Lade Inhalt...

Liebe im Wolfspelz

von Vanessa Carduie (Autor:in)
310 Seiten
Reihe: Schattenseiten-Trilogie, Band 5

Zusammenfassung

So hatte sie sich ihren Urlaub wirklich nicht vorgestellt. Statt sich vom Beziehungsstress zu erholen, wird die junge Werwölfin Sophie bei einem Ausflug angeschossen. Ihr Retter René traut seinen Augen kaum, als anstelle des verletzen Wolfes plötzlich eine junge Frau vor ihm liegt. Unfreiwillig kommen sie einander näher. Doch Ärger lässt nicht lange auf sich warten, denn Menschen dürfen nicht wissen, dass es übernatürliche Wesen gibt. Bevor René sich versieht, wird er mit den dunklen Geheimnissen und Abgründen der Schattenwelt konfrontiert, die ihn das Leben kosten könnten. Hat ihre Liebe eine Chance oder werden sie die Unterschiede für immer entzweien? Ein Muss für die Fans der Schattenseiten-Trilogie.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Missglückter Ausflug (Sophie)

Es ist eine lauschige Sommernacht. Der Vollmond steht hoch am Himmel und wirft sein silbriges Licht auf die Heide. Bis vor wenigen Minuten genoss ich diesen Anblick und die Weite der nur leicht bewaldeten Landschaft, nun jedoch renne ich um mein Leben. Meine Pfoten graben sich in den weichen, sandigen Boden, während ich mich durch die wenigen Bäume und Gestrüpp kämpfe, um so viel Deckung wie möglich zu haben. Meine linke Flanke brennt. Blut sickert aus der Wunde und färbt mein helles Fell rot.

So hatte ich mir meinen kleinen Ausflug nicht vorgestellt. Wer hätte ahnen können, dass ich ausgerechnet an so einem abgeschiedenen Ort auf einen Haufen schießwütiger Jugendlicher treffe? Das stand definitiv nicht im Reiseführer. Mich wurmt es, dass ich diese Mistkerle nicht gewittert habe, sonst hätte ich einen großen Bogen um sie gemacht. Nicht ohne Grund sind wir Werwölfe normalerweise im Rudel unterwegs. Nun ist es zu spät. Wüste Beschimpfungen und knackende Äste kündigen meine Verfolger an. Sie sind zum Glück ein Stück entfernt, aber ich spüre, wie sehr mich der Blutverlust schwächt. Als ich ein Motorenbrummen hinter mir höre, fluche ich in Gedanken. Offenbar sind sie mit fahrbaren Untersätzen unterwegs, die sie für eine Hetzjagd brauchen und irgendwo in der Nähe ihres Schießstandes versteckt hatten. Für einen kurzen Moment hatte ich gehofft, dass ich sie abhängen kann, aber mit einem Quad oder Motorrad können sie mich locker einholen. Ich beiße die Zähne zusammen und beschleunige das Tempo. Irgendwann müssen sie doch aufgeben, denke ich verzweifelt. So schnell wie möglich hetze ich durch das Gelände, in der Hoffnung, die Straße zu erreichen und so meine Spuren zu verwischen. Wenn ich der asphaltierten Strecke ein Stück folge, hinterlasse ich keine Spuren, könnte in einer Kurve in das angrenzende Waldstück abbiegen und in die entgegengesetzte Richtung laufen, bevor meine Häscher mich erwischen. Zwar bin ich vor einer Stunde noch freudig von meinem kleinen Ferienhäuschen losgelaufen, doch das liegt mittlerweile zu weit entfernt, um darin Schutz zu suchen. In diesem Moment hasse ich es, dass ich meine menschliche Gestalt zu Vollmond nicht nach Belieben annehmen kann. Auf eine nackte Frau würden sie wahrscheinlich nicht aus Spaß schießen. Nur würde mich das vor neue Probleme stellen, denn ich traue den Idioten auch andere Schandtaten zu und kann mir leider keine Kleider herzaubern. Als ich Scheinwerferlicht durch die spärliche Bewaldung sehen kann, atme ich erleichtert auf. Bald habe ich es geschafft, die Straße ist nicht mehr weit. Ich bete, dass mein Plan aufgeht. Lange halte ich das Tempo nicht mehr durch, und meine Wunde muss dringend versorgt werden. So schnell heile ich dann doch nicht.

Als meine Pfoten den warmen Asphalt berühren, spüre ich neben dem Schmerz auch Erleichterung. Diese verfliegt jedoch augenblicklich, als meine Beine unter mir nachgeben und ich mit voller Wucht auf die Straße krache. Die Scheinwerfer, über die ich mich aus der Ferne noch gefreut habe, rasen auf mich zu. Verzweifelt versuche ich, wieder auf die Pfoten zu kommen, doch mein Körper will mir nicht gehorchen. Meine zittrigen Glieder bewegen sich keinen Zentimeter. Verdammt! Ich will noch nicht sterben! Mein ängstliches Heulen schallt durch die Nacht, dann schließe ich die Augen und versinke in der Schwärze der drohenden Ohnmacht. Immerhin bekomme ich nicht mit, wie ich überfahren werde …

Gelächter und Reifenquietschen dringen wie aus weiter Ferne an meine Ohren, dann nichts mehr.

Eine Begegnung (René)

Ein herzzerreißendes Heulen lässt mich zusammenzucken. Als ich den Wolf wenige Meter vor mir auf der Straße liegen sehe, steige ich in die Eisen und mache eine Vollbremsung. Die Reifen quietschen gequält, und das Auto bockt widerwillig. Schließlich komme ich zum Stehen. Sofort reiße ich die Tür auf und stürze nach draußen. Ich traue meinen Augen kaum, als ich den riesigen, ungewöhnlich hellen Wolf entdecke. Nur wenige Zentimeter liegen zwischen dem mächtigen Körper und den Autoreifen. Mit klopfendem Herzen und schwitzenden Händen schleiche ich näher zu diesem faszinierenden Geschöpf. Jeder weiß, dass verletzte Tiere gefährlich werden können. Es rührt sich nicht, aber das kann sich von einer Sekunde zur anderen ändern. Erschrocken keuche ich, als ich die dunkelrote Lache entdecke, die sich unter dem Wolf gebildet hat. Offenbar ist er schwer verletzt. Was soll ich nur tun? Wenn ich ihn hier liegen lasse, wäre das sein sicherer Tod. Klar, ich könnte die Polizei rufen, aber die würde das Tier wahrscheinlich erschießen. Hämisches Johlen dringt an mein Ohr.

„Haben wir das Vieh erwischt?“

„Hast du das Quietschen nicht gehört?“

„Scheint, als wäre es überfahren worden.“

„Shit. Dann holen sie bestimmt die Polizei oder diese bescheuerten Umweltfuzzies, die uns diese verdammten Wölfe eingeschleppt haben.“

Wut steigt in mir auf, als ich die Gruppe Halbstarker erblicke, die sich gerade auf Quads durch das Gestrüpp kämpft und ganz offensichtlich schuld an der Verletzung dieses wunderschönen Tieres ist. Was für Arschlöcher! Wenn die den Wolf in die Finger bekommen, quälen sie ihn bestimmt zu Tode. Ich renne zum Auto und reiße den Kofferraum auf. Dort krame ich nach einer Decke und kehre damit zu dem Wolf zurück. Kurz entschlossen greife ich unter den mächtigen Körper. Unter Ächzen hieve ich das Tier auf die Decke und wickle es darin ein. Dabei komme ich nicht umhin, die seidige Struktur des hellen Fells zu bewundern. Doch schnell reiße ich mich zusammen. Ich habe keine Zeit für solche abwegigen Gedanken, wenn ich das Tier retten will. Das Bündel trage ich zum Auto und lege es vorsichtig ab. Dabei rutscht der Stoff ein Stück herunter, und erschrocken blicke ich in goldene Augen, die mir seltsam menschlich vorkommen. Sich nähernde Motorengeräusche lösen mich aus meiner Starre. Das hast du dir sicherlich nur eingebildet. Ich knalle den Kofferraum zu und schwinge mich hinters Lenkrad. Dann gebe ich Gas und sehe im Rückspiegel, wie vier dunkle Gestalten auf Quads auf die Straße rasen und die Fäuste schütteln.

„Was sind das für Irre, die aus Spaß auf Wildtiere schießen und sie quer durch die Heide jagen?“. Ich bedaure es sehr, dass ich ihnen die Polizei nicht auf den Hals hetzen kann. Aber wenn der Wolf eine Überlebenschance haben soll, muss ich ihn schnell in Sicherheit bringen und versorgen. „So ein schönes Tier …“Ich hoffe, dass ich es retten kann und nicht von ihm angefallen werde.

Tatsächlich ist diese Aktion ziemlich lebensmüde. Aber was hätte ich sonst tun sollen? Obwohl ich kein Tierarzt bin, hoffe ich, dem Tier trotzdem helfen zu können. Vielleicht sind meine merkwürdigen Kräfte wenigstens einmal zu etwas gut. Seit ich denken kann, habe ich eine besondere Verbindung zu Getier aller Art. Ein Schlüsselereignis geschah in meiner Kindheit, als ich im Zoo plötzlich vor dem Tigergehege stand und in meinem Kopf hören konnte, wie der Kater gelangweilt Tauben zählte. Natürlich glaubte mir niemand. Nur der Tiger bemerkte, dass ich ihn offenbar verstanden hatte. Viele Jahre besuchte ich ihn und führte heimliche Gespräche, bis er schließlich starb. Das war ein schwarzer Tag in meinem Leben, weil ich Micha lieb gewonnen hatte. Tatsächlich schnappte ich auch von anderen Tieren Gedanken auf, aber nur bei meinem schwarzen Kater Kasimir, der mir einige Jahre später zulief, entstand wieder so eine tiefe Freundschaft daraus wie bei ‚meinem‘ Tiger.

Ursprünglich wollte ich Tierarzt werden, aber dieser Traum zerschellte schnell an der harten Realität. Es gehört schließlich mehr dazu, als sich nur mit einem Tier zu unterhalten, und ich bin einfach nicht dafür gemacht, Tiere aufzuschneiden oder einzuschläfern. Je älter ich wurde, desto mehr verdrängte ich daher diese ‚nutzlose‘ Fähigkeit. Heute habe ich einen für viele Leute langweiligen Bürojob als Modellierer in der IT-Branche, der allerdings gut bezahlt wird. Tatsächlich bereitet es mir Freude, mich mit diversen Modellen und Statistiken auseinanderzusetzen. Außerdem hatte ich schon immer ein gutes Händchen für Zahlen und finde die meisten Menschen auf Dauer anstrengend. Ganz im Gegensatz zu Tieren, weshalb ich gern in der Natur bin. Durch meinen gutbezahlten Beruf konnte ich mir vor einigen Jahren ein ruhig gelegenes Ferienhäuschen an der Grenze zur Lüneburger Heide zulegen, in dem ich so viel Zeit wie möglich verbringe. Ich genieße die Ruhe und Einsamkeit hier, die nur sehr selten von Menschen gestört wird. Dafür freue ich mich immer sehr über meine tierischen Besucher.

Als ich zehn Minuten später vor dem kleinen, von Bäumen gesäumten Häuschen parke, steigt meine Aufregung. Wölfe fallen in der Regel keine Menschen an. Das sind dumme, alte Märchen, die einzig dazu da waren, Kinder zu erschrecken, und eine Legitimierung für den Abschuss der Tiere bildeten. Wenn ich jedoch einen verletzten Wolf in mein Haus lasse, sieht es anders aus. Er kann mir dort schließlich nicht ausweichen. Irgendwie muss ich mich doch schützen können, ohne das arme Ding einzusperren. Mein Gesicht hellt sich auf, als mir die alte Hundeleine und das dicke Lederhalsband einfallen, die noch von den Vorbesitzern stammen. Immerhin etwas. Auch wenn die mich wohl nicht retten werden, falls der Wolf mich doch fressen will. Schnell steige ich aus, eile ins Haus und suche alles zusammen, was ich benötige. Im Licht der Küchenlampe fällt mir das erste Mal auf, dass meine linke Hand deutliche Blutspuren aufweist. In der Aufregung war mir das entfallen. Hoffentlich ist der Wolf noch nicht gestorben und kann gerettet werden.

Bang kehre ich zum Auto zurück und hieve meine Fracht ins Haus. Erleichtert stelle ich fest, dass der Wolf noch atmet und die Decke noch nicht vollkommen blutdurchtränkt ist. Behutsam lege ich ihn auf dem Küchentisch ab und öffne dann vorsichtig den dicken Stoff. Die Augen des Tiers sind geschlossen, trotzdem komme ich nicht umhin, die Schönheit dieses Wesens zu bewundern. Noch nie war ich einem wilden Tier so nah. Auch wirkt dieser Wolf anders als die aus den Tierparks und Fernsehdokumentationen. Sein Fell schimmert im Licht fast golden, und ihm fehlt die typische dunkle Zeichnung seiner europäischen Artgenossen. Mit zitternden Händen befestige ich das Halsband dort, wo es hingehört, und knote das andere Ende der Leine am Tischbein fest. Ein Vorteil von Echtholzmöbeln ist, dass sie verdammt schwer sind, und dieses Exemplar stammt noch von den Vorbesitzern, die es offenbar größer mochten. Normalerweise ist das lästig, nur diesmal nicht. So habe ich immerhin genug Platz, um den Wolf zu versorgen, und selbst ein panisches Tier sollte das Teil nicht einfach verrücken können. Dann mache ich mich auf die Suche nach der Verletzung. Vorsichtig drehe ich den Wolf auf die andere Seite und stelle fest, dass es sich um eine Wölfin handelt.

„Hoffentlich bist du nicht trächtig oder hast Welpen, die du versorgen musst“, murmle ich. Ehrfürchtig streichle ich über das unglaublich weiche Fell. Umso mehr erschreckt es mich, als ich die blutende Wunde an der linken Flanke des Tieres entdecke. Geronnenes Blut verklebt die dichten Haare und verhindert, dass ich die Ursache erkennen kann. Mit einem feuchten Lappen reinige ich die Stelle und schneide vorsichtig mit einer kleinen Schere die Haare rings um die Verletzung ab.

„Was zur Hölle! Haben diese Idioten etwa auf dich geschossen?“, fluche ich entsetzt. Ich bin kein Experte, aber das erkenne selbst ich. Sanft taste ich das Gewebe rings um die Wunde ab. Tatsächlich kann ich etwas Hartes erspüren, das definitiv nicht dorthin gehört. „Wie bekomme ich das Ding nur aus dir raus, ohne noch mehr Schaden anzurichten?“

Ratlos blicke ich auf die Wunde, da kommt mir plötzlich eine Idee. Ich laufe zur kleinen Abstellkammer, in der ich mein Werkzeug aufbewahre. Dort befindet sich auch eine lange, schmale Zange, die mir vielleicht helfen könnte. Das Ding ist nagelneu, trotzdem befeuchte ich es ausgiebig mit Desinfektionsmittel und wasche mir gründlich die Hände. In diesem Moment bin ich dankbar für das Praktikum beim Tierarzt, auch wenn es mir damals gezeigt hat, dass ich für diesen Beruf nicht geeignet bin. Einige hilfreiche Sachen habe ich immerhin gelernt. Schweiß bildet sich auf meiner Stirn, als ich die Wunde behutsam auseinanderziehe und nach dem Übeltäter suche. Ich will der Wölfin keine neuen Schmerzen zufügen, doch ich habe nichts, womit ich das Tier zusätzlich betäuben könnte. Glücklicherweise scheint sie davon nichts mitzubekommen, denn sie zuckt nur kurz, als ich mit der länglichen Zange in der Wunde herumstochere. Ich empfange auch keine Gedankenfetzen, die anzeigen würden, dass sie ins Bewusstsein zurückkehrt. Nach ein paar Fehlschlägen bekomme ich die Kugel endlich zu fassen.

„Hab ich dich!“ Triumphierend halte ich das Projektil in die Höhe. Frisches Blut sickert aus der Verletzung und holt mich schnell auf den Boden der Tatsachen zurück.

„Verdammt! Ich muss wohl nähen, sonst verblutet sie mir auf dem Tisch.“

Hektisch laufe ich ins Schlafzimmer und suche nach dem Reisenähset, das ich bis dato als vollkommen überflüssig angesehen habe. Ich desinfiziere alles, so gut es geht, und mache mit zitternden Händen ein paar Stiche. Mich schüttelt es dabei. Es ist ein sehr befremdliches Gefühl, mit einer Nähnadel durch Haut und Gewebe zu stechen.

„Schön ist es nicht, aber es wird hoffentlich ausreichen“, brumme ich und reinige Wunde, Hände und Werkzeuge. Dann bedecke ich die Stelle mit einer Kompresse und klebe sie so gut es mir möglich ist auf die Verletzung. Schließlich befestige ich alles mit einer Mullbinde.

„Puh!“ Mit dem Arm wische ich mir über die Stirn und betrachte mein Werk. „Für einen Amateur nicht schlecht. Hoffen wir mal, dass das arme Tier meinen Rettungsversuch überlebt und meine Mühe zu schätzen weiß.“

Ich wickle die Decke wieder um den großen Leib und platziere die Wölfin unter dem Tisch. Dann stelle ich ihr noch eine Schüssel mit Wasser hin, bevor ich das Licht ausschalte und mich geschafft ins Bad schleppe. Dort wasche ich mich gründlich und betrachte mein noch immer leicht gerötetes Gesicht. Aus dem Spiegel blickt mir ein müder, etwas zu schmaler Typ mit grünen Augen entgegen, dessen schwarze Haare ein bisschen zerrupft wirken. Offenbar hat mich diese Aktion ganz schön mitgenommen. So viel Action bin ich Einzelgänger wirklich nicht gewöhnt.

„Hoffentlich geht das gut“, murmle ich, bevor ich todmüde in mein Bett falle.

Erwachen (Sophie)

Licht und Schmerzen wecken mich. Ich fühle mich, als wäre ich überfahren worden. Vielleicht bin ich das ja auch, denn meine letzte Erinnerung ist ein Auto, das auf mich zurast. So gut wie jeder Knochen in meinem Körper tut weh. Stöhnend greife ich mir an den Kopf und zucke zusammen, als ich etwas um meinen Hals spüre. Shit! Haben mich diese Verrückten doch erwischt? Vorsichtig öffne ich die Augen und starre auf das Holz vor meiner Nase. Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass ich unter einem Tisch und nicht in einem Sarg liege. Dann bemerke ich die grobe Decke, die den Großteil meines Körpers bedeckt. Neben dem Geruch meines Blutes kann ich noch eine andere Duftnote wahrnehmen, die wohl zum Besitzer dieser Sachen gehört. Scheinbar hat mich jemand als Wolf aufgesammelt und mit nach Hause genommen, denn das, was ich erkennen kann, sieht sehr nach großer Wohnküche aus. Zumindest kann ich von meiner Position aus links von mir ein Sofa und an der Wand rechts so etwas wie einen Kochbereich erkennen. Auf der Suche nach einem Fluchtweg entdecke ich eine große Terrassentür und auf der gegenüberliegenden Seite einen Türrahmen, hinter dem eine Treppe ins Obergeschoss führt. Ein stechender Schmerz lenkt meine Aufmerksamkeit auf die Verletzung in meiner linken Seite. Ich kann noch immer nicht fassen, dass diese Idioten auf mich geschossen haben. Offenbar haben sie nichts Lebenswichtiges erwischt, sonst wäre ich schon lange tot. Neugierig schlage ich die Decke zurück und blicke auf den Verband, der durch die Verwandlung etwas lockerer sitzt, als er sollte. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass meine Angreifer sich die Mühe machen würden, mich hinterher wieder zusammenzuflicken. Nur schade, dass ich meinem Retter nicht wirklich danken kann. Diese Überlegung bringt mich dazu, dem komischen Ding um meinen Hals auf den Grund zu gehen. Meine Hand zittert, als ich danach taste. Ich fühle ein dickes Lederband, das mit einer Leine verbunden ist. Angeleint, wie ein Köter. Dieser Gedanke beschert mir eine unangenehme Gänsehaut. Zwar wurde ich offenbar zusammengeflickt, aber ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist, weiß ich noch nicht. Mein Retter könnte durchaus ein Verrückter sein, der sich wilde Tiere zum Vergnügen hält oder illegal verkauft, und wie er auf eine nackte Frau reagiert, die wehrlos in seiner Küche liegt, kann auch niemand sagen. Ich muss mich von diesem lästigen Halsband befreien und schleunigst von hier verschwinden! Als ich mich aufrichte, um mit beiden Händen an das Halsband zu gelangen, stoße ich gegen etwas Hartes. Es scheppert laut und kalte Flüssigkeit spritzt gegen meine Hand. Scheiße! Hoffentlich hat das keiner gehört.

Als ich eilige Schritte höre, steigt Panik in mir auf. Verdammt, was soll ich nur machen? Man darf mich nicht sehen. Mit zitternden Fingern fummle ich am Verschluss des Halsbandes herum, doch ich bekomme es einfach nicht auf. So eine Scheiße!

Noch bevor ich mich verstecken oder verwandeln kann, geht die Tür auf, und ein entsetztes Keuchen ertönt. „Was? Spinne ich?“

Resigniert schließe ich die Augen. Zu spät. Das gibt richtig großen Ärger …

Verblüffende Wandlung (René)

Fassungslos starre ich auf die Gestalt unter meinem Küchentisch. Dort, wo ich vor wenigen Stunden eine verletzte Wölfin zurückgelassen habe, schauen eindeutig menschliche Füße aus der Decke, die in schlanke Waden übergehen. Was zur Hölle ist hier los? Habe ich Wahnvorstellungen, oder liegt da wirklich eine nackte Frau unter meinem Tisch?

Langsam gehe ich in die Hocke und vergewissere mich, dass der Wolf nicht über einen Menschen hergefallen ist und ihn unter die Decke gezerrt hat. Große blaue Augen schauen mich ebenso erschrocken an, wie ich wirken muss. Lange, blonde Haare verdecken den Großteil des Gesichtes, aber das ist eindeutig eine junge Frau, kein Wolf. Das dunkle Lederband um ihren Hals verscheucht die letzten Zweifel. Irgendwie ist aus dem verletzten Tier ein Mensch geworden. Nur, wie ist das möglich?

„Du bist wirklich hier, oder?“, flüstere ich.

Ängstlich mustert sie mich und versucht, sich so klein wie möglich zu machen. Ihre Hände umklammern die Decke, um ihre Blöße vor mir zu verstecken.

„Ich tu dir nichts, versprochen.“

Die Zweifel stehen ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Ihr Blick wandert von der Hundeleine zur Tür und wieder zu mir. Ich kann verstehen, dass sie verschwinden will. Mir würde es auch nicht anders gehen.

„Das mit der Leine tut mir leid. Ich wusste mir letzte Nacht nicht besser zu helfen, wollte dich aber nicht im Auto einsperren.“

Als ich mich zu ihr nach vorne beuge, zuckt sie zusammen und will von mir wegkriechen. Ihr leiser Schmerzensschrei geht mir durch Mark und Bein.

„Bitte nicht bewegen. Ich habe zwar die Kugel entfernt, aber die Wunde sah böse aus. Wenn du jetzt wegläufst, wird sie bestimmt wieder aufreißen und bluten.“

Resigniert schließt sie die Augen und sinkt ermattet auf den Boden zurück.

„Ich nehme dir nur das Halsband ab und lasse dich sofort in Ruhe“, versichere ich ihr. Auf allen vieren nähere ich mich ihr, um sie nicht noch mehr in Panik zu versetzen. „Soll ich dich ins Krankenhaus fahren? Ich bin kein Arzt, wenn …“

„Nein! Bitte nicht“, fleht sie mit schwacher Stimme.

„Aber du hast eine Schussverletzung!“

„Ich werde es überleben.“

„Hoffentlich ... Ich wüsste nicht, wie ich der Polizei erklären sollte, wie eine tote Frau mit Schussverletzung in mein Haus gekommen ist, ohne verdächtig zu erscheinen.“ Meine Hände zittern leicht, als ich ihre blonde Mähne zur Seite schiebe und das Halsband entferne. Ihre Haut unter meinen Fingern fühlt sich seltsam gut an. Doch schnell verdränge ich das – und die Tatsache, dass sie unter der Decke nackt ist.

„Soll ich dich zum Sofa tragen? Es ist bestimmt unbequem auf dem Fußboden. Möchtest du etwas trinken? Hast du Hunger?“ Ich unterbreche mein nervöses Geplapper.

„Danke“, murmelt sie und reibt sich über den Hals. „Hättest du zufällig ein paar Kleider für mich?“ Scheu blickt sie mich an.

„N-natürlich“, stammle ich und springe auf die Füße.

„Darauf hätte ich Dummkopf auch selbst kommen können“, schelte ich mich, während ich in mein Schlafzimmer im Obergeschoss hetze und den Kleiderschrank durchwühle. Ein Holzfällerhemd und eine Jogginghose fallen schließlich in die engere Auswahl. Ich grüble noch, ob ich ihr eine meiner Unterhosen mitbringen soll, als es unten kracht. Mit den Sachen in der Hand stürme ich aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Ich traue meinen Augen kaum, als ich den Wolf an der Haustür entdecke. Das imposante Tier liegt auf dem Boden und wimmert leise. Ein roter Fleck breitet sich auf meinem behelfsmäßigen Verband aus. Offenbar wollte mein Gast stiften gehen, scheiterte jedoch an der Schwere der Verletzung.

„Ach verdammt! Du hättest nicht heimlich davonschleichen müssen. Ich habe nicht vor, dich hier festzuhalten“, seufze ich und gehe zu ihr. „Bitte nicht beißen. Ich will dir wirklich nur helfen.“

Eine unwillige Patientin (Sophie)

Das kann doch nicht wahr sein! Was habe ich verbrochen, dass mir so etwas passiert? Stechender Schmerz schießt bei jeder Bewegung durch meinen Körper. Das mit der Wandlung war eine beschissene Idee … Kraftlos liege ich im Flur dieses Menschen und mache damit die ganze Angelegenheit noch schlimmer. Nun weiß er definitiv, dass ich eine Werwölfin bin. Eine Tatsache, die noch sehr gefährlich für mich und andere werden könnte. Die Schattenwelt hat ihre eigenen Regeln, und ihre Bewohner leben nicht ohne Grund im Geheimen. Weshalb ich mich schleunigst verkrümeln sollte. Zu meiner Überraschung fühle ich mich schlecht, weil ich heimlich abhauen wollte, ohne ihm vorher für seine Hilfe gedankt zu haben. Aus irgendeinem Grund bezweifle ich, dass der junge Mann, der mir gerade Kleider holen will, ein Irrer ist, der mich gefangen halten oder mich belästigen will. Dafür wirkte er zu nett und zu schüchtern. Natürlich kann ich mich täuschen, doch meine Instinkte sollten mich vor Gefahren warnen, und im Moment schweigen sie. Immerhin hat er mir das Leben gerettet und mich vor einem schrecklichen Tod bewahrt. Das ist ein Pluspunkt. Sein Verhalten war auch tadellos, weshalb meine Angst während unseres kurzen Gespräches nachgelassen hat. Vielleicht sind es auch der Blutverlust und die Erschöpfung, die meinem Verstand einen Streich spielen und mich in falscher Sicherheit wiegen. Ich habe keine Ahnung. Nun bleibt mir ohnehin nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass der Mann, dessen Namen ich nicht weiß, nicht durchdreht und von meinem Retter zum Henker mutiert.

Als ich seine Schritte höre, schließe ich resigniert die Augen. Ich bin ihm hilflos ausgeliefert. Das ist so entwürdigend. Panik will sich trotzdem nicht einstellen. Vielleicht hat mein Kopf doch ein wenig unter der Ohnmacht gelitten. Ohne eine Regung zu zeigen, ertrage ich seine besorgte Schelte und lasse zu, dass er mich zurück ins Wohnzimmer trägt. Ein bisschen tut er mir leid, weil er als Mensch deutliche Mühe hat, mich in meiner Wolfsform hochzuwuchten. Von daher nehme ich ihm seinen erleichterten Seufzer auch nicht übel, als er mich auf dem Sofa ablegt. „Ich will dir nicht zu nahe treten, aber du bist als Wolf wirklich kein Fliegengewicht. Ewig kann ich dich nicht hin und her tragen.“

Mit erhobenen Augenbrauen sehe ich ihn an. Sehr charmant.

‚Das war ich schon immer. Kannst du dich bitte zurückverwandeln? Ich muss mir deine Verletzung ansehen. Du blutest wieder.‘

Erschrocken hebe ich den Kopf. Diese Worte hat er nicht laut ausgesprochen. Selbst wenn, dann wäre es sehr seltsam, dass er genau wusste, was ich gedacht habe. ‚Wie ist das möglich?‘

Er zuckt mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. In meiner Familie bin ich der Einzige, der das kann. Mir hat natürlich niemand geglaubt, als ich in kindlicher Freude erzählt habe, dass ich mich mit einem Tiger unterhalten kann.“

Fasziniert betrachte ich meinen Retter genauer. Er hat schulterlange, schwarze Haare, die sich an den Enden ein wenig ringeln, ein kantiges Gesicht mit freundlichen grünen Augen, und er wirkt vollkommen menschlich auf mich. Doch irgendeinen Funken Magie muss er in sich tragen, sonst hätte er unmöglich in Gedanken mit mir kommunizieren können.

„Ich bin übrigens René“, sagt er und geht zurück in den Flur, um die Kleider aufzuheben, die er dort fallengelassen hat. Diese legt er nun neben mich. „Hier sind ein Hemd und eine Hose. Soll ich dir noch Boxershorts geben?“

Mir widerstrebt es zwar, fremde Unterwäsche zu tragen, aber alles ist besser als nichts. ‚Ja, bitte.‘

Er nickt und wendet sich zur Tür. „Nicht weglaufen. Ich bin gleich wieder da.“

Sobald er den Raum verlassen hat, konzentriere ich mich darauf, meine menschliche Gestalt anzunehmen. Meine innere Wölfin hadert kurz mit sich und gibt schließlich nach. Zitternd richte ich mich auf, greife nach dem Hemd und streife es mir über. Jede Bewegung tut weh, und die Wandlung hat mich mehr Kraft gekostet, als sie sollte. „So eine verdammte Scheiße!“, fluche ich leise. „Wenn das herauskommt, bringen sie mich um.“

„Wer?“

Renés Stimme lässt mich zusammenzucken. Er wirft mir schwarze Boxershorts zu und dreht mir den Rücken zu, um mir etwas Privatsphäre zu geben. „Warum solltest du bestraft werden? Dich trifft doch gar keine Schuld.“

So schnell es meine Schmerzen zulassen, ziehe ich Unterwäsche und Hose über. „Das ist bedeutungslos. Wir dürfen uns den Menschen nicht offenbaren. Es ist zu gefährlich und könnte uns alle das Leben kosten.“

„Mhm“, brummt er ungehalten. „Von mir wird es keiner erfahren. Mir würde ohnehin niemand glauben, und ich gehöre auch nicht zu den Plaudertaschen.“

„Es gab schon immer selbsternannte Jäger, die uns Wölfe oder die anderen zur Strecke bringen wollten.“ Geschafft lasse ich mich gegen die Sofalehne sinken. So schlapp wie ich mich fühle, muss ich eine Menge Blut verloren haben. Ich ziehe die Nase kraus, weil ich leicht nach Schweiß rieche und noch den Dreck meines nächtlichen Ausflugs auf meiner Haut spüre. So gern ich duschen würde, es geht nicht. Ohne Hilfe würde ich das wahrscheinlich nicht schaffen. Mit einer offenen Wunde wäre das auch keine gute Idee. Dafür ist der Geruch der geliehenen Kleidung angenehm – vielleicht ein bisschen zu sehr.

„Wenn du angezogen bist, würde ich mir gern deine Verletzung ansehen. Mir wäre es wirklich lieber, wenn du einen Arzt aufsuchen würdest.“ Noch immer mit dem Rücken zu mir stehend, hält er einen kleinen Verbandskasten und eine weiße Sprühflasche hoch.

„Da ich die Verwundung überlebt habe, wird der Rest auch so heilen. Aber du kannst gern einen Blick darauf werfen.“ Mit diesen Worten lege ich mich auf die unverletzte Seite und ziehe das geliehene Hemd nach oben. Zögerliche Schritte nähern sich dem Sofa. René starrt mich einen Herzschlag lang an, bevor er sich zusammenreißt und das Sani-Kit und Desinfektionsmittel auf dem kleinen Sofatisch ablegt.

„Tut mir leid. Ich kann nur noch nicht fassen, dass du und der Wolf eine Person seid“, gesteht er. „Wirken Schmerzmittel bei dir? Ich habe ein paar da, aber nichts übermäßig Starkes.“

„Schon gut. Und, ja, zum Glück wirken sie, wenn auch nicht so lange wie bei Menschen.“ Aufmerksam beobachte ich ihn, als er die Verletzung begutachtet. Durch die Verwandlungen klebt der alte Verband nur noch an ein paar Stellen fest und die Mullbinde liegt eher locker um meine Taille. Vorsichtig entfernt er alles, tupft das frische Blut weg und staunt nicht schlecht.

„Wow! Du heilst verdammt schnell. Die Fäden sollte ich wohl besser heute noch ziehen, damit sie nicht einwachsen. Ist das der Grund, warum du nicht ins Krankenhaus willst?“

Ich nicke. „Ja, die Leute würden nur anfangen, unangenehme Fragen zu stellen.“

„Das verstehe ich. Aber selbst mit deiner Heilungsrate wird es wohl ein paar Tage dauern, bis die Verletzung dir keine Probleme mehr macht“, verkündet er besorgt.

Genervt streiche ich mir eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „So hatte ich mir meinen Urlaub nicht vorgestellt …“

„Das glaube ich dir aufs Wort.“

Mein Retter ist ganz auf sein Tun konzentriert, sodass ich ihn in Ruhe betrachten kann, während er Wundsalbe auf eine frische Kompresse gibt und diese mit Pflasterband festklebt. Was ich sehe, gefällt mir erstaunlich gut. Sein schmales Gesicht wird teils von seinen schulterlangen schwarzen Haaren verdeckt. Automatisch wandert mein Blick von seinen moosgrünen Augen zu seinen anziehenden Lippen. Als mir bewusst wird, dass ich ihn anstarre, konzentriere ich mich auf seine Hände, die mich geschickt versorgen. Seine Finger sind schlank und kräftig, die Haut ist leicht gebräunt. Auf die Mullbinde verzichtet er diesmal, wofür ich dankbar bin, denn dafür müsste er mir noch näher kommen. Trotz der Schmerzen sind seine Berührungen angenehm, was mich irritiert. Ich bin schließlich in diese Einöde geflüchtet, um mich von Männern und den damit einhergehenden Problemen zu erholen.

„Wie heißt du eigentlich?“

„Sophie“, antworte ich automatisch, bis mir einfällt, dass es besser gewesen wäre, nichts zu sagen. Ich möchte nicht, dass wir uns annähern, auch wenn das undankbar erscheinen dürfte. Menschen und übernatürliche Wesen können auf Dauer einfach nicht miteinander. Für mich würde es jede Menge Ärger geben, wenn ich mich mit einem Menschen einlasse und er die Wahrheit wüsste.

„Ein schöner Name“, murmelt er leise.

„Mhm“, brumme ich nur, was dazu führt, dass René rote Ohren bekommt.

„Das sollte keine Anmache sein, auch wenn du wirklich hübsch bist“, rechtfertigt er sich schnell und bringt sich damit noch mehr in Verlegenheit. „Oh, ich …“ Hektisch sammelt er das Verbandsmaterial ein und stolpert dann vom Sofa weg.

„Du hast bestimmt Durst oder Hunger. Ich mache Frühstück.“

Verwirrt schaue ich ihm nach und muss lächeln. Süß ist er ja.

Verwirrung (René)

Verdammt! Ich benehme mich wie ein liebestoller Teenie. Sophie muss mich für total bescheuert halten. Frustriert lehne ich die Stirn gegen den Kühlschrank und versuche mit dieser total verrückten Situation klarzukommen. Ich habe nie an solchen übernatürlichen Kram wie Werwölfe geglaubt. Nun plötzlich einen im Haus zu haben, ist schon krass. Dass es sich dabei auch noch um eine attraktive junge Frau handelt, die meine Hilfe braucht – aber nicht will –, macht die ganze Sache noch komplizierter. An ihrer Stelle wäre ich auch misstrauisch ...

Ich reiße mich zusammen und mache uns ein reichhaltiges Frühstück. Während das Rührei brutzelt, beruhigen meine Nerven sich langsam. Ich kann Sophie nicht zwingen, mit mir zu reden oder mich zu mögen. Sobald sie ohne meine Hilfe zurechtkommt, wird sie auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Das ist mir bewusst, und ich verstehe es. Wahrscheinlich bin ich nur so fasziniert und verunsichert, weil sie ein Wesen aus einer anderen Welt ist, das für mich bisher nur in Filmen und Büchern existierte. Das mag merkwürdig klingen, aber obwohl ich mit einer besonderen Gabe gesegnet bin, habe ich nie größeres Interesse an übernatürlichen Themen gehabt oder gedacht, dass diese Fantasiewesen wirklich existieren könnten.

Diese eigenartige Verbundenheit stammt sicherlich nur davon, dass sie die erste Person ist, die mir auf Anhieb glaubt, dass ich mit Tieren reden kann. Ich atme tief ein und aus, bevor ich den Herd ausschalte und den Tisch decke. Da ich förmlich aus dem Wohnbereich geflüchtet bin, habe ich vergessen zu fragen, was mein Gast trