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Insomnia: Verführerische Illusion

Verführerische Illusion

von Vanessa Carduie (Autor:in)
180 Seiten
Reihe: Insomnia, Band 1

Zusammenfassung

Ein Nachtclub voller Geheimnisse

Schon als sie das "Insomnia" das erste Mal betrat, spürte die junge Vampirin Emilia, dass dieser Ort ein Geheimnis birgt. Irgendetwas scheint sie magisch anzuziehen, doch sie weiß nicht was.
Als sie eines Nachts unverhofft auf den charismatischen Club-Besitzer Seth trifft, ahnt sie noch nicht, dass diese Begegnung ihr Leben von Grund auf verändern wird. Denn in der Schattenwelt lauern Geheimnisse und Gefahren, die sie sich nicht vorstellen konnte.

Eine prickelnde Novelle aus der Schattenwelt. Dieses Spin-Off kann unabhängig von den anderen Romanen gelesen werden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1. Kapitel

Gelangweilt rühre ich mit dem Strohhalm in meinem farbenfrohen Drink herum. Die Musik, die aus den Boxen dröhnt, ist eigentlich viel zu laut für meine empfindlichen Ohren. Trotzdem zieht es mich immer wieder in diesen Club. Insomnia. Warum, weiß ich nicht. Die Musik ist okay, aber nicht besser oder schlechter als anderswo. Das Publikum ist gemischt: hauptsächlich junge Menschen, die sich mehr oder minder elegant zu den Beats bewegen oder in den abgedunkelten Nischen ihrem Paarungsdrang frönen. Ein paar Gestalten aus der Schattenwelt sind hier ebenfalls anzutreffen. Zum Glück geben sich die meisten Pärchen mit Flirten und Fummeln zufrieden. Das Letzte, was ich hören will, wenn ich allein an der Bar sitze, ist das Gestöhne irgendwelcher Fremden.

„Hey, was ist denn los, Emilia?“

Verwirrt blicke ich zu Marie, der Bardame. „Nichts. Ich hänge nur meinen Gedanken nach.“

Kopfschüttelnd legt sie das Geschirrtuch weg und lehnt sich zu mir. „Komm schon. Irgendetwas scheint dich zu bedrücken. Sonst wirfst du wenigstens mal einen Blick in die Menge, um einen passenden Snack zu finden. Heute ignorierst du sogar die offensichtlichen Angebote.“

Ich zucke mit den Schultern und streiche mir eine meiner braunen Locken aus dem Gesicht. „Hab keinen Hunger.“

Maries rötliche Augenbrauen wandern in die Höhe. „Dir ist schon klar, dass Diäten bei euch nicht vorgesehen sind?“

„Ich bin auch nicht auf Diät, aber momentan lacht mich einfach nichts an“, versichere ich. Natürlich weiß ich, dass sie recht hat. Einmal pro Nacht sollte ich auf jeden Fall trinken. Nur habe ich darauf im Moment eben so wenig Lust wie auf den alkoholfreien Cocktail vor mir.

„Weihnachtsblues?“

„Pff. Du weißt, dass ich dieses alberne Fest nicht feiere.“

„Klar. Weil dir das Fest so dermaßen gegen den Strich geht, hast du dich thematisch passend in Schale geworfen“, tut sie meinen Einwand ab.

„Zufall. Rot steht mir halt“, rechtfertige ich mich.

Marie verdreht die Augen. „Erzähl‘ mir keine Märchen. Du trägst so gut wie nie Rot, obwohl es dir steht.“ Sie deutet auf mein Gesicht. „Sicherlich hast du dich auch nur für dich selbst geschminkt und frisiert.“

Bevor ich empört widersprechen kann, redet sie weiter. „Du hast dich herausgeputzt, Emmy, ob du es zugeben willst oder nicht.“ Sie zwinkert mir zu. „Hast du vielleicht ein heißes Date?“

Ich schnaube. „Nicht, dass ich wüsste. Außerdem mache ich mich durchaus für mich selbst hübsch.“

Lachend wendet sich die junge Werwölfin dem Gast neben mir zu, um dessen Bestellung aufzunehmen. Gelangweilt nehme ich einen Schluck von meinem Drink und lasse den Blick über die zappelnde Menge wandern. Eigentlich ist das Insomnia ein Super-GAU für Nase und Ohren, aber unter den vielen Menschen findet sich immer ein geeigneter Spender. Missmutig denke ich über Maries Worte nach. Ich weiß selbst nicht, warum ich mich so aufgedonnert habe und hierhergekommen bin. Es kommt mir vor, als würde ich etwas suchen. Ich habe nur keine Ahnung, was.

Obwohl ich keinen richtigen Hunger verspüre, gleite ich elegant von meinem Barhocker und streiche den eng anliegenden Rock meines Kleides glatt. Ich begebe mich hüftenschwingend zu den Toiletten. Meist reicht das aus, um ein paar Männer auf Flirtkurs anzulocken. Tatsächlich springen gleich mehrere Exemplare auf und machen sich an die Verfolgung. Normalerweise würde ihr Eifer mich amüsieren, schließlich haben sie keine Ahnung, dass ich es nicht auf ihre Potenz, sondern ihren Lebenssaft abgesehen habe. Doch heute will ich es einfach nur schnell hinter mich bringen. Ich verlangsame meine Schritte und tue so, als würde ich die Flyerauslage studieren, die sich gegenüber von den Toiletten befindet. Unauffällig checke ich die Männer mit meinen vampirischen Sinnen ab. Das Aussehen interessiert mich nicht. Für mich zählt vielmehr, dass sie gesund sind und keine Drogen intus haben. Der Blondschopf erscheint mir am geeignetsten. Ich hebe den Blick und sehe ihn direkt an. Mit einem schüchternen Lächeln locke ich mein Opfer zu mir. Der junge Mensch bekommt vor Aufregung schwitzige Hände, wie mir meine sensiblen Sinne verraten. Trotzdem nähert er sich mir. Betont lässig vergräbt er sie in den Hosentaschen und stellt sich neben mich.

„Hi, kann ich dir weiterhelfen?“

Ich schenke ihm ein strahlendes Lächeln, das sein Herz stolpern lässt. „Gern. Du bist genau die Person, die ich gesucht habe.“

Enttäuscht ziehen die anderen Interessenten Leine. Unauffällig lotse ich meinen Spender in den Schatten. Das Praktische an Clubs wie diesem ist wirklich, dass die Beleuchtung eher spärlich ist. So fällt es gar nicht auf, dass ich die Hand des Mannes ergreife und ihn in eine dunkle Ecke dränge, um mir einen Snack zu genehmigen.

„Wow! Du gehst ganz schön ran“, keucht er, als er mit dem Rücken an der Wand landet.“

„Ich möchte eben keine Zeit verschwenden“, antworte ich, bevor ich den Menschen in meinen Bann schlage. Ich vergrabe meine Finger in seinen Haaren und entblöße seinen Hals, dann beiße ich blitzschnell zu. Leises Stöhnen ist von meinem Opfer zu hören, aber das kümmert mich nicht. Seine leichte Erregung würzt das Blut, doch ich vermeide zu intensiven Körperkontakt. Mit großen Schlucken nehme ich mir, was ich brauche, und überprüfe dabei ständig, dass ich dem Spender nicht schade.

Plötzlich spüre ich ein seltsames Prickeln. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Irgendjemand beobachtet mich. Schnell versiegle ich die Wunde am Hals meines Opfers und tue so, als würde ich ihn küssen.

„Du kannst dir dieses Schauspiel sparen, Vamp“, kommentiert der Beobachter amüsiert.

Ich erstarre. Noch nie wurde ich auf frischer Tat ertappt und ich bin schon seit einigen Jahrzehnten auf der Pirsch. Widerwillig trete ich zurück und schicke den Menschen fort. Falls der Störenfried mir feindlich gesinnt ist, will ich verhindern, dass andere verletzt werden. Mein Körper ist in Aufruhr. Wer immer mich unterbrochen hat, ist kein normaler Sterblicher. Obwohl er eine Gefahr sein könnte, geht eine merkwürdige Anziehungskraft von ihm aus. Dabei habe ich ihn noch nicht einmal gesehen. Was zur Hölle hat das zu bedeuten?

Langsam drehe ich mich um und verschränke die Arme vor der Brust. Als ich meinen Blick hebe und den Fremden ansehe, bleibt mir die Luft weg. Lässig lehnt ein großer Mann am Türrahmen. Hinter ihm prangt das Wort ‚Privat‘ in leuchtenden Lettern auf der halbgeöffneten Tür. Ein schwarzer Anzug lässt ihn wichtig wirken, wobei die obersten Knöpfe seines weißen Hemdes geöffnet sind. Er sieht verboten gut aus, doch das ist es nicht, was mir die Sprache raubt. Seine hellblauen Augen fesseln mich. Sie scheinen im Dämmerlicht zu strahlen. Bei seinem orientalisch anmutendem Aussehen mit dem goldbraunen Hautton und den schwarzen Haaren stechen sie richtig heraus.

„Du bist also diejenige, die meine Gäste heimlich anzapft“, eröffnet er das Gespräch.

Ich schlucke. Jetzt reiß dich gefälligst zusammen!, schelte ich mich innerlich. „Ich nehme mir nur, was ich zum Überleben benötige, und schade niemandem“, versuche ich, mich zu rechtfertigen.

Dunkle Augenbrauen wandern in die Höhe und ein Grinsen breitet sich auf seinem Mund aus. „Tatsächlich?“

Ein Schauer läuft über meinen Rücken. Ich fühle mich seltsam angespannt und irgendwie aufgeregt. Was hat dieser Mann nur an sich, dass er mich völlig aus der Fassung bringt? Sein Lächeln verursacht ein Prickeln in meinem Bauch und vernebelt meinen Verstand.

„Ich …“, beginne ich und verliere prompt den Faden, als er seinen Posten an der Tür verlässt und auf mich zukommt. Es hilft wirklich nicht, dass er währenddessen seinen Blick über meine Gestalt wandern lässt. Mein enganliegendes rotes Cocktailkleid lässt nicht viel Raum für Fantasien. Allerdings kam ich mir darin bisher nie so nackt vor wie in diesem Moment. Ich schlucke, um meinen trockenen Mund zu befeuchten. Trotzdem gelingt es mir nicht, irgendetwas zu sagen, dabei bin ich sonst recht schlagfertig. Seit meiner Wandlung hat es keinen Mann gegeben, der mich in irgendeiner Form einschüchtern konnte. Ich bin schließlich eine Vampirin und weiß mich zu wehren. Doch dieser sonderbare Fremde schafft es ohne Probleme, dass ich mit dem Rücken an der Wand ende und ihn mit großen Augen ansehe. Shit! Was ist nur los mit mir?

„Du bist also Emilia“, sagt er leicht amüsiert und versetzt mir den nächsten Schock.

„Woher kennst du meinen Namen?“

„Marie redet ab und zu von dir“, verrät er mir, was mich noch mehr verwirrt.

„Warum sollte sie über mich sprechen?“, gebe ich zurück.

Der Fremde zuckt mit den Schultern. „Sie mag dich und findet es traurig, dass du immer so einsam an der Bar hockst.“

Marie, wenn ich dich in die Finger bekomme, müssen wir ein ernstes Wörtchen miteinander wechseln! Ich versuche, diese Peinlichkeit mit Würde zu übergehen.

„Ich bin gern allein. Das haben wir Wesen der Nacht an uns. Nicht jeder sehnt sich nach einem Rudel.“

Das bringt ihn zum Lachen. „Meine Worte. Wölfe sind in dieser Hinsicht ein wenig eigen.“

Verblüfft sehe ich ihn an. Mit einer Zustimmung hätte ich nicht gerechnet, aber zumindest kann ich mir nach dieser Antwort sicher sein, dass er kein Werwolf ist. Nur, was ist er dann?

„Mit wem habe ich eigentlich die Ehre?“, frage ich endlich.

Er streckt die Hand aus. „Seth. Mir gehört das Insomnia.“

„Oh.“ Kurz starre ich auf die angebotene Hand, bevor ich sie ergreife. Ein Fehler, wie mir einen Wimpernschlag später bewusst wird. Hitze schießt durch meinen Körper und ballt sich in meinem Unterleib zusammen. Erschrocken lasse ich seine Finger los und presse mich gegen die Wand, um Abstand zu gewinnen.

„Was zur Hölle hast du mit mir angestellt?“, keuche ich, als mir klar wird, dass ich mehr als nur ein bisschen erregt bin.

„Das wollte ich eigentlich von dir wissen“, gibt er zurück. Er wirkt ebenfalls überrascht und seine Augen schimmern silbern.

„Hey! Ist alles in Ordnung?“, mischt sich eine fremde Männerstimme ein.

Seth wendet sich dem Störenfried zu, der angesichts Seths durchdringenden Blickes seinen Heldenmut sofort vergisst.

„Verzieh dich.“

Der junge Mann stolpert zurück. „Sorry, ich bin schon weg.“

Ich nutze die Ablenkung und mache mich aus dem Staub. Ich muss dringend hier raus. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Seth einen Schritt auf mich zu macht, doch ich kann ihm gerade noch entwischen. Aufgewühlt rase ich aus dem Club. Gerade ist mir egal, dass ich mich viel zu schnell für einen Menschen bewege. Auch Maries Rufen ignoriere ich. Nur ein Gedanke beherrscht meinen Geist: Ich muss hier weg. Sofort!


2. Kapitel

Wie ein gehetztes Tier renne ich durch die Stadt. Alles in mir ist in Aufruhr. Diese Begegnung war einfach unheimlich und viel zu intensiv für meinen Geschmack. Warum nur reagiere ich so extrem auf ihn? Was hat er mit mir angestellt und was zur Hölle ist er?!

Erschöpft komme ich schließlich an dem Haus an, in dem meine Wohnung liegt. Erst als ich vor der Tür stehe, fällt mir auf, dass ich in meiner kopflosen Flucht Jacke und Handtasche im Insomnia vergessen habe.

„Verdammte Scheiße!“

Frustriert schlage ich mit der flachen Hand gegen die Backsteinwand. „Das kann doch nicht wahr sein …“

Ich lasse mich auf die Treppenstufen vor der Haustür sinken und vergrabe den Kopf in den Händen. Mit sinkendem Adrenalinpegel bemerke ich auch, wie kalt es geworden ist. Der Stein der Stufen ist eisig und als Krönung setzt plötzlich widerlicher Schneeregen ein.

Na klasse. Womit habe ich das nur verdient? Ich bin froh, dass ich nicht krank werden kann, doch diese Kälte ist verdammt unangenehm. Als Vampirin sind mir die Temperaturen prinzipiell egal. Ich schwitze oder friere nur noch selten. Mein Körper gleicht das wunderbar von alleine aus und hält sein Optimum. Dafür benötigen wir allerdings das Blut unserer Spender. Um das kostbare Blut nicht unnötig nur für so etwas zu verbrauchen, ziehen Vampire genauso Winterkleidung an wie Menschen. Wenn ich zu lange hier draußen sitze, friere ich noch fest. Das ist keine schöne Vorstellung. In den Club zurückzugehen, um meine Sachen zu holen, fällt kategorisch aus. Von der Blamage mal abgesehen, bin ich mir nicht sicher, ob ich eine weitere Begegnung mit Seth überstehen würde. Also bleibe ich, wo ich bin, und hoffe, dass mich eine Erleuchtung ereilt.

Die Straßen sind so spät in der Nacht leer. Kaum ein Mensch ist unterwegs und nur wenige Autos fahren herum. Die bunten Lichter in den Fenstern der anderen Häuser scheinen mich verhöhnen zu wollen. Bevor ich vor einigen Jahrzehnten gewandelt wurde, mochte ich Weihnachten. Es war ein harmonisches Familienfest, das ich immer sehr genossen habe. Jetzt - ohne Familie - sehe ich keinen Grund, es zu feiern. Ich könnte den Abend mit ein paar Freunden verbringen oder auf eine der vielen Partys gehen, aber es ist einfach nicht dasselbe. Von daher ignoriere ich das Fest, so gut es geht.

Als sich ein Fahrzeug nähert, denke ich mir nichts dabei. Als es jedoch direkt vor meinem Eingang anhält, hebe ich den Blick. Eine schwarze Limousine steht am Straßenrand und dieses komische Prickeln kehrt zurück. Oh nein!

Nur einen Augenblick später wird die Tür geöffnet und meine persönliche Heimsuchung entsteigt dem Auto. Im Gegensatz zu mir war Seth so schlau, sich einen Wintermantel anzuziehen. Mein erster Impuls ist es aufzuspringen und davonzulaufen. Doch ich habe mich schon einmal lächerlich gemacht und wüsste auch gar nicht, wohin ich fliehen sollte.

„Nicht weglaufen. Ich wollte dir nur deine Sachen bringen und mich entschuldigen“, meint Seth und überrascht mich damit.

Er fischt irgendetwas aus dem Fahrzeuginneren und wirft die Tür zu. Langsam kommt er zu mir und reicht mir meinen Mantel. „Ist dir denn gar nicht kalt?“

„Doch“, antworte ich. Mittlerweile fühle ich mich wie ein Eiszapfen. Eisvampir am Stiel – der neue heiße Scheiß. Vorsichtig stehe ich mit steifen Gliedern auf und ziehe meinen Mantel über, die im Vergleich zur Umgebung kuschelig warm ist. Seth selbst strahlt eine anziehende Hitze aus. Von ihm halte ich mich jedoch lieber fern. Der letzte Körperkontakt war zu intensiv.

„Warum bist du weggerannt?“, fragt er.

„Es war einfach zu viel. Deine ganze Art und diese komischen Gefühle haben mir Angst gemacht.“

Seth blickt mich ernst an. Seine Augen haben ihr silbernes Leuchten verloren, trotzdem sind sie unheimlich und faszinierend zugleich. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken oder bedrohen. Für mich war das vorhin ebenfalls eine Überraschung.“

Er überreicht mir meine Handtasche. „Hier. Du solltest endlich ins Warme, auch wenn Vampiren die Kälte nicht so viel ausmacht wie Menschen.“

Erleichtert krame ich in der Tasche nach dem Schlüsselbund. Auf den ersten Blick ist alles dort, wo es sein sollte. „Danke!“

Seth zuckt nur mit den Schultern. „Kein Problem. Gute Nacht, Emilia.“ Damit wendet er sich zum Gehen.

Erstaunt sehe ich ihm nach. Ich hatte nicht erwartet, dass er mich einfach so stehen lässt. Ich bekämpfe den irrsinnigen Drang, ihn zurückzurufen.

„Gute Nacht, Seth“, flüstere ich stattdessen.

Anscheinend hat er gute Ohren, denn er dreht sich zu mir um und schenkt mir ein Lächeln. „Du weißt ja, wo du mich findest.“ Dann steigt er in sein Auto und fährt davon.

Nachdenklich schaue ich ihm hinterher.

Der nächste kalte Windstoß reißt mich aus meiner Starre. Fröstelnd wende ich mich um und schließe die Haustür auf. Schon im Hausflur ist es deutlich wärmer, was mir zeigt, dass ich tatsächlich unterkühlt bin. So ein Mist! Ich sollte mich schnellstmöglich aufwärmen, sonst brauche ich noch einen weiteren Spender. Das dürfte um diese Uhrzeit eine echte Herausforderung werden. Zügig gehe ich in meine Wohnung und reiße mir das nasskalte Kleid förmlich vom Leib. Ich lasse alles im Flur fallen und begebe mich ins Bad. Der Blick in den Spiegel versetzt mir einen Schock. Meine dunklen Haare hängen glatt und lustlos an mir herunter und die Wimperntusche war offensichtlich nicht wasserfest. Zusammen mit meinem blassen Gesicht und den bläulichen Lippen sehe ich wie eine Wasserleiche aus. Shit. Kein Wunder, dass Seth sich so schnell aus dem Staub gemacht hat.

Auf der anderen Seite bin ich froh, dass ich mich nicht mit seiner aufwühlenden Gegenwart auseinandersetzen muss. Ich drehe den Wasserhahn meiner Badewanne auf und gebe etwas Lavendelbadezusatz hinein. Das Zeug hilft mir eigentlich immer, mich zu entspannen, und das habe ich gerade wirklich nötig. Langsam lasse ich mich in das heiße Wasser sinken. Ein unangenehmes Zwicken auf meiner Haut zeigt deutlich, wie kalt mein Körper tatsächlich ist. Ich rubble mit den Händen über meine Arme und Beine, bevor ich mich zurücklehne und die Wärme genieße.


3. Kapitel

Etwa eine halbe Stunde später steige ich aus der Wanne und schlüpfe in einen kuscheligen Schlafanzug. Ich überprüfe, dass alle Fenster mit den speziellen Sonnenrollos verschlossen sind, bevor ich mich ins Bett zurückziehe. Der nächste Tag lässt nicht mehr lange auf sich warten und die Ereignisse der Nacht haben mich erschöpft. Ich habe immer noch keine Ahnung, weshalb mich die Begegnung mit Seth so aus der Bahn geworfen hat. Nie in meinem Leben - weder als Mensch noch als Vampir - habe ich so extrem auf einen Mann reagiert. Mich wurmt, dass ich nicht weiß, zu welcher Gruppe übernatürlicher Wesen er gehört. Vampire und Werwölfe sind ausgeschlossen und für einen Magiebegabten hatte er zu wenig Menschliches an sich.

Tatsächlich vermute ich, dass seine Anwesenheit im Insomnia der Grund ist, warum es mich ständig dorthin gezogen hat. Nur warum? Und was hat das zu bedeuten? Wenn ich seinen Worten glauben darf, war er selbst über die Intensität unserer Begegnung überrascht. Nur war er kein solcher Hasenfuß wie ich und ist nicht abgehauen …

Meine Lider werden schwer und fallen bald darauf zu. Das Letzte, was ich vor mir sehe, als ich in den Schlaf drifte, sind Seths leuchtende Augen.

„Emilia.“

Ich ziehe die Stirn kraus und drehe mich murrend auf die andere Seite. Ein dunkles Lachen erklingt.

„Emilia, wach auf. Ich weiß genau, dass du mich hören kannst“, flüstert eine tiefe Stimme, die mir vage bekannt vorkommt. Genervt will ich mir die Decke über den Kopf ziehen, doch sie ist verschwunden. Mit geschlossenen Lidern taste ich danach und stelle rasch fest, dass etwas anders ist. Als meine Hand auf warme Haut trifft, ist es vorbei mit dem Schlaf. Ich zucke zurück und reiße die Augen auf. Sonnenlicht blendet mich, was Panik in mir auslöst. Vampir plus Sonne ergibt ein Häufchen Asche.

„Keine Angst, das ist nur eine Illusion.“

Da auf meiner Haut noch keine Brandblasen zu sehen sind und der Schmerz fehlt, scheint das wirklich keine echte Sonne zu sein. Verwirrt mustere ich meine Umgebung. Gerade noch lag ich in meinem Bett und jetzt finde ich mich plötzlich in einem geheimnisvollen Garten wieder. Süßer Blumenduft liegt in der Luft und ich kann sogar Vögel zwitschern hören. Ich drehe den Kopf und bemerke, dass ich in einem orientalisch anmutenden Bett mit Baldachin liege, dessen Seiten mit farbigen Stoffen bespannt sind. Noch etwas fällt mir auf: Ich bin nicht allein.

„Seth!“

Genannter deutet eine leichte Verbeugung an. „Zu deinen Diensten.“

„Wo bin ich?“, frage ich und versuche, nicht auf seinen halbnackten Körper zu starren. Als ich an mir herunterschaue, muss ich feststellen, dass auch mein kuscheliger Pyjama verschwunden ist.

„In der Traumwelt.“

Misstrauisch sehe ich ihn an. „Wohl eher in deinem Traum, wenn ich den Hauch von Nichts einkalkuliere, den ich trage.“

Dieser unmögliche Kerl grinst. Dann schnippt er mit den Fingern. An Stelle des knappen Bauchtänzerinnenkostüms trage ich nun ein langes, schwarzes Kleid, das alle wichtigen Stellen bedeckt.

„Besser?“

„Ja, aber ich will immer noch wissen, warum ich hier bin.“

„Du träumst.“

Ich verdrehe die Augen. Dieser Ort ist schön, keine Frage, doch ich muss wissen, was das alles zu bedeuten hat. „Was machst du in meinem Traum?“

Seth grinst und dann bekommen seine Iriden wieder diesen silbernen Glanz. „Du hast mich gerufen, Emilia. Auch wenn du wahrscheinlich keine Ahnung hattest.“

Ich ziehe die Stirn kraus. „Gerufen? Ich hab niemanden gerufen. Das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich in meinem Bett eingeschlafen bin.“

Er beugt sich zu mir, was meine Gefühle in Aufruhr versetzt. Sein würziger Geruch hat eine Zimtnote, die mir viel zu gut gefällt. „Oh doch. Du schreist förmlich nach mir, zumindest dein Körper.“

„Ich höre nichts“, gebe ich zurück.

Das bringt Seth zum Lachen. „Du bist tatsächlich ein sehr widerspenstiges Exemplar. Glaub‘ mir, ich hab‘ Besseres zu tun, als mich mit dir in der Traumwelt zu streiten. So ein Club führt sich nicht von alleine. Ich habe nicht den Luxus wie du, den ganzen Tag verschlafen zu können.“

Beleidigt rutsche ich von ihm weg und verschränke die Arme. „Warum bist du dann hier, wenn du so unabkömmlich bist? Ich habe nicht darum gebeten, hierher entführt zu werden.“

Sanft streicht er über meine Schulter, was sofort dieses merkwürdige Prickeln zurückbringt. „Wie ich eben schon gesagt habe: Du hast mich gerufen. Ich dachte, du möchtest einen zweiten Anlauf zum Kennenlernen wagen. Ein bisschen Zeit bis zum nächsten Termin habe ich.“

„Da hast du falsch gedacht. Ich wollte einfach nur meine Ruhe und etwas Schlaf“, schnauze ich, weil mich seine Nähe viel zu sehr irritiert.

„Kein Grund zickig zu werden“, meint er und zieht sich zurück. „Du kannst mir auch höflich sagen, dass ich abhauen soll.“

Ich drehe mich aufgebracht zu ihm. „Wenn dein Ego nicht so riesig wäre, hättest du selbst auf diesen Gedanken kommen können. Schließlich bin ich vor dir weggerannt, als wir uns das letzte Mal begegnet sind.“ Sobald die Worte ausgesprochen sind, bereue ich sie. Eigentlich bin ich nicht so gemein zu anderen Leuten. Mein Körper verzehrt sich tatsächlich nach diesem Unbekannten, doch ich will es einfach nicht zugeben.

Seth bekommt einen verschlossenen Gesichtsausdruck. „Ich bin nicht derjenige, der seine Gefühle verleugnet. Unser letztes Gespräch war zudem vielversprechend. Wahrscheinlich habe ich mich in dir getäuscht.“

Wie von der Tarantel gestochen, springe ich auf. „Wage es ja nicht, mich als Lügnerin zu bezeichnen!“, zische ich und gehe drohend auf ihn zu.

„Getroffene Hunde bellen“, erwidert er nur und will sich abwenden.

„Ich zeige dir gleich, was ich für dich empfinde.“ Bevor ich ihn packen und schütteln kann, schnippt er mit den Fingern. Ich schreie erschrocken, als ich plötzlich im Wasser lande. Die Umgebung hat sich wieder verändert. Nun befinden wir uns im Becken eines kleinen tropischen Wasserfalls, der vom Vollmond beschienen wird. Seth sitzt auf einem Felsbrocken und lässt lässig die Beine in den See hängen.

Wütend stehe ich auf. Ich bin komplett durchnässt und meine Haare kleben mir im Gesicht.

„Du arroganter Mistkerl! Was sollte das?“, will ich wissen und streiche unwirsch die nassen Strähnen zurück. Gerade hätte ich nicht übel Lust, ihn anzuspringen und ihm das amüsierte Grinsen aus der Visage zu wischen.

„Mir schien es, als hättest du eine Abkühlung nötig.“ Er lässt sich ins Wasser gleiten und kommt auf mich zu. „Ich kann diese Welt formen, wie ich möchte. Es ist reine Nettigkeit, dass du überhaupt mitbekommst, was mit dir geschieht.“

So gern ich diese Aussage als Unsinn abtun würde, ich spüre, dass es die Wahrheit ist. Wir Dämonen schaden den Menschen in der Regel nicht, aber das heißt nicht, dass wir ihnen eine Wahl lassen. Seth ist ein Dämon durch und durch. Ich habe nur keine Ahnung, was für einer.

„Was bist du und was willst du von mir?“, frage ich und klinge für meinen Geschmack viel zu unsicher.

„Offenbar lebst du noch nicht lange in der Schattenwelt, wenn du nie von uns gehört hast. Ich bin ein Inkubus. Manchmal nennt man uns auch Nachtmahr, wenn wir Albträume bringen.“ Seth umkreist mich langsam. Überdeutlich kann ich seinen Blick auf meinem Körper spüren. Seine Erklärung hilft mir nur bedingt weiter und beruhigt mich keineswegs. Das Prickeln in meinem Unterleib ignoriere ich so gut es geht. Diese glänzenden Wassertropfen auf seinem muskulösen Oberkörper lassen mich völlig kalt, zumindest versuche ich mir das einzureden.

„Was sind das für Träume?“

„Meist erotische. Das setzt die intensivsten Gefühle frei. Angst ist natürlich eine Option, doch mir gefällt der säuerliche Nachgeschmack nicht.“

Super. Da habe ich ja richtig Glück gehabt, dass er ein Feinschmecker ist. Wirklich wohl ist mir trotzdem nicht. So wie Seth mich mustert, sehe ich mein Frühstück an, wenn ich ausgehungert bin.

„Kannst du bitte aufhören mich anzustarren?“

„Ich habe nur versucht herauszufinden, warum du mich so faszinierst. An deiner liebenswerten Art kann es nicht liegen.“ Er stoppt seine Runde direkt vor mir. „Jedes Mal, wenn du im Insomnia bist, werde ich unruhig.“

Erstaunt schaue ich ihn an. Das habe ich nicht erwartet. Ein wenig erleichtert es mich, dass ich nicht die Einzige bin, deren Gefühle so verwirrend sind.

„Hier in der Traumwelt kannst du mich nicht auf Vampirart bezirzen, wobei das auch so nicht klappen dürfte. Ich wollte nur auf Nummer sicher gehen. Dank des kleinen Bades siehst du wie eine nasse Katze aus. Dennoch fühle ich mich von dir angezogen. Interessant.“

Als er seine Hand ausstreckt, zucke ich zurück. Seine Aussage ist definitiv kein Kompliment. Jeder weiß, dass durchgeweichte Stubentiger einen jämmerlichen Anblick bieten. Zudem reagiere ich auf seine Berührungen viel zu sensibel.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin ganz brav.“

Meine Antwort ist ein spöttisches Schnauben. „Du bist alles, nur das nicht.“

„Stimmt. Ich dachte nur, ich versuche dich zu beruhigen.“ Seth zuckt mit den Schultern. „Da du mir nicht glauben willst, können wir das auch abkürzen.“ Er wagt einen neuen Anlauf und ich weiche wieder zurück. Doch meine Flucht findet ein plötzliches Ende. Hinter mir ist ein Fels aus dem Nichts aufgetaucht. Dabei hat der Inkubus gar nichts gemacht.

„Das Schnippen ist nur Effekthascherei“, erklärt er grinsend. Offenbar amüsiert er sich prächtig.

„Weglaufen ist zwecklos, also hab dich nicht so und gib mir deine Hand.“ Als ich zögere, fügt er hinzu: „Ich kann mir eine andere Stelle deines Körpers aussuchen, wenn dir das lieber ist?“

Schnell strecke ich ihm meine Hand hin. Mir ist klar, dass die Alternative deutlich intimer wäre.

„Schlaues Mädchen“, lobt er mich spöttisch.

„Übertreib es nicht, Freundchen“, knurre ich.

Mit einem breiten Grinsen ergreift er meine Hand. „Das würde ich nie tun.“

Augenblicklich überfällt mich wieder dieses merkwürdige Gefühl. Von dem Punkt, an dem wir uns berühren, breitet sich Wärme aus und verteilt sich in meinem ganzen Körper. Je länger der Kontakt andauert, desto intensiver wird es. In manchen Bereichen scheint sich diese Hitze zu sammeln. Meine Atmung beschleunigt sich und ich komme nicht umhin, zuzugeben, dass Seth mich erregt. Ich schaue in seine hellblauen Augen und erkenne die Lust darin. Anscheinend haben wir uns bewegt, denn plötzlich stehen wir dicht beieinander. Seth streichelt meine Wange, dann senkt er den Kopf. Mein Bauch hüpft vor Aufregung, als ich die Augen schließe und ihm meinen Mund darbiete. Es ist als würde mich ein leichter Stromschlag durchzucken, als unsere Lippen aufeinandertreffen. Erschrocken fahren wir auseinander.

