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Literary Passion - Verbotene Liebe

von Vanessa Carduie (Autor:in) Yvonne Less (Illustrationen)
360 Seiten
Reihe: Literary Passion, Band 2

Zusammenfassung

Vor der Vergangenheit und seinen Gefühlen kann man nicht fliehen. Du kannst es versuchen, aber sie werden dich immer wieder einholen.

Martin Groß war einst gezwungen, sein Rudel und damit seine Familie zu verlassen, denn Werwölfe dulden keine Homosexuellen in ihren Reihen. Im „Literary Passion“, einem besonderen Etablissement für Frauen, hat er treue Freunde und ein neues Zuhause gefunden. Mit seinem Aufstieg zum stellvertretenden Sicherheitschef könnte eigentlich alles perfekt sein, doch insgeheim sehnt er sich nach Liebe. Dieser Wunsch bleibt unerfüllt, bis der Halbwerwolf Thomas Neumann auftaucht.
Aufgrund schlechter Erfahrungen kämpfen beide gegen ihre Gefühle an, aber die gegenseitige Anziehungskraft ist zu stark. Doch düstere Schatten aus der Vergangenheit bedrohen das junge Glück. Eine offen gelebte Beziehung zu einem Mann verstößt gegen die Gesetze der Werwölfe. Eine Schande, die Martins Vater als der Alpha des Ex-Rudels keinesfalls dulden kann.
Wird Martin für diese „verbotene Liebe“ kämpfen und damit sowohl sich als auch seinen Liebsten in Gefahr bringen, oder lässt er Thomas ziehen, um ihn zu schützen?

Teil 2 der "Literary Passion"-Serie. Jeder Band ist in sich abgeschlossen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel (Martin)

Mit klopfendem Herzen schalte ich den Motor aus und hole noch einmal tief Luft. Ich komme mir vor, als würde ich vor den Henker treten, dabei bin ich eigentlich nur zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Doch dieser Abend wird alles andere als angenehm werden.

Seit meinem zwanzigsten Lebensjahr ist nichts mehr, wie es früher war. Damals habe ich gewagt, mir einzugestehen, dass Frauen nicht das sind, was ich begehre, und damit die schöne Fassade zerstört, die meine Familie sich aufgebaut hatte. ‚Ein so stattlicher Wolf wie du wäre der ideale Partner für die hübsche Tochter des befreundeten Rudels. Was für süße Babys da entstehen könnten.‘ Bla, bla. Ich weiß nicht, wie oft ich mir diese Sätze schon hatte anhören müssen. Seit meiner Pubertät stand für meine Eltern fest, wie mein weiteres Leben aussehen würde. Als einziger Sohn eines Alphas war die Partnerwahl leider keine reine Herzensangelegenheit, sondern durchaus von strategischer Bedeutung. Sich durch eine Heirat mit einem anderen Rudel zu verbünden, ist nicht mehr so elementar wichtig wie früher, dennoch wird es noch heute genutzt, um die Macht des eigenen Rudels erweitern. Da ich aufgrund meines Aussehens einige Verehrerinnen hatte, gab es für meine Eltern nie Zweifel daran, dass ich mir bald eine nette Frau suchen und Kinder in die Welt setzen würde. Wahrscheinlich hätten sie mir meine Andersartigkeit verziehen, wenn ich meine Sehnsüchte weiterhin im Verborgenen gestillt hätte. Doch das konnte ich irgendwann nicht mehr. Ich war es leid, ständig mit neuen, angeblich wahnsinnig fruchtbaren Wölfinnen behelligt zu werden, mit denen ich mich bitte möglichst zügig vermählen und vermehren sollte. Ich kam immer gut mit Frauen aus, aber beim Sex stellte ich schnell fest, dass ich Männer bevorzuge. Das war keine rebellische Laune von mir, wie mein Vater gehofft hatte. Es ist Fakt und daran wird sich auch nichts ändern. Als ihnen das klar wurde, brach ihre heile Welt zusammen. Kurz nach meinem Coming-out verließ ich das Rudel. Ein harter Schritt für einen Werwolf, aber ich konnte ihre Ablehnung und Enttäuschung einfach nicht mehr ertragen. Darüber hinaus reichte es meinem Vater nicht, mich mit Verachtung zu strafen, er sorgte auch dafür, dass ich fortan von den anderen Rudelmitgliedern gemieden wurde.

Du hast ein neues Zuhause und ein wunderbares, verrücktes Rudel, das hinter dir steht, rufe ich mir in Erinnerung. Dieser Gedanke gibt mir Kraft, die bevorstehende Tortur zu ertragen. Trotz allem liebe ich meine Familie und meine Schwestern akzeptieren mich, wie ich bin. Doch das gute Verhältnis, das ich zu meinen Eltern hatte, ist Geschichte. Für meinen Vater bin ich eine Schande, eine Abnormität. Meine Mutter war anfangs geschockt und brauchte eine Weile, um den Fakt, dass ich schwul bin, zu verarbeiten, aber sie hat immer versucht, den Kontakt zu mir nie abreißen zu lassen. Wir verstehen uns gut, aber die Unbeschwertheit von früher fehlt. Meine Mutter will mich nicht verlieren und die Familie zusammenhalten. Das führt bis heute regelmäßig zu Streit zwischen meinen Eltern.

Ich atme noch einmal tief durch und steige dann aus dem Auto. Ich schaffe das und danach gehe ich Marco auf den Geist. Falls es ganz schlimm werden sollte, kann ich ihn sicherlich zu einer Runde im Trainingsraum überreden. Dabei kann ich meine Wut und meinen Frust herauslassen, ohne Angst haben zu müssen, jemanden ernsthaft zu verletzen. Das bringt mich zum Lächeln. Es hat definitiv Vorteile, mit einem Vampir befreundet zu sein.

Als ich vor der Tür meines Elternhauses stehe, straffe ich die Schultern und setze eine höfliche, aber unbeteiligte Miene auf. Dieser Besuch ist mehr Pflicht als Freude, von daher bleibe ich auf Distanz und versuche nicht anzuecken. Ich weiß jedoch, dass meine Mutter sich freut, wenn ich sie zu ihrem Geburtstag besuche. Das ist der einzige Grund, warum ich mir diesen familiären Spießrutenlauf antue. Ich verfluche das leichte Zittern meiner Hand, als ich den Klingelknopf betätige. Ruhig bleiben und lächeln. Schritte sind zu hören, dann wird die Tür aufgerissen.

„Martin, da bist du ja endlich!“, begrüßt meine Mutter mich mit einem Lächeln und scheucht mich ins Haus.

„Verzeih die Verspätung. Wir hatten noch eine wichtige Besprechung.“ Ich strecke ihr einen bunten Blumenstrauß entgegen. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“

„Danke!“ Strahlend nimmt sie ihn entgegen und umarmt mich. „Du bist immer so beschäftigt, Junge“, seufzt sie bedauernd.“

Ich genieße den kurzen Moment der Zuneigung und unterdrücke die Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Wir wissen beide, dass ich nur ihr zuliebe gekommen bin, und auch nur auf ihren Wunsch geduldet werde. Aussprechen möchten wir es allerdings nicht.

„Als stellvertretender Sicherheitschef habe ich nun einmal viel Verantwortung.“ Ich entledige mich meiner Jacke und Schuhe und genieße den kurzen Moment mit meiner Mutter.

„Bist du glücklich?“, fragt sie mich leise und schaut vorsichtig Richtung Wohnzimmer, wo der Rest der Familie versammelt ist. Ich spüre ihre Liebe zu mir, auch wenn sie einige meiner Entscheidungen nicht versteht. Es ist schließlich sehr ungewöhnlich, als Sicherheitsmann in einem Bordell für Frauen zu arbeiten und dann auch noch für einen Vampir. In der Regel mögen sich Blutsauger und Wölfe nicht. Mutter versucht es zumindest, mich zu verstehen und hat mich nicht einfach verstoßen wie Vater.

„Ja“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Ich könnte mir keinen besseren Job wünschen und das Umfeld im Literary Passion ist auch super.“

Meine Mutter schenkt mir ein trauriges Lächeln. „Das freut mich. Jetzt sollten wir aber besser zu den anderen gehen. Sie wollen dich sicherlich auch begrüßen.“

Da habe ich so meine Zweifel, denke ich und folge meiner Mutter ins Wohnzimmer. Stimmen und Kindergeschrei sind zu hören. Im Gegensatz zu mir waren meine Schwestern folgsam und haben Nachwuchs produziert. Der erste Sprössling rennt uns beinahe über den Haufen.

„Oma, Oma! Wer …“ Schlitternd kommt meine Nichte Annabell vor uns zum Stehen. Ein strahlendes Lächeln breitet sich auf ihrem engelsgleichen Gesicht aus, als sie mich entdeckt. „Onkel Martin!“

Ich beuge mich zu ihr herunter und hebe die aufgeweckte Fünfjährige hoch, die mich sehr stark an meine ältere Schwester erinnert.

„Hallo Prinzessin, wie geht es dir?“, frage ich und küsse sie auf die Wange. Sie schlingt ihre Ärmchen um meinen Hals und kuschelt sich an mich. „Gut“, murmelt sie. „Hast du gesehen? Ich bin ganz doll gewachsen.“

„Ja, das bist du. Fast schon ein Schulkind“, antworte ich und frage mich, wie die Zeit nur so schnell vergehen konnte. Es ist verlockend, mich nur mit dem Mädchen zu beschäftigen, das anderen Menschen noch offen und ohne Vorurteile begegnet. Doch ich bin kein Feigling und wende mich den anderen zu.

„Guten Abend, allerseits.“

„Hi Brüderchen“, begrüßt meine jüngste Schwester Heike mich und kommt zu mir. Sie hat ihren kleinen Sohn auf dem Arm und drückt mich an sich, so gut es mit Kindern auf beiden Seiten geht. „Schön, dich zu sehen.“

„Hi Kleine, wie geht es dir und dem Räuber?“ Spielerisch stupse ich mit dem Finger gegen Emils Nase. Der Junge kichert und versucht meine Hand zu fangen.

„Uns geht es gut.“ Heike lacht und knuddelt ihren Sohn. „Wie du siehst, entwickelt der kleine Räuber sich prächtig und sorgt dementsprechend für Trubel.“

„Das glaube ich.“

Ich mache meine Runde und gebe Annabell bei meiner anderen Schwester Luise ab, die mit den restlichen Familienmitgliedern auf dem Sofa sitzt. Einzig mein Vater thront in seinem Sessel und beobachtet mich mit finster zusammengezogenen Augenbrauen. Ihn ignoriere ich, so gut ich kann.

„Hallo Big Mama“, sage ich neckend zu Luise. „Bist du dir sicher, dass du nicht doch Zwillinge erwartest?“

Sie lacht und streichelt liebevoll über ihren Kugelbauch. „Die Ärztin ist der Meinung, dass es nur eins ist. Aber wahrscheinlich wird es so ein Brocken wie du.“

„Solange er nicht in allen Belangen nach seinem Onkel schlägt, ist alles gut“, knurrt mein Vater feindselig und zerstört damit die angenehme Stimmung. Ich verstecke meinen Schmerz und drehe mich langsam zu ihm um.

„Hallo Pa“, sage ich so freundlich wie möglich und spare mir weitere Worte.

Mein Vater sieht trotz seiner sechzig Jahre noch fit aus und ist so störrisch wie eh und je. Seine dunklen Augen mustern mich wachsam - und voller Verachtung. Rein optisch bin ich der Vorzeigesohn, den er sich immer gewünscht hat. Mit meinen eins neunzig bin ich selbst für einen Werwolf groß und deutlich muskulöser als der Durchschnitt. Der Dreitagebart, die kurzen blonden Locken und meine blauen Augen machen mich zu einem durchaus ansehnlichen Mann. Doch durch meine Homosexualität bin ich für Bert Groß kein ‚richtiger Kerl‘, wie er mir nur zu gern unter die Nase reibt. In seinen Augen bin ich ein abartiger Versager, der sich zu allem Übel auch noch Umgang mit ‚elenden Blutsaugern‘ und anderem „Dämonengesindel“ hat.

„Martin. Du hast den Weg also doch noch gefunden.“ Er klingt, als ob er diesen Fakt bedauert.

„Erstaunlich aber wahr“, kommentiere ich nur und bleibe auf Abstand. Mein Vater war noch nie wirklich gut darin, seine Zuneigung auszudrücken, doch seit ich mich geoutet habe, vermeidet er Berührungen wie die Pest. Man konnte schließlich nie wissen, was ich alles anschleppe. Zudem hat er wahrscheinlich Angst, dass seine Männlichkeit infrage gestellt werden könnte, wenn er mir zu nahe kommt. Als knallharter Alpha der alten Schule ist es in den Augen meines Vaters schon ungewöhnliche Milde, dass ich sein Haus überhaupt betreten darf. Ich bin schließlich nicht nur homosexuell, sondern arbeite auch noch für einen Vampir in einem mehr als fragwürdigen Etablissement. Tatsächlich duldet er mich heute nur meiner Mutter zuliebe - die sich für mich eingesetzt hat - und hält sich bis jetzt mit Gemeinheiten zurück. Noch bemüht er sich, ihren Geburtstag nicht zu versauen, indem er Streit mit mir anfängt. Ich bin mir jedoch sicher, dass er das nicht durchhält. Dafür ist er zu streitsüchtig und egoistisch. Mein Vater liebt es, wegen Nichtigkeiten einen Streit von Zaun zu brechen.

Bevor er mir also Beleidigungen an den Kopf werfen kann, wende ich mich ab und begrüße meine beiden Schwäger mit einem Handschlag. Mit Henry, dem Mann meiner älteren Schwester, bin ich selbst nach acht Jahren noch nicht warm geworden. Er ähnelt meinem Vater in zu vielen Punkten. Bisher hält er sich zurück, was offene Gemeinheiten angeht, und tut freundlich. Allerdings habe ich mehr als einmal ein hinterhältiges Glitzern in seinen Augen oder ein spöttisches Lächeln gesehen, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Sein Umgangston mit den Damen missfällt mir ab und an ebenfalls, was ich ihn deutlich spüren lasse. Luise scheint jedoch mit ihm glücklich zu sein, wie auch immer sie es mit ihm aushält. Heikes Partner Georg hingegen ist ein netter Kerl, wenngleich ein bisschen tapsig, was ihn meiner Ansicht nach umso liebenswerter macht. Er mag mich, tut allerdings gut daran, sich aus dem Ärger herauszuhalten. Georg ist einfach nicht der Typ, der sich gern in Konflikte stürzt. Deswegen wird er oft genug von meinem Vater und Henry belächelt. ‚Sanftmütig‘ beschreibt ihn ganz gut. Damit ist er die perfekte Ergänzung zu meiner doch eher kämpferischen jüngeren Schwester. Beide Männer sind ansehnliche Werwölfe, trotzdem wirken sie neben mir schwächlich. Zumindest äußerlich schlage ich nach meinem Vater. Zum Glück bin ich in allen anderen Dingen mehr wie meine Mutter und damit in der Lage, halbwegs offen auf andere Leute zuzugehen.

Obwohl meine Schwestern und Mutter versuchen, ein lockeres Gespräch anzustoßen, gelingt es ihnen nicht, die feindselige Stimmung zu vertreiben, die mein Vater ausstrahlt. Es ist nur allzu deutlich, dass er liebend gern auf mir herumhacken würde. Als er den Mund aufmachen will, greift meine Mutter ein. „Bert, halte dich zurück! Heute ist mein Geburtstag. Da möchte ich keinen Streit.“ Mürrisch setzt er zu einer Erwiderung an, doch der mahnende Blick meiner Mutter hält ihn davon ab. Noch. Als jemand an meinem Hosenbein zupft, blicke ich erleichtert nach unten. Flucht widerspricht meinem Naturell, doch es ist die beste Lösung, wenn ich vermeiden will, dass es zu einem Streit oder gar zu Handgreiflichkeiten kommt. Es wäre nicht das erste Mal.

„Onkel Martin, spielst du mit mir?“ Annabell schaut mich mit ihren großen Augen an. Lächelnd hocke ich mich hin. „Klar, was möchtest du denn spielen?“

„Memory!“

Ich hebe sie hoch und wende mich an meine Mutter. „Ma, hast du noch das Memory-Spiel hier?“

„Natürlich. Es ist alles in deinem ehemaligem Zimmer, wie immer.“

„Komm, Prinzessin. Dann lass uns mal schauen, wer von uns beiden das bessere Gedächtnis hat.“

Ich steige die Treppen in den ersten Stock hoch und schäkere mit Annabell. Das verdrängt auch die unschönen Gefühle, die mich begleiten. Bis vor fünfzehn Jahren war das hier mein Zuhause. Mein ehemaliges Zimmer dient nun als Spielzimmer für die Enkelkinder. Meine beiden Schwestern nutzen ihre Räume noch, wenn sie hier sind. Nach meinem Coming-out wurden meine Habseligkeiten schnellstmöglich aus dem Haus verbannt. Meiner Mutter war es zu verdanken, dass ich damals eine kurze Gnadenfrist bekommen habe und nicht direkt von meinem Vater vor die Tür gesetzt wurde. Ein Glück, dass ich nur wenig Kram hatte, der schnell gepackt war. Heike hat es mir damals ermöglicht, in ihrem WG-Zimmer unterzukommen, bis ich etwas Eigenes hatte. Eigentlich verwunderlich, dass mein Vater mich noch nicht enterbt hat. Aber vielleicht weiß ich das auch einfach nicht. Ich vertreibe diese Gedanken. Seit ich im Literary Passion arbeite, habe ich keine finanziellen Sorgen mehr. Marco bezahlt seine Angestellten sehr gut, und da ich auf dem Gelände wohne, halten sich die Kosten in Grenzen. Selbst wenn ich gar nichts bekommen würde, würde ich dort arbeiten. Im Literary Passion akzeptieren mich die Leute, wie ich bin, und das ist viel mehr wert als Geld.

Während ich mit Annabell Memory spiele, fällt es leicht, die familiären Probleme zu vergessen. Das kleine Mädchen ist zuckersüß und total vernarrt in mich. Mit ihren blonden Zöpfen und den großen blauen Augen wirkt sie wie ein Engel, hat es jedoch faustdick hinter den Ohren. Sie liegt auf dem Bauch und wackelt mit den Beinen über ihrem Po hin und her.

„Du, Onkel Martin?“

„Ja, Prinzessin?“

„Hast du eigentlich auch eine Freundin?“

Ihre Frage lässt mich erstarren. Das Kind kann nicht wissen, dass es damit einen wunden Punkt trifft. „Nein, leider nicht.“

Annabell hört auf, mit den Füßen zu wippen und sieht mich verwundert an. „Will dich etwa keine? Also ich würde dich sofort heiraten.“

Ich schenke ihr ein trauriges Lächeln. „Das ist lieb von dir, aber deine Eltern wären sicherlich nicht begeistert. Ich bin auch ein bisschen zu alt für dich.“

„So alt bist du doch gar nicht“, widerspricht sie mir und zieht eine Schnute.

„Dreißig Jahre sind ein gewaltiger Unterschied, Prinzessin.“ Ich streichle über ihr Haar. „Du hast noch ganz viel Zeit, um deinen Prinzen zu finden.“

„Und du?“

„Ich bestimmt auch“, antworte ich so zuversichtlich wie möglich. Annabell ist noch sehr jung und jetzt ist definitiv nicht der richtige Moment, um ihr zu erklären, dass ich ebenfalls auf der Suche nach einem Prinzen bin. „Weißt du, manchmal ist es nicht so einfach mit der Liebe.“

„Das finde ich unfair“, murrt sie.

„Stimmt, aber so ist das Leben. Jetzt lass uns weiterspielen. Es wird sicherlich bald Abendbrot geben.“

Glücklicherweise lässt sie sich auf meine Ablenkung ein. Ihr Vater Henry wäre sicherlich alles andere als begeistert, wenn ich seine Tochter mit meiner ‚Homosexualität besudele‘.

Wenig später geht die Tür auf und Heike tritt ein. „Hallo ihr beiden. Zeit zum Essen.“

„Ich hab aber noch gar keinen Hunger“, brummelt Annabell und schenkt ihr den schönsten Hundeblick. „Kann ich nicht mit Onkel Martin hier oben bleiben und spielen?“

Meine Schwester widersteht ihrem Betteln. „Nein, das geht leider nicht. Nur weil du keinen Hunger hast, soll dein armer Onkel doch nicht verhungern, oder?“

Mürrisch steht das Kind auf und watschelt zur Tür. Ich erhebe mich ebenfalls. Nachdem ich die ganze Zeit auf dem Boden gehockt habe, muss ich mich erst einmal strecken.

Heike nutzt die Chance, um mit mir unter vier Augen zu sprechen. „Wie geht es dir wirklich, Brüderchen?“

„Ganz gut. Du weißt, dass diese Pflichtbesuche alles andere als angenehm für mich sind. Wenn es sich nicht um Mutters Geburtstag handeln würde, hätten mich keine zehn Pferde hierher gebracht.“ Ich zucke mit den Schultern. „Davon abgesehen kann ich mich eigentlich nicht beschweren. Meine Arbeit macht Spaß und ich fühle mich im Literary Passion wohl.“

„Du fehlst im Rudel“, sagt Heike leise. „Seit du gegangen bist, ist die Stimmung merkwürdig. Vater regiert mit strenger Hand, doch er wird von Jahr zu Jahr verbitterter. Henry unterstützt ihn auch noch bei seinem harten Kurs.“

Ich drehe ihr den Rücken zu. Es ist nicht das erste Mal, dass sie mich darauf anspricht. „Du weißt so gut wie ich, dass ich nur zurückkehren könnte, wenn ich Vater ablösen würde oder mir eine Frau nähme. Am besten noch beides gleichzeitig. Doch das wird nicht geschehen. Solange er mich nicht zwingt, werde ich nicht gegen ihn kämpfen.“ Ernst sehe ich meine kleine Schwester an. „Ich habe meinen Platz gefunden. Obwohl mich der Verlust meines alten Rudels schmerzt, ist das kein Grund, mein wahres Wesen zu verleugnen und alles aufzugeben, was ich mir in den letzten fünfzehn Jahren aufgebaut habe.“

Sie kommt zu mir und umarmt mich. „Ich vermisse dich, großer Bruder.“

„Ich dich auch, Kleine. Aber du bist erwachsen und hast Mann und Kind.“ Ich drücke sie an mich. „Du weißt, dass ich immer für dich da bin, wenn du mich brauchst.“

„Und dafür bin ich sehr dankbar. Ich wünschte nur, ich könnte dir auch helfen. Gott weiß, ich habe oft genug versucht, Paps umzustimmen.“

„Wir wissen beide, dass er zu stur ist, um seine Einstellung zu ändern. Außerdem möchte ich nicht, dass du wegen mir Ärger bekommst. Du musst auch an Emil und Georg denken.“

„Ach, verdammt! Das ist so ungerecht.“

„Ist es, aber das Leben geht weiter. Alle, denen ich wichtig bin, halten auch so Kontakt zu mir. Der Rest kann mir gestohlen bleiben.“ Ich küsse ihre Stirn und löse mich von ihr. „Komm, die anderen warten auf uns. Wir sollten Pa keinen weiteren Grund geben unausstehlich zu sein.“

„Du hast recht. Aber ich sehe dich so selten, dass ich mir ein paar private Minuten mit dir verdient habe.“

Locker lege ich ihr einen Arm um die Schultern, während wir langsam die Treppe hinuntergehen. „Du könntest mich auch besuchen kommen. Die anderen beißen nicht, versprochen.“

„Vielleicht mache ich das tatsächlich mal. Emil ist groß genug und ich bin wirklich neugierig auf dieses spezielle Hotel, von dem du viel zu wenig erzählst.“

Ich lache. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Unsere Kundinnen können sich Host und Zimmer aus ihrem Lieblingsbuch aussuchen und sich verwöhnen lassen.“ Mit einem Augenzwinkern ergänze ich: „Solange du nur den Wellness-Bereich nutzen willst, dürfte es keine Probleme geben. Von den Hosts würde ich an deiner Stelle die Finger lassen oder willst du Georg eifersüchtig machen?“

Heike spielt die Nachdenkliche. „Mhm. Er ist sich schon sehr sicher, dass ich ihm zu Füßen liege …“

Das bringt mich zum Lachen. „Du liegst doch niemandem zu Füßen, wenn du nicht gerade ausgerutscht bist. Wenn er das noch nicht kapiert hat, solltest du dir das mit dem Spezialangebot vielleicht doch überlegen.“

Gut gelaunt erreichen wir das Esszimmer. Der verführerische Geruch von Mamas leckerem Braten liegt in der Luft, doch ich werde ihn wahrscheinlich nicht in Ruhe genießen können.

Der missbilligende Blick meines Vaters spricht Bände. Unpünktlichkeit konnte er noch nie leiden und ich kann es ihm ohnehin nicht recht machen. „Schlampt ihr in eurem Hotel auch immer so herum?“, keift er.

„Wegen ein paar Minuten Verspätung macht bei uns niemand ein Fass auf. Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können. Es kann nicht jeder einen Stock im Arsch haben“, gebe ich pampig zurück.

„Pff! Aufeinander verlassen, dass ich nicht lache! Ihr seid doch nichts weiter als ein Haufen Ausgestoßener und Sonderlinge.“

Wut durchströmt mich. Ich habe noch nie verstanden, warum mein Vater sich für etwas Besseres hält, nur weil er ein Alpha ist. Selbst diese Position hat er mehr geerbt als sich erkämpft. „Jeder dieser ‚Sonderlinge‘ ist mehr wert als dein Haufen verlogener Duckmäuser!“

Empört springt mein Vater vom Stuhl. „Bert! Martin!“, ruft meine Mutter uns zur Ordnung. „Setzt euch hin und tut wenigstens für ein paar Minuten, als könntet ihr euch wie normale Menschen benehmen.“

Knurrend nimmt mein Vater wieder Platz. „Charlotte …“

„Kein Wort!“, fährt sie ihm über den Mund. „Iss und sei ruhig.“

Das Essen verläuft größtenteils in angespanntem Schweigen. Zwar versuchen die Frauen immer wieder eine Unterhaltung zu beginnen, doch das ist nicht so einfach, wenn so viele Fettnäpfchen bereitstehen. So streitlustig wie mein Vater aufgelegt ist, nutzt er jede noch so kleine Vorlage, um mich zu beleidigen. Von daher beschränken wir uns auf ein bisschen Small Talk oder schweigen. Da Annabell unbedingt neben mir sitzen möchte, habe ich einen wunderbaren Puffer an meiner Seite und kann mich galant aus der allgemeinen Unterhaltung herausmogeln. So feindselig wie die Stimmung ist, wird es nachher noch knallen, wenn ich nicht bald verschwinde.

Als hätte mein Vater meine Gedanken gelesen, nutzt er die kurze Abwesenheit meiner Mutter, die gerade den Nachtisch holt. Er wirft sein Besteck schwungvoll von sich und schaut mich angewidert an. „Bäh! Mit so etwas wie dir an einem Tisch sitzen zu müssen, ist eine Zumutung! Deine reine Anwesenheit verdirbt das gute Essen.“

Innerlich kochend nehme ich mir noch etwas von dem Braten, obwohl mir der Hunger vergangen ist. Einfach nur, um meinen Vater zu ärgern. „Also, mir schmeckt es ausgezeichnet. Lässt in deinem fortgeschrittenen Alter etwa der Geschmackssinn nach?“ Das ist eine harmlose Antwort, doch vor den Kindern möchte ich nicht ausfällig werden. Allerdings bin ich wohl der Einzige, der das so sieht. Aufgebracht springt mein Vater von seinem Stuhl auf und kommt drohend auf mich zu.

„Du wagst es, dich über mich lustig zu machen?! Ein Perverser, der lieber Stricher in den Arsch fi …“

Weiter kommt er nicht. Blitzschnell habe ich mich erhoben und ihn am Kragen gepackt. „Im Gegensatz zu dir weiß ich, was Anstand ist“, knurre ich gefährlich. Mein Geduldsfaden droht zu reißen. „Offensichtlich ist dir entgangen, dass es heute nicht um dich geht und kleine Kinder anwesend sind. Schwelge von mir aus in deinem Hass, aber halte den Mund und höre auf, Mutters Geburtstag zu ruinieren.“

Zornig versucht mein Vater, sich von mir loszumachen, doch ich habe die Oberhand. „Nimm deine dreckigen Finger von mir!“

Ich denke jedoch nicht daran, seiner Forderung nachzukommen. Stattdessen verstärke ich meinen Griff um seinen Kragen und ziehe ihn nah an mein Gesicht heran. Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Bewegung. „Bleib sitzen, du räudiger Köter! Du bist mir ohnehin nicht gewachsen“, schnauze ich Henry an, als der zur Rettung meines Vaters eilen will.

„Willst du dich wirklich mit mir messen, alter Mann? Ich bin schon lange kein schwächlicher Jüngling mehr, den du locker besiegen könntest.“

Bevor die Sache weiter eskalieren kann, mischt Heike sich ein. „Setzt euch verdammt nochmal hin! Es muss doch möglich sein, dass ihr für ein paar Stunden im selben Raum seid, ohne euch an die Gurgel zu gehen.“

Genau in diesem Moment kommt meine Mutter mit einem lecker duftenden Kuchen zurück. Vor Empörung knallt sie die Kuchenplatte auf den Tisch. „Bert, setz dich sofort hin und lass Martin in Ruhe! Das Letzte, was ich an meinem Geburtstag möchte, ist, dass sich mein Ehemann und mein Sohn prügeln.“

„Du hast recht. Tut mir leid, Ma“, antworte ich ihr und stoße meinen Vater von mir.

Notgedrungen zieht sich mein Vater unter einer Reihe gemurmelter Beleidigungen auf seinen Platz zurück. Betretenes Schweigen herrscht am Tisch, zumindest dort, von wo aus mir keine hasserfüllten Blicke zugeworfen werden. Selbst die Kinder wagen es nicht, einen Ton von sich zu geben.

Da ich den Geburtstag meiner Mutter nicht vollends ruinieren möchte, nutze ich die erstbeste Möglichkeit, um mich unauffällig zu verabschieden. Mehr als ein paar Stunden ertrage ich die Gegenwart meines Vaters einfach nicht, ohne ihm den Hals umdrehen zu wollen.

Kapitel

Als ich eine halbe Stunde später im Literary Passion ankomme, werde ich schon von Marco erwartet.

„Sofa oder Trainingsraum?“, fragt er nur.

„Keine Ahnung. Ich fühle mich gerade total ausgelaugt.“

Marco zieht mich einfach in seine Arme. „Du weißt, dass es hier viele Leute gibt, die dich so lieben, wie du bist?“

Ich genieße diesen Moment der Vertrautheit. Der schwarzhaarige Vampir ist sparsam mit derlei Gesten, von daher muss man mir meinen desolaten emotionalen Zustand wohl anmerken. „Ich danke dir.“

Er klopft mir aufmunternd auf die Schulter. „Gern. Magdalena ist übrigens auch noch wach, wenn du lieber jemanden mit einem sonnigeren Gemüt zum Reden haben willst.“

„Scherzkeks.“

„Geh rein und lass dir von ihr eine heiße Schokolade machen. Ich komme gleich nach.“

„Na gut. Bis gleich.“

Ich suche nach meinem Schlüssel und schließe die Haustür zu Marcos Unterkunft auf. An der Wohnungstür klingle ich, da ich Lena nicht überfallen will. Es ist ein großer Vertrauensbeweis, dass ich überhaupt in seine Wohnung darf. Marco ist in dieser Hinsicht eigen. Außer mir und Lena besitzt niemand einen Schlüssel, noch nicht einmal sein Zögling Adrian.

„Martin!“ Lena reißt die Tür auf und springt freudestrahlend in meine Arme. Ich halte sie fest und muss trotz meiner Niedergeschlagenheit lächeln. Die kleine schlanke Polizistin mit dem braunen Lockenkopf erinnert mich sehr an meine jüngste Schwester. Obwohl wir uns erst kurze Zeit kennen, liebe ich sie, als wären wir wirklich verwandt. Das beruht auf Gegenseitigkeit, wie Lena mir vor ein paar Wochen gestand. Sie weiß, was ich bin – ein Werwolf und schwul -, und akzeptiert es. Für sie als Mensch war der Beginn im Literary Passion nicht einfach. Dass sie beinahe von einem verrückten Vampir umgebracht worden wäre, hat die Eingewöhnung in unsere Welt nicht unbedingt vereinfacht.

„Na, Kleine, ich hoffe, ich störe dich nicht?“

Sie küsst meine Wange und tritt dann zurück. „Du störst nie, Martin. Komm rein. Was möchtest du trinken?“

„Marco hat Kakao angeordnet“, sage ich mit belegter Stimme. Nach der feindseligen Stimmung in meinem Elternhaus ist das Verhalten der beiden Balsam für meine Seele.

„Hey. Was ist los?“, fragt sie und schleift mich zum Sofa.

Dafür, dass sie ein Mensch ist, kann sie sich wunderbar durchsetzen. Sie drückt mich auf die Couch und hockt sich daneben. Aufmerksam mustert sie mich. „Deinen Kakao bekommst du gleich, jetzt sag mir erst einmal, wer dir wehgetan hat.“

„Das ist eine alte Geschichte“, sage ich nur. Es gab bisher keinen Grund, Magdalena von meinen familiären Problemen zu berichten.

Lena lässt nicht locker. „So alt kann sie nicht sein, wenn es dich derartig mitnimmt.“ Sie ergreift meine Hand. „Komm schon. Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst.“

Deprimiert lasse ich den Kopf hängen.

„Martin?“ Besorgt legt sie die Arme um mich. „Rede mit mir. Ich sehe doch, wie es dich innerlich zerreißt. Wen soll ich verhauen?“

Die Vorstellung, dass Lena als Mensch einen ausgewachsenen Werwolf verprügeln will, ist amüsant. Tatsächlich wäre sie dank Marcos Training eine ernstzunehmende Gegnerin, wie ich schon erfahren durfte. Ich lächle und seufze dann: „Danke, Kleines. Diesen Kampf muss ich alleine austragen.“

Unzufrieden sieht sie mich an. „Aber darüber sprechen solltest du. Sonst quetsche ich Marco aus, der weiß offensichtlich, was los ist.“

Eigentlich will ich Magdalena nicht mit meinen Problemen belasten, auf der anderen Seite hat sie recht. Ich muss mit jemandem darüber reden, sonst drehe ich noch durch oder igele mich irgendwann ein.

„Heute ist der Geburtstag meiner Mutter“, beginne ich.

„Es scheint ja ein rauschendes Fest gewesen zu sein, wenn ich mir deine Miene so ansehe.“

Ich schnaube. „So könnte man es ausdrücken. Seit ich mich geoutet habe, ist mein Verhältnis zu meinem Vater ….“ Ich suche nach der richtigen Formulierung. „... schwierig. Als ich nicht mehr der Vorzeigesohn war, musste ich sein Rudel verlassen, damit sein ‚guter Ruf‘ nicht ruiniert wird. Meine Mutter und meine Schwestern halten den Kontakt, aber ein Besuch bei der Familie gleicht immer einem Spießrutenlauf.“ Ich stocke. Selbst nach diesen fünfzehn Jahren schmerzt mich diese Tatsache, obwohl ich mich mittlerweile damit abgefunden haben sollte. „Offen zu meiner Homosexualität zu stehen, hat einfach alles verändert. Seitdem ist nichts mehr so, wie es vorher war.“

„Du meinst, seit du herausgefunden hast, dass du Marcos Hintern genauso sexy findest wie ich?“, versucht Lena es scherzhaft auszudrücken.

„Was ist mit meinem Hintern?“, erkundigt der Vampir sich.

Peinlich berührt weiche ich seinem fragenden Blick aus. In der Anfangszeit fand ich Marco tatsächlich anziehend. Der Vampir ist groß, schwarzhaarig und sieht trotz seiner fast vierhundert Jahre keinen Tag älter aus als dreißig. Selbst seinen goldbraunen Teint hat er behalten, obwohl er seit seiner Wandlung nicht mehr in der Sonne war. Aus meiner anfänglichen Schwärmerei für ihn entwickelte sich mit der Zeit ein familiäres Verhältnis. Dieser oftmals kühle und wortkarge Vampir war mir in den letzten zehn Jahren mehr Vater und Mentor als mein leiblicher.

„Gar nichts. Ich habe nur festgestellt, dass er recht ansehnlich ist“, beantwortet Lena seine Frage.

Marco zieht nur eine schwarze Augenbraue in die Höhe. „Bring Martin nicht in Verlegenheit. Er hat es schon schwer genug.“ Er beugt sich zu ihr herunter und gibt ihr einen Kuss. „Wenn du ihn verhören willst, solltest du ihm wenigstens etwas zu trinken anbieten, Schatz.“

Erschrocken hüpft Lena vom Sofa. „Oh, entschuldige, Martin. Ich mache dir sofort einen Kakao. Soll ich noch Eis mitbringen?“

„Wegen mir nicht“, sage ich mit einem schwachen Lächeln.

„Na gut. Kakao mit oder ohne Schuss?“

„Mit. Danke, Lena.“

Sie streicht mir über den Arm. „Für dich immer.“

Als sie in der Küche verschwunden ist, ergreift Marco das Wort. „Du musst dich vor keinem von uns rechtfertigen oder verstecken.“ Er lässt sich neben mir auf dem Sofa nieder. „Ich weiß, dass du zu Anfang ein bisschen verliebt in mich warst.“

Geschockt sehe ich ihn an. Mir war nicht klar, dass er das mitbekommen hatte.

„Ich bin ein Vampir, Martin. Natürlich bemerke ich, wenn sich jemand zu mir hingezogen fühlt“, erklärt er leise lachend. „Das war für mich jedoch nie ein Problem. Blutsauger sind in dieser Hinsicht ohnehin etwas anders. Nicht wenige von uns testen sich aus und haben Liebschaften mit beiden Geschlechtern.“

„Aber warum …“

„Ich nie etwas gesagt habe? Es war nicht wichtig für mich. Als du hier ankamst, sahst du ähnlich niedergeschlagen und verloren aus wie jetzt. Ich wollte nicht, dass du aus Angst vor Ablehnung gleich wieder abhaust.“ Er betrachtet mich ernst. „Du weißt, dass du mehr Familie für mich bist als alle anderen. Wenn du mich brauchst, dann bin ich für dich da.“

Mein Herz zieht sich schmerzhaft und freudig zugleich zusammen. In gewisser Weise hält Marco seine schützende Hand über alle im Literary Passion, egal ob Mensch oder übernatürliches Wesen. Kaum etwas bleibt ihm verborgen. Geheimnisse duldet er nur in gewissem Maße, was ich nach den jüngsten Ereignissen vollkommen verstehen kann. Erst vor Kurzem haben wir alle wegen eines dieser dunklen Geheimnisse bluten müssen.

Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen. Innerlich bin ich zerrissen, denn ich weiß sehr genau, dass ich hier geachtet und geliebt werde, trotzdem schmerzt mich die Zurückweisung meines Vaters noch immer. Egal wie viel Zeit vergeht, ich kann mich davon nicht lösen.

„Ach verdammt! Ich komme mir jedes Mal wie ein kleiner Junge vor.“

„Das ist normal. Familie ist immer eine heikle Angelegenheit. Bei euch Wölfen noch mehr als bei allen anderen. Mir geht es nur darum, dass du weißt, dass du hier immer willkommen bist, selbst wenn du doch irgendwann in dein altes Rudel zurückkehren solltest.“

Fassungslos lasse ich meine Hände fallen. „Warum sagst du das? Ich habe ihnen vor fünfzehn Jahren den Rücken gekehrt und nicht vor, zu Kreuze zu kriechen.“

„Du bist ein geborener Alpha, Martin. Ich hab dir den Posten nicht aus Nettigkeit gegeben, sondern weil du der perfekte Anführer bist. Wenn du mal genau hinsehen würdest, könntest du erkennen, dass du bereits ein eigenes Rudel anführst und alle zu dir aufschauen.“

„Du bist hier der unangefochtene Chef, nicht ich“, widerspreche ich.

Der Vampir lächelt milde. „Natürlich bin ich das, aber die Wölfe wenden sich bei Fragen und Problemen immer zuerst an dich. Dein Wort hat mehr Gewicht, als du ahnst, mein Lieber.“

„Chef im Wolfspelz, was?“, wirft Lena ein und stellt zwei dampfende Tassen mit Kakao auf dem Couchtisch ab.

„Du bist die gute Seele hier, Martin. Natürlich haben alle Respekt vor Marco, aber das Tagesgeschäft läuft über dich. Du bist quasi der Juniorchef und, soweit ich das mitbekommen habe, liegt das nicht nur daran, dass du die Nummer zwei in der Hierarchie bist.“

Kopfschüttelnd greife ich zu meinem Kakao. Natürlich weiß ich, dass mir die Wölfe folgen und auch der Rest Weisungen annimmt, nur dachte ich bisher, dass es wirklich nur beruflich begründet ist. „Ihr beide wollt mich mit allen Mitteln aufmuntern, was?“

Marco zieht Lena auf seinen Schoß. „Wir sagen nur die Wahrheit. Du hast bisher einfach die Augen davor verschlossen.“

Statt etwas zu erwidern, nehme ich einen großen Schluck von meinem Getränk. Magdalena war nicht knauserig mit dem Rum gewesen, sodass sich die Wärme schnell in meinem Magen ausbreitet. Habe ich das wirklich immer übersehen?

„Jetzt erzähl von heute Abend“, fordert Lena mich auf.

Ich gebe nach und berichte vom Familientreffen. Lena ist empört. „Warum verhalten sie sich so dämlich? Du bist doch immer noch derselbe, der du davor warst.“

Ihr Zuspruch wärmt mein Herz. „Ich weiß es nicht. Homosexualität ist bei Werwölfen ein viel heikleres Thema als bei Menschen. Unsere Männer müssen so männlich wie möglich sein und dürfen keine Schwäche zeigen. Vermehren sollen wir uns natürlich auch kräftig“, sage ich leicht verächtlich.

