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Literary Passion - Gefährliche Träume

von Vanessa Carduie (Autor:in)
305 Seiten
Reihe: Literary Passion, Band 1

Zusammenfassung

„Das besondere Erlebnis für Bücherliebhaberinnen - Wellness, Literatur und sinnliche Abenteuer.“ Ein mysteriöser Todesfall in ungewöhnlicher Umgebung. Als Kommissarin Magdalena Schwarz zu einem Tatort gerufen wird, ahnt sie noch nicht, dass dieser Fall ihre Sicht auf die ‚reale’ Welt auf den Kopf stellen wird. Denn das ‚Literary Passion‘ birgt mehr als nur ein Geheimnis und vieles ist nicht, was es zu sein scheint. Was ist Wirklichkeit und was Traum? Wer ist Freund und wer Feind? Darf Magdalena sich auf die Verführungen in dieser fremden Welt einlassen oder wird sie so enden wie die Tote, die sie an diesen Ort gebracht hat? Der erste Teil der neuen Urban-Fantasy-Serie von Vanessa Carduie!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis



Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Text Copyright © 2017 Vanessa Carduie

Dieses Buch unterliegt dem deutschen Urheberrecht. Das Vervielfältigen oder Veröffentlichen dieses Buches oder Teilen davon, ohne Zustimmung der Autorin, ist untersagt.

Coverdesign: Yvonne Less - art4artists.au
Bildnachweis Model: http://depositphotos.com/132250452/stock-photo-fashion-portrait-of-romantic-beautiful.html

Korrektorat: Sandra Grüter

Lektorat: Jeanette Lagall - lektorat-lagall.de

M. Vogt

Bärwalder Str. 3

01127 Dresden

vanessa.carduie@gmx.de

1.2 Auflage (26. Mai 2018)


Widmung

Für meine Schwester.

Ich bin so glücklich, dass es dich gibt.


Kapitel (Lena)

Ich schalte den Motor aus und sehe meinen Kollegen an. „Was wissen wir über den Laden?“

Erik kramt sein Notizbuch heraus. „Das Literary Passion bezeichnet sich selbst als Wellnesshotel der besonderen Art. Allerdings bieten sie mehr als nur Massagen an, wenn du weißt, was ich meine.“

„Ein Bordell also“, folgere ich.

„Auf jeden Fall ein Escortservice. Bisher unauffällig, alle Angestellten sind gemeldet und ein erster Hintergrundcheck besagt, dass sie ihre Steuern brav bezahlen.“

„Mhm, das muss nichts heißen. Na gut. Lass uns reingehen. Die Rechtsmedizin und die Spurensicherung dürften bald hier sein.“

Eisig weht mir die Luft ins Gesicht, als ich aus dem warmen Auto steige. Während Erik sich den Einsatzkoffer schnappt, betrachte ich das Zielobjekt. Die altehrwürdige Villa sowie die beiden Nebengebäude sind gepflegt und wirken edel. Das trifft auch auf den ausladenden Park zu, zumindest auf den Teil, den wir von hier aus sehen können. Ein diskretes Schild am Tor mit dem Namen des Hotels ist der einzige Hinweis, dass es sich nicht um ein normales Wohnhaus handelt. Der Notarztwagen steht noch im Hof. Da wir hier sind, ist klar, dass jede Hilfe zu spät kam. Erik klingelt. Während wir darauf warten, dass man uns einlässt, nehme ich die Umgebung unter die Lupe. Das ganze Objekt ist von einer Mauer umgeben, die wahrscheinlich Neugierige und ungebetene Besucher abhalten soll. Es gibt viele Bäume und Büsche, die das Grundstück zusätzlich abschirmen. Immerhin sind die Fenster nicht vergittert, wie ich es schon bei anderen Etablissements gesehen habe. Dafür gibt es einige Sicherheitskameras. Interessant. Wozu dieser Aufwand?

Ein deutliches Summen ertönt. „Lena, es geht los.“

Mit wenigen Schritten bin ich bei meinem Kollegen. „Viele Kameras, hohe Mauer. Ziemlich abgeschottet für ein Wellnesshotel.“

„Diskretion und Sicherheit werden bei uns großgeschrieben“, antwortet eine tiefe Stimme, die definitiv nicht zu meinem Kollegen gehört. Erschrocken drehe ich mich um. Ein groß gewachsener Anzugträger steht hinter mir. Kurze braune Haare, sonnengebräunter Teint und die dunklen Augen lassen ihn südländisch wirken. Ein wenig erinnert er mich an einen Mafioso, nur ohne Hut und den lächerlichen Bart. Als er mich von oben bis unten mustert, brennt sein Blick förmlich auf meiner Haut. Ich versuche, dieses eigenartig prickelnde Gefühl abzuschütteln.

„Und wer sind Sie, dass Sie darüber so gut Bescheid wissen?“ Mein Ton ist schroff.

„Marco Dragi. Ich bin der Sicherheitschef. Sie sind von der Kripo, richtig?“

Ich zeige ihm meinen Dienstausweis. „Kriminalkommissarin Schwarz und das ist mein Kollege Kommissar Meier.“

„Frau Krüger erwartet Sie bereits. Ich führe Sie hin.“

Zügig schreitet er voraus. Ich beeile mich, an ihm dranzubleiben, während Erik sich etwas mehr Zeit lässt und die Umgebung mustert. „Als Sicherheitschef wissen Sie doch über alles Bescheid.“

Er wirft mir einen kühlen Blick zu. „Ich weiß, wer sich auf dem Gelände aufhält, wenn Sie das meinen. Was in den Zimmern passiert, wissen nur unsere Kundinnen und die Angestellten, die für sie zuständig sind.“

Kundinnen?

„Sie haben mich richtig verstanden. Unsere Kundschaft besteht ausschließlich aus Frauen.“

„Woher wissen Sie, was ich gedacht habe?“ Mein Misstrauen ist geweckt. Dieser Sicherheitschef ist nicht ganz koscher.

„Ihr Gesichtsausdruck hat es mir verraten. Sie sind schließlich nicht die Erste, die so guckt.“

So richtig befriedigt mich diese Aussage nicht, obwohl sie plausibel ist. „Ein Bordell für Frauen ist auch nicht alltäglich.“

Das bringt ihn zum Lachen. „Wir sind viel mehr als das, aber Frau Krüger wird es Ihnen erklären.“

Sein Lachen kribbelt in meinem Bauch. Das passt mir überhaupt nicht. Ich will diesen Mann nicht faszinierend finden. Mittels Schlüsselkarte verschafft er sich Zutritt zum Hauptgebäude.

Ich runzle meine Stirn. „Das ist ein Seiteneingang.“

„Scharf beobachtet. Trotz des bedauerlichen Vorfalls möchten wir unsere Gäste so wenig wie möglich stören.“

„Ihre Diskretion in allen Ehren, aber wir müssen mit allen sprechen, die zur Tatzeit auf dem Gelände waren“, wirft Erik ein.

„Sicher. Ich dachte nur, dass Sie auf dem schnellsten Weg zum Tatort gelangen möchten.“

„Was wissen Sie über den Vorfall?“, frage ich. Dieser Typ ist irgendwie unheimlich.

„Die Tote ist Maria Sommer, siebenundzwanzig Jahre, circa eins sechzig groß, aschblonde lange Haare, schüchtern, unauffällig gekleidet, Nickelbrille mit Gläsern so dick wie Flaschenböden. Sie ist Programmiererin bei einer Berliner Softwarefirma und Stammkundin von Adrian. Als er sie zum Dinner abholen wollte, reagierte sie nicht auf sein Klopfen. Die Tür lässt sich nur von innen oder mit dem Schlüssel öffnen. Er rief mich, weil ich den Generalschlüssel habe. Als ich fünf Minuten später das Zimmer betrat, fand ich sie leblos im Bett vor.“

„Eine sehr detaillierte Beschreibung“, murmelt Erik.

„Sie waren also als Erster am Tatort?“, hake ich nach.

Dragi nickt.

„Warum haben Sie den Notarzt gerufen, wenn Sie schon wussten, dass Frau Sommer tot ist?“

Er zuckt mit den Schultern. „Wir wissen beide, dass die Notrufzentrale darüber entscheidet, wen sie informiert. Außerdem muss der Totenschein von einem Arzt ausgestellt werden.“

Ich will noch mehr fragen, doch mich lenkt die Umgebung ab. Nachdem wir den Dienstboteneingang passiert haben, durchqueren wir einen hellen Flur und landen in einer imposanten Eingangshalle. Die Decken sind hoch und mit Stuck verziert. Ein mächtiger Kronleuchter und eine Prunktreppe runden das luxuriöse Erscheinungsbild ab.

Hinter mir pfeift Erik leise. „Nette Hütte.“

„Diese Villa und die dazugehörigen Wirtschaftsgebäude wurden 1905 gebaut, Jugendstil, gehörten einem Fabrikbesitzer. Aber Frau Krüger kann Ihnen mehr darüber sagen. Für mich sind andere Dinge wichtig.“

„Welche denn?“

Er wirft mir einen unergründlichen Blick zu. „Für meine Arbeit: die Anzahl der Zimmer, des Personals und der Gäste. Ich kenne den Grundriss auswendig und weiß in der Regel, wer wann im Haus ist und warum, Fluchtwege, Brandschutz. Das alles ist wichtig für mich.“

Mir reicht diese Antwort nicht. „Die Gäste werden Sie doch sicherlich auch im Auge behalten, oder?“

„Natürlich achten wir auf einen reibungslosen Ablauf und auf die Privatsphäre unserer Gäste. Welche Dienstleistungen sie wo in Anspruch nehmen, geht mich nichts an.“

Wir gehen die Treppe hoch und laufen einen großzügigen Flur entlang. An den Wänden hängen Landschaftsbilder und Stillleben namhafter Künstler. Der Teppich ist so weich, dass ich das Gefühl habe, auf Wolken zu gehen. Ich will gar nicht wissen, was eine Übernachtung hier kostet.

„Außer es kommt zu Streitigkeiten?“, greife ich das Thema wieder auf.

„Die haben wir selten. Natürlich gibt es ab und an eine Beschwerde, aber das passiert so gut wie nie. Unsere Klientel verursacht kaum Ärger und das Personal ist handverlesen.“

„Von Ihnen, nehme ich an?“

„Auch. Ich mache den Sicherheitscheck. Vorher müssen die Hosts jedoch das Auswahlverfahren überstehen. Wie das funktioniert, kann Ihnen Frau Krüger erklären.“

„Hosts?“, hakt Erik nach.

Der Sicherheitschef hebt nur eine Augenbraue, dann ringt er sich doch zu einer Erklärung durch: „Als Hosts werden unsere Sexarbeiter bezeichnet, da sie auch außerhalb des Bettes für unsere Gäste zuständig sind, erschien uns dieser Begriff passender als männliche Hure.“

Dragi sagt das in einem Ton, der deutlich macht, dass wir ihn mit der Fragerei nerven. Pech für ihn. Wir dürfen ihn solange nerven, wie wir wollen.

Bevor ich den Mund wieder aufmachen kann, öffnet sich vor uns eine Tür und eine adrett gekleidete Frau in den Vierzigern tritt heraus. Sie wirkt gestresst, setzt jedoch sofort ein geschäftiges Lächeln auf, als sie uns erblickt.

„Ah, die Damen und Herren von der Polizei, richtig? Ich bin Natalie Krüger, die Geschäftsführerin.“

Erik stellt uns vor. Mit einem Nicken verabschiedet sich der mysteriöse Sicherheitschef und wendet sich zum Gehen.

„Wo finden wir Sie, falls sich weitere Fragen ergeben?“, erkundige ich mich.

„Im Nordflügel, Erdgeschoss, das letzte Zimmer auf der rechten Seite.“ Mit diesen Worten verabschiedet er sich. Kurz bin ich versucht, ihm hinterherzusehen, aber das sollte ich lassen. Ich will mich nicht für diesen Mann interessieren. Nach allem, was er erzählt hat, wäre er ein prima Täter.

„Bitte kommen Sie. Wir haben die Suite abgeriegelt, so gut wir konnten. Ein schrecklicher Vorfall!“

Als wir der Geschäftsführerin in den Raum folgen, betreten wir eine andere Welt. Der Vorraum ist in dunklem Rot gehalten und mit schwarzen Möbeln bestückt. Die opulenten Gardinen sind aus blutrotem Brokat. Wo sind wir denn hier hineingeraten?

„Das ist unsere Vampir-Suite. Die Zimmer sind nach unterschiedlichen Themen aus der Literatur gestaltet, vornehmlich beliebte Klassiker, aber auch einige modernere Werke sind vertreten.“

„Aha“, brummt mein Kollege.

Der nächste Raum kommt einer Gruft gleich. Die Wände sind schwarz, ebenso das Himmelbett. Nur vereinzelte Farbtupfer finden sich in dieser Finsternis. Obwohl das Licht angeschaltet wurde, bleibt es düster. Wer will bitte in so einem Raum schlafen, geschweige denn Sex haben?

Jetzt sind allerdings andere Sachen wichtiger. Aus den roten Satinlaken schaut eine blasse Hand hervor. Die Besitzerin sieht ähnlich bleich und leblos aus. Glatte blonde Haare liegen über das Kopfkissen verteilt. Das Gesicht wirkt friedlich, beinahe glücklich. Ungewöhnlich für einen Mord. Neben dem Bett wartet der Notarzt.

„Hallo Doktor, was haben wir hier?“, will Erik wissen.

Der Mann schaut ratlos. „Wahrscheinlich Herzstillstand, bis auf diese kleine Wunde am Hals habe ich keine Verletzungen gefunden.“

Neugierig geworden, trete ich näher und betrachte die gezeigte Stelle. Auf der linken Halsseite befindet sich ein Bluterguss, der verdammt nach Knutschfleck aussieht. Als ich genauer hinsehe, erkenne ich so etwas wie eine Bisswunde, allerdings nicht sonderlich tief. Einzig die Abdrücke der Eckzähne sind deutlich erkennbar. Ich glaube, ich spinne!

„Interessant.“ Ich drehe mich zu Frau Krüger um, während Erik den Papierkram mit dem Notarzt erledigt und ihn verabschiedet. „Hatte Frau Sommer ein Herzproblem?“

Sie schüttelt den Kopf. „Nicht soweit wir wissen. Als sie gestern ankam, wirkte sie gesund und munter. Allerdings überprüfen wir unsere Kundinnen nicht. Sie sind erwachsen und können jederzeit um Hilfe rufen, wenn es ihnen nicht gut geht.“

„Wie das?“

Sie tritt zu mir ans Bett und deutet auf einen roten Knopf am Kopfteil, den ich übersehen hatte. „Das ist der Notruf. Wir haben das in jedem Zimmer. Wird er betätigt, wird das Servicepersonal informiert und es gibt eine Meldung im Sicherheitssystem.“

„Haben Sie keine Angst, dass jemand diesen Knopf als Dienstbotenklingel missbraucht?“

Frau Krüger zuckt mit den Schultern. „Nein. Wir haben ein Kurzwahlsystem in allen Telefonen, über das sie genau den Service anfordern können, den sie möchten.“

Ein interessantes Detail. Derartige Notklingeln an Betten findet man eher in medizinischen Einrichtungen. „Weshalb haben Sie sich dafür entschlossen? Denken Sie, dass Ihr Personal den Damen etwas antun könnte?“

„Natürlich nicht!“ Die Geschäftsführerin ist empört. „Unser Haus bietet nur das Feinste vom Feinsten an und unsere speziellen Mitarbeiter werden gründlich auf ihre Eignung überprüft, bevor sie bei uns anfangen dürfen. Wir haben uns dafür entschieden, weil es in diesem Bereich immer wieder Vorfälle gibt, bei denen vor allem ältere Kunden gesundheitliche Probleme hatten.“

Ah, die alten Säcke, die beim Sex einen Herzkasper bekommen ... „Ich wusste gar nicht, dass Frauen ebenfalls gefährdet sind.“

Frau Krüger zuckt mit den Schultern. „Es nimmt immer mehr zu. Außerdem gibt es noch unzählige Gründe, weshalb sie diesen Knopf drücken könnten. Unsere Angestellten und freien Mitarbeiter können wir zum Gesundheitscheck schicken, die Kundinnen nicht.“ So wie sie auf die Tote schaut, verflucht sie diesen Umstand.

„Sie gehen also davon aus, dass Frau Sommer durch gesundheitliche Probleme verstarb?“, hakt Erik nach.

„Ja, natürlich. Ich vertraue meinen Angestellten.“

„Wie überprüfen Sie Ihre Angestellten eigentlich?“

Die Geschäftsführerin beginnt geduldig zu erklären: „Zuerst muss jeder unserer Mitarbeiter ein polizeiliches Führungszeugnis sowie ein Gesundheitszeugnis vorlegen. Wenn dort schon Unklarheiten auftreten, kommen sie gar nicht in die nächste Runde. Dann werden psychologische Tests durchgeführt. Weiterhin müssen sie im Praxistest überzeugen, was sowohl die Umgangsformen als auch die speziellen Qualifikationen angeht. Wenn dann soweit alles passt, schicken wir sie noch zu unserem Arzt, um sicherzustellen, dass es keine übertragbaren Krankheiten gibt. Dazu kommt ein monatlicher Gesundheitscheck für alle Hosts.“

„Praxistest?“, fragt Erik erstaunt.

„Ja, natürlich. Hier geht es schließlich darum, dass die Kundinnen zufrieden sind“, antwortet sie gelassen. „Wir geben unser Bestes, um die Träume und Wünsche unserer Kundinnen zu erfüllen.“

Ich versuche, nicht zu intensiv über den Ablauf des Praxistests nachzudenken, und mustere Frau Krüger bei meinen nächsten Worten. „Vertrauen ist immer gut. Stört Sie diese Bisswunde denn gar nicht?“

Sie zuckt mit den Schultern. „Nicht sonderlich. Normalerweise passt Adrian auf, aber wer einen Vampir bucht, musst damit rechnen. Die meisten Damen wollen ihn nur deswegen.“

„Sie wollen mir jetzt aber nicht erzählen, dass Frau Sommer von einem Vampir gebissen wurde, oder?“

Sie verdreht die Augen. „Das ist seine Rolle und die Damen haben sich nie beschwert. Ob die Kundinnen wirklich daran glauben, ist mir egal. Ich kann Ihnen versichern, dass Adrian seine Aufgabe sehr ernst nimmt, aber das werden Sie noch merken.“

Haben wir es hier mit einem Verrückten zu tun? Oder mit mehreren? „Wo können wir ihn finden?“

„Er wartet in seinem Zimmer. Ich bringe Sie zu ihm.“

Wir verlassen die Suite und versiegeln sie, damit während unserer Abwesenheit keine Unbefugten darin herumstromern. Die Chefin höchstpersönlich begleitet uns zu dem Host, der Maria Sommer zuletzt gesehen hat.

„Wir müssen mit allen Personen reden, die zur Tatzeit auf dem Gelände waren“, informiere ich sie.

Diese Aussicht gefällt ihr nicht, doch sie nickt. „Zum Glück ist heute keine Lesung anberaumt, da sollte es kein Problem sein, alle zu versammeln. Ich werde Marco Bescheid geben. Er wird dafür sorgen, dass Ihnen alle für die Befragung zur Verfügung stehen.“

Sie klingt, als hätte sie einen vertrauten Umgang mit ihrem Sicherheitschef. „Vielen Dank. Hatte Frau Sommer Kontakt zu anderen Gästen oder blieb sie lieber für sich?“

„Sie ist, ähm, war recht schüchtern. Den Großteil ihrer Freizeit verbrachte sie in unserer Bibliothek. Wir veranstalten auch immer wieder Lesungen oder Themenabende zu diversen Büchern. Diese Angebote schätzen viele unserer Kundinnen, doch soweit ich informiert bin, bevorzugte Frau Sommer kleine Gesprächsrunden oder eine ruhige Leseecke. Aber vielleicht weiß einer meiner Angestellten mehr. Ich kann mich leider nicht persönlich um jede Kundin kümmern.“ Frau Krüger überlegt einen Moment. „Max kann Ihnen bestimmt weiterhelfen. Er ist zusammen mit Moritz für unsere Bibliothek zuständig.“

„Max und Moritz?“, fragt Erik amüsiert nach. „Ist das Absicht?“

Sie schüttelt den Kopf. „Es hat sich so ergeben. Beide lieben Bücher und sind immer über die neusten Trends informiert, davon profitiert unsere Sammlung.“

Während mein Kollege die Geschäftsführerin diverse Kleinigkeiten fragt, betrachte ich unsere Umgebung und versuche mir den Weg einzuprägen. Ich möchte mich ohne Aufpasser bewegen können und mich nicht verirren. Neben der luxuriösen Ausstattung fallen mir immer wieder kleine Nischen auf, in denen es eine Sitzmöglichkeit und mehrere Bücher gibt. In einer davon steht ein turtelndes Pärchen in historischen Kostümen. Eigentlich müsste es albern wirken, doch die Kleidung scheint durchdacht und hochwertig. Die wenigen Worte, die ich aufschnappen kann, klingen altmodisch und runden das Gesamtbild irgendwie ab. Wenn die Leute sich so unbefangen amüsieren, liegt die Vermutung nahe, dass es die Hotelleitung bis jetzt geschafft hat, den Vorfall vor den restlichen Kunden zu verbergen.

Als wir ins Erdgeschoss kommen und uns nach Norden wenden, runzle ich die Stirn. Ich habe das vage Gefühl, dass mir dieser Weg erst vor Kurzem beschrieben wurde. Nur vom wem? Dann fällt es mir ein. Natürlich! Dieser Sicherheitschef hatte vorhin so etwas gesagt.

„Wo finden wir eigentlich Herrn Dragi?“

Frau Krüger dreht sich irritiert um. „Die Sicherheitszentrale befindet sich in dem kleinen Häuschen am Tor. Dort ist er oft während seines Dienstes, wenn er nicht gerade seinen Kontrollgang macht. Seine Wohnung liegt in dem Nebengebäude, wo sich das Restaurant befindet. Wo er sich gerade aufhält, weiß ich nicht.“

Ich hätte da eine Vermutung. Die Frage ist nur, warum er bei dem Host ist und er uns das gesagt hat. Warum treffen sich die beiden Hauptverdächtigen - und dann so auffällig? Ich werde das Gefühl nicht los, dass irgendetwas an dieser Sache faul ist. Als wir vor dem letzten Zimmer auf der rechten Seite des Gangs stehen bleiben, kann ich Stimmen hören. Bei Frau Krügers Klopfen verstummen sie. Kurz darauf wird die Tür geöffnet. Ich traue meinen Augen kaum und blinzle mehrmals, doch die Gestalt vor mir ist real. Im Türrahmen steht ein groß gewachsener Mann. Ein weißes Rüschenhemd bedeckt seinen Oberkörper, oder zumindest den Großteil davon. Vorn ist es so weit geöffnet, dass man seine muskulöse Brust sehen kann. Eine schwarze eng anliegende Hose schmiegt sich wie eine zweite Haut an seine Beine. Dazu passend trägt er ein schwarzes Cape, dessen Innenfutter blutrot ist. Ich schlucke und lasse meinen Blick hochwandern. Adrians Gesicht ist kantig und wirkt aristokratisch. Wellige schwarze Haare reichen ihm bis zu den Schultern. Als ich in seine Augen sehe, durchläuft mich ein kalter Schauer. Sie sind eisblau und schauen im Moment alles andere als freundlich. Seine ganze Haltung wirkt angespannt. Das ändert sich jedoch, als er seine Chefin erblickt.

„Frau Krüger, was kann ich für Sie tun?“ Seine Stimme ist melodisch.

„Kommissarin Schwarz und ihr Kollege Kommissar Meier möchten mit Ihnen über den Tod von Frau Sommer reden.“

Er wirkt betroffen. „Bitte, kommen Sie rein. Im Moment ist es zwar ein bisschen voll hier drin, aber Marco lässt uns sicherlich sofort allein.“ Der Host wirft dem Sicherheitschef einen bösen Blick zu. Dieser lehnt scheinbar gelassen am Kamin. Trotzdem kann ich die aufgeheizte Stimmung zwischen den Männern deutlich spüren. Haben sie sich gestritten?

„Natürlich. Ich kümmere mich jetzt darum, alle Gäste und Angestellten zu versammeln.“ Dragi stößt sich von der Wand ab und geht auf uns zu. „Der Speisesaal dürfte mittlerweile frei sein. Bis dann.“

Stirnrunzelnd blicke ich ihm nach. Was hat dieser Mann nur an sich, dass bei mir alle Alarmglocken schrillen?

„Ich lasse Sie jetzt besser allein. Es gibt noch einiges, was ich erledigen muss“, verabschiedet sich Frau Krüger.

Und plötzlich sind wir nur noch zu dritt. Unser unfreiwilliger Gastgeber deutet auf eine Sitzgruppe.

„Wollen Sie sich setzen?“

Wir stimmen zu und lassen uns nieder. Ich krame meinen Notizblock aus der Tasche und lasse meinem Kollegen den Vortritt bei der Befragung.

„Herr ... Wie lautet Ihr Nachname?“, erkundigt Erik sich.

Der Vampirdarsteller lächelt nachsichtig. „Winter. Adrian Winter.“

Mein Kollege räuspert sich. „Vielen Dank. Also, Herr Winter, wir möchten Sie zum Tod von Frau Maria Sommer befragen.“

Erik rattert das Standardprogramm ab, während ich mir Notizen mache.

Adrian Winter, geboren am 23.7.1982 – Ich stocke und sehe verwundert auf. Der Mann wirkt einige Jahre jünger.

Ledig, nie verheiratet, keine Kinder, wohnt bei Hamburg und während des Dienstes im Hotel, Abitur, Schauspielstudium. Arbeitet seit zwei Jahren als freier Mitarbeiter im ‚Literary Passion’.

„Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Berufswahl?“, fragt Erik nach.

Adrian zuckt mit den Schultern. „Neugier. Als Schauspieler ist es für mich einfach, in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Hier ist das Publikum begrenzt, aber die Interaktion mit den Kundinnen ist interessant.“

„Was genau ist Ihre Aufgabe?“

„Das kommt auf die Kundinnen an. In erster Linie bin ich Gesellschafter, schenke den Damen Aufmerksamkeit, rede mit ihnen und höre zu.“ Der Host ist erstaunlich gelassen. Die meisten Menschen sind nervös, wenn sie von der Polizei befragt werden, vor allem, wenn sie das erste Mal in einer derartigen Situation sind.

Erik schaut skeptisch auf den ungewöhnlichen Mann in der anzüglichen Aufmachung. „Aber Sie haben auch Geschlechtsverkehr mit den Kundinnen?“

„Ja, jedoch weniger als Sie denken. Natürlich gehört das bei den meisten Kundinnen dazu, aber sie kommen nicht einfach auf einen Quickie vorbei, sondern wollen für ein paar Tage in einer Traumwelt mit ihrem Märchenprinzen leben, bevor der Alltag wieder zuschlägt. Da wir verschiedene Themenzimmer haben, sind wir angehalten, uns auch mit den literarischen Hintergründen zu beschäftigen, damit wir uns darüber mit den Kundinnen unterhalten können.“

Ich horche auf. „Bei den meisten? Heißt das, Sie haben auch Kundinnen, die auf Ihre speziellen Dienstleitungen verzichten?“

Die hellblauen Augen des Möchtegernvampirs blicken gelassen in meine. Auch wenn ich mit derlei Gestalten nun wirklich nichts anfangen kann, so ist Herr Winter alles andere als hässlich. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass jemand so viel Geld ausgibt und dann auf den Höhepunkt verzichtet.

„Ja. Nicht viele, aber einige möchten einfach nur ihre Einsamkeit für ein paar Stunden vergessen. Wir begleiten unsere Kundinnen auch zu den Lesungen und je nach Wunsch spezialisieren wir uns auf ein bestimmtes literarisches Werk, bei mir ist es oft Bram Stokers Dracula. Bei den meisten Damen dauert es auch einige Zeit, bis sie warm werden. Ich dränge mich nicht auf. Wenn sie nur reden wollen, höre ich zu, wenn sie das volle Programm anfordern, gibt es das.“

Erik ist einige Jahre älter als ich und kann sich offenbar nur schwer mit dem Konzept anfreunden. Weibliche Prostituierte gibt es zuhauf, aber Männer, die derartige Dienstleistungen für Frauen anbieten, sind sehr selten anzutreffen - vor allem in dieser ländlich-gutbürgerlichen Gegend von Sachsen. „Und es stört Sie nicht, dass Sie als Sexobjekt angesehen werden?“

Überrascht sehe ich meinen Kollegen an. Es ist sehr ungewöhnlich, dass er eine derart unprofessionelle Frage stellt. Eigentlich ist er wesentlich abgebrühter. Allerdings muss ich zugeben, dass die ganze Situation skurril ist, immerhin sitzt uns normalerweise kein halbnackter Pseudovampir gegenüber, der für Geld mit Frauen schläft und nebenbei aus Büchern zitiert.

„Warum sollte es das?“ Winter lehnt sich vor und lächelt gewinnend. „Es macht Spaß, ist interessant und so erspare ich es mir, wildfremde Frauen in irgendeiner schmuddeligen Kneipe abzuschleppen. Im Gegensatz zu den meisten weiblichen Sexarbeitern bin ich in keiner Zwangslage und habe die Freiheit, mir meine Aufträge auszusuchen. Über das Umfeld kann ich mich auch nicht beschweren.“

Während ich mir ein Lächeln verkneife, muss Erik sich erst einmal sammeln. „Nun gut. Kommen wir zum eigentlichen Thema der Befragung. Beschreiben Sie bitte, in welcher Beziehung Sie zu Frau Sommer standen.“

Herr Winter zieht eine Augenbraue in die Höhe. „Maria ist - war - eine Stammkundin von mir. Wir verstanden uns gut, aber ich vermeide es, tiefere Gefühle für meine Kundinnen zu entwickeln.“ Er seufzt und lässt die selbstsichere Fassade fallen. „Das bedeutet jedoch nicht, dass mir ihr Tod nicht nahegeht. Sie war ein lieber Mensch und hätte noch einige Jahrzehnte vor sich gehabt.“

„Uns wurde gesagt, dass Sie Frau Sommer heute Abend zum Essen abholen wollten, sie aber nicht auf Ihr Klopfen reagierte. Ist das so richtig?“

Der Vampirdarsteller nickt. „Das stimmt.“

„Wann war das?“

„Zehn vor Acht. Um Acht beginnt das Dinner und Maria wusste Pünktlichkeit zu schätzen.“

„Was haben Sie als nächstes gemacht?“

„Ich habe mehrmals geklopft und ihren Namen gerufen. Selbst an das Telefon ging sie nicht ran, was sehr ungewöhnlich ist.“ Adrian fährt sich mit einer Hand durchs Haar und wirkt bedrückt. „Die Tür lässt sich ohne Schlüssel nicht von außen öffnen, also rief ich Marco, damit er nach dem Rechten sieht.“

„Hätte es nicht sein können, dass Frau Sommer einfach ihre Verabredung vergessen hat und irgendwo auf dem Gelände war?“, hakt Erik nach.

Der Host schüttelt den Kopf. „Nein. Die Wellness-Anwendungen finden bis zum späten Nachmittag statt. Danach können die Damen natürlich noch lesen, schwimmen oder so. Aber Maria hätte niemals einen Termin verpasst. Sie war beinahe krankhaft pünktlich und hatte Probleme, mit anderen Leuten Kontakt zu knüpfen.“

„Sie waren also der Bezugspunkt von Frau Sommer?“

„So könnte man es sagen“, bestätigt er.

„Wie war der Tagesablauf von Frau Sommer? Waren Sie den ganzen Tag bei Ihr?“

„Nein. Ich bin entsprechend meiner Rolle erst nach Sonnenuntergang verfügbar, also derzeit ab achtzehn Uhr. Je nachdem wie ihr der Sinn stand, gingen wir zusammen spazieren, eine Runde schwimmen, unterhielten uns oder verbrachten Zeit in ihrem Zimmer. Ab und an habe ich ihr auch etwas vorgelesen. Das Dinner ist immer ab zwanzig Uhr. Spätestens dafür habe ich sie abgeholt. In der Regel hielten wir uns bis halb zehn im Restaurant auf und machten uns danach einen gemütlichen Abend.“

„Aha. Wie war es heute?“

Der Vampirdarsteller überlegt kurz. „Ich habe mich gegen achtzehn Uhr bei ihr gemeldet. Dann sind wir durch den Park spaziert, haben ein bisschen geturtelt und waren vielleicht gegen halb sieben wieder in ihrem Zimmer.“

„Was haben Sie dort gemacht?“

„Maria wollte einen kleinen Vorgeschmack auf den Abend. Also habe ich sie ein bisschen verwöhnt.“

Von so einem Mann würde ich mich auch verwöhnen lassen – selbst in diesem albernen Kostüm. Schnell schiebe ich den unpassenden Gedanken zur Seite.

„Hatten Sie mit Frau Sommer Geschlechtsverkehr?“

Der Host blickt Erik kritisch an. „Tut das was zur Sache?“

„Wir sollten es wissen, falls derartige Spuren sichergestellt werden“, erkläre ich. „Solange es einvernehmlich war, haben Sie sich nichts vorzuwerfen.“

„Natürlich sind solche Dinge immer einvernehmlich“, antwortet Herr Winter scharf. „Und nein, hatten wir heute nicht. Ich habe sie massiert und dann haben wir gekuschelt. Wahrscheinlich wäre es später dazu gekommen. Maria wirkte heute Nachmittag erschöpft und wollte sich vor dem Dinner etwas ausruhen. Als ich sie darauf ansprach, meinte sie, dass sie viel Stress auf der Arbeit gehabt hätte. Sie bräuchte nur ein Stündchen Schlaf, dann wäre sie wieder fit.“

„Mhm. Was geschah dann?“

„Ich habe sie zugedeckt und bin in mein Zimmer gegangen, damit sie ihre Ruhe hat.“ Bei diesen Worten fährt er sich mit den Händen übers Gesicht. „Hätte ich gewusst, dass es ihr schlecht geht, wäre ich bei ihr geblieben und hätte unseren Arzt informiert.“ Fassungslos schüttelt er den Kopf. „Wenn ich bei ihr gewesen wäre, würde sie vielleicht jetzt noch leben …“

„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Derzeit wissen wir noch nicht, woran Frau Sommer starb.“ Erik macht eine Pause und beobachtet den Befragten, während er die nächsten Worte sagt. „Allerdings befindet sich am Hals des Opfers ein blauer Fleck mit merkwürdigen Bissspuren. Was können Sie uns dazu sagen?“

Herr Winter wird unruhig. „Ein blauer Fleck?“

„Ja, direkt hier“, meint mein Kollege und zeigt auf die linke Seite seines Halses.

„Ach, Sie meinen den Knutschfleck.“ Der Host wirkt erleichtert. „Das war ich, fürchte ich. Manche Damen bestehen darauf, von einem Vampir gebissen zu werden.“

„Wie bitte?“

„Meine Rolle – der Vampir. Dass es seinen Reiz hat, wenn jemand Sie beim Sex beißt, wissen Sie schon, oder?“, fragt der Darsteller. „Natürlich in der Regel, ohne zu verletzen.“

„Natürlich“, brummt Erik. „Frau Sommer wollte also von Ihnen gebissen werden. Aber wie ist dann der ungewöhnliche Bissabdruck entstanden?“

Herr Winter öffnet seinen Mund und entblößt beneidenswert weiße Zähne. Erst bin ich verwundert, aber dann erkenne ich, dass die Eckzähne deutlich länger und spitzer sind als bei einem normalen Menschen. Mich durchfährt ein kalter Schauer. Das ist ein bisschen unheimlich.

Erik guckt auch ganz verdattert. „Sind das Prothesen?“, frage ich daher.

„Ja. Diese billigen Aufsetzzähne halten nicht lange und gehen schnell kaputt. Wenn ich nicht wie ein Amateur wirken will, muss ich darauf zurückgreifen.“

Ich bin erstaunt, dass jemand nur wegen einer Rolle einen solchen Aufwand betreibt. „Behindert Sie das denn im Alltag gar nicht?“

Er zuckt nur mit den Schultern. „Nicht wirklich. Klar, ernte ich ab und zu irritierte Blicke, aber ich zeige meine Zähne nicht allzu deutlich. Sie rennen ja auch nicht dauergrinsend durch die Gegend, oder?“

„Eher selten“, bestätige ich und versuche zum eigentlichen Thema zurückzufinden. „Sie haben also Frau Sommer schlafen lassen. Wann sind Sie aus dem Zimmer gegangen?“

„Puh, ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber es wird kurz vor um sieben gewesen sein.“

Ich notiere mir die Zeit.

„Dann sind sie zehn vor acht zurückgekehrt, um Frau Sommer abzuholen, aber sie öffnete Ihnen nicht, richtig?“

„Ja.“

„Okay. Als sie nicht reagierte, haben Sie Herrn Dragi gerufen, der mit dem Generalschlüssel das Zimmer öffnete. Was geschah danach?“

„Wir haben an der Zwischentür geklopft. Als wieder keine Antwort kam, ist Marco ins Zimmer gegangen.“

Ich horche auf. „Er und nicht Sie?“

„Selbst wenn ich es anders gewollt hätte, wäre ich nicht zuerst ins Zimmer gegangen. Da Maria nicht auf unsere Rufe reagierte und kein Geräusch zu hören war, befürchtete ich schon das Schlimmste. Als Marco kurz darauf fluchte und den Notarzt rief, wusste ich, dass etwas nicht stimmt.“

„Sie haben den Leichnam also gar nicht gesehen?“, hakt Erik nach.

Herr Winter schüttelt den Kopf. „Nein. Ich stelle zwar einen Vampir dar, aber ich mag Menschen in ihrer lebenden Form mehr und wollte Maria nicht so sehen.“

„Nun gut. Wir müssen Sie trotzdem um eine Speichelprobe sowie die Abdrücke von Fingern und Schuhen bitten.“

Unbehaglich sieht er uns an. „Wenn es sein muss. Ich will schließlich auch, dass Marias Tod aufgeklärt wird. Gehen Sie denn von einem Verbrechen aus?“

„Noch halten wir uns alle Möglichkeiten offen.“

Ich greife in unseren kleinen Einsatzkoffer und suche ein Probenröhrchen heraus. Während Erik Herrn Winter erklärt, wie die Probe genommen werden muss, fülle ich das entsprechende Formular aus und beschrifte den Beweismittelbeutel.


Kapitel

Wenig später stehen Erik und ich wieder im Zimmer von Maria Sommer. Die Spurensicherung samt Rechtsmedizin ist endlich eingetroffen. Das Blitzlicht erhellt immer wieder für kurze Augenblicke den finsteren Raum, während der Ursprungszustand des Tatortes und jeder weitere Schritt fotografisch dokumentiert wird. Aus gebührendem Abstand beobachte ich, wie die Bettdecke zurückgeschlagen wird und sich der Rechtsmediziner mit der Leiche beschäftigt.

„Auf den ersten Blick keine äußerlichen Verletzungen, bis auf das Hämatom auf der linken Seite des Halses. Totenstarre im Anfangsstadium, erste Leichenflecken.“ Er wirft einen Blick auf sein Thermometer. „34,6 °C. Bei der hier herrschenden Temperatur dürfte sie also seit circa drei Stunden tot sein.“

Ich blicke auf meine Uhr. Es ist mittlerweile nach zehn. „Das wäre dann ein vermutlicher Todeszeitpunkt zwischen neunzehn und zwanzig Uhr, oder?“

Der Rechtsmediziner mustert mich über den Rand seiner eckigen Brille. „Richtig.“

„Was können Sie uns zur vorläufigen Todesursache sagen, Doktor?“

Dieser blickt zurück zum Leichnam. „Tja, es gibt keine Abwehrverletzungen, keine tödlichen Wunden, keine offensichtlichen Vergiftungserscheinungen. Alles andere kann ich erst sagen, nachdem ich sie auf dem Tisch hatte.“

„Vielen Dank. Dann lassen wir Sie Ihre Arbeit machen und kümmern uns um die Befragungen“, meint Erik.

„Mhm, also wahrscheinlich ein ganz normaler Todesfall in ungewöhnlicher Umgebung?“, frage ich ihn auf dem Weg zum Speisesaal.

Er zuckt mit den Schultern. „Offensichtlich. Wenn sie nicht doch noch etwas finden, dann wird die Akte geschlossen und fertig. Trotzdem werden wir hier noch einige Zeit mit den Befragungen verbringen und der Papierkram kommt auch noch dazu.“

Ich werfe einen Blick auf meine Uhr und seufze. „Das wird eine lange Nacht.“

Wir gesellen uns zu unseren Kollegen, die mittlerweile auch angekommen sind und bereits mit den ersten Befragungen begonnen haben. Selbst zu zehnt werden wir einiges zu tun haben. „Lass uns Dragi vernehmen. Er war immerhin als Erster am Tatort. Der Rest wird schneller gehen. Von ihm benötigen wir ebenfalls eine Speichelprobe und zur erkennungsdienstlichen Behandlung muss er dann aufs Revier“, sage ich zu Erik.

Diesem mysteriösen Sicherheitschef möchte ich keine weitere Chance geben, uns aus dem Weg zu gehen.

„Ich bin gespannt, was er uns alles zu erzählen hat.“

Es dauert nicht lange, Dragi zu finden. Mit Argusaugen überwacht er das Geschehen. In seinem dunklen Anzug wirkt er elegant und doch spüre ich eine gewisse Gefahr, die von ihm ausgeht. Keine Ahnung, warum, aber ich kann das Gefühl nicht abschütteln, dass er etwas verbirgt.

„Herr Dragi? Wir würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen“, eröffnet Erik das Gespräch. Obwohl mein Partner groß und nicht allzu schmal ist, wirkt er neben dem Sicherheitschef schmächtig.

Ohne Hast dreht sich der Angesprochene zu uns um. Er wirkt weder überrascht noch verunsichert.

„Selbstverständlich. Kommen Sie bitte mit.“

Erstaunt sehen Erik und ich uns an. Normalerweise sind wir diejenigen, die die Zeugen auffordern mitzukommen. Im Gegensatz zu uns kennt Dragi allerdings den nächsten leeren Raum. Also zucken wir mit den Schultern und folgen ihm aus dem Saal. Kurz darauf öffnet er eine Tür zu unserer Linken und schaltet das Licht an. Eine kleine Küchenzeile, ein großer Tisch und die Spinde an einer Raumseite deuten darauf hin, dass es der Pausenraum fürs Personal ist. Hier herrscht Moderne und Praktikabilität vor und nicht der Prunk wie in den Gästeräumen.

„Setzen Sie sich. Möchten Sie einen Kaffee?“, fragt der Sicherheitschef und macht sich an dem modernen Kaffeeautomaten zu schaffen.

„Gern“, antworte ich verdutzt, während Erik ablehnt.

Dragi wirft mir einen kurzen Blick zu, der meinen Bauch flattern lässt. „Milch, Zucker?“

„Nur einen Schluck Milch, bitte.“

Der Kaffeeautomat brummt und zischt. Nur wenig später steigt mir das köstliche Aroma frischen Kaffees in die Nase. Dragi öffnet den Kühlschrank, nimmt eine Packung Milch und eine Flasche Wasser heraus. Mit effizienten Bewegungen schüttet er die Milch in meinen Kaffee und bringt dann alles zum Tisch.

„Bitte schön.“

„Danke“, sage ich und beäuge neugierig mein Getränk. Auf den ersten Blick scheint es genau die perfekte Mischung zu sein. Vorsichtig koste ich einen Schluck und unterdrücke einen glücklichen Seufzer. So guten Kaffee bekomme ich selten.

„Sie wollten mit mir reden?“, beginnt Dragi das Gespräch.

Erik nickt. „Ja, wir haben noch ein paar Fragen zum Tod von Maria Sommer. Herr Winter erzählte, dass Sie die Tote aufgefunden und den Notruf getätigt haben.“

„Richtig. Das hatte ich Ihnen bereits bei Ihrer Ankunft gesagt“, meint der Sicherheitschef gelassen. „Wollen Sie nicht erst einmal meine Personalien aufnehmen, bevor Sie die Vernehmung weiterführen?“

Diese Aussage lässt uns aufhorchen. Normalerweise wissen Zivilpersonen nicht so viel über die Polizeiroutine. Die meisten Leute hätten es ‚Befragung’ genannt und nicht ‚Vernehmung’.

Schnell ziehe ich das benötigte Formular aus unserem Einsatzkoffer und schiebe bedauernd meinen Kaffeebecher zur Seite. Erik schreitet sofort zur Tat und fragt die Standardsachen ab.

Marco Dragi: geboren am 10.03.1980. Ledig, keine Kinder, wohnt direkt auf dem Gelände des ‚Literary Passion’. Abitur, Jurastudium, Berater in einer Sicherheitsfirma, diverse Zusatzqualifikationen, seit der Gründung des ‚Literary Passion’ vor drei Jahren Sicherheitschef.

Aufmerksam schreibe ich mit und spüre immer wieder, dass Dragis Blick zu mir wandert. Noch nie habe ich einen derart ruhigen Zeugen gesehen, vor allem nicht, wenn diese Person vor wenigen Stunden eine Leiche entdeckt hat. Irgendwas verbirgt dieser Sicherheitschef. Ich weiß nur noch nicht, was.

Wir gehen seinen Tagesablauf durch und er wiederholt, was er uns bereits bei unserem Eintreffen gesagt hatte.

„Ich habe die Suite geöffnet und dann das Schlafzimmer betreten, nachdem Frau Sommer wiederholt nicht auf unsere Rufe reagiert hatte.“

„Wie sah es im Zimmer aus? Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“

„Nein, eigentlich nicht. Es war nur sehr still. Als ich das Licht einschaltete, regte sich Frau Sommer nicht. Sie war sehr blass. Ich fühlte den Puls, aber der war nicht mehr vorhanden. Dann rief ich den Krankenwagen.“

„Wo genau haben Sie die Leiche berührt?“

Dragi deutet auf seine rechte Halsseite. „Dort. Den Knutschfleck auf der anderen Seite hatte ich bemerkt und wollte nicht, dass ich irgendetwas verfälsche.“

„Haben Sie sonst noch etwas verändert oder berührt?“

Dragi neigt den Kopf leicht. „Nicht soweit ich mich erinnern kann. Ich nehme an, dass Sie jetzt Fingerabdrücke und eine DNS-Probe von mir haben wollen?“

Er überrascht mich mit seinem Wissen. „Woher kennen Sie die Abläufe so gut?“, hake ich nach.

Seine braunen Augen blicken zu mir. „Ich hatte schon mehrfach beruflich mit der Polizei zu tun und kenne ein paar Polizisten. Ursprünglich wollte ich ebenfalls diese Laufbahn einschlagen, aber das war wegen meines Gesundheitszustandes nicht möglich.“

Also für mich sieht er sehr gesund aus. „Welches Leiden hat Sie denn dienstuntauglich gemacht?“, frage ich.

„Obwohl das für den Fall unwichtig ist, beantworte ich Ihre Frage. Ich leide an einer recht seltenen Krankheit - Porphyrie - die zur Folge hat, dass meine Haut schon bei geringster Sonneneinstrahlung verbrennt. Deswegen bevorzuge ich auch die nächtliche Tätigkeit.“

Ich traue meinen Ohren kaum. Von so einer Krankheit habe ich noch nie gehört und bei seiner gebräunt wirkenden Haut hätte ich das auch nie vermutet. „Klingt unangenehm.“

„Ist es auch. Vor allem als Kind war es sehr schwierig, weil ich nie mit den anderen draußen spielen konnte.“ Er zuckt mit den Schultern. „Aber ich hätte es schlimmer treffen können. Bedenken Sie diesen Umstand bitte, wenn Sie mich einbestellen.“

Automatisch nicke ich. Dann besinne ich mich auf meine Aufgabe und suche ein neues Probenröhrchen. „Würden Sie uns eine freiwillige DNS-Probe geben?“, frage ich und halte ihm die versiegelte Packung hin. Als er sie nimmt, berühren sich unsere Hände kurz. „Natürlich.“

Mich durchfährt ein wohliger Schauer. Bevor einer von uns erläutern kann, wie er die Probe nehmen soll, ist es schon erledigt. Dieser Mann verschwendet wirklich keine Zeit.

„Bitte.“

Hektisch ziehe ich einen neuen Beweismittelbeutel heraus und verstaue die Probe darin. Alles schön beschriften und eintragen, dann wandert sie in unseren Koffer.

„Vielen Dank!“

Wir blicken uns einen Moment zu lange in die Augen. Als sich Erik neben mir räuspert, zucke ich leicht zusammen und trinke schnell einen Schluck Kaffee. Wäre auch schade, wenn der verschwendet würde.

Mein Kollege setzt die Vernehmung fort. „Haben Sie Frau Sommer vor ihrem Tod gesehen?“

„Nur gestern Abend kurz, als sie eingecheckt hat“, erinnert Dragi sich.

„Kam sie Ihnen anders vor als sonst?“

Dragi überlegt kurz. „Eigentlich nicht. Sie wirkte ein wenig erschöpft und war später als üblich hier. Ich hab jedoch nicht nachgefragt, was der Grund dafür ist.“

„Was haben Sie heute in der Zeit von 18.00 bis 19.50 Uhr gemacht?“

Der Sicherheitschef zieht nur eine Augenbraue in die Höhe. „Gearbeitet. Von fünf bis zwanzig nach sechs hab ich den Monatsplan mit Frau Krüger durchgesprochen. Danach machte ich meinen Kontrollgang übers Gelände und war viertel acht wieder in der Zentrale. Fünf vor acht rief Adrian bei mir an, weil Frau Sommer sich nicht meldete.“

Kein gutes Alibi für den Todeszeitpunkt, so wie der Möchtegernvampir.

Erik scheint dasselbe zu denken. „Hat Sie jemand währenddessen gesehen?“

„Max sowie einige andere Angestellte.“

Eine Frage stelle ich mir schon die ganze Zeit über und spreche sie nun aus: „Warum haben Sie sich nach unserer Ankunft mit Herrn Winter getroffen?“ Und es uns unter die Nase gerieben?

Lässig zuckt Dragi mit den Schultern. „Ich wollte wissen, wie es ihm geht, und hatte noch ein paar Dinge mit ihm zu klären.“

Ich erinnere mich an die aufgeladene Stimmung im Raum. „Sonderlich begeistert schien Herr Winter von Ihrem Besuch nicht zu sein.“

„Adrian musste sich ein bisschen abreagieren. Die wenigsten vertragen es gut, wenn Leute sterben, mit denen sie persönlichen Umgang hatten. Ich kenne ihn schon eine Weile und weiß, welche Knöpfe ich drücken muss. Andernfalls hätten Sie ein aufgelöstes Häufchen Elend vorgefunden, aus dem Sie keinen geraden Satz herausbekommen hätten.“

Nun ist es an mir, die Augenbrauen in die Höhe zu ziehen. „Sie haben also einen Streit provoziert, damit er vernehmungsfähig ist? Das ist aber sehr zuvorkommend von Ihnen.“

Dragi lächelt milde. „Das habe ich für sein Wohl getan. Außerdem ist er unausstehlich, wenn er schwermütig ist.“

„Hat Herr Winter öfter Stimmungsschwankungen?“, hakt Erik nach.

Dragi lacht. „Hatten Sie schon mal mit Schauspielern zu tun? Adrian lebt seine Rollen und steckt viel Zeit in die Erarbeitung seiner Figuren. Wie jeder andere muss er ab und an seinen Frust rauslassen. Er ist ein sehr selbstkritischer Mensch, der immer ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit benötigt. Unsere Bühne ist nur deutlich kleiner und das Publikum verzeiht keine Fehler.“

„Interessante Umschreibung. Gab es denn Beschwerden über Herrn Winter?“

„Nein, bisher nicht. Adrian ist nur manchmal etwas sensibel. Er gehört zu der Sorte Menschen, die nie wirklich zufrieden mit ihren Leistungen sind und immer denken, dass sie besser werden müssen.“

Erik stellt noch weitere Fragen, während ich die Antworten in Kurzform notiere. Als es endlich geschafft ist, lege ich Dragi das Protokoll vor. Nervös warte ich darauf, dass er die Korrektheit der Angaben bestätigt. Falls mir ein Fehler unterlaufen ist, wird er es mir sicherlich unter die Nase reiben. Als er seine Unterschrift darunter setzt, atme ich erleichtert auf.

„Bitte halten Sie sich zu unserer Verfügung. Wir teilen Ihnen zeitnah mit, wann Sie zur kriminaldienstlichen Erfassung kommen sollen“, sagt mein Kollege und beendet damit die Vernehmung.

Der Sicherheitschef nickt. „Natürlich. Jetzt würde ich gern wieder an die Arbeit gehen, wenn Sie nichts dagegen haben? Die Tagschicht wird sich nicht bedanken, wenn hier Chaos herrscht.“

„Vielen Dank für den Kaffee. Was schulde ich Ihnen dafür?“, frage ich.

„Der geht aufs Haus.“ Als Dragi mich mustert, kribbelt es in meinem Bauch. „Melden Sie sich einfach, wenn Sie noch etwas wissen wollen. Wir möchten alle, dass der Tod von Frau Sommer schnell aufgeklärt wird.“

Er führt uns zurück zum Saal, wo wir uns verabschieden. Erik und ich haben allerdings keine Zeit für eine Verschnaufpause. Unsere Kollegen waren schon fleißig, trotzdem haben wir noch einige Befragungen vor uns.

Erst nach Mitternacht sind alle Personalien aufgenommen und alle Anwesenden befragt worden. Wir geben Beweismittel und Protokolle auf dem Revier ab und dann heißt es endlich: Feierabend.

Erschöpft schließe ich die Wohnungstür auf und lasse im Flur alles fallen. Morgen früh werde ich deswegen wahrscheinlich fluchen, aber ich bin die Einzige, die darüber stolpern könnte. Ich schleppe mich ins Bad und erledige das Nötigste. Auf dem Weg zum Bett schäle ich mich aus den Klamotten und stoße prompt mit meinem kleinen Zeh gegen den Bettpfosten.

„Aua“, grummle ich und falle nur mit Slip und Top bekleidet in die Kissen. Vorsichtig taste ich meinen linken Fuß ab. Es wäre blöd, wenn ich mir den Zeh gebrochen hätte. Doch zum Glück scheint er nur geprellt zu sein.

Obwohl ich müde bin, liege ich wach. Bis jetzt gibt es bei unserer toten Vampirbraut keine eindeutigen Hinweise auf ein Gewaltverbrechen. Wenn dieser dämliche Biss am Hals nicht wäre, würde mich diese Sache weniger aufwühlen. Ich hab weiß Gott schon schlimmere Fälle gehabt. Aber irgendwas ist nicht ganz koscher. Bei der Befragung hat dieser Adrian sofort zugegeben, dass er das Opfer gebissen hat. ‚Es gehörte schließlich zum Programm und wurde gewünscht.‘ Auf Eriks Nachfrage, warum der Abdruck so eigenartig aussah, zeigte der Host einfach seine Zähne. Ich weiß nicht, weshalb mich dieser Anblick so beunruhigt. Es gibt wirklich Schlimmeres als künstlich verlängerte Eckzähne. Doch aus irgendeinem Grund lassen sie mir keine Ruhe. Sie wirkten so echt  ...

Energisch schüttle ich den Kopf und muss über mich selbst lachen. Vampire gibt es nicht. Die Brüste mancher Damen wirken auf den ersten Blick ebenfalls echt.

Der Vampirdarsteller nimmt seine Rolle offenbar sehr ernst. Das wiederum scheint den Kundinnen zu gefallen, denn seine Dienste werden laut Frau Krüger regelmäßig in Anspruch genommen. Da diese alles andere als günstig sind, muss er einfach gut sein. Es fällt mir schwer zu verstehen, wie eine Frau sich dazu entschließen kann, sich Sex und Zuneigung zu erkaufen. Nur knapp die Hälfte der Kundinnen sind reiche Witwen oder gelangweilte Ehefrauen mit der goldenen Kreditkarte ihres Gatten. Der Rest sind junge Frauen, teils extrem erfolgreich und damit entsprechend zahlungskräftig, aber auch ‚normale’ Angestellte, die ihr Erspartes zusammenkratzen, um für ein paar Tage eine Prinzessin oder eben eine Vampirbraut zu sein. Die Herren, die diese Dienste anbieten, dürften vielen Frauen feuchte Träume bescheren. Nur das Feinste vom Feinsten. Das ist das Motto dieses ‚Wellness-Hotels‘. Bei den Kundinnen kommt das sehr gut an, wie wir während der Befragungen feststellen konnten. In unserer heutigen schnelllebigen Zeit können es sich die Wenigsten leisten, Zeit für Liebschaften oder eine richtige Beziehung zu verschwenden. Frau Krüger, die Geschäftsführerin, war schlau genug, das zu erkennen und richtig umzusetzen. Bei einer heißen Nacht mit einem der Hosts dürfte Frau immerhin auf ihre Kosten kommen. Wenn ich an die ganzen Nieten denke, die ich schon hatte, könnte ich ein bisschen neidisch werden.

Im Schein meiner Nachttischlampe blicke ich mich in meinem Schlafzimmer um. Viel gibt es nicht zu sehen: Ein Kleiderschrank, eine Kommode, mein Herrendiener, auf den ich meine Kleidung mal wieder nur drauf geworfen habe, und das Bett, in dem ich liege. Dank eines bekannten schwedischen Möbelherstellers passt alles halbwegs zusammen und war trotzdem bezahlbar.

Unruhig wälze ich mich im Bett hin und her. Meistens macht es mir nichts aus, alleine zu sein. Meine Eltern haben mich zu einer selbstbewussten Frau erzogen. Doch manchmal ... Manchmal beneide ich meine Freundinnen mit ihren Halbtagsjobs und ihren netten Männern. Ich komme in ein Alter, in dem der komplette Bekanntenkreis plötzlich Kinder bekommt und heiratet. Schrecklich! Ich darf mir regelmäßig anhören, wer jetzt schon wieder ein schreiendes Würmchen in diese gemeine Welt gepresst hat. Meine Mutter ist immer auf dem neuesten Stand und wird nicht müde, mir davon zu berichten. Sie erspart mir diese nervigen Nachfragen, wann ich denn endlich zur Vernunft komme und eine Familie gründe - noch. Das verräterische Funkeln in ihren Augen ist deutlich genug. Ich bin gerade mal achtundzwanzig und habe mir meine derzeitige Stellung hart erarbeitet. Wenn ich jetzt wegen einer Schwangerschaft ausfalle, dann war’s das mit der Karriere. Zumal ich dafür noch das männliche Gegenstück brauche und für Dates fehlt mir die Zeit. Selbst wenn ich sie hätte, würde es ewig dauern, bis ich einen Mann fände, der mit mir und meinem Beruf leben kann. Da gewinne ich eher im Lotto. Die Scheidungsrate bei der Polizei liegt jenseits von Gut und Böse. Ich habe keinen einzigen Kollegen, dessen Ehe - sofern er überhaupt verheiratet war - den anstrengenden Alltag überstanden hat. Bei der Kriminaltechnik sieht es besser aus, doch das ist die falsche Abteilung.

„Verdammt noch mal! Warum denke ich überhaupt darüber nach? Ich bin zufrieden mit meinem Leben“, schimpfe ich mit mir.

Nur nicht glücklich, flüstert eine fiese kleine Stimme in meinem Kopf. Ich drücke mir das Kissen gegen die Ohren, obwohl ich weiß, dass es nichts bringt. Wenn es den Kundinnen des Literary Passion so geht wie mir, dann verstehe ich langsam, warum sie das Komplettpaket buchen. Wenn ich meinen Stolz und die Finanzen ignoriere, dann hat das Konzept durchaus seinen Reiz. Urlaub braucht jeder mal ... Ich stöhne verzweifelt, als vor meinem geistigen Auge das Bild des mysteriösen Sicherheitschefs auftaucht.

„Bitte nicht! Derartige Verstrickungen kann ich wirklich nicht gebrauchen.“ Außerdem haben wir ihn noch nicht aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen. Er wusste, wo sich das Opfer befand, und hatte den Generalschlüssel. Vielleicht hat er sich ja in Frau Sommer verliebt und konnte es nicht ertragen, dass sie mit einem anderen Mann schläft. Warum mir dieser Gedanke nicht behagt, hinterfrage ich lieber nicht. Außerdem enden solche Beziehungsdramen meistens blutig und dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Auch wenn die Umstände merkwürdig sind, es könnte genauso gut ein Unfall oder ein natürlicher Tod gewesen sein. Morgen früh wird die Rechtsmedizin sich die Leiche ansehen, danach wissen wir mehr.

Ich schalte das Licht aus und versuche endlich zu schlafen. Langsam drifte ich in einen unruhigen Schlaf, nur um kurze Zeit später daraus hochzuschrecken.


Kapitel

Eine dunkle Gestalt schleicht sich in mein Schlafzimmer. Es ist zu finster, um etwas zu sehen, aber ich spüre die Präsenz einer anderen Person. Gespannt halte ich den Atem an und frage mich, wie sie in meine Wohnung gekommen ist. Noch wichtiger ist allerdings, warum sich jemand unberechtigten Zugang verschafft hat. Zielstrebig steuert der Eindringling das Bett an. Scheiße! Will er sich an mir vergehen oder mich umbringen? Mit diesem Gedanken fällt es schwer, Ruhe zu bewahren. Obwohl mir das Herz bis zum Hals schlägt, rühre ich mich nicht vom Fleck. Ich habe keine Waffen in Reichweite, also hoffe ich darauf, dass ich ihn überrumpeln kann. Der Einbrecher macht keinen Mucks. Keine Schritte, kein lautes Luftholen - nichts ist zu hören. Er stolpert nicht einmal über die ganzen Sachen, die auf dem Fußboden liegen.

Beinahe glaube ich, dass ich mir alles nur einbilde, doch plötzlich steht er direkt neben mir. Unter der Decke balle ich die Hände zu Fäusten und mache mich bereit, sofort zuzuschlagen, wenn er mich anrührt. Tatsächlich beugt sich der Eindringling zu mir herunter. Zumindest streckt er die Hand aus und streicht durch mein Haar. Diese Geste überrascht mich. Als seine Finger weiter wandern, mache ich mich bereit. Auch wenn seine Berührungen angenehm sind, will ich mich nicht von einem Fremden antatschen lassen. Auf einmal umfasst er meinen Nacken.

„Das würde ich an Ihrer Stelle unterlassen, Magdalena. Ich weiß, dass Sie wach sind.“

Dragi! Diese tiefe Stimme würde ich überall wiedererkennen.

„Was wollen Sie von mir?“

„Vorerst nur reden. Danach? Wer weiß ...“ Er liebkost meinen Nacken. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Noch mag die Berührung sanft sein, doch ich spüre die Kraft, die er zurückhält. Verdammt! Ich muss mich aus dieser Lage befreien.

In einer Kurzschlussreaktion ziehe ich meinen Arm unter der Decke hervor, um ihm eins auf die Nase zu geben. Blitzschnell hat er ihn gepackt.

„Tss. Mir hätte klar sein sollen, dass Sie unvernünftig sind.“ Er klingt belustigt. „Dann eben auf die harte Tour.“

Ich wehre mich gegen seinen festen Griff und versuche, Dragi einen Tritt zu versetzen. Leider ist meine Bettdecke im Weg. Bevor ich weiß, was mit mir geschieht, liege ich schon auf dem Bauch und Dragi kniet über mir. Ich bäume mich auf, doch er packt einfach meinen anderen Arm und fixiert beide auf meinem Rücken. Ich fühle, wie etwas Hartes um meine Handgelenke gelegt wird, und vernehme ein leises Rattern. Verdammt, Kabelbinder!

„Hören Sie auf, sich zu wehren, Magdalena. Sie verletzen sich nur selbst.“

Obwohl mir die Fesseln jetzt schon in die Haut schneiden, gebe ich meinen Widerstand nicht auf. „Sie glauben nicht ernsthaft, dass ich tatenlos zusehe, wenn Sie mich vergewaltigen und umbringen, oder?“

Der Sicherheitschef dieses merkwürdigen Puffs hat eindeutig einen an der Waffel. Seine Reaktion auf meine Anschuldigungen besteht darin, zu lachen.

„Sie haben eine blühende Fantasie.“ Er packt mich und zieht mich auf die Knie, was dazu führt, dass ich mit dem Rücken halb an ihm lehne. Dragi beugt sich zu mir, sodass ich seinen warmen Atem im Nacken spüre.

„Wenn ich etwas davon im Sinn gehabt hätte, würden wir dieses Gespräch nicht führen. Sie haben es so gewollt. Wären Sie brav liegen geblieben, müssten Sie jetzt nicht leiden. Ich möchte nur mit Ihnen reden.“

„Klar, deswegen brechen Sie mitten in der Nacht in meine Wohnung ein“, schnaube ich. „Noch nie etwas vom Telefon gehört?“

„Derartige Dinge kläre ich lieber persönlich.“ Seine Finger fahren über meinen Arm. „Diese Vorgehensweise hat diverse Vorteile …“

Ich verfluche den Umstand, dass ich nur Top und Höschen zum Schlafen angezogen habe. Die viele nackte Haut lässt ihm eine Vielzahl an Möglichkeiten, mich zu betatschen. Außerdem spüre ich ohne schützende Stoffbarriere seinen kräftigen Körper noch deutlicher an meiner Rückseite. Leider sind sich Verstand und Libido uneins und streiten sich darüber, ob ich Dragi anziehend oder abstoßend finden soll.

„Nehmen Sie Ihre dreckigen Pfoten von mir!“

„Wenn Sie das wünschen.“ Ich spüre, wie er mit den Schultern zuckt. Endlich entfernt er seine Hand und rückt ein Stück weg. Sofort fällt mir das Denken leichter.

„Natürlich will ich das“, gifte ich zurück.

„Wirklich?“ Er klingt amüsiert. „Ich hatte den Eindruck, dass Sie meine Berührung durchaus genießen.“

„Sie empfinden es ja auch als normal, bei fremden Leuten einzubrechen, um mit ihnen zu reden.“

„Ungewöhnliche Vorkommnisse erfordern halt besondere Maßnahmen. Wenn Sie Ihre Stupsnase nicht in meine Angelegenheiten stecken würden, hätte ich ein Problem weniger. Sie können froh sein, dass ich hier bin. Mit den Herren, die für derartige Fälle zuständig sind, ist nicht gut Kirschen essen.“

Gehört er zur Mafia oder einer anderen kriminellen Organisation? „Natürlich“, kommentiere ich trocken. „Was bin ich doch für ein Glückskind.“

Dragi lacht leise. „Sie haben Mumm. Das muss ich Ihnen lassen, Magdalena.“

Bei diesem verdrehten Kompliment macht mein dummes Herz einen Satz. Irgendwie mag ich die Art und Weise, wie er meinen Namen ausspricht.

„Könnten Sie vielleicht das Licht anschalten? Ich bin es leid, mich mit jemandem zu unterhalten, den ich nicht sehen kann.“

„Da Sie im Moment sowieso auf eine Wand schauen, macht es keinen Unterschied. Visuelle Eindrücke prägen sich fester ins Gedächtnis ein – was einen Mehraufwand für mich bedeuten würde.“

Ich verdrehe die Augen und rutsche auf meinen Knien hin und her. Langsam beginnen meine Füße zu kribbeln. „Sie hätten auch einfach ‚nein’ sagen können.“

Ich verlagere mein Gewicht auf die linke Seite, damit ich von der knienden in eine sitzende Position wechseln kann. Weit komme ich nicht, denn sofort hält er mich fest.

„Was für Dummheiten planen Sie jetzt wieder?“

„Ich würde gern meine Beine behalten. Wenn die Blutzufuhr zu lange unterbrochen ist, fallen sie irgendwann ab.“

„Sie übertreiben gern, oder?“ Dann packt er mich an den Hüften. „Schön die Füße stillhalten, sonst setze ich mich auf Sie drauf.“

Ich füge mich unwillig. Mit eingeschlafenen Füßen hätte ich ohnehin keine Chance. So wie der Kerl gepolt ist, würde es ihm sicherlich gefallen, wenn ich mich wehre. Erstaunlich sanft hebt er mich hoch und hilft mir, eine bequemere Position zu finden. Als seine Hände über meine Waden streichen, schrillen meine Alarmglocken.

„Finger weg!“

Aber er denkt natürlich nicht daran. „Ich überprüfe nur, ob die Durchblutung wieder normal ist. Sie hatten doch Angst, dass Ihre Beine abfallen.“

„Sie Mistkerl!“, fluche ich und ärgere mich über meine unbedachte Äußerung. Dragi lacht nur. Zielsicher steuern seine Hände die Bereiche an, die unangenehm prickeln und kneten sie leicht. Tatsächlich hilft es. So schlecht fühlt es sich gar nicht an.

„Besser?“

Ich blicke zu der schattenhaften Gestalt. Gerade verfluche ich die Tatsache, dass ich den Raum zum Schlafen komplett abdunkle. Wie soll ich meinen Gegner treffen, wenn ich ihn nicht sehen kann?

„Noch nie etwas von Schattenboxen gehört?“ Sein belustigter Kommentar lässt mich zusammenzucken. Woher kennt er meine Gedanken? Und wie kann er sich in dieser Finsternis derart gut zurechtfinden? Erst jetzt wird mir bewusst, dass er im Gegensatz zu mir präzise und sichere Bewegungen ausführt.

„Haben Sie ein Nachtsichtgerät?“

„Nicht direkt.“

Aha, tolle Antwort.

„Im Gedankenerraten sind Sie auch sehr gut“, rede ich weiter.

Plötzlich umfasst er mein Kinn. „Da irren Sie sich. Ich muss nicht raten.“

Ich spüre seinen warmen Atem auf meiner Wange. Dragis Nähe löst seltsame Gefühle in mir aus. Mein Kopf muss kaputt und mein Körper definitiv untervögelt sein, denn ich will, dass Dragi mich küsst.

„Wenn ich Ihnen gebe, wonach es Sie verlangt, hören Sie mir dann zu, ohne einen weiteren Angriff zu wagen?“

Bei seinen Worten versteife ich mich. Langsam wird es unheimlich. „Was ich will, ist, nicht mitten in der Nacht von Fremden überrascht zu werden. Wenn ich meine Arme frei bewegen könnte, wäre das auch nett.“ Bevor ich den Gedanken mit dem Kuss ausspreche, beiße ich mir lieber die Zunge ab.

„Das würde ich Ihnen nicht empfehlen. Sowas gibt eine ziemliche Sauerei und mit Ihren frechen Sprüchen wäre es dann ebenfalls vorbei.“

„Hören Sie auf damit!“

„Womit?“ Er klingt amüsiert.

„Auf meine Gedanken zu antworten.“

„Wieso? Ich finde es sehr unterhaltsam.“ Dragi kommt näher. „Zufällig bin ich Ihrem Vorschlag nicht abgeneigt.“

Mein Herz rast und mein Bauch hüpft. Warum zum Teufel muss dieser Mann so anziehend sein? Obwohl ich mich nach diesem Kuss sehne, lehne ich mich von ihm weg. „Ich flirte nicht mit Einbrechern.“

„Und ich musste noch nie eine Frau fesseln, um ihr einen Kuss zu stehlen. Es gibt für alles ein erstes Mal.“ Bevor ich etwas erwidern kann, umfasst er mein Gesicht und presst seinen Mund auf meinen. Augenblicklich versteife ich mich, doch seine Lippen sind geschickt. Es dauert nur ein paar Herzschläge, bis ich seiner Verführung erliege. Also küssen kann er. Mir entweicht ein Seufzer. Das nutzt Dragi aus und erobert meinen Mund. Sein Geschmack ist umwerfend und enthält einen Hauch Minze. Wir fechten ein kleines Duell aus und dann starte ich den Gegenangriff. Reflexartig will ich meine Arme um seinen Hals legen und ihn zu mir ziehen, doch das verhindert die Fessel. Das reißt mich aus dem Nebel der Leidenschaft.

Was zur Hölle mache ich hier?! Ich zucke zurück und drehe mein Gesicht weg. Ein dunkles Knurren dringt aus seiner Kehle.

„Du spielst ein gefährliches Spiel.“

Ich öffne den Mund, um ihm einen passenden Kommentar an den Kopf zu werfen, aber stattdessen entkommt mir ein Stöhnen. Dragi hat seine Aufmerksamkeit auf meinen Hals verlagert und verteilt Küsse darauf. Mit den Zähnen schabt er über die empfindliche Haut und beschert mir eine wohlige Gänsehaut. Erst als er den Druck verstärkt, fällt mir auf, dass seine Zähne deutlich spitzer als die eines normalen Menschen sind. Allerdings ist es da bereits zu spät. Ein stechender Schmerz lässt mich zusammenzucken. So schnell, wie er kam, ebbt er ab und wird von einer Erregung ersetzt, die alles mir Bekannte in den Schatten stellt. Ich spüre, dass Dragi an meinem Hals saugt, doch dann werde ich von der Leidenschaft übermannt.

Mein Gehirn nimmt seine Arbeit erst wieder auf, als meine Handfesseln durchtrennt werden. Sanft fährt Dragi über die schmerzenden Stellen.

„Was … Was war das?“, murmle ich noch ganz benebelt.

„Ein Kontrollverlust meinerseits.“

Plötzlich verstehe ich, was gerade passiert ist. „Du hast mich gebissen!“ Mein Puls rast. „Und mein Blut getrunken“, flüstere ich. Panik breitet sich in mir aus und treibt mich zur Flucht. Doch ich habe keine Chance. Dragis Griff um meine Handgelenke verstärkt sich.

„Beruhige dich.“

Ungläubig drehe ich mich in die Richtung, in der ich den Eindringling vermute. „Du überfällst mich, fesselst mich, trinkst mein Blut - und ich soll ruhig bleiben?!“

„Wenn du nicht ohnmächtig werden willst, schon.“

„Ich werde nicht ohnmächtig“, erwidere ich trotzig und recke mein Kinn in die Höhe. „Lass mich los!“

„Bestimmt nicht. Du willst nur weglaufen. Das kannst du dir sparen. Ich würde dich schnell einfangen.“

Irgendwie glaube ich ihm und das trägt nicht dazu bei, meine Angst unter Kontrolle zu bekommen. „Was willst du von mir? Mich aussaugen?“

Dragi lacht leise. „Wie ich schon mehrfach sagte: reden. Der kleine Snack war nicht geplant und die Fesseln sind deine eigene Schuld.“

Ich schnaube. „Du wiederholst dich und ich will kein Snack sein.“

„Du lässt mich ja auch nicht zu Wort kommen. Ob du zum Häppchen wirst oder nicht, liegt außerhalb deiner Entscheidungsgewalt. Ich muss allerdings zugeben, dass du köstlich schmeckst.“

Seine Worte verursachen mir eine Gänsehaut. Ich weiß nicht, was ich von dieser Aussage halten soll. Schließlich bin ich keine Tafel Schokolade, sondern ein lebendiger Mensch. „Ich entscheide darüber, wer mir zu nahe kommt und wer nicht“, fauche ich.

„Ich kann dir gern das Gegenteil beweisen.“

Unverhofft lässt er meine Hände los. Die Chance will ich nutzen und von ihm abrücken – doch ich kann nicht. So sehr ich mich auch anstrenge, ich kann keinen Finger rühren. Furcht nagt an mir. Ich hasse es, hilflos zu sein.

„Was ist hier los? Hast du mir irgendwelche Drogen gegeben, die mich lähmen und halluzinieren lassen?“

„Nein.“

Überrumpelt muss ich miterleben, wie ich mich gegen meinen Willen aufrichte und rittlings auf seinen Schoß setze. Ich beginne, am ganzen Körper zu zittern. Mein Slip bietet keinerlei Schutz. Durch meine Position weiß ich unwillentlich, wie gut Dragi bestückt ist.

„Bitte, hör auf damit“, flehe ich.

„Glaubst du mir nun, dass ich mit dir tun und lassen kann, was ich will?“ Er streichelt meine Wange. „Ich bin hier, um dich zu warnen. Lass die Toten ruhen und steck deine Nase nicht in Angelegenheiten, die dich nichts angehen. Ihr Menschen seid uns nicht gewachsen.“

Meine Erleichterung ist grenzenlos, als sich mein Körper von seinem Schoß erhebt und neben ihm Platz nimmt. Dragi wickelt die Bettdecke um meinen bebenden Leib.

„Haben wir uns verstanden, Magdalena?“ Seine Hand hebt mein Kinn an. Selbst in dieser Dunkelheit spüre ich seinen brennenden Blick auf meiner Haut.

„Ja“, flüstere ich.

„Gut. Es wäre bedauerlich, wenn dir etwas zustieße. Ich mag dich.“

Mit diesen Worten entlässt er mich aus seinem Bann. Ich rolle mich zusammen und versuche, das alles zu verstehen.

„Was bist du?“

„Das weißt du. Dein Verstand weigert sich nur, diesen Fakt zu akzeptieren. In deiner heilen, geordneten Welt ist kein Platz für Wesen wie mich.“

Ich denke über das nach, was zwischen uns vorgefallen ist. Besonders eine Sache lässt keinen anderen Schluss zu: „Du bist ein Vampir.“

„Ja“, antwortet er ruhig und macht es sich auf dem Bett bequem.

„Adrian Winter ebenfalls?“, frage ich.

Dragi schnaubt. „Leider. Dieser Dummkopf schafft es immer wieder, sich in Schwierigkeiten zu bringen.“

Ich zähle eins und eins zusammen. „Du willst, dass ich die Ermittlungen zum Tod von Maria Sommer einstelle.“

„Was ich will, spielt eine untergeordnete Rolle. Das Verfahren wird ohnehin bald eingestellt. Maria Sommer starb, weil ihr Herz die Aufregung nicht vertragen hat.“

Skeptisch blicke ich in die Richtung, in der ich Dragi vermute. „Woher willst du das wissen? Noch wurde der Leichnam nicht obduziert.“

Als er sich zu mir herunterbeugt, kauere ich mich zusammen. Der Schock über seine Fähigkeiten sitzt tief. Doch er streichelt nur meine Wange.

„So wie ich deine Gedanken lesen und manipulieren kann, ist es mir möglich, den Gesundheitszustand von Menschen zu analysieren.“ Sein Finger wandert weiter, meinen Hals hinunter bis zum Träger meines Tops. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Dieser Mann ist gleichzeitig furchterregend und faszinierend.

„Ich spüre ganz genau, dass sich deine Angst mit deiner Neugierde um die Vorherrschaft streitet. Puls und Blutdruck sind erhöht, wie auch dein Adrenalinspiegel. Dein linker kleiner Zeh pocht, weil du ihn dir vorhin irgendwo angestoßen hast.“

Ich bin sprachlos. Er hat mit allem recht. Ich weiß nur nicht, wie er das alles wissen kann.

„Ich fühle es. Menschen sind meine Beute. Da es uns verboten ist, euch Schaden zuzufügen, müssen wir die Vitalfunktionen unserer Spender immer im Auge behalten.“

Automatisch versteife ich mich. Wer will schon hören, dass er die Leibspeise eines Vampirs ist?

Dragi lacht leise. „Komm schon. So schlimm fandst du es nicht, gebissen zu werden. Außerdem bekommen unsere Spender nie mit, dass wir sie beißen. Wenn wir essen wollen, versetzen wir die Person in eine Art Trance. Wir ziehen sie in unseren Bann, trinken, versiegeln die Wunde, löschen ihre Erinnerung an uns und schicken sie ihres Weges.“

„Warum kann ich mich dann daran erinnern?“, erkundige ich mich und runzle die Stirn.

Er seufzt. „Weil ich dich nicht in meinen Bann gezogen habe. Es war nicht geplant, dass ich von dir nasche.“

„Warum hast du es dann gemacht?“

„Ich hatte Hunger und dein Geruch ist verführerisch. Du hast vom ersten Moment an mein Interesse geweckt.“

Ein Schauer geht durch meinen Körper, ob vor Angst oder Faszination kann ich nicht sagen. „Was passiert jetzt mit mir? Nimmst du mir die Erinnerung?“

Einen Moment lang ist es ruhig, dann stößt er hörbar die Luft aus. „Ich sollte es. Ihr Menschen dürft nicht wissen, dass es uns gibt.“

Glücklich klingt er nicht. „Aber?“

„Es gibt kein ‚aber’.“

„Doch“, widerspreche ich. „Ich will außerdem nicht, dass du in meinen Erinnerungen herumpfuschst.“

„Wir bekommen nicht immer alles, was wir wollen.“ Mit diesen Worten beugt er sich zu mir. Ich fühle seine Nähe, die Wärme, die er ausstrahlt, und verfluche den Umstand, dass ich ihn nicht sehen kann. Als seine Lippen meine berühren, schrecke ich überrascht zusammen. Kurz erwäge ich, ihn von mir zu stoßen, doch dann siegen meine Neugier und dieses seltsame Verlangen nach diesem Mann. Stattdessen nutze ich meine wiedergewonnene Freiheit und taste nach ihm. Ich finde seine Schulter und arbeite mich zu seinem Kopf vor. Meine Finger wühlen sich in sein dichtes Haar und ziehen ihn näher zu mir. Ich spüre sein Lächeln an meinem Mund. Nur leider endet der Kuss viel zu früh. Unwillig lasse ich Dragi gehen und schimpfe mich im nächsten Augenblick eine Idiotin. Auch wenn er gut küsst, dieser Mann ist in meine Wohnung eingebrochen und hat mich bedroht.

„Du solltest jetzt schlafen. Pass gut auf dich auf, Magdalena“, sagt Dragi und legt seine Hand auf meine Stirn. Sofort werde ich müde, obwohl ich gerade noch hellwach war. Verbissen wehre ich mich gegen den Schlaf, doch diesen Kampf verliere ich.


Kapitel (Marco)

Bedauernd erhebe ich mich von ihrem Bett. Ich weiß nicht, was mich geritten hat. Eigentlich wollte ich nur schnell dafür sorgen, dass die Kommissarin ihr Misstrauen Adrian und mir gegenüber ablegt. Stattdessen bedrohe, fessle und küsse ich dieses aufmüpfige Frauenzimmer auch noch. Ich könnte mich selbst dafür ohrfeigen, weil ich der Versuchung erlag, von ihr zu kosten. Mir war bei unserer ersten Begegnung schon bewusst, dass die junge Polizistin Ärger machen würde. Sie ist noch nicht so abgestumpft wie ihr älterer Kollege und scheint gute Antennen für Ungewöhnliches zu haben. Sie spürte, dass hinter der Sache mehr steckt. Dabei hat sie recht und unrecht. Maria Sommers Tod ist bedauerlich und Adrian macht sich Vorwürfe, weil er nicht bei ihr geblieben ist. Mord war es jedoch nicht und auch kein Unfall. Ich ärgere mich, dass ich Adrian nicht deutlicher auf das Risiko hingewiesen habe. Wenn er Maria nicht gebissen hätte, würde sie vielleicht noch leben. Doch das sind Spekulationen. Es ist zu spät. Nun muss ich dafür sorgen, dass dieser Vorfall schnell geklärt wird und nicht in den Medien landet. Ich kann sehr gut darauf verzichten, einem Vollstrecker Rede und Antwort stehen zu müssen. Besonders für Adrian dürfte das eine sehr unangenehme Begegnung werden. Der Vampirrat lässt uns viele Freiheiten, aber tote Menschen mit eindeutigen Spuren sind Dinge, die sie hart bestrafen. In dieser Situation kann ich es überhaupt nicht gebrauchen, dass mich eine neugierige Polizistin von meinen Aufgaben ablenkt.

Ich werfe einen Blick auf die Gestalt im Bett. Magdalenas hellbraune Haare verdecken einen Teil ihres Gesichtes. Wenn man sie so sieht, würde man nie vermuten, dass man eine Polizistin vor sich hat. Mit ihrer Stupsnase wirkt sie harmlos, aber ich habe erlebt, wie viel Sturheit und Mut in ihr stecken. Ich weiß es zu schätzen, wenn Frauen wissen, was sie wollen und sich nicht sofort ergeben. Magdalenas Körper ist auch nicht übel. Schade, dass sie ihre Rundungen versteckt, aber bei ihrem Job sollte sie wahrscheinlich nicht zu sexy sein. Auch so wird sie es schwer genug haben. Männer mögen es nicht, wenn Frauen in ihre Domäne eindringen. Wenn es dann noch so ein hübsches Exemplar ist, sind dumme Sprüche und anzügliche Bemerkungen vorprogrammiert.

Als ich bemerke, dass ich mir über die Lippen lecke und an ihr wunderbares Aroma denke, schüttle ich den Kopf. Ich sollte schleunigst verschwinden, bevor ich noch mehr Schaden anrichte. So schnell es geht, verlasse ich die Wohnung, immer darauf bedacht, so wenige Spuren wie möglich zu hinterlassen. Was gar nicht so einfach ist, weil meine unfreiwillige Gastgeberin diverse Stolperfallen verteilt hat. Ich muss schmunzeln, als ich das Chaos betrachte. So wie das aussieht, ist sie nach Hause gekommen, hat einfach alles an Ort und Stelle fallen gelassen und ist ins Bett gekrochen. Wenn ich ihre Unordnung durcheinanderbringe oder aus Versehen ihre Wohnung verwüste, wird Magdalena selbst ohne die Erinnerung an die letzte Stunde misstrauisch werden. Eine faszinierende Frau. Nur leider ist sie tabu.

Als ich eine halbe Stunde später wieder auf dem Gelände des Literary Passion ankomme, fühle ich mich seltsam aufgewühlt. Ich ramme den Schlüssel ins Schloss und stoße die Haustür ungeduldig auf. Schnell laufe ich die Treppe hinunter und renne beinahe einen ungebetenen Besucher um.

„Hey! Was ist denn mit dir los?“

Mir reißt der Geduldsfaden. Ich donnere Adrian gegen die Wand und drücke meinen Unterarm gegen seinen Kehlkopf. Das bringt ihn nicht um, aber immerhin muss ich mir für kurze Zeit sein dummes Gebrabbel nicht anhören.

„Was mit mir los ist? Ich habe keine junge Frau auf dem Gewissen. Kannst du nur einmal in deinem Leben keinen Mist bauen? Ich habe es satt, den Kopf für dich hinzuhalten oder hinter dir aufzuräumen. Diesmal wirst du die Konsequenzen deines Handelns tragen müssen.“

Als ich zurücktrete und ihn loslasse, sinkt Adrian in sich zusammen.

„Scheiße“, krächzt er und schlägt sich die Hände vors Gesicht. „Ich wollte das nicht! Als ich bemerkte, dass es Maria nicht gut geht, habe ich sofort aufgehört.“

„Du hättest dem Arzt Bescheid geben sollen! Dafür ist er schließlich da. So ein Problem lässt sich nicht mit ein bisschen Ruhe kurieren.“ Ich raufe mir die Haare. „Langsam wünsche ich mir wirklich, dass ich dich damals in Mailand besser hätte liegen lassen sollen.“

Der junge Vampir schnappt entsetzt nach Luft und sieht mich wie ein geprügelter Welpe an. „Denkst du das tatsächlich? Dann dürftest du ja froh sein, wenn die Vollstrecker mich einäschern“, sagt er mit erstickter Stimme. Mühsam rappelt er sich auf und wendet sich zum Gehen. Ich halte ihn jedoch auf, weil ich meine ungerechte Äußerung bereits bereue.

„Du weißt genau, dass ich das nie zulassen würde.“ Ich stoße geräuschvoll Luft aus. „Verdammt nochmal, Adrian. Du bist über hundert Jahre alt und benimmst dich wie ein leichtsinniges Kind. Ich werde nicht immer da sein, um dir den Arsch zu retten.“

Mein Zögling schnieft leise. „Ich weiß, Marco. Es tut mir leid.“

Ich schließe meine Wohnungstür auf und ziehe ihn mit mir. „Komm, jetzt beruhige dich erst mal. Du willst sicherlich nicht, dass dich die anderen so sehen. Heulende Männer sind nicht gerade sexy.“

Ich schleife den jüngeren Vampir zum Sofa. Wie ein Häufchen Elend hockt er dort und sieht in seiner Kostümierung lächerlich aus.

„Ich hab ‘ne Scheißangst, dass sie mich holen und mir das Licht auspusten.“

„Jetzt dramatisiere es nicht“, sage ich, während ich meine Jacke ausziehe. „Die Obduktion wird ergeben, dass Maria durch eine unerkannte Herzmuskelentzündung starb. Es ist ein tragischer Zwischenfall und kein Mord. Die Polizei wird die Ermittlungen einstellen, und bald ist Gras über die Sache gewachsen.“

Hoffnungsvoll schaut er mich an. „Meinst du wirklich? Die zwei Kommissare wirkten nicht überzeugt. Vor allem die Frau war misstrauisch und vermutete, dass du und ich etwas verbergen würden, was Marias Tod betrifft.“

„Ich habe mich um sie gekümmert. Außerdem gibt es keine Hinweise darauf, dass wir Maria schaden wollten. Die Polizei hat zu viel zu tun, um vagen Ahnungen hinterherzujagen“, antworte ich.

Adrian bekommt große Augen. „Deswegen bist du vorhin so plötzlich verschwunden.“

Ich drehe ihm den Rücken zu und zucke mit den Schultern. „Ich wollte es so schnell wie möglich erledigen.“ Innerlich kämpfe ich gegen die Erinnerungen an Magdalenas zarte Haut und ihr süßes Blut an. Ich bekomme eine Gänsehaut und spüre wieder diese seltsame Unruhe.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“

Seine Frage reißt mich aus meinen Gedanken. „Ja, alles okay. Ich werde noch eine Runde in der Schwimmhalle drehen. Du solltest jetzt etwas trinken und dann schlafen. Sonst musst du vom Vampir- zum Zombiedarsteller wechseln.“

Adrian schnaubt. „Du weißt wirklich, wie du jemanden wieder aufbaust.“ Er erhebt sich. „Danke, Marco. Ich verspreche, dass ich ab sofort noch besser aufpassen werde.“

Ich blicke ihn ernst an. „Halte dich daran. Irgendwann ist das Maß voll und dann kann selbst ich dich nicht mehr retten.“

Mein Zögling nickt und verlässt die Wohnung.

Als ich allein bin, atme ich erleichtert auf. In meinen dreihundertachtundsiebzig Jahren habe ich vieles erlebt, aber diese Nacht hatte es in sich und war verdammt anstrengend. Schnell entledige ich mich im Schlafzimmer meiner Kleidung und ziehe mir Badehose sowie Bademantel über. Normalerweise habe ich die Schwimmhalle um diese Uhrzeit für mich allein, aber man weiß ja nie. Ich begebe mich zu der unscheinbaren Tür, die zum unterirdischen Tunnelsystem führt. Zügig laufe ich den Gang entlang. Nur sehr wenige wissen, dass es diese Verbindung gibt. Für mich ist es praktisch, weil ich nicht über das offene Gelände laufen muss und trotzdem überall sein kann, wenn ich gebraucht werde. Tagsüber habe ich einen verlässlichen Stellvertreter, da ich mich außerhalb der sonnengeschützten Bereiche nicht bewegen kann.

Ich bin froh, als ich die kleine Schwimmhalle leer vorfinde. Den Bademantel lasse ich auf einen der Liegestühle fallen, dann stürze ich mich ins kühle Nass. Ich schwimme einige Runden, um herunterzukommen. Außerdem werde ich so Magdalenas Geruch los, der sich hartnäckig in meiner Nase hält. Etwas entspannter steige ich aus dem Becken, greife mir meine Sachen und eins der bereitliegenden Handtücher. Dann gehe in den Duschraum. Dieser ist ebenso großzügig und elegant eingerichtet wie die Schwimmhalle. Stilvolle Fliesen in diversen Grautönen und glänzender Edelstahl – alles ist blitzblank geschrubbt und von bester Qualität. Ich lege meine Sachen ab, stelle die Dusche auf Massage und genieße das heiße Wasser, das auf meinen Rücken prasselt. Die Hände an die Wand gestützt lasse ich meinen Kopf hängen und schließe die Augen. Die Nacht hat mich geschafft. Der Tod von Maria Sommer ist tragisch und könnte alles zerstören, was ich mir mühsam aufgebaut habe. Morgen muss ich unbedingt mit Natalie reden. Sie hat ein Händchen fürs Geschäft und wird wissen, was zu tun ist.

Angenehm durchgeknetet trockne ich mich ab und ziehe meinen Bademantel über. Ich werfe einen letzten Blick in die Schwimmhalle und kann durch die Glasfront den heller werdenden Himmel sehen. Dämmerung – höchste Zeit für mich, ins Bett zu gehen.

Hoffentlich wird die nächste Nacht ruhiger …


Kapitel (Lena)

Ein nervtötendes Piepen reißt mich aus dem Schlaf. Ich schrecke hoch und weiß für einen kurzen Moment nicht, wo ich bin. Verwirrende Traumfetzen schwirren in meinem Kopf herum. Irgendetwas mit dunklen Gestalten, Angst und heißen Küssen. Eine komische Mischung. Schnell schalte ich den Wecker stumm und lasse mich zurück in die Kissen fallen. Ein winziger Lichtstreifen erhellt den Raum. Ich brauche diese Dunkelheit zum Schlafen, doch gerade beschert sie mir eine Gänsehaut. Deshalb taste ich nach der Nachttischlampe und atme erleichtert auf, als ihr warmes Licht das Zimmer erhellt. Ich fühle mich wie gerädert, was wahrscheinlich daran liegt, dass ich wegen meines aktuellen Falls so lange wach war. Daher rühren bestimmt auch meine eigenartigen Träume. So sehr ich es auch versuche, ich kann mich nur sehr bruchstückhaft an sie erinnern. Sobald ich mich auf einen Gedankenfetzen konzentriere, entgleitet er mir. Frustriert schlage ich die Decke zurück und stehe auf.

Mein erster Weg führt ins Bad. Ich ziehe mich aus und steige unter die Dusche. Als ich beim Einseifen über mein Handgelenk fahre, fühlt es sich seltsam gereizt an. Neugierig wische ich den Schaum weg und mustere meine Haut. Es gibt nichts Ungewöhnliches zu sehen, aber in meinem Hirn löst es irgendwas aus. Doch ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Ich zucke mit den Schultern und lasse den Arm sinken. Wenn es wichtig ist, wird es mir wieder einfallen.

Frisch geduscht wickle ich mich in ein flauschiges Handtuch. Die Haare frottiere ich, bevor ich das Fenster öffne. Der feine weiße Wasserdampf zieht nach draußen und lässt kalte Luft hinein. Während ich mir die Haare föhne, gehe ich den Tagesplan durch. Gegen acht muss ich auf dem Revier sein. Wenn wir Glück haben, ruft die Rechtsmedizin vor dem Mittag an und hat den Autopsiebericht fertig. Die ersten Untersuchungen am Tatort hatten nichts Neues ergeben. Maria Sommers Körper war bis auf den merkwürdigen Knutschfleck unversehrt und ließ keine äußerliche Gewalteinwirkung erkennen.

Ich schüttle den Gedanken an die Arbeit ab. Mit Leichen, eigenartigen Menschen und jeder Menge Papierkram werde ich mich den ganzen Tag über beschäftigen müssen. Da sollte ich nicht schon vor dem Frühstück damit anfangen. Mit der Bürste entwirre ich meine halblangen hellbraunen Haare. Dabei fällt mein Blick zufällig auf meinen Hals. Es kribbelt in meinem Bauch, als ich mit den Fingern über die Haut fahre. Keine Ahnung, warum ich auf einmal so fasziniert davon bin. Alles sieht wie immer aus. Schulterzuckend wende ich mich meiner eigentlichen Aufgabe zu. Wenn ich so weitermache, bin ich mittags noch nicht fertig.

Einige Zeit später gehe ich die Berichte und unsere Aufzeichnungen zum Fall Maria Sommer durch. Adrian Winter wirkt wie ein Spinner, aber er schien ehrlich betroffen vom Tod seiner Stammkundin zu sein. Keiner der Befragten – weder Kundinnen noch Personal – hatte etwas Verdächtiges beobachtet. Frau Sommer und ihr Host verhielten sich wie immer – kein Streit, keine Eifersüchteleien. Viel Kontakt zu anderen Gästen pflegte sie nicht. Einzig Max und Moritz aus der Bibliothek bekamen sie öfter zu Gesicht und wechselten ein paar Worte mit ihr. Als ich deren Aussagen durchgehe, fällt mir ein winziges Detail auf: Max erzählte, dass das Opfer ihm gegenüber erwähnt hatte, dass sie diesmal um ihren Urlaub hatte bangen müssen. Offenbar hatte sie einige Wochen zuvor mit einer hartnäckigen Erkältung zu kämpfen gehabt. Ich tippe mit meinem Bleistift auf diese Aussage und umkreise sie. Ob Frau Sommer tatsächlich krank war, könnte ich bei ihrer Krankenkasse erfragen. Ich gehe die Daten durch und stelle dann eine entsprechende Anfrage. Mit etwas Glück beikomme ich die Auskunft noch heute und bin etwas schlauer. Als ich die Vernehmung des Sicherheitschefs lese, überfällt mich ein eigenartiges Gefühl. Mir wird heiß und kalt. Auf meinen Armen bildet sich eine Gänsehaut. Unwirsch reibe ich darüber, denn ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, warum ich so merkwürdig reagiere. Es ist ja nicht so, als hätte der Mann mich nachts heimlich überfallen. Bei diesem Gedanken befällt mich ein stechender Kopfschmerz. Verdammt! Was ist los mit mir?

„Hey, Süße. Warum ziehst du denn die Stirn so kraus? Bereitet dir der Fall Kopfzerbrechen?“, fragt eine ölige Stimme.

„Nimm deinen Hintern von meinem Schreibtisch und verzieh dich, Robert. Auf deine Gegenwart kann ich gut verzichten“, schnauze ich meinen verdammt nervigen Kollegen an. Er ist Mitte vierzig, takelt sich auf wie eine Diva und ist der Meinung, dass ihm jedes weibliche Wesen hoffnungslos verfallen ist. Robert sieht nicht schlecht aus, aber sein Charakter ist zum Kotzen. Für ihn gehören Frauen hinter den Herd und als willige Püppchen ins Bett.

„Na, na. Wer wird denn gleich so ausfallend werden?“

Statt sich zu entfernen, rückt er mir weiter auf die Pelle. Sein nikotinhaltiger Atem weht in mein Gesicht. Nebenbei riecht er nach Schweiß, was er mit Unmengen billigen Aftershaves zu überdecken versucht. Ich unterdrücke einen Würgereiz.

„Verpiss dich und belästige jemand anderen. Ich hab zu tun.“

Seine Augen verengen sich zu Schlitzen. „Du brauchst gar nicht so bieder zu tun. Du bist ein Flittchen wie alle anderen. Für wen musstest du die Beine breit machen, um an deinen Posten zu kommen?“

Ich erhebe mich von meinem Stuhl und stoße ihm mit der flachen Hand gegen den Brustkorb. Vollkommen überrascht, kann er sich gerade noch an der Schreibtischkante festhalten.

„Ich weiß, so ein Erbsenhirn wie du kann das nicht begreifen, aber Frauen können Kommissarin werden, ohne mit irgendwelchen Männern zu schlafen. Das nennt man Qualifikation und Gleichberechtigung. Jetzt verschwinde oder ich reiche Beschwerde ein.“

Robert öffnet den Mund, um mir eine weitere Beleidigung an den Kopf zu werfen, doch da betritt Erik das Büro.

„Das wirst du bereuen, Schlampe!“, zischt Robert und dampft ab.