„Was war das?“, keuche ich.

„Keine Ahnung.“ Seth zieht mich an sich. „Es ist mir gerade egal. Ich will dich schmecken.“

Die Hitze, die von seinem Körper ausgeht, springt auf mich über. Es ist beinahe zu viel auf einmal. Seths Herz pocht aufgeregt in seiner Brust. Ihn lässt diese Situation offensichtlich auch nicht kalt.

Obwohl die Intensität unserer Gefühle erschreckend ist und ich mich die ganze Zeit mit ihm gestritten habe, lasse ich mich darauf ein. Es ist nur ein Traum. Was soll schon passieren?

Ich lege meine Arme um seinen Hals und komme ihm entgegen. Seth fackelt nicht lange und erobert meinen Mund. Das Prickeln in meinem Leib verstärkt sich. Ich fühle mich wie elektrisiert. Doch sogar das wird zur Nebensache, weil ich einfach nicht genug von diesem Mann bekommen kann. Sein zimtiger Geschmack treibt mich in den Wahnsinn und reizt den Dämon in mir. Schwungvoll wende ich uns um und presse den Inkubus gegen den Fels.

Seth lacht leise. „Ungeduldiger Vamp.“

Ich lasse meine Hände über seine nackte Brust nach unten wandern. Seine Haut ist so warm und makellos. Seths Körperbau lässt auch keine Wünsche offen. Ich hätte nicht gedacht, dass er so muskulös ist. Dabei wirkt er nicht aufgepumpt, eher athletisch. Neugierig gleiten meine Finger an ihm herab bis unter die Wasseroberfläche und landen prompt an seiner Erektion. Die Augen des Inkubus leuchten silbrig.

„Darauf willst du also hinaus. Das kannst du haben.“

Er zieht mich an sich und fährt mit seinen Händen über meinen Leib. Es fühlt sich an, als würde er dabei brennende Spuren hinterlassen, doch es ist seltsam angenehm. Noch nie habe ich so sensibel auf die Berührung eines Mannes reagiert. Als ich seine vorwitzigen Finger auf meinem Hintern spüre, durchfährt mich ein wohliger Schauer. Plötzlich ist die Stoffbarriere verschwunden. Überrascht sehe ich ihn an.

„Du verschwendest wirklich keine Zeit.“

Grinsend knetet er meinen Po. „Möchtest du dich etwa beschweren?“

„Vielleicht später“, necke ich ihn.

Schließlich werden Worte unwichtig. Ungeduldig erkunden wir uns und reizen einander, bis wir es nicht mehr aushalten. Von einer Sekunde zur nächsten liegen wir auf einer weichen Decke am Ufer des Sees. Seths Fähigkeit, die Umgebung zu beeinflussen hat durchaus Vorteile.

Glücklich seufze ich, als ich das Gewicht seines Körpers auf mir spüre. Es ist viel zu lange her, dass ich mir dieses Vergnügen gegönnt habe. Bei Seth muss ich mich weder verstecken noch zurückhalten. Dämonen sind einfach nicht so zerbrechlich wie Menschen und das hier ist immerhin mein Traum. Ich schlinge meine Beine um seine Hüften und ziehe ihn an mich. Dann drehe ich uns herum, sodass ich auf ihm sitze. Sein verblüffter Gesichtsausdruck ist Gold wert. Aufreizend bewege ich mich auf ihm und kratze leicht über seine Brust.

„Das ist mein Traum, also gelten meine Bedingungen. Mit wem ich schlafe oder nicht, bestimme ich allein. Solltest du der Meinung sein, dich darüber hinwegsetzen zu können, mach ich kurzen Prozess mit dir.“

Er hält meine Hände fest und blickt mich ernst an. „Ich gehöre nicht zu denen, die ohne Rücksicht nehmen, was sie begehren. Sonst hätte ich dein Bewusstsein nicht geweckt. Nur dadurch ist das hier überhaupt möglich.“

Obwohl ich ihn nicht kenne, glaube ich ihm. Seth ist kein Gentleman, aber auch kein Monster. Wenn er meine Grenzen akzeptiert, werde ich gut mit ihm auskommen.

„Gut. Dann sollte dem Spaß ja nichts im Wege stehen.“

Der Inkubus lässt meine Hände los. „Ich bin gespannt, was du mit mir vorhast. Genieße die Luft dort oben, solange du kannst.“

„Wir werden sehen, wer von uns beiden den längeren Atem hat.“

„Herausforderung angenommen“, antwortet er selbstsicher.

Vorfreude steigt in mir auf. Das verspricht interessant zu werden. Dass Seth erregt ist, spüre ich überdeutlich. Ein ganz bestimmter Teil von ihm bettelt förmlich um Einlass. Da mein Körper bereits vor Verlangen zittert, fehlt mir die Geduld für ein aufwendiges Vorspiel. Mit nur einer Bewegung korrigiere ich meine Position und vergrabe meine Nägel in seinen Schultern, als wir miteinander verschmelzen. Das fühlt sich viel zu gut an, um wahr zu sein. Seth legt seine Hände auf meine Hüften. Ich folge seiner stummen Aufforderung und bewege mich endlich auf ihm.

Wir lieben uns ungestüm. Wie im Fieber treiben wir uns unaufhaltsam auf den Höhepunkt zu. Als mich die erste Welle überrollt, geht meine dämonische Seite mit mir durch. Ohne einen Gedanken an die Folgen zu verschwenden, beiße ich Seth. Selbst sein Blut schmeckt leicht nach Zimt, was mir viel zu gut gefällt. Der Inkubus stöhnt leise und seine Lust versüßt den Geschmack, doch plötzlich versteift er sich und umfasst meinen Nacken.

„Shit! Emilia, du musst sofort aufhören!“

Verwundert lasse ich von ihm ab und verschließe die Wunde. Als ich mich aufrichten möchte, wird mir klar, was ich gerade getan habe. Die Worte meiner Schöpferin hallen in meinem Kopf wider. „Es ist strengstens verboten, das Blut anderer übernatürlicher Wesen zu trinken. Unser Körper kann es nicht verarbeiten. Gerüchten nach ist es giftig für uns.“ Die Schwere in meinen Gliedern lässt Panik in mir aufsteigen.

Verdammt!

Dann wird es dunkel um mich herum.


4. Kapitel (Seth)

Als Emilia auf mir zusammenbricht, weiß ich, dass hier etwas gehörig schiefläuft. Die Traumwelt ist formbar, aber auch gefährlich. Manchmal sind die Übergänge zwischen Illusion und Wirklichkeit fließend, und das kann zu Problemen führen. Ich habe keine Ahnung, warum, doch die Vampirin bringt vieles durcheinander. Eigentlich hätte sie nie auf den Gedanken kommen dürfen, mich beißen zu wollen. Vampire meiden Dämonenblut wie die Sonne. Offensichtlich aus gutem Grund. Vorsichtig drehe ich uns herum und bette Emilia sanft auf die Decke. Ich schüttle sie leicht, sie regt sich jedoch nicht. Das ist überhaupt nicht gut. Wenn sie nicht bald aufwacht, haben wir ein ernstes Problem.

„Komm schon, Kleine!“

Wieder schüttle ich sie. Keine Reaktion.

„Fuck!“

Dass Vampire keine Vitalfunktionen haben, erleichtert es nicht gerade. Krampfhaft suche ich nach einer Möglichkeit, sie aus ihrer Ohnmacht zu wecken. Da ich aus Prinzip keine Frauen schlage, fällt die Ohrfeige aus. Riechsalz ist wahrscheinlich auch sinnlos, weil sie nicht atmen muss. Plötzlich kommt mir eine Idee. Ein Eimer mit eiskaltem Wasser erscheint in meinen Händen. Ich trete einen Schritt zurück und leere ihn schwungvoll über Emilia aus. Erst passiert nichts, doch dann schreckt sie hoch.

„Huch!“

Erleichtert lasse ich den Eimer verschwinden.

Verwirrt blickt sie mich an und wirkt nicht sonderlich begeistert.

„Was sollte das?“

„Irgendwie musste ich dich aufwecken“, sage ich und verschränke die Arme.

Sie betrachtet mich stirnrunzelnd und richtet sich auf. „Hättest du das nicht anders tun können?“, brummt sie.

„Ich habe es mehrmals versucht. Da du mich gebissen hast und nicht andersherum, kannst du mir schlecht Vorwürfe machen. Was hast du dir dabei gedacht?“, frage ich und verschweige, dass ich mir große Sorgen um sie gemacht habe. Alles im Zusammenhang mit Emilia ist ungewöhnlich intensiv. Ich weiß einfach noch nicht, was ich davon halten soll.

Offensichtlich habe ich einen wunden Punkt getroffen. Wütend springt sie auf. „Hör verdammt nochmal auf, mich so von oben herab zu behandeln! Ich habe nicht darum gebeten, in die Traumwelt gezerrt zu werden.“

„Deswegen musst du trotzdem für deine Handlungen geradestehen“, gebe ich zurück.

„Ich muss gar nichts! Woher weiß ich denn, dass nicht du es warst, der mich dazu getrieben hat?“

„Wie bitte?!“ Ich muss mich gerade verhört haben. „Warum sollte ich so einen Schwachsinn machen? Im Gegensatz zu dir beiße ich niemanden ungefragt. Du dummes Gör hättest bei der Aktion draufgehen können!“

Emilia versucht mich mit ihrem Blick zu töten. Ganz deutlich scheint nun die Vampirin durch. Ihre Iriden sind blutrot und ihre Fänge sind zu sehen. „Wie hast du mich genannt?!“

„Ich nenne dich, wie es mir beliebt. Wann wurdest du denn gewandelt, gestern?! So unbeholfen, wie du dich verhältst, kannst du noch nicht lange in der Schattenwelt leben.“

Diese Aussage bringt das Fass zum Überlaufen. Rasend vor Wut springt Emilia mich an. „Du Mistkerl!“

Durch den Aufprall stolpern wir zurück und landen mit einem lauten Platschen im Wasser.

„Verrücktes Huhn!“, fluche ich und spucke Wasser aus. Im Gegensatz zu ihr brauche ich Luft zum Überleben. Schnell springe ich auf die Füße.

Emilia ist noch immer wütend und erhebt sich ebenfalls. „Bist du etwa nass geworden?“

Meine Augen verengen sich zu Schlitzen. „Du bist frecher als dir guttut, Mädchen“, warne ich sie.

„Ich bin schon lange kein Kind mehr.“ Sie schlägt mir so kraftvoll gegen den Brustkorb, dass ich ein unheilvolles Knirschen höre und einige Schritte von ihr weggeschleudert werde. Schmerz schießt durch meinen Körper und entfesselt meine weniger höfliche Seite. Die kleine Vampirin wird gleich merken, dass ich auch anders kann.

„Du willst spielen? Das kannst du haben.“

Emilia schreit erschrocken, als sie von unsichtbaren Händen in die Luft gerissen wird. Mit dieser Aktion verschwindet die romantische Umgebung. Sie wird durch einen finsteren Raum ersetzt, der viel mit einem altertümlichen Verlies gemein hat. Ein metallisches Klicken erklingt, als die Fesseln an Emilias Armen und Beinen zuschnappen. Es ist ein durchaus reizvoller Anblick, sie so nackt und wehrlos zu sehen. Doch ich unterdrücke diesen Gedanken. Ich bin kein Vergewaltiger und habe nicht vor, mich von meiner Wut zu Taten verleiten zu lassen, für die ich mich hassen würde. Stattdessen reibe ich über meinen lädierten Brustkorb. Dort, wo Emilia mich geschlagen hat, ist ein roter Handabdruck zu sehen.

„Du solltest dringend lernen, dein Temperament zu zügeln, Fräulein“, knurre ich. Langsam gehe ich zu ihr. Obwohl sie panisch an ihren Fesseln zerrt, mache ich mir keine Sorge, dass sie sich befreien könnte.

„Gib mich frei!“, fordert sie, wobei das Zittern in ihrer Stimme ihre Angst verrät.

„Oh nein. Das kannst du vergessen.“ Vorsichtig lasse ich mich auf einem Stuhl vor ihr nieder und streiche die Kleidung glatt, die ich mir herbeigerufen habe. Im Kerker ist es kühl und ich habe keine Lust zu frieren. Kurz zögere ich, doch dann siegt meine gute Erziehung. Ich will Emilia in ihre Schranken weisen, aber dazu muss ich sie nicht demütigen. Als ihre Blöße unverhofft verhüllt wird, lässt die Furcht der Vampirin etwas nach.

„Du hast Glück, dass du es mit mir zu tun hast“, beginne ich ruhig und ignoriere die Schmerzen, die mir jeder Atemzug bereitet. „Es wäre ein Leichtes, mich für diese Aktion an dir zu rächen. Ich habe in meinem Leben genug gesehen und erlebt, um dir die Hölle auf Erden zu bereiten. Im G7egensatz zu dir kann ich meine Gefühle soweit kontrollieren, dass ich niemandem schade.“

Bei meinen Worten senkt sie den Blick. Emilia weiß ganz genau, dass sie überreagiert hat. Eine Sache wird sie jedoch noch nicht wissen: „Wir sind in der Traumwelt. Das stimmt. Allerdings kann man in der Realität sehr wohl die Folgen spüren, wenn wir hier verletzt werden.“

Emilias Kopf schnellt nach oben. „Was?“

„Warum glaubst du, dass sich manche Träume so real anfühlen? Es ist zwar verboten, doch theoretisch können wir unsere Opfer nicht nur in den Wahnsinn, sondern auch in den Tod treiben. Manchmal kommt es tatsächlich vor, dass sich Verletzungen auf deinen physischen Körper übertragen. Bei mir ist das immer der Fall, da ich mehr oder minder gleichzeitig in beiden Welten existiere.“

Ihre Augen werden immer größer. „Aber ... Das hier ist doch nur eine Illusion.“

Ein Lächeln breitet sich auf meinem Mund aus. „Was macht dich da so sicher? Die Schmerzen in meinem Brustkorb sind verdammt real.“ Ich erhebe mich und gehe zu ihr. „Die Traumwelt ist nicht weniger echt als die Welt, in der du friedlich im Bett liegst und schläfst. Oder warum denkst du, dass du ohnmächtig wurdest, nachdem du mich gebissen hast?“

„Ich dachte ... du hättest ...“, beginnt sie unsicher und stockt.

„Wie soll ich bitte beeinflussen können, was du fühlst oder was in deinem Körper vor sich geht? Ich kann die Umgebung formen und dich umgarnen oder erschrecken. Gefühle einpflanzen kann ich nicht. Das macht vielleicht ihr Vampire mit euren menschlichen Spendern. Mir ist das unmöglich“, stelle ich klar.


5. Kapitel (Emilia)

Ungläubig sehe ich Seth an. Mir ist bewusst, dass ich vorhin überreagiert habe. Normalerweise bin ich nicht so reizbar und schon gar nicht gewalttätig. Doch dieser Dämon zerrt meine unkontrollierte Seite ans Tageslicht, auf die ich wirklich nicht stolz bin. Bislang dachte ich, dass er etwas mit diesen merkwürdigen Gefühlen zu tun und mich nach seinem Gusto beeinflusst hat. Nun weiß ich, dass es nicht der Fall ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist es irgendwie verständlich, dass er mich wie eine gefährliche Irre angekettet hat. Den Abdruck meiner Hand konnte selbst ich auf seiner gebräunten Haut ausmachen. Das schlechte Gewissen überfällt mich und die Erkenntnis, dass ich mit meiner kindischen Reaktion Schaden angerichtet habe. Ja, Seth hat mich provoziert, aber deswegen war es trotzdem falsch von mir, ihn körperlich anzugreifen. Das war wohl wieder eine meiner Glanzleistungen. Jegliche Anspannung verschwindet aus meinem Körper, sodass die eisernen Fesseln das Einzige sind, das mich aufrecht hält. Gerade würde ich mich gern zusammenkugeln oder in einem Erdloch verschwinden. Da Seth mir diesen Wunsch nicht erfüllen wird, lasse ich den Kopf hängen und murmle: „Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen.“

Als ich seine Finger an meinem Gesicht spüre, zucke ich zusammen. Nicht wenige Männer hätten mir den Ausraster in barer Münze heimgezahlt. In meiner aktuellen Position könnte ich mich auch gar nicht wehren. Doch Seth hebt nur mein Kinn an und schaut mir aufmerksam in die Augen. Ich kann fühlen, dass er Schmerzen hat, obwohl er sich nichts anmerken lässt.

„Es scheint, als wären wir beide mit der Situation überfordert. Wenn du versprichst, mich nicht zu attackieren, lasse ich dich frei.“

„Ich bin brav, versprochen. Normalerweise habe ich mich gut unter Kontrolle. Aber das war vorhin einfach zu viel auf einmal.“

„Ich verlasse mich auf dein Wort, sonst verbringst du den restlichen Tag in diesem Verlies.“

Ohne Vorwarnung verschwinden die Fesseln. Meine mittlerweile tauben Beine sind zu schwach, um mein Gewicht zu halten. Ich schwanke beträchtlich. Bevor ich zusammensacken kann, hat Seth mich schon mit einem leisen Ächzen aufgefangen. Haltsuchend klammere ich mich an seinen Armen fest. Seine Nähe verursacht mir eine wohlige Gänsehaut, obwohl wir uns vor Kurzem bekämpft haben. Unserer Haut haftet der Geruch nach Sex an, was ein wesentlich schöneres Erlebnis als unser Streit war. Fasziniert hebe ich die Hand und fahre die Konturen seines aristokratisch wirkenden Gesichts nach. Dieser Dämon vor mir ist stolz und ehrenhaft, wobei er ein bisschen an seinen Umgangsformen arbeiten könnte. Allerdings sollte ich im Moment lieber meine Klappe halten. Ich war definitiv kein Beispiel für vorbildliche Manieren.

Seths Atmung beschleunigt sich und er zieht mich an seinen Körper. „Du bist eine verführerische Kratzbürste, weißt du das?“

„Gleichfalls“, erwidere ich. Dann küsse ich ihn sanft. Obwohl die Leidenschaft bei dieser kleinen Berührung erneut erwacht, halte ich mich zurück. Dank meines Ausrasters ist Seth verletzt und ich will ihm nicht noch mehr wehtun.

„Verzeih mir. Hätte ich gewusst, dass ...“

Seth legt mir einen Finger auf den Mund. „Es ist passiert und Ende. Da ich dich verstehen kann, ist es leicht dir zu verzeihen. Allerdings kannst du dich warm anziehen, falls du mich wieder angreifst. Meine Geduld hat Grenzen.“

„Ich neige eigentlich nicht zur Gewalttätigkeit. Du bist nur erstaunlich gut, genau die Knöpfe zu drücken, die mich aus der Haut fahren lassen.“

Er grinst mich frech an. „Du hast es mir sehr einfach gemacht.“ Plötzlich wird er ernst. „Jage mir nie wieder so einen Schrecken ein, ja?“

Einen Augenblick lang weiß ich nicht, was er damit meint, doch dann sickert die Erkenntnis in meinen Verstand, dass er sich wegen meiner Ohnmacht um mich gesorgt hat. Freude und Wärme durchströmen mich.

„Versprochen.“

Ihm scheint das zu reichen. Die Umgebung ändert sich erneut.

„Komm. Lass uns die Sonne noch ein bisschen genießen. So gern ich den ganzen Tag bei dir bleiben würde, muss ich dich leider bald verlassen. Die Arbeit ruft.“

Wir sind zurück im sommerlichen Garten vom Beginn meines Traumes. Noch immer ist es merkwürdig, im Sonnenschein zu stehen. Nach fünfundzwanzig Jahren als Vampirin habe ich mich längst damit abgefunden, dass ich die Sonne nie wieder sehen werde.

Seth führt mich zum Bett und lässt sich darauf nieder. „Du kannst dich gern umsehen, wenn du magst. Ich muss mich allerdings schonen. In deinem zarten Körper steckt verdammt viel Kraft.“

„Tut mir leid. Kann ich dir irgendwie helfen?“, frage ich und setze mich neben ihn.

Er winkt ab. „Ich werde es verbinden, sobald ich wach bin.“ Ein Funkeln tritt in seine Augen. „Aber du könntest mir einen Kuss geben. Das beschleunigt sicherlich die Heilung.“

Lachend schüttle ich den Kopf. „Du weißt schon, wie du bekommst, was du willst.“

„Natürlich. Oder willst du etwa einem Schwerverletzten seinen einzigen Wunsch verwehren?“

Ich bin versucht, ihn für diese Dreistigkeit am Ohr zu ziehen. Doch ich lasse es lieber. Wer weiß, was ich damit anrichten würde. Stattdessen beuge ich mich zu ihm herunter. „Ein Kuss.“

„Ja, bitte.“

Erstaunt sehe ich ihn an. „Dir ist dieses Wort also doch bekannt.“

Seth zieht die Augenbrauen in die Höhe. „Wenn man nett zu mir ist, bin ich es auch.“

Bevor ich widersprechen kann, legt er mir einen Finger an die Lippen. „Na, na. Nicht aufbrausen. Wir wollten nicht schon wieder streiten.“

Ich schnaube verächtlich. „Wie es in den Wald hineinruft ...“

„Dann mache ich eben den Anfang.“ Seth überbrückt den geringen Abstand und küsst mich. Ich lasse es geschehen. Küssen ist deutlich besser als Zanken.

Meine Finger greifen in sein kräftiges Haar und ziehen ihn noch etwas näher. Was sanft beginnt, steigert sich immer mehr in die Leidenschaft hinein. Als mich das unbändige Verlangen überkommt, Seth auf das Bett zu drücken und zu vernaschen, löse ich mich widerwillig von ihm. Nicht nur am silbrigen Leuchten seiner Augen erkenne ich, dass es ihm ähnlich geht.

„Besuchst du mich heute Nacht im Club?“, fragt er mit rauer Stimme.

„Vielleicht.“ Ich streiche zart über seine Brust, natürlich nicht dort, wo er Schmerzen hat. „Das kommt ein bisschen darauf an, was du mit mir vorhast.“

Er schnappt sich meine Hand und legt sie in seinen Schritt. „Was denkst du?“

Durch den Stoff hindurch beginne ich ihn zu streicheln. „Nur?“

„Was wäre dir denn lieber?“

„Vielleicht möchte ich vorher wissen, mit wem ich schlafe?“

„Auf einmal?“ Seth lacht, hält sich jedoch gleich mit schmerzverzerrter Miene den Brustkorb.

„Hey! Das hier zählt nicht, immerhin ist das nur ein Traum“, empöre ich mich.

„Na dann muss ich dich wohl noch zu einem Date einladen, wenn dir diese Welt nicht real genug ist.“

„Schaden kann es nicht“, antworte ich frech.

„Wenn‘s unbedingt sein muss“, stöhnt er gespielt und lässt sich auf das Bett zurücksinken. „Morgen will sie bestimmt teure Kleider und Schmuck.“

Lachend lege ich mich neben ihn. „Bis jetzt musste ich trotz fehlendem Gönner nicht nackt durch die Gegend laufen.“

„Schade.“

„Du bist ein unverbesserlicher Schürzenjäger“, beschuldige ich ihn.

Ein breites Grinsen erscheint auf seinem Gesicht. „Du hast ja keine Ahnung. Außerdem bist du auch kein Kind von Traurigkeit. Habe ich recht?“

„Ich bin wählerisch. Aber ja, wenn ich einen interessanten Mann sehe und in Stimmung bin, dann greife ich zu. In der Regel muss ich mir keine Gedanken über meine Sicherheit machen. Aufdringliche Menschen sind keine Gefahr für mich und die Zahl der Interessenten aus unseren Kreisen hält sich in Grenzen.“

„Wirklich? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Inkuben sind da wahrscheinlich etwas anders. Wir ergötzen uns an der Leidenschaft aller und haben keine Berührungsängste.“

Davon konnte ich mich selbst überzeugen. „Erzähl mir etwas über dich. Da du mich dauernd als ‚Mädchen‘ bezeichnest, musst du schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben.“

Seth streckt die Hand aus und streicht mir ein paar verirrte Haare aus der Stirn. „Ich habe mittlerweile ein beachtliches Alter von zweihundertdreiundsiebzig Jahren erreicht und stehe damit in der Blüte meines Lebens.“

„Wow. Das heißt, ihr werdet deutlich älter als Werwölfe?“

„Ja. Womöglich liegt es daran, dass wir uns von der Lebensenergie anderer ernähren. Würden wir zu wenig davon bekommen, altern wir schneller und sterben schließlich irgendwann.“

„Das ist ähnlich wie bei uns Vampiren, nur verändern wir uns nach der Wandlung nicht mehr.“

„Und wir werden geboren, so wie die Wölfe oder die meisten anderen Wesen der Schattenwelt.“

Nachdenklich durchforste ich mein Hirn nach Gerüchten über diese Dämonen. Allzu häufig scheinen sie nicht aufzutauchen, denn ich bin bisher noch keinem begegnet. „Sind Sukkuben so etwas Ähnliches?“, frage ich Seth, als mir dieser Begriff einfällt.

Er nickt. „Ja, so werden die weiblichen Inkuben von den Menschen genannt.“

Erstaunt sehe ich ihn an. „Warum das denn?“

„Frag mich nicht, wie sie auf diese merkwürdige Idee gekommen sind. Laut alten Legenden können wir unser Geschlecht wandeln. Als Sukkubus rauben wir schlafenden Männern den Samen und beschenken unlautere Damen als Inkubus damit, was einen Wechselbalg erzeugen würde.“

„Wie bitte?“ Diese Vorstellung ist tatsächlich eigenartig.

Seth grinst. „Wir Dämonen mussten doch schon immer für die Verfehlungen der Menschen herhalten. Da wir tatsächlich erotische Sehnsüchte erfüllen und uns mit den Sterblichen vermischen können, ist es kein Wunder, dass so etwas dabei herauskommt.“ Er zuckt mit den Schultern. „Wir haben uns einfach an diese Begriffe gewöhnt. Immerhin wissen die meisten etwas damit anzufangen.“

Fasziniert lausche ich seinen Erzählungen. Der Inkubus ist auf der Welt herumgekommen. Ursprünglich stammt er aus Ägypten, was sein orientalisches Aussehen sowie seinen Namen erklärt. Reisen durch Afrika, Europa und Asien haben ihn vieles sehen und erleben lassen, was er zur Erschaffung seiner kleinen Traumwelten benutzt. Ich erfahre, dass Inkuben weder so gesellig wie Wölfe noch so einzelgängerisch sind wie Vampire. Marie ist nicht die einzige Angestellte, die der Schattenwelt entstammt. Allerdings sind mir noch nicht alle über den Weg gelaufen. Seth wollte mit der Eröffnung des Insomnia nicht nur Geld verdienen, sondern einen Treffpunkt für übernatürliche Wesen schaffen. Tatsächlich fällt mir während seiner Erklärung auf, dass der Club einige Besonderheiten aufweist. Es gibt viele dunkle Nischen, wo man als Vampir in Ruhe trinken kann, und in der düsteren, mystischen Atmosphäre fällt es weniger auf, wenn jemand plötzlich die Augenfarbe wechselt. Er verrät mir auch, dass es ab und zu Partys nur für Vampire und Werwölfe gibt. Da unsere Sinne so sensibel sind, ist in solchen Nächten die Musik deutlich leiser und der Alkoholausschank wird reduziert. Betrunkene Vampire will schließlich niemand haben. Ein Nebeneffekt der geschlossenen Gesellschaften ist, dass es da schon mal zur Sache gehen kann.

„Okay. Danach möchte ich definitiv nicht putzen müssen“, kommentiere ich trocken.

Darüber lacht Seth nur. „Bisher haben sich die Reinigungskräfte nicht beschwert. Selbst in normalen Diskotheken gehen die Besucher einander an die Wäsche. Ich biete nur die Möglichkeiten, dass unsereins sich dabei nicht outet. Falls sich jemand danebenbenehmen sollte, schreiten wir ein.“

„Ein Ort der Sünde, was?“

„Wenn du es so sehen willst.“ Er grinst und zuckt mit den Schultern. „Ich bin ein Dämon, der andere in erotische Fantasien verwickelt, um sich von ihrer Lebensenergie zu ernähren. Was erwartest du von mir?“

„Stimmt auch wieder.“

Eine Weile liegen wir entspannt in der Sonne und unterhalten uns. Wenn er mich nicht gerade mit seinen Sticheleien zur Weißglut treibt, ist Seth ein sehr angenehmer Zeitgenosse.

„Jetzt verrate mir bitte, wie alt du bist. Anhand deines Verhaltens vermute ich, dass du keine hundert Jahre auf dem Buckel hast.“

Ich ziehe die Stirn in Falten. „Willst du mich schon wieder ärgern?“

„Nein. Es ist nur offensichtlich, dass du noch nicht so lange in der Schattenwelt weilst wie ich.“

Seufzend drehe ich mich auf den Rücken und beobachte die kleinen Wolken, die gemächlich über den Himmel ziehen. „Du hast recht. Ich bin noch sehr jung für unsere Verhältnisse. Tatsächlich wurde ich erst vor fünfundzwanzig Jahren gewandelt.“

„Wow. Dann bist du wirklich grün hinter den Ohren.“ Ich werfe ihm einen genervten Blick zu. Abwehrend hebt er die Hände. „Das war nicht böse gemeint. Wenn ich gewusst hätte, dass du so unerfahren bist, hätte ich mich mehr am Riemen gerissen.“ Sanft streicht er mir über die Wange. „Warum wurdest du gewandelt?“

Nur ungern denke ich an früher zurück. Die Zeit vor meiner Wandlung war alles anderes als rosig. „Ich hatte Krebs im Endstadium. Mein ganzer Körper war voller Metastasen.“

„Das tut mir leid. Du musst damals sehr jung gewesen sein.“

„Fünfundzwanzig. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon mehrere OPs und Chemotherapien hinter mir und konnte einfach nicht mehr.“

Die Erinnerungen an diese Zeit sind immer noch gegenwärtig. Das Gefühl, langsam vor sich hinzuvegetieren, die Hilflosigkeit und die Schmerzen waren das Schlimmste.

„Als ich Angelique begegnete, hatte ich mich gerade dazu entschlossen, keine neue Therapie zu beginnen. Ich wollte nicht, dass diese ganze Odyssee von vorn losging. Versteh‘ mich nicht falsch. Ich habe bis dahin immer gekämpft und gab die Hoffnung nie auf, aber nach dem zweiten Rückfall war ich am Ende meiner Kräfte. Mit jedem Tag, der verging, konnte ich sehen, wie meine Familie mehr litt, denn auch diese Therapie wäre nur ein Aufschub gewesen, keine Heilung.“

„Dann muss die Wandlung sehr schmerzhaft und riskant gewesen sein“, vermutet Seth.

Mich schüttelt es bei dem Gedanken daran. „War es. Allerdings wusste ich das mit den Schmerzen nicht. Angelique arbeitete in dem Krankenhaus, in dem ich behandelt wurde. Sie konnte es nicht ertragen, zusehen zu müssen, wie mein Lebenswillen nach und nach erlosch. Als sie mir das Angebot machte, mich zu wandeln, erklärte ich sie natürlich für verrückt. Wer glaubt bitte an Vampire?“

„Bestimmt keine vernünftige, junge Frau wie du“, kommentiert Seth.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739443485
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Februar)
Schlagworte
Schattenwelt Träume Inkubus Fantasy Spannung Dämon Liebe Vampir Humor Romance

Autor

  • Vanessa Carduie (Autor:in)

Vanessa Carduie erblickte an einem grauen Herbstmorgen 1988 in Dresden das Licht der Welt. Geschichten faszinierten sie von klein auf und bald folgten die ersten eigenen Erzählungen. Sie hat Biologie studiert und widmet sich seit einigen Jahren aktiv ihrer Schreibleidenschaft. Ihre Geschichten sind eine Mischung aus Liebesroman, Krimi und Fantasy. Mit ihren Büchern möchte sie ihre Leserinnen und Leser zum Lachen, Weinen und manchmal auch zum Nachdenken bringen.
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Titel: Insomnia: Verführerische Illusion