Lena verdreht die Augen und wirft die Hände in die Luft. „Was für ein Schwachsinn! Deine Schwestern bekommen doch schon genug Nachwuchs, außerdem gibt es heutzutage Mittel und Wege, um auch ohne Sex für Babys zu sorgen.“ Aufgebracht springt sie von Marcos Schoß und tigert vor dem Sofa hin und her. „Ich verstehe ohnehin nicht, was Eltern immer mit Enkeln wollen. Wenn jemand Kinder haben will, dann darf er das. Der Rest sollte gefälligst in Ruhe gelassen werden.“

Belustigt registriere ich, dass Marco jeder ihrer Bewegungen mit einem hungrigen Glitzern in den Augen verfolgt. Eigentlich müsste mich seine offensichtliche Verliebtheit amüsieren, schließlich passt sie oberflächlich betrachtet nicht zu dem sonst so kontrollierten Vampir, doch insgeheim bin ich sogar ein bisschen neidisch. Seit dem Angriff auf das Hotel wissen wir, dass beide wahre Gefährten sind. Die Vollstrecker – eine Art Vampirpolizei –, die in der Nacht des Überfalls hier waren, wussten zu berichten, dass diese besondere Verbindung zwischen zwei Liebenden seit Kurzem wieder auftritt. Ich kann mich vage an die alten Legenden erinnern. Darin heißt es, dass es Paare gibt, die über eine spezielle Gefährtenbindung lebenslang miteinander verbunden sind. Das klingt im ersten Moment komisch, doch angeblich ergänzen sie sich perfekt und sind einander bedingungslos treu. Genialen Sex gibt es obendrein. Bei den Wölfen ist der Glaube daran noch nicht ganz verschwunden, obwohl es seit Jahrzehnten unter uns keine derartigen Paare mehr gab. Umso verblüffender war es, als wir erfuhren, dass bis jetzt nur gemischte Paare mit diesem Bund gesegnet sind. Zumindest die, von denen wir bisher wissen. Die Vollstrecker sind noch dabei, die Hintergründe zu erforschen. Diese Entdeckung hat allerdings bereits jetzt dazu geführt, dass Vampire auch offiziell Partnerschaften mit anderen übernatürlichen Wesen und sogar Menschen eingehen dürfen. Sterblichen gegenüber sind sie zwar noch immer zur Geheimhaltung verpflichtet, dennoch vereinfacht diese neue Regel das Leben von Marco und Lena ungemein. Ich freue mich von ganzem Herzen für sie.

Insgeheim wünsche ich mir natürlich eine ebenso vertrauensvolle Beziehung, doch das ist nicht so einfach. Ob es so eine Bindung auch zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren gibt, weiß ich nicht. Ich wäre mit einer ‚normalen‘ Paarbeziehung schon zufrieden. Aufgrund der vorherrschen Vorurteile unter den Wölfen habe ich mich bisher hauptsächlich unter den Menschen umgesehen. Vampire und andere Dämonen wären auch möglich, aber da hat es bisher nie gefunkt. Außerhalb des Hotels läuft man sich nur selten über den Weg. Bei den Menschen kann ich zwar meine sexuellen Vorlieben zugeben, muss dafür aber meine wölfische Seite unterdrücken. Keine optimale Lösung, zumal ich schon allein durch meine Statur vorsichtig sein muss. Menschen sind recht zerbrechlich. Als Werwolf bin ich nicht so stark wie Marco, aber einen Menschen könnte ich trotzdem wie eine Fliege zerquetschen.

„Erde an Martin.“ Lena wedelt mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum. „Wo bist du denn mit deinen Gedanken?“

Ich zucke zusammen und weiß nicht, was ich sagen soll. „Ähm.“

Marco lacht sich scheckig. „Ganz weit weg. Wie viel Rum hast du denn in den Kakao getan?“

Lena zieht die Stirn kraus. „Nicht genug, um einen Riesen wie Martin umzuhauen.“

„Du solltest dich wohl mal wieder auspowern, lieber Freund“, rät der Vampir mir. „Ihr Wölfe seid nicht für Enthaltsamkeit gemacht.“

Ich lasse meinen Kopf gegen die Sofalehne sinken und frage mich insgeheim, ob der Vampir Buch über meine Affairen führt. „Einfacher gesagt als getan. Im Gegensatz zu dir kann ich mir nicht einfach einen netten Typen aussuchen und flachlegen.“

„Ich könnte nachhelfen, wenn du magst? Zumindest bei den Menschen kann ich dir recht schnell ein passendes Betthäschen heraussuchen.“

Lenas Blick schwenkt zwischen uns hin und her. „Soweit ich weiß, gibt es durchaus Schwulenkneipen und mehr Flirt-Apps, als man braucht. Wo liegt also das Problem?“

„Martin ist ein bisschen schüchtern“, zieht Marco mich auf.

Gelassen zucke ich mit den Schultern. „Ich bin eben nicht so ein Draufgänger und ein bisschen altmodisch. Diese ewigen One-Night-Stands sind einfach nichts für mich und hinterlassen oft einen unangenehmen Nachgeschmack. Aber vielleicht werde ich meinen freien Tag morgen nutzen, um tatsächlich mal wieder auf die Piste zu gehen.“

„Tu das. Schaden wird es dir sicherlich nicht. So kurz vor Vollmond kommt das Tier bei euch durch.“

Lena knufft Marco gegen die Schulter. „Hör auf, ihn zu ärgern!“

Mich stört diese Bemerkung nicht. Schließlich hat er recht. „Bei Vollmond sind wir tatsächlich etwas umtriebiger“, erkläre ich Lena, für die vieles noch neu ist.

„Bitte erspart mir die Details. Wie deckt ihr eigentlich den Dienst ab, wenn sich die Wölfe zu Vollmond alle verwandeln?“, hakt sie nach.

Marco zieht sie an sich. „Im Normalbetrieb benötigen wir nicht mehr als fünf Leute, und die bekommen wir ohne Probleme zusammen.“

„Na dann ist ja gut. Stehe ich dann in zwei Tagen einem ganzen Rudel gegenüber, wenn ich nach Hause komme?“

„Wenn du Pech hast, könnte das irgendwann mal passieren“, scherze ich, dann werde ich ernst. „Normalerweise ziehen wir uns auf Marcos Waldgrundstück zurück. Da stören wir niemanden und die Menschen werden nicht unruhig.“

Wir plaudern noch ein bisschen und langsam vergesse ich meinen Ärger. Die beiden machen es mir leicht, mich wohlzufühlen und zu entspannen. Hier muss ich mich nicht verstecken. Am Ende geht es sogar so weit, dass mich Lena nach meinen Vorlieben ausfragt und überlegt, wer denn zu mir passen könnte.

Müde, aber glücklich verabschiede ich mich von Lena. Marco begleitet mich nach oben und nimmt seinen Dienst wieder auf. „Schlaf gut und mach dir nicht so viele Gedanken.“

„Ich danke dir. Bis morgen.“

„Bis morgen. Denk daran, dass du frei hast.“

„Geht klar.“

Ich wende mich ab und laufe zur einem der Nebengebäude. Ganz oben liegt mein kleines Reich. Über eine schmale Treppe gelange ich ins Obergeschoss. Ich bewundere Marco noch immer für seine vorausschauende Planung für das Hotelgelände und bin dankbar, dass ich hier mein neues Zuhause einrichten durfte. In der Wohnung angekommen, lasse ich den Schlüssel auf meinen kleinen Schuhschrank fallen und schleppe mich ins Bad. Ich erledige das Nötigste und krieche dann in mein Bett.

Kapitel

Eine innere Unruhe weckt mich. Morgen ist Vollmond, von daher hält mein Wolfsteil mich ein wenig auf Trab. Jeden Monat ist es das gleiche Spiel. Vor der Wandlung bekommen wir Werwölfe deutlich zu spüren, dass wir eine animalische Seite haben. In der ersten Vollmondnacht sind wir nicht nur aus Tradition als Wölfe in den Wäldern unterwegs. Die ausgedehnten Touren, die wir unternehmen, helfen, den Wolf in uns zu zügeln. In dieser Zeit sind wir sowohl als Menschen als auch in Wolfsform leichter gereizt, sexuell aufgeladen und reagieren ungewöhnlich aggressiv. So können aus eigentlich friedfertigen Zeitgenossen unter Umständen ungenießbare Raufbolde werden, besonders wenn es um Besitztümer und Partner geht. Sobald der Vollmond vorbei ist, nimmt dieses Verhalten langsam ab. Die Ausflüge sind bestens geeignet, um seine Sorgen zu vergessen. Mein Wolf interessiert sich nicht für die läppischen Probleme der Menschen. Ich freue mich schon darauf, auch wenn wir dafür immer einiges organisieren müssen, damit alle im Rudel versorgt sind. Ein Nebeneffekt der erzwungenen Wandlung zu Vollmond ist auch ein ausgeprägter Paarungstrieb. Diejenigen, die einen Partner haben, sind fein raus, der Rest schaut sich nach einem passenden Gegenstück im Rudel oder außerhalb um. Ungebundene Wölfe sind recht umtriebig, vor allem in jungen Jahren. Je älter man wird, desto besser kann man sich kontrollieren. Da es bei mir im Rudel kein passendes Gegenstück gibt, mit dem ich mich in den Laken wälzen könnte, wäre es ratsam, wenn ich dieses spezielle Bedürfnis vorher stillen könnte.

Nach einer Dusche und einem kleinen Frühstück mache ich mich auf den Weg. Ich muss einige Besorgungen erledigen: Einkaufen, zur Bank und ein paar neue Klamotten könnte ich ebenfalls gebrauchen. Gerade für Letzteres lohnt sich eine Fahrt in die nächstgrößere Stadt. Dresden ist nicht allzu weit entfernt, und dort finde ich mit etwas Glück alles, was ich benötige.

Stunden später nehme ich in einem der vielen Shoppingcenter einen kleinen Imbiss ein. Bisher verlief meine Tour recht erfolgreich. Was man kaufen kann, habe ich. Nur für mein anderes Problem ist noch keine Lösung in Sicht. Eher gelangweilt stöbere ich im Angebot der Flirt-App. Wie Lena schon richtig angemerkt hatte, ist das eine gute Möglichkeit, um einen passenden Sexualpartner zu finden. Doch heute ist einfach nichts für mich dabei. So sehr mein innerer Wolf mich gerade auch nerven mag, ich bleibe wählerisch. Schneller, anonymer Sex baut den Druck ab, aber das ist nicht das, was ich wirklich will. Guter Sex ist toll, doch diese flüchtigen Begegnungen sind auf Dauer unbefriedigend. Im Grunde meines Herzens bin ich eine treue Seele. Deswegen beschränke ich diese Sex-Dates auf ein Minimum.

Ich spüre die interessierten Blicke mehrerer Damen auf mir. Mit meinen eins neunzig Körpergröße und der Statur eines Bodybuilders falle ich natürlich auf. Männer betrachten mich eher mit Respekt und Neid. Lägen die Dinge anders, dann wäre ich sicherlich schon seit Jahren, wie von meinen Eltern gewünscht, unter der Haube. So aber ist alles etwas komplizierter. Trotzdem habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, einen Mann zu treffen, in den ich mich tatsächlich verlieben kann. Im Idealfall ist es dann auch noch jemand, dem ich nicht verheimlichen muss, dass ich mehr als ein Mensch bin.

Bei meiner Rückkehr ins Literary Passion fällt mir ein fremdes Auto auf. Ich fahre langsam daran vorbei und schließlich durch das Tor auf das Grundstück. Meinen Wagen parke ich in der Garage. Es ist sehr praktisch, dass Marco so einen großen Fuhrpark hat und fast alle Modelle auch den Mitarbeitern zur Verfügung stehen. Als ich mit meinen Einkäufen ins Freie trete, weht mir ein interessanter Geruch entgegen. Sofort ist mein innerer Wolf in Alarmbereitschaft. Auf dem Gelände treibt sich ein fremder Werwolf herum. Wachsam sehe ich mich um. Auf den ersten Blick kann ich nichts entdecken. Doch dann höre ich eine bekannte Stimme.

„Hi Thomas, was machst du denn hier?“

„Ich wollte nur mal sehen, wie es dir geht, Lena“, gibt eine angenehm tiefe Stimme zurück.

Die Anspannung fällt von mir ab, denn bei dem Namen klingelt es in meinem Kopf. Offensichtlich handelt es sich um einen Kollegen von Magdalena und damit besteht von dieser Seite her keine Gefahr. Neugierig schlendere ich zu ihnen. Auf dem Weg fällt mir ein, wann ich den Wolf gesehen habe: Am Tag des Angriffs war er vor Ort und hat dazu beigetragen, dass Lena heute so unbeschwert in der Sonne stehen kann. Als ich um die Ecke biege, entdecke ich die beiden vor Marcos Haus. Der Fremde ist für einen Werwolf vergleichsweise schmal gebaut. Trotzdem hat er eine durchaus ansprechende Figur, die sicherlich vielen Damen gefällt. Kurze braune Haare kringeln sich an den Spitzen, was darauf hindeutet, dass er einen Lockenkopf hat. Ich lasse meinen Blick langsam über seinen Körper gleiten. Die Jeans sitzt knackig und recht tief auf seinen schmalen Hüften. Den oberen Teil bedeckt eine eng anliegende Wildlederjacke, die ihm echt gut steht. Ich rufe mich zur Ordnung und verberge mein Interesse, so gut es geht. Einmal habe ich den Fehler gemacht und einen Wolf angesprochen. Auf eine Blamage vor Lena kann ich gut verzichten. Äußerlich gelassen schlendere ich auf die beiden zu. Thomas ist der Erste, der mich bemerkt. Kurz schimmern seine Augen golden, was meine Neugier weckt. Normalerweise sollte er sich als erwachsener Wolf gut genug unter Kontrolle haben, um dieses verräterische Zeichen zu unterdrücken. Scheinbar macht ihm der nahende Vollmond zu schaffen. Leider verrät meine Nase mir nicht, ob er Interesse hat oder mich als Konkurrenten ansieht. Egal, was er von mir hält: Er befindet sich auf meinem Gebiet und ist mir vom Rang her definitiv unterlegen. Dementsprechend hat er sich auch zu verhalten. Lena folgt seinem Blick und dreht sich zu mir um.

„Hi Martin! Wie ich sehe, war deine Einkaufstour erfolgreich.“ Wir umarmen uns zur Begrüßung, was der fremde Wolf aufmerksam beobachtet.

„Ja, das kann man so sagen“, antworte ich und lasse meinen Arm locker auf ihren Schultern liegen. Lena gehört zu Marco und damit steht sie auch unter meinem Schutz. Genau das soll meine Geste deutlich machen.

„Hi. Thomas, richtig? Wir haben uns in der Nacht von Xavers Angriff getroffen“, wende ich mich an Lenas Kollegen.

Dieser nickt und vergräbt die Hände in den Hosentaschen. „Ja, genau. Wobei ich mich nur ungern an diesen verrückten Vampir erinnere.“

„Das geht allen hier so. Was führt Sie zu uns?“, hake ich nach.

Unsicher schaut er mich an, bevor er zu Boden guckt. „Ich wollte Lena besuchen. Außerdem war ich neugierig, wie weit Ihr mit den Aufräumarbeiten seid. Das letzte Mal, als ich hier war, glich das Gelände eher einem Schlachtfeld.“

„Das stimmt. Zum Glück konnten wir die Reparaturen zügig erledigen. Bis hier alles wieder beim Alten ist, wird es noch eine Weile dauern. Den Kundinnen ist zum Glück nichts aufgefallen, was wir den vielen helfenden Händen zu verdanken haben, die in dieser verhängnisvollen Nacht mit angepackt haben“, erkläre ich und lasse den Besucher nicht aus den Augen. Mein innerer Wolf wandert unruhig hin und her. So nervös wie Thomas ist, habe ich Zweifel, dass er nur hier ist, um nach dem Rechten zu sehen. Nur was könnte der wahre Grund sein?

„Gab es denn weitere Vorfälle oder habt ihr wirklich alle Abtrünnigen zur Strecke gebracht?“

Ich zucke mit den Schultern. „Die Vollstrecker waren gründlich. Bis jetzt fanden sich keine Hinweise, dass noch Handlanger von Xaver herumlaufen. Soweit wir wissen, gab es auch keine weiteren Morde, die in das Muster passen. Aber da sitzt ihr bei der Polizei ja an der Quelle.“

Thomas schaut mich kurz an und zieht den Kopf ein. Bilde ich mir das ein oder liegt wirklich eine leichte Röte auf seinen Wangen?

„Stimmt. Bei uns sind keine weiteren Meldungen eingegangen. Allerdings hat es Xaver vorher auch geschafft, unter unserem Radar zu bleiben“, gibt er zu und kratzt sich am Hinterkopf. Dann blickt er auf seine Uhr. „Oh. Ich muss los. Wir sehen uns morgen sicherlich auf der Arbeit, Lena. Tschüss. Macht euch einen schönen Tag!“

Schon ist er verschwunden. Stirnrunzelnd sieht Magdalena ihm hinterher, dann wendet sie sich mir zu. „Sag mal, hast du irgendwelche Signale ausgesendet, die nur Wölfe verstehen?“

Ich ziehe die Augenbrauen in die Höhe. „Warum fragst du?“

„Nur so. Bis du hinzukamst, war Thomas eigentlich so wie immer. Dann hat er sich irgendwie seltsam verhalten.“

„Seltsam?“

Magdalena verdreht die Augen. „Er ist nicht gerade der schüchterne Typ, wenn du verstehst, was ich meine. Mir kam es vor, als hätte er sich absichtlich kleiner gemacht. Und warum hast du mich eigentlich die ganze Zeit umarmt?“

„Nur als Sicherheitsmaßnahme. Unter Wölfen ist es üblich, dass man die Besitzrechte klärt.“

„Besitzrechte?“ Sie klingt alles andere als begeistert. „Fängst du jetzt genauso an wie Marco?“

Ich lache leise und nehme meinen Arm von ihrer Schulter. „Nein, das ist etwas anderes, obwohl es damit zusammenhängt. Bei den Wölfen gibt es eine feste Rangordnung. Man kann aufsteigen oder innerhalb des Rudels auch degradiert werden. Damit gehen bestimmte Verhaltensweisen einher.“

„Puh, das klingt kompliziert. Warum hast du mich jetzt als deins deklariert? Thomas hat noch nie versucht, mich anzumachen und du stehst doch nicht auf Frauen.“

„Du gehörst zur Familie und ich bin hier der ranghöchste Wolf. Wenn also jemand etwas von dir will, muss er erst einmal an mir vorbeikommen.“

Lena schaut mich ungläubig an. Dann schüttelt sie den Kopf. „Das ist schräg, aber irgendwie auch süß. Du hast ihn also eingeschüchtert, damit er gar nicht auf die Idee kommt, anzügliche Gedanken zu haben?“

„So könnte man es sagen. Ich hab dir doch gestern gesagt, dass wir so kurz vor Vollmond etwas empfindlicher reagieren. Da er als Besucher hier war, ist er gezwungen, sich mir zu unterwerfen, wenn er keinen Ärger bekommen möchte. Marco hätte übrigens dasselbe gemacht. Für einen Menschen erscheint das sicherlich merkwürdig, aber es ist Teil unseres Wesens. Dagegen können wir nicht viel machen.“

„Mhm. Das würde zumindest erklären, warum er sich dir gegenüber so anders verhält als beim letzten Mal. Als er dich damals wegen der mysteriösen Leiche befragt hat, wirkte er nicht eingeschüchtert auf mich.“ Nachdenklich zieht Lena die Augenbrauen zusammen. „Ich habe nie darüber nachgedacht, dass es für ihn komplizierter ist als für mich. Wenn er einen ranghöheren Wolf verhaften muss, dann steckt er in der Klemme.“

„In dieser Hinsicht hat sein Befehl höhere Priorität, jedoch kann es sein, dass es rudelintern deswegen möglicherweise Konflikte gibt“, erkläre ich.

„Oh je. Das ist mir zu kompliziert. Da bin ich wirklich froh, dass ich mich nicht mit derlei Fragen beschäftigen muss.“ Aufmerksam mustert sie mich. „Geht es dir heute wieder besser?“

Ich nicke. „Dank euch.“

„Das freut mich.“ Sie schenkt mir ein Lächeln und drückt mich kurz an sich. „Hast du Lust auf eine kleine Runde im Trainingsraum? Marco nervt mich schon seit Tagen, dass ich mein Training vernachlässigen würde.“

„Klar. Lass mich nur meine Einkäufe wegbringen. Ein Stündchen kann ich dich locker triezen, bevor wir uns versammeln und mit den Vorbereitungen für morgen beginnen.“

„Stimmt, euer Ausflug. Was müsst ihr dafür denn alles erledigen?“

„Essen kochen, Getränke holen, abklären, wer mit welchem Auto fährt und zu guter Letzt muss jeder Decken und Kissen einpacken, wenn er nicht auf dem blanken Holzfußboden schlafen will. Als Wolf geht das, aber als Mensch ist das unangenehm.“

„Bist du dann eigentlich die ganze Nacht als Wolf unterwegs?“, erkundigt Lena sich.

