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Heiße Nächte in Cherryoke Falls

von Katherine Collins (Autor:in)
370 Seiten
Reihe: Hearts on fire, Band 1

Zusammenfassung

Chase Mitchells Liebesleben ist wild, sein Job gefährlich und sein Alltag ruhig, bis er auf Evangeline trifft. Ausgerechnet die schüchterne Schwester seines neuen Stellvertreters - eine Künstlerin - stellt seine Ansicht auf den Kopf, ein perfektes Leben zu führen. Evangeline Patronelli ihrerseits kann mit muskelbepackten Möchtegernhelden absolut nichts anfangen. Schon gar nicht mit Mike, dem besten Freund ihres Zwillingsbruders, der ihr kaum von der Seite weicht, sobald sie aufeinander treffen. Aber Chase geht ihr schlicht unter die Haut.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

 

Heiße Nächte in

Cherryoak Falls

 

Hearts on fire

Band 1

 

 

Katherine Collins

 

 

 

 

1. Kapitel 1

Tag der offenen Tür

 

Evangeline Petronelli schlürfte ihren Kaffee, während sie sich aufmerksam umsah. Es herrschte ein Riesenandrang beim Tag der offenen Tür der Firestation 21. Die Stände reichten noch ein Stück die Straße hinab, da zusätzlich ein Trödelmarkt stattfand. Die Durchfahrt auf der West Castle Avenue war gesperrt worden, damit die Löschfahrzeuge auf der Straße stehen konnten, um von Neugierigen angeschaut zu werden. Die Fahrzeuge blockierten aber auch die Aussicht.

Eva streckte sich, wodurch ihr Überblick nicht besser wurde. Mit ihren knappen 1,60 m überragte sie gerade mal die Kinder, die sich auf dem Platz vor der Feuerwache tummelten, aber sonst kaum jemanden. Dennoch streckte sie sich so weit wie möglich und balancierte auf den Zehenspitzen. Zum Glück war Kelly, ihre beste Freundin und Begleiterin, größer, sodass Eva sie trotz ihres eigenen Mankos ausmachen konnte. Kelly wuselte durch die Menge auf sie zu. Erleichtert nahm Eva den letzten Schluck von ihrem Kaffee und steckte die Thermotasse in ihre Umhängetasche. Sie hatte schon befürchtet, Kelly hätte sich abgesetzt und sie müsste den Rest des Tages allein verbringen anstatt mit der Freundin, wie es geplant gewesen war. Kelly lebte hundertdreißig Meilen entfernt in Santa Barbara, weshalb sie sich nur noch sporadisch sahen. Leider war sie aber auch sprunghaft und für jeden Flirt zu haben.

Kelly wich einer Traube Kinder aus, ohne sie zu beachten, und schwenkte etwas.

»Schau mal«, rief sie, als sie endlich bei ihr ankam, »ich habe dir auch einen mitgebracht!«

Eva nahm ihr die Tüte ab und warf einen flüchtigen Blick hinein. »Ah, ein Kalender«, murmelte sie, wobei sie ihn hinauszog und die Deckseite umschlug.

»Und was für einer!«, frohlockte Kelly, aber es war zu spät. Eva starrte auf einen nackten Männerkörper mit Feuerwehrhelm auf dem Kopf und Wasserrohr im Schritt, aus dem auch noch ein Schwall Wasser schoss. Kelly stieß sie an. »Heiß, was?«

Eva hob geschockt den Blick. »Was ist denn das?«

Kelly zwinkerte, breit grinsend. »Sexy Firefighter!« Sie streckte die Hand aus und drehte die Seite um. »Und die werden immer besser!«

Eva wollte gar nicht, sah aber trotzdem auf das Hochglanzbild herab. Ein dunkelhaariger Typ, nass von Kopf bis Fuß und, bis auf die bedenklich tief hängende Hose, nackt. »Eric!«, fiepte sie mit schmerzhaft hoher Stimme.

»Dein Bruder?« Kelly beugte sich vor und drehte den Kalender halb. Sie pfiff beeindruckt. »Wann stellst du ihn mir endlich vor?«

Zumindest riss dies Eva aus ihrer Erstarrung. Sie schlug die Seiten zu und senkte den Kalender. »Gar nicht! Er ist verheiratet und sie bekommen Zwillinge!«

»Und? Das macht ihn nicht weniger sexy.« Kellys Brauen zuckten vielsagend nach oben. Eva stöhnte und hob die freie Hand, um ihren Zeigefinger in das Gesicht der Freundin zu halten.

»Nein, Kelly! Meinen Bruder lässt du in Ruhe! Es gibt hier doch genug andere …« Sie blätterte abwesend in dem Kalender und schlug eine Seite auf, um sie Kelly zu präsentieren. »… sexy Firefighter«, schloss sie und deutete auf das Bild. Die Freundin betrachtete es mit unverhohlener Begeisterung.

»Hm, was glaubst du, wie er den Helm hält?«

Eva wollte nicht hinschauen, musste aber. Sie bereute es. Dieser Feuerwehrmann war tatsächlich völlig nackt. Sein bestes Stück versteckte sich gerade so hinter seinem Helm. Die Hände hatte er in die Hüften gestemmt. »Oh, das ist doch …!« Eva ließ Kelly stehen, um ihren Bruder zu finden, gab aber schnell auf. Es war dumm zu glauben, ihm in dem Gewusel über den Weg zu laufen, und bei ihrem Glück stand sie stattdessen Mr September gegenüber. Sie zog ihr Telefon aus der Tasche und wählte die Nummer ihres Bruders. Ihre Schritte lenkte sie weg von der Masse und schlüpfte zudem durch die angelehnte Tür ins Nebengebäude. Dort stand einer der großen Löschzüge im Sonnenlicht, das durch das Oberlicht in die Halle fiel. Sie umrundete den Wagen, um zusätzlich Abstand zu den Menschen draußen zu bekommen, und lehnte sich in dessen Schatten. Nach einigen Atemzügen, die sie sich zur Beruhigung gönnte, hob sie den vermaledeiten Kalender erneut an. Eric ließ sich deutlich zu viel Zeit zum Abnehmen.

»Hey, Schnecke!«

Eva entließ zischend den Atem. »Eric!«

»Am Apparat.«

»Was machst du für Schweinskram!«

Eric lachte schallend und Eva musste das Telefon kurz vom Ohr nehmen.

»Mama und Papa rotieren in ihren Gräbern!«, zischte sie und klemmte das Handy zwischen Schulter und Ohr ein, um in dem Kalender zu blättern. »Verflixt, kann man dich denn einfach nicht aus den Augen lassen? Was hast du dir nur dabei gedacht?«

»Charity, Schneckchen«, stellte Eric fest und lachte immer noch auf ihre Kosten. »Sie gehen weg wie warme Semmeln!«

»Was sagt Rosa dazu, dass dich die ganze Stadt nackt an die Wand pinnen kann?«, hielt Eva dagegen und wagte dabei einen zweiten Blick auf ihren ausgezogenen Bruder. »Mein Gott, ist das eine Fotomontage?«

»Das ist Kunst, Schnecke, das solltest gerade du …«

»Das ist Pornographie, Eric!«, korrigierte sie fest und schüttelte den Kopf. »Und hat nichts mit Kunst zu tun. Geschmacklos ist es auch noch.«

»Nein, Eva, du bist nur prüde.«

Eva schnaubte verdrossen. »Dir ist klar, dass ich von nun an einen großen Umweg werde machen müssen, um von der Arbeit nach Hause zu kommen?« Allein der Gedanke, ihr könnte September über den Weg laufen, ließ heißes Blut in ihre Wangen schießen. Vermutlich würde sie ihm unentwegt in den Schritt starren, wo er den Wasserschlauch gehalten hatte, genau diese Szene vor Augen. Die anzüglichen Bilder bekam sie nie wieder aus dem Kopf, ohne Ähnliches auf die Leinwand zu bringen. Und nackte Männerkörper wollte sie schon deswegen nicht in ihrem Atelier stehen haben, weil sie Eric und Kelly nur darin bestärkten, dass Eva unglaublich einsam war. Wieder lachte ihr Bruder und sie musste das Telefon vom Ohr nehmen. Dabei fiel ihr der Kalender herunter.

»Aber warum denn? Dich werden doch ein paar leicht bekleidete Männerkörper nicht aus der Bahn werfen?«

»Haha«, murrte sie, kniete sich nieder und quietschte: »Oh nein!« Der Typ auf dem Bild war auch kein Unbekannter. »Mike!«

»Er lässt fragen, ob du deine Meinung nun ändern wirst.«

»Meinung?«, haspelte sie und schlug das Bild um. »Ich werde wieder wegziehen! Ich werde das Land verlassen. Nach Venedig wollte ich immer schon mal.« Gab es ein einziges Bild in diesem Kalender, das man sich aufhängen konnte, ohne bei jedem Blick darauf rot anzulaufen?

Eric konnte sich vor Belustigung kaum halten. »Geh mit ihm aus.«

»Nein! Ich gehe nicht mit Typen aus, die sich mit Nacktaufnahmen profilieren wollen. Verflixt, Eric! Ich werde die nächsten Wochen dank furchtbarer Albträume nicht schlafen können!«

»Vielleicht werden es erotische Träume, Schneckchen, und du steckst dein Köpfchen mal aus deinem Schneckenhäuschen.«

Eva erschauerte. »Na danke! Ich brauche keine erotischen Träume.« Sie hob den Kalender vom Boden auf und kam hoch, um sich wieder an den Löschzug zu lehnen. »Schon gar nicht von Mike«, murrte sie. »Aber Kelly hätte wohl Interesse.« Sie verdrehte die Augen.

»Kellys Einsamkeit geht mich nichts an, Schwesterchen.« Eric schnalzte. »Wer gefällt dir denn? Ich kann sicher was organisieren.«

»Hast du mir nicht zugehört? Ich habe generell kein Interesse an muskelbepackten, ölverschmierten Typen, die sich in aufdringlichen Posen ablichten lassen!« Sie drehte sich um und setzte sich auf den Tritt, wobei sie den Kalender auf dem Schoß ablegte. Er rutschte und sie musste die Hand auf die Ablichtung eines nackten Feuerwehrmannes legen, damit er ihr nicht erneut vor die Füße fiel. »Was ist mit dem Rundgang, den du mir versprochen hast?«, lenkte sie mit bebender Stimme ab. Zwischen ihren Finger glotzte Mike sie an, also schloss sie die Lücke. »Das war doch keine Finte, um mich herzulocken, damit ich über dein schmutziges Hobby stolpere?«

Eric lachte schallend. »Was hältst du von August?«

Sie verdrehte die Augen, da er ihre Frage ignoriert hatte, und schlug besagten Monat auf. »Habe ich mir nicht angesehen. Warum?« Ein weiterer gestählter Körper erwartete sie. Schwarz-weiß und mit einem undeutlichen Tattoo in der Leistengegend. Immerhin besser, als den Freund des Bruders ansehen zu müssen, zumal dieser Typ zumindest nur von der Hüfte aufwärts abgebildet worden war. Er wandte den Kopf ab, sodass man sein Gesicht nicht erkennen konnte.

»Single. Ebenso September, Januar und Mike natürlich. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich meinen Chief anpreisen sollte.«

Offenbar hatte ihr Bruder die Botschaft nicht verstanden. »Eric, ich habe kein Interesse an …«

»Bodenständigen, fleißigen Männern mit Touch zum Heldentum?«

Eva prustete. Ihre Finger trommelten auf dem Bild herum. »Eric, ich habe kein Interesse an deinem Chief! Ihr testosterongesteuerten Möchtegernhelden könnt mir gestohlen bleiben. Ganz besonders jene, die in diesem Skandalkalender verewigt sind. Ich gehe jetzt und schnappe mir so viele von diesen pornographischen Teilen, wie ich tragen kann, und verwandle sie in hübsche, graue Asche!« Sie stopfte den Kalender in ihre Tasche und sprang auf. Es mochte eine übertriebene Reaktion sein, aber irgendwer musste darauf achten, dass ihr Familienname nicht in den Dreck gezogen wurde. Ihr Bruder war dazu offenbar nicht imstande. »Wie hoch ist die Auflage?« Sie mochte es nicht einmal im Geiste überschlagen, was sie ausgeben musste, um tatsächlich alle Schundwerke aufzukaufen.

Eric lachte wieder und sie stellte sich vor, ihn gleich mit in Flammen zu setzen.

»Schneckchen, heute werden nur die Reste verscherbelt.«

Sie stöhnte verzweifelt, während sie den Löschzug umrundete. »Du weißt, dass, sollte bei mir ein Feuer ausbrechen, ich niemals anrufen würde, um es löschen zu lassen? Weil es mir einfach zu peinlich wäre …« Hinter ihr kam etwas schwer auf dem Boden auf und sie fuhr erschrocken herum. »… stände ich einem von ihnen gegenüber.« Ihr Blick zuckte über ihn und sie keuchte erleichtert, weil sie ihn nicht wiedererkannte. Jedoch trug er die typische Uniform des Cherryoak Falls Fire Department: dunkelblaue Hose, dunkelblaues Hemd mit kurzen Ärmeln, die sich um seinen beeindruckenden Bizeps spannten, und schwarze Schuhe, die auf Hochglanz poliert waren. Seine Marke blitzte ebenfalls im einfallenden Sonnenlicht, als er sich aufrichtete.

Nicht nur die Ärmel spannten, bemerkte sie mit brennenden Wangen, auch die Schenkel und die Brust drohten den Stoff seiner Uniform zu sprengen.

Er war genau die Art Mann, die sie soeben erst verunglimpft hatte, und wenn er auf dem Löschzug gewesen war, hatte er mit Sicherheit alles hören können. Eva versuchte es mit einem zittrigen Lächeln und nickte ihm zu. Dabei ermahnte sie sich, ruhig zu bleiben, schließlich hatte sie lediglich ihre Meinung gesagt, und das konnte ihr niemand verbieten.

Nur übel nehmen, daher wurde sie zunehmend nervös. Sein Blick glitt mit undeutbarer Miene über sie.

»Hallo.« Sie deutete mit dem Telefon in der Hand über die Schulter, was ihren Eindruck verstärkte, herumzuzappeln wie ein Kaninchen auf Speed. »Ich muss noch was anzünden.«

Sie drehte sich um, machte zwei unsichere Schritte und bemerkte dann, was sie gesagt hatte. Erschrocken fuhr sie erneut herum und stakste schnell zu dem Feuerwehrmann zurück, der ihr kritisch entgegensah. Sie hob in einer abwehrenden Geste die Hände, wobei ihr das Telefon auffiel. Eric amüsierte sich sicherlich köstlich am anderen Ende. Schnell legte sie auf und stopfte das Handy in ihre Umhängetasche. »Ich meinte, ich muss noch was erledigen. Selbstverständlich werde ich nichts anzünden. Wenn also etwas brennen wird …« Dann waren es ihre Wangen. Sie musste die Lippen befeuchten, um weitersprechen zu können. »… dann nicht, weil ich herumzündele.«

Sie hob die starren Mundwinkel in der Hoffnung, ihn von ihren verrückten Worten genügend abzulenken. War bereits die Androhung, ein Feuer zu legen, eine Straftat? Eva stockte das Herz. Besser sie beließ es dabei und verschwand so schnell wie möglich.

»Ich geh dann.« Wieder deutete sie über die Schulter. »Und … schau mal …« Mittlerweile brannten nicht nur ihre Wangen, und ihr Kopf war völlig leer. Sie ließ ihn stehen, mit den Nerven am Ende, und stolperte über ihre eigenen Füße.

Am Tor stieß sie mit Kelly zusammen. »Hey! Du hast mich stehen lassen!« Ihr Blick huschte an Eva vorbei und blieb an etwas hängen, das sie dazu brachte, einen Pfiff auszustoßen. »Holla.« Natürlich hatte sie den Baumstamm von einem Mann bemerkt.

Eva stöhnte, schließlich kannte sie die Freundin lang genug, um vorherzusehen, wie sie auf Männer reagierte – ob nun bekleidet oder nicht. »Bitte nicht«, murmelte sie. »Kelly …«

Diese hob die Hand und war bereits an Eva vorbei.

»Kelly!«

Eva blieb nichts anderes übrig, als zu verfolgen, wie die Freundin mit wiegenden Hüften auf den Feuerwehrmann zuging. »Hi«, säuselte sie dabei. »Ich bin Kelly.«

Eva stöhnte erneut. Sie hatte lediglich die Wahl, der Freundin hinterherzugehen oder sie mit ihrem neuen Fang allein zu lassen.

Kelly sah keck zu dem Hünen auf und leckte sich über die Lippen. »Und wer bist du?«

Nichts stellte sich zwischen die Freundin und ihren Flirt, also gab Eva auf. »Ich suche Eric. Ruf mich an, ja?«

»Und?«, säuselte Kelly in Evas Rücken, ohne auf sie einzugehen. »Wer beeindruckt mich gerade?«

Eva verdrehte die Augen. Es war offensichtlich nicht viel nötig, um Kelly zu beeindrucken.

»Mitchell.« Seine tiefe Stimme rollte Eva einem Schauer gleich über den Rücken, also ließ sie die Halle mitsamt der Freundin und ihrem neusten Liebhaber zurück.

Sie hob die Hand, um die Augen abzuschirmen, da die Sonne dem Horizont entgegensank. Um sie herum herrschte fröhliche Betriebsamkeit, die sie langsam von dem Schock ablenkte, einem von Erics Kollegen gegenübergestanden zu haben. Sie wühlte sich durch die Menge auf ihrem Weg zur Leitstelle am anderen Ende des Gebäudes. Zwar konnte sie nicht mit Sicherheit sagen, dass ihr verfluchter Bruder dort sein würde, aber sie wusste, dass es einen Balkon gab, von dem aus sie die Menschenmenge überblicken konnte. Es war aber nicht nötig, auf die schmale Plattform zu treten, denn als sie die Stufen in den ersten Stock emporstieg, konnte sie ihn lachen hören.

»Wenn du meinst, Mike, aber darauf verwette ich keinen Dollar.« Er schlug seinem Freund Mike gerade auf den Rücken, als Eva die Leitstelle betrat. »Sie ist deutlich eine Nummer zu groß für dich.« Er sah auf. »Hey, Schneckchen!«

Mike fuhr herum, direkt das Grinsen auf den Lippen, das sie nicht mochte. Eva fand es anzüglich, wie alles, was Mike tat. Jeder Blick von ihm schien sie auszuziehen und jedes Gespräch nur auf eines abzuzielen: sie ins Bett zu kriegen. Dabei war er absolut nicht ihr Typ. Er war eben einer jener überproportionierten Männer mit Hang zur Selbstüberschätzung, die sie in ihrem Telefonat zuvor angeprangert hatte.

»Evaaa!«, grüßte er mit einem Brummen im Ton, das dort nicht hingehörte.

»Hallo, Mike«, gab sie verhalten zurück und wandte sich an ihren Bruder. »Hier versteckst du dich also?«

»Mein Job, Schnecke, aber gleich werde ich abgelöst, dann zeige ich dir hier alles. Obwohl …« Er legte den Kopf schräg.

Natürlich war es unnötig, ihr das Interieur zu zeigen, kannte sie sich doch bereits aus. Sie zuckte die Achseln, damit er das Thema fallen ließ. »Ja, bitte! Ich kann es kaum erwarten, hier alles zu sehen.«

Eric schlang den Arm um sie und drückte sie an sich. Zwar waren sie Zwillinge, aber sie unterschieden sich erheblich voneinander, nicht nur im Geschlecht. Eric war mit seinen stattlichen 1,80 m größer als sie und auch seine Brust war deutlich breiter. Er gehörte ebenfalls zu den von ihr diffamierten Männern mit Muskeln, die einem auch dann ins Auge stachen, wenn sie anständig bekleidet waren. Seine Augen waren braun, nicht blau wie ihre, aber sie teilten das tiefschwarze Haar. Zusammengefasst war nicht auf den ersten Blick erkennbar, dass sie Zwillinge waren, aber ihre Verwandtschaft war doch offenkundig.

»Wir müssen noch auf Kelly warten«, murrte sie. »Sie …« Eva befreite sich von ihrem Bruder und strich sich über ihr Kleid. Es war gepunktet, dunkelgrün und schloss eine Handbreit über ihren Zehen ab. Sie mochte es, da es einen breiten, weißen Kragen hatte und kein Dekolleté verlangte. »… ist noch beschäftigt.« Sie räusperte sich verlegen. »Erzähl mir doch, wozu dieser Raum gut ist.« Zwar kannte sie sich durchaus auf Feuerwachen aus, auch auf dieser, aber es war immer besser, Mike ein Gesprächsthema vorzugeben, anstatt ihn eines auswählen zu lassen. Ansonsten musste sie sich wieder Geschichten über seine Großartigkeit anhören. Eva trat zu der Konsole, in die einige Lämpchen, Schalter und ein gelbes Telefon eingelassen waren. »Das sieht verdammt alt aus.« Und damit war tatsächlich alles noch genau so, wie sie es in Erinnerung hatte. Sie verkniff sich ein wehmütiges Seufzen.

»Ist es.« Mike stellte sich zu nah neben sie. »Wir warten auf die Umrüstung.« Seine Finger rutschten über die Fläche der Konsole in ihre Richtung, wobei sie sich so nah am Rand hielten, dass er drohte, ihre Beine zu berühren. Schnell trat Eva zurück.

»Aha.« Sie wandte sich ab und ließ die Augen über die Rückwand gleiten. Auch dort gab es nur veraltete Technik zu bestaunen.

»In diesem Winter.« Sein Atem wusch über ihr Ohr. Eva hastete vor, um Abstand zu ihm zu erlangen, und flüchtete an die Seite ihres Bruders. Der zwinkerte ihr zu.

»Ich werde hier offenbar nicht gebraucht. Was hältst du davon, wenn Mike dich herumführt und ich mal schaue, ob ich uns ein kühles Blondes organisieren kann?« Eric schob sie zurück, obwohl sie sich an ihm festzuhalten versuchte.

»Nein, das … mir wäre es lieber, wenn du mir alles zeigst, so wie du es mir versprochen hast.« Eva warf einen unsicheren Blick zu dem zweiten Mann im Raum, der breit feixte.

»Bei mir bist du gut aufgehoben, Eva. Vertrau mir.« Mike streckte die Hand nach ihr aus und zog sie am Ellenbogen zu sich. »Ich zeige dir alles und wir treffen deinen Bruder später am Ausschank.« Mit der freien Hand wedelte er, was Eric zum Anlass nahm, zu verschwinden. Eva grollte, schließlich wusste er genau, dass sie sich nicht gern in der Gesellschaft von Männern aufhielt, und ihre Vorbehalte gegen Mike kannte er ebenso.

»Also, hier haben wir die Leitstelle. Notrufe werden hier verarbeitet und die Mannschaften eingeteilt.« Er schob sie wieder an das Pult und deutete auf die darüber angebrachten Monitore. »Hier haben wir die Wache auf einen Blick.« Er deutete auf den linken Bildschirm. »Dort ist die Maschinenhalle und hier die Fahrzeughalle. Nanu.« Mike beugte sich vor und verengte die Augen, als er das grobkörnige Bild musterte.

»Stimmt was nicht?«, fragte Eva. Sie machte einen Schritt von ihrem Begleiter fort, der sie endlich losgelassen hatte. Ein flüchtiger Blick auf den Monitor ließ ihr das Blut in die Wangen schießen. Es war unverkennbar, dass das Nebengebäude, in dem sie sich kürzlich versteckt gehalten hatte, überwacht wurde. Und sie konnte Kelly mühelos auf dem Bildschirm erkennen. Peinlich berührt senkte sie den Blick und drehte sich weg.

»Nichts.« Mike grinste breit, als er sich zu ihr gesellte und nach ihrem Ellenbogen griff. »Komm, ich zeige dir die Umkleidekabinen.«

 

 

 

 

2. Kapitel 2

Chief Mitchell

 

Eva hastete vorwärts. Es war, als verfolgte sie ein Oktopus, denn wann immer sie Mikes Berührung auswich, kam sie an einer anderen Stelle zurück.

»Lass mich dir den Löschzug zeigen.« Mike dirigierte sie durch die Halle und an den Ständen vorbei. Über ihnen befand sich ein Durchlass in der Decke, sodass sie die hohen Fenster des ersten Stocks betrachten konnte, durch die das Sonnenlicht in einem weichen Goldton fiel. Die Tür zum Balkon stand offen und weckte ihre Sehnsucht. Sie wäre nun lieber dort und allein, als sich auch weiterhin mit Mike beschäftigen zu müssen. Der Raum vor ihr war überfüllt mit neugierigen Menschen und wurde nur durch die drei Pfeiler unterbrochen. Vor ihnen waren die beiden Rolltore geöffnet worden, aber die Tür ganz zur Rechten blieb geschlossen.

»Danke, ich habe genug gesehen, und eigentlich war die Führung auch für Kelly gedacht«, widersprach sie fest. Sie atmete angespannt aus, denn ihn deutlich in die Schranken zu weisen, benötigte jedes Mal von Neuem Mut. »Ich möchte lieber nach ihr sehen.« Zu spät erinnerte sie sich daran, in welcher Situation sie die Freundin zurückgelassen hatte. Es war nur minimal besser, in Kellys Techtelmechtel zu platzen, als Mikes Tatschereien auszuweichen. Er mochte sich an Ellenbogen und Rücken halten, trotzdem war es ihr unangenehm. »Könntest du bitte deine Hände bei dir lassen?«

»Dieses Schmuckstück musst du sehen, Eva. Die neuste Technik! Das Baby kommt frisch aus der Herstellung und ersetzt den alten Löschzug, den wir heute in der hinteren Maschinenhalle verstecken. Den zeige ich dir auch gern.« Dabei umfasste er ihren Ellenbogen und wollte sie zum Ausgang ziehen, aber sie entwand sich ihm gleich wieder.

»Nein. Ich möchte lieber zu Eric.« Oder sonst etwas machen, selbst auf Mr Januar zu treffen wäre ihr nun recht, wenn sie damit nur Mike loswurde. Sie befreite sich aus seinem Griff und streckte sich, um endlich ernst genommen zu werden. »Mike, ich möchte nicht angefasst werden.«

Er hob die Hände. »Verzeihung, ich habe doch nur …« Er setzte ein strahlendes Lächeln auf, das seine blaugrauen Augen aufleuchten ließ. »Komm schon, es war dein Ellenbogen.«

»Ich mag es nicht, in Ordnung?« Erneut straffte sie sich. »Ich rufe Eric an, damit wir uns treffen können.« Sie wühlte in ihrer Tasche, richtete ihren Blick in das Durcheinander und war damit abgelenkt. Mike nutzte es, um ihr eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht zu streichen. Eva zuckte zurück. Bei der Bewegung rutschte der Träger von ihrer Schulter und die Tasche landete auf dem Boden, wo ihr Inhalt herausfiel. Ihr Thermobecher mit der Aufschrift »Carpe diem« rollte klackernd davon, das Telefon schlitterte hinterher und dutzende Stifte folgten. Ihr Skizzenblock und der Kalender klatschten vor ihren Füßen auf den kalten Betonboden. Das Deo und das Mäppchen mit dem Make-up blieben ebenfalls nicht verstaut.

»Oh nein.«

»Wow, das ist nicht ganz das, was man in der Handtasche einer Frau erwartet.« Mike bückte sich nach ihrem Skizzenblock und schlug ihn auf.

»Hey!« Eva wollte ihn ihm entreißen, aber sein Griff war zu fest.

Er blätterte ungeniert durch ihre Entwürfe. »Kinder?«

Erneut versuchte sie, ihm den Block zu entwinden.

»Blumen?« Er lachte auf. »Hände?«

»Gib mir meinen Block zurück«, forderte sie und zerrte erneut an dem Papier. »Das ist privat.«

Mike schüttelte belustigt den Kopf, reichte ihr aber endlich ihre Zeichnungen.

»Danke!« Dann ging sie in die Knie, um auch den Rest aufzuklauben. Nachdem der Block, das Mäppchen und das Deo zurückgestopft worden waren, musste sie weiterrutschen und sich nach den Stiften strecken. Ein Pfiff unterbrach ihre konzentrierte Suche nach ihrem Arbeitsmaterial, und als sie über die Schulter zurücksah, starrte Mike ihr immer noch auf den Hintern. Schnell rappelte sie sich auf. Ihre peinliche Berührung machte sie sprachlos, was sein Zwinkern nicht verbesserte.

Ihr Telefon klingelte, sonst hätte sie in ihrer Schockstarre wohl weitergegafft.

Um das Handy aufzuheben, ging sie nun stocksteif in die Hocke. Es vibrierte unter ihren Fingerspitzen, bevor es verstummte. Der verpasste Anruf war von Kelly, weshalb sie sich gleich abwandte und den Rückruf tätigte.

»Bist du fertig?«, murrte sie. »Kümmerst du dich nun um mich?« Sie bückte sich nach einem weiteren Bleistift. »Ich musste die Führung ganz allein machen, dabei wolltest du dir doch alles ansehen.«

Kelly lachte tief auf. »Ich habe genug gesehen, Süße.« Wieder stieß sie dieses Lachen aus, das nahe an einem Gurren lag. »Wir sehen uns.«

Irritiert nahm Eva das Telefon vom Ohr, um auf das Display zu sehen, nicht ganz sicher, ob die Verabschiedung für sie gedacht gewesen war.

»Kelly?«

»Also, wo versteckst du dich?«, säuselte die Freundin jedoch. »Es ist verdammt voll hier. Meinst du, das liegt an den heißen Firefightern, die man hier zu Gesicht bekommt?«

»Oder an der spitzenmäßigen Verköstigung.« Eva schüttelte den Kopf. »Ich bin in der Maschinenhalle. Wenn du durch das hintere Tor gehst, findest du mich schon.« Sie unterbrach sich, konnte es so aber nicht stehen lassen. »Beeil dich!« Dann legte sie auf.

»Also, Kelly sollte jeden Augenblick …« Sie stieg auf die Zehenspitzen. Durch die aufgebauten Stände, auf denen Feuerlöscher, Sprechfunkgeräte, Brechstangen und Fluchthauben ausgestellt wurden, herrschte auch in der Halle ein gehöriger Andrang. Dadurch war es ebenso schwierig für Eva, jemanden zu finden, wie vor einer Stunde auf dem Vorplatz. Das wusste sie selbstredend, aber ihr war alles recht, solange sie sich nicht mit Mike beschäftigen musste.

»Eine gute Freundin, diese Kelly?«

Innerlich stöhnte sie. »Ja.« Sie suchte intensiver nach der untreuen Tomate, deretwegen sie überhaupt erst allein in Mikes Gesellschaft geraten war. »Oh, da ist sie!« Obwohl Eva Kelly nicht gesehen hatte, lief sie los. Mike folgte ihr. Erst an dem Tor, durch das die Einsatzwagen herein und hinaus fuhren, blieb Eva stehen und blinzelte in das Sonnenlicht. Einzugestehen, gelogen zu haben, fiel ihr schwer. »Da muss ich …«

»Eva!«, rief die Stimme der Freundin. »Eva!« Sie klang nah, aber ausmachen konnte Eva sie dennoch nicht, bis Kelly ihr um den Hals fiel. »Ah, was für ein wundervoller Ausflug!« Sie strahlte über das ganze Gesicht. »Und? Hast du was Aufregendes erlebt?« Ihr Blick glitt hinter Eva. Ihre Brauen gingen in die Höhe und sie pfiff leise. »Mr Juli.«

»Mike.« Er trat vor und hielt ihr die Hand hin, die Kelly begeistert schüttelte.

»Mike«, gurrte Kelly mit einladendem Augenaufschlag. »Schön, dich kennenzulernen.«

Eva seufzte schwer. Die Freundin war eine Katastrophe, sobald Männer ins Spiel kamen. »Werde ich dich heute nur zum Schlafen sehen, oder …« Womöglich gar nicht?

Kelly lachte auf, hakte sich bei ihr ein und drückte sich an Evas Seite. »Na, ich will dir nicht in die Suppe spucken. Wenn du dein Bett für dich brauchst, finde ich sicherlich ein passendes Örtchen für mich.«

Das war so absurd, dass Eva nicht einmal über eine verbale Reaktion nachdachte. Sie marschierte los, schließlich waren sie nicht auf dem Feuerwehrfest, um Männer anzuschmachten. »Ich habe Durst.«

Für das leibliche Wohl wurde mittels einiger Getränkewagen, eines riesigen Grills, mehrerer Terrinen und einer Salatbar gesorgt. Alles zu einem angemessenen Preis, wobei der Erlös an die Stiftung zur Unterstützung Hinterbliebener ging.

»Oh ja! Was haben sie denn im Angebot? Cosmo? Caipi?«

Eva stockte, sicher, sich verhört zu haben. »Cola.«

Kelly lachte und ruckte an ihrem Arm. »Das klingt furchtbar!«

»Du bist furchtbar!«, murrte Eva. »Es ist ein Familienfest, kannst du dich etwas zurückhalten?«

Zum Glück wartete Eric bereits auf sie und lenkte Kelly erfolgreich von ihrem Wunsch nach Alkohol ab.

 

 

Chase Mitchell inspizierte die Stände. Die Mannschaft erledigte ihre Aufgaben tadellos, etwas anderes hatte er auch nicht erwartet. Er nickte Muhammed zu, der einer Gruppe Kinder anhand von Pappständern zeigte, wie ein Feuer gelöscht wurde. Einige Meter weiter konnten die Zwerge Bälle auf Pappflammen werfen und Kleinigkeiten gewinnen. Es gab zwanzig dieser Spiele, damit Familien lange auf diesem Fest blieben. Sie sollten nach Möglichkeit das Angebot an Speisen und Getränken nutzen, dessen Erlös an die Hinterbliebenenhilfe ging.

Mitchell beendete seinen Rundgang an der Maschinenhalle, von wo aus er auch gestartet war, und sah auf seine Armbanduhr. So wichtig diese Feierlichkeiten waren, ihn nervten sie gehörig. Sie stellten den Dienstplan auf den Kopf, verbrauchten Ressourcen und Zeit. Ganz zu schweigen davon, dass die anderen drei Feuerwachen von Cherryoak Falls ihren Bezirk mitbetreuen mussten. Was die Frage aufwarf, ob Cherryoak Falls tatsächlich vier eigenständige Wachen benötigte.

Mitchell wandte sich ab, um den Rest des Tages der offenen Tür in seinem Büro auszuharren. Seine Leute hatten alles im Griff und waren für die Publicity wesentlich besser geeignet als er selbst. Immerhin war die Aktion nicht umsonst gewesen und auch er war auf seine Kosten gekommen, obwohl ihn das Intermezzo mit Kelly ruhelos zurückgelassen hatte. Auf halbem Weg fing er ihren Blick auf und sie zwinkerte ihm zu. Er blieb stehen. Er hatte nicht vor, ihr den Abend zu vertreiben, so nett es mit ihr auch gewesen war. Leider blieb ihre Geste nicht unbemerkt und die dunkelhaarige Begleitung wandte sich um. Ihre blauen Augen weiteten sich, als sie ihn erkannte, dann verkniff sich ihr Mund. Sie murmelte einige Worte, die Kelly auflachen ließen.

»Chief!«, rief Petronelli und schwenkte die Arme. Auch Klosowski drehte sich um, allerdings ohne Aufforderung, sich zu ihnen zu gesellen. Das gab den Ausschlag. So albern es war, durchrieselte ihn jedes Mal, wenn er entgegen Klosowskis Wünschen handelte, eine herbe Genugtuung. Immerhin war der Jüngere ihm seit guten dreißig Jahren ein schmerzender Stachel im Fleisch und erinnerte Chase nur zu gern an das, was er verloren hatte. Chase blieb einen knappen Schritt von der kleinen Dunkelhaarigen entfernt stehen.