Ich ignoriere die Blicke der anderen und lasse mich auf meinen Stuhl fallen.

„Hat er dich schon wieder belästigt?“, erkundigt mein Partner sich.

Ich stoße die Luft aus und raufe mir frustriert die Haare. „Leider. Was für ein Problem hat er denn mit mir?“

Erik mustert mich besorgt und fährt sich über den Schnauzbart. „Ich hab keine Ahnung, aber wenn das so weitergeht, solltest du ihn melden. Robert kann verdammt unangenehm werden.“

Ich ziehe die Augenbrauen in die Höhe. „Nutzt er diese Masche öfter?“

„Nicht so wie bei dir, aber man munkelt, dass er ein ‚Nein’ nicht akzeptieren kann. So mancher hier ist schon mit ihm aneinandergeraten.“

„Nur der Chef weiß von nichts, oder? Wenn ich ihn melde, werde ich von den Kollegen sicherlich als Memme und Petze abgestempelt. Darauf kann ich verzichten.“

Erik lässt sich auf einen Stuhl fallen und zuckt mit den Schultern. „Es ist deine Entscheidung. Wenn du dich dazu entschließt, stehe ich hinter dir.“

Ich lächle ihn an. „Danke! Ich bin echt froh, dass ich dich habe.“

Mein Partner streicht sein Hemd glatt, was den Ansatz eines Bäuchleins nicht zu verdecken vermag, und zwinkert mir zu. „Für einen Grünschnabel bist du auf zack und mir allemal lieber als so ein aufgeblasener Gockel wie Robert.“

„Hey, das war jetzt aber kein gutes Kompliment“, beschwere ich mich.

„Da versuche ich, dich aufzumuntern, und du machst alles kaputt.“ Erik verdreht die Augen. „Lassen wir das. Wie weit bist du mit den Berichten?“

Ich blicke auf den Papierstapel. „Na ja. Mit den Befragungen bin ich so gut wie durch. Mir ist aufgefallen, dass dieser Max aus der Bibliothek erwähnt hat, dass Frau Sommer vor ihrem Urlaub länger erkrankt war. Ich hab bei ihrer Krankenkasse um Auskunft gebeten.“

„Mhm.“ Erik reibt sich sein bärtiges Kinn. „Vielleicht war es doch das Herz.“

Ich zucke mit den Schultern. „Es ist nicht ausgeschlossen. Bisher gibt es keine Hinweise, die auf ein Gewaltverbrechen schließen lassen. Wenn der Rechtsmediziner nicht noch Drogen oder Gift findet, ist die Sache erledigt. Oder haben die Berliner Kollegen bei der Befragung ihres Bekanntenkreises etwas Gegenteiliges herausgefunden?“

Mein Partner schüttelt den Kopf. „Nein. Offenbar war sie ein Mauerblümchen. Die Kollegen in der Firma mochten sie, aber gekannt haben sie Frau Sommer nicht. Sie hatte nur sehr wenige Freunde, die meisten Internetbekanntschaften, wie es scheint. Mit den Eltern hat sie regelmäßig telefoniert. Diese wohnen außerhalb von Berlin. Bis jetzt gibt es keine Spur von einem eifersüchtigen Ex-Freund oder anderen Problemen.“

„Da wusste sicherlich niemand, dass Frau Sommer ihren hart erarbeiteten Urlaub in diesem speziellen Etablissement verbringt“, wage ich zu vermuten.

„Darauf kannst du wetten.“ Erik lässt sich mir gegenüber auf seinen Stuhl fallen. „Sicherlich ist sie im Internet auf das Literary Passion gestoßen. Im realen Leben war sie offenbar weniger kontaktfreudig. Die Kollegen in Berlin werten gerade den Laptop der Toten aus.“

Während ich noch darüber nachdenke, was Erik mir erzählt hat, klingelt das Telefon.

„Meier“, meldet Erik sich.

Gespannt richte ich mich auf.

„Das ist gut. Danke!“ Er schaut auf die Uhr. „Okay, wir sind in zwanzig Minuten da. Bis gleich.“

„Die Rechtsmedizin?“

Mein Partner nickt. „Ja, sie sind fertig.“

Ich stehe auf und greife mir meine Winterjacke, während Erik dasselbe tut. „Haben sie schon etwas gesagt?“

„Nicht wirklich. Professor Schwan macht gern eine kleine Show daraus, um zu demonstrieren, wie exzellent er ist.“

„Solange er mir nicht wieder ein Gehirn in die Hand drücken will, ist mir alles recht“, meine ich und erinnere mich schaudernd an diesen Vorfall. Der Rechtsmediziner wollte mir verdeutlichen, was ein Vorschlaghammer mit dem Kopf anstellt. Gruselig. Wenn ich das so genau hätte wissen wollen, wäre ich Medizinerin geworden.

Zwanzig Minuten später stehen wir im Vorraum des Obduktionssaals. Ich kann nicht behaupten, dass ich gern hier bin. Es sind nicht die Metalltische oder die grünlichen Fliesen. Selbst mit den Leichen kann ich leben, aber dieser Geruch … Wer einmal den Tod gerochen hat, vergisst das nicht. Obwohl Wasserleichen und alte, warm gelagerte Körper da noch ein paar andere Duftnoten aufweisen. Aber den Hauch des Todes kann kein Reinigungsmittel vollständig überdecken.

„Guten Tag, Herr Professor. Was haben Sie für uns?“, begrüßt Erik den großen hageren Rechtsmediziner.

Dieser hebt den Blick von seinen Notizen und mustert uns durch seine Nickelbrille. Obwohl der Mann bestimmt schon über sechzig ist, hat er Adleraugen. Immer, wenn er mich ansieht, habe ich das Gefühl, als würde er jeden noch so winzigen Fussel auf meiner Kleidung entdecken. Wahrscheinlich wüsste er auch sofort, woher er stammt.

„Guten Tag, Kommissarin Schwarz und Kommissar Meier.“

Professor Schwan kommt hinter seinem Schreibtisch hervor und bittet uns, ihm zu einem der Seziertische zu folgen. Wir betreten den Obduktionssaal und gehen zu einem der Tische. Schwungvoll entfernt er das Leichentuch und enthüllt die sterblichen Überreste von Maria Sommer. Eine saubere Naht zieht sich Y-förmig von den Schlüsselbeinen zum Bauch. Der dunkle Faden sticht überdeutlich auf der elfenbeinfarbenen Haut hervor.

„Das Opfer ist eine junge, weiße Frau, Ende zwanzig. Beim Auffinden zeigte der Körper eine beginnende Leichenstarre und erste Totenflecken. Keine äußerlichen Wunden, bis auf ein Hämatom an der linken Halsseite, direkt über der Arteria carotis, mit leichten Bissspuren. Es gibt keine Abwehrverletzungen und keine Anzeichen für eine Vergewaltigung. Wir haben trotzdem einen Scheidenabstrich gemacht, konnten jedoch keine Spermaspuren finden. Der Magen war so gut wie leer. Was bedeutet, dass die Person lange nichts gegessen hat. Die Befunde der meisten Organe waren unauffällig. Allerdings ergab die Blutuntersuchung, dass die Entzündungswerte der jungen Dame deutlich erhöht waren. Als ich mir das Herz ansah, war klar, warum, und die histologischen Proben bestätigten den Anfangsverdacht: Herzmuskelentzündung.“

Bei den Worten des Professors macht es Klick in meinem Kopf. Warum nur kommt es mir so vor, als hätte ich das im Zusammenhang mit Maria Sommer schon einmal gehört?

„So wie es aussieht, verstarb das Opfer an einem plötzlichen Herztod oder auch Sekundentod.“

Erik reibt sich über das Kinn. „Mhm, kommt das oft vor? Was könnte denn der Auslöser gewesen sein?“

Der Rechtsmediziner neigt den Kopf leicht zur Seite. „Das kommt darauf an, wie Sie es betrachten. Jedes Jahr trifft es etwa hunderttausend Menschen, auch viele junge Leute, wobei es öfter Männer als Frauen betrifft. Nicht immer muss dem plötzlichen Herztod ein besonderes Ereignis vorausgehen. Meistens ist er eine Folge einer unerkannten Herzmuskelentzündung, die unbehandelt zu schweren Herzschäden führen kann. Beim Sekundentod ist der oder die Betroffene innerhalb weniger Minuten tot, wenn nicht sofort Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Eigentlich eine recht angenehme Art zu sterben, vor allem wenn es während des Schlafens passiert.“

Das würde den friedlichen Ausdruck auf Maria Sommers Gesicht erklären. „Denken Sie, dass der Biss in den Hals zu diesem Herzversagen geführt haben könnte?“, erkundige ich mich.

„Möglich.“ Professor Schwan zuckt mit den Schultern. „Selbst psychische Faktoren können enorme Auswirkungen haben. Da man den betroffenen Menschen ihre Erkrankung nicht ansieht und sie selbst meist symptomfrei sind, belasten viele ihren Körper zu schnell. Das ist besonders typisch, wenn die Herzmuskelentzündung durch eine verschleppte Erkältung ausgelöst wurde. Die Krankheitserreger greifen das Herz an und schwächen es. Wenn die Leute dann Sport treiben und sich nicht schonen, kippen sie einfach um.“

„Mhm. Also wäre es möglich, dass auch ein gewisses Maß an Erregung das Herz zu sehr belastet und das Herzversagen auslöst“, vermute ich.

„Sicherlich. Der Herzschlag beschleunigt sich auch dadurch. Viele Betroffene sind schnell müde und haben weniger Appetit. Ein Engegefühl oder Schmerzen im Brustkorb verspüren die wenigsten.“

„Gibt es sonst noch ungewöhnliche Befunde?“, fragt Erik nach.

Der Rechtsmediziner schüttelt den Kopf. „Toxikologisch und pathologisch unauffällig. Wäre die Herzmuskelentzündung erkannt und therapiert worden, hätte die junge Dame sicherlich noch ein paar Jahrzehnte leben können.“

Ich werfe noch einen letzten Blick auf das Gesicht der Toten. Es ist wirklich tragisch, wenn Menschen so plötzlich aus dem Leben gerissen werden. Doch im Gegensatz zu den Leichen, die ich bisher gesehen habe, ist Maria Sommer friedlich entschlafen.

Wir bedanken uns bei Professor Schwan und fahren zurück aufs Revier.

„Also doch ein natürlicher Tod in ungewöhnlicher Umgebung. Ich bezweifle, dass Adrian Winter sie überlasten wollte. Wenn Maria Sommer ihre Erkrankung selbst nicht bemerkt hat, konnte er es nicht wissen“, überlege ich laut.

Erik nickt. „Das stimmt. Bisher gibt es auch keine Hinweise darauf, dass das Opfer Feinde gehabt hätte. Dieser Schauspieler hat vielleicht nicht alle Tassen im Schrank, aber keinen Grund, seine Stammkundin umzubringen. Es gibt kein Motiv und anscheinend auch keinen Mord.“

Ich seufze und lasse mich gegen den Autositz sinken. „Also nur noch die Analysen der letzten Proben abwarten und dann den Abschlussbericht schreiben, richtig?“

Nur ist gut. Aber wenn kein Tötungsdelikt vorliegt, ist unsere Arbeit zu Ende und der Leichnam wird freigegeben.“

„Na dann hoffen wir mal, dass wir nicht zu lange warten müssen. Die Familie wird auch froh sein, wenn der Fall abgeschlossen ist und Maria Sommer in Frieden ruhen kann.“

Zwei Tage später liegen alle Ergebnisse vor und bestätigen unsere Annahme. Im Zimmer und auf der Leiche fanden sich nur die Spuren der Personen, die ihren Angaben nach Kontakt zur Toten gehabt hatten, und noch immer ist kein Mordmotiv in Sicht.

Müde seufzend hefte ich den Abschlussbericht in die Akte und räume dann den Ordner weg. Die sterblichen Überreste von Maria Sommer wurden bereits an ihre Familie übergeben. Sie waren natürlich erleichtert, dass der Tod aufgeklärt wurde und niemand ihrer Tochter etwas Schlimmes angetan hat. So erleichtert, wie man sein kann, wenn man sein eigenes Kind beerdigen muss ... Ich schüttele den Kopf und vertreibe diese Gedanken. Wenn ich die Schicksale der Opfer und Angehörigen zu nah an mich heranlasse, kann ich den Job gleich an den Nagel hängen. Sicherlich wirken Polizisten oft teilnahmslos und kalt, aber wir müssen auch irgendwie überleben. Albträume haben wir genug.

Mitten in der Nacht schrecke ich aus dem Schlaf. Schon wieder derselbe verstörende Traum, den ich seit Beginn der Ermittlungen im Fall Maria Sommer habe, mit düsteren Gestalten, die mich überfallen und verführen. Verdammt! Kann das nicht endlich mal aufhören? Der Fall ist abgehakt und war nun wirklich nicht so schrecklich, dass er mich verfolgen sollte. Ich richte mich auf und schalte das Licht ein. Für eine Sekunde sehe ich eine schwarze Gestalt vor meinem Bett stehen. Doch als ich blinzle, ist sie verschwunden.

„Langsam werde ich verrückt“, murmle ich verdrossen. „Vielleicht war irgendwas in dem Kaffee, den mir dieser Sicherheitschef serviert hat.“ Sobald ich an Dragi denke, schrillen meine Alarmglocken. Ich versuche seit Tagen, dieses eigenartige Gefühl zu erklären oder zu verdrängen, doch es lässt mir einfach keine Ruhe. Entschlossen schwinge ich mich aus dem Bett und werfe mir meine Kleider über. Mir ist egal, dass es erst vier Uhr morgens ist. Ich will diese Sache sofort klären. Irgendeiner wird schon da sein, den ich löchern kann.

Eine halbe Stunde später parke ich mein Auto vor dem Gelände des Literary Passion. Nervös knete ich meine Hände, bevor ich meinen Mut zusammennehme und aussteige. Ich laufe zum Tor, atme einmal tief durch und drücke dann den Klingelknopf. Im dümmsten Fall wimmeln sie mich ab. Doch das werde ich nicht zulassen. Ich will endlich den Grund für diese komischen Träume wissen, und den erfahre ich nur hier.

„Guten Morgen, was führt Sie denn zu so früher Stunde zu uns?“, begrüßt mich eine tiefe Stimme.

Überrascht schaue ich auf den Berg von einem Mann, der auf der anderen Seite des schmiedeeisernen Tors steht. Das ist dann wohl der Stellvertreter, mutmaße ich.

„Guten Morgen! Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ich muss dringend mit Herrn Dragi reden.“

Die hellen Augenbrauen des Sicherheitsmannes wandern in die Höhe, während sein Blick über meine Gestalt gleitet.

„Es tut mir leid, aber Herr Dragi ist erst heute Abend wieder zu sprechen. Ich könnte ihm allerdings etwas ausrichten, wenn Sie möchten?“

Offensichtlich hält der Typ mich für eine von Dragis verflossenen Liebhaberinnen. Seufzend ziehe ich meinen Dienstausweis hervor und halte ihn dem Wachmann unter die Nase.

„Ich bin nicht zum Spaß hier. Ist Herr Dragi nun da, oder nicht?“

Das Erstaunen spiegelt sich deutlich auf dem Gesicht meines Gegenübers wieder. Er schnappt sich meinen Ausweis und entfernt sich ein paar Schritte, um zu telefonieren. Ich spitze die Ohren, damit ich trotzdem etwas erhaschen kann.

„Hi Marco, entschuldige, dass ich deinen Feierabend störe, aber eine gewisse Kriminalkommissarin Schwarz will dich sprechen.“

Kurz ist es still. Ich verschränke die Arme vor der Brust und bete innerlich, dass ich stur genug wirke, damit er mich nicht wegschickt. Wenn er seinen Chef tatsächlich wegen mir wecken musste, ist dessen Laune sicherlich blendend.

„Sie hat nicht gesagt, warum sie mit dir reden will.“ Der Wachmann mustert mich verstohlen. „Ich weiß nicht, ob ich sie loswerden kann. Deine Fähigkeiten besitze ich leider nicht.“

Shit! Wenn Dragi nicht will, muss ich den Fall vorschieben und das könnte mir großen Ärger bescheren. Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein ...

Ich höre, wie der Sicherheitsmann seufzt. Dann kommt er zum Tor zurück. Skeptisch beäugt er mich. „Sie haben großes Glück. Normalerweise müssten Sie bis zum Schichtwechsel warten.“ Mit diesen Worten öffnet er das Tor.

„Danke.“

„An Ihrer Stelle wäre ich vorsichtig. Marco ist um diese Uhrzeit ungenießbar. Er mag es nicht, nach Feierabend behelligt zu werden.“

„Danke für die Warnung. Wo finde ich Herrn Dragi?“

„Ich bringe Sie hin“, meint der Hüne kurz angebunden.

Ich seufze theatralisch. „Wenn ich den Weg hierher gefunden habe, bin ich sicherlich auch in der Lage, ihren Chef aufzuspüren.“

Der Kerl lacht. „Vielleicht, aber ins Haus kann nur ich Sie lassen.“

„Sie sichern sich wirklich sehr gut ab“, kommentiere ich trocken. Einerseits kann ich diese Maßnahmen verstehen, aber auf der anderen Seite wäre es mir lieber, wenn ich einen Moment alleine wäre, bevor ich auf Dragi treffe.

„Wir tun, was notwendig ist. Sie würden es bestimmt auch zu schätzen wissen, wenn keine fremden Leute in ihr Haus stolpern und Sex vor Ihrer Tür haben.“

Ich kann nicht verhindern, dass ich bei dieser Vorstellung rot anlaufe. „Okay. Das ist ein gutes Argument.“

Er zwinkert mir zu. „Was wollen Sie eigentlich von Marco?“

Unbehaglich zucke ich mit den Schultern. „Ich muss noch ein paar Dinge wegen des Todesfalls klären. Er ist dafür einfach der beste Ansprechpartner“, lüge ich.

Ich spüre, dass der Wachmann mir nicht glaubt, obwohl er nichts Gegenteiliges sagt. „Aha. Sicherlich wird er Ihnen weiterhelfen können.“

Das hoffe ich doch. Ich will diese Träume endlich loswerden. Bevor er weitere Fragen stellen kann, werfe ich ein: „Wie heißen Sie eigentlich?“

„Martin Groß.“

Ich betrachte die beachtliche Statur des Mannes und muss schmunzeln. „Ihrem Namen machen Sie schon mal alle Ehre. Sie sind also der Stellvertreter von Herrn Dragi.“

Herr Groß übergeht meinen Kommentar – wahrscheinlich bekommt er derartige Sprüche des Öfteren zu hören.

„Richtig. Wir sind ein gutes Team. Man sollte nur nicht den Fehler machen, Marco am Tage zu wecken, wenn es nicht sehr wichtig ist.“

Ich registriere den Wink mit dem Zaunpfahl und wappne mich innerlich für die bevorstehende Auseinandersetzung. Jetzt, da die Begegnung unmittelbar bevorsteht, bekomme ich Muffensausen. Wie soll ich mein Problem ansprechen, ohne wie eine durchgeknallte Frau mit Verfolgungswahn zu wirken? Zeit zum Überlegen bleibt mir jedoch nicht. Wir bleiben vor einem Nebengebäude stehen. Groß zieht einen dicken Schlüsselbund hervor und öffnet damit eine unscheinbare Tür.

„Bitte schön. Viel Vergnügen in der Höhle des Löwen.“

„Danke“, murmle ich. Nur den Bruchteil einer Sekunde zögere ich, dann begebe ich mich in den schwach beleuchteten Gang, der in eine abwärtsführende Treppe übergeht. Als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, zucke ich zusammen. Das Szenario erinnert stark an Horrorfilme oder Krimis, in denen das ahnungslose Opfer direkt in die Arme des Mörders läuft. Vorsichtig steige ich die Stufen hinab, die an einer geöffneten Tür enden. Ich verfluche den Umstand, dass ich meine Waffe nicht dabei habe. Auf der anderen Seite wäre es ungünstig, wenn ich aus Versehen den hochgeschätzten Sicherheitschef dieses ominösen Ladens erschieße – zumal ich hier eigentlich nichts zu suchen habe. Der Fall ist abgeschlossen.

Offenbar weiß das auch mein Gegenüber, denn der lehnt, nur mit Jeans und T-Shirt bekleidet, am Rahmen seiner Wohnungstür und schaut mich genervt an. Sein Anblick löst widersprüchliche Gefühle in mir aus. Einerseits möchte ich weglaufen, andererseits zieht er mich magisch an.

„Kommissarin Schwarz, wie komme ich zu der Ehre Ihres Besuches?“, fragt er und klingt leicht ironisch.

Dragis tiefe Stimme beschert mir eine Gänsehaut am ganzen Körper. Bruchstücke meines Traums tauchen plötzlich in meinem Kopf auf. Ich erinnere mich an eine schattenhafte Gestalt in meinem Schlafzimmer und unseren kleinen Kampf.

„Sie haben es so gewollt. Wären Sie brav liegen geblieben, müssten Sie jetzt nicht leiden. Ich wollte nur mit Ihnen reden.“

„Klar, deswegen brechen Sie mitten in der Nacht in meine Wohnung ein“, schnaube ich. „Noch nie etwas vom Telefon gehört?“

„Derartige Dinge kläre ich lieber persönlich.“ Seine Finger fahren über meinen Arm. „Diese Vorgehensweise hat diverse Vorteile …“

„Fühlen Sie sich nicht wohl, Frau Schwarz?“

Dragis Frage holt mich zurück in die Realität. „Sie … Sie sind in meine Wohnung eingebrochen …“, flüstere ich.

Der Sicherheitschef richtet sich auf und wirkt irgendwie bedrohlich. Automatisch weiche ich einen Schritt zurück.

„Warum hätte ich das tun sollen?“

Der Zorn regt sich in mir. „Woher soll ich wissen, was in Ihrem kranken Kopf vorgeht? Sie sind mitten in der Nacht bei mir eingebrochen und haben mich bedroht“, platzt es aus mir heraus.

Er zieht nur eine Augenbraue in die Höhe und mustert mich spöttisch. „Nehmen wir mal an, dass Ihre irrsinnige Behauptung der Wahrheit entspricht: Wäre es dann nicht sehr, sehr leichtsinnig, mich unbewaffnet und ohne Begleitung aufzusuchen?“

Bevor ich auch nur blinzeln kann, steht er direkt vor mir. Erschrocken stolpere ich zurück und ende mit dem Rücken an der Wand. Ich balle meine Hände zu Fäusten und versuche, die Kontrolle über diese Situation zu erlangen. Irgendwie kommt mir diese Situation seltsam vertraut vor.

„Sie können mich nicht einschüchtern“, lüge ich.

Dragi lächelt unheilvoll. „Da irren Sie sich. Ich jage Ihnen bereits Angst ein. Ihr Körper sendet deutliche Signale.“

So unauffällig wie möglich suche ich nach einem Fluchtweg. Doch es sieht schlecht aus.

„Ich hatte gehofft, dass Sie schlauer wären. Nun stehen Sie hier wie ein verängstigtes Lämmchen und warten darauf, vom großen bösen Wolf gefressen zu werden.“ Er kommt noch näher, sodass wir uns beinahe berühren. Keine Ahnung warum, doch gerade wirkt er auf mich wie ein Raubtier – und leider bin ich seine Beute.

Energisch vertreibe ich die Panik, die sich meiner bemächtigen will. Ich bin keine wehrlose Jungfrau, sondern Polizistin!


Kapitel (Marco)

Ich kann noch gar nicht fassen, dass Magdalena tatsächlich hier ist. In den vergangenen Tagen habe ich alles Mögliche versucht, um sie aus meinem Kopf zu bekommen. Ihr Erscheinen passt mir gerade gar nicht. In der letzten Nacht trieben sich in der Nähe des Hotels fremde Vampire herum. Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise meiden wir die Reviere anderer Blutsauger. Ausgerechnet jetzt steht dieses sture weibliche Wesen direkt vor meiner Tür und macht alle Anstrengungen sie zu vergessen zunichte. Ihr Geruch treibt mich in den Wahnsinn. Innerlich kämpfe ich gegen meinen dämonischen Teil, der Magdalena unbedingt besitzen will. Ich spüre ihre Angst und ihre Faszination. Offenbar hat sie wirklich einen sehr starken Geist, wenn sie sich bruchstückhaft an unsere nächtliche Begegnung erinnern kann. Unauffällig sucht Magdalena nach einem Fluchtweg, doch dafür ist es zu spät. Als sie einen Schritt Richtung Treppe macht, fange ich sie ein. Ich platziere meine Hände links und rechts neben ihr an der Wand und beuge mich zu ihr herunter.

„Na, na. Wollen Sie etwa schon gehen? Dabei sind Sie noch gar nicht richtig angekommen.“

Trotzig hebt sie ihr Kinn und versucht, ihre Furcht zu verbergen. „Ich hätte nicht herkommen sollen“, gibt sie zu.

„Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Anscheinend ignorieren Sie gern gut gemeinte Warnungen. Jetzt müssen Sie mit den Konsequenzen leben.“

Wie bei unserer letzten Begegnung zieht sie es vor, zum Angriff überzugehen. Ihre rechte Hand schnellt vor, während sie mit dem Knie auf meinen Schritt zielt. Bei einem Menschen hätte sie damit sicherlich Erfolg, doch ich bin keiner. Ich packe ihre Handgelenke und presse sie gegen die Wand. Ihre Beine fixiere ich mit meinem Körper. Das führt dazu, dass wir uns beinahe überall berühren. Ein wohliger Schauer läuft meinen Rücken hinunter. Diese widerspenstige Frau zu erobern, hat definitiv seinen Reiz.

„Entweder Sie lernen nicht aus Ihren Fehlern oder Sie legen es darauf an, in diese Situationen zu kommen. Um es mit mir aufzunehmen, müssen Sie früher aufstehen.“

Wütend funkelt sie mich mit ihren grünen Augen an. „Pfff. Als ob ich mit Ihnen auf Tuchfühlung gehen wollte.“ Sie zerrt an ihren Händen. „Lassen Sie mich gehen!“

Ich mache ein nachdenkliches Gesicht. „Mhm, ich weiß nicht so recht. Haben Sie meinen wohlverdienten Feierabend gestört, nur um einen derart dilettantischen Angriff auf mich auszuführen?“

„Nein.“

Meine linke Augenbraue wandert in die Höhe. „Was ‚nein’? Gestört und angegriffen haben Sie mich definitiv, und das noch, bevor irgendwelche Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht werden konnten.“ Ich streiche mit meinem Daumen über ihre Hand. „Warum bist du wirklich hier, Magdalena? Und komm mir nicht mit dieser schlechten Ausrede, dass du noch Fragen bezüglich Maria Sommer hast. Der Fall ist abgeschlossen und niemand weiß, dass du hier bist.“

Ich fühle, wie ihr Herzschlag sich beschleunigt. Für einen kurzen Moment kämpft sie gegen mich an. Schließlich gibt Magdalena auf.

„Ich habe seltsame Träume, die ich nicht zuordnen konnte. Als ich Ihre Stimme hörte, erinnerte ich mich plötzlich: Sie sind in meine Wohnung eingebrochen und ...“ Sie stockt.

„Und was?“, hake ich nach.

Mit großen Augen sieht sie mich an. „Es ist verwirrend. Sie haben mich bedroht und gefesselt. Ich empfinde Angst und auch wieder nicht. Doch da ist noch etwas anderes. Ich bekomme es nur nicht zu fassen.“

Diese Frau ist wirklich erstaunlich. Es ist das erste Mal, dass ein Mensch meine Manipulation durchbricht. Normalerweise sollten die Erinnerungen verschüttet bleiben, selbst wenn ich dieser Person öfter über den Weg laufe.

„Vielleicht kann ich dir behilflich sein“, biete ich an.

Sofort ist ihr Misstrauen geweckt. „Wenn Sie nicht irgendwas mit meinem Kopf angestellt hätten, gäbe es dieses Problem nicht.“

„Glaub mir, ich kann noch ganz andere Dinge mit dir anstellen.“ Ich weiß, dass es äußerst riskant ist, doch meine Neugier siegt. Ich schließe die Augen und dringe in Magdalenas Verstand ein. Dort muss ich überrascht feststellen, dass die Erinnerungen an meinen nächtlichen Besuch so gut wie freigelegt wurden. Offenbar arbeitet ihr Geist unaufhörlich daran, die Kontrolle zurückzuerlangen. Gespannt auf ihre Reaktion löse ich die letzte Blockade.

Sofort versteift Magdalena sich. Ihr Herz rast, während ihr Verstand versucht, mit den neuen Fakten klarzukommen.

„Du hast mich gebissen!“, keucht sie.

„Unter anderem“, meine ich. „Weißt du, warum man Vampire nicht wecken sollte?“

Sie schaut mich ängstlich an und schüttelt den Kopf. Ich vergrabe meine Nase in ihrer Halsbeuge und atme ihr köstliches Aroma ein. „Nach dem Aufwachen ist der Hunger am größten. Du wärst ein tolles Frühstück.“

„Was?!“ Das Entsetzen steht ihr ins Gesicht geschrieben.

Ich lache gut gelaunt. „Hat es dir etwa die Sprache verschlagen?“ Eingehend mustere ich sie und gebe sie frei. „Weglaufen ist zwecklos. Komm rein, dann kannst du deine Fragen stellen.“

Ich drehe ihr den Rücken zu und gehe in meine Wohnung zurück. Natürlich wird Magdalena die Treppe hochlaufen, doch die Tür ist verschlossen. Tagsüber muss sie extra entriegelt werden, schließlich ist das eine Vampirunterkunft. Tatsächlich höre ich ihre Schritte und dann ihr Fluchen, als sie oben ankommt.

Entspannt gehe ich in die Küche und schalte die Kaffeemaschine an. Ich selbst trinke keinen, aber ich wüsste jemanden, der eine Tasse gebrauchen könnte.

Wutschnaubend stampft meine Besucherin zur Tür herein. „Du bist verrückt. Lass mich raus!“

„Noch nicht. In deinem Zustand darfst du ohnehin nicht fahren. Am Ende baust du noch einen Unfall.“ Außerdem will ich nicht, dass sie im Dunkeln draußen herumläuft, solange fremde Vampire in der Nähe sind. Scheinbar ungerührt gebe ich einen Schluck Milch in ihren Kaffee.

„Ob ich fahrfähig bin oder nicht, entscheide ich selbst.“

Ich zucke mit den Schultern. „Du kannst weiterhin wie Rumpelstilzchen durch die Gegend toben oder erst einmal einen Kaffee trinken und die ganze Sache verarbeiten.“

„Hör auf, nett zu mir zu sein und sag endlich, was du von mir willst“, knurrt sie.

Vorsichtshalber lasse ich die Kaffeetasse hinter mir auf dem Tresen stehen, bevor ich mich zu Magdalena umdrehe. Ihr ist es zuzutrauen, dass sie mir die heiße Brühe ins Gesicht schüttet. Mit verschränkten Armen steht sie an der Küchentür und schaut mich wütend an. Ich kann jedoch auch ihre Angst riechen.

„Ich wollte eigentlich nur schlafen. Allerdings musste eine neugierige Polizistin unbedingt in mein Reich eindringen.“ Im Bruchteil einer Sekunde stehe ich vor ihr. „Jetzt, da ich wach bin, fallen mir einige Dinge ein, die ich mit dir tun könnte ...“

Sanft umfasse ich ihr Kinn und erobere ihren vorlauten Mund. Im ersten Moment versteift sie sich, doch dann spüre ich, wie ihr Widerstand erlahmt. Ich ziehe sie an mich und vertiefe den Kuss. Magdalena seufzt leise und bleibt nicht länger passiv. Ihre Hände legen sich auf meine Schultern und klammern sich haltsuchend fest. Weiche Kurven pressen sich an meinen Körper, was den Hunger nach ihr noch verstärkt. Ich will sie besitzen und von ihr trinken.

Bevor ich Dummheiten machen kann, beende ich den Kuss. Ich bin heilfroh, dass ich erst vor wenigen Stunden Blut zu mir genommen habe, sonst würde ich die junge Dame in meinen Armen auf der Stelle fressen.

„Bist du jetzt bereit, deinen Kaffee zu trinken?“, frage ich.

Der verträumte Ausdruck auf Magdalenas Gesicht berührt etwas in mir, doch schnell fasst sie sich. Sie nimmt ihre Hände weg und tritt einen Schritt zurück.

„Wenn du mich manipulieren willst ...“ Weiter kommt sie nicht, denn ich falle ihr ins Wort. Nun bin ich es, der sie wütend anblickt. „Soll ich dir noch einmal demonstrieren, wie gut ich dich kontrollieren kann? Ich dachte, dir hätte das letzte Mal ausgereicht.“

Sie zuckt zusammen und wird blass.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739419268
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Mai)
Schlagworte
Mord Liebesroman Urban Polizeiarbeit Geheimnisse Krimi Fantasy Werwölfe Vampire Erotik Cosy Crime Whodunnit Urban Fantasy

Autor

  • Vanessa Carduie (Autor:in)

Vanessa Carduie erblickte an einem grauen Herbstmorgen 1988 in Dresden das Licht der Welt. Geschichten faszinierten sie von klein auf und bald folgten die ersten eigenen Erzählungen. Ihre Geschichten sind eine Mischung aus Liebesroman, Krimi und Fantasy, je nachdem, an welchem Projekt sie gerade arbeitet.
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Titel: Literary Passion - Gefährliche Träume