zählt, nicht wahr?

Ohne besondere Eile gehe ich zum Motorroller.

Schon von Weitem sehe ich, dass unter dem Sattelriemen der Vespa ein gefaltetes Stück Papier steckt - ein freundlicher Gruß einer Eppendorfer Politesse, wie ich vermute.

Ich entrolle den Zettel, doch es ist kein Ticket für Falschparken, sondern ein Blatt, das aus einem linierten Notizbuch herausgerissen wurde.

Alle Schuld rächt sich auf Erden.

In einer aufgeräumten Handschrift, die der meiner Großmutter ähnelt. Dahinter hat die unbekannte Verfasserin einen ungelenken Smiley gezeichnet.

Sehr witzig.

Äußert ein wirrer Schöngeist auf diese Weise seinen Ärger über einen trottelig abgestellten Roller? Ich sehe mich um, ob sich der Verfasser der Botschaft vielleicht noch in der Nähe aufhält. Die blaue Queen aus der Lobby, zum Beispiel.

Ich kann niemanden entdecken.

Der Unmut der Zettelschreiberin ist nachvollziehbar. Ich habe den Roller in der Aufregung wirklich bescheuert zurückgelassen, quer, mitten auf einem Gehweg. Ich inspiziere ihn auf mutwillige Beschädigungen, immerhin ist auf der Nachricht von Rache die Rede. Ich finde keinen zerstochenen Reifen, keine gekappte Bremsleitung, also zerknülle ich das Blatt und versenke es in einem nahen Papierkorb. Dann starte ich den Motor und mache mich auf den Heimweg nach Blankenese.

2. KAPITEL

 

Der Duft des frisch geschnittenen Grases liegt in der abendlichen Septemberluft und es beginnt zu nieseln. Ich löse den Blick von meinem Swimmingpool, der schon seit Jahren kein Wasser mehr gesehen hat – wahrscheinlich, seit Roana ausgezogen ist.

Lemmy Kilmister hat hier geplanscht.

Meine Augen schweifen über das parkähnliche, zum Fluss hin sanft geneigte Grundstück und finden erst am anderen Elbufer wieder Halt.

Der Boss von Motörhead war einst hier zu Gast. Lemmy.

Kaum zu glauben.

Ich versuche, mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, und lenke den Rasentraktor in die am unteren Ende des Anwesens stehende Gartenhütte. Ich lege sorgfältig eine Plane über die Motorhaube. Das Wasser, das seit ein paar Monaten durch das Dach des Schuppens tropft, soll dem betagten Fahrzeug nicht weiter zusetzen.

Ich könnte mir einen neuen Traktor kaufen. Oder das Dach reparieren lassen. Oder beides. An Geld mangelt es ja nicht. Ich gehe nach draußen, verschließe die Hütte mit dem rostigen Vorhängeschloss und mache mich auf den Weg zum Haus.

Von hier unten ist die Villa immer noch hübsch anzusehen, allerdings benötigt ihre Fassade einen neuen Anstrich. Außerdem müsste ich etwas gegen das Wasser unternehmen, das beim Hamburger Schietwetter regelmäßig in den Keller läuft. Ich beschließe, das bald in Angriff zu nehmen, obwohl ich mich werde überwinden müssen.

Um solche Dinge hat sich Roana gekümmert – Handwerker bestellen, Rechnungen bezahlen, Bankgeschäfte erledigen. Das war ihr Metier, ich bin weder zum Arbeiter noch zum Buchhalter geboren. Und ohne meine Sekretärin und den Praktikanten würde ich im Papierkram der Stiftung ersaufen.

Den Rasen mähe ich, weil es mir riesigen Spaß macht, mit dem Traktor zu fahren. Bewegung an der frischen Luft. Haha.

Ich bin Künstler.

Die Einnahmen sprudeln nicht mehr so üppig wie früher, aber in den fetten Jahren habe ich mir ein dickes finanzielles Polster geschaffen. In den Neunzigern, als ich die Villa in Blankenese erwarb, bezahlte ich den Kaufpreis von eineinhalb Millionen aus der Portokasse. Zur Einweihung erschienen alle, die im Business Rang und Namen hatten, sogar Lemmy – Gott hab ihn selig. Er flog extra aus L.A. ein – auf meine Kosten, aber was soll’s? Die Jungs und ich waren damals der heiße Scheiß, Geld spielte keine Rolle. Wir hatten es – verflucht noch mal! – an die Spitze geschafft und bildeten uns ein, dass wir uns gebührend dafür feiern lassen mussten.

Was wir damals anfassten, wurde zu Gold. Wenn du das Glück hast, dass die Straße des Lebens dich bis zum höchsten Gipfel führt, denkst du nicht lange darüber nach, ihr zu folgen. Für einen Augenblick bist du der verdammte König Midas. Den ersten Schritt zurück ins Tal hast du paradoxerweise schon vor dem Erreichen des Gipfels gesetzt.

Durch eine belanglose Betrügerei. Eine lässliche Lüge.

Eine Sünde im jugendlichen Wahn, die dich irgendwann einholt …

Mein Blick verirrt sich abermals hinüber zum verwaisten Pool, in dem ein Windhauch das erste Herbstlaub umherwirbelt.

Jung und dumm. Das waren wir. Und wir hatten ein Scheißglück.

Lemmy praktizierte damals in voller Ledermontur Schwimmübungen mit der Kultursenatorin von Hamburg. Vermutlich war es nicht das Einzige, das die beiden in jener Nacht praktizierten …

Ich wische mir eine Strähne meines grau gewordenen Haares aus der Stirn.

Vorbei. Schon lange.

Und das ist gut so, sonst wäre ich wahrscheinlich bereits tot. In den sieben Jahren unseres galaktischen Erfolges sahen wir mehr Orte und erlebten mehr als die meisten Menschen in ihrem ganzen, beschissenen Dasein. Eine geile Zeit.

Nachdem sie vorüber war, hat es immer wieder Angebote für ein Comeback gegeben. Ich lehne grundsätzlich alle ab. Ich mache jetzt Yoga und habe mich aufs Schreiben verlegt. Die Verkäufe meiner Gedichtbände sind okay, zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel, aber ich brauche die Einnahmen ja nicht, um zu überleben.

Ich schiebe die Gedanken an früher endgültig beiseite und steige die breiten Stufen hinauf zum Haus. Einige der Tritte haben Risse, Löwenzahn dringt hindurch.

Auf halber Höhe bemerke ich einen kleinen dunklen Schatten, der sich aus dem Gebüsch löst und auf mich zukommt. Es ist die schwarze Katze, die ich hier noch nie zuvor gesehen habe, die mir aber seit ein paar Tagen zuverlässig auflauert. Ihr freudig aufgestellter Schwanz biegt sich wie der Griff eines Regenschirms, als sie mit einem lauten Miauen auf mich zu trabt. Mitten im Lauf hält sie inne, setzt sich auf ihre Hinterläufe und sieht mir ernst in die Augen.

Ich greife an den Talisman, den ich um den Hals trage. ›Schwarze Katze von links, Unglück bringt’s‹, sagte meine Großmutter.

»Hau ab und komm nicht zurück!«

Die Katze sieht mich weiter unverwandt an.

»Miau …«

Dann blinzelt sie und hebt die Pfote. Im Drogenrausch hätte ich das mit Sicherheit für ein Omen gehalten. Kein gutes allerdings.

Ich bücke mich und hebe einen kleinen Stein auf. Noch bevor ich ihn nach der Unglücksbotin schleudern kann, huscht sie unter die große Birke. Sie bringt sich mit einem eleganten Sprung über die Mauer aus der Gefahrenzone.

»Gut so. Und bleib, wo du bist.«

Ich habe nichts gegen Katzen, bin aber eher ein Hundetyp, und schwarze Vertreterinnen ihrer Art sind mir unheimlich. Eine Begegnung mit ihnen zieht Unheil nach sich, und davon habe ich heute wahrlich schon genug erfahren.

Ich denke an Majk und mein Herz krampft.

Das steinerne Projektil klackert leise, als es wieder zu Boden fällt. Ich hätte es wahrscheinlich ohnehin nicht übers Herz gebracht, es auf die Katze zu schleudern.

Schnell steige ich die restlichen Stufen der Treppe nach oben.

Dann hebe ich den Kopf und sehe es.

Ihn.

Den Riesen.

Dort, an einer der beiden Säulen des Balkons lehnt eine Gestalt im Halbschatten. Ein Gigant.

Wie ist der hier reingekommen? Ich bin mir ziemlich sicher, das Eingangstor zugeschlagen und verschlossen zu haben, als ich aus der Klinik kam.

»Wie kommen Sie in meinem Garten?«

Der klobige Fremde hebt wortlos die Hand zum Gruß. Im Zwielicht der einsetzenden Dämmerung ist er nur ein Schemen, also trete ich näher heran, um ihn besser erkennen zu können.

Er deutet über seine Schulter.

»Ich habe geklingelt, aber niemand hat geantwortet.«

Er hat eine angenehme, freundliche Stimme. Weich, fast zart.

»Dann habe ich Ihren Rasenmäher gehört und da das Tor zum Garten offenstand, dachte ich …«

Er hat mich also schon länger beobachtet. Das beunruhigt mich. Nicht weil er gesehen haben könnte, wie ich mit einer Katze gesprochen und sie von meinem Grundstück verjagt habe. Sondern weil ich offenbar so gedankenverloren war, das Tor unverschlossen zu lassen.

Ich taste nach dem Schalter für das Terrassenlicht und knipse es an. Meine Augen müssen sich erst an den grellen Schein gewöhnen.

Ich denke unwillkürlich an Satchmo, Louis Armstrong, den Jazzsänger mit der Reibeisenstimme. Sein hässlicher Wiedergänger steht auf meiner Terrasse – von Stephen Kings Friedhof der Kuscheltiere zurückgekehrt.

Mein Körper hat sein Wachstum bei eins fünfundsechzig eingestellt. Im Vergleich zu mir sind fast alle Männer groß, doch der hier ist tatsächlich ein Riese. Seine Haut ist sehr dunkel, und wie bei vielen Menschen afrikanischer Herkunft habe ich Schwierigkeiten, das Alter richtig einzuschätzen. Er ist viel jünger als ich, könnte um die zwanzig sein.

Satchmos Zombie blinzelt ins Licht.

»Ich heiße Chris Omasa.«

Sein rundes Gesicht mit den melancholisch nach unten gezogenen Lippen wäre attraktiv, wenn da nicht sein hängendes Lid wäre, das die Iris des rechten Auges halb verdeckt und seinem Antlitz einen ungewollt brutalen, entstellenden Zug verleiht.

»Sie kennen mich nicht, Herr Thälmann.«

»Stimmt genau.« Ich bin mir spontan sicher, daran auch nichts ändern zu wollen.

»Wollen Sie ein Autogramm oder so was?«

Wir hatten früher oft Fremde vor dem Grundstück, fast immer Fans, die auf seltsamen Wegen meine streng geheime Adresse in Erfahrung gebracht hatten. Wenn ich zu ihnen hinausging, ihre Sachen unterschrieb und kurz mit ihnen plauderte, zogen sie meist zufrieden ab.

»Sehe ich etwa so aus?« Der Fremde entblößt eine Reihe quadratischer, sehr weißer Zähne. Er zupft an seinem Einstecktuch, altrosa wie seine Krawatte.

Ich zucke etwas hilflos mit der Schulter. Sein teurer Anzug spannt über seinem breiten Brustkorb. Ich halte nicht viel von Klischees, aber in der Tat sahen unsere Fans in der Regel anders aus.

»Wahrscheinlich ist Ihnen die Gesellschaft bekannt, für die ich arbeite.«

Er hebt seine schwere Rechte und knöpft bedächtig das Jackett auf.

Mit einer geübt wirkenden Bewegung zückt er eine Visitenkarte. Darauf prangt ein abgekürzter Firmenname, der mir überhaupt nichts sagt. Darüber ist eine stilisierte Krone mit drei Zacken abgedruckt, darunter steht Finanzdienstleistungen. Dann der Name meines Besuchers und seine Funktion.

»Assistent der Geschäftsleitung. Hm. Sie sind vermutlich nicht gekommen, um mir eine Versicherung anzudrehen?«

Wieder stellt er sein imposantes Gebiss zur Schau.

»Nein. Insurance haben wir ebenfalls im Portfolio, aber hauptsächlich kümmern wir uns um das Kapital ausgesuchter Klienten. Wir sind der größte Vermögensverwalter Europas – eine Art Bank, wenn Sie so wollen.«

»Mein Vermögen wird bestens verwaltet, darum …«

»Ich weiß, ich weiß! Deswegen bin ich auch nicht hier. Ich bin der engste Mitarbeiter unseres einzigen Gesellschafters – Leonard Postheim.«

Er sieht mich an, als müsste ich den Namen kennen.

Ich zucke mit der Schulter.

»Herr Postheim ist einer der reichsten Deutschen.«

»Aha …«

»Sie haben noch nie von ihm gehört? Das ist kein Wunder. Er ist zwar ein Finanzgenie, aber sehr zurückhaltend und bescheiden. Nicht wie Richard Branson oder Elon Musk, die sich vor jede Kamera stellen. Leonard scheut die Öffentlichkeit.«

»Und wie komme ich da ins Spiel?«

»Das kann ich Ihnen erklären. Sie wissen sicher, was eine Bucket List ist?«

»So ungefähr, ja. Leute schreiben auf, was sie alles noch erleben wollen, bevor sie ins Grab fallen.«

»Genau. Leonard hat fünfzehn Jahre nur gearbeitet, um das Unternehmen aufzubauen und sein Vermögen zu erwerben. Hobbys und Vergnügungen kamen dabei zu kurz, und es gibt viele Erfahrungen und Erlebnisse, die er ab jetzt in seinem Leben noch machen möchte. Leonard besitzt nicht direkt eine Liste, die er abarbeiten möchte, bevor er stirbt. Aber er ist beständig auf der Suche nach neuen Erfahrungen. Und ich glaube, tief im Inneren erhofft er sich dabei, eine große Leidenschaft zu entdecken. Wenn ich aus dem Nähkästchen plaudern darf: außer dass er mit Begeisterung Wasser trinkt, ist er frei von Lastern und Passionen.«

»Er trinkt Wasser? Als Hobby?«

»Nein, einfach so. Sie werden ihn nie ohne einen Becher oder eine Flasche antreffen. Er sieht, dass viele Menschen glücklich sind, weil sie mit Hingabe einem Steckenpferd frönen. Oft extreme Dinge. Und dieses Gefühl möchte er auch erleben. Wir haben es mit Höhenbergsteigen versucht, Überlebenstraining und Bungee-Jumping. Auch Großwildjagd in Afrika. Es war ein kompletter Fehlschlag, da er kein Blut sehen kann. Er hat sich auch eine VIP-Lounge in der Allianz-Arena gekauft, um herauszufinden, ob er FC Bayern-Fan sein will.«

»Und?«

»Er war nur einmal dort. Bayern hat verloren – und er das Interesse.«

»Das klingt in meinen Ohren ziemlich verrückt.«

»Warum? Sie sind ein leidenschaftlicher Musiker. Sie müssten doch verstehen, wenn jemand für eine Sache brennt.«

»Ja. Allerdings finde ich den Gedanken merkwürdig, nach einer Passion suchen zu wollen. Ich bin natürlich kein Milliardär, aber ich dachte immer, dass es umgekehrt ist: Die Leidenschaft spürt dich auf, sie packt dich und lässt dich nie wieder los. So war es jedenfalls bei mir.«

»Ganz genau. Und darum bin ich hier. Leonard hat erfahren, dass Sie und Ihre Band immer noch glühende Verehrer auf der ganzen Welt besitzen, und das möchte er gern nachvollziehen. Die Treue Ihrer Fans. Fast schon Anbetung.«

Ich höre eine Portion Unverständnis heraus.

»Er will also wissen, ob er vielleicht ein Metal-Fan ist, verstehe ich das richtig? Das ist ein Punkt, den er auf seiner Bucket List abhaken möchte?«

»Ich würde es vielleicht nicht so ausdrücken, aber: ja.«

»Hat er sich unsere Musik denn angehört? Gefällt sie ihm?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht.«

Die Antwort lässt mich stutzen.

»Wäre das nicht die natürlichste Sache der Welt? Für einen Musikfan?«

»Nicht für uns … ihn. Er will die beste Metalband der Welt – und das sind Sie doch – live erleben. Die extremste Show, die je geboten wurde. Kurz: Er will, dass Sie für ihn auftreten. Mit Eisenkind und ganz privat, nur für ihn allein.«

Ich fühle mich überrumpelt.

»Gehen wir rein, um alles Weitere zu besprechen?«, fragt er.

»Nein! Ich muss Ihren Boss enttäuschen. Wir treten nicht mehr auf. Die Tatsache war Ihnen doch sicher bekannt, bevor Sie sich auf den Weg zu mir gemacht haben?«

»War sie. Ich habe Leonard vorgewarnt, dass Sie schwer zu überzeugen sein würden.« Er kneift lauernd auch das zweite Augenlid zu. »Deshalb hat er mir erlaubt, Ihnen eine Million anzubieten.«

»Wie bitte?«

»Sie haben richtig gehört. Eine Million Euro. Gerne auch als Spende direkt auf das Konto Ihrer Stiftung.«

»Das ist … das wäre eine fantastische Gage für jeden Künstler! Speziell für eine Band, die seit zwanzig Jahren aus dem Geschäft ist. Warum will er so viel bezahlen?«

Omasa grinst herablassend.

»Wenn ich ehrlich zu Ihnen sein darf: Ich habe ihn das auch gefragt. Denn – mit Verlaub – egal von welcher Band sie stammt, Ihre Art von Musik klingt für mich immer gleich.«

Immer gleich scheußlich, soll es heißen.

»Sehen Sie, ich bin gläubiger Christ und finde die Botschaften in ihren Songs, na ja, zweifelhaft. Aber es spielt keine Rolle, was gerade ich von Ihrer Kunst halte. Es zählt nur Leonards Wunsch. Und weil er Eisenkind haben möchte, bietet er jedem von Ihnen eine Million, wenn Sie für ihn spielen.«

»Jedem von uns?«, wiederhole ich etwas dümmlich. »Das wären vier Millionen. Eine unerhörte Summe, wenn man nicht gerade U2 ist oder irgendeiner dieser bescheuerten Rapper.«

»So ist es.«

Für meine Stiftung wäre das ein unverhoffter Geldsegen. Mein Gehirn beginnt sofort, mir vorzurechnen, was ich damit Gutes tun könnte. Aber es geht nicht. Ich würde die Offerte auch ablehnen, wenn sie zehnmal so hoch wäre.

»Warum will er so viel bezahlen – für eine abgehalfterte Band? Für diesen Betrag würden die Rolling Stones anreisen und in seinem Klo spielen.«

»Sehr originell, Herr Thälmann, wirklich sehr originell. Ich habe schon gehört, dass Sie sehr redegewandt sind. Aber die Rolling Stones will Leonard nicht. Er will Eisenkind.«

Der Satchmo-Wiedergänger wird mir von Sekunde zu Sekunde unsympathischer. Er kommt nicht nur abgebrüht rüber, sondern auch völlig humorfrei.

»Keine Chance. Tut mir leid.«

»Ich habe diesen Ausgang des Gesprächs befürchtet«, antwortet er eisig. »Aber Leonard wird das nicht akzeptieren. Welchen Grund darf ich ihm nennen?«,

»Er wird die Absage akzeptieren müssen, auch ohne Angabe von Gründen. Er kann uns schließlich nicht zwingen.«

Omasa lächelt einseitig. »Leonard Postheim ist ein sehr wohlhabender Mann, Herr Thälmann, jenseits Ihrer Vorstellungskraft. Und was er sich in den Kopf setzt, das bekommt er. Und nun hat er sich vorgenommen, dass Sie für ihn auftreten sollen.«

»Drohen Sie mir etwa?«

»Das haben wir nicht nötig. Wir wollen Sie überzeugen. Mit allen Mitteln.«

»Keine Chance. Wir lassen uns nicht kaufen wie Straßennutten.«

Das hängende Lid zuckt nach oben.

»Ich bitte Sie! Von einem schmutzigen Geschäft kann überhaupt keine Rede sein. Wir möchten das Angebot als Deal auf Augenhöhe verstanden wissen, als Gentlemen’s Agreement. Ihnen und dem guten Zweck ist geholfen, und Leonards Wunsch wäre ebenfalls erfüllt. Denken Sie darüber nach.«

»Das brauche ich nicht! Ich trete nicht mehr auf. Basta. Es gibt Hunderte von anderen Bands, an die Sie sich wenden können. Eisenkind ist tot und begraben, unwiderruflich, seit unser Leadgitarrist vor ein paar Jahren bei einem Unfall ums Leben kam. Und dabei bleibt es.«

Er mustert mich mit einem beinahe melancholischen Blick.

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Ja.«

Er hebt seine Pranke und deutet auf meine langen, glatten Haare.

»Sie haben sich nach all den Jahren nicht von Ihrer … nun ja … Frisur getrennt.«

Ich fühle mich bis zum Grund meiner Seele durchschaut.

»Was haben meine Haare damit zu tun?«, sage ich ungehalten. »Wieso soll ich mich vor Ihnen rechtfertigen? Wissen Sie was? Das Gespräch ist beendet! Ich gebe Ihnen eine Autogrammkarte für Ihren Boss mit. Die kann er sich sonst wohin nageln!«

Er starrt mich ungläubig an. Das Lid zuckt unkontrolliert.

»Das werde ich ihm mit Sicherheit nicht weitergeben.«

»Tun Sie, was Sie wollen! Bevor ich mit Eisenkind ein Privatkonzert für einen spleenigen reichen Pinkel gebe, fließt Wasser den Berg hinauf.«

Der Regen wird stärker und Wind setzt ein. Ich will ins Haus, mir eine Cola aufmachen und den Tag ausklingen lassen.

Er hebt die Hand zum Gruß.

»Sollten Sie Ihre Meinung noch ändern: Meine Nummer haben Sie.«

Ich folge ihm über die Einfahrt durch das tatsächlich offen stehende Tor. Er steigt in den Fond eines schwarzen Porsche-Geländewagens, der hinter dem Zaun auf ihn wartet. Der Motor startet brüllend und der Wagen gleitet davon, noch bevor er die Tür ganz geschlossen hat.

Ich starre ihm hinterher, zutiefst erleichtert, dass er weg ist.

»Du hast keine Ahnung, was du von mir verlangst«, murmele ich.

Dass unser Leadgitarrist, Schatten, nicht mehr unter uns weilt, ist ein gutes Argument gegen einen Auftritt. Er war der Liebling vieler Fans, vor allem der weiblichen. War ich als Sänger das pulsierende Herz unseres eisernen Kindes, bildete er dessen Seele. Ich habe den riesigen Sendboten des Milliardärs also nicht angelogen.

Aber es liegt gar nicht in meiner Macht, über ein Konzert zu entscheiden. Meine ehemaligen Kompagnons würden es ebenfalls ablehnen.

Aber nicht wegen Schatten.

Wegen mir.

Ich bin mir sicher, dass sie nie wieder mit mir eine Bühne teilen werden.

 

3. KAPITEL

 

Ich gehe durch den Keller ins Haus. Im Waschraum hängen meine Auszeichnungen, Preise aus drei Dutzend Ländern, darunter etliche Goldene Schallplatten aus Japan und den USA – früher mein ganzer Stolz. Wenn ich heute von Besuchern nach ihnen gefragt werde, bezeichne ich sie gern als wertlosen Plunder, der mir nichts mehr bedeutet.

Aber stimmt das? Oder lüge ich mir in die Tasche, wie es der humorlose Riese gerade angedeutet hat? Warum konnte ich mich bis heute nicht dazu durchringen, die Sachen wegzuschmeißen, wenn sie für mich belanglos geworden sind?

Ich gehe hinüber zum Waschbecken, um mir den Schmutz der Gartenarbeit abzuwaschen. Beim Abtrocknen strecke ich meinem Spiegelbild die Zunge heraus.

Mein ehemals kantiges Gesicht ist mit den Jahren rundlicher geworden, aber nicht speckig. Graue Fäden durchziehen die langen, ehemals schwarzen Haare. Es war diese Frisur im Zusammenspiel mit meinen dunklen Augen und der kühn gebogenen Nase, die einen Journalisten einst mutmaßen ließen, der Thälmann hätte indianisches Blut in den Adern.

Das war natürlich Blödsinn. Meine Vorfahren stammen sämtlich aus drei gottverlassenen Nestern im Thüringer Wald. Nix Indianer. Mein exotisches Aussehen ist eine Laune der Natur und brachte mir in der Schule fast ebenso viel Spott ein wie mein kleiner Wuchs. Der Karriere hat beides nicht geschadet, im Gegenteil. Es war vermutlich pubertäres Minderwertigkeitsgefühl, das mich als Jugendlichen auf die Bühne trieb. Mit sportlichen Höchstleistungen vermochte ich nämlich kein Mädchen zu beeindrucken.

Oben in der Küche klingelt das Telefon. Vielleicht ist es die Assistentin des Verlegers, um mit mir die anstehende Buchmesse zu besprechen.

Hoffentlich nicht wieder eine Journalistin, so wie neulich. Da rief eine Reporterin an und sagte, ihr Magazin bereite eine Sonderausgabe zur Rockszene der Neunziger vor. Sie wolle ein Interview mit Herrn Thälmann führen. Darüber, »wie es damals alles so war«.

 

Weil mir die Stimme der jungen Frau gefiel (und wirklich nur deswegen), stimmte ich dem Interview zu und lud sie zu mir nach Blankenese ein. Sie war hübsch, stellte aber leider wieder dieselben langweiligen Fragen, die ich schon tausend Mal beantwortet hatte: wie es zum gigantischen Erfolg von Eisenkind gekommen war, wieso das Gruselimage in unserer aufgeklärten Zeit so gut funktioniert hatte, und wie ich mit dem unvermittelten Ende der Karriere klargekommen war.

Ich nippte an meinem Earl Grey, atmete tief durch und verzapfte den ganzen Bullshit, den ich schon Hunderte von Malen abgelassen hatte. Ich schwadronierte über harte Arbeit und Durchhaltevermögen, über zehn Prozent Talent und neunzig Prozent Fleiß (woran ich tatsächlich glaube und was ich den meisten Retorten-Popsternchen von heute abspreche). Und ich räsonierte über das Quäntchen Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein.

»Die Neunziger waren nicht nur Wende und Love Parade«, dozierte ich. »Sondern auch die Blütezeit des Jugendokkultismus. Auf Partys wurden Gläser gerückt, verblichene Ahnen aus dem Jenseits gerufen und Lehrer verflucht. Manch ein Friedhof auf dem Lande lief der Bushaltestelle den Rang als beliebtester Treffpunkt ab. Da kam eine Band wie Eisenkind gerade recht.«

Ich sei so bescheiden, antwortete die Journalistin und himmelte mich an, offenkundig selbst ein spätes Fan-Girl. »Aber Hartnäckigkeit und Glück können doch nicht alles gewesen sein?«

Ich wusste natürlich, worauf sie hinauswollte, aber ich tat ihr nicht den Gefallen, die gewünschte Auskunft in ihr Tablet zu diktieren.

»Es gab keine magische Formel, tut mir leid, auch wenn unser Image so etwas vermuten ließ. Das einzige Geheimnis hieß musikalisches Talent. Außerdem waren da unser Wille, stets an uns zu arbeiten, und der feste Vorsatz, unseren Fans neben guter Musik etwas Besonderes zu bieten. Das allein hat Eisenkind zur erfolgreichsten deutschen Band aller Zeiten gemacht.«

Zum Schluss tischte ich ihr noch die altbekannten Gründe für das unwürdige Ende von Eisenkind auf: kreativer Burn-out, persönliche und musikalische Differenzen, bla, bla, bla.

Sie nickte und tippte den ganzen Blödsinn ein. Wahrer wurde er dadurch nicht.

 

Ich drehe den Wasserhahn zu, trockne mir die Hände ab, ziehe den Arbeitskittel aus und hänge ihn an einen Haken am Regal. Neben Blumentöpfen, Unkrautvernichter und Blumensamen beherbergt es meine verstaubten Echo-Auszeichnungen. Beste Band in der Sparte ›Rock national‹. Fünf Jahre in Folge. Daneben unser Grammy.

Meine Vergangenheit. Aufgereiht auf einem ungehobelten Regalbrett im Keller. Wieso fragt mich eigentlich nie ein Journalist, wie es sich anfühlt, mit Mitte fünfzig ständig über ›damals‹ palavern zu müssen?

Beschissen, so fühlt es sich an.

Man kommt sich wie ein Kriegsveteran vor, der wieder und wieder nach Stalingrad gefragt wird, weil aus der dunkelsten Stunde seines Lebens immer noch ein Granatsplitter im Bein steckt.

Oben klingelt abermals das Telefon. Ich knipse das Licht im Waschraum aus und steige die steile Treppe nach oben. Noch bevor ich in der Küche ankomme und den Hörer abnehmen kann, verstummt das Gerät, das an der Wand neben dem Kühlschrank hängt. Sein Display zeigt keine Nummer an.

Ich hole ein alkoholfreies Bier aus dem Kühlschrank und setze mich an den großen Tisch aus massivem Buchenholz. Meine Gedanken schweifen wieder zu Majk.

Heute ist der schwärzeste Tag meines Lebens.

Nein, nicht ganz. Zum Glück ist er ja noch am Leben.

Das Eisenkind, hingegen, ist tot.

4. KAPITEL

 

Ich jogge hinauf zum Waseberg, der grünen Lunge von Blankenese, die praktisch gleich hinter meinem Grundstück beginnt. Zu Hause habe ich es nicht ausgehalten, ich brauchte Bewegung. Zuerst spielte ich mit dem Gedanken, noch einmal in die Klinik zu fahren. Doch als ich dort anrief, ließ mir die zuständige Ärztin jedoch ausrichten, der kleine Patient brauche Ruhe. Ich könne zurzeit ohnehin nichts für ihn tun, außer an seinem Bett zu sitzen und zu beten.

Inzwischen ist es stockfinster, aber ich kenne hier oben jeden Winkel und die ganz finsteren Ecken leuchtet meine Stirnlampe aus. Als ich beim alten, schon lange verrammelten Aussichtsturm über der Elbe ankomme, klingelt das Handy. Gegen meine sonstige Gewohnheit habe ich es mitgenommen, aus Furcht, dass mir eine wichtige Nachricht vom Krankenhaus entgeht.

Ich kenne die Nummer des Anrufers nicht, atme zweimal tief durch. Der Anstieg zum Turm hat mich mehr gefordert als sonst. Dann berühre ich mit dem Daumen das grüne Symbol auf dem Display.

»Herr Thälmann? Leonard Postheim hier«, sagt eine näselnde Stimme fast ein wenig schüchtern.

»Wer, bitte?« Ich schnaufe immer noch heftig.

»Mein persönlicher Assistent hat Sie heute Nachmittag aufgesucht. Chris Omasa.« Er klingt jung, zumindest für einen schrulligen, superreichen Firmenchef, wie ich ihn mir vorgestellt habe.

»Wegen des Konzerts.«

»Ach ja.« Im Nachhinein fand ich, dass ich den Boten etwas zu rüde wegkomplimentiert hatte, aber im Kern stehe ich selbstverständlich zu meiner Absage.

»Ich weiß nicht, was er Ihnen mitgeteilt hat. Aber wenn ich Sie damit beleidigt habe, tut es mir leid und ich entschuldige mich dafür.«

»Sie wollen also wirklich nicht auf meine Offerte eingehen?«

»Das ist allerdings richtig.«

»Liegt es am Geld? Ich denke, wir können uns in aller Freundschaft einigen.«

»Welche Freundschaft? Wir kennen uns doch gar nicht.«

»Oh, ich kenne Sie besser, als Sie denken. Chris hat sich möglicherweise ungeschickt ausgedrückt. Ich habe Ihren Werdegang von Kindesbeinen an studiert und …«

»Sie sind fest entschlossen, das habe ich verstanden«, unterbreche ich ihn. »Und ich bedanke mich sehr für Ihr Interesse. Aber mein Standpunkt ist ebenso eindeutig: Ich trete nicht mehr auf. Und ich bitte Sie, das zu akzeptieren.«

»Helfen Sie mir wenigstens, den Grund zu verstehen? Es kränkt mich, dass Sie mir eine Abfuhr erteilen.«

Mir, dem Finanzmogul, der sich sonst alles kaufen kann, ergänze ich in aller Stille.

Ich lehne mich an den mit Graffiti besprühten Sockel des Turms. Das Gemäuer ist kalt. Der Schein meiner Stirnlampe verwandelt die Stämme der jungen Buchen in dürre, graue Gespenster. Geister der Vergangenheit. Längst vergessene Ängste.

»Sie werden von mir keine weitere Begründung bekommen. Die bin ich Ihnen nicht schuldig. Dass ich nicht mehr auftreten will, muss Ihnen genügen. Und ganz davon abgesehen: Auch die Band hätte ein Wort mitzureden.«

»Wenn ich Sie im Boot hätte, Herr Thälmann, könnte ich die anderen auch für die Sache gewinnen, davon bin ich fest überzeugt.«

»Das glaube ich kaum.«

Es ist müßig, ihm die Gründe dafür auszubreiten.

»Hören Sie, ich bin es, der nicht auftreten will«, ergänze ich. »Das hat nichts mit der Band oder Ihnen persönlich zu tun. Das Rockstar-Leben liegt hinter mir, und dabei soll es bleiben. Außerdem habe ich zurzeit wirklich andere Sorgen. Mein Sohn ist heute Opfer eines schweren Verkehrsunfalls geworden. Er liegt im Krankenhaus.«

»Das tut mir leid. Hoffentlich wird er bald wieder gehen können.«

»Vielen Dank, das wünsche ich mir auch.«

»Obwohl ich selbst keine Kinder habe, kann ich mir vorstellen, wie viel Freude sie ins Leben bringen. Umso schmerzhafter muss es sein, wenn ihnen etwas zustößt.«

»Hören Sie…«

»Einer wie ich, der nie die kummervollen Nächte an einem Kinderbett gesessen hat, kann nicht vollständig erfassen, wie schmerzhaft das sein kann.«

»Die kummervollen Nächte? Was reden Sie da? Es ist die Hölle, glauben Sie mir! Können wir es dabei belassen? Ich bin gerade draußen in der Dunkelheit unterwegs und wirklich nicht in Stimmung für dieses Telefonat.«

»Natürlich. Verzeihung. Wenn ich irgendwie helfen kann, gern. Ich wollte Ihnen einfach persönlich mitteilen, wie sehr ich mich über ein Konzert freuen würde. Es war mein einziger Wunsch, dass Eisenkind zur Feier meines dreißigsten Geburtstages auftritt. Aber Sie haben Ihre Entscheidung ja wohl endgültig getroffen.«

»So ist es. Begraben Sie die Hoffnung auf ein Konzert bitte. Selbst wenn die Hölle zufriert, tritt Eisenkind nicht auf.«

»Jetzt übertreiben Sie. Ich wollte Sie wirklich nicht so empören.«

»Wie auch immer. Entschuldigen Sie mich jetzt bitte?«

»Lesen Sie, Herr Thälmann?«.

»Wie?«

»Bücher, meine ich. Belletristik. Weltliteratur – Schiller, Brecht, Shakespeare? Ich versuche es ebenfalls von Zeit zu Zeit, aber als Hobby ist es mir zu langweilig. Vielleicht lesen Sie heute Abend ja ein gutes Buch und vergessen die Sache?«

Das Gespräch dreht sich ins Absurde, und von Sekunde zu Sekunde bin ich mehr davon überzeugt, dass es richtig war, diesem Sonderling keinen Zentimeter entgegenzukommen.

»Lesen Sie«, näselt er. Es klingt jetzt fast wie ein Befehl. »Goethe vielleicht. Das lenkt ab und beruhigt die angespannten Nerven.«

»Ja. Vielen Dank.«

Ich kappe die Verbindung und starre in die Nacht.

Die Gespensterbäume beobachten mich stumm.

Das sind Todesboten, raunt der magiegläubige Teil meines Hirns.

Das ist Schwachsinn, brüllt der Rest.

Ich trabe los, um meine Runde zu beenden.

Ich soll lesen? Unfug.

Was glaubt dieser Fatzke eigentlich, wer er ist? Mein beschissener Deutschlehrer?

In meiner Bibliothek stehen in Leder gebundene Ausgaben von Goethe, Schiller und dem ganzen Rest. Und natürlich könnte ich nachher darin blättern.

Den Teufel werde ich tun.

5. KAPITEL

 

Eine halbe Stunde später bin ich zurück in der Villa. Ich gehe hinauf in das kleine Gästebad, ziehe mich aus und stelle mich unter die Dusche. Das Badezimmer im Erdgeschoss habe ich schon lange nicht mehr benutzt – kann sein, seitdem Roana ausgezogen ist. Der große, mit Marmor geflieste Raum ist mir zu unpersönlich, ohne all die Sachen, die sie überall herumliegen ließ – ihre Büstenhalter, Haargummis, Bürsten, Flakons …

Als das heiße Wasser über meine Haut perlt, schließe ich die Augen und lasse das seltsame Telefongespräch mit Leonard Postheim Revue passieren. Seine Vorstellung, dass ich nach seiner Pfeife tanze, nur weil er sehr vermögend ist, deutet auf einen Realitätsverlust hin, den ich bei reichen Narzissten häufiger beobachte. Auch deshalb meide ich Veranstaltungen mit sogenannten Promis, wenn sie nicht wegen der Stiftung unumgänglich sind.

Seine unvermittelte Aufforderung, ich solle einen zweihundert Jahre alten Schmöker lesen, um meine Nerven zu beruhigen, weist darauf hin, dass er nicht nur ein Exzentriker ist. Er hat nicht alle Tassen im Schrank.

Je länger das warme Wasser über meinen Körper fließt, desto mehr löst sich die innere Beklemmung, die dieser schreckliche Tag bei mir hinterlassen hat.

Alles rinnt mit dem Wasser in den Abfluss. Haken dran.

Ich muss mich um Majk kümmern, der mit zerbrochenen Gliedern in einem Eppendorfer Klinikbett liegt. Ich werde nachher noch einmal dort anrufen und mich nach ihm erkundigen. Hoffentlich wird mein kleiner Junge wieder ganz gesund.

Ich stelle das Wasser ab, trete aus der Duschkabine und beginne, mich abzutrocknen. Die Luft im Bad ist dampfig.

Majks Zukunft ist trüb wie mein Abbild im beschlagenen Spiegel. Ich hoffe inständig, dass er nicht ein Leben lang an den Rollstuhl gefesselt bleibt.

Moment mal …

Die Erkenntnis trifft mich wie ein Blitzschlag. Leonard Postheim hat mir das Gleiche gewünscht: Dass Majk bald wieder gehen können soll. Auf den ersten Blick eine nette Geste, aber woher wusste er, dass Majk sich Verletzungen an der Wirbelsäule zugezogen hat und möglicherweise für immer gelähmt bleibt? Ich habe es nicht erwähnt, dessen bin ich mir sicher.

Mit kalter Hand greift die Beklommenheit wieder nach meinem Herzen. Ich schlüpfe in ein beliebiges T-Shirt und ein paar Boxershorts und gehe hinunter in den Ostteil der Villa, den ich die meiste Zeit ebenso meide wie das Hauptbad. In dem ungenutzten Flügel befinden sich ein paar Gästeschlafzimmer und die Bibliothek.

Die Einrichtung des Büchersaals besteht aus rötlichem Mahagoni. Ich habe sie zusammen mit etwa tausend Bänden von der Vorbesitzerin übernommen; die hat die Villa in den Sechzigerjahren von den Erben eines Nazi-Granden ersteigert. Die eigenwillige Dame behauptete, Joseph Goebbels sei hier regelmäßig ein- und ausgegangen, und der große Ohrensessel am Fenster sei der erklärte Lieblingsplatz des Obernazis gewesen.

Mein jüngeres Ich fand die Story damals cool und so behielt ich den Sessel ebenfalls. Als ich Ozzy Osbourne erzählte, dass ich darin die Texte meiner erfolgreichsten Songs verfasst habe, war er völlig aus dem Häuschen.

»Doesn’t surprise me, mate«, nuschelte der selbst ernannte Prince of Darkness. Er streichelte ehrfurchtsvoll über das zerfurchte, grünbraune Leder. »Doesn’t surprise me at all.«

Na ja. Dass sich die Ruchlosigkeit eines Menschen auf sein Sitzmöbel überträgt, wie Ozzy andeutete, war selbst mir ein wenig zu schräg.

Ich starte den Computer, der auf dem ebenfalls aus Tropenholz gefertigten Schreibtisch im georgianischen Stil steht. Der Name meines bizarren neuen Fans ist schnell gegoogelt. Sein Eintrag bei Wikipedia ist deutlich kürzer als mein eigener.

Leonard Postheim (*1990 in Hohenstein) ist ein deutscher Finanzunternehmer. Der Gründer und alleinige Eigentümer der ALDA Invest-Gruppe wuchs in Lindau am Bodensee auf und besuchte das Gymnasium Schloss Salem. Er studierte Rechtswissenschaften und Finanzwesen in Oxford und Harvard und arbeitete bei McKinsey und Barclay’s. Im Jahr 2014 erbte er die Lindauer Darlehens- und Anlagebank und formte daraus die ›Alte Lindauer Darlehens- und Anlagebank-Investmentgruppe‹, (ALDA-Invest).

Eigenen Angaben zufolge unterhält die ALDA Invest zahlreiche karitative Projekte, vornehmlich in Afrika. Leonard Postheim wurde 2019 und 2020 vom ›Manager Magazin‹ als drittreichster Deutscher gelistet (geschätztes Vermögen: 26,5 Mrd. Euro in 2020).

Ich klicke auf den Link zur Seite seines Konzerns. Der Eintrag ist sehr umfangreich, und ich habe keine Lust, mich durch das Konstrukt aus Dutzenden von Holdings und GmbHs zu forsten. Die meisten Begriffe und Namen in dem Artikel sagen mir so viel wie ein Text in Blindenschrift.

Die seltsamen Wörter fallen mir wieder ein, die so gar nicht in seine sonstige Sprache gepasst hatten.

Die kummervollen Nächte.

Irgendwo habe ich diesen Spruch schon einmal gehört, kann mich aber nicht erinnern, wo das gewesen ist.

Ich wende mich zur Regalwand, suche nach der Schmuckausgabe von Schiller und ziehe willkürlich einen der in braunes Leder gebundenen Wälzer heraus. Feiner Staub rieselt mir entgegen und ein muffiger Geruch steigt mir in die Nase, als ich das schwere Buch irgendwo aufschlage.

›Der Geisterseher‹. Wie passend.

Ich fläze mich in Goebbels’ Liebling und beginne zu lesen.

Ich erzähle eine Begebenheit, die vielen unglaublich scheinen wird, und von der ich großenteils selbst Augenzeuge war …

Auf der zweiten Seite gebe ich auf. Ich merke, dass ich viel zu aufgewühlt bin, um mich auf die behäbige Sprache einzulassen. Sie ist von ähnlichem Kaliber wie Postheims ›kummervolle Nächte‹.

Ich lasse die Schwarte auf dem Sessel zurück und gehe abermals zum PC. Eine weitere Eingabe in Google – die kummervollen Nächte – bringt sofort etliche Treffer. Ich klicke auf das erstbeste Angebot und eine Seite mit einem Gedicht poppt auf.

 

Wer nie sein Brot mit Tränen aß,

Wer nie die kummervollen Nächte

Auf seinem Bette weinend saß,

Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

 

Ihr führt ins Leben uns hinein,

Ihr laßt den Armen schuldig werden,

Dann überlaßt ihr ihn der Pein;

Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

(Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832)

 

Eine eisige Hand drückt alles Blut aus meinem Herz.

Alle Schuld rächt sich auf Erden. Ich kenne diesen Wortlaut.

Ein abscheulicher Verdacht erhebt seine hässliche Stimme in mir. Was ich heute Morgen auf dem Sitz meines Rollers fand, war nicht die Zurechtweisung einer pensionierten Studienrätin. Es war eine Botschaft des verschrobenen Milliardärs. Er hat mir nachspioniert, um mich einzuschüchtern, falls ich nicht spure. Er hat meine Absage bereits vorausgesehen und Tatsachen geschaffen, die mich von seiner Macht überzeugen sollen.

Alle Schuld rächt sich auf Erden.

Ich wüsste nicht, dass ich ihm etwas schuldig wäre. Also doch ein Zufall?

Dagegen spricht, dass er über Majks Verletzung Bescheid wusste und aus demselben Gedicht zitierte, als er von ›kummervollen Nächten‹ salbaderte, die ich an Majks Bett verbrachte.

Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren … Es muss eine sinnvollere Erklärung für all das geben.

Ich will ganz sicher gehen, dass ich im Stress nicht wieder einer Täuschung meines eigenen Geistes aufsitze und einen irren Verfolgungswahn spinne, so wie damals, als ich in meiner Verzweiflung Doktor Hell um Hilfe bat. Ich zermartere mir das Gehirn nach einer harmlosen Erklärung, doch immer wieder fällt mir nur eine einzige ein.

Und die ist so ungeheuerlich, dass ich sie kaum zu denken wage.

6. KAPITEL

 

Ich lasse mich zurück in den Lehnstuhl fallen und vergrabe den Kopf in meinen feuchten Händen. Es ist kaum zu glauben, was mir hier geschieht, kann aber nur eine Bedeutung haben: Die beiden Scheusale haben Majks Unfall absichtlich inszeniert.

Es war ein Attentat auf das Leben meines Sohnes. Deshalb wusste Postheim über die Art der Verletzung so gut Bescheid. Deshalb hat er mir die Botschaft auf dem Roller zukommen lassen! Es war eine Drohung.

Ich atme tief durch. Die Psychotherapeutin hat mir beigebracht, offensichtlich wahnhaften Eingebungen meines Gehirns nicht blind zu vertrauen. Bevor ich den Verstand verliere, muss ich den Stier bei den Hörnern packen. So nannte Doktor Hell die Methode, die ich anwenden sollte, wenn meine gestresste Psyche mir einflüsterte, dass sich jemand gegen mich verschworen habe.

»Gehen Sie offensiv auf den vermeintlichen Verschwörer zu und sprechen Sie mit ihm über Ihre Gefühle«, riet sie mir.

Das war nicht einfach, aber es gelang mir dadurch oft, meine Geistestäuschung zu erkennen und die innere Ruhe wiederzufinden.

Den Stier bei den Hörnern packen.

Ich nehme das Handy und wähle Leonard Postheims Nummer aus dem Speicher ›Letzte Anrufe‹.

Es klingelt nur ein einziges Mal.

»Das ging schnell.«

Seine Gewissheit, dass ich ihn anrufen würde, irritiert mich. Bin ich wirklich so durchschaubar?

»Haben Sie meinen Sohn über den Haufen gefahren und eine Drohbotschaft auf meinem Roller hinterlassen?«

»Wie bitte?«

»Mein Kind ist heute Morgen von einem Auto angefahren und lebensgefährlich verletzt worden.«

»Das haben Sie mir bereits erzählt. Und ich habe Ihnen versichert, dass ich Ihr Unglück sehr bedauere.«

»Ich habe Ihnen aber nicht mitgeteilt, dass Majk an der Wirbelsäule verletzt wurde. Woher wussten Sie das?«

»Wusste ich es?« Ein Dementi klingt anders.

»Sie haben mir außerdem vor der Klinik eine Nachricht hinterlassen. Eine Zeile aus einem Gedicht von Goethe, aus dem Sie vorhin zitierten. Ist es nicht so? Alle Schuld rächt sich auf Erden?«

»Was für eine Schuld denn?«

»Sagen Sie es mir.«

»Herr Thälmann, glauben Sie wirklich, ich würde Ihren kleinen Liebling verletzen, um Sie dazu zu bringen, für mich auf die Bühne zurückzukehren? Glauben Sie das wirklich? Das wäre ja völlig verrückt!«

Es klingt wirklich total irre. Niemand würde so etwas Grausames tun. Und doch bin ich überzeugt, dass es genau so ist.

»Sie stellen mir Gegenfragen, anstatt mir zu antworten«, sage ich. »Die eindeutige Aussage, dass Sie damit nichts zu tun haben, wäre mir lieber. Also …?«

»Ich möchte Ihre Musik kennenlernen, Herr Thälmann, und zwar mehr als ich es in Worte fassen kann. Und ich würde viel dafür geben, wenn Sie mir zu Ehren spielen würden. Aber so etwas? Ihren Sohn mit dem Tode bedrohen? Das trauen Sie mir zu? Nur wegen ein bisschen Musik?«

Irre ich mich, oder hat er meinen Vorwurf noch immer nicht bestritten?

»Verzeihen Sie, aber das klingt nach Verfolgungswahn«, sagt er. »Ich liebe Kinder und ich finanziere wohltätige Projekte, wo immer ich kann, zum Beispiel gegen den Einsatz von Kindern als Soldaten in Afrika. Und da soll ich einem Kind etwas antun können … Ihrem Kind? Wo Sie doch ebenfalls so großartige Arbeit mit Ihrer Stiftung leisten, die ich übrigens sehr bewundere. Ihre Einrichtungen sind großartig.«

Ich erstarre.

»Was wissen Sie von der Stiftung?«

»Bitte bleiben Sie ruhig, Herr Thälmann. Das ist doch unwichtig. Entscheidend ist, dass ich in der Regel bekomme, was ich will, ohne dass ich einen Siebenjährigen zum Krüppel fahre oder ein Kinderheim in Finkenwerder abfackele. Reicht Ihnen das als Antwort?«

Jedes meiner Nackenhaare richtet sich einzeln auf. Ich werde das Gefühl nicht los, dass er das Gegenteil dessen sagt, was er meint.

»Haben Sie Majk verletzt, um mich zu erpressen? Ja oder nein?«

»Ich fürchte, Sie sind ein wenig durch den Wind, Herr Thälmann. Aber das kann ich verstehen, nach allem, was Ihnen heute zugestoßen ist.«

»Das ist keine Antwort!«

»Ich will nur ein Konzert von Ihnen, das ist alles. Warum zieren Sie sich so? Es geht nur um einen Auftritt.«

»Auch das ist keine Antwort.«

Er schweigt.

»Haben Sie meinen Sohn überfahren? Drohen Sie mir, die Kinder in meinem Heim zu verbrennen, wenn ich nicht auf Ihren Vorschlag eingehe?«

»Ich gebe Ihnen zwei Tage. Die Karten liegen auf dem Tisch, jetzt sind Sie am Zug, Herr Thälmann. Wenden Sie sich an Chris Omasa, wenn Ihre Entscheidung gefallen ist.«

Er legt auf.

Die Polizei. Du musst zur Polizei gehen, raunt die Stimme der Vernunft.

Und was werde ich den Beamten sagen? Dass mich ein stinkreicher Exzentriker unter subtiler Androhung von Gewalt erpresst, eine Million Euro anzunehmen, damit ich für ihn trällere? Wie absurd ist das denn? Und noch viel absurder ist, dass ich das fantastische Angebot ausgeschlagen habe – mehr Geld als ein Polizist in zwanzig Jahren verdient.

Die lachen sich tot auf der Wache.

Zu viel Koks geschnüffelt, Herr Rockstar?

Sie werden mich nach Beweisen fragen für die angebliche Drohung. Und dafür, dass Postheim den Unfall meines Sohnes verursacht hat.

Ich habe nichts in der Hand, außer ein paar Anspielungen und einem Gedicht vom alten Goethe.

Dann werden sie mich fragen, warum ich die leichtverdiente Million nicht einfach absahne, und das ist des Pudels Kern.

Wäre ich bereit für die ehrliche Antwort, dass ich mich vor nichts auf dieser Welt mehr fürchte?

Nein, den Weg zur Polizei kann ich mir sparen.

Aber wie komme ich aus dieser Zwickmühle wieder heraus?

Wenn ich ihm nicht zu Willen bin, bringe ich meine Liebsten in höchste Gefahr. Wenn ich auftrete, erwartet mich mein Untergang.

Der Dämon.

Wenn ich den Fuß ins Rampenlicht setze, lauert er nur darauf, mich zu zerquetschen.

7. KAPITEL

 

Rezension einer CD im Musikmagazin ›Metal Hammer‹ (1994)

 

Heute ist mir eine ulkige CD ins Haus geflattert. Das Cover ist knallrot, in der Mitte prangt ein weißer Kreis mit schwarzem Pentagramm.

Erinnert mich an Hakenkreuzfahnen.

Hm.

Erst im Inneren entdecke ich den Namen der Band. Sie heißt ›Eisenkind‹ und kommt aus Jena.

Noch mal, hm. Eine ostdeutsche Band, die sich so einen Namen gibt und mit so einer Aufmachung daherkommt, muss einen mächtig feuchten Hut aufhaben. In unserem geliebten Genre sind die Bezeichnungen ja immer martialischer als anderswo, man denke an ›Iron Maiden‹, was übersetzt auch nicht gerade lustig klingt, aber selbstverständlich über jeden Zweifel erhaben ist.

Aber ›Eisenkind‹? Da kommen einem gerade im Zusammenspiel mit dem Cover noch andere Begriffe in den Sinn: Eisernes Kreuz, Wehrmacht, Volkssturm. Endsieg. Solche Sachen.

Nicht schön.

Mit einer üblen Vorahnung lege ich den Silberling ein und hoffe, dass da nicht jemand eurem geschätzten Rezensenten eine Neonazi-Kapelle unterjubeln will. Kann ich nämlich gar nicht leiden, so was.

Was hören meine entzündeten Ohren, nachdem die Gitarren losgebraten haben? Die vier Jungs aus Jena singen Deutsch!

Nicht gut, denke ich, gar nicht gut. Aber was sage ich da überhaupt – singen? Shouter Thälmann (Vornamen sind wohl nur für Warmduscher) tönt tief und unheilschwanger, von Gesang kann keine Rede sein. Er skandiert eher. Und rollt dabei das R wie Adolf Hitler.

Mein Finger schwebt schon über der Auswurftaste, da gibt der Sangesmann eine unerhört hohe und traumhaft melodiöse Passage von sich. Sie lässt mich hinschmelzen wie Milcheis an der Copacabana.

Ich spule noch mal zurück. Kann das dieselbe Person sein? Fieberhaft untersuche ich das Inlay. Von einer Gastsopranistin steht da nix, es muss also ›Ohne Vorname‹ Thälmann sein.

Imponiert mir mächtig.

Zum Vortrag des stimmlich so agilen Sängers wummern mächtige Gitarrenriffs aus den Boxen. Der zweite Song nimmt hörbar Anleihen bei einem meiner Alltime-Favs ›Black Sabbath‹, ist aber zusätzlich mit einem stampfenden Elektrobeat unterlegt. Dadurch entsteht – ja, was eigentlich? Ich nenne es mal mitleidlose Marschmusik, die keine Gefangenen macht. Voll auf die Zwölf.

Die Mucke fängt an, mich zu faszinieren, meinen anfänglichen Vorbehalten zum Trotz, ist das mal richtig geil.

Meine Nachbarin klingelt Sturm.

Ich drehe lauter, um sie zu übertönen. Nicht jetzt, du nervige Schachtel.

Textlich wildern ›Eisenkind‹ zum Glück nicht im Nazimilieu, dennoch ist der Stoff grenzwertig. Thälmann gibt den Antichristen, überall hat das Böse seine knochigen Finger im Spiel. Das ist nun nichts bahnbrechend Neues, in dieser Form und in meiner geliebten Muttersprache aber mindestens gewöhnungsbedürftig. Probe gefällig?

»Schwarz wie Kohlenstaub.

Schwarz wie deine Seele.

Schwarz wie die Hölle,

in der ich dich quäle.«

Muss man mögen. Mein Geschmack ist Sadomaso-Höllen-Kram nicht, ehrlich gesagt. Trotzdem kann ich der Truppe einiges abgewinnen. Was die Ost-Buben musikalisch auffahren, klingt neu und frisch. Was Thälmann gesanglich anbietet, ist Weltklasse.

Würden sie von Deutsch auf Englisch switchen und von dem – etwas bemühten – Teufels-Image lassen (ihr müsst stattdessen ja nicht über Blumen, Schmetterlinge und den Weltfrieden singen, Jungs), dürfte es für ›Eisenkind‹ kein Problem sein, demnächst zu den Topverdienern im Business zu gehören.

Mein Fazit: eine hochwillkommene Abwechslung zur allgegenwärtigen Grunge-Soße von ›Nirvana‹ und Konsorten.

Wer braucht Seattle? Jena rules!

Unbedingt reinhören! (5 von 7 Hämmern)

8. KAPITEL

 

Ich suche nach dem kleinen Adressbuch, das irgendwo in dem alten Mahagonischreibtisch liegen muss. In der obersten Schublade entdecke ich nur Planskizzen für den Umbau des Gehöfts in Finkenwerder sowie die dazugehörige Korrespondenz mit der Baufirma. Und ein paar Kontoauszüge aus dem Jahr 2001.

Die zweite Lade klemmt. Ich muss rütteln, um sie Stück für Stück aufzukriegen. Unter einem Haufen von Fotos der letzten US-Tournee entdecke ich einen Ordner mit Zeitungsartikeln über Eisenkind. Erst in der dritten Schublade werde ich fündig. Die Kladde ist handgroß und fingerdick. Nach dem Ende der Band habe ich sie in den alten Sekretär verbannt und nie wieder herausgekramt. Viele der Telefonnummern, die ich damals in bemühter Druckschrift und nach alphabetischer Reihenfolge eintrug, dürften inzwischen veraltet sein.

Einige der Namen habe ich vergessen, zu manchen fehlt mir ein Gesicht. Wenn ich mich dort melden würde, schlüge mir vermutlich Verwunderung entgegen – im günstigsten Fall.

Es wird nicht leicht werden. Ich blättere zum Buchstaben T. Vor einigen Jahren hätte ich die gesuchte Nummer nicht nachschlagen müssen, ich konnte sie im Schlaf herunterbeten. Das war in einem anderen Leben. Es wird sehr schwer werden, aber ich muss sie anrufen.

Leonard Postheim hat es nicht ausdrücklich zugegeben, aber ich bin inzwischen fest davon überzeugt, dass er Majks Tod billigend in Kauf nahm, um mich zu erpressen. Ich besitze auch keinen Beleg dafür, dass er einen Brandanschlag auf die Kinder in meinem Heim verüben wird, wenn ich ihm nicht zu Willen bin. Dennoch halte ich genau das für wahrscheinlich.

Es ist ein schrecklich realer Horrorfilm, den ich gerade erlebe, und die Hauptrolle des Wahnsinnigen ist ausnahmsweise nicht mit mir besetzt. Wenn ich das Leben der mir Anvertrauten nicht riskieren will, werde ich dieses schwierige Telefonat führen müssen – und im schlimmsten Fall noch ein weitaus größeres Opfer bringen.

Ich kneife die Augen zusammen, um die kleine Schrift ohne Brille entziffern zu können, und tippe die Ziffern in mein Handy. Ich vertue mich vor Aufregung zweimal und muss löschen, dann stimmt die Nummer endlich. Dennoch zögere ich, die Verbindung herzustellen. Es fühlt sich so beschissen an, jetzt angekrochen zu kommen.

Tsetses richtiger Name lautet Cora, aber wie die meisten Leute im Umfeld unserer Band bekam sie einen Spitznamen verpasst. Seither ruft alle Welt sie bei den Anfangsbuchstaben ihrer beiden Namen: CC. Was bei einer knapp Zwanzigjährigen witzig klingen mag, ist bei einer dreimal so alten Frau albern, aber Tse sah nie einen Grund, ihren Markennamen zu ändern. Never change a winning team.

Der Erfolg gab ihr Recht. Neben dem Hauptsitz in Jena betreibt Stainless Music Management ein Büro in London und L.A. Coras Firma betreut Gruppen aus zwei Dutzend Ländern, vorwiegend aus dem Bereich Metal.

Das schäbige Ende von Eisenkind zerstörte meine Freundschaft zu ihr, und ich fürchte, dass sie mich im Innersten noch immer für die Schwäche verachtet, die mich damals tun ließ, was ich tat. In ihrer westfälischen Sturheit bestand sie in den ersten Monaten nach der Trennung der Band darauf, nur noch über einen Mitarbeiter mit mir zu kommunizieren. Irgendwann redeten wir dann doch wieder miteinander, weil wir geschäftlich immer noch verbunden waren, aber das Verhältnis wurde nie wieder so vertraut wie früher. Je weniger die Vermarktung des Eisenkind-Erbes abwarf, desto länger wurden die Sendepausen. Seit einigen Jahren schickt sie mir nur noch kommentarlos die Abrechnung meiner Tantiemen zu.

Und jetzt wird sie mir den Schuh in den Arsch treten.

Nein, das nicht. Denn wenn sie nur noch halb so geldgeil ist wie früher, lässt sie sich einen lukrativen Deal nicht durch die Lappen gehen. Das ist meine Chance.

Cora Clewin M.A. ist im Business berüchtigt für ihre Sparsamkeit. Böswillige nennen sie geizig. Ich kann mich gut daran erinnern, wie sie noch nach unserem ersten Top-Ten-Hit jeden Abend unsere Gage einsackte und uns täglich dreißig Mark Taschengeld auszahlte.

»Für Zigaretten und Bier. Was brauchen Mucker mehr auf Tour?«

Sie behielt das Geld nicht für sich, wie Neider immer wieder behaupteten, sondern investierte es in Equipment, T-Shirts und Werbung. Später legte sie die Überschüsse in Firmenbeteiligungen für uns an, von denen wir heute noch zehren. Dass Außenstehende sie für einen Geizkragen hielten, war ihr immer egal. Mir auch. Tse ist eine Rockmanagerin, wie sie im Buche steht. Doppelt so hart wie die Musik, die sie vermarktet, und ein Problemlösungsautomat.

Jede Verwicklung, in die eine Horde Zwanzigjähriger gerät, die allenthalben großzügig mit Partymaterial ausstaffiert wird – Alkohol, Mädchen, Koks, »you name it, you get it« –, bereinigte sie zuverlässig und wenn nötig auch mit zwielichtigen Methoden. Aber sie hielt die Rock-Maschine am Rollen und das Geld sprudelte.

Ich muss an einen Abend in Montgomery, Alabama, denken, irgendwann in den späten Neunzigern auf unserer ersten Headliner-Tour. Die Polizei verhaftete Bunk, unseren Bassisten, ein paar Stunden vor dem Konzert. Sie steckten ihn in eine Gefängniszelle, weil er in einem Schwulenclub ein Messer gezückt und einen anderen Besucher bedroht haben soll.

Es war ein abgekartetes Spiel, Bunk hat nie ein Messer besessen. Unsere erste amerikanische Single ›Schwarz‹ war ein paar Tage zuvor in die Top Twenty der Billboard-Charts geklettert, und auch Journalisten jenseits des Metal-Genres wurden auf uns aufmerksam. Der Erfolg war der Frau des Gouverneurs von Alabama ein Dorn im Auge. Als wiedergeborene Christin glaubte sie, durch Bunks Verhaftung den Auftritt der ›deutschen Satansband‹ in ihrer Stadt vereiteln zu können.

Ich war so aufgebracht, dass ich vorschlug, die gesamte Roadcrew in den Tourbus zu packen, zur Polizeistation zu fahren und sie dem Erdboden gleichzumachen.

Tse verhinderte den Wahnsinnsplan. Sie steckte ein Bündel Dollars ein und wir fuhren zu dritt dorthin, um über Bunks Freilassung zu verhandeln. In einem hitzigen Wortgefecht machte der Sheriff uns klar, dass er Bunk an diesem Tag nicht mehr entlassen würde. Weil ich mich vor lauter Wut am Mobiliar vergriff, ließ der Idiot auch uns in seiner Verbrecherkartei registrieren und schmiss uns dann raus – ohne Bunk natürlich.

Ich wollte das Konzert absagen, aber nicht mit Tse.

Sie erteilte uns in aller Seelenruhe den Auftrag, uns wie gewöhnlich für den Gig bereit zu machen und die Vorband pünktlich um halb acht auf die Bühne zu schicken, egal was käme. Bis kurz vor Beginn unserer Show ward sie nicht mehr gesehen, und ich befürchtete schon das Schlimmste. Sieben Minuten vor Showtime erschien sie wieder in Begleitung eines rothaarigen Sechzehnjährigen. Joe oder Jim, oder so ähnlich. Tse hatte ihn angeblich in der Schlange der wartenden Fans aufgelesen, weil der Knabe behauptete, alle unsere Songs auswendig auf dem Bass spielen zu können. Ich war skeptisch, aber Tses Plan – und Joe-Jims vermutlich größter Traum – wurden Wirklichkeit. Beim Anblick von sechstausend tobenden Fans verkroch er sich zwar fast in den Boxen, spielte aber ordentlich.

Wir hatten Riesendusel, dass die Schergen von Frau Gouverneurin dumm genug gewesen waren, nicht Schatten oder mich einzusperren, denn dann wäre das Konzert sicher geplatzt.

Tse stachelte mich während des Auftritts an, auf der Bühne meinem Frust über die Tyrannei der amerikanischen Polizei freien Lauf zu lassen, und ich kam richtig in Fahrt. Ich hetzte gegen die ›Nazi-Methoden‹ des Sheriffs und zertrümmerte am Ende des Sets unser Schlagzeug – das einzige Mal in unserer Karriere. Eine Rotte marodierender Fans folgte meinem schlechten Beispiel und demolierte danach mehrere Stadtbusse.

Wir erhielten Auftrittsverbot in Alabama auf Lebenszeit, und unser Ruf als German Bad Boys war zementiert. Die Single schoss auf Nummer eins, und wir waren schlagartig berühmt.

Tse hat immer bestritten, dass sie mit diesem Verlauf der Dinge rechnete, aber inzwischen bin ich mir fast sicher, dass sie das alles selbst inszeniert hat – beginnend mit Bunks dubioser Verhaftung. Dafür spricht nicht zuletzt, dass sie mit diesem Joe-Jim einen perfekten Joker aus dem Ärmel zog.

Sie ist einfach genial.

Mit einem mulmigen Gefühl drücke ich die Verbindungstaste.

Nach mehrmaligem Klingeln geht sie ran.

»Hi, Tse, ich bin’s.«

»Goldkehlchen … schön, dich zu hören, echt jetzt, Süßer! Na, noch alles fit im Schritt?« Ihre pubertär wirkende Lockerheit verleitete Unerfahrene immer dazu, ihre Gerissenheit zu unterschätzen.

»Kann mich nicht beklagen.«

»Freut mich. Wie geht’s der lieben Frau?«

Offenbar hat sie nicht mitbekommen, dass wir uns getrennt haben. Ich hatte Tse damals im Verdacht, ein wenig eifersüchtig auf Roana zu sein, obwohl unsere kleine Affäre, die sie erst mit der Band in Kontakt gebracht hatte, da schon lange zurücklag.

»Es geht Roana gut so weit. Wir sind nicht mehr zusammen.«

»Oh.«

Von Tse brauche ich kein Bedauern zu erwarten. Sie hatte Roana immer unterstellt, das Ende von Eisenkind herbeigeführt zu haben, was definitiv nicht stimmt.

Ich höre, wie sie sich eine Zigarette anzündet. Sie inhaliert und bläst den Rauch aus der Lunge.

»Du bist unter die Autoren gegangen, höre ich. Respekt, Süßer!«

»Nur ein paar kleine Gedichte. Nichts Besonderes.«

»Respekt, echt. Könnte ich nicht, wochenlang so allein am Schreibtisch sitzen.«

»Geht.«

»Bei dir vielleicht. Du warst ja immer ein wenig, na ja, eigenbrötlerisch.«

Ich kann gut mit mir allein sein, das stimmt. Obwohl es meinem extravertierten Image in der Öffentlichkeit widerspricht.

»Ich war die Erste, die deine Bücher gekauft hat, wirklich, Süßer. Ganz heißer Scheiß!«

»Freut mich.«

Sollte sie tatsächlich Geld für meine Werke ausgegeben haben – was ich für höchst unwahrscheinlich halte –, dann hat sie keine Zeile darin gelesen. Cora Clewin ist kein Bücherwurm.

»Das aus deinem Mund zu hören, freut mich besonders«, sage ich.

»Immer doch, Süßer! Am besten waren deine Ergüsse allerdings, als du sie noch singend vorgetragen hast. Meine Meinung.«

»Woher wusste ich, dass du das sagen würdest?«

Sie lacht rau.

»Soll kein Vorwurf sein, alles vergeben und vergessen.«

»Gut. Weswegen ich mich melde …«

Sie fängt an, ausdauernd zu husten. Vierzig Jahre Kettenrauchen sind nicht spurlos an ihr vorüber gegangen.

»Verfluchte Bellerei! Sorry, Süßer. Noch mal, bitte!«

»Können wir uns treffen?«

»Ja, klar, immer doch … ich hab nur grad viel um die Ohren. Kennst mich ja, Hansdampf in allen Gassen.« Ihr heiseres Kichern klingt unecht.

»Es wäre wichtig, Tse.«

Sie bleibt eine Sekunde länger stumm als nötig.

»Brauchst du Geld?«

Sie ist ein Bauchmensch, war immer stolz auf ihren siebten Sinn, der sie Verhandlungspartner rasch durchschauen und die richtigen Winkelzüge ableiten ließ. Aber diesmal liegt sie falsch.

»Du kannst mich lesen wie ein Buch.«

Ich will sie nicht anlügen, habe aber beschlossen, sie keinesfalls in Postheims Erpressung einzuweihen. Zu kompliziert, zu unglaubwürdig. Zu sehr: ›Typisch Thäl, sieht überall Gespenster!‹

»Willst du dir was leihen? Da muss ich dir gleich sagen, dass ich nicht gut bei Kasse bin.«

»Ich will kein Geld von dir, Cora. Keine Sorge.«

»Aha? Gut … das ist gut, Süßer. Ich muss nämlich selber sehen, wo ich bleibe im Moment.«

Sie hat sich kein Bisschen verändert.

»Es geht um ein Konzert. Mit Eisenkind.«

Sie braucht einen Augenblick, um das Unvorstellbare zu begreifen.

»Du … du willst wieder auftreten?«

Von wollen kann keine Rede sein.

Sage ich aber nicht. Um die Dringlichkeit meines Anliegens zu untermauern, erzähle ich ihr stattdessen, dass Majk schwer krank ist. Ich hoffe, dass sie daraus die Schlussfolgerung zieht, dass ich eilig Geld für eine medizinische Behandlung benötige.

»Oh Süßer, das tut mir sehr leid. Echt jetzt. Er wird doch wieder, der kleine Racker?«

Sie hat keine Kinder und allgemein wenig Bezug zur Elternschaft.

Ich lasse die Antwort offen und stelle ihr Leonard Postheims Offerte dar, ohne die scheußlichen Details.

»Eine Million? Pro Bandmitglied … ist der Mann bekloppt?«

»Er ist ein Milliardär. Das sind Peanuts für ihn.«

»Milliardär? Hm! Seit wann schmeißen Reiche das Geld zum Fenster raus? Den muss ich gründlich durchleuchten.«

Sie will skeptisch klingen, aber ich kenne sie besser. Tse hat den Köder bereits geschluckt.

»Bist du sicher, dass du das willst? Ausgerechnet du?«

»Selbstverständlich«, lüge ich. »Sonst hätte ich mich nicht bei dir gemeldet. Du bist der einzige Mensch, der Socke und Bunk dazu bringen kann, auch nur im Traum über das Angebot nachzudenken.«

»Das wird nicht leicht.«

»Ist mir bewusst.«

Es ist sogar ein Bestandteil meines Plans. Indem ich bei meinen ehemaligen Mitmusikern zu Kreuze krieche und sie bitte, die Band meinetwegen wieder zu vereinigen, habe ich mein Möglichstes getan, um Postheims Wunsch zu entsprechen. Wenn auch sie das Konzert ablehnen, wovon ich fest ausgehe, wird er hoffentlich erkennen, wie aussichtslos sein Ansinnen ist.

»Was steckt für mich drin, Süßer?«

»Dasselbe, denke ich. Als unsere Managerin warst du von jeher der unsichtbare, fünfte Beatle. Wir haben immer alle Tantiemen geteilt, und wenn es nach mir geht, ändert sich daran auch nichts. Ich gehe davon aus, dass Postheim dir ebenfalls eine Million für deine Dienste bietet.«

»Das klingt gut, Süßer …«

Ich glaube, fast zu hören, wie es in ihr rattert.

»Wenn du wieder auftrittst … was das für Möglichkeiten bietet! Ich denke an eine Revival-Tour! Alle Haudegen machen zurzeit Kasse – sogar Queen mit einem Hologramm von Freddie Mercury.«

»Ich brauche nur dieses eine Konzert.«

»Aber du brauchst auch Geld, Süßer, so wie es sich anhört! Und ihr könntet richtig Kohle scheffeln, mehr noch als früher. Hast du mal die heutigen Ticketpreise gesehen? Halleluja! Ich bringe euch als ›Very Special Guest‹ von Metallica unter. Die gehen nächstes Jahr auf Tour. Lars ist mein Nachbar in Hollywood. Wir trinken oft ein Weinchen zusammen und …«

»Tse!«

»… Metallica, Süßer! Und Eisenkind! Die Tour wäre ein Knaller.

»Mhm …«

»Ich sehe die Poster schon vor Augen. Und du würdest jede Menge Zaster für deinen Sohn zusammenbringen und der Rest könnte …«

»Tse, bitte!«

Ich stelle mir vor, wie knallrote Dollarzeichen in ihren Augen flackern.

»Ich weiß deinen Enthusiasmus zu schätzen. Wirklich. Und ich bin sehr dankbar, dass du es versuchen willst, nach allem, was geschehen ist. Jede Band der Welt wartet auf die Chance, mit einer Gruppe wie Metallica …«

»Na, eben! Götter!«

»Sicher. Aber sollten wir nicht erst einmal mit Socke und Bunk reden? Sie verweigern seit Jahren jeden Kon-takt zu mir. Zum Schluss haben nur noch unsere Anwälte miteinander kommuniziert. Ich habe es ein paarmal persönlich versucht – nicht oft, muss ich zugeben – und ich befürchte, dass es den beiden ein Vergnügen sein wird, mich auflaufen zu lassen.«

»Darum kümmere ich mich, Süßer. Das bieg ich hin.«

Absurderweise hoffe ich, dass sie sich irrt.

9. KAPITEL

 

Leonard Postheim ist, was er ist. Deshalb kann er die Mimik der Menschen nur schwer entschlüsseln. Er mustert sie intensiv und sucht in ihrem Äußeren nach Anzeichen von Stärken und Schwächen, die er zu seinem Vorteil ausnutzen kann.

Die Fremde, die seine Sekretärin zu ihm in das große Büro führt, muss in ihrer Jugend sehr schön gewesen sein. Sie sieht immer noch gepflegt aus, doch ihre geringe Selbstdisziplin ist ihr mit den Jahren zum Verhängnis geworden. Sie ist korpulent und riecht schon von Weitem nach kaltem Zigarettenrauch. Dunkle Schatten zeichnen sich unter ihren wachen, hellen Augen ab.

Sie könne ihm in einer wichtigen Sache behilflich sein, hat sie am Telefon behauptet. Genaueres werde sie aber nur im persönlichen Gespräch erläutern.

Leonards Raubtierinstinkt riet ihm, ihr eine Minute seiner kostbaren Zeit zu schenken. Eine Minute, nicht mehr.

Er sieht auf die Uhr.

Die Fremde sinkt in einen der edlen Besuchersessel, streicht mit einer oft geübten Bewegung ihre blondierte Mähne glatt und faltet dann die plumpen Hände über ihrer schwarzen Lederjacke. An sechs von acht Fingern stecken breite Silberringe.

Fünfzig Sekunden.

»Ich heiße Cora Clewin. Und ich möchte Ihren Herzenswunsch erfüllen.«

Leonard tut sich mit Anspielungen schwer, er hasst hintergründigen Humor, Metaphern und Ironie. Warum lieben die Menschen es so, um den heißen Brei herum zu reden?

Vierzig Sekunden.

»Klartext, bitte.«

Sie verzieht das Gesicht. Es könnte ein Ausdruck von Amüsement sein, oder Spott, Leonard weiß es nicht. Schmerzen schließt er aus.

»Eisenkind.«

»Was?« Nie hätte er diese verlebte Frau mit der Band in Verbindung gebracht.

»Wer sind Sie?«

»Nennen Sie mich einfach Mutter Courage.«

»Was?«

»Sind Sie wirklich so schwer von Begriff? Sie wollen Eisenkind, und dafür brauchen Sie mich. Ich bin die Managerin der Band. Mutter Courage und ihre Kinder, verstehen Sie? Bert Brecht.«

»Eigentlich nicht.«

Zwanzig Sekunden.

Sie hebt den Zeigefinger der rechten Hand zu einer belehrenden Geste. Leonard erkennt einen Totenkopfring.

»Ich kenne die drei Jungs besser als jeder andere. Sie sind sensible Geschöpfe, und ich weiß genau, wie man mit ihnen umgeht. Ich habe alle Deals für sie exklusiv ins Trockene gebracht, und auch der von Ihnen gewünschte wird nur über mich zustande kommen.«

Leonard reibt Daumen, Zeige- und Mittelfinger aneinander. Er weiß, dass alle Menschen die Geste verstehen.

»Ich habe überzeugende Argumente«, sagt er.

»Sie meinen Ihr Geld? Das sollten Sie nicht überschätzen. Die Musiker sind sich spinnefeind.«

»Ist bekannt. Erzählen Sie mir was Neues.«

Zehn Sekunden.

»Sie sind nicht nur zerstritten, mein Gutster! Die hassen sich wie die Pest!«

Die Zeit ist um.

»Was genau wollen Sie mir anbieten? Sagen Sie es schnell, ich habe Termine.«

»Sehr einfach: Da ich die Einzige bin, die eine kleine Chance hat, die Band wieder zusammenzubringen, weil ich die richtigen Knöpfe zu drücken weiß, biete ich Ihnen meine Vermittlerdienste an.«

»Und dafür wollen Sie eine Gegenleistung.«

»Ich sehe, wir verstehen uns. Ich dachte an hundert Millionen.«

»Sind Sie verrückt? Glauben Sie, dass ich einer der reichsten Männer des Landes bin, weil ich mich von einer zweitklassigen Agentin erpressen lasse?«

»Das ist ein hartes Wort. Sie bekommen ja etwas dafür.«

»Nicht den Gegenwert einer solchen Summe! Niemals.«

»Ich dachte mir, dass Sie das sagen würden, und habe mich deshalb über Sie schlaugemacht. Ich weiß, wer Sie wirklich sind. Ich gebe zu, dass ich mir nicht ganz sicher war, es gibt ja nur wenige Bilder von Ihnen im Netz. Aber seit ich Sie vor mir sehe, habe ich nicht mehr den geringsten Zweifel.«

»Woran Zweifel? Wovon reden Sie?«

»Lassen Sie bitte das dumme Spiel! Den Bären vom spleenigen Millionär auf der Suche nach seiner Leidenschaft können Sie jemand anderem aufbinden. Ich bin eine Frau, mich führen Sie nicht hinter den Lokus. Die Ähnlichkeit ist offensichtlich!«

»Na gut … und weiter?«

»Was Sie wirklich vorhaben, kann ich nur ahnen und ich finde es schrecklich. Aber jeder ist sich selbst der Nächste, nicht wahr? Eisenkind war mir einmal wichtig, aber das ist vorbei. Wegen mir können Sie bekommen, was Sie wollen, aber zu meinen Bedingungen.«

»Und wenn ich darauf nicht eingehe?«

»Dann durchkreuze ich Ihre Pläne und lasse Sie auffliegen. Ganz einfach.«

»Hundert Millionen also?«

»Genau. Auf mein Konto auf den Cayman Islands. Rockmusik ist im Arsch, die jungen Leute hören Rap und Computerscheiß. Meine Agentur läuft nicht mehr. Ich habe Alimente an zwei Ex-Männer zu zahlen und brauche dringend eine Finanzspritze.«

Leonard unterdrückt den Zorn, den der Erpressungsversuch der impertinenten Person in ihm aufwallen lässt.

»Sind wir uns einig?«, fragt sie.

Er nickt.

»Gut. Ich bekomme das Geld, sobald die Band eingewilligt hat, den Vertrag einzugehen, aber noch vor der eigentlichen Unterzeichnung, klar? Dann können Sie Eisenkind meinetwegen in der Luft zerreißen.«

10. KAPITEL

 

Ich fühle mich unwohl, als ich das Restaurant ›Caruso‹ betrete. Nicht, weil ich in der vergangenen Nacht wegen des Albtraums kaum geschlafen habe, und auch nicht, weil mich das Personal wegen meines Aufzugs misstrauisch beäugt. Ich meide Gourmettempel, soweit möglich, und gebe mein Geld für sinnvollere Dinge aus, weil ich es obszön finde, Nahrung zum teuren Kult zu erheben, damit sich eine wohlhabende Minderheit vom Pöbel abgrenzen kann. Vielleicht bin ich in dieser Hinsicht zu sehr ein Kind der DDR und das Ergebnis der … nennen wir es mal … geradlinigen Erziehung durch meine Großmutter. Tse war von der Idee mit dem ›Caruso‹ jedoch nicht abzubringen, der Jogginganzug ist mein Kommentar zu dem Thema.

»Lass uns in Jena treffen, wo alles begann«, sagte sie und buchte für uns einen Abend in dem Zwei-Sterne-Schuppen eines bekannten TV-Kochs, der sich nicht zu schade ist, sein Lokal mit Fotos von sich selbst zu dekorieren, auf denen er fett grinsend mit glücklichen Fans posiert.

Einer der Kellner kommt stirnrunzelnd auf mich zu und macht sich vor mir breit.

»Hat der Herr sich vielleicht in der Tür geirrt?«

Sein lückenhafter Vollbart verdeckt nur unzureichend die spätpubertären, frischen Pickelnarben auf seinen Wangen.

Ich setze mein freundlichstes Lächeln auf.

»Es muss eine Reservierung durch Frau Clewin vorliegen. Vier Personen.«

Er mustert mich eingehend.

»Sie sind es! Oh Jesses, Sie sind es wirklich!«

Er hat lauter gesprochen als der gedämpften Atmosphäre des Lokals zuträglich. Einzelne Gäste drehen sich neugierig um.

Ich hebe beschwichtigend beide Hände.

»Wir wollen Ihre geschätzten Kunden doch nicht stören«, sage ich im Flüsterton. »Außerdem bin ich inkognito hier. Also bitte kein Aufhebens.«

»Verstehe, verstehe!« Er flüstert nun ebenfalls. »Inkognito. Deshalb Ihre … Kleidung.«

Ich nicke. Fast tut er mir leid.

»Aber Sie sind doch … Sie, nicht wahr? Sie sind Sie!«

»Darauf können wir uns verständigen.«

Er entschuldigt sich und schaltet auf die katzbuckelige Freundlichkeit um, die sich viele seiner Kollegen für den Job angeeignet haben. Er heiße Timon und sei heute Abend unser Gastgeber.

Timon geleitet mich in eine ruhige Ecke, wo ein Tisch für vier Personen festlich eingedeckt ist. Unbeeindruckt vom kühlen Understatement des Restaurants lasse ich mich auf einen der mit rotem Samt bezogenen, weißen Stühle plumpsen.

»Darf ich Ihnen schon etwas empfehlen? Einen Thuringia Martini vielleicht? Das wäre ein fruchtiger Aperitif.« Er rattert ein halbes Dutzend Zutaten herunter.

Ich bestelle ein alkoholfreies Bier.

»Selbstverständlich, Herr Thäl… gerne, gerne! Kommt sofort!«

Er zieht sich zurück, tuschelt kurz mit seiner Kollegin und wedelt sie dann mit den Händen zum Ausschank.

Ich tue so, als bemerkte ich die teils neugierigen, teils entrüsteten Blicke der gut gekleideten anderen Gäste nicht, genieße sie innerlich aber dennoch. Ein jüngeres Paar raunt aufgeregt, ich schnappe das Wort ›Eisenkind‹ aus dem Getuschel auf.

Bevor wir als Band dem Rest der Welt ein Begriff wurden, waren wir in unserer Heimatstadt bereits bekannter als Erich Honecker. Beliebter waren wir auf jeden Fall.

Kaum dass der servile Ober das Bier gebracht hat, tritt ein großer, sehr dünner Mensch durch die Tür. Er ist Ende fünfzig, und könnte als Guru einer Sekte durchgehen. Seine schneeweißen, zum Pferdeschwanz gebundenen Haare kontrastieren scharf mit seinem braun gebrannten, südländischen Teint. Er trägt einen weißen Kaftan und Baumwollhosen in derselben Farbe.

Einige Gäste schütteln unwillig die Köpfe, besonders als sie wahrnehmen, dass der Neuankömmling barfuß geht.

Ich muss grinsen.

Als Socke mich erspäht, hebt er grüßend die Hand.

Das Personal zischelt, lässt ihn auf einen Wink von Timon aber gewähren, als er auf mich zusteuert.

Ihn nach so langer Zeit wiederzusehen, fühlt sich an wie die Begegnung mit einer alten Liebe, Jahrzehnte nachdem sie dich wegen eines anderen verlassen hat. Herzklopfen bis zum Hals. Und große Freude, ihm wieder in die Augen zu sehen. Wir sind Blutsbrüder, trotz allem, was geschehen ist.

Aber da ist auch Bammel. Wegen allem, das damals geschah.

Sockes Blick wandert an mir abwärts.

»Hast dich ja mächtig fein gemacht.«

»Mir war nach edlem Zwirn zur Feier des Tages. Wenn ich schon nach Tses Pfeife tanze, suche ich mir wenigstens das Ballkleid selber aus.«

Er lacht.

»Immer noch der alte Poet.«

Ich deute zur Tür.

»Wenn man vom Teufel spricht …«

Timon begrüßt am Eingang eine Frau, die meine Großmutter als ›Erscheinung‹ bezeichnet hätte, im ganz positiven Sinn. Tsetse ist groß und üppig, aber nicht dick, ihr braun gebranntes Gesicht wird von einer Lockenmähne umrahmt, die ich eine Spur weniger blond in Erinnerung hatte. Sie trägt schwarze Absatzschuhe, Jeans und Lederjacke. Die ungeduldige Geste, mit der sie dem Garçon bedeutet, sie endlich vorbei zu lassen, deutet an, wie viel Power in ihr steckt.

Als sie unseren Tisch erreicht, begrüßen wir uns freundlich, aber nicht herzlich. Wir sind uns fremd geworden.

Tse setzt sich und ordert Champagner, »zur Feier des Wiedersehens.«

Während die anderen auf ihre Getränke warten, reden wir über Triviales. Das Wetter, die Spritpreise, die Veränderung unserer Heimatstadt, in der sich nur Tse noch manchmal aufhält. Zwischen uns passte einstmals kein Blatt Papier, jetzt retten wir uns mühsam über quälende Gesprächspausen.

Endlich kommt der Sekt. Wir stoßen an und stieren in die Gläser. Ich erkundige mich nach alten Weggefährten.

»Die Roadcrew?«

»Ja, zum Beispiel.«

»Von denen lebt kaum noch einer.«

»Wie bitte?« Socke und ich sprechen es gleichzeitig aus.

»Ja, es ist kurios. Als Letzten hat es Bill erwischt. Er ist verbrannt.«

»Der Pyrotechniker? Mein Assistent bei den Flammenstunts?«

»Ja. Konnte ich auch nicht glauben. Hat im Bett geraucht, der Trottel. Ist dabei eingeschlafen.«

»Und die anderen?« Auch Socke ist sichtlich schockiert.

»Francis hat es in der Sauna erwischt. Herzinfarkt. Schattens Gitarrenroadie ist beim Bergwandern vom Blitz erschlagen worden. Und Wegi, der Stage-Manager, hat sich beim Silvesterballern die Rübe weggesprengt. Ist aber schon ein paar Jahre her.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752125870
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Februar)
Schlagworte
Krimi Spannung psychologischer Thriller Ermittler Psychothriller

Autor

  • Arne M. Boehler (Autor:in)

Arne M. Boehler wurde 1970 in Kempten/Allgäu geboren. Er hat mit ›Das Weinen der Kinder‹ und ›Totsee‹ zwei weitere Thriller veröffentlicht.
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Titel: Eisenkind - Psychothriller