»Alkohol, Petronelli?« Obwohl er nicht zu ihr sah, sondern zu dem Kollegen, bemerkte er, wie sie die Schultern hochzog.

»Feierabend, Chief.« Petronelli grinste breit. »Eva, mein Boss Chief Mitchell.«

Die Frau vor ihm stieß eine Art Jaulen aus, das aber so leise war, dass er es sich auch eingebildet haben könnte. Dann wiederum sah sie infolge der Vorstellung derart erschrocken zu ihm auf, dass er sich sicher war.

»Mein Zwilling Evangeline.«

Chase streckte die Hand aus, die sie aber nicht ergriff. Sie klammerte sich stattdessen an ihre Tasche. Ihre strahlend blauen Augen rutschten langsam hoch in sein Gesicht. »Chief Mitchell«, murmelte sie dabei. »Entschuldigen Sie mich bitte. Eric, ich muss kurz …« Ihre Hand flog Richtung Hauptgebäude und sie setzte sich in Bewegung, bevor noch irgendjemand etwas sagen konnte. Kellys Lachen übertönte Petronellis Worte.

»Du kannst doch nicht …«

»Ich wusste, dass Eva perfekt ist«, stellte Klosowski fest. Er sah der Frau nach, wobei er breit feixte. »Sie interessiert sich nicht die Bohne für dich, Chase! Wie fühlt es sich an, die kalte Schulter gezeigt zu bekommen?«

Chase biss die Zähne zusammen, um seinen Ärger zu kontrollieren.

Kelly lachte erneut auf, wodurch er Klosowski nicht gleich zur Ordnung rufen konnte.

»Ach, Mike, so reagiert sie immer. Ich schau mal, ob ich sie beruhigen kann.« Sie zwinkerte Chase erneut zu und zwickte ihm in den Hintern, als sie an ihm vorbeikam.

»Zum einen kann ich mit der einen kalten Schulter leben, Klosowski.« Chase zuckte die Achseln und drehte ihm den Rücken zu, um interessiert an Kelly zu erscheinen. »Ich halte mich ohnehin lieber an andere Körperteile. Zum anderen magst du Feierabend haben, Freunde werden wir dadurch nicht! Ganz abgesehen davon, dass ich mir die Personen, die mich mit meinem Vornamen ansprechen dürfen, sehr genau aussuche. Du gehörst nicht dazu.« Er tippte sich zur Verabschiedung an die Stirn und folgte der hochgewachsenen Blondine. Zwar hatte er kein Interesse an einer Wiederholung ihres Techtelmechtels, aber es konnte nicht schaden, ihre Nummer einzuheimsen. Vielleicht änderte er später seine Meinung noch.

Er schlenderte ihr nach und verfolgte, wie sie auf Petronellis Schwester traf. Sie fiel ihr um den Hals und küsste sie auf die Wange.

»Das war verrückt!«, hielt Kelly ihr vor. Die Dunkelhaarige schnaubte bloß. Chase bog ab, um sich hinter einem der Pfeiler zu verstecken. »Du bist förmlich vor Mitchell davongelaufen.« Sie lachte herzlich.

»Natürlich«, murmelte Miss Petronelli. »Ich wollte keinem der Nackedeis aus dem Kalender über den Weg laufen und dem Chief habe ich auch noch jede Menge Unsinn über Brandstiftung erzählt.« Sie schnaubte mit verzweifelter Miene. »Gott, ich hasse Männer!«

Wieder lachte Kelly schallend und kuschelte sich an die Freundin. »Erzähl mir was Neues!«

»Ich will nach Hause. Ich hasse Firefighter, Wachen und alles drumherum!« Verdruss schwang in ihrer Stimme mit. Chase warf einen Blick auf das Paar.

»Ich weiß.« Kelly drückte Petronellis Zwilling an sich. »Aber wir haben einen Deal. Wir machen uns einen schönen Tag, und zu Hause zu hocken, schließt das bereits aus.«

»Ich hasse es so!«

»Na komm, wir haben doch gerade so viel Spaß mit deinem Bruder und Mike!« Kelly hakte sich bei ihr ein und wollte sie mitziehen.

»Du vielleicht. Hey, was hältst du davon, wenn du noch eine Weile herumflirtest und ich beruhige mich ein wenig? Du hättest was gut bei mir, wenn du mir Mike vom Hals hältst.« Sie befreite sich aus der Umklammerung.

Chase tauchte in das Halbdunkel der Halle ab und umrundete den Pfeiler.

»Ah«, schnurrte Kelly. »Macht er dich etwa nervös?«

»Nein«, beschied die andere. »Ganz sicher nicht!«

»Er ist doch süß!«

»Kelly, er ist ein Idiot, aber bitte, greif zu. Gib mir eine Stunde für mich, dann geselle ich mich zu euch, versprochen.« Die Anspannung in ihrer Stimme schwand und sie brachte sogar ein Lächeln zustande. Chase runzelte die Stirn. Bisher waren an Evangeline Petronelli gerade mal die Augen ansprechend erschienen, aber dieses Lächeln gab ihren weichen Zügen ein Strahlen, das sie veränderte.

»Weißt du, ich denke, er wäre ganz gut für dich. Jemand, der dich aus der Reserve lockt und dir nicht erlaubt, deinem Spleen zu huldigen.«

»Definitiv und beständig: nein!« Petronelli schulterte ihre Umhängetasche. »Eine Stunde. Amüsier dich.« Sie wandte sich von Kelly ab, stockte dann aber und drehte sich wieder herum. »Ach, Finger weg von meinem Bruder, verstanden?«

Kelly salutierte. »Aye, aye!«

Chase folgte Petronellis Schwester mit etwas Abstand. Sie huschte die Wendeltreppe in den ersten Stock hinauf und schlüpfte unter der Sicherheitsabsperrung durch. Die obere Etage war nicht komplett nutzbar. Vor seinem Büro und der Leitwarte befand sich eine Balustrade, durch die man hinunter in die Halle schauen konnte. Sie war von allen vier Seiten begehbar und führte auf der Fensterfront, die zur Straße lag, zu einem kleinen Balkon. Da der aber kaum mehr als drei Personen beherbergen konnte und um für mehr Ruhe im Obergeschoss zu sorgen, war der Gang abgesperrt worden. Chase behielt sie im Auge, während er die andere Richtung nahm. Eigentlich sollte er sie dort augenblicklich herunterholen, war es Besuchern doch nicht gestattet, die Absperrung zu durchqueren. Faktisch war der Weg gefährlich und der Balkon wurde auch nicht genutzt. Allerdings trieb ihn die Neugierde. Sie befand sich auf einem Bürgerfest, an einem öffentlichen Ort, warum versteckte sie sich da an einem erhöhten Platz?

Chase trat in sein Büro, ließ die Tür offen und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er hatte sie gut im Blick. Miss Petronelli kramte Dinge aus ihrer Tasche hervor. In der nächsten Stunde saß sie vornübergebeugt auf dem luftigen Balkon und kritzelte in ihrem Block herum.

 

Evas Handy vibrierte. Es war nicht das erste Mal in der Stunde, aber bisher hatte sie es ignoriert.

»Kelly, was ist denn?« Sie steckte das Telefon zwischen Ohr und Schulter, um den Kohlestift wieder aufnehmen zu können.

»Endlich nimmst du ab.« Die Freundin schnaubte. »Zeichne noch etwas weiter, okay?«

»Hm, gern. Mike?«, fragte sie. Es wäre ein Segen, sollte die Freundin den aufdringlichen Freund des Bruders ablenken können.

»Nein, ich bin auf Mr Januar gestoßen.«

Ungebeten kam die Fotografie in Evas Gedächtnis zurück und sie musste die Lider fest aufeinanderpressen, um das Bild wieder zu vertreiben.

»Ich hasse dieses Fest.«

»Es war dein Vorschlag.« Kelly lachte. »Ich klingle durch, wenn sich absehen lässt, wann ich bei dir sein werde.«

»So schlimm?« Eva schraffierte die Seite des aufgezeichneten Löschzugs.

»Na, wir werden sehen. Also, verstecke dich ruhig weiter vor den sexy Firefightern.«

»Mache ich. Ciao.« Eva legte auf und stopfte das Telefon ohne hinzusehen zurück in die Tasche. Etwas stimmte nicht an der Perspektive, und das fesselte sie wesentlich mehr als ein Gespräch über Männer.

»Eva!«

Sie ignorierte den Ruf ihres Bruders. Waren es die Räder? Standen sie etwas zu schräg? Lag es am Schriftzug? War das C von Cherryoak größer als das D vom Department?

»Eva! Verflixt!« Sie ignorierte ihn noch, als er bereits hinter ihr stand. »Was machst du denn hier?«

»Was machst du hier?«, gab sie die Frage immer noch abgelenkt zurück.

»Schnecke, ich hoffe, du versteckst dich hier nicht.« Eric quetschte sich hinter ihr an der Wand entlang und setzte sich im Schneidersitz zu ihr. Sein Schatten fiel auf ihren Block. »Und malst.« Er schnalzte. »Natürlich.«

»Du sitzt mir im Licht.« Sie beugte sich vor.

Er pfiff. »Wie lange arbeitest du schon daran?«

»Eric, gib mit noch etwas Zeit, ja? Ich bin hier fast fertig.« Sie rutschte vor, um das gute Licht wieder einzufangen.

»Ich dachte, wir verbringen etwas Zeit miteinander.« Er zupfte an ihrem Block. »Zeichnen kannst du auch ein andermal.«

Das sah sie anders, aber diskutieren brachte bei Eric nichts. Seufzend ließ sie sich ihren Skizzenblock aus den Fingern ziehen. Er betrachtete flüchtig ihre Arbeit, bevor er den Block zuklappte und ihn auf dem Schoß ablegte. »Also?«

»Ja, ich verstecke mich«, gab sie zu. »Das hier ist die Hölle!«

Eric lachte auf. Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. »Nein, das hier ist eine Feuerwache und ein Feuerwehrfest.«

Eva boxte ihm auf die Brust. »Die Hölle!«

»Schnecke, du musst das endlich hinter dich bringen.«

Eva stöhnte verhalten. »Musst du schon wieder damit anfangen?«

»Ja, ich fürchte schon. Du hast dich zehn Jahre nicht in Cherryoak Falls blicken lassen.«

Sie schluckte den Frosch herunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. »Das stimmt ja nicht.«

»Nein, aber drei Besuche, für die ich wochenlang auf dich einreden musste, zählen nicht.« Er stieß sie spielerisch mit der Schulter an.

»Du warst noch nie gut mit Zahlen, es waren fünfzehn. Jedes Weihnachten, deine Hochzeit, um Mama zu pflegen, zu ihrer Beerdigung und zum ersten Jahrestag von Lewis’ …« Ihre Stimme brach und sie musste sich räuspern und das Gesicht abwenden.

»Zehn Jahre, Evangeline«, mahnte Eric leise.

»Ich kann meine Gefühle nicht ändern«, verteidigte sie sich, obwohl sie es gar nicht anders wollte. Sie fühlte sich Lewis verpflichtet, auch über seinen Tod hinaus.

»Darum geht es nicht. Du sollst nicht aufhören, ihn zu lieben, lediglich …«

»Petronelli!«, rief eine dunkle Stimme.

Eric zuckte zusammen, seine Lippen formten shit, bevor er aufsprang und sich an ihr vorbeidrängte. Evas Herz klopfte hart in ihrer Brust. Sie stand ebenfalls auf und schob ihren Block in ihre Tasche.

»Chief Mitchell.« Eric sah zu ihr zurück, Erklärungsnot in seiner Miene. »Das …«

»Der Bereich ist nicht zum Spaß gesperrt.«

Eva lief ein Schauer über den Körper, da ihr Bruder nun Ärger bekam, weil sie sich unter der Absperrung hindurchgemogelt hatte.

»Ja, ich weiß …«, grummelte Eric mit einem weiteren Blick zurück. »Es ist nur …«

»Es ist meine Schuld«, unterbrach Eva ihn, wobei sie laut wurde, da der Chief sich auf der anderen Seite der Balustrade befand. Sie drängte sich nun an ihrem Bruder vorbei, und obwohl es sie einiges an Kraft kostete, hob sie den Blick, um dem des Chiefs zu begegnen. »Eric hat mich bereits darauf hingewiesen, dass ich hier nichts verloren habe. Es tut mir leid.« Sie bemühte sich zu lächeln, obwohl sie ihm am liebsten aus dem Weg gegangen und augenblicklich im Boden versunken wäre. »Ich gehe jetzt und mache keine Probleme mehr.«

Mitchells Blick fiel an ihr herab. Obwohl zwischen ihnen eine etwa fünf Meter breite und ebenso lange Schlucht lag, durch die man auf die Halle unter ihnen schauen konnte, spürte sie es auf ihrer Haut. Um dem zu entkommen, stürzte sie den engen Steg an der Fensterseite entlang.

Dort erwartete sie der Chief. Er hob das Absperrband hoch, damit sie darunter hindurchschlüpfen konnte. Sie murmelte einen Dank, ohne ihn erneut ansehen zu können. »Es tut mir leid.«

»Halten Sie sich zukünftig an Verbote, Miss.« Mitchell deutete zur Wendeltreppe. »Zwar haben wir die Tür heute geöffnet, aber das bedeutet nicht, dass es uneingeschränkten Zugang gibt. Keine Abstecher in abgelegene Hallen oder unsichere Balkone mehr.«

Eva erschrak. War das etwa eine Anspielung auf ihr erstes Zusammentreffen?

»Natürlich nicht«, haspelte sie daher.

»Petronelli?«

»Ich passe auf sie auf«, versprach ihr Bruder und es klang wie ein Eid.

 

 

 

 

3. Kapitel 3

 

Auf der Wache

 

Chase verließ die Umkleidekabine. Obwohl er noch gute zwanzig Minuten bis zum Schichtwechsel hatte, wollte er keine Zeit vertrödeln. Der Monat näherte sich dem Ende und die Pläne für den übernächsten mussten erstellt werden. Eine verzwickte Aufgabe, da ihnen schlicht die Männer fehlten – oder um politisch korrekt zu bleiben: die Einsatzkräfte, denn längst schon waren Frauen bei der Feuerwehr keine Seltenheit mehr, auch wenn es in seiner Truppe nur Sanitäterinnen und keine Feuerwehrfrauen gab.

Trotzdem ließ er sich ablenken. Seine Leute trudelten ein und Petronelli blockierte das morgendliche Sonnenlicht, als er in der Tür stehen blieb. »Kommst du nicht?«

»Geh schon mal, ich versuche mein Glück«, rief Klosowskis Stimme. Petronelli lachte schallend und ließ seinen Kollegen stehen. Die Tür fiel zu und sperrte das Sonnenlicht aus. Trotzdem konnte Chase mühelos verfolgen, wie der schwarzhaarige Hüne zwischen den beiden Löschzügen hindurch auf ihn zukam.

»Morgen.«

»Morgen, Petronelli.« Er machte Platz, um den anderen Mann durchzulassen. »Klosowski kommt auf den letzten Drücker?«

»Bitte?« Petronelli drehte sich um, ohne stehen zu bleiben. »Ach!« Und lachte erneut. »Er lauert meiner Schwester auf.« Sorgen bereitete es ihm offenkundig nicht, denn er wandte sich bereits ab, um in den Gang zu den Sanitäranlagen zu verschwinden.

Chase zuckte die Achseln und wollte sich wieder auf den Weg in sein Büro machen. Allerdings hielt ihn etwas davon ab. Neugierde? Oder lediglich der Spaß daran, Klosowski in die Suppe zu spucken?

Statt die Wendeltreppe in das Obergeschoss zu nehmen, lief er zwischen den Wagen hindurch zur Tür neben den Rolltoren und zog sie auf. Klosowski lehnte zwei Schritte weiter gegen das Tor und sah angespannt den Bürgersteig entlang. Chase folgte seinem Blick und entdeckte tatsächlich eine kleine, dunkelhaarige Frau, die die Straße entlanggeeilt kam.

Ob es Petronellis Schwester war, konnte Chase nicht mit Bestimmtheit sagen, denn in dem wadenlangen Kleid und dem Hut sah sie eher aus wie eine Mittfünfzigerin. Lediglich die übergroße Tasche passte nicht in das Bild. Sie achtete nicht auf das, was vor ihr lag, richtete ihren Blick gerade mal zu ihren Füßen, während sie in ihr Telefon sprach. In der anderen Hand hielt sie einen Becher leicht von sich fortgestreckt, wodurch die Tasche beständig gegen ihren Körper stieß.

»… klingt nicht schlecht. Wann wäre denn die finale Abgabe?« Ein Runzeln legte sich auf ihre Stirn, die beinahe von der Krempe ihres Hutes verdeckt wurde. »Aha. Ja, das …« Als sie auf selber Höhe mit dem Rolltor war, das zum Hauptgebäude der Wache gehörte, erkannte Chase sie dann an ihrem Strahlen.

»Eva, hi!«, rief Klosowski, wobei er sich vom Rolltor abstieß, das, in Bewegung gesetzt, schepperte. Miss Petronelli zuckte zusammen, die Flüssigkeit schwappte über und rann über ihre Finger. Sie schrie auf und im nächsten Moment flog der Becher davon. Der Firefighter eilte auf sie zu und ergriff ihre Hand.

»Hast du dich verletzt?«

»Mike?« Sie hatte auch das Telefon fallen gelassen. »Verflixt!«

»Zeig mal.«

Chase bemerkte das Widerstreben in den feinen Zügen der Frau und stieß sich ab. Klosowski war kein Ersthelfer und wusste nicht, wie er mit Verbrühungen umzugehen hatte.

»Au!« Sie durchbohrte Klosowski mit verärgerten Blicken.

»Zeigen Sie mal her.«

Miss Petronelli zuckte zusammen und entriss dem Freund ihres Bruders die Finger. Chase hielt ihr die Hand hin.

»Kaffee oder Tee?«

Klosowski drängte sich zwischen sie. »Wir sollten dich verarzten.«

»Nein, ich …« Sie trat zurück und sah sich um. Ihr Blick fiel auf ihr Telefon und sie klaubte es auf. »Es geht schon. Ich bin spät dran und …«

Chase atmete tief ein. Ihre Feuerwehrmannphobie war kontraproduktiv, aber man konnte auch niemanden zwingen, sich vernünftig zu verhalten. Also bückte er sich nach der Thermotasse, deren Deckel fehlte.

»Danke, Chief Mitchell«, murmelte sie, als sie ihm den Plastikbecher mit bunter Aufschrift abnahm. Ihre Hand war feuerrot.

»Sie haben sich verbrüht.« Auch ihr Blick senkte sich auf die Rötung und ein Runzeln huschte über ihre Stirn.

»Komm mit rein, ich verarzte dich«, lockte Klosowski weich, wobei er den Arm bereits um die junge Frau legte und sie in Richtung Eingangstür dirigierte.

»Ich komme zu spät«, beharrte sie, konnte sich aber nicht aus Klosowskis Griff winden.

Chase folgte ihnen.

»Es ist nichts, es tut nicht einmal weh und ich kann nicht zu spät zum Unterricht erscheinen!«

»Fünf Minuten, Miss Petronelli, und im Anschluss fährt Ihr Bruder Sie zur Arbeit.« Chase hielt es für einen guten Kompromiss.

Klosowski sah zu ihm zurück, kommentierte die Order aber nicht, was ungewöhnlich für ihn war. Chase nahm den Umweg, um den Verbandskasten aus seinem Einsatzwagen zu holen. Und traf wieder mit dem Paar zusammen, als Klosowski Miss Petronelli gerade auf einen Stuhl niederdrückte. Chase nahm schnell den daneben und stellte den Kasten zwischen ihnen auf dem Tisch ab.

»Zeigen Sie mal«, brummte er, mit dem Material beschäftigt. Er brauchte Verbandszeug, Klebestreifen, sterile Kompressen und die Salbe.

Miss Petronelli schloss die Faust, zischte, weil es wohl doch schmerzte, und streckte sie ihm entgegen. Die heiße Flüssigkeit war ihr über den Handrücken und das Gelenk geronnen, was die Verfärbung gut sichtbar machte.

»Keine offenen Stellen, also eine leichte Verbrühung«, beruhigte er sie. »Die Salbe wird die betroffenen Partien kühlen.« Während er sprach, drückte er eine erbsengroße Portion des Gels in ein steriles Tuch und begann vorsichtig die Haut abzutupfen. Trotzdem sog sie scharf den Atem ein. »Es tut mir leid, Miss Petronelli.«

»Es tut doch weh«, murrte sie. Ihr Blick klebte an ihrer Hand.

»Ich gebe Ihnen noch ein leichtes Schmerzmittel mit, damit sollte das Gröbste ausgestanden sein.«

»Danke.«

»Ein Deckel hätte das verhindert.« Vermutlich hätte er einfach den Mund halten sollen.

»Ich konnte ihn nicht finden.« Ihre Lider senkten sich, wodurch sich ihre dicken, langen Wimpern bemerkbar machten. Sie flatterten leicht.

Klosowski räusperte sich vernehmlich. »Wie ist die Arbeit so?«

Miss Petronelli verkniff die Lippen. »Bald Geschichte, wenn ich es nicht schaffe, pünktlich im Haus zu sein.«

Chase nahm diesen Hinweis zum Anlass, das Auftragen des Gels abzubrechen. Er griff nach der Mullbinde und einem frischen sterilen Tuch.

Klosowski lachte auf. »Du bist lustig! Komm schon, ob deine Schüler ein paar Minuten länger auf dich warten, interessiert doch niemanden.«

Sie sog gedehnt den Atem ein, wodurch sich ihre Brust hob. Ihr Kleid spannte sich dadurch. Es war ein ausgesprochen hässliches Kleid. Eher ein Sack, wenn man ihn fragte, mit übergroßem Blumenprint. Dennoch sah er hin.

»Glaubst du, ja?« Ungeduld schwang in ihrer Stimme mit, aber auch eine Spur Ressentiment.

»Ich kann ja verstehen, warum man Zeichnen lehrt, aber Kunstgeschichte?« Klosowski schüttelte den Kopf. Er stand neben ihnen, die Arme vor der breiten Brust verschränkt und die Beine für einen sicheren Stand ein Stück auseinander.

Chase riss sich los und richtete sein Augenmerk darauf, Miss Petronelli zu verbinden.

»Natürlich verstehst du das nicht«, sagte sie mit mühsam gefasster Miene. »Es ist für einen Mann wie dich sicherlich eine widersinnige Vorstellung.«

Chase hätte ihm sagen können, dass man auf eine solche Bemerkung weder lachte noch sie bestätigte, ließ es aber, und so beging der Kollege den doppelten Fehler. Er lachte, wobei er sich zurückbog und ihr seine Lende fast ins Gesicht drückte.

»So ist es. Na ja, wenn es dich beschäftigt hält.« Er stieß gegen Chase’ Arm.

»Klosowski, vielleicht könntest du etwas Abstand halten?« Chase war nahe dran, den Kollegen von sich zu stoßen, auch wenn er sich geschworen hatte, sich nie wieder von einem Klosowski provozieren zu lassen.

»Du bist fertig, oder?«, überging Klosowski ihn, trat aber zurück. »Komm, Eva, ich bringe dich zum Campus.«

»Du bist noch nicht umgezogen.« Chase packte schnell die Utensilien ein. »Das bedeutet, du kommst zu spät zum Dienst.«

»Ach, komm schon!« Klosowski wedelte mit der Hand in Miss Petronellis Richtung. »Du hast ihr versprochen, dass ich sie zur Arbeit bringen kann, damit sie nicht zu spät kommt.«

»Petronelli wird seine Schwester zur Arbeit fahren.« Ein Blick aus strahlend blauen Augen legte sich mit deutlicher Dankbarkeit auf ihn. Chase zuckte die Achseln und erhob sich. Er musste Klosowski zur Seite drängen, wollte der ihm doch den Weg verstellen.

»So ein Scheiß, Mann! Ich bin zur Stelle, warum …«

»Vorsicht. « Chase bedachte ihn mit einem zornigen Blick. Mikes Verhalten wurde von Jahr zu Jahr unakzeptabler, allerdings war nun nicht der passende Augenblick, ihn zu maßregeln. Ohne den Blick zu brechen, fischte er nach seinem Mobiltelefon, den Anruf konnte er sich aber sparen. Petronelli kam mit zwei weiteren Kollegen in den Aufenthaltsraum. Sie lachten.

»Petronelli!« Chase maß Klosowski, der den Punkt nicht ruhen lassen wollte.

»Ich kann sie genauso gut fahren.«

»Vermutlich.«

»Chief?« Petronelli schloss zu ihnen auf und bemerkte seine Schwester. »Eva? Ach herrje!«

»Bring deine Schwester …«

»Ich kann sie fahren«, unterbrach Klosowski ihn angespannt.

»… zur Arbeit.« Chase wandte sich demonstrativ an die junge Frau. »Noch einen guten Tag, Miss.« Er nickte ihr zu. Im Abwenden begriffen, erhielt er doch noch eine Reaktion von ihr.

»Danke, Chief Mitchell.«

Mit einem Grinsen startete er in die wenig erbauliche Aufgabe der Personalplanung.

 

Chase wartete ungeduldig. Erneut hatte sich Klosowski eine Unbotmäßigkeit erlaubt und Chase musste ihn heranzitieren. Gemeinhin beeilte sich der Kollege aber nicht, Chase’ Order nachzukommen – gleich welcher.

Als es klopfte, stieß er den Atem aus und mahnte sich zur Ruhe. Die Situation durfte nicht eskalieren und dummerweise lag dies an ihm als Vorgesetztem.

»Komm rein.«

»Chief? Hast du einen Moment?«, fragte Petronelli. Chase runzelte in seiner Irritation die Stirn. Ein Blick an dem dunkelhaarigen Mann vorbei offenbarte ihm nicht den Gesuchten, also war Petronellis Besuch vermutlich kein Beistand für seinen Freund. Chase winkte ihn herein.

»Wenn du dich kurzfassen kannst, gern. Ich erwarte Klosowski.«

Petronellis Wangen röteten sich und er warf selbst einen Blick in den Flur, bevor er die Tür hinter sich zuzog.

Chase kannte die Dynamik zwischen den beiden, also legte er den Finger in die zu erwartende Wunde: »Wo hält er sich auf?«

Der erschrockene Blick sagte ihm bereits alles. Petronelli räusperte sich. Man sah ihm sein Widerstreben an, aber letztlich hatte er einen guten Sinn für Gerechtigkeit. Er senkte den Blick. »Er hat sich hingelegt.«

Chase entließ kontrolliert den Atem. Das war unglaublich dreist, aber genau das, was er von Klosowski erwartet hatte.

»Danke, Petronelli, also, wie kann ich dir helfen?«

Der jüngere Mann räusperte sich verlegen. »Es ist mir etwas peinlich«, gestand er. »Ich wollte fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, meinen Urlaub umzulegen, sodass ich in den kommenden Monaten bei den Vorsorgeuntersuchungen dabei sein kann. Rosa …«, sein Blick schoss zu Chase mit deutlichem Ressentiment, »… wünscht sich Unterstützung.«

»Du weißt, dass dein Urlaub bereits zum Ende des letzten Jahres fest gebucht wurde. Das lässt sich nicht so einfach umverteilen. Schon gar nicht bei unserem Personalmangel.«

Petronelli seufzte herzzerreißend. »Ja, das wissen wir natürlich, Chief, aber die Zwillinge waren schließlich nicht geplant.« Seine Schultern sackten herab.

»Das beruhigt mich, ich dachte schon, ihr wollt mich in die Verzweiflung treiben, indem Rosa plötzlich ausfiel, obwohl wir gerade erst Cooper verloren hatten.« Chase grinste, da Petronelli seinen Rüffel ernst nahm. Er hob die Hände und schwor, dass die Schwangerschaft ein Unfall war.

Chase zuckte die Achseln. »Ich schaue, was sich tun lässt, aber sieh das nicht als Hoffnungsschimmer. Bist du sicher, dass du nicht lieber nach der Geburt frei haben willst? Ein Baby ist schon anstrengend, zwei werden Rosa in den Wahnsinn treiben, wenn sie keine Hilfe hat.«

Petronelli seufzte und winkte ab. »Meine Schwester hilft uns. Sie ist vernarrt in Kinder.« Nach einem weiteren Seufzen zwang er sich zu einem Grinsen. »Einen Versuch war es wert. Danke, Chief.«

Chase hielt ihn auf, als Petronelli gerade die Tür aufzog. »Tu mir den Gefallen und setz eine Übung an.«

Die breiten Schultern des Kollegen versteiften sich und er reckte den Hals, bevor er sich zu ihm umdrehte. »Wie bitte?«

»Eine Übung für den Leiterwagen sollte genügen. Zehn Minuten, dann will ich alle in der Halle sehen. Ausrückfähig.« Zehn Minuten waren eine Ewigkeit, aber ohne die Sirene, die die Männer gewöhnlich zu einem Einsatz rief, müsste Petronelli zunächst in die Schlafräume auf dieser Ebene und dann in die Aufenthaltsräume gehen, die sich auf beiden Etagen befanden, um jedes Mitglied der Leiterwagencrew persönlich zu benachrichtigen. Das wurde eng.

Petronelli nickte mit großen Augen. »Mike schläft.«

»Habe ich mitbekommen«, gab er zu und zuckte die Achseln.

»Das ist gemein.«

Chase lachte. Er hob die Hände. »Ich muss mich zwar nicht mit dir absprechen, aber: Klosowski hatte die Order, nach dem Duschen bei mir vorstellig zu werden. Eine Order, Petronelli!«

Sein Gegenüber nickte bedächtig. »Ich verstehe. Ich informiere die Männer. Willst du Mike persönlich wecken?«

»Nein. Und ich überlasse es dir, wem du einen Vorsprung gibst: den Männern oder deinem Freund.«

Petronelli nickte mit gerunzelter Stirn, bevor er das Büro verließ. Chase sah ihm kurz nach, bevor er in seinem Computer nach dem passenden Formular suchte. Eine offizielle Abmahnung ließ sich offenbar nicht vermeiden, damit Klosowski seinen Platz endlich verstand.

Kaum waren die Seiten ausgedruckt, stürmte Klosowski herein. Die Tür schepperte gegen die Wand und er schrie: »Was soll der Scheiß?«

Chase schaute zur Uhr und faltete die Finger auf der Tischplatte. »Umgehend bedeutet für dich nach 123 Minuten?«

»Was?«

»Willst du die Tür nicht schließen?«, fragte Chase angespannt. Eine Reaktion, die ihn stets überfiel, wenn sein Gegenüber den Raum betrat.

Klosowski stapfte auf ihn zu. »Du hast die Übung nur befohlen, weil ich dir nicht wie ein geprügelter Hund folge?«

»Nicht ganz. Eigentlich wollte ich dich tatsächlich sehen, um mit dir über deine Befehlsverweigerung zu sprechen, aber du zogst es vor, dich hinzulegen.« Er hob die Hände. »Mir bleibt kaum etwas anderes übrig, als dein Gebaren zu Protokoll zu geben.«

»Das ist doch was Persönliches«, knurrte Klosowski und trat noch näher an den Tisch heran. Seine bedrohliche Haltung verfehlte ihren Zweck. Chase lehnte sich lässig zurück.

»Du hast offen gegen meinen ausdrücklichen Befehl gehandelt, als du den Wagen vorhin mit dem Halligantool aufbrachst, anstatt den Trennschneider zu nehmen. Das Unfallopfer hätte schwerwiegende Verletzungen davontragen können …«

»Hat es aber nicht! Stattdessen kam es zehn Minuten früher ins Krankenhaus, was sein Leben gerettet hat!«, spie Klosowski. »Du bist hier der Unfähige!«

Chase hielt seinem brennenden Blick stand. »Ich bin dein Vorgesetzter. Wenn du anderer Meinung bist, kannst du es gern anmerken, aber du wirst nicht so mit mir sprechen, verstanden?«

Klosowski lachte wild. »Du verlangst Respekt? Ist das ein Witz? Du …«

»Ich bin dein Chief. In der Feuerwehr herrschen klare Strukturen, wenn du die nicht einhalten willst oder kannst, bist du hier fehl am Platz. Ich werde dein Benehmen melden, Klosowski. Von nun an jedes Mal, wenn du einen Befehl nicht befolgst, verstanden?« Damit kam er mit seinen Beleidigungen und seinem Hohn zwar noch durch, aber wirkliche Handhabe hatte man dagegen ohnehin nicht.

Sein Gegenüber öffnete den Mund, sagte dann aber erst einmal nichts. Nach einer Ewigkeit nickte Klosowski. »Mach, was du nicht lassen kannst, aber ich werde ebenfalls einen Bericht abschicken. Du hast die falsche Entscheidung getroffen und du bist zu selbstherrlich für den Posten des Chiefs! Mein Vorschlag war vernünftig, aber du ignorierst mich lieber. Das ist Mobbing.«

Fast hätte Chase gelacht. Sie hatten eine lange gemeinsame Vergangenheit, in der sicherlich einiges unschön verlaufen war, aber der Vorwurf traf tatsächlich für beide Seiten!

 

 

 

4. Kapitel 4

 

Feuerwehrpicknick

 

Eva verfluchte ihre Zusage. Es war noch schlimmer als erwartet.

»Hier.« Mike drängte ihr das Getränk auf. »Später gibt es noch ein Feuerwerk.«

Das wusste sie bereits. Eva nippte an der Bowle. Es war nicht ihr erstes Glas und, wenn sie nicht bald von ihm loskam, sicherlich nicht ihr letztes.

»Ja, ich weiß.« Sie wandte sich leicht ab. »Rosa, hast du dich bei den Farben nun durchgesetzt?«

Die Schwägerin lachte auf und rutschte auf der Bank zu ihr. Ihre Finger legten sich auf Evas Arm und sie stieß sie mit der Schulter an. »Natürlich.«

»Dann wird das Kinderzimmer grün gestrichen?«

»Ja, und …« Rosa biss sich auf die Unterlippe. »Ich wollte dich bitten …«

»Das Motiv hast du dir schon ausgesucht?«, unterbrach Eva, schließlich hatte Eric sie bereits vorgewarnt. Rosa hatte ungewöhnliche Ideen und wann immer es ins Künstlerische abdriftete, verfügte sie frei über Evas Zeit.

»Ja. Ich dachte an einen Dschungel mit Äffchen und Leguanen und solche Dinge.«

Eva seufzte innerlich, denn originell war die Idee nicht. »Natürlich. Denk aber daran, dass die Farbe ausdünstet. Ich muss früh genug beginnen, damit das Gemälde fertig wird und das Zimmer lang genug gelüftet werden kann, bevor die Babys einziehen.«

»Oh!« Sie sah verblüfft drein. »Ist es … giftig?«

»Was ist nicht giftig? Selbst Wasser bringt dich um, wenn du zu viel trinkst.« Eva zuckte die Achseln. »Aber selbst wasserbasierende Farben sollten bei geöffnetem Fenster trocknen.«

»Streichen?«, mischte sich Mike in das Gespräch. »Ist das nicht unter deiner Würde?«

Eva musste sich mit ihm auseinandersetzen, sie hatte keine Wahl. Also wandte sie sich ihm gefasst zu. »Meiner Familie zu helfen ist sicher nicht unter meiner Würde, Mike.«

»Ich dachte ja …« Rosa seufzte gedehnt. »Vielleicht machst du es doch besser allein. Wenn die Farbe giftig ist, möchte ich mich nicht in dem Zimmer aufhalten, das verstehst du doch.« Rosa runzelte die Stirn und rieb sich über den Bauch.

»Natürlich.« Eva drehte sich wieder zur Schwägerin, in der Hoffnung, das Gespräch weiterlaufen zu lassen.

»Sie übertreibt«, riss Mike jenes jedoch an sich. »Es gibt gute Wandfarben, die völlig unbedenklich sind.« Er rückte vor, sodass sie seinen herausfordernden Blick bemerkte.

»Hast du Hunger? Ich schau mal, wo Eric bleibt«, sagte Eva. Der Bruder hatte sich erboten, die Gruppe mit Burgern zu versorgen, und war bereits ungewohnt lange fort. Gerade aufgestanden, lief sie gegen Mike.

»Ich begleite dich.«

»Danke, aber … leiste lieber Rosa Gesellschaft.« Sie wollte an ihm vorbei, lief aber wieder gegen ihn. »Mike, lass das.«

»Ich begleite dich.« Wie üblich ignorierte er ihren Hinweis, seine Begleitung nicht zu wollen. Eva atmete tief ein. Es gab nur zwei Wege, es sein lassen oder sich durchbeißen. Allerdings war es deutlich nicht der richtige Moment für einen Kampf wie diesen. Also stapfte sie los.

»Du wirst also das Kinderzimmer deiner Neffen streichen? Eric nutzt dich aus, weißt du das?«

»Ich bin froh, helfen zu können«, lenkte sie ab. »Siehst du Eric?« Sie selbst sah kaum etwas vom Umfeld, obwohl es ein Picknick war und die Menschen auf Decken oder Bänken saßen. Sie beschattete die Augen, aber besser wurde es nicht.

»Nein.« Er klang zu fröhlich, deshalb sah sie knapp zu ihm auf. Er feixte. »Bist du wirklich hungrig?«

Sie ging nicht auf ihn ein. »Hier sind einfach zu viele Menschen.« Sie ließ den Blick schweifen. Einige Gesichter konnte sie zuordnen, aber der größere Teil war ihr völlig unbekannt.

»Fast dreihundert Feuerwehrmänner samt ihren Familien aus den vier Bezirken von Cherryoak Falls.«

Eva verkniff die Lippen. Wenn er sie nicht anmachte, belehrte er sie!

»Das jährliche CFFD-Picknick ist legendär. Dieses Jahr wurde es vom 11. ausgerichtet, daher diese laue Bowle anstelle der anständigen Drinks.«

Eva seufzte innerlich. Ihre frenetische Suche nach ihrem Bruder hatte einmal mehr keinen Erfolg, statt an ihm blieb ihr Blick an einem anderen hängen. Ein Rücken so breit wie ein Kleiderschrank in einem hellblau karierten Hemd, das im Bund seiner Bluejeans verschwand. Sie blinzelte und zwang sich, ihren Blick von dem Hinterteil loszureißen.

Mike legte den Arm um ihre Mitte und drehte sie. Der ausgestreckte Finger deutete zur Schlange am Grill. »Da. Offenbar hat er sich nicht abgesetzt.«

Eva löste sich aus seiner Umarmung. »Das hatte ich auch nicht vermutet.« Sie wollte losgehen, aber Mike fing sie ab. »Er wird noch eine Weile beschäftigt sein. Lass uns doch zum Tanzen gehen.« Es war kein Vorschlag, denn er zog sie bereits in Richtung der Bühne, auf der eine Liveband spielte.

»Nein.« Das war das Letzte, was sie wollte. Erneut drehte sie sich aus seinem Halt. »Ich tanze nicht.« Sie befeuchtete sich die Lippen. Sicherlich würde er sie weiterhin bedrängen, also fuhr sie gepresst fort: »Ich bin nur hier, weil Eric mich dazu überredet hat.«

»Und was spricht dagegen, es zu genießen? Komm, Tanzen ist ganz einfach.«

Wie erwartet entkam sie ihm nicht so einfach. Sein Telefon klingelte und er fischte es aus seiner hinteren Hosentasche. »Ja? Nee.«

Eva versuchte, seiner Berührung zu entgehen und die Richtung zu ändern.

»Kein Problem. Nein, wirklich, das ist kein Problem. Ich freue mich darüber, echt.« Er lachte auf. »Fahr ruhig.«

Eva wurde hellhörig, allerdings mussten sich weder das Telefongespräch an sich noch seine Worte auf sie beziehen. Sie erreichten die freigelassene Ebene vor der Bühne, in der sich etliche Paare drehten.

»So.« Mike steckte das Telefon zurück und nahm endlich die Hand aus ihrem Rücken. »Dann bringe ich dir jetzt bei, wie man tanzt.« Er holte sie zu sich und drückte sie an seinen Körper. Es mochte lange her sein, dass Eva zuletzt getanzt hatte, aber dass er sie zu nah hielt, wusste sie auch so. »Zunächst einmal hält man seinen Partner an sich, sodass man seine Bewegung spüren kann.« Unnötigerweise zog er sie noch näher zu sich.

»Mike …«

»Dann bewegt man sich entsprechend dem Takt der Musik.« Er schwang die Hüfte, wobei sie gegen ihre drängte.

»Mike!« Eva schob ihn von sich, so gut es ging. »Lass mich los!«

»Es gibt keinen Grund sich aufzuregen, Eva«, raunte er ihr zu, als er sie zurück an seine Brust gezogen hatte. »Bei mir bist du sicher.«

Er hatte offensichtlich den grundlegenden Punkt nicht verstanden. »Ich möchte, dass du mich loslässt, Mike!«, verdeutlichte Eva ihren neuerlichen Rückzug. Sie gewann ihre Freiheit zurück. Mike hob die Hände und grinste schief.

»Eva, Süße, das ist ganz harmlos. Ich mag dich.«

Eva presste die Lippen aufeinander. Aus dem netten Familienausflug war ein Fiasko geworden, und das allein wegen des nervigen Typen vor ihr. Sollte sie es nun ausdiskutieren? Seufzend drehte sie sich halb zur Seite. Vermutlich war es nötig, aber sie wollte sich den Tag nicht völlig ruinieren. Verzweifelt sah sie sich um. Konnte sie nicht irgendjemand retten?

»Ich sollte Eric helfen, die Burger …«

»Er ist gerade gefahren«, stoppte Mike sie augenblicklich. Eva fuhr herum.

»Wie bitte?«

Mike feixte breit, zuckte die Achseln und streckte die Arme aus. »Keine Sorge, bei mir bist du gut aufgehoben.« Er kam wieder auf sie zu.

»Eric ist gefahren? Warum?« Eva wich aus und hob selbst die Hände, um ihn davon abzuhalten, sie wieder anzufassen.

»Rosa fühlte sich nicht wohl.« Er zuckte die Achseln. »Was solls?«

»Wir haben vor kaum zehn Minuten mit ihr gesprochen, es ging ihr hervorragend!« Eva machte einen weiteren Schritt zurück. »Ich suche sie.«

Mike ließ sie nicht gehen. »Sie sind weg!« Er griff nach ihrem Arm, um sie aufzuhalten. »Komm schon, wir amüsieren uns noch etwas, dann bringe ich dich nach Hause.« Er zwinkerte ihr zu, da sie ihn fassungslos anstarrte.

»Eric hätte mich doch nicht zurückgelassen.« Noch während sie es murmelte, kamen ihr Zweifel. Ihr Bruder war so versessen darauf, sie an den Mann zu bekommen, dass er sicherlich auch zu unmöglichen Maßnahmen griff.

»Hat er auch nicht. Hey, du bist bei mir sehr gut aufgehoben. Komm, lass uns weiter tanzen.«

»Ich will nicht tanzen.« Eva haderte. Eric war ein furchtbarer Idiot. Für Mike gab es nicht einmal eine passende Bezeichnung. Schnellen Schrittes bahnte sie sich ihren Weg durch die Menschen, um an der Getränkeausgabe ein frisches Glas Bowle zu leeren.

»Hey.« Mike berührte ihren Arm. »Wo ist das Problem?«

Eva stellte den Becher ab und griff nach einem neuen, um ihn auszutrinken. Obwohl es nun gleich war, verbat sie sich die klaren, bissigen Worte und atmete einige Male tief durch, bevor sie sich Mike zuwandte. »Ich rufe Eric an.« Sie musste den Becher ebenfalls abstellen, um aus ihrer Umhängetasche ihr Telefon zu kramen.

»Und wozu?« Er wechselte das Standbein und hakte die Daumen in seine Hosentaschen. »Er ist schon halb zu Hause. Soll er umkehren, nur weil du dich anstellst?«

Eva tippte auf den grünen Hörer, ohne sich beirren zu lassen. »Ich stelle mich nicht an. Ich bin nur mitgekommen, um Zeit mit Rosa und Eric zu verbringen.« Und weil der Bruder darauf bestanden hatte, sie müsse mal an die frische Luft. Unter Leute. Mehr sehen als ihr Atelier.

»Aber Rosa geht es nicht gut und Eric musste sie nach Hause fahren.« Mike zuckte die Achseln. »Nutzen wir die hervorragende Gelegenheit und …«

Eva drehte ihm den Rücken zu, um einen weiteren Becher Bowle hinunterzuschütten.

»… lernen uns besser kennen.«

Es war nötig. Gestärkt wandte sie sich ihm wieder zu und schaffte es doch nicht, ihm die deutlichen Worte vor den Latz zu knallen. »Ich muss …« Sie wedelte in Richtung der Menschenmasse. »Entschuldige mich bitte.«

Allerdings folgte ihr Mike auf dem Fuß. Als sie es bemerkte, fuhr sie herum. »Darf ich nicht einmal austreten, ohne dass du mich verfolgst?«

Chase spürte die Vibration seines Handys in der Handfläche, während er sich durch die Picknickgesellschaft wühlte. Bisher hatte er es vermeiden können, einer seiner Verflossenen unter die Augen zu kommen, aber er wollte sein Glück auch nicht überstrapazieren. Es war Zeit zu gehen, da kam ihm der Anruf gerade recht. Kurz vor dem Toilettenhäuschen nahm er das Gespräch an.

»Mitchell?«

»Walker. Chief, wir haben einen Ausfall.« Lex Walkers Stimme klang angespannt.

»Wer und was?« Walker räusperte sich. Sein Vertreter war eine Spur zu melodramatisch, wenn man Chase fragte. »Raus damit!«

»Cheng hatte einen kleinen Arbeitsunfall und muss behandelt werden. Carson hat sich krankgemeldet und aus der zweiten Schicht bekam ich keine Zusage …«

Das kam wie gerufen. Chase atmete tief ein und stemmte die Hand in die Seite.

»Du brauchst Ersatz und erwartest, dass ich dir einen aus dem Hut zaubere?« Er drehte sich, um über das Picknickgelände zu schauen, und bekam Miss Petronelli präsentiert, die ihn, keine zwei Schritte von ihm entfernt, anstarrte. Sie trug ein langweiliges Spitzenkleid, das auf Höhe der Waden und über den Ellenbogen abschloss. Anstelle des Dekolletés sah man nur einen einfachen weißen Kragen.

»Du bist meine letzte Chance«, knirschte Walker an seinem Ohr und lenkte ihn damit von der nicht gerade sexy zu nennenden Aufmachung ab. »Ich wüsste nicht, wie ich den reibungslosen Ablauf ansonsten gewährleisten sollte. Es tut mir leid.«

»Tja, du weißt, dass ein Großteil der freien Schicht auf dem jährlichen Picknick ist, und der Punsch ist nicht gepanscht.« Chase hielt noch immer Miss Petronellis Blick. »Gut möglich, dass sich niemand findet, der nicht beschickert wäre.«

Das setzte Petronelli in Bewegung. Zunächst riss sie die Augen auf, dann öffnete sich ihr Mund zu einem unartikulierten Satz. Daraufhin stolperte sie los, direkt auf ihn zu, die Hand ausgestreckt, die sich, als sie ihn erreichte, auf seinen Arm legte. »Mike.«

Ihre Augen schienen deutlich mehr zu sagen.

»Vielleicht jemanden, der nicht total besoffen ist?«, schlug Walker vor. »Jemanden für die Wache?«

»Einen Moment«, bat Chase und nahm das Telefon vom Ohr. Miss Petronelli atmete tief durch.

»Mike hat nicht getrunken. Er ist nüchtern. Er ist einsatzfähig!« Ihre Augen leuchteten auf und ihr Gesicht folgte. Ihre weichen Züge belebten sich dadurch, was sie richtiggehend anziehend machte.

Chase betrachtete sie sinnend. Warum war sie so scharf darauf, dass Klosowski das Fest verließ? »Petronelli ist die bessere Wahl«, forderte er sie heraus.

Sie atmete tief ein. Ihre Fingernägel bohrten sich in seinen Bizeps und in ihre Miene schlich sich kämpferische Festigkeit. »Eric ist bereits gefahren. Rosa geht es nicht gut.« Ihre Zunge huschte über ihre Lippe. »Sie würden ihn in eine schwierige Situation bringen, wenn Sie ihn zu einem Einsatz schickten. Mike hat keinerlei Verpflichtungen.«

Das waren natürlich vernünftige Argumente. Chase nickte bedächtig.

»Eric wird auch nicht abnehmen, während er fährt. Mike ist hier …« Sie drehte sich leicht und deutete zurück zum Picknickgelände. »Logistisch gesehen ist er die bessere Wahl.«

Chase verengte die Augen.

»Bitte«, flehte sie. »Herrgott, es kann Ihnen doch egal sein, wer letztlich die Schicht übernimmt!«

»Also gut«, gab er leise nach und versicherte Walker am Telefon, dass er Klosowski schicken würde. Noch während er sprach, wich die Anspannung aus der kleinen Gestalt vor ihm.

»Danke!« So schnell, wie sie auf ihn zugekommen war, so schnell verlor er nun ihre Aufmerksamkeit. Sie wandte sich ab und war bereits zwei Schritte gegangen, bevor sie wieder stehen blieb. »Oh!« Sie machte kehrt, blieb dann erneut stehen, um sich umzusehen. »Verflixt!«

»Gibt es ein Problem, Miss Petronelli?« Dass dem so war, konnte man ihr problemlos ansehen.

»Er kommt noch auf die Idee, ich müsste mit ihm fahren. Ich muss mich irgendwo verstecken.« Sie machte den Eindruck, mit sich selbst zu sprechen, daher sparte Chase sich einen Kommentar. Stattdessen beobachtete er, wie die Frau in Richtung der Toiletten tapste, nur um wieder stehen zu bleiben. »Ach, als hielte ihn irgendetwas davon ab, mir auf das WC zu folgen!« Sie ballte die Fäuste und streckte sie dem Boden entgegen. »Verfluchter Mist!«

Chase musste grinsen, versteckte es aber gleich wieder. Von ihrer Aufmachung her wirkte sie wie eine puritanische Christin, ihr Mundwerk sprach aber von etwas anderem. Sie war ein Mysterium und jenen hatte er noch nie widerstehen können. Chase zog seinen Schlüssel hervor und hielt ihn hoch, damit er Miss Petronellis Blick einfangen konnte.

»Hier.« Endlich sah sie zu ihm. Ihre kirschroten Lippen formten stumme Worte und sie schüttelte leicht den Kopf. »Mein Wagen steht dort oben.« Er deutete zu den Parkplätzen hinter ihnen. »Der schwarze Cadillac Escalade. Er hat getönte Fenster.«

Ein Ruck ging durch die dunkelhaarige Frau. Sie kam auf ihn zu, nahm ihm den Schlüssel ab und sah ihn einen Moment aus ihren kristallklaren, blauen Augen an. »Danke.«

»Sie haben mir erstklassige Argumente geliefert, warum Klosowski seinen Hintern zur Wache bewegen muss.« Er hob die Achseln. »Glauben Sie wirklich, dass er Ihnen auf der Toilette auflauern würde?«

Miss Petronelli schnaubte. »Ja!«

Er sah ihr noch einen Moment nach, als sie den Weg entlangeilte, der zu den Parkplätzen führte. Obwohl der Schnitt ihres Kleides absolut unsexy war, schwang der Po anregend bei jedem Schritt hin und her.

Sie saß in seinem Auto, war ihm dankbar …

Es war eine grandiose Idee, Klosowski loszuwerden. Chase schlenderte in die entgegengesetzte Richtung, wobei er sich auf eine Konfrontation gefasst machte. Klosowski zu finden, war tatsächlich nicht schwer, denn kaum hatte er den Schatten des Toilettenhäuschens verlassen, lief er beinahe in den jüngeren Kollegen hinein.

»Chief.« Er nickte ihm zu und wollte an ihm vorbei.

»Klosowski, einen Moment«, hielt Mitchell ihn auf. »Walker braucht Unterstützung, fahr zur Wache und mach die Schicht zu Ende.«

Klosowski hatte sich bereits halb abgewandt, drehte sich nun aber wieder zu ihm um. »Was?« Er lachte auf. »Sicher nicht.« Er wollte ihn stehen lassen.

»Mein Ernst.«

Klosowskis Lachen erstarb. Er schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Ruf Eric an.«

»Tatsächlich war er meine erste Wahl«, konterte Chase mit einem Achselzucken. »Er schob seine Frau vor.« Seine Pause war tragend. »Mach dich auf den Weg, ich habe dich bereits angekündigt.« Dieses Mal war er es, der sich abwandte und keinen Schritt machen konnte, bevor er aufgehalten wurde. Klosowski griff nach seinem Arm.

»Ich kann nicht weg. Erics Schwester …«

»Kommt auch ohne dich klar.«

Klosowskis Miene verdunkelte sich und Feuer glomm in seinen Augen. »Ach, glaubst du?«

»Wenn du es bezweifelst, sorge ich gern dafür, dass sie unbeschadet nach Hause gelangt.« Chase bediente sich mit voller Absicht einer anzüglichen Tonlage, schließlich war das Interesse des Kollegen an Petronellis Schwester schwer zu übersehen.

Klosowski biss die Zähne aufeinander. Seine Nasenflügel bebten, als er scharf den Atem einsog. »Lass die Finger von ihr.«

Chase hob die Arme. »Lediglich ein freundschaftliches Angebot, Klosowski. Wenn du überzeugt bist, dass Petronellis Schwester männlichen Beistand benötigt, um unbeschadet nach Hause zu kommen …«

»Ich nehme sie mit«, knurrte der blonde Feuerwehrmann. »Sie wohnt nur etwas die Straße runter, es ist kein Umweg, wenn ich sie erst nach Hause bringe.«

Mitchell stemmte die Hände in die Mitte, überrascht, dass Miss Petronelli recht behalten sollte. »Das ist Zeitverschwendung.«

»Es sind nur Minuten.« Klosowski lief los, um das Häuschen zu umrunden. Chase folgte ihm und blieb erst stehen, als der Untergebene die Damentoilette stürmte und nach Eva rief. »Verdammte Scheiße, wo ist sie?« Klosowski kam wieder an ihm vorbei und suchte die Umgebung ab. »Hast du sie gesehen?«

»Nein.« Chase sah sich unbeteiligt um. »Brünett, oder?« Er spürte Klosowskis rätselnden Blick auf sich. Er nahm ihm wohl nicht ab, dass Chase sich nicht haargenau an die kleine Petronelli erinnern konnte. Das wunderte ihn auch nicht, schließlich kannten sie sich bereits seit der Schulzeit. »Ich schau mich um. Walker wartet. Die Wache ist in dieser Schicht katastrophal unterbesetzt.«

»Ich rufe sie über den Messenger an.«

»Du hast genug Zeit geschunden.«

Klosowski ignorierte ihn, zog sein Telefon aus der Hosentasche und tippte darauf herum. Dabei ließ er den Blick unablässig über die Umgebung und jede dunkelhaarige Frau wandern, die sich ausmachen ließ.

»Scheiße«, bellte der blonde Kollege schließlich.

»Sie ist erwachsen. Sie wird nach Hause finden.«

»Sie ist fremd hier in der Stadt. Sie … so eine verfickte Scheiße!«

Chase presste die Lippen aufeinander. Sie befanden sich in der Öffentlichkeit und da sollten sich seine Männer mit ihrem Vokabular im Griff haben. »Achte auf deine Worte!« Es brachte nie etwas, Klosowski zu ermahnen, also schüttelte Chase den Kopf und ließ es vorerst auf sich beruhen. Ein weiteres Gespräch wartete auf sie, wie jenes darüber, dass der Kollege sich herausnahm, ihn vor den Männern anzuschnauzen, ihm zu widersprechen und Chase’ Fähigkeit, die Truppe zu führen, infrage zu stellen. Vermutlich endete es mit einem neuerlichen Verweis, wenn Klosowski wieder handgreiflich wurde. Das konnte Chase jetzt einfach nicht gebrauchen. »Fahr. Keine weitere Verzögerung für eine Frau, die womöglich längst auf dem Weg nach Hause ist.«

»Ich rufe Eric an. Er kann die Schicht übernehmen und …«

»Nein«, unterbrach Chase ihn scharf. »Jeden Moment kann der Zug zu einem Einsatz gerufen werden. Unterbemannt! Du wirst dich augenblicklich auf den Weg machen.«

Klosowski fuhr mit wildem Widerspruch in den Augen zu ihm herum.

»Keine. Diskussion.« Chase legte all seine Autorität in diese beiden Worte und stoppte Klosowskis Ausbruch, obwohl er sichtlich unter Dampf stand. Er schnaufte und atmete schwer, seine Fäuste ballten und öffneten sich und er kaute auf seiner Zunge herum. Angespannte Sekunden verstrichen, bevor er endlich eckig nickte und der Order nachkam. Chase sah ihm nach, bis sich sein Chevy mit quietschenden Reifen davonmachte.

Sein Cadillac stand nicht weit entfernt. Die Türen waren geschlossen und durch die Frontscheibe sah der Wagen verlassen aus. Hatte Miss Petronelli etwa die Geduld verloren? Oder das Vertrauen, hier in Sicherheit zu sein?

 

 

5. Kapitel 5

 

Kaffeeklatsch

 

Mitchell öffnete die Tür zum Fond. Petronellis Schwester lag ausgestreckt auf der Rückbank und starrte an die Decke. Nun überstreckte sie ihren schwanengleichen Hals, um ihn ansehen zu können. Wäre ihr Kleid nicht bis obenhin geschlossen und auch noch mit diesem schrecklichen weißen Kragen versehen gewesen, hätte er einen hübschen Einblick gehabt.

»Ist er weg?«

Chase nickte.

»Gott sei Dank«, seufzte sie. Als sie sich aufsetzte, entwich ihr ein unsicheres Oh. Ihre Hand flog an ihre Stirn, während sie sich gegen die Polster lehnte.

»Alles in Ordnung?« Er berührte ihren Ellenbogen.

»Ja, alles …« Sie unterbrach sich, schluckte und hob mit einem unsicheren Lächeln den Blick. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Chief.« Sie rutschte auf ihn zu und landete bei ihrem Versuch auszusteigen in seinen Armen. »Oh! Ent…«

Chase sah auf sie herab. Sie war verdammt klein, aber es mangelte ihr deutlich nicht an Weiblichkeit, was der Körperkontakt eindringlich bezeugte.

»Tschuldigung«, murmelte sie. Ihre Zunge huschte über ihre Lippe und sie brach den Blickkontakt, noch bevor sie sich mit zittrigen Fingern von ihm fortdrückte. Ihre Wangen standen in Flammen.

»Ich fahre zurück in die Stadt, kann ich Sie auf dem Weg irgendwo abliefern?« Er suchte in ihren riesigen Augen nach einer Bestätigung, allerdings schlug sie zu schnell die Lider nieder.

»Ich … also …« Sie trat zurück, stieß dabei gegen den Wagen und verschluckte sich. Sie hustete, wobei sie noch mehr Farbe annahm. Chase verkniff sich ein Grinsen, als er ihr sacht auf den Rücken klopfte.

»Ganz ruhig, Miss Petronelli.«

Sie wich aus. »Entschuldigung.«

»Geht es wieder?«

»Ja. Ja.« Sie krächzte noch und wich auch seinem Blick aus, aber ihre Wangen verloren langsam etwas ihrer tiefroten Färbung. »Ich …«

»Bringe Sie nach Hause«, übernahm er ihren Satz. Er deutete nach vorn. »Bitte.«

Sie nickte fahrig und beeilte sich, aus seiner Nähe zu kommen. Chase folgte ihr um das Auto herum, hielt ihr die Wagentür auf und stemmte sie hinauf in den Sitz. Als er in seinen Platz rutschte, stieß er gegen sie. Miss Petronelli kletterte durch die Lücke der Vordersitze nach hinten. Chase sah über die Schulter und verfolgte, wie sie sich nach ihrer Umhängetasche streckte. Ihr Hintern lag auf seiner Augenhöhe und drückte sich dank ihrer Haltung in seiner vollen Rundung ab.

»Schnallen Sie sich bitte an, Miss Petronelli.«

»Ja.« Sie rutschte zurück in ihren Sitz und ließ sich fallen. »Anschnallen.« Der Ruck, mit dem sie den Gurt aus seinem Versteck ziehen wollte, war zu stark. Nach wenigen Zentimetern ließ er sich dann nicht mehr bewegen.

Chase beugte sich vor, da sie immer fahriger wurde, und legte die Hand auf ihre. »Ganz ruhig.« Ihre Finger rutschten ab und Chase zog den Gurt heraus, um ihn zu schließen. »Sehen Sie?«

»Ja«, krächzte sie. »Ich bin wohl zu …«

Das Anspringen des Motors würgte sie ab. Chase legte den Arm um ihren Sitz, um besser nach hinten sehen zu können, und setzte zurück.

»Danke«, murmelte sie, als sie vom Parkplatz herunterfuhren.

»Klosowski ist lästiger als ein Sack voll Fliegen.« Chase gönnte sich ein Grinsen, auch wenn er sich Beleidigungen sparen sollte, um das Betriebsklima nicht zu gefährden.

Miss Petronelli schnaubte. Ihre Finger spielten mit dem Träger ihrer Umhängetasche und sie sah zur Frontscheibe hinaus. »Er ist ein Oktopus.«

»Ein Oktopus?«, fragte er belustigt, da sie nichts weiter sagte.

»Es ist, als habe er acht Arme. Es ist unmöglich, ihm auszuweichen.« Ärger ließ ihre Stimme beben und Chase musste zu ihr rübersehen, um sich zu vergewissern, dass er den Unterton richtig deutete. Ihre Wangen glühten, die Lippen pressten sich aufeinander und ihre Schultern beugten sich nach vorn.

»Haben Sie es mit einem Nein versucht?«

Ihr Blick schoss zu ihm und der Druck auf ihren Lippen nahm zu. »Nein.«

Chase unterdrückte sein Lachen, was in dieser Situation falsch verstanden werden konnte.

»Es sollte nicht nötig sein«, murrte Miss Petronelli. »Das versteht sich doch von selbst.«

»Es erschwert, sich näherzukommen.« Chase zuckte die Achseln.

»Nun, darum geht es. Ich will ihm nicht näherkommen.«

Chase lachte auf. Sie war goldig. Wie sie das Offensichtliche feststellte, als wäre es die wissenschaftliche Entdeckung dieses Jahrhunderts.

»Setzen Sie niemals voraus, dass ein Mann zwischen den Zeilen liest«, riet er. »Sagen Sie immer, was Sie wollen und was nicht. Scham ist da fehl am Platz.« Chase nahm die Augen von der Straße, um sie kurz zu mustern.

»Wie lässt sich das denn in ein Gespräch verpacken?« Sie verzog den Mund. »Vergessen wir das.« Sie schüttelte den Kopf und verlor etwas ihrer Steifheit, als sie seufzte. »Es ist nett, dass Sie mich mitnehmen. Ich wohne ganz in der Nähe …«

»Der Feuerwache«, beendete er. Miss Petronelli klappte den Mund zu. Die Wachsamkeit in ihrer Miene war schon fast schmerzhaft. »Die Wache ist ein Nest«, erklärte er mit einem Schulterzucken. »Und Klosowski nicht gerade verschwiegen.«

»Na herrlich!« Sie legte die Arme um sich und rutschte tiefer in den Sitz. »Ich will mir gar nicht vorstellen, was er sonst so von sich gibt.«

»Dann werde ich Sie damit auch nicht langweilen.« Wieder sah er zu ihr rüber. »Eva, oder?« Natürlich hatte er nicht vergessen, wie sie hieß, aber sie machte nicht den Eindruck, ihm bald das Du anbieten zu wollen. Also musste er das etwas beschleunigen, indem er vorgab, ihren Namen vergessen zu haben. Wie erwartet schreckte sie auf. Feuerbälle glühten auf ihren Wangen.

»Evangeline.«

»Ach herrje, das ist ja ein Zungenbrecher«, zog er sie auf, wobei er ihr zuzwinkerte.

Eva schnaubte. »Sie sind bloß nicht zungenfertig!«

Chase lachte auf, musste sich aber gleich wieder zusammennehmen. Im dichter werdenden Verkehr war es nicht ratsam, einem Lachflash zu erliegen. »Dahingehend habe ich bisher keine Beschwerden vernommen.«

Erst reagierte sie nicht, dann verteilte sich die Röte ihrer Wangen in ihrem Gesicht. »Ich glaube einfach nicht, dass Sie …«

»Evangeline. Ein Kinderspiel für meine Zunge.« Wieder zwinkerte er ihr zu. Es wirkte bedeutender, als es sollte. »Welche Hausnummer?«

»Bitte?«, wisperte sie dünn.

»Welche Hausnummer hat Ihr Wohnhaus? Wir sind zwei Blocks von der Feuerwache entfernt.«

Sie sah sich um. Ihr Stirnrunzeln bezeugte, dass sie die Gegend nicht wiedererkannte. »Die 2709.«

Was keinen Block entfernt lag. Kein Wunder, dass sie sich an ihrem frisch gebrühten Kaffee verbrennen konnte.

»Oh, jetzt erkenne ich die Straße.«

Chase bog ab. Evangelines Wohnhaus war eine alte Fabrik, die vor rund hundert Jahren in Wohnparteien umgebaut worden war. Es lag direkt an der Ecke zur 21. und wurde von riesigen, bodenlangen Fenstern dominiert. Da gegenüber eine Restaurantkette eine Filiale betrieb, war es am Abend schwierig, einen Parkplatz zu bekommen. Allerdings gab es für Ortskundige Alternativen.

»Nein, wir müssen …«

»Auf den Hof. Vor dem Haus ist ein Parkverbot.«

Sie klappte den Mund zu. In diesem Viertel waren Halteverbote nicht unüblich. Die alten Häuser waren nur teilweise kernsaniert und galten als extrem feuergefährlich. Die Gasse war so schmal, dass Chase um seine Seitenspiegel fürchtete. Trotzdem war es Eva, die seufzte, als er die Handbremse anzog.

»Da sind wir.«

»Sicher abgesetzt, wie versprochen.« Er zog den Schlüssel ab, nicht sicher, wie er die Sache handhaben sollte. Keinesfalls sollte sie ihn ebenfalls als Oktopus bezeichnen, aber wie ließen sich die Dinge vorantreiben, ohne sie zu berühren?

Evangeline schnallte sich ab. Als sie die Tür aufstieß, murmelte sie einen knappen Dank und rutschte sofort herum. »Hui!« Ihre Finger schlossen sich um den Türgriff. Höhenangst?

Chase grinste für sich und sprang selbst aus dem Wagen, um ihn zu umrunden und seinem Fahrgast die Hand entgegenzustrecken. »Ich helfe Ihnen.«

Evangeline zögerte, streckte dann aber die zittrige Hand aus, um seine zu ergreifen. Sie stützte sich aber nicht ab, sondern versuchte, sich auf den Tritt herabsinken zu lassen. Der lag aber zu tief. Sie verlor das Gleichgewicht und landete an seiner Brust. Ihr überraschter Laut, der irgendwo zwischen Schrei und Schnauben rangierte, wurde gleich von ihr selbst abgewürgt. Ihre Finger gruben sich in seinen Arm, als ihr Blick in sein Gesicht zuckte.

»Ich …« Die roten Punkte waren zurück in ihren Wangen und ihre Augen weit aufgerissen. Sie schluckte und versuchte es erneut: »Ich …«

Chase beugte sich vor. Dies war eine Steilvorlage, die man einfach nicht verstreichen ließ. Ihre Lippen waren warm und weich und lockten durch ihre Nachgiebigkeit dazu, den keuschen Kuss zu vertiefen. Sie keuchte, als er seine Zunge in ihren Mund abtauchen ließ. Ihre Nägel kratzten leicht über seinen Unterarm, als sie sich zurückzog. Sein Wagen stoppte sie, was erneut ein Keuchen bewirkte. Sollte er ihr Widerstreben übergehen und auf ein Nein warten?

Ihre Lippen bebten. Ihr heißer, süßer Atem wusch über seine, als er wartete.

»Wirst du Nein sagen?«

Ihre Lider flatterten, bevor sie sich langsam hoben, um einen vorsichtigen Blick durchzulassen. »Wie bitte?«

»Wenn du nicht geküsst werden möchtest«, raunte Chase nahe an ihrem Mund, wobei er sie beinahe berührte, aber es blieb bei einer vagen Andeutung, »sag nein.«

»Ich …« Ihre Lippen berührten seine, als sie wisperte. »Ich …«

»Evangeline.«

Sie schloss die Augen. Chase hob die Hand, um ihr über die brennende Wange zu streichen. Er legte Daumen und Zeigefinger um ihr Kinn und hob es an, bevor er seinen geöffneten Mund über ihren rieb.

Evangeline stieß ein kleines Seufzen aus, das Chase antrieb. Er hatte ihr die Möglichkeit gegeben, die Sache hier abzubrechen, damit sollte er auf der sicheren Seite sein. Den freien Arm schlang er um sie, aber sie an sich zu ziehen, war keine so gute Idee. Sie war verflucht klein und er musste sich herabbeugen, um sie zu küssen. Um sie gleichzeitig an seinem Körper spüren zu können, müsste er sie zurücklehnen, allerdings stand dazu sein Wagen im Weg. Es sei denn …

Chase legte kurzentschlossen die Hände um ihre Mitte und hob sie an. Evangeline quietschte und klammerte sich an ihn. Da er sie auf dem Tritt seines Cadillacs abstellte, kam er nun in den vollen Genuss ihres wohlgeformten Körpers. Ihre prallen Brüste drückten sich an seine Brust und wenige Zoll tiefer lag ihr Schoß an seinem Sixpack.

Ihre Nägel gruben sich nicht mehr in sein Fleisch, aber der lockere Halt um seinen Nacken half nicht dabei, die Dinge voranzutreiben. Auch die Art, wie sie seinen Kuss erwiderte, war zurückhaltend. Oder leidenschaftslos?

Chase legte mehr Feuer in seinen Kuss. Gewöhnlich nahm er sich nicht zurück und setzte voraus, dass sich seine Gespielin schon meldete, wenn ihr etwas nicht passte. Offenbar war es nicht nur Evangeline, die das falsch anging. Dinge für gegeben ansah, die besser an- oder ausgesprochen wurden, wie die mündliche Einwilligung zum Sex.

Chase stöhnte in ihren Mund. Trotz ihrer eher zaghaften Erwiderung floss sein Blut siedend heiß in seiner Körpermitte zusammen, um sich in seinem Geschlechtsorgan zu stauen. Leider war es definitiv der falsche Ort für Sex im Freien. Der Hof war vollgestellt mit parkenden Autos und Mülltonnen, unzählige Fenster zeigten in das dunkle Quadrat und jedes der umliegenden Häuser verfügte über einen Hinterausgang. Nervenkitzel war schön und gut, sich beim Sex in der Öffentlichkeit erwischen zu lassen, dann doch zu viel des Guten.

Chase räusperte sich, als er seinen Kuss abbrach und Evangeline mit der Nase anstupste. »Lädst du mich auf einen Kaffee ein?« Der raue Klang seiner Stimme war verräterisch, aber die Frage war so offensichtlich, dass sie garantiert wusste, worauf er hinauswollte.

»Ähm.« Sie schaute zögerlich zu ihm auf. »Ja. Natürlich.« Ihre Hände rutschten ab.

Chase suchte ihren Blick, bekam ihn aber nicht eingefangen. Also trat er zurück und hob sie dabei wieder vom Tritt seines Cadillacs. Sobald er sie abgestellt hatte, wich sie zur Seite aus und tänzelte dann herum. War sie nervös?

Rote Flecken glühten auf ihren Wangen und sie biss sich immer wieder auf die Unterlippe.

Er griff nach ihrer Hand, um sie mit sich zum Haus zu ziehen. »Schließ auf.«

Evangeline suchte in ihrer Umhängetasche nach dem Schlüssel und versuchte dann, ihn mit zittrigen Fingern einzuführen.

Chase schüttelte stumm den Kopf. Sie war schon irrwitzig nervös. Er unterstützte sie dabei, den Schlüssel in das Schloss zu stecken. Dabei schmiegte er sich an sie. »Hey, ganz ruhig.«

Sie eilte los, kaum dass sich die Tür öffnen ließ. »Ich … wohne ganz oben.«

Sie nahm die Treppe, obwohl es einen für den Personenverkehr freigegebenen Lastenfahrstuhl gab. Chase folgte ihr nach einem ratlosen Moment. Sie öffnete die einzige Tür in diesem Stockwerk und huschte hinein. Er blieb erst einmal im Türrahmen stehen. Zwei Schritte vor ihm befand sich die Garderobe samt einigen Schränken. Sie bildeten mit der Wand, in die die Wohnungstür eingelassen war, einen Gang, der direkt in die Küche führte. Chase schloss die Tür behutsam hinter sich und folgte Eva. Über der Kochinsel hingen Töpfe und Pfannen, an der Theke davor standen drei Hocker. Evangeline legte ihre Tasche auf dem ersten ab und umrundete den Block, in den auch der Gasherd integriert war. Die Kaffeemaschine nahm die halbe Theke neben der Spüle ein. Die untergehende Sonne warf ihr schillerndes Licht durch die Dachfenster auf der Südseite der Wohnung. Am Tresen angekommen, eröffnete sich ihm ein tieferer Einblick in die Ebene. Er hatte ein Wohnzimmer erwartet, stattdessen standen diverse Staffeleien bereit. Leinwände lehnten an der gesamten Längsseite des saalartigen Zimmers.

»Das habe ich mir anders vorgestellt«, bemerkte er mehr für sich selbst. Von der Küche aus konnte man in den Raum blicken. Er war unterteilt, wobei das Atelier fast den gesamten Platz einnahm. Zur Linken, gleich hinter der Wand mit der Garderobe, gab es eine Art Rolltor, das den Bereich dahinter abtrennte, und etwas weiter hinten versteckte sich noch eine Tür. Er nahm an, dass dort das Badezimmer war, denn es gab sonst keine weiteren Eingänge. Der Wohnbereich erledigte sich bereits mit einem Zweisitzer, der sich schräg vor der Balkontür befand und damit auch fast auf Höhe der Kochinsel. Ein leichter Geruch nach Terpentin und Farbe lag in der Luft und wurde nun von dem frisch aufgebrühten Kaffee überdeckt.

»Milch und Zucker?«

Chase drehte sich zu Evangeline um. Sie hob die Tassen an und stellte sie auf der Theke ab. Erst war er irritiert, schließlich war ›auf einen Kaffee mit hoch kommen‹ nur eine nette Floskel und er hatte angenommen, dass sie die Kaffeemaschine bediente, um sich selbst einen Kaffee zu gönnen. Ihr Humor war wohl besonders, allerdings wollte er sich damit auch nicht auf den Arm nehmen lassen. »Schwarz, danke.«

Sie nahm ihre Tasse ebenfalls auf und blies in die Flüssigkeit, wobei sie den Blick niederschlug.

»Du bist Künstlerin.«

Ihr Blick zuckte zu ihm. Suchte sie nach einer Wertung?

»Ja.« Ihre Zunge huschte über ihre Unterlippe. »Die Oberlichter sind immer geöffnet.« Sie deutete auf die Dachluken. »Und die brennbaren Stoffe lagere ich in einem Gefahrstoffschrank. Die Abluft ist gesichert, keine Sorge.«

Chase staunte. Zwar hatte er keinen Gedanken an die Sicherheit verschwendet – dazu war er noch zu abgelenkt –, aber ihre genaue Kenntnis war dennoch überraschend.

»Es ist ein geprüftes System und ich muss es einmal im Jahr kontrollieren lassen.«

»Vorbildlich.«

Evangeline zuckte die Achseln. Sie nippte an ihrem Kaffee, wobei sich der heiße Dampf in ihrem Gesicht niederschlug. Sie räusperte sich nach dem Schlucken und wackelte herum. Ihre Nervosität war schon putzig. Mit der Tasse in der Hand umrundete Chase die Theke. Sie drehte sich und trat ihm gegenüber, hob aber nicht den Blick. Chase beugte sich vor, stellte den Becher ab und kam ihr damit so nah, dass er meinte, ihre Körperwärme spüren zu können. Tatsächlich leuchteten ihre Wangen einmal mehr knallrot.

»Ich möchte wirklich nicht, dass ich die Feuerwehr rufen muss, weil …«

Oh, er erinnerte sich und brauchte ihre Meinung über ihn und seine Leute nicht erneut vorgetragen zu bekommen. Es störte auch, schließlich wollte er sie verführen und nicht über Vorbehalte diskutieren. Chase hielt in der Bewegung inne, die Hand noch um den Becher geschlossen und so nah bei ihr, dass er ihren Duft wahrnehmen konnte. Langsam beugte er sich weiter vor und drückte seine Lippen sacht auf ihr Jochbein.

Sie verschluckte den Rest ihres Satzes und sog den Atem ein.

Chase ließ die Lippen weiterwandern, rieb dabei hauchzart über ihre Wange hinab zu ihrem Mundwinkel. Den stupste er dann mit der Zunge an.

Evangeline keuchte, wodurch sich ihr Mund leicht öffnete, und er nutzte die Gelegenheit, um abzutauchen. Dabei schlang er den Arm um ihren Körper und zog sie näher an sich. Für einen längeren Kuss war es zu unbequem, aber er wollte sich auch nur kurz das volle Programm gönnen, bevor er sich auf das Wichtige konzentrierte.

Chase legte die Hände um ihr Gesicht. Die Daumen streichelten träge ihre Wangen, während er sie sacht küsste, ohne den Druck weiterzugeben, der in ihm wuchs. Das Geplänkel, seit sie den Hof verlassen hatten, hatte sein Verlangen abflauen lassen, nun kam es mit ungewohnter Kraft zurück. Aber er hielt sich im Zaum. Da war etwas in ihrer zaghaften Erwiderung, das ihn mahnte, es langsam anzugehen. Also küsste er sie, bis ihr Atem in kleinen, abgehackten Stößen kam. Dann erst hob er sie auf und setzte sie auf dem Tresen ab. Ihre Schenkel öffneten sich. Obwohl das Kleid über ihre Knie fiel, konnte er sich den Platz dazwischen sichern. Seine Rechte wanderte herab, sobald Evangeline sich entspannte. Ihr Puls pochte hart an ihrem Hals, zarte Seufzer purzelten aus ihrem Mund, wann immer er ihn nicht mit seinem verschloss.

Sich Zeit zu lassen, war der richtige Weg, auch wenn ihm die Hose längst schon unangenehm eng war. Evangelines Finger bebten auf seiner Brust. Sie hätte etwas enthusiastischer sein können, dann wiederum war es gut, dass sie ihm die Führung überließ.

Chase lüftete ihr Kleid. Seine Finger strichen über ihr Schienbein, legten sich auf ihr Knie und schoben sich dann an ihrem Schenkel hinauf - inklusive feuchter Handfläche.

Seine Fingerspitzen spürten, wie sich die feinen Härchen aufrichteten und sie unter seiner Berührung bebte. Er erreichte gerade ebenso ihren Schoß und kam nicht höher. Das Kleid blockierte mit seinem engen Schnitt seinen Fortschritt, also wanderte seine Hand wieder herunter.

»Ist das deine Wohnung oder dein Atelier?«, murmelte er an ihrem Mund, während er in ihrem Nacken nach dem Reißverschluss suchte. Er musste dieses Kleidungsstück loswerden und die Sache in ihr Bett verlegen. Zwar mochte er Sex im Stehen und der Tresen hatte genau die richtige Höhe für ihn, aber dieser One-Night-Stand verdiente etwas mehr Klasse. Sie verdiente Geduld.

Der erste Zentimeter war der schwierigste, dann rutschte ihr das Kleid fast von selbst von den schmalen Schultern.

Chase drückte kleine Küsse auf ihren Hals. Ihr Stöhnen trieb ihn an. In ihrem Dekolleté ging er dazu über, die Zungenspitze auf ihre Haut zu tupfen. Die Träger ihres Büstenhalters schob er ungeduldig herab, sodass ihre kleinen Brüste vor seinen Augen wippen konnten, als er Eva zurückdrängte.

Ein ersticktes Keuchen folgte.

Chase sah auf. Ihre blauen Augen strahlten unter halb gesenkten Lidern mit eben jener Leidenschaft zu ihm auf, die er selbst empfand. Mit einem Grinsen beugte er sich wieder über ihren halbnackten Körper, um ihren harten Nippel in den Mund zu nehmen.

»Evangeline, wo steht dein Bett?«

Ihre Finger hoben sich von seinem Arm, bevor sie zu der Schiebetür deutete, die zur Linken einen abgetrennten Raum versteckte. Ihr Schlafzimmer lag damit nur wenige Schritte entfernt. Er trat zurück, um Evangeline vom Tresen heben zu können. Ihr Kleid rutschte von ihrem schmalen Körper und bauschte sich zu ihren Füßen. Der BH folgte, nachdem er den Verschluss in ihrem Rücken gekonnt geöffnet hatte. Dann nahm er sie auf, um sie um den Tresen herum zur Schiebetür zu tragen, die er mit dem Fuß aufstieß.

Das Schlafzimmer war eine Enttäuschung. Das Bett bestand aus einer Matratze, die in eine Erhöhung des Fußbodens integriert war. Immerhin war das Lager recht groß und wirkte bequem.

Chase legte sie ab, bevor er sich zu ihr kniete. Die Schuhe streifte er achtlos ab, während er sich das Hemd aufknöpfte und es auszog.

Evangeline rutschte tiefer ins Bett. Ein Runzeln flog über ihre Stirn.

Chase krabbelte schnell über sie, nicht dass sie sich noch umentschied, und küsste sie hungrig. Er legte sich leicht auf ihr ab, wodurch ihm einmal mehr auffiel, wie klein sie war. Viel Zeit ließ er sich nicht. Nach einigen Augenblicken rutschte er bereits an ihr herab. Er hinterließ eine feuchte Spur an ihrem Körper, wobei er sich noch an ihren Brüsten aufhielt, während seine Hände bereits tiefer wanderten und ihren Slip herabschoben.

Evangeline stöhnte, als seine Zunge in ihrem Bauchnabel abtauchte. Aber auch hier verweilte er nicht. Seine Erregung war so schmerzhaft, dass er endlich mit ihr schlafen wollte, und nur sein Stolz hielt ihn davon ab, es nun zu überstürzen. Einen Augenblick wollte er ihr noch geben, eine zusätzliche Stimulation. Also rutschte er tiefer und spreizte ihre Schenkel.

Ein unterdrückter Laut entwich ihrer Kehle und sie zog die Beine an. »Warte«, wisperte sie gehetzt. »Ich …« Der Rest wurde zu einem gedehnten Stöhnen. Ihre Zehen gruben sich in das Bettlaken und sie öffnete sich ihm.

Chase leckte sie, angespornt von ihren kleinen Lauten der Leidenschaft, bis ihr Körper vor unerfüllter Lust bebte. Ihr Keuchen wurde nur unterbrochen, wenn ihr der Atem ausging. Es war Zeit, dass auch sein Verlangen gestillt wurde, und dazu musste er sie endlich haben. Chase öffnete seine Hose, als er sich aufrichtete, und riss sie sich von den Beinen. An das Kondom zu kommen, kostete Zeit, aber nichts ging ohne ordentliche Verhütung.

Evangeline blinzelte, als er sich über sie schob. Ihr Kuss war abgehackt und sie drehte das Gesicht zur Seite, um nach Atem zu schnappen.

Chase gab ihr den Moment, richtete sich auf ihr aus, um in sie stoßen zu können, und wartete nur auf den Kuss. Dazu drehte er ihr Kinn, sah ihr kurz in die aufgerissenen Augen und presste seinen Mund dann auf ihren.

Ihr Körper schloss sich wie ein Stretchhandschuh um ihn und entlockte ihm ein gutturales Stöhnen. Sie war nicht nur verdammt klein, sondern auch unglaublich eng.

»Du fühlst dich wahnsinnig gut an, Eva«, raunte er ihr zu. Sie antwortete nicht, schien sogar den Atem anzuhalten. Chase stützte sich auf, um das Gewicht von ihr zu nehmen, und zog sich langsam wieder aus ihr zurück.

Sie stieß den Atem aus.

»Bin ich zu schwer?« Zu fragen, ob sein bestes Stück zu groß war, hielt er für übermäßig selbstverliebt.

Evangeline biss sich auf die Unterlippe. Ihre Lider hoben sich und ihr Mund öffnete sich zu einem tonlosen Wort. Dann schüttelte sie den Kopf.

Sollte er doch fragen, ob er zu gut ausgestattet war?

»Alles in Ordnung?«, nahm er die Alternative. Evangeline nickte, ihre Mundwinkel hoben sich in Andeutung eines Lächelns.

Chase ließ den Daumen über ihre Unterlippe reiben und ersetzte ihn dann mit seinem Mund. Langsam schob er sich zurück in ihren heißen Leib, bis sie keuchte. Sie war verrückt klein. Chase gab ihr mehr Raum zum Atmen, nahm aber sein Tempo auf. Sein Schwanz zuckte und er wollte nicht, dass der ganze Spaß vorbei war, bevor er ihn richtig genießen konnte. Schön, er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihn so scharf machte, dass er sich nun kaum mehr zurückhalten konnte. Sonst hätte er sich das Vorspiel gespart – zumindest Teile davon. So blieb ihm nur, die Zähne zusammenzubeißen und innezuhalten, um mit seiner Erregung zu kämpfen.

Er nutzte die Zeit, um in Evangelines Gesicht zu schauen. Schweiß perlte über ihre Stirn und versackte in ihrem Haar. Eine leichte Röte zog sich von ihren Wangen hinunter in ihr Dekolleté.

Chase umschloss ihre Brust, drückte sie und fuhr fort, sich in ihren heißen Schoß zu versenken. Ihre Schenkel legten sich an seine Seiten, umschlossen ihn aber nicht, was ihm bedeutend lieber gewesen wäre. Allerdings wäre er mit einem anderen Winkel wohl nicht mehr zu halten gewesen.

Evangelines Nägel kratzten über seinen Oberarm, pressten sich in seinen Bizeps, als sie nach Luft schnappte und dann doch noch die Beine um ihn schlang.

Mit dem nächsten Stoß verlor er die Kontrolle und pumpte sich tiefer in sie. Er spürte seine Explosion und bedauerte, nicht auf ihre gewartet zu haben. Für einen kleinen Moment, dann ließ er sich von der sexuellen Entspannung mitreißen.

»Mi… Mitchell«, krächzte sie. Ihre Hände drückten gegen seine Schultern, was mehr als deutlich war. Seufzend gab er nach und rutschte von ihr runter.

»Ich bin doch zu schwer, hm?«

»Ja.«

Chase schüttelte den Kopf. »Du hättest auch oben sein können. Mir ist das egal.« Er setzte sich auf und zuckte die Achseln. »Hast du was dagegen, wenn ich dein Bad benutze?«

»Es ist dort.« Sie wedelte in Richtung des Regals. An einem Haken hingen Kleider auf Bügeln, ansonsten standen Dutzende von Büchern über Kunst fein säuberlich aufgereiht neben quadratischen Boxen und kleinen Skulpturen.

Chase klaubte seine Unterhose auf. Er musste außen herum und die Schiebetür vor das Bett schieben, um in das Badezimmer zu gelangen.

Auf seinem Weg zurück fiel ihm die Leinwand ins Auge. Es standen fünf in der freien Fläche zwischen rückwärtiger Wand und Kücheninsel auf Staffeleien herum. Die vor ihm zeigte eine Grünfläche mit Bäumen, Rosenhecken und spielenden Kindern. Wobei die Kinder bisher nur Schatten waren. Chase betrachtete das Gemälde. Er hatte keinen Sinn für Kunst, erkannte aber durchaus die Detailtreue und die Klarheit der Linien an. Die Leinwand zur Fensterfront zeigte eine Gasse, an der sich kleine Häuschen aneinanderreihten. Die Pflastersteine, die spiegelnden Fenster, die windschiefen Türen und das schiefergedeckte Dach zogen einen direkt in die Mitte des Städtchens und machten Lust auf einen mediterranen Kurztrip. Chase nahm sich die Zeit, auch die anderen Bilder zu betrachten, bevor er die Schiebetür wieder aufstieß, hinter der sich Evangelines Bett versteckte.

 

 

6. Kapitel 6

 

Ein ungewöhnlicher Morgen

 

Eva streckte sich. Sie fühlte sich wie gerädert und kuschelte sich daher lieber wieder in ihre Decke. Ruhe war ihr aber nicht vergönnt, denn kaum hatte sie das Gesicht versteckt und die Morgensonne damit aus den Augen, legte sich ein schwerer Arm um ihre Mitte. Im ersten Moment erstarrte sie vor Schreck, denn es sollte sich, abgesehen von ihr selbst, niemand sonst in ihrem Loft aufhalten.