„Ja. Solange der Mond am Nachthimmel steht, sind wir in unserer Tierform gefangen. Aber es ist ein guter Ausgleich. Den Rest des Monats müssen wir diesen Teil in der Regel verstecken. Wobei wir hier auf dem Gelände auch mal als Wolf herumtollen können, ohne Panik bei den Menschen auszulösen. Das geht anderswo nicht.“

Ich erkläre Lena noch ein paar Dinge. Die junge Polizistin ist aufgeschlossen und will verstehen, welche Besonderheiten es bei den jeweiligen übernatürlichen Wesen gibt, mit denen sie zusammenlebt. Dann verabschiede ich mich kurz, um meine Taschen wegzubringen und mir Sportsachen anzuziehen.

Kurze Zeit später treffe ich mich mit Lena im Übungsraum. Sie hat ihre braunen Locken zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden und ist mit Top und Yogahose bekleidet. Ich kann verstehen, was Marco an ihr findet. Sie ist eine attraktive Frau und besitzt neben einem scharfen Verstand einen liebenswerten Charakter. Als sie mich sieht, muss sie kichern.

„Was ist denn?“

„Nichts. Ich musste nur daran denken, wie viele Frauen mich beneiden würden. Du bist eben ein richtiger Augenschmaus.“

Irritiert schaue ich an mir herunter. „Meinst du?“

„Auf jeden Fall! Diese unglaublich breiten Schultern, dazu die schmalen Hüften und unter dem Shirt versteckst du garantiert einen Waschbrettbauch.“ Sie lässt den Blick über mich wandern. „Muskulöse Arme, kein Stiernacken, dazu noch einen sexy Dreitagebart und diese dunkelblauen Augen.“ Lena seufzt theatralisch. „Und wie mich die Damenwelt beneiden würde …“

Ich fühle, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Von jemandem, der zur Familie gehört, so vorteilhaft beschrieben zu werden, ist schon merkwürdig.

Meine offensichtliche Verlegenheit bringt Lena zum Lachen. „Hat dir das etwa noch keiner gesagt?“ Sie kommt zu mir und küsst meine Wange. „Ich bin sehr glücklich mit Marco, aber das heißt nicht, dass ich blind bin. Du bist ein ansehnlicher Mann, der sich wirklich nicht verstecken muss.“

„Flirtest du etwa hinter meinem Rücken mit anderen Typen?“, ertönt Marcos Stimme plötzlich hinter mir. Automatisch zucke ich zurück.

„Klar, aber nur mit solchen Schnuckelchen wie Martin“, gibt Lena frech zurück.

Der Vampir zieht sie an sich. „So, so. Kein Wunder, dass du auf einmal erpicht auf das Training bist.“

„Martin gibt mir wenigstens eine reelle Chance, meine Fähigkeiten zu testen, und stampft mich nicht einfach in den Boden.“

Die beiden necken sich noch ein wenig. Obwohl Lena mir gerade klargemacht hat, dass sie mich attraktiv findet, werte ich das nicht als Anmache. Sie weiß, dass ich auf Männer stehe und außerdem fehlen die Signale, die ihr Körper in so einem Fall aussenden würde. Man muss sie nur mit Marco erleben und weiß, dass sie total verliebt in ihn ist. Sie können einfach nicht die Finger voneinander lassen. Ständig berühren sie einander, was ihnen sicherlich nicht einmal bewusst ist. Es sind kleine Gesten, die ihre Vertrautheit deutlich zeigen. Gerade streicht der Vampir ihr eine verirrte Strähne aus dem Gesicht, was dazu führt, dass Lena ihn anlächelt. Zwischen den beiden knistert es ständig und nicht selten scheucht einer von uns sie in Marco Wohnung, damit wir unsere Ruhe haben. Was durchaus lustig ist, wenn man bedenkt, dass sie eigentlich Personen sind, die kontrolliert agieren und ihre Gefühle gern verstecken.

Ich spüre Sehnsucht nach einem Partner in mir aufsteigen und räuspere mich. „Also, wenn ihr mich nicht mehr braucht, kann ich auch gehen.“

Sie zucken auseinander. „Sorry.“

Marco tritt zurück und lehnt sich mit dem Rücken an die Wand. Selbst in Sportkleidung wirkt der Vampir elegant. Seine italienische Abstammung, eine gewisse Arroganz und seine ungewöhnlichen Geschäftsmodelle sind der Grund, warum Lena ihn auch gern als Mafioso bezeichnet. „Wärmt euch am besten erst einmal auf. Dann wiederholen wir die Übungen vom letzten Mal.“

Wir folgen seinen Anweisungen. Besonders für Magdalenas menschlichen Körper ist die richtige Vorbereitung von Bedeutung. Marco und ich könnten direkt mit den Übungen beginnen, aber bei uns heilen Zerrungen und ähnliches auch innerhalb kürzester Zeit. Nach dem Aufwärmen lege ich mir einen Tiefschutz an. Es gibt Schmerzen, auf die ich gut verzichten kann. Lena zieht sich ebenfalls Schutzkleidung über. Egal wie sehr ich darauf achte, ich bin nun einmal stärker als ein Mensch und könnte sie leicht verletzen. Dann treibt Marco uns durch diverse Übungseinheiten, die nicht nur Magdalena zum Schwitzen bringen. Ich bewundere sie für ihr Durchhaltevermögen. In den letzten Wochen hat sie ihre Leistungen deutlich gesteigert. Nach der Sache mit Xaver ist der Ansporn noch größer, Lena so gut wie möglich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Wenn sie sich gegen mich wehren kann, sollten Menschen ihr keine größeren Probleme mehr bereiten.

Nach etwa einer Stunde ist die Tortur für Lena vorbei. Ihre Haut glänzt vor Schweiß und ihre Klamotten kleben ihr am Körper. Sie hockt auf der Matte und versucht wieder zu Atem zu kommen. Ich gehe zu ihr und streiche ihr über den Kopf. „Du wirst immer besser, Kleine.“

„Danke.“ Sie wirft einen leicht genervten Blick zu Marco. „Wenn das nur mein Foltermeister endlich auch anerkennen würde …“

Ungerührt zuckt dieser mit den Schultern. „Einer von uns muss schließlich einen kühlen Kopf bewahren.“ Dann schaut er mich an. „Lust auf einen richtigen Kampf?“

Empört schnappt Lena nach Luft. „Hey!“

Der Vampir zieht sie in seine Arme. „Entschuldige, Magdalena, das war nicht böse gemeint. Für einen Menschen hast du dich gut geschlagen, aber es ist etwas anderes, wenn übernatürliche Wesen ihre Kräfte messen. Wir spielen einfach in einer anderen Liga.“

Ich lasse die Schultern kreisen und denke über sein Angebot nach. Eigentlich muss ich mich gleich mit den anderen Rudelmitgliedern treffen, aber ein Trainingskampf mit Marco ist sehr reizvoll. Damit kann ich immerhin einen Teil meiner überschüssigen Energie abbauen.

„Na gut, aber nur eine kurze Runde.“

„Geht klar.“ Marco zieht sein Shirt aus und ich tue es ihm gleich. Das hat nichts mit Eitelkeit zu tun, sondern eher mit Ressourcenschonen. Ich weiß nicht, wie oft ich meine Kleider hinterher wegwerfen konnte.

„Lena, geh bitte an das andere Ende des Raumes oder duschen. Das hier wird etwas heftiger und ich will nicht, dass du verletzt wirst“, erläutert Marco.

Sie nickt und macht es sich auf einer Bank in der Nähe der Tür bequem. Vorfreude steigt in mir auf. Ich weiß einen guten Kampf zu schätzen. Bisher ist es mir noch nie gelungen, Marco aufs Kreuz zu legen. Der alte Vampir ist verdammt gerissen und unheimlich stark.

Wir stellen uns gegenüber auf.

„Fertig?“, fragt Marco mit einem Lächeln.

„Jupp.“

Schon springt er mich an. Im letzten Augenblick hechte ich zur Seite. Doch während ich mich umdrehe, ändert auch der Vampir seine Richtung. Ein kraftvoller Schlag lässt mich einen Schritt zurückstolpern. Aber das hindert mich nicht an einem Gegenangriff. Ich lasse mich zu Boden fallen und ziehe Marco die Beine weg. Galant rollt er sich ab und grinst mich an. In seinen Augen blitzt es rötlich. Es folgt eine Reihe schneller Schlagwechsel, dann gelingt es mir, ihn mit einem Tritt gegen die Wand zu schleudern. Lena schreit erschrocken auf, doch bevor sie auch nur blinzeln kann, ist Marco wieder auf den Beinen. Einzig eine verschwommene Bewegung ist wahrnehmbar, dann steht er auch schon hinter mir und nimmt mich in den Schwitzkasten. Ich hole mit dem Kopf aus, um ihm die Nase zu brechen, doch Marco weicht mir aus. Wäre das ein echter Kampf, hätte er längst seine Fänge eingesetzt und mich zur Strecke gebracht. So aber tritt er mir in die Kniekehle und zwingt mich in die Knie. Bevor ich tatsächlich noch unter Atemnot leide, packe ich ihn an den Armen und schleudere uns beide auf die Matte. Jeden anderen hätte ich damit platt gemacht, aber nicht diesen Vampir. So kugeln wir uns auf dem Boden herum, bis es Marco schließlich gelingt, die Oberhand zu gewinnen. Triumphierend presst er mir ein Knie ins Kreuz, während er meinen Arm schmerzhaft hinter meinem Rücken verdreht.

„Na, ergibst du dich?“

„Ungern“, knurre ich.

Lachend lässt er mich los und hilft mir auf die Füße. „Ein guter Kampf.“

„Auf jeden Fall. Irgendwann lege ich dich noch aufs Kreuz.“

Während ich mir den Schweiß aus dem Gesicht wische, fällt mein Blick auf Magdalena, die ganz blass geworden ist. „Hey. Geht es dir nicht gut?“, frage ich besorgt.

Sofort ist Marco an ihrer Seite. „Was ist denn?“

Sie schluckt und blinzelt mehrmals. „Das … das war … beängstigend.“

Wir sehen sie fragend an. „Warum denn?“

„Ihr wisst schon, wie schnell ihr seid, oder?“, antwortet Lena. „Obwohl ich wusste, dass ihr nur trainiert, ist mir ein paar Mal fast das Herz stehen geblieben. Jeder Mensch würde schwerverletzt auf dem Boden liegen und ihr schüttelt euch nur einmal und schon ist alles vergessen.“

Verlegen kratze ich mich am Kopf. „Oh. Na, wenn man das so sieht.“

Zärtlich nimmt Marco ihr Gesicht in seine Hände. „Verzeih uns unsere Ignoranz. Ich vergesse ab und an, dass du ein Mensch bist und uns bisher kaum in Aktion gesehen hast. Wir wollten dir keine Angst einjagen.“

„Schon okay. Du hattest mir ja angeboten zu gehen.“

„Nun bist du immerhin vorgewarnt, falls du uns noch einmal zusehen möchtest. Das nächste Mal wirft es dich nicht mehr so aus der Bahn.“ Er zieht sie auf die Füße. „Ist sonst alles in Ordnung?“

„Ja, ich bin nur, im Gegensatz zu euch, noch immer aus der Puste.“ Sie betrachtet uns und muss schließlich grinsen. „Ihr seid manchmal wirklich wie kleine Jungs, die sich auf dem Schulhof raufen.“

„Sind wir“, gebe ich freimütig zu und wuschle über ihre Haare.

„Hey! Du Kindskopf“, beschwert sie sich und hält meine Hand fest. „Mhm. Du hast doch ein bisschen was abbekommen.“

„Och, wegen ein paar blauen Flecken und blutigen Knöcheln muss ich mir keine Gedanken machen In ein paar Minuten ist das auch verheilt.“

Kopfschüttelnd legt sie jedem von uns einen Arm um die Taille. „Ich bin froh, dass ihr so robust seid. Schließlich will ich keinen von euch verlieren, wenn es doch mal zu einem richtigen Kampf kommt.“

„Wir dich auch nicht, deswegen knechte ich dich ja so“, meint Marco zu ihr.

Keiner von uns beiden hat die Bilder der blutüberströmten Lena vergessen. Noch immer nagt die Schuld an mir, weil ich Xaver nicht aufhalten konnte, obwohl Marco behauptet, dass das Schwachsinn ist. Ich habe Lena aus der Unterkunft gelassen und sie damit erst angreifbar gemacht.

„Schau nicht so traurig, Martin.“ Magdalenas Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. „Mir geht es gut und Xaver ist Staub von gestern.“

„Darüber bin ich sehr froh.“ Ich drücke sie kurz an mich und trete dann weg. „So, ihr zwei Turteltäubchen, ich muss los. Die anderen warten bestimmt schon auf mich.“

„Dann geh, mein Freund. Wir reden nachher über eure Pläne für den Rudelausflug.“ Marco sieht mich wissend an. Es ist schwer, etwas vor ihm zu verbergen. Vielleicht mögen meine Schuldgefühle unbegründet sein, aber trotzdem kann ich sie nicht einfach abschütteln.

„Bis dann.“

Kapitel (Thomas)

Ich bin so ein Idiot!, schimpfe ich innerlich mit mir. Mir war von vornherein klar, dass die Aktion wahrscheinlich nach hinten losgehen würde. Trotzdem trieb die Neugier dorthin. Es war ein Glücksfall, dass Magdalena dort war und der Wachmann mich aufs Gelände ließ. Plötzlich tauchte er auf und ich wusste vor lauter Verlegenheit nicht, was ich sagen sollte.

Traurig rolle ich mich in meinem Bett zusammen. Allein die Idee, dass er Interesse an mir haben könnte, ist idiotisch. Die meisten Werwölfe sind extrem homophob. Selbst wenn dem nicht so wäre, dann würde sich ein Wolf seines Ranges kaum mit mir - einem rudellosen Halbwerwolf - abgeben. Sicherlich hat er einen ganzen Harem voller Verehrerinnen. Aus seinem Verhältnis zu Lena werde ich auch nicht schlau. Ich war mir sicher, dass sie mit Marco zusammen ist, aber irgendwas existiert zwischen ihr und ihm, das ich nicht von der Hand weisen kann. Nicht umsonst hat er mir klargemacht, dass ich meine Finger von ihr lassen soll. Wenn er nur wüsste … Dann hätte er sich wahrscheinlich angewidert abgewandt und mich im hohen Bogen vom Grundstück geworfen. Dabei hatte ich gehofft, dass die Wölfe dort etwas aufgeschlossener wären und ich mit viel Glück wieder etwas mehr Kontakt zu anderen Werwölfen knüpfen könnte. Wenn ich jedoch einen schlechten Eindruck auf den Alpha mache, sind meine Chancen gleich Null. Natürlich war das eine verrückte Idee, aber das Literary Passion ist schließlich ein sehr ungewöhnlicher Ort, an dem zumindest den Kundinnen jeder Wunsch erfüllt wird. Seufzend schließe ich die Augen. Morgen ist Vollmond, dann werde ich wieder einsam durch die Wälder laufen und versuchen, meinen Schmerz zu vergessen.

Am nächsten Morgen schrillt der Wecker unbarmherzig und viel zu früh. Ich hasse die Frühschicht, aber im Frühling ist es die einzige Schicht, die ich zu Vollmond gefahrlos übernehmen kann, weil dann der Vollmond noch nicht am Himmel steht. Es würde komisch wirken, wenn ich mir jedes Mal genau zu diesem Tag freinähme. Wobei es den Menschen wahrscheinlich nicht einmal auffallen würde … Schlaftrunken krieche ich aus dem Bett. Erst nach einer kalten Dusche und einer Tasse Kaffee bin ich annähernd munter. Ich esse mein Müsli und fahre auf die Arbeit.

Ich habe mich gerade an meinem Schreibtisch niedergelassen, als auch schon der Erste etwas von mir will.

„Guten Morgen Thomas! Du bist heute mit Lena für den Außendienst eingeteilt“, verkündet mein Chef.

Überrascht schaue ich auf. „Okay. Danke. Ich schau gleich bei ihr vorbei.“

Als er fort ist, lasse ich den Kopf sinken. Super. Was bin ich doch für ein Glückskind. Doch Jammern hilft nichts. Ich mag Lena, von daher sollte ich mich eigentlich freuen, dass wir zusammen Dienst haben. Nur bin ich mir nach der peinlichen Aktion von gestern nicht sicher, wie ich ihr gegenübertreten soll. Ich brauche dringend einen Kaffee.

Während ich in unserer winzigen Küche das Pulver in die Maschine löffle, gehe ich im Kopf die Fälle durch, die auf meinem Tisch liegen. Bei zwei Sachen warte ich noch auf die Untersuchungsergebnisse und bei dem anderen muss ich nur noch den Abschlussbericht schreiben. Außerhalb der Großstadt ist nicht viel los. Meistens kleinere Delikte, weswegen wir von der Mordkommission ein großes Einsatzgebiet und verhältnismäßig wenig Kommissare haben. Die Sache mit Xaver war eine extreme Ausnahme, was einigen Wirbel verursacht hat. Ich bin noch immer erstaunt, dass die Vampire es geschafft haben, den übernatürlichen Teil aus der Geschichte herauszuhalten. Die Leute sehen eben nur, was sie sehen wollen.

„Guten Morgen!“, flötet eine bekannte Stimme.

Klirrend fällt mir der Löffel aus der Hand. Magdalena schaut mich verwundert an. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Schnell hat sie sich den Lappen geschnappt und mein Malheur beseitigt. „Geht es dir gut? Du siehst ein bisschen blass aus.“

„Hi Lena, ich habe schlecht geschlafen“, antworte ich und schalte die Kaffeemaschine an.

Unauffällig sieht sie sich um, bevor sie fragt: „Hat das mit heute Nacht zu tun?“

„Auch. Aber ich bin ein noch größerer Morgenmuffel als du, von daher brauche ich dringend einen Kaffee.“

Sie lacht leise. „Das bezweifle ich. Doch dein Verlangen nach Kaffee kann ich vollkommen nachvollziehen.“

„Wir sind heute für den Außendienst eingetragen“, teile ich ihr mit.

„Echt? Das ist ja super!“

„Total“, brumme ich.

Misstrauisch lehnt sie sich neben mich an die Küchenzeile. Nur mit Mühe kann ich ein Knurren unterdrücken, weil sie nach Vampir und ganz leicht nach ihm riecht. Ungefragt tauchen vor meinem geistigen Auge Bilder auf, die Lena in eindeutigen Posen mit ihren beiden Liebhabern zeigen.

„Thomas? Habe ich etwas Falsches gesagt?“

Mein Kopf schießt in die Höhe. Automatisch weicht sie einen Schritt zurück. Dann fasst sie sich. „Verdammt! Was auch immer dein Problem ist, reiß dich zusammen, bis keine Menschen mehr in der Nähe sind! Und mach‘ die Augen zu, sonst sieht jeder Depp, dass etwas nicht mit dir stimmt“, zischt sie.

Erschrocken registriere ich das leichte Vibrieren unter meiner Haut. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass mein innerer Wolf mit mir durchgeht. Schnell wende ich mich von ihr ab und schließe die Augen. Ich atme mehrmals tief ein und aus und versuche, meine aufgepeitschten Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Lena kann nichts dafür, dass du dich in den falschen Mann verguckt hast, sage ich mir wieder und wieder.

„Hey, da seid ihr ja. Es gibt Arbeit für euch“, ertönt plötzlich die Stimme eines Kollegen.

„Nimm zwei Tassen Kaffee mit, Thomas. Ich schaue, was wir haben“, sagt Lena und verlässt die Küche. Sofort kann ich freier atmen.

„Oh Gott. Das hätte richtig ins Auge gehen können“, murmle ich. Mit zitternden Händen fülle ich Kaffee in zwei Becher. Ich sammle mich kurz, bevor ich mich auf die Suche nach Magdalena begebe.

„Raub mit Todesfolge. Das Opfer ist soeben im Krankenhaus gestorben“, informiert sie mich und nimmt ihren Kaffee entgegen. „Danke.“ Flott leert sie ihre Tasse. Dann greift sie sich Notizbuch, Autoschlüssel und Jacke.

„Bringst du bitte den Einsatzkoffer mit? Ich warte am Auto auf dich.“

„Geht klar.“ Ich stürze den Kaffee hinunter und hole die geforderten Sachen. Wenige Minuten später bin ich bei Lena.

Mit verschränkten Armen steht sie da und mustert mich. „Hast du dich jetzt wieder unter Kontrolle?“

Ich nicke.

„Gut, dann steig ein. Ich kann sehr gut darauf verzichten, von einem verrückt gewordenen Wolf angefallen zu werden.“

„Lena – ich …“

„Steig ein! Wir klären das später“, unterbricht sie mich.

Widerwillig gehorche ich. Der Parkplatz ist wirklich der falsche Ort, um das Thema zu diskutieren.

„Ein kleines Tabakwaren- und Spirituosengeschäft wurde überfallen“, erklärt sie mir. „Der Besitzer war nicht gewillt, dem Räuber zu geben, wonach er verlangte. Das fand dieser ‚unhöflich‘, stach ihn nieder und flüchtete mit ein paar Flaschen Schnaps.“

„Nur Alkohol, kein Geld?“, hake ich nach.

„Die Kasse wurde nicht angerührt. So früh am Morgen hätte er auch nur das Wechselgeld erbeutet.“

„Na gut. Das sind in der Regel wenigstens hundert Euro. Aktuell wirkt es ein bisschen, als wäre ein Diebstahl nicht ganz so reibungslos verlaufen wie geplant“, überlege ich.

„Könnte man sagen. Der Besitzer war schon recht betagt und verstarb, bevor er operiert werden konnte. Wir fahren erst einmal zum Laden und sehen uns um. Dann schauen wir mal, was das Umfeld uns erzählen kann.“

„Geht klar.“ Unruhig rutsche ich auf dem Beifahrersitz hin und her. Meinem Wolf passt noch immer nicht, dass Magdalena nach ihm riecht. Doch ich versuche, diese Gefühle zu unterdrücken. Sie kann in ihrer Freizeit tun, was sie möchte, und außerdem müssen wir arbeiten. Da haben meine Befindlichkeiten nichts zu suchen.

Einige Zeit spricht keiner von uns ein Wort, dann bricht Lena das Schweigen. „Jetzt erklär mir mal, warum du vorhin so aggressiv reagiert hast? Martin hatte schon gesagt, dass ihr zu Vollmond ein bisschen am Rad dreht, aber so habe ich dich noch nie erlebt.“

Bei der Nennung seines Namens zucke ich zusammen. „Das ist kompliziert“, antworte ich und knete meine Hände.

Sie wirft mir einen kurzen Blick zu. „Dann solltest du dir Mühe beim Erklären geben. Du warst gestern auch schon so merkwürdig.“

„Ich weiß und es tut mir leid.“ Hektisch überlege ich, was ich sagen soll. „Mich hat der Wolfsgeruch an dir irritiert.“

„Wolfsgeruch? Wenn, dann sollte ich eigentlich nach Vampir riechen.“

„Das tust du. Trotzdem haftet dir der Geruch eines Werwolfes an.“

Sie zuckt mit den Schultern. „Das kann nur von gestern sein. Die Jungs haben mich hart rangenommen.“

Schockiert sehe ich sie an. „Wie bitte?!“ Mein Wolf knurrt allein bei der Vorstellung, dass Magdalena tatsächlich mit beiden Männern schläft.

„Beim Training“, wirft Lena genervt ein. „Könnt ihr Kerle nur an Sex denken?“

„Ich …“ Peinlich berührt sehe ich auf meine Hände.

„Davon mal abgesehen, dass Marco niemals Nebenbuhler dulden würde, geht es dich eigentlich einen feuchten Kehricht an, mit wem ich schlafe.“

Sprachlos sehe ich sie an. Mein Hirn hat Schwierigkeiten, die Informationen zu verarbeiten. „Aber … dann …“

„Thomas? Geht es dir gut?“

„Du hast nicht mit …?“

„Martin?“ Lena lacht. „Um Himmels Willen, nein! Er ist wie ein großer Bruder für mich.“

Erleichterung steigt in mir auf. Offenbar sieht man mir das auch an.

„Sag mal, kann es sein, dass du dich in Martin verguckt hast?“

Panisch sehe ich sie an. „Nein! … ich ... Wie kommst du darauf?“

Sie zuckt mit den Schultern. „Nur eine vage Vermutung.“ Mit einem schelmischen Grinsen schaut sie mich an. „Das würde immerhin dein eigenartiges Verhalten erklären.“

Ich knete meine Hände noch mehr und schaue lieber auf die an uns vorbeisausende Landschaft als auf meine Kollegin. Als sie mich vorsichtig am Arm berührt, zucke ich zusammen. Kurz darauf fährt sie rechts ran und schaltet den Motor aus.

„Sieh mich an, Thomas“, bittet sie leise.

Innerlich hadere ich mit mir. Einerseits würde ich mich ihr gern anvertrauen, aber auf der anderen Seite wurde ich oft genug von Leuten abserviert, von denen ich das nie erwartet hätte.

„Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich schlecht über dich denke. Mir ist es ehrlich gesagt einerlei, ob jemand auf Frauen oder Männer steht. Ich erzähle es auch nicht weiter. Deine sexuelle Orientierung wird also definitiv nicht von unseren Klatschtanten breitgetreten. Ich würde nur gern wissen, ob mich demnächst wieder ein eifersüchtiger Wolf anfällt, weil ich einen Freund von mir umarmt habe.“

„Es tut mir leid, Lena. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.“ Zögerlich blicke ich auf. „Ich hatte wirklich nicht vor, dich anzugreifen. Gerade habe ich leider keine allzu gute Kontrolle über meinen wölfischen Teil.“

„Solange du nur bei mir ausrastest, ist es schon okay. Den Kollegen gegenüber solltest du besser nicht mit goldenen Augen und Schaum vorm Maul über den Weg laufen.“

„Ich weiß. Bisher hatte ich auch nie Probleme damit meinen Wolf zu kontrollieren.“

Aufmunternd lächelt sie mich an. „Du hast also Interesse an Martin?“

„Bitte nicht lachen. Ich weiß selbst, dass es eine aussichtslose Schwärmerei ist.“

Lena tätschelt meinen Arm. „Ach, manchmal liegen die Dinge anders als man denkt.“

Während ich sie noch verblüfft anstarre, startet sie den Motor und fährt los. Immerhin haben wir einen Fall, um den wir uns kümmern müssen. Die Konzentration auf die Arbeit hilft mir, mich zu sammeln. So trottelig wie ich mich derzeit anstelle, hätte Lena jedes Recht mich auszulachen, aber sie ist erstaunlich verständnisvoll.

Als wir am Tatort ankommen, haben die Kollegen vom Streifendienst schon ganze Arbeit geleistet. Alles ist abgesperrt und die Zahl der Schaulustigen hält sich in Grenzen. Bisher scheint es den meisten zu genügen, hinter ihren Spitzengardinen zu beobachten, was hier vor sich geht. Der kleine Spirituosenladen hat definitiv schon bessere Tage gesehen, aber das ist in dieser ländlichen Region nicht unüblich. Es findet sich die typische Mischung aus Alkohol, Zeitschriften und Tabakprodukten im Sortiment. Sicherlich kennt der Besitzer die meisten seiner Kunden mit Namen und hält beim Einkauf ein Schwätzchen mit ihnen. Leider gibt es keine Überwachungskamera, die uns bei der Lösung des Falls helfen würde.

„Gibt es Zeugen?“, frage ich einen der Streifenpolizisten.

„Nur eine ältere Dame, aber die sieht nach eigenen Angaben nicht mehr so gut.“

Keine optimalen Voraussetzungen, aber wir nehmen, was wir kriegen können. „Okay, dann werden wir uns mal mit ihr unterhalten. Sonst noch etwas?“

Der Polizist schüttelt den Kopf. „Leider nicht. Es scheint recht schnell gegangen zu sein. Der Täter wusste offenbar, wo alles steht, und hat keinen weiteren Schaden angerichtet.“

„Danke! Ich hoffe, die Befragung bringt etwas.“

Während Lena sich mit der Zeugin unterhält, ziehe ich mir die nötige Schutzkleidung über und sehe mich am Tatort um. Tatsächlich deuten nur wenige Dinge darauf hin, dass hier ein Verbrechen stattgefunden hat. Die Blutflecken hinter der Theke sprechen hingegen für sich. Bei der Menge, die auf dem Boden verteilt ist, wundert es mich nicht, dass der arme Mann gestorben ist. Zwei kleine Aufsteller, ehemals gefüllt mit Feuerzeugen und Kugelschreibern, liegen nebst Inhalt auf dem Boden. Wahrscheinlich wurden sie während des Angriffs heruntergerissen. Mit Glück kann die Spurensicherung etwas damit anfangen. Vorsichtig gehe ich um die Theke herum und achte darauf, keine Spuren zu zerstören. Ein Geruch kitzelt in meiner Nase, als ich in die Nähe der Blutflecken komme, die sich auch am hinteren Teil der Theke befinden. Kann es sein, dass der Täter ebenfalls verletzt wurde?, frage ich mich und runzle die Stirn, weil ich eine zweite Duftnote wiedererkenne. Wolfsblut. Na, das kann ja heiter werden.

Ich sehe mich noch ein wenig um. Dann gehe ich zu dem Kriminaltechniker, der mir am nächsten steht und dabei ist, alles zu dokumentieren. Zum Glück ist es ein Kollege, mit dem ich gut auskomme.

„Hi Roland“, begrüße ich ihn.

„Hallo Thomas, lange nicht gesehen.“

„Stimmt. Ich hatte in letzter Zeit viele Spätschichten und ruhig war es obendrein. Wie geht es dir?“

Wir plaudern kurz, dann konfrontiere ich ihn behutsam mit meiner Bitte. „Wäre es möglich, dass du auch von den kleinen Blutspritzern auf der Theke ein paar Proben nimmst? Ich weiß, es ist viel Arbeit, aber vielleicht hilft es uns weiter.“

Der grauhaarige Techniker reibt sich das Kinn. „Mhm, du weißt, dass bei solchen kleineren Vorfällen die Bereitschaft, teure DNS-Analysen zu machen, nicht sonderlich groß ist?“

„Ja, aber mit einer alten, fast blinden Großmutter als einziger Zeugin stehen die Aufklärungschancen schlecht. Bis jetzt wäre der Besitzer der Einzige, der den Täter hätte eindeutig identifizieren können, und der ist tot. Wenn wir durch die Befragung noch Zeugen finden, müssen die Proben nicht zwangsläufig ins Labor.“

„Ach, er ist zwischenzeitlich verstorben? Das erklärt auch, warum du hier bist. Hatte mich schon gewundert, was du bei einem Raubdelikt zu suchen hast.“

„Mir wäre es auch lieber gewesen, wenn der Mann noch leben würde. Ohne verlässliche Zeugen und eindeutige Spuren sieht es schlecht aus.“

Wir unterhalten uns noch ein wenig über den Vorfall. Wie ich Roland kenne, wird er schon jeden möglichen Hinweis aufspüren. Schließlich stößt Lena zu uns.

„Und? War etwas Brauchbares dabei?“, frage ich.

Sie zuckt mit den Schultern. „Wie man es nimmt. Sie ist der Meinung, dass es der ‚missratene Sprössling‘ der Heidmanns war.“

„Aha. Wie kommt sie darauf?“

„Sie will ihn an der Stimme und dem ‚unflätigen Verhalten‘ erkannt haben. Der Junge scheint das schwarze Schaf in der Gegend zu sein und in letzter Zeit einigen Ärger gemacht zu haben.“

„Hat sie dir auch verraten, wo wir die Heidmanns finden können?“

Lena schnaubt. „Sie würde uns sogar persönlich hinführen oder ein großes, rotes Kreuz auf die Tür sprühen. Die Familie ist offenbar nicht allzu beliebt.“

Wenn meine Vermutung stimmt, wäre das eine gute Erklärung für die Abneigung der Zeugin gegenüber dem Jungen. „Dann lass uns der Familie mal einen Besuch abstatten. Wurden die Angehörigen des Besitzers denn schon über seinen Tod informiert?“

„Es gibt keine. Der Mann war nie verheiratet und hatte keine Kinder. Im Moment wird noch nach Geschwistern oder entfernten Verwandten gesucht, aber in seinem Alter stehen die Chancen eher schlecht, dass wir jemanden finden, der Bezug zu ihm hatte.“

Das ist traurig. Viele ältere Menschen vereinsamen und haben niemanden, der ihren Verlust betrauert oder sich nach dem Tod um den ganzen anfallenden Papierkram kümmert. Auf der anderen Seite bin ich froh, dass wir niemandem den Tod eines nahen Angehörigen mitteilen müssen. Das ist ein Teil meines Berufs, den ich nicht mag.

Wir befragen noch einige der Schaulustigen und begeben uns dann zu der Adresse der Familie Heidmann. Als wir vor dem kleinen Häuschen am Ortsrand aussteigen, hören wir laute Stimmen. Lena und ich sehen uns alarmiert an. Mit einer Hand an der Dienstwaffe laufen wir zur Tür.

„Was hast du Missgeburt schon wieder angestellt?“, brüllt ein Mann.

„Lass mich los! Du hast mir gar nichts zu sagen“, schreit eine deutlich jüngere, männliche Person zurück.

Lena drückt den Klingelknopf, während ich mich auf einen Sprint einstelle. Der Gesprächsfetzen ist ein kleiner Hinweis darauf, dass die Situation schnell ungemütlich werden könnte. Als die Klingel im Haus schrillt, verstummen die Stimmen. Schwere Schritte bewegen sich zur Tür.

„Was?!“, schnauzt uns ein stämmiger Mittvierziger an.

„Kriminalpolizei!“, gibt Lena mit fester Stimme zurück.

Die Augen des Mannes verengen sich zu Schlitzen. Er dreht sich um und brüllt: „LEON! Beweg sofort deinen faulen Arsch hierher!“

„Fuck!“, flucht jemand, bevor Getrappel zu hören ist - natürlich von uns weg. Eine Tür wird aufgeschlagen und schon beginnt die Jagd. Ich folge den Geräuschen und sehe gerade noch einen schwarz gekleideten Jugendlichen um die Ecke biegen.

„Stehenbleiben, Polizei!“, rufe ich, was natürlich nicht dafür sorgt, dass der Junge anhält. Stattdessen wird er schneller. Du entkommst mir nicht! In solchen Situationen bin ich froh, dass ich als Werwolf schneller bin als ein Mensch, sonst hätte ich keine Chance, den Verdächtigen zu schnappen. Ich beschleunige meine Schritte. Seine Flucht führt über die Straße und schließlich in den kleinen Wald, der am Dorfrand liegt. Immer wieder schaut er sich um. Seine Panik liegt deutlich in der Luft. Er rennt, so schnell er kann, doch ich hole immer weiter auf. Seine bemerkenswerte Geschwindigkeit ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Junge Wolfsgene in sich tragen könnte. Endlich bin ich ihm so nah, dass ich seine Kapuze zu fassen bekomme und reiße ihn zu Boden.

„Fuck!“, flucht der Jugendliche und wehrt sich verbissen gegen mich.

„Halt verdammt noch mal still! Du machst es nur schlimmer.“ Schnell habe ich ihn in der Position, die ich brauche. Er liegt mit dem Gesicht im Dreck, während ich seine Hände hinter seinem Rücken verdrehe.

„Aua!“, schreit er schmerzerfüllt, während ich mit meiner freien Hand nach den Handschellen an meinem Gürtel greife. Es klickt einmal, zweimal und dann ziehe ich den Jungen mit einem Ruck hoch. Neben seiner Angst kann ich Wut und eine leichte Alkoholfahne wahrnehmen. Doch da ist noch etwas: Werwolfsblut. Beim Sturz hat Leon sich die Wange aufgeschürft, was jedoch innerhalb weniger Minuten verheilt sein dürfte.

„Was soll der Scheiß?“, herrsche ich ihn an.

„Lass mich los, Alter!“

„Ich bin von der Polizei und hätte da ein paar Fragen bezüglich des Wodkas, den du mitgehen lassen hast, Leon.“

Dieser erstarrt. „Welcher Wodka? Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“

„Spar dir die Lügen. Du stinkst danach.“ Ich fische mein Handy aus der Hosentasche und wähle Lenas Nummer

Diese meldet sich sofort. „Wie ist der Stand?“

„Ich hab ihn und komme zurück zum Auto.“

„Okay. Ihr wart so schnell weg, dass ich kaum hinterhergekommen bin“, keucht sie. Es ist deutlich zu hören, dass sie gerannt ist.

„Wir sind am Waldrand und kommen gleich auf die Straße.“

„Gut, dann sollte ich euch bald sehen.“

Ich beende das Telefonat und schleife den Jungen mit mir. „Du steckst ganz schön in der Scheiße.“

Leon zieht es vor, nichts zu erwidern. Das ist auch besser für ihn. Schon wenige Minuten später treffen wir auf Magdalena. Kurz nimmt sie unsere dreckige Kleidung in Augenschein. „Ich dachte, die Jagd würde erst heute Abend beginnen“, kommentiert sie trocken.

„War nicht meine Entscheidung“, antworte ich schulterzuckend.

„Leon Heidmann?“, spricht Lena ihn direkt an.

Der Halbstarke verzieht verächtlich das Gesicht. „Was’n, Schnecke?“

„Für dich Kriminalkommissarin Schwarz, Morddezernat. Wir haben ein paar Fragen bezüglich des Todes von Bernhard Breuer an dich.“

Der Junge erstarrt. „Was?!“

Magdalena erklärt ihm seine Rechte. Als wir schließlich am Auto ankommen, ist Leon blass und schlottert beinahe vor Angst. Vorm Haus wartet der Vater des Jungen mit verschränkten Armen.

„Was hat er diesmal für Mist gebaut?“

„Das werden wir herausfinden. Ihr Sohn steht im Verdacht, etwas mit dem Tod von Bernhard Breuer zu tun zu haben“, informiere ich den Mann.

„WAS?! Wenn das stimmt, dann brauchst du dich hier nie wieder blicken zu lassen!“, donnert der Vater.

„Wir brauchen den Ausweis Ihres Sohnes und müssen später wahrscheinlich in sein Zimmer. Die Kollegen sind informiert. Bitte betreten Sie diesen Raum nicht. Wir nehmen Ihren Sohn jetzt mit aufs Revier. Ist er volljährig? Wenn nicht, müsste ihn ein Elternteil begleiten.“

Wie sich herausstellt, ist Leon neunzehn und sein Vater legt bemerkenswert wenig Wert darauf, seinem Kind beizustehen. Beständig fluchend sieht er zu, wie wir Leon ins Auto verfrachten. Kurz darauf treffen die Kollegen ein und verschließen den Raum, bis ein Durchsuchungsbeschluss vorliegt. Sie übernehmen zum Glück auch die weitere Befragung des Vaters.


Kapitel (Thomas)

Als wir auf dem Revier ankommen, geht es direkt in den Verhörraum. Es sind zwar nur Indizien, doch Leons Verhalten macht ihn mehr als ein bisschen verdächtig. Wir setzen den Jungen in den Raum und ziehen uns dann kurz zurück.

„Das sieht nicht gut für ihn aus“, sagt Lena leise.

Ich nicke. „Wir sollten auf jeden Fall eine toxikologische Untersuchung machen. Leon hat eine Fahne und …“ Unauffällig sehe ich mich um, bevor ich weiterspreche: „Er ist ein Werwolf. Am Tatort hatte ich auch schon eine schwache Fährte. Wir brauchen allerdings nicht nach Verletzungen bei ihm zu suchen. Die dürften mittlerweile alle verheilt sein.“

Lenas Augenbrauen wandern nach oben. „Super. Sein Vater auch?“

„Nein. Das ist ja das Merkwürdige. Rings ums Haus konnte ich keine anderen Wölfe riechen. Scheinbar ist Leon nicht der leibliche Sohn von Herrn Heidmann.“

„Das würde die unerschütterliche Liebe zwischen den beiden erklären.“ Magdalena fährt sich durch die Haare. „Denkst du, dass er weiß, was er ist?“

„Er wird wissen, dass etwas nicht stimmt. Wenn man sich jeden Vollmond in ein Tier verwandelt, kommt man schon ins Grübeln.“

„Scheiße!“ Sie blickt zur Tür des Verhörraums in dem der Junge sitzt. Für sein Alter hat er eine recht männliche Statur, doch in seinem blassen, schmalen Gesicht sieht man deutlich, wie jung er noch ist. „Wenn er nicht gerade einen alten Mann wegen ein paar Flaschen Alkohols abgestochen hätte, könnte er mir beinahe leidtun.“

Ich verstehe nur zu gut, was sie meint. Doch Mitleid hat hier nichts zu suchen. Wir haben ein Tötungsdelikt aufzuklären.

„Thomas, wenn er ein Werwolf ist, dann müsste er sich doch heute ...?“ Lena lässt den Satz unvollendet. Ich nicke.

„Wäre das bei einer Haftstrafe nicht ungünstig? Da würde das doch jeder mitbekommen.“

Erschrocken sehe ich sie an. Damit hat sie natürlich recht. Auf der anderen Seite können wir kriminelle Wölfe nicht einfach laufen lassen. „Wir überlegen uns etwas. Erst einmal müssen wir beweisen, dass er es war, oder einen anderen Täter finden.“

„Stimmt. Zumal er bis dahin mit etwas Glück wieder nach Hause darf.“

Wir kehren zu Leon zurück und rattern die Routine für die Aufzeichnung der Befragung runter. Leons Personalien werden aufgenommen. „Wollen Sie etwas trinken oder jemanden anrufen?“

Die förmliche Anrede scheint ihn zu irritieren, aber da er volljährig ist, müssen wir ihn auch wie einen Erwachsenen behandeln. Der Junge blickt mit blutunterlaufenen Augen zu uns. Wenn ich mich nicht täusche, dann hat er ein altes Veilchen unter dem rechten Auge. Im Werwolfsmaßstab bedeutet das, dass er erst kürzlich - vor wenigen Stunden - in eine Faust gelaufen sein muss.

„Ich will nach Hause“, mault er.

„Später. Erst einmal haben wir ein paar Fragen an Sie“, erklärt Lena. „Möchten Sie auf Ihren Anwalt warten? Sie können uns natürlich bis dahin auch schon erzählen, was Sie heute Morgen zwischen 7.00 Uhr und 8.00 Uhr getan haben.“

„Gepennt, was sonst?“

Wir sind erstaunt, dass er überhaupt antwortet. „Sicher? Wir haben eine Zeugin, die Sie gegen halb acht im Laden von Herrn Breuer gesehen haben will“, hake ich nach.

„Ach, die olle Schachtel ist doch blinder als ein Maulwurf!“, platzt es aus ihm heraus.

Sofort werden wir hellhörig. „Olle Schachtel?“, fragt Lena. „Wen meinen Sie denn damit?“

Er schnaubt verächtlich. „Die Schmidten, diese Schreckschraube. Sie beschuldigt mich andauernd irgendwelcher Sachen.“ Mit dem Finger tippt er gegen seine Schläfe. „Die Alte ist nicht mehr ganz richtig im Kopf.“

„Mhm, kann denn jemand bezeugen, dass Sie zu Hause waren?“

Es klopft an der Tür. Ich öffne sie und gehe zu dem Kollegen, der davor steht. „Die Mutter des Beschuldigten ist hier.“

„Okay, danke. Ich kümmere mich darum. Habt ihr denn schon eine Info, ob wir eine Blutprobe nehmen können? Einmal für den Alkoholwert und vielleicht auch für einen Abgleich mit den Spuren am Tatort.“

Er schüttelt den Kopf. „Noch nicht. Wenn ihr etwas aus ihm herausbekommen würdet, hilft das sicherlich, den Richter zu beiden Beschlüssen zu bewegen.“

Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare. „Stimmt schon. Nur wird der Verdächtige es uns nicht einfach machen.“

„Wann tun sie das schon?“, gibt der Kollege zurück.

„Viel zu selten. Ich gebe Lena Bescheid und kümmere mich um die Mutter. Kannst du sie bitte zu mir ins Büro bringen?“

„Klar.“

„Danke!“

Ich schlüpfe zurück in den Vernehmungsraum und gehe zu meiner Kollegin. „Leons Mutter ist hier“, flüstere ich ihr ins Ohr.

„Oh, da scheint sich ja doch jemand um ihn zu sorgen“, gibt sie zurück.

„Möglich. Ich würde mit ihr reden und schicke dir jemanden rein, okay?“

Lena nickt. „Ja, bitte.“

Ich verlasse den Raum wieder und bitte einen Kollegen, das Verhör mit Lena weiterzuführen. Gespannt, was mich erwartet, laufe ich den Gang entlang und biege in mein Büro ein. Dort sitzt eine ziemlich mitgenommen wirkende Endvierzigerin vor meinem Schreibtisch und hält mit zitternden Händen einen Plastikbecher mit Kaffee umklammert. Die Ähnlichkeit mit Leon ist unverkennbar. Sie besitzt das gleiche, schmale Gesicht, nur hat sie blaue Augen und nicht braune wie ihr Sohn. Generell scheint sie eine hellere Version des Jungen zu sein. Scheinbar ist sein Vater ein dunkelhaariger Wolf gewesen. Mich würde interessieren, wie es zu dieser Familienkonstellation gekommen ist.

„Frau Heidmann?“, spreche ich die Dame an.

Sie zuckt zusammen und lässt beinahe den Becher fallen. Schnell greife ich zu und verhindere Schlimmeres. „Oh, das tut mir leid. Ich …“

„Verzeihung, ich wollte Sie nicht erschrecken.“

Sicherheitshalber stelle ich den Kaffee auf den Tisch und setze mich dann ihr gegenüber. „Was kann ich für Sie tun?“

Fahrig streicht sie ihre einfache Stoffhose glatt. „Ich wollte meinen Sohn sehen. Man … Man sagte mir, dass er von der Polizei mitgenommen wurde.“

Es fällt ihr sichtlich schwer, diesen Satz auszusprechen. „Das stimmt. Wir haben ein paar Fragen wegen eines Überfalls an ihn“, antworte ich vage.

Frau Heidmann erblasst. Sie knetet ihre Finger. „Ich weiß, er ist in sich gekehrt und oftmals abweisend, aber Leon würde so etwas nie tun.“

Mitfühlend sehe ich sie an. „Er wurde am Tatort gesehen. Hatte Leon vorher schon einmal Probleme mit dem Gesetz?“

„Nein, nie!“

Ich nicke verständnisvoll. Tatsächlich konnten wir keine Vorstrafen entdecken. „Ihr Sohn scheint einen gewissen Ruf zu haben. Können Sie mir etwas darüber erzählen?“

Leons Mutter kämpft mit den Tränen. „Er hatte es nie leicht und war immer ein Außenseiter. Dabei ist er so ein lieber Junge …“

„Wie ist sein Verhältnis zu Ihrem Mann? Die beiden schienen nicht so gut miteinander auszukommen.“ Bewusst sage ich nicht ‚Vater‘. Frau Heidmann scheint den Wink zu verstehen. „Aber wie …“

„Ihr Sohn sieht Ihnen ähnlich, Ihrem Mann jedoch gar nicht.“

„Kinder haben selten Ähnlichkeit beiden Elternteilen“, versucht sie das Thema zu umgehen.

Ich gewähre ihr eine kurze Verschnaufpause. „Leon ist schon sehr kräftig für sein Alter. Geht er ins Fitnessstudio?“

„Nein. So etwas gibt es bei uns im Ort nicht. Er hat mit fünfzehn einen großen Wachstumsschub bekommen, wodurch er unter den anderen Kindern noch mehr auffiel. Manchmal ist er so unruhig und verschwindet ohne Worte. Er ist viel im Wald unterwegs.“

Das kann ich mir vorstellen. „Haben Sie mal versucht, mit ihm darüber zu sprechen?“

Sie seufzt. „Mehr als einmal. Aber ich komme einfach nicht an ihn ran, seit …“ Sie stockt.

„Seit er erfahren hat, dass Ihr Ehemann nicht sein leiblicher Vater ist?“, helfe ich ihr auf die Sprünge.

Frau Heidmann wird rot und blickt beschämt zu Boden. „Wissen Sie, ich war damals sehr jung …“

„Und Leons Vater war ein gut aussehender, ein bisschen wilder Kerl, der Ihnen den Kopf verdreht hat?“

Entrüstet sieht sie mich an. Ich hebe die Hände. „Ich wollte mich nicht über Sie lustig machen. Dieser Typ Mann ist mir wohlbekannt. Sie sind eine attraktive Frau, da wird er nichts unversucht gelassen haben, um Sie zu erobern.“

Was ich sage, stimmt, obwohl die Dame vor mir blass und ein bisschen zu dünn ist, lässt sich ihre frühere Schönheit noch erahnen. Das Leben mit den beiden Streithähnen scheint sie viel Energie zu kosten.

Sie legt den Kopf schief und mustert mich. „Mhm, ein bisschen erinnern Sie mich an ihn.“

„Möglich. Weiß er, dass er einen Sohn hat?“

Traurig schüttelt sie den Kopf. „Nein. Es war damals ein kurzer, schöner Sommer, dann ist er ohne ein Wort verschwunden. Als ich erkannte, dass ich mit Leon schwanger war, hatte ich keine Möglichkeit, ihn zu kontaktieren.“

„Das tut mir leid. Es muss schwer für Sie gewesen sein, vor allem als Leon kompliziert wurde.“

„War es. Aber ich habe mich nie beschwert und mein Bestes gegeben.“

„Das glaube ich Ihnen. Doch manche Dinge können wir nicht beeinflussen“, sage ich mitfühlend. Kurz zögere ich. „Würden Sie mir den Namen von Leons Vater verraten?“

Überrascht schaut sie mich an. „Warum? Er hat sich entschlossen, uns zu verlassen. Jetzt ist es zu spät für eine Rückkehr.“

„Da haben Sie natürlich recht, aber vielleicht könnte er etwas für Leon tun, was er schon vor Jahren hätte tun müssen.“

„Was denn?“

Ich zucke mit den Schultern. „Möglicherweise kennt er diese Unruhe, die Leon umtreibt, und kann helfen, sie zu kontrollieren.“

Einen Moment lang starrt sie mich nur an, dann blinzelt sie und bittet um Zettel und Stift. „Mehr als diesen Namen habe ich nicht. Er sagte mir damals, dass er zwanzig wäre, aber ich glaube, das war nur eine seiner Lügen. Er wirkte reifer auf mich, aber ich könnte sein Alter nicht schätzen.“

„Demnach müsste er Ende vierzig bis Mitte fünfzig sein.“ Ich nicke, weil ich mir gut vorstellen kann, dass der Werwolf damals älter war. Da wir locker doppelt so lang leben wie Menschen, verheimlichen wir gern unser wahres Alter. Es ist Segen und Fluch zugleich, dass der Alterungsprozess ab Mitte zwanzig nur sehr langsam voranschreitet.

Fest sieht sie in meine Augen. „Ich will nicht, dass er in mein Leben zurückkehrt, aber wenn er Leon helfen könnte, werde ich ihn nicht aufhalten.“ Damit gibt sie mir den Zettel.

„Ich danke Ihnen und werde sehen, was ich tun kann.“ Nachdem dieses Detail geklärt ist, beginne ich mit der eigentlichen Befragung. Schließlich geht es um Leons Schicksal, das durch den gewaltsamen Tod eines Mannes nicht gerade rosig aussieht.

Als Frau Heidmann das Revier verlässt, schaue ich ihr hinterher. Wie vermutet, kann sie ihrem Sohn kein Alibi geben und sie ist intelligent genug, diese Wahrheit zu anzuerkennen. Es hat sie förmlich zerrissen, ihr Kind in Handschellen zu sehen, doch nur weil Leon Probleme hat, können wir ihn nicht einfach laufen lassen. Obwohl der Jugendliche äußerlich unbeteiligt wirkt, nimmt ihn der Besuch seiner Mutter mit. Ich stelle eine Dose Cola vor ihm auf den Tisch.

„Sie sind sicherlich durstig.“

Misstrauisch beäugt er das Getränk als würde er überlegen, ob ich ihn vergiften will.

„Die ist aus dem Automaten im Flur“, informiere ich ihn. „Ich weiß, Schnaps wäre Ihnen lieber, aber den bekommen Sie nicht.“ Ernst blicke ich ihm in die Augen und sage mit gesenkter Stimme: „Du kannst diese innere Unruhe nicht mit Alkohol verdrängen. Sie ist ein Teil von dir, egal wie sehr du dagegen ankämpfst.“

Wütend fegt er die Dose vom Tisch. „Was wissen Sie schon davon? Sie haben keine Ahnung!“ Kurz blitzt es golden in seinen Augen, was der letzte Beweis für meine Vermutung ist. Ich werfe einen Blick zu Lena, die die Aufnahme unseres Gespräches stoppt.

„Er weiß es besser als jeder andere, würde ich sagen.“

Leon zieht die Augenbrauen zusammen und springt von seinem Stuhl auf. „Niemand weiß es, niemand versteht es. Also tun Sie nicht so, als würden Sie mir helfen wollen.“

„Diese Unruhe nimmt zu, je näher der Vollmond rückt. Kurz davor fühlst du dich wie ein Tier in einem sehr kleinen Käfig, dessen Wände immer näher rücken“, beginne ich zu erzählen. „Sobald die Sonne untergegangen ist, beginnt deine Haut zu kribbeln. Etwas Wildes bricht sich Bahn, ehe du dich versiehst, durchzuckt ein fürchterlicher Schmerz deinen ganzen Körper.“ Während ich spreche, gehe ich langsam auf den Jungen zu, der sich in eine Ecke des Befragungsraumes geflüchtet hat. Ganz so als würde ich ein verletztes Tier beruhigen wollen, lasse ich ihn nicht aus den Augen und versuche, nicht bedrohlich zu wirken. „Wenn du wieder klar denken kannst, ist der Schmerz vergangen, doch die Welt fühlt sich fremd an. Es zieht dich nach draußen in den Wald. Du willst jagen und allen Zwängen entfliehen. Am nächsten Morgen wachst du nackt und verschmutzt irgendwo in der Wildnis auf, vielleicht ist deine Haut blutverschmiert ...“

„Hören Sie sofort auf!“ Leon hält sich die Ohren zu. Seine Angst und Verzweiflung sind deutlich wahrnehmbar und kitzeln meine empfindliche Nase. So sanft wie möglich ziehe ich seine Hände nach unten.

„Keiner von uns kann dem inneren Wolf davonlaufen, Junge.“

„Woher ...“

Als Leon mich ansieht, lasse ich kurz meinen Wolf durchblicken. „Du bist nicht verrückt und noch wichtiger: Du bist nicht alleine.“

„Wie werde ich es los?“, fragt er verzweifelt.

„Gar nicht. Er ist ein Teil von dir, den du lernen musst zu akzeptieren. Wie alle von uns.“

Tränen rinnen aus seinen Augen. „Aber es tut so weh …“

Ich schiebe ihn zum Stuhl zurück und drücke ihn darauf. „Nur weil du dagegen ankämpfst. Mit etwas Übung verläuft die Wandlung schnell und schmerzlos. Wir sind keine Monster, Leon. Entgegen der alten Geschichten laufen wir nicht durch den Wald, um Menschen anzufallen. Wir werden so geboren und können ein halbwegs normales Leben führen, wenn wir im Einklang mit unserer tierischen Seite sind.“

Unsicher sieht er von mir zu Lena. „Stimmt das? Oder wollt ihr mich nur verarschen?“

Meine Kollegin zuckt mit den Schultern. „Ich bin ein Mensch, von daher kann ich dir nicht sagen, wie es ist, ein Wolf zu sein. Die Werwölfe, die ich kenne, sind aber ganz zufrieden und keine wildgewordenen Bestien.“

Mit offenem Mund starrt er sie an. „Aber …“

„Lena ist eine Ausnahme. In der Regel ist es uns verboten, Menschen unser wahres Wesen zu offenbaren. Wir müssen uns schützen, da es schon immer Leute gab und gibt, die es nicht verstehen und uns jagen.“

„Ich lebe mit einem Vampir und mehreren Wölfen sowie anderen Dämonen zusammen, mich kann so schnell nichts mehr erschrecken“, meint Lena locker flockig.

Leon kann nicht glauben, was er da hört. „Was?“

Magdalena holt etwas weiter aus. „Die übernatürlichen Wesen leben mehr oder minder unter den Menschen, haben aber zusätzlich zu den offiziellen Gesetzen noch ihre eigenen Regeln. Sie nennen es die ‚Schattenwelt‘.“

Ich nicke. „Wir können dir helfen, dich darin zurechtzufinden, aber dafür müssen wir die Wahrheit wissen.“

Als Leon den Mund aufmacht, hebe ich die Hand und bringe ihn zum Schweigen. „Wir können dir die Strafe nicht erlassen. Du musst für deine Taten geradestehen, aber wir können dir helfen, dass so etwas nicht noch einmal passiert.“

Bevor Leon antworten kann, klopft es an der Tür. Eine geschäftsmäßig gekleidete Dame mittleren Alters tritt ein. „Schmalfuß, mein Name. Ich würde mich gern mit meinem Mandanten unterhalten.“

„Pflichtverteidigerin?“, hakt Lena nach.

Die Anwältin nickt. Wir begeben uns zur Tür. „Dann geben wir Ihnen fünfzehn Minuten. Reicht Ihnen das?“

„Ich denke schon.“

„Gut.“ Ich werfe einen letzten Blick zu Leon und nicke ihm aufmunternd zu, bevor ich mit Magdalena hinausgehe.

„Thomas?“

Ich sehe von meinem Kaffee auf. „Ja?“

Lena setzt sich neben mich auf die Stufen des Hintereingangs des Reviers. „Als du diese Dinge geschildert hast, habe ich mich unweigerlich gefragt, ob du es genau so erlebt hast. Ich weiß jetzt seit zwei Monaten, dass du ein Wolf bist, doch du hast nie von einem Rudel erzählt. Warum ist das so?“

„Es gibt keins.“

„Was? Aber ich dachte, jeder Wolf gehört zu einem Rudel. Ihr braucht doch die Gemeinschaft.“

„Normalerweise schon, doch nicht jeder von uns hat das Glück, in ein funktionierendes Rudel hineingeboren zu werden.“ Nachdenklich blicke ich den Dampfschwaden hinterher, die von meiner Kaffeetasse aufsteigen und sich in der Luft auflösen. „Meine Mutter war alleinerziehend. Sie hatte es nicht leicht und leider kein Glück mit Männern. Ich kenne meinen Vater kaum. Er lockte sie mit Versprechungen von großer Liebe und Abenteuer von zu Hause fort und ließ sie sitzen, als ich zwei Jahre alt war.“

„Das tut mir leid.“

Ich zucke mit den Schultern. Langsam bin ich in einem Alter, in dem mich diese Geschichte kaum noch berührt. Es ist einfach zu spät, um der Vergangenheit nachzutrauern. „Sie hatte keine Ahnung, was er war und auch nicht, was in mir schlummerte. Wölfe verwandeln sich das erste Mal um das vierzehnte Lebensjahr herum. Vorher haben wir nur in Gedanken Kontakt zu unserem Wolf. Die Kommunikation zwischen unseren beiden Seiten ist ein bisschen schwierig. Anfangs denkt man, es wären merkwürdige Träume, doch spätestens bei der Wandlung verschmelzen diese beiden Teile miteinander. Bis man wirklich im Einklang mit seinem inneren Wolf steht, vergehen viele Jahre. Keine leichte Zeit für Jungwölfe“

„Wie war es bei dir? Hast du jemanden gefunden, der sich um dich gekümmert hat?“

„Ich hatte Glück. Einer meiner Klassenkameraden war ebenfalls ein Wolf. Zu Beginn konnten wir uns nicht ausstehen, doch mit der Zeit freundeten wir uns an. Er brachte mich zu seiner Familie, die mir half, Kontakt zu meinem Wolf aufzunehmen und mich im Rudel zurechtzufinden.“ Mit einem traurigen Lächeln denke ich an diese Zeit zurück. Wer weiß, wie es sich entwickelt hätte, wenn ich nicht diesen einen Fehler begangen hätte …

„Was ist passiert?“, fragt Lena leise.

„Jahre später verliebte ich mich in ihn. Da waren wir vielleicht so alt wie Leon jetzt. Davor hatte ich es mit Mädchen probiert, aber irgendwie fehlte mir etwas. Die Jungs machten damals schon Scherze, dass ich lieber mit den Mädels schwatzen würde, statt sie flachzulegen. Langsam, aber sicher sickerte in meinen Verstand, dass ich anders als meine Kumpels war. Eines Sommers, nach dem Abi, war ich mit meinem besten Freund an einem kleinen See baden. Plötzlich fiel mir auf, wie toll er aussah. Ich konnte einfach nicht aufhören, ihn anzustarren, was ihm natürlich nicht entging.“

Lena legt mir einen Arm um die Schulter. Wir wissen beide, dass die Geschichte nicht gut ausgeht. „Du hast es ihm gesagt und er hat nicht gut darauf reagiert.“

„So könnte man es sagen. Erst dachte er, dass ich ihn verarschen will, dann fühlte er sich regelrecht abgestoßen.“ Nur ungern denke ich an diese Situation zurück. Selbst nach so langer Zeit tut es noch weh. „Wölfe sind in dieser Hinsicht noch komischer als Menschen. Bei uns stehen Männlichkeit und Stärke im Vordergrund. Du kennst doch die Vorurteile, die man Schwulen gegenüber hat. Wir werden gern als schwächliche Typen mit näselnder Stimme dargestellt, die schreiend vor Spinnen weglaufen und so weiter. Schwul und männlich passt demnach nicht zusammen. Dementsprechend könnte ein Homosexueller niemals Alpha werden.“

Neben mir schnaubt Lena verächtlich. „So ein Schwachsinn! Einen guten Anführer macht doch viel mehr aus. Wenn er gerecht und klug ist, sollte es doch niemanden interessieren, ob er auf Männer oder Frauen steht. Hauptsache ist doch, dass ihm das Wohl seiner Leute am Herzen liegt“.“

Ich drücke Magdalena kurz an mich. Ihr Zuspruch und ihr Verständnis sind Balsam für meine geschundene Seele.

„Ihr habt es wirklich nicht leicht. Da lobe ich mir die Arroganz der Vampire, die interessiert es einfach nicht, was andere über sie denken“, kommentiert Lena trocken.

Ich horche auf. „Bei ihnen gibt es derartige Vorurteile nicht?“

Sie zuckt mit den Schultern. „Es gibt bestimmt auch dort homophobe Idioten, aber wenn ich Marco richtig verstanden habe, probieren sich die meisten Vampire über die Jahrhunderte aus. Sie ziehen ja beide Geschlechter an. Zudem leben sie meist als Einzelgänger und damit fällt dieser Gruppenzwang weg. Wir befinden uns in Deutschland und sind mittlerweile im einundzwanzigsten Jahrhundert angekommen. Homosexualität ist zum Glück seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr strafbar und langsam sollten die Leute auch erkennen, dass es ganz natürlich ist.“

Am liebsten würde ich Lena knutschen - freundschaftlich natürlich. Das sieht man mir wohl auch an, denn sie grinst breit und tätschelt mir die Wange. „Ihr Jungs solltet eindeutig mehr Selbstbewusstsein haben und diese Idioten ignorieren. Komm doch einfach demnächst im Literary Passion vorbei, dann stelle ich dich den anderen noch mal vor. Es kann ja nicht angehen, dass du alleine versauerst, obwohl du Anschluss bekommen könntest.“

Mich freut ihr Angebot, doch da gibt es einen Haken: „Der Alpha des Rudels hat das letzte Wort bei derartigen Sachen. Außerdem muss die Mehrheit der Wölfe im Hotel für meine Aufnahme sein.“

Lena zwinkert mir zu. „Ich denke, du hast gute Chancen.“ Dann steht sie auf. „Komm. Wir haben noch einiges zu tun. Wobei …“ Sinnierend hält sie in der Bewegung inne und zieht dann ihr Telefon aus der Hosentasche. „Hi Marco, bitte entschuldige die Störung. Ich habe nur wegen eines Falls eine Frage an dich. Wir haben hier einen straffälligen Werwolf, den wir schlecht in eine normale Zelle stecken können, zumal die Sache generell ein bisschen komplizierter ist.“ Sie hält einen Moment inne. „Nun zur Frage: Wäre es möglich, dass die Vollstrecker ihn verwahren? Möglichst ab heute Nachmittag? Es muss so wirken, als wäre es ein normaler Vorgang. Sprich, der Untersuchungsrichter muss genau diese Besserungsanstalt anordnen. Meinst du, sie bekommen das hin? Ich zeige mich auch erkenntlich dafür.“ Lena lacht und verdreht die Augen. „Natürlich nicht auf diese Weise. Von den Vollstreckern würde mich doch ohnehin keiner anrühren.“ Es folgt eine kurze Pause, in der Lena aufmerksam Marcos Antwort lauscht. „Okay. Im Endeffekt läuft es darauf hinaus, dass ich ihn bringe. Thomas ist nach Sonnenuntergang als Fahrer nämlich nicht zu gebrauchen und meine anderen Kollegen scheiden auch alle aus.“

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dem Vampir diese Aussicht nicht gefällt. Allerdings bleibt uns kaum eine andere Wahl. „Ich kann dabei bleiben“, biete ich Lena an. „Ich sollte ihn ganz gut unter Kontrolle halten können, bis du ihn ablieferst. Wir gehen nicht davon aus, dass er uns angreift.“

Sie wiederholt meine Aussage für Marco noch einmal, dann beendet sie das Telefonat. „Marco schaut, was er machen kann. Die Vollstrecker sind die einzige Lösung, die mir einfällt. Ich muss dringend mal mit Martin reden, wie das sonst gehandhabt wird.“

„Meist regelt das Rudel das intern. Wer keinem angehört, hat ein Problem.“

Magdalena schüttelt den Kopf. „Die ganze Sache ist echt kompliziert. Fakt bleibt aber, dass Leon nicht um eine Haftstrafe herumkommt. Der Staatsanwalt wird gleich hier sein, mit ihm können wir ein paar mildernde Umstände durchgehen, aber der Besitzer ist tot, und das bricht Leon in dem Fall das Genick.“

Wir kehren ins Revier zurück und die Mühlen der Justiz beginnen zu mahlen. Es folgen Gespräche mit Anwältin und Staatsanwalt, wir führen das Verhör von Leon weiter, während dem er die Tat zugibt, jedoch den Tränen nahe versichert, dass es kein Vorsatz war und er den Besitzer nicht töten wollte. Als das vorbei ist, trage ich ihn halb in die Verwahrungszelle im Revier. Mittlerweile ist in seinem Kopf angekommen, dass das hier eine ganz üble Sache ist.

„Ich will nicht ins Gefängnis“, schluchzt er leise.

Ich schließe die Tür von innen und gehe zu ihm. „Wir können dir das leider nicht ersparen, aber wir arbeiten daran, dass du die Sache halbwegs heil überstehst.“ Ich lege meine Hand auf seine Schulter und bringe ihn dazu mich anzusehen. „Du musst dann mitspielen, haben wir uns verstanden? Dich heute in eine normale Haftanstalt zu bringen, wäre der Super-GAU für alle Wölfe. Von daher suchen wir fieberhaft nach einer Alternative. Das bedeutet trotzdem, dass du deine Strafe irgendwie absitzen musst. Die Konsequenzen unseres Handelns müssen wir alle tragen. In der Zeit wirst du allerdings lernen, was es bedeutet, ein Wolf zu sein. Wenigstens das kann ich dir versprechen.“

Leon zieht die Knie an die Brust und blickt mich fragend an. „Warum helfen Sie mir?“

„Weil niemand es verdient hat, so allein gelassen zu werden. Wenn sich dein Erzeuger ordentlich um dich gekümmert hätte, stünden wir aller Wahrscheinlichkeit nach nicht hier.“ Mit diesen Worten verlasse ich die Zelle.

Uns steht ein langer, nervenaufreibender Tag bevor und die Vollmond-Geschichte macht alles noch komplizierter als sonst. Mit jeder Stunde, die vergeht, steigert sich meine innere Unruhe. Noch lässt der Frühling auf sich warten, was bedeutet, dass wir alles bis in die frühen Nachmittagsstunden erledigt haben müssen, damit kein Unglück passiert. Sobald der Vollmond am Himmel steht, setzt die Wandlung ein, ob wir es wollen oder nicht.

Kurz bevor wir zum Untersuchungsrichter gebeten werden, erhält Lena die ersehnte Information: Die Vollstrecker haben alles, was ihnen möglich ist, in die Wege geleitet. Jetzt heißt es hoffen und warten. Wenn alles klappt, dann können wir den Jungwolf sicher verwahren, ohne sein Geheimnis preiszugeben. Leon hat Glück im Unglück. Der Richter stimmt einem psychologischen Gutachten zu, das darüber entscheiden soll, ob der Junge noch unter das Jugendstrafrecht fällt oder nicht.

„Wir übernehmen den Transport“, erkläre ich, als unsere Kollegen den Jungen abführen wollen.

Sie sehen mich zwar erstaunt an, zucken dann aber mit den Schultern. „Okay. Wenn Sie meinen, Kommissar Neumann.“

„Es liegt auf dem Weg, von daher ist es die einfachste Lösung für uns alle.“

Wir führen Leon ab und verfrachten ihn in Lenas Auto. Ich setze mich zu dem Jungen auf die Rückbank. „Kopf hoch. Es sieht verhältnismäßig gut für dich aus.“

Leicht lethargisch blickt er aus dem Fenster. Mittlerweile ist er stocknüchtern und dürfte einen ordentlichen Kater haben. Das wird die bevorstehende Wandlung nicht angenehmer machen. Bereits jetzt spüre ich das typische Kribbeln unter meiner Haut und bin froh, als Lena endlich losfährt.

„Wie ist der Plan?“, frage ich sie.

„Ich fahre erst mal mit euch in das dem Gefängnis am nächsten gelegene Waldstück. Dort könnt ihr euch verwandeln. Mit Einbruch der Dunkelheit geht es dann zu den Vollstreckern. Sie sind die Einzigen, die Zugang zum Gefängnis haben, und sind auch nicht gewillt, daran etwas zu ändern.“

„Verstehe.“ Müde lehne ich mich zurück. „Das wird ein Spaß.“

Über den Rückspiegel blickt Lena zu mir. „Wem sagst du das? Ich wollte schon immer mit zwei Werwölfen durch die Stadt fahren. Hoffentlich hält uns keiner an.“

„Wir verhalten uns so ruhig wie möglich und legen uns hier auf den Rücksitz. Da sollte uns keiner bemerken.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, murmelt sie und konzentriert sich aufs Fahren.

Etwa zwanzig Minuten später biegt sie auf einen Feldweg ein und sucht sich ein abgeschiedenes Plätzchen, was uns vor neugierigen Zuschauern schützen soll. Sie schaltet den Motor aus und schnallt sich ab. „Ich lasse euch beiden mal etwas Freiraum. Zu viel nackte Haut ist schlecht für mich“, sagt sie grinsend und steigt aus.

„Was meint sie damit?“, fragt Leon irritiert.

Verlegen kratze ich mich am Kopf. „Ich bevorzuge es, mich auszuziehen, weil ich keine Lust habe, mir ständig neue Klamotten zu kaufen.“

„Oh. Klar, stimmt schon.“ Ganz wohl ist ihm dabei auch nicht.

„Normalerweise leben Werwölfe in Rudeln und versammeln sich zu Vollmond, um gemeinsam durch den Wald zu streifen. Da wir das in der Regel ab der ersten Wandlung tun, legt man irgendwann seine Scham ab.“

Lena macht sich währenddessen am Kofferraum zu schaffen. „Ihr habt Glück. Ich hab noch zwei saubere Decken. Wollt ihr sie haben?“

„Gern.“

Sie wirft mir die Decken zu. „Danke!“

„Kein Ding. Ich vertrete mir mal etwas die Beine.“

„Mach das.“ Ich wende mich Leon zu. „Spürst du deinen inneren Wolf?“

Der Junge nickt. „Ja, aber ich habe immer Angst, dass er mit mir durchgeht.“

„Deswegen hast du angefangen zu trinken?“

Er nickt. „Anfangs dachte ich, ich werde verrückt. Die Wandlungen sind beängstigend.“

„Darum begleite ich dich heute dabei. Ich kann mich etwas besser kontrollieren. Du wandelst dich zuerst, dann kann ich dich noch unterstützen.“

Ich nehme ihm die Handschellen ab. „Keine dummen Ideen, klar? Ich kann mich innerhalb von Sekunden wandeln und hätte dich in derselben Zeit gefangen. Und glaub mir, mein Wolf ist alles andere als zimperlich.“

Leon zieht den Kopf ein. „Ich verspreche es.“

„Gut. Hier, nimm die Decke. Ich gehe kurz raus, dann kannst du dich ausziehen und darin einwickeln. Du hast fünf Minuten.“

Ich steige aus und drehe dem Auto den Rücken zu.

„Alles in Ordnung?“, ruft Lena mir aus einiger Entfernung zu.

„Ja“, antworte ich. Kurz entschlossen lege ich die Decke auf den geschlossenen Kofferraum und beginne, mich auszuziehen. Sorgfältig staple ich meine Sachen übereinander und schlinge mir schließlich die Decke um die Hüften. Nacktheit macht mir nichts aus, wobei es schon ein bisschen befremdlich ist, dass eine Kollegin mich so sieht. Doch Lena ist vollkommen okay und mittlerweile dürfte sie im Literary Passion so einiges gesehen haben. Wenn sie mit Martin und Marco trainiert, erscheine ich ihr sicherlich wie ein Hänfling, obwohl ich durchaus muskulös bin, nur eben schmal für einen Werwolf. Bevor ich zurück ins Auto steige, klopfe ich an die Heckscheibe. „Fertig?“

„Ja“, kommt es gedämpft aus dem Inneren.

Ich lege meine Sachen auf dem Beifahrersitz ab und setze mich dann neben Leon auf die Rückbank. Die immer schneller sinkende Sonne drängt mich zur Eile. Bis wir uns wandeln müssen, dauert es nicht einmal mehr eine halbe Stunde. Allerdings möchte ich, dass der Jugendliche diesmal eine kontrollierte Wandlung durchlebt, die nicht schmerzhaft ist.

„Lass uns anfangen. Am besten hockst du dich auf die Rückbank. Das ist eine halbwegs angenehme Position, die auch in der Wolfsform funktioniert.“

Unsicher folgt er meiner Anweisung. „Gut“, lobe ich. „Jetzt schließe die Augen und konzentriere dich auf die Unruhe. Versuche, deinen inneren Wolf zu spüren und Kontakt mit ihm aufzunehmen. Du wirst merken, dass er nicht böse ist. Er will mit dir zusammenarbeiten, denn er ist ein Teil von dir, den du zu akzeptieren und zu verstehen lernen musst.“

Zuerst ist Leon noch sehr nervös und weiß nicht so recht, was er mit meiner Aussage anfangen soll, doch dann wird er immer ruhiger.

„Spürst du ihn?“

„Ja“, haucht er ehrfürchtig und ein bisschen ängstlich.

„Wie verhält er sich?“

„Er streicht unruhig hin und her und schaut mich dauernd an.“

„Verständlich. Er fühlt den Vollmond und will, dass du ihn endlich akzeptierst. Gut, präge dir sein Aussehen ein.“

Leon nickt und wirkt konzentriert. „Jetzt stelle dir vor, wie du langsam zu einem Wolf wirst, das Fell auf deiner Haut sprießt und deine Hände zu Pfoten werden.“

Ängstlich schaut der Junge zu mir. „Was, wenn er Sie anfällt?“

„Wird er nicht. Sie sind in der Regel ganz lieb. Ich bin ja selbst einer, vergiss das nicht.“

Leon holt noch einmal tief Luft, dann schließt er die Augen. Erst passiert gar nichts. Das Schauspiel beginnt langsam. Sanft vibriert seine Haut und dann wachsen die ersten dunklen Haare aus ihr heraus. Seine ganze Form verschwimmt und schließlich sitzt ein dunkelgrauer Jungwolf mir gegenüber.

„Gut gemacht. Das war doch gar nicht so schlimm, oder?“

Der Wolf legt den Kopf schief und mustert mich neugierig. Die Intelligenz steht in seinen Augen sowie der Drang, draußen durch den Wald zu rennen und sich auszutoben. „Es tut mir leid, aber für dich gibt es heute keinen Auslauf.“

Während ich das sage, spüre ich, wie sich auch mein Wolf nach außen drängt. Ich lasse die Veränderungen zu und seine Freude ist grenzenlos. Ich schüttle die Decke ab und beschnüffle den anderen Wolf gründlich. Etwas, das Leon auf jeden Fall lernen muss, ist die Kommunikation zwischen uns, und dass es eine feste Rangordnung gibt. Ich knurre leise und sofort zieht Leon erst den Kopf und dann den Schwanz ein. Mit einem bellenden Laut bedeute ich ihm, in den Fußraum zu springen und sich dort zusammenzurollen. Im Gegensatz zu mir passt der Jungwolf noch hinein, auch wenn es schon recht eng ist. Auch wenn Leon für einen Menschen recht stämmig ist, so steckt sein Wolf noch in den Kinderschuhen. Ich mache es mir auf der Rückbank gemütlich, was meinen höheren Rang ebenfalls verdeutlicht.

Als Lena einige Minuten später zum Auto zurückkehrt, ist ihr Staunen grenzenlos. „Ich hab ja mittlerweile schon einiges gesehen, aber zwei so große Wölfe in meinem kleinen Wagen …“

Skeptisch betrachtet sie uns. Mich hat sie ja schon einmal in meiner anderen Form gesehen, nur war da keine Zeit für eine ausführliche Kontaktaufnahme. Leicht stupse ich mit meiner Schnauze gegen ihre Hand.

„Du bist ein ganz Hübscher“, sagt sie und lacht. „Ich wusste gar nicht, dass Wölfe so dunkles Fell haben können. Es sieht toll aus.“ Vorsichtig streichelt sie über meinen Kopf. „Ich würde dich ja glatt als Haustier haben wollen, aber das gäbe Ärger mit Marco.“

Beleidigt jaule ich. Pah, Haustier! Ich bin ein großer Wolf und kein Schoßhündchen.

„Schon gut. Das war nur ein Scherz.“ Sie wirft einen Blick zu Leon. „So, Jungs. Seid schön brav. Ich fahre los und will nicht gestört werden.“

Entspannt lege ich mich auf die Rückbank und lasse den Kopf auf meine Pfoten sinken. Autofahren macht mir nichts aus, obwohl ich das in dieser Gestalt nie tue. Ich habe schließlich niemanden, der mich durch die Gegend kutschiert.

Die Fahrt an sich verläuft ruhig. Leon hat anfangs leichte Probleme mit dem Schaukeln, aber er beißt die Zähne zusammen. Erst als wir an einem heruntergekommenen Haus halten, wird er unruhig. Der Jungwolf spürt, dass hier etwas auf uns wartet, nur hat er keine Ahnung, was. Ich hebe die Schnauze in die Luft und wittere einen Vampir. Konstantin ist also schon da. Lena öffnet die Tür und schon steht der mächtige Vollstrecker neben ihr.

„Huch! Hast du mich erschreckt.“

Der dunkelhaarige Vampir verzieht keine Miene und mustert uns mit seinen rauchgrauen Augen. „Entschuldige. Ich habe noch einiges zu tun, deswegen wäre es gut, wenn wir den Transfer so reibungslos wie möglich über die Bühne kriegen könnten.“

„Geht klar und danke, dass du uns hilfst. Ich weiß wirklich nicht, was wir sonst hätten tun sollen.“

„Zukünftig werden wir uns mit den Alphas absprechen müssen. Prinzipiell helfen wir gern aus, aber wir sind eigentlich nicht dafür da, um Wärter für ungezogene Wölfe zu spielen.“

Charmant wie immer. Wobei ich dem kühlen Vollstrecker recht geben muss. Das hier kann keine Dauerlösung sein. Die Wölfe müssen sich in dieser Hinsicht besser organisieren und vor allem die rudellosen Individuen berücksichtigen oder ein klar definiertes Bündnis mit den Vampiren eingehen. Es kann nicht sein, dass die Blutsauger hinter uns aufräumen müssen. Deren Art von Problemlösung würde den meisten Wölfen nicht gefallen. Ich hebe die Pfote und kratze an der Tür.

„Ich lass dich schon raus, Thomas. Pass bitte nur auf, dass Leon nicht stiften geht.“ Lena öffnet mir und sofort springe ich heraus, um mir die Beine zu vertreten. Dann blicke ich zu dem Jungen, der sich so klein wie möglich macht. Er weiß, dass das kein Spaziergang wird und die eisige Gegenwart von Konstantin schüchtert ihn zusätzlich ein. ‚Komm zu mir und keine Mätzchen‘, fordere ich ihn mental auf.

Nur zögerlich bewegt Leon sich nach draußen. Seine Wolfsform ist zwar schon ganz nett anzusehen, aber deutlich kleiner als ich. Gerade versucht er auch, sich hinter mir zu verstecken. Leons Ohren sind angelegt und seine Rute hat er sich zwischen die Beine geklemmt. Deutliche Zeichen der Angst und der Unterwerfung.

„Aha, das ist also unser Gast“, kommentiert Konstantin trocken, als Leon endlich neben mir sitzt.

„Noch richtig jung, was?“

Lena nickt. „Neunzehn und ohne Rudel aufgewachsen. Wir werden ihn Stück für Stück sozialisieren müssen, aber in den nächsten Jahren hat er dafür mehr als genug Zeit.“

Jetzt ist der falsche Moment für lange Gespräche und Spekulationen. Konstantin weist uns den Weg und wir folgen ihm durch das Labyrinth. In meiner empfindlichen Schnauze kitzeln die verschiedensten Gerüche, die wenigsten davon sind angenehm. Leises Getrappel und Fiepen verdeutlichen, dass in dem alten Haus Ratten leben. Keine schöne Vorstellung, auch wenn ich die Nager als Wolf locker erlegen kann.

Immer weiter geht es in das verfallene Gemäuer hinein, bis wir schließlich an einer modernen Tür Halt machen. Es scheint irgendeinen Authentifizierungsmechanismus zu geben, denn kurz darauf springt die Tür mit einem leisen Klicken auf und gibt den Blick auf einen modernen Zellentrakt frei.

Leon legt die Ohren an und macht einige Schritte rückwärts. Warnend knurre ich und schnappe nach seinem rechten Hinterbein, um zu verdeutlichen, das Flucht eine ganz schlechte Idee wäre. Er jault leise, fügt sich jedoch mit hängendem Kopf.

Etwa eine halbe Stunde später verlassen wir den unterirdischen Gefängnistrakt. Leon ist gut versorgt, wenngleich es für uns Wölfe schrecklich ist, irgendwo eingesperrt zu sein und dann auch noch alleine. Doch Strafe muss sein und hier sind die Bedingungen deutlich besser als in einer normalen JVA. Somit bleibt der Schattenwelt ein handfester Skandal erspart. Niemand will, dass eine Verwandlung zum Wolf auf Video gebannt wird und die Menschen in Panik versetzt.

Erleichtert atmet Magdalena auf. „Ich danke dir für deine Hilfe. Sobald sich etwas Neues ergibt, melden wir uns bei dir. Da noch einige Etappen vor Leon stehen, werden wir uns sicherlich demnächst noch einmal sehen.“

„Scheint so. Wie ist die Lage im Literary Passion? Hat sich alles wieder beruhigt?“, fragt Konstantin.

Lena nickt. „Ja, der Alltag kehrt langsam wieder ein und bisher ist uns weiterer Ärger erspart geblieben.“

„Das freut mich. Grüß Marco und Martin, ich mache mich jetzt an meine eigentliche Arbeit.“

„Mach ich. Tschüss!“

Der Vollstrecker nickt mir zu, bevor er sich abwendet und innerhalb von Sekunden in der Dunkelheit verschwindet.

„So, Großer. Was mache ich jetzt mit dir? Soll ich dich an deiner Wohnung absetzen oder willst du einen Ausflug in den Wald machen?“

Unschlüssig sehe ich Lena an. Ein bisschen Auslauf wäre schon ganz schön. Auf der anderen Seite könnte es unangenehm werden, wenn ich auf ein fremdes Rudel treffe.

„Ab ins Auto mit dir. Ich frag mal bei Marco nach, wo sein Wald ist. Dort solltest du dich austoben können.“

Obwohl Vorfreude in mir aufkeimt, lege ich die Ohren an und ziehe den Schwanz ein.

„Keine Angst, ich bleibe bei dir, bis sich die Wogen geglättet haben. Wenn du dich nicht wohlfühlst, nehme ich dich einfach wieder mit.“

Sie öffnet mir die Autotür. „Spring rein. Wir finden schon ein schönes Plätzchen für dich.“

Ich schmiege mich an ihr Bein und stupse ihre Hand mit meiner Schnauze an. Die Kommunikation mit Menschen ist als Wolf nicht so leicht.

„Ich werte das mal als Ja“, sagt Lena lachend. Zustimmend belle ich kurz und lasse mich von ihr hinter den Ohren kraulen.

„Was bist du nur für ein süßes Kerlchen, wobei das für einen Wolf deiner Größe schon geringfügig untertrieben ist. Wenn ich dich so ansehe, fällt es nicht schwer, nachzuvollziehen, wie die Gerüchte über Werwölfe entstanden sind. Ihr seid wirklich riesig und man spürt einfach, dass sich unter dem Wolfspelz noch etwas anderes verbirgt.“

Ich rolle mich auf der Rückbank zusammen und lausche dem Telefonat zwischen Lena und Marco. Der Vampir gibt ihr die Koordinaten, warnt sie jedoch davor, zu forsch an das Rudel heranzutreten. „Sie kennen zwar deinen Geruch, aber unangekündigt bei einem Wolfsrudel aufzuschlagen, könnte für einige Spannungen sorgen. Ruf nach Martin, bevor du Thomas rauslässt. Fremde Wölfe sollten nicht einfach so auftauchen, das gibt Ärger. Und bitte misch dich nicht ein, wenn es zu einem Kampf kommen sollte. Die Wölfe haben ihre eigene Art, so etwas zu klären. Sie werden sich schon nicht umbringen.“

„Keine Angst, ich will mich nicht von Wölfen zerfleischen lassen. So schlimm wird es schon nicht werden.“

„Pass auf dich auf. Die Wölfe werden morgen gegen Mittag zurückkehren.“

„Okay, danke. Bis dann, Marco.“

Lena beendet den Anruf und schaut mich an. „Ist der Ablauf okay für dich? Du hast ja morgen keinen Dienst und sicherlich haben die Jungs noch einen Platz im Auto. Sonst holt dich jemand ab.“

Ich nicke und los geht die wilde Fahrt. Raus aus der Stadt und immer weiter ins Ländliche. Schließlich biegt Lena auf einen Feldweg ab, den die meisten wohl ignoriert hätten. Langsam nähern wir uns einem großen Waldstück und meine Nervosität steigt mit jedem Meter. Wie werden sie mich aufnehmen und vor allem, wie wird Martin sich mir gegenüber verhalten? Kann ich so tun, als würde er mir nichts bedeuten? Fragen über Fragen.

Kapitel (Martin)

Es herrscht einiger Trubel. Die Vorfreude aller anwesenden Wölfe ist deutlich zu spüren. Wir haben wirklich Glück, dass Marcos Besitztümer so wolfsfreundlich sind. Die urige Hütte in dem alles andere als kleinen Wald ist wirklich ideal für derartige Ausflüge. So gut besucht wie zu Vollmond ist es hier selten. Knapp zwanzig Werwölfe tummeln sich hier und schlagen sich noch schnell die Bäuche voll, bevor es nach draußen geht. Natürlich könnten wir auch in unserer Wolfsgestalt jagen gehen. Wenigstens einmal im Leben testet das jeder Werwolf aus. So eine Maus oder ein Kaninchen sind schnell erlegt und verspeist, allerdings kommt der menschliche Körper nicht ganz so gut mit Knochen und Fell klar, die man als Wolf bedenkenlos hinunterschluckt. Manchmal gehen wir auch gezielt auf die Jagd und bereiten die Beutetiere im Anschluss zu. Da wir nebenher für die Pflege des Waldgrundstücks zuständig sind, bietet sich durchaus die Chance auf eine ‚Großwildjagd‘. Es ist eine blutige Angelegenheit, aber warum sollten wir ein Reh erschießen, wenn wir die geborenen Jäger sind? In der Regel bevorzugen wir unser Fleisch aber gekocht und ohne Fell. Daher jagen zu Vollmond nur wenige, so erspart man sich lästige Blutflecke und hat beim Aufwachen auch keinen komischen Geschmack im Mund. Unsere beiden Seiten gehören zusammen, aber die Vorlieben unterscheiden sich doch ein bisschen.

Es wird gelacht und gescherzt, Kinder toben zwischen den Erwachsenen herum. Obwohl sie noch zu jung für die Wandlung sind, nehmen wir sie mit. Sie sollen sich schließlich an das Leben im Rudel gewöhnen und keine Angst vor ihrem Wolf haben. Die Eltern wechseln sich in der Nacht beim Kinderhüten ab, sodass jeder mal durch den Wald streifen kann. Für die Kinder ist das immer ein riesiger Spaß mit den Wölfen herumzutoben. Wenn wir dann im Morgengrauen zurückkehren und uns schlafen legen, wird das große Kaminzimmer quasi mit Wölfen gepflastert sein. Im Alltag hat jeder sein eigenes Zuhause, aber in dieser einen Nacht schlafen wir gemeinsam, so wie es früher in den Rudeln üblich war. Das stärkt die Bindung untereinander und ist ein bisschen wie eine haarige Pyjamaparty, nur dass am nächsten Tag lauter nackte Leute herumliegen. Ein Glück, dass Wölfe kein allzu großes Schamempfinden in Sachen Nacktheit haben - innerhalb des Rudels. Wir sind schließlich keine Exhibitionisten und wissen die Vorteile von Kleidung durchaus zu schätzen.

Als alle satt sind, werden die Schlafstätten vorbereitet. Die Familien werden sich später an einem Fleck zusammenkuscheln, Pärchen bauen sich ein Liebesnest und der Rest zieht sich an ein ruhiges Plätzchen zurück, etwas abseits der romantischen Inseln und Schnarcher. So suche ich mir eine Ecke, die mir auch in menschlicher Form genug Raum bietet, und breite Isomatte, Decken und mein Kissen aus. Mein Wolf würde auch im Wald schlafen, aber die Tannennadeln piksen unangenehm in der Haut und das ganze Getier muss ich auch nicht haben. Um diese Jahreszeit ist es auch noch zu kalt, um als Mensch im Wald zu schlafen. Da wir uns keine Sorgen wegen Einbrechern machen müssen, bleibt die Hüttentür die ganze Nacht offen. Falls sich doch ein Mensch hierher verirren würde, fiele der sicherlich beim Anblick der ganzen Wölfe in Ohnmacht. Da Marco einen der Wölfe vom Hotel als Jäger eingestellt hat, müssen wir uns keine Gedanken machen, dass uns ein übereifriger Mensch erlegen will. Das hat viele Vorteile. Wir haben schließlich ein gewisses Gespür für die Natur und können kranke Tiere leicht identifizieren.

Als die Sonne zu sinken beginnt, klatsche ich einmal in die Hände. „Es wird Zeit. Beeilt euch mit den letzten Vorbereitungen. Wer bleibt zuerst bei den Kindern?“

Amy und Marek treten vor, ihre Partner übernehmen die zweite Schicht. Wölfe sind ganz passable Babysitter und zum Glück können wir in jeglicher Form miteinander kommunizieren. „Gut. Dann kann es ja losgehen.“

Alle Anwesenden über vierzehn beginnen, sich auszuziehen, die meisten im Kaminzimmer, nur wenige sind schüchtern und ziehen sich in andere Räume zurück. Unbekümmert entledige ich mich meiner Kleidung und lege sie neben meiner Schlafstelle ab. Als das Rudel noch in den Kinderschuhen steckte und wir uns erst noch kennenlernen mussten, hatte ich natürlich mehr Hemmungen. Gerade da ich von Beginn an keinen Hehl aus meinen Vorlieben gemacht habe, hätte es durchaus sein können, dass die anderen mir gegenüber abweisend reagieren. Doch zum Glück war das nie der Fall. Wir akzeptieren einander und begafft wird hier niemand. Meistens zumindest. Grinsend erinnere ich mich an ein paar Situationen, in denen mein Anblick durchaus für Getuschel gesorgt hat. Werwölfe sind muskulöser als Menschen, aber solche Riesen wie mich sieht man auch unter Wölfen nicht so oft. Körperliche Fitness und Stärke hat bei uns einen hohen Stellenwert. Bei aller Zivilisiertheit gilt bei uns trotzdem das Recht des Stärkeren. Zusammen mit meiner guten Beziehung zu Marco war das wohl einer der Punkte, die mich schnell zum Anführer des Rudels haben aufsteigen lassen. Ich habe mich nie als klassischen Alpha gesehen. Wir sind kein ‚normales Rudel‘ und durch meine guten Beziehungen und den Chefposten war es für mich nur eine logische Konsequenz, dass sie sich mir auch als Wölfe untergeordnet haben. Nach dem Gespräch mit Lena und Marco beginne ich langsam zu realisieren, dass die beiden recht haben. Da ist deutlich mehr als nur die berufliche Hierarchie. Die anderen Wölfe sehen zu mir auf und suchen meinen Rat oder meinen Schutz, wenn es zu Streitigkeiten kommt. Obwohl wir aus den unterschiedlichsten Ecken kommen, sind wir innerhalb kurzer Zeit zu einer großen, bunten Familie zusammengewachsen. Der Verlust von Sylvio hat uns alle schwer getroffen, aber seine Frau Bea und sein kleiner Sohn Paul konnten hier im Rudel Rückhalt und Trost finden. Mit der Zeit wird der Schmerz vergehen und dann haben die schönen Erinnerungen Vorrang.

Ich schiebe diesen Gedanken beiseite und konzentriere mich auf die Verwandlung. Mein Wolf will endlich durch den Wald rennen und Energie loswerden. Ich lasse ihm den Vortritt und spüre sofort die körperlichen Veränderungen. Die Sicht ändert sich, meine Ohren werden empfindlicher, während sich meine Form wandelt. Automatisch lande ich auf allen Vieren, als meine Gliedmaßen eine einheitliche Länge bekommen und anstelle von Händen und Füßen Pfoten entstehen. Helles Fell sprießt aus meiner Haut und bedeckt schnell meinen ganzen Körper. Als die Transformation abgeschlossen ist, schüttle ich mich einmal. Selbst als Wolf bin ich groß und kann meine Schnauze bequem auf dem Tisch ablegen. Ich wende mich zu den anderen um und betrachte die facettenreiche Färbung ihres Fells. Im Vergleich zu normalen europäischen Wölfen sind wir nicht nur größer, sondern haben auch eine andere Musterung. Bei uns dominiert unsere menschliche Haarfarbe. Es gibt also helle, dunkle, braune, schwarze und auch rötliche Wölfe. Mein Fell ist fast weiß, zumindest jetzt noch. Nach dem Herumtollen im Wald starrt es sicherlich vor Dreck. Bevor ich mich zur Ruhe bette, werde ich daher noch ein kurzes Bad in dem kleinen See nehmen, der nicht weit von der Hütte entfernt ist. Werwölfe sind nicht gerade wasserscheu.

Ich setze mich auf meine Hinterbeine und heule kurz. Die anderen stimmen mit ein, dann geht es endlich raus in die Natur. Der Boden unter meinen Pfoten ist noch recht kühl, doch der Frühling liegt in der Luft. Langsam erwacht der Wald aus seinem Winterschlaf. Das erste zarte Grün wagt sich hervor und auch die Tiere werden langsam aktiver. Wir bleiben dicht zusammen und streifen durch den umliegenden Forst. Ein Hase flüchtet panisch vor uns. Kurz bin ich versucht, ihm zu folgen, doch mein Hunger ist gestillt und zum Spaß möchte ich den armen Kerl nicht hetzen. Mittels Körpersprache und kurzen Rufen stimmen wir uns untereinander ab. Unsere erste Priorität ist es, die Sicherheit der Daheimgebliebenen zu gewährleisten. Das Holzhaus und unsere Autos sind gut zwischen den ganzen Bäumen verborgen und befinden sich im Herz des Waldes. Bis auf ein paar Nagetiere und schlafende Vögel treibt sich niemand in der Gegend herum. So verteilen wir uns und streifen in kleineren Grüppchen durch das Gebiet. Wettrennen werden ausgetragen und auch der Spieltrieb bricht immer wieder durch. Vor allem die Jungwölfe üben sich in der Jagd und erproben ihre Kräfte.

Leicht hechelnd von dem gerade gewonnenen Wettrennen lasse ich mich auf einer moosigen Stelle nieder und beobachte das bunte Treiben. Die Stimmung ist ausgelassen und der Umgang trotz kleiner Rangeleien liebevoll. Immer wieder kommt einer der Wölfe vorbei und stupst mich an oder legt sich eine Weile zu mir.

Plötzlich ertönt ein leises Heulen von dem Beobachtungsposten an der südlichen Waldgrenze. Auf Marcos Grundstück droht uns keine Gefahr, aber man weiß nie, ob sich zufällig jemand hierher verirrt. Deswegen gehen wir lieber auf Nummer Sicher und streifen durch unser Territorium. Ich spitze die Ohren und richte mich auf. Ein Eindringling? Ich hebe meinen Kopf und antworte. Dann mache ich mich auf den Weg, um der Sache auf den Grund zu gehen. Wer wagt es, ungefragt unser Revier zu betreten? Feinde? Mich begleiten einige kräftige Wölfe, während der Rest die Jungen zusammentreibt und sich ins Unterholz zurückzieht. Immer schneller werden meine Schritte, bis ich neben den Geräuschen meiner Begleiter auch ein Motorenbrummen hören kann. Schließlich sehe ich Scheinwerferlicht. Das Auto bewegt sich langsam auf dem schwer erkennbaren Waldweg. Mit einem leisen Bellen gebe ich meinen Begleitern zu verstehen, dass sie sich vorerst verbergen sollen. Ich selbst folge dem Fahrzeug, bis es schließlich anhält. Ein elektrisches Summen ertönt, was wie ein Fensterheber klingt.

„Martin?“, ruft eine mir bekannte Stimme. Der Wind trägt Magdalenas charakteristischen Duft zu mir, doch da ist noch etwas anderes bei ihr. Ich wage mich aus der Deckung und belle leise. ‚Bleibt wachsam, bis ich Entwarnung gebe. Ich schau mal, was Lena hierhergeführt hat.‘ Langsam laufe ich auf die Fahrertür zu.

„Martin?“ Lenas Stimme erklingt erneut. Sie wirkt ungewöhnlich unsicher, andererseits hat sich die Polizistin bisher auch noch nie zu Vollmond in das Revier des wölfischen Rudels getraut. Nur: Was macht Lena hier? Mit der Pfote schabe ich an der Tür, bevor ich meinen Kopf Richtung Fenster strecke.

„Huch! Martin, bist du das?“

Lenas erschrockenes Gesicht ist durchaus lustig anzusehen. Ich belle noch einmal und schiebe meine Schnauze noch ein Stück weiter ins offene Fenster.

„Wow! Du bist wirklich riesig.“

Gerade als ich überlege, ob ich ihr aus Spaß einfach mal über das Gesicht lecke, entdecke ich einen fremden Wolf. Instinktiv blecke ich die Zähne und knurre. Der dunkle Wolf winselt und zieht den Kopf ein.

„Ruhig, Martin. Das ist nur Thomas“, sagt Lena leise und streicht mir vorsichtig über den Kopf. „Wir mussten länger arbeiten als gedacht, deswegen ist er in dieser Form bei mir. Er hat kein Rudel, mit dem er durch den Wald toben kann.“

Irritiert sehe ich sie an. Was willst du mir damit sagen?

„Ich wollte fragen, ob er heute Nacht bei euch bleiben kann“, redet sie weiter.

Prüfend betrachte ich den Fremden. Tatsächlich kommt mir sein Geruch bekannt vor. Thomas? Ach, der Kollege, der gestern so eingeschüchtert reagiert hat.

‚Was willst du hier?‘, frage ich den Wolf.

Er winselt leise: ‚Ich will keine Probleme machen. Lena meinte, dass ihr vielleicht eine Ausnahme macht und ich bei euch bleiben darf. Wenn ihr mich nicht haben wollt, gehe ich sofort.‘

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und lege den Kopf schief. ‚Warum wurdest du deines Rudels verwiesen?‘ Neuen Ärger können wir nach dem ganzen Trubel nicht gebrauchen.

Traurig schaut er mich an. ‚Ich habe es verlassen, weil ich nicht hineinpasste. Nicht mehr …‘

Mitgefühl regt sich in mir. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Lena irgendeinen dahergelaufenen Wolf anschleppen würde. Die junge Polizistin scheint ihn zu mögen. Thomas hat uns außerdem im Kampf gegen Xaver geholfen. Eine Chance hätte er verdient, nur wäre es mir lieber gewesen, wenn das vorher mal angesprochen worden wäre.

‚Steig aus, aber mach keinen Unfug‘, knurre ich halb. Mitleid ist eine Sache, aber ich muss auch an die Sicherheit meines Rudels denken.

Lena hat bisher stumm unsere Unterhaltung verfolgt. Für sie muss das alles sehr merkwürdig sein, da sie nicht versteht, was zwischen uns passiert. Ich stupse sie leicht mit meiner Schnauze an, was sie kichern lässt.

„Morgen musst du mir erzählen, was hier gerade abging“, fordert sie. Aus Spaß lecke ich ihr nun doch über die Wange.

„Bäh! Wolfsküsse sind echt nicht meins.“

Schnell ziehe ich mich aus dem Auto zurück und laufe zur Hintertür. Mit der Pfote kratze ich daran, bis Lena sich herüberbeugt und sie von innen öffnet.

„Macht nichts, was ich nicht auch tun würde, Jungs. Seid also lieb zueinander, sonst muss ich mit euch schimpfen.“

Zögerlich streckt Thomas seine Schnauze nach draußen und legt die Ohren an. Den Blick hält er gesenkt, wie es sich für einen rangniederen Wolf gehört, der in ein fremdes Revier eindringt. Langsam wagt er sich aus dem Schutz des Wagens und macht sich so klein wie möglich. Ich lasse ihn nicht aus den Augen und weiß, dass auch die anderen sein Verhalten sehr genau beobachten. Thomas ist recht schlank für einen Werwolf, in beiden Gestalten, trotzdem wirkt er nicht schwächlich. Mit eingekniffener Rute macht er ein paar Schritte von der Tür weg und lässt sich auf den Boden fallen. Er entblößt seinen Bauch und macht damit deutlich, dass er keinerlei böse Absichten hegt. In dieser Position wäre es für mich ein Leichtes, ihn schwer zu verletzen oder gar zu töten. Neugierig komme ich näher und beschnüffle den Fremden ausgiebig. Dieser hält ruhig, auch wenn das leichte Beben seines Körpers deutlich verrät, dass er Furcht vor einem Angriff hat. Erstaunt stelle ich fest, dass ich seinen Geruch mag. Thomas‘ braunes Fell ist ganz weich, als ich mit der Nase darüberstreiche. Sein Zittern verstärkt sich und ein leises Winseln erklingt. Beinahe schüchtern kneift er die Hinterbeine zusammen, als ich ihn dort inspizieren will. Wölfe riechen genauso wie Hunde an ihren Geschlechtsteilen. Das ist sehr aufschlussreich, wenngleich es für Menschen absonderlich erscheint. Der Hormoncocktail, der dort abgegeben wird, lässt Rückschlüsse auf Gesundheitszustand, Potenz, Paarungsbereitschaft und Rang zu. Da er mir den Zugang verwehrt, knurre ich leise und schnappe nach seinem Bein. Sofort gehorcht er und ich mache eine interessante Entdeckung.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739469164
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Oktober)
Schlagworte
romance Werwolf Freundschaft Krimi Familie Liebe gay Ermittler Cosy Crime Whodunnit Urban Fantasy

Autoren

  • Vanessa Carduie (Autor:in)

  • Yvonne Less (Illustrationen)

Vanessa Carduie erblickte an einem grauen Herbstmorgen 1988 in Dresden das Licht der Welt. Geschichten faszinierten sie von klein auf und bald folgten die ersten eigenen Erzählungen. Sie hat Biologie studiert und widmet sich seit einigen Jahren aktiv ihrer Schreibleidenschaft. Mit ihren Büchern möchte sie ihre Leserinnen und Leser zum Lachen, Weinen und manchmal auch zum Nachdenken bringen.
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Titel: Literary Passion - Verbotene Liebe