Zunächst konnte sie es sich auch nicht erklären, dann fiel es ihr siedend heiß wieder ein. Lippen drückten sich auf ihren Hals.

»Morgen.«

Mitchell. Chief Mitchell!

Sie sog scharf den Atem ein und behielt ihn ein. Wie hatte das passieren können?

Keine gute Frage, stand ihr doch der genaue Ablauf direkt wieder vor Augen und ließ nicht nur ihre Brustwarzen verhärten. Trotzdem blieb die zweite Frage bestehen: Wie hatte sie das nur tun können?

Da hatte sie auf den perfekten Moment gewartet, um mit ihrer großen Liebe Lewis zu schlafen, doch der Moment war nie gekommen. Und nun warf sie die Überzeugung, dass die körperliche Vereinigung etwas Besonderes sein sollte, so mir nichts, dir nichts über Bord? Oh, schlimmer noch! Sie schlief ausgerechnet mit dem abgelegten Liebhaber ihrer Freundin! Schön, zumindest war es nicht Mike, aber auch das war kein echter Trost in ihrem bodenlosen Unverständnis. Wie hatte sie das nur zulassen können?

Ihr Festnetzanschluss schrillte, fast gleichzeitig schellte es auch an der Haustür Sturm. Hinter ihr setzte Mitchell sich auf, wobei er ihr die Decke entzog.

»Das scheint dringend zu sein.« Er rutschte aus dem Bett und sammelte seine Wäsche ein. Eva blinzelte unter ihrer Decke hervor und bekam einen knackigen Hintern in Feinrippunterwäsche präsentiert, als der Anrufbeantworter ansprang.

»Eva? Mike hier. Mach auf. Bist du zu Hause?«

Eva stöhnte verzweifelt. Da hatte sie sich nicht nur vom Regen in die Traufe gebracht, nein, das eigentliche Problem zusätzlich auch nur aufgeschoben anstatt aufgehoben!

Und nebenbei: Woher zum Teufel hatte er eigentlich ihre Nummer? Dass sie seine Freundschaftsanfrage in den Sozialen Medien angenommen hatte, bereute sie schon lange, aber ihren Festnetzanschluss hatte sie ihm nicht gegeben!

»Hey, es tut mir leid. Ich hatte keine Wahl, als zu fahren. Chief Mitchell hat mich abgefangen und zur Wache beordert. Nicht einmal selbst Bescheid sagen durfte ich. Eva?«

Sie stöhnte erneut, wurde seine Stimme doch einschmeichelnd weich.

»Es tut mir wahnsinnig leid. Lass mich rein und wir machen uns einen netten Morgen.«

Eva blieb liegen. Sie hatte nicht vor, die Tür zu öffnen und sich mit Mike herumzuschlagen. Eigentlich hoffte sie noch, dass sie sich auch Mitchell nicht stellen müsste, aber die Chancen standen da sicherlich schlecht. Und vor sich selbst konnte sie sich letztlich auch nicht verstecken. Früher oder später musste sie ins Bad und sich im Spiegel in die Augen sehen. Wobei …

Eva stopfte sich die Decke an die Ohren und überdeckte zumindest innerhalb ihrer Höhle Mikes immer drängender werdende Stimme.

»Hört der nie auf zu schwafeln?« Mitchell lachte auf. »Soll ich ihn reinlassen?«

Eva sprang wie von der Tarantel gestochen auf. »Nein!« Erst sein anzüglicher Blick an ihr herab erinnerte sie daran, dass sie nackt war. Eva erstarrte, gleich ein Szenario vor Augen, wie sich die beiden Männer in ihrem Atelier gegenüberstanden. Oder schlimmer noch: wie sie Mike allein, nackt und übernächtigt abzuwimmeln versuchte. Fluchend hastete sie zu ihrem Regal und zog ein frisches Nachthemd hervor, um eilig hineinzuschlüpfen.

»Den werde ich niemals wieder los.« Das war ihre schlimmste Befürchtung, deshalb beeilte sie sich, aus ihrer Schlafnische zu stürmen, um Mitchell nötigenfalls mit Gewalt davon abzuhalten, die Tür zu öffnen. »Ich weiß, früher oder später muss ich mich mit Mike auseinandersetzen, aber … lieber später.« Oder nie. War wieder wegziehen eine Option?

Mitchell kam auf sie zu und griff nach ihr. Es klingelte noch immer, auch wenn Mike die Aufnahme des Anrufbeantworters abgeschlossen hatte.

»Sicher könnte ich ihn zur Vernunft bringen«, bot Mitchell an, sorgte damit aber für profundes Unbehagen. Fest schob sie ihn von sich und verschränkte die Arme vor dem Körper.

»Nein.« Sie ließ ihn stehen, obwohl sie befürchtete, dass er sich über ihre Weisung hinwegsetzen und Mike die Tür öffnen könnte. Sie suchte nach etwas, das ihn ablenken konnte, und nahm das Erstbeste. »Kaffee?«

»Ah, von dem Kaffee hier bekomme ich sicher nie genug.« Erneut fing Mitchell sie ab und drückte ihr einen Kuss hinter das Ohr. Er war in die Jeans gestiegen und hatte das Hemd übergeworfen, aber nicht zugeknöpft. Deshalb konnte sie seine Körperwärme durch ihr leichtes Nachthemd hindurch auf ihrer Haut spüren. Leichte Nervosität machte sich in ihr breit.

Was am letzten Abend passiert war, durfte sich nicht wiederholen. Auf keinen Fall. Was auch immer sie geritten hatte, Mitchell überhaupt anzubieten, mit nach oben zu kommen, konnte sie nicht mehr nachvollziehen und blieb ihr zudem noch unverständlich. Er gehörte zu jenen Männern, denen sie doch nichts abgewinnen konnte! Er war riesig. Seine Muskeln aufgeblasen, dass sie schon lächerlich wirkten, und zum Überfluss war er auch noch Feuerwehrmann! Ein absolutes No-Go.

Eva befreite sich erneut von ihm und hantierte fahrig mit der Kaffeemaschine. Das Kaffeesieb ließ sich nicht lösen, der Kaffee ging daneben anstatt in den Biomüll und das Einrasten des Siebes wollte auch nicht gelingen. Eva fluchte verhalten, nahe dran, das dämliche Gerät aus dem Fenster zu werfen. Bei vier Stockwerken zwischen Dach und Bürgersteig wäre es der sichere Tod für das elende Ding.

Mike gab nicht auf und das Telefon sprang erneut an. Irgendwo bimmelte zwischendrin ihr Mobiltelefon, aber auch das ignorierte sie zunächst. Kaffee, danach dann gern das Kappen der Telefonverbindung und der Energieversorgung, damit der Krach endlich aufhörte.

Ihr Schädel brummte und sie spürte den schlechten Schlaf der letzten Nacht sogar in den Gliedern. Sie gähnte, nachdem sie Mitchell seine Tasse über den Tresen geschoben hatte. »Milch oder Zucker?« In dem Moment, in dem sie die Frage stellte, kam ihr die Antwort wieder in den Sinn, die er ihr bereits am letzten Abend gegeben hatte. Hitze schoss in ihre Wangen.

»Schwarz.« Er betrachtete sie aus diesen intensiv blauen Augen. »Frühstück?«

Evangeline ließ die Tasse sinken, die sie an die Lippen gehoben hatte, um in die Flüssigkeit zu pusten. »Wie bitte?«

Er zuckte die Achseln. »Ich bin hungrig.«

Sie zwang sich, trotz ihrer Irritation Worte zu formulieren. »Nun, mein Frühstück besteht aus Kaffee.« Sie traute sich, seinem Blick zu begegnen und ihn auch zu halten. »Mein Zeitplan ist strikt. Sorry.«

Mitchell hob die Brauen. »Zeitplan? Es ist Samstag, was kannst du groß vorhaben?«

»Arbeiten.«

Einen Moment betrachtete er sie lediglich, dann drehte er sich, um ins Atelier schauen zu können. »Ich dachte, du bist Künstlerin.«

»Ja.« Hielt er das etwa nicht für Arbeit? Wenn er nicht bereits auf der Abschussliste gestanden hätte, hätte er sich mit dieser Bemerkung disqualifiziert.

»Also gibt es niemanden, der dir Vorschriften macht.« Er wandte sich ihr wieder zu und legte die Hand auf dem Tresen ab. Die langen, sehnigen Finger spreizten sich. »Oder?«

»Nein«, bestätigte Evangeline. »So gesehen bestimme ich meinen eigenen Tagesplan. Das heißt aber nicht, dass ich ihn nicht einhalten muss.«

»Ah.« Er nickte bedeutend, aber sie hatte nicht das Gefühl, dass er sie verstand. »Keine Ausnahmen?«

»Nein«, beschied Evangeline ebenso sicher wie zuvor.

Mitchell nahm einen tiefen Schluck aus seiner Tasse, ohne den Blick von ihr zu nehmen. »Schade.« Er schob ihr die halbvolle Tasse zu. »Danke für den Kaffee.« Seine Lippen verzogen sich zu einem unverschämten Grinsen. »Vielleicht wiederholen wir das irgendwann mal.«

Bevor sie sich von dem Schrecken erholte – schließlich bezog sie es auf die vergangene Nacht und nicht darauf, einen Kaffee zu trinken –, ließ er sie stehen.

Evangeline sah ihm mit offenem Mund nach. Erst, als er die Tür öffnete, erinnerte sie sich an das andere lästige Problem. »Mitchell«, hielt sie ihn auf.

Er drehte sich zu ihr um.

»Was, wenn Mike noch da ist?«

Langsam schob er die Tür wieder zu. »Ruf ihn an.«

Das hatte Evangeline allerdings nicht vor. Sie schüttelte den Kopf, während sie überlegte, wie sie ihre Weigerung erklären sollte.

»Was schlägst du vor?«

Sie hatte keine Ahnung und zu ihrem Unglück klingelte nun auch noch das Telefon.

»Also?«

Fluchend griff Evangeline nach dem schnurlosen Telefon und schnarrte: »Ja?«

»Schnecke?«

Sie stieß den Atem aus.

»Alles in Ordnung?«

»Äh …« Ihr Blick schoss zur Tür, an der Mitchell lässig lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. Er wirkte wie der Türsteher einer schäbigen Kneipe, schließlich hatte sie den Charme des Studios beibehalten und lediglich die Rolltür angebracht und die Ecke, in der sie schlief, renoviert.

Mitchell hob die Brauen. Sein Blick war so verflucht intim, dass ihre Handflächen feucht wurden.

»Ähm.«

»Eva?« Eric klang alarmiert. »Soll ich vorbeikommen?«

»Nein!« Sie schrie es fast. Schnell wandte sie Mitchell den Rücken zu und legte auch die zweite Hand an das Telefon. »Ist Rosa in Ordnung?«

Die Ablenkung funktionierte nicht. Eric lachte. »Mike hat angerufen.«

Evangeline verdrehte die Augen.

»Er meint, du wärst verschwunden.«

»Offensichtlich nicht.« Der Verdruss war ihr anzuhören.

»Du sollst nicht ans Telefon gehen und auch die Tür nicht aufmachen.«

Evangeline schnaubte. Während des Gesprächs war sie zur Balkontür gewandert und öffnete diese nun. Frische Luft strich über ihre Wangen und ließ ihr offenes Haar flattern. »Richtig. Es ist früher Morgen, ich bin gerade erst aufgestanden und hatte noch keinen Kaffee.«

Zur Rechten befanden sich einige Blumenkübel mit abgestorbenem Gestrüpp und in der Ecke die Hollywoodschaukel, auf der sie es sich zu gern bequem gemacht hätte. Allerdings warteten ihre Probleme gewöhnlich nicht darauf, gelöst zu werden, sondern überfuhren sie direkt – wie an diesem Morgen.

Eric lachte auf. »Das hättest du ihm auch sagen können.«

»Weißt du, Eric, er ist dein Freund und ich habe nicht das Recht, dir deine Freunde vorzuschreiben …«

Wieder lachte Eric am anderen Ende der Verbindung. »Aber du tätest es gern, was?«

»Er ist nervig.«

»Beharrlich«, korrigierte Eric belustigt.

»Nein«, beschied sie fest. »Mike ist der fürchterlichste Kerl, der mir je über den Weg gelaufen ist.« Vielleicht war es etwas zu hart, aber Eric gehörte nicht zu den Personen, die auf sachte Hinweise reagierten.

»Schnecke, wann begegnet dir schon mal ein Kerl?«

»Haha!« Lustig fand sie es aber nicht. »Er ist aufdringlich und hört nicht!«

»Tatsächlich?« Zumindest schwand die Belustigung aus der Stimme ihres Bruders. »Ich denke, du übertreibst.«

Eva verdrehte die Augen. »Es ist sinnlos.«

»Hey, er mag dich. Vielleicht ist er übermotiviert, einen guten Eindruck zu hinterlassen, aber bei dir hat es ein Typ auch nicht leicht.«

Sie grollte tief im Rachen. Sie musste wohl einsehen, dass ihr Bruder auch ein Idiot war. »Du wirst ihn nicht zur Vernunft bringen?«

»Geh mit ihm aus«, riet Eric. »Ach, und nimm ab, wenn er anruft.«

Eva drehte die Augen gen Himmel und schüttelte den Kopf. »Niemals.« Damit beendete sie den Anruf, bevor sie sich daran erinnerte, dass sie zumindest die Schwägerin hätte grüßen lassen sollen. Kaum hatte sie den Arm gesenkt, begann das Telefon zu klingeln.

Sicherlich nicht der Bruder, der sich entschuldigen wollte. Auch an der Tür klingelte es. Eva seufzte. Das hörte nie auf. Ein Summen machte sie auf eine Ungeheuerlichkeit aufmerksam. Als sie sich umdrehte, konnte sie verfolgen, wie Mitchell die Tür aufzog. Mit einem Aufschrei stürzte sie vor und schubste den riesigen Mann zur Seite, um die Tür wieder zu schließen.

»Bist du verrückt?«

»Zeit, sich dem Unvermeidlichen zu stellen, Evangeline.«

Sie stemmte die Hände in die Hüften und starrte ihn böse nieder. Es funktionierte nicht, zumindest nicht in der kurzen Zeit, die ihr blieb, bis es an der Tür klopfte.

Mitchell zuckte die schweren Schultern und deutete zur Tür. »Soll ich …«

Eva hob den Finger, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Scht!« Sie glaubte nicht, dass er tatsächlich stillhalten würde, musste es aber versuchen.

»Eva!«, drang es dumpf durch die dicke Stahltür, bevor es wieder pochte.

Sie fluchte lautlos, wobei sie die Tür aufriss. »Was zum Teufel machst du hier für einen Aufstand?«

»Eva!« Mike seufzte mit einem breiten Grinsen. »Na Gott sei Dank.«

Kein Wort zu ihrer Anklage. Eva schüttelte den Kopf. »Was willst du?«

»Wie wäre es mit Frühstück?« Mike trat vor und nötigte sie dazu, zurückzutreten. »Ich mache erstklassige Pancakes.«

»Stopp!«, beschied Eva fest. Ihre Hand schloss sich um die Klinke. »Ich habe dich nicht hereingebeten, Mike.«

»Ach, komm schon!« Er zwinkerte ihr zu. Er stand breitbeinig vor ihr, hängte die Daumen in die Ösen seiner Jeans und wippte vor und zurück. »Wir machen uns einen schönen Morgen.«

»Ich habe zu tun, Mike, und keine Zeit für Pancakes oder was du dir sonst unter schönen Morgen vorstellst. Bitte geh jetzt.« Ihre freie Hand deutete zum Flur. »Einen schönen Tag noch.«

»Komm schon«, beharrte Mike. Er kam auf sie zu und blieb viel zu nah vor ihr stehen. »Wir wurden gestern unterbrochen und ich möchte meine Chance …«

»Da wurde nichts unterbrochen.« Erneut deutete sie auf die offene Tür. »Ich habe einen straffen Zeitplan, Mike, und hinke bereits hinterher.«

»Es ist Samstag.« Er runzelte die Stirn. »Was solltest du schon zu tun haben?«

Eva atmete tief durch. »Ich habe die Möglichkeit, eine Ausstellung zu bekommen, dafür brauche ich aber eine größere Auswahl an Gemälden! Ich muss arbeiten.«

»Du wirst Zeit zum Frühstücken haben«, beharrte Mike stur. Seine blauen Augen durchbohrten sie. »Eine halbe Stunde, dann bin ich wieder weg.«

»Nein.«

Mike presste die Lippen aufeinander.

Eva trat unsicher von einem Fuß auf den anderen. »Ich hasse es, wenn man mich von der Arbeit abhält.« Musste sie noch deutlicher werden?

Mike nickte langsam. »Also schön. Holen wir es nach?«

Eva lachte ungewollt auf. »Sicher nicht. Das ist mein Lebensraum, ich entscheide, wer sich hier aufhalten darf und wer nicht. Männer sind nicht willkommen, und da gibt es nur diese eine Ausnahme: Eric.« Sie hoffte, dass dies nun deutlich genug war.

Mike knackte die Knöchel. »Also gut. Wie wäre es mit einem Abendessen? Irgendwann wirst du doch mal Zeit haben.«

Sie war nicht deutlich genug gewesen. »So wie du dich aufführst? Nein.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739499949
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Helden USA Kalifornien Feuer Romance Firefighter Sehnsucht Liebe Liebesroman

Autor

  • Katherine Collins (Autor:in)

Katherine Collins schreibt romantische Liebesgeschichten in unterschiedlichen Gewändern. Neben dem Historischen, liebt sie die raue Landschaft und das unbeschreibliche Flair Schottlands, aber auch heimatliche Gefilde liegen ihr am Herzen. Unter ihrem zweiten Pseudonym Kathrin Fuhrmann schreibt sie daher heimatgebundene Romantic Thrill, Romance und Erotik. Mit ihren zwei Kindern lebt sie im Vest und widmet sich ganz ihrer Passion.
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Titel: Heiße Nächte in Cherryoke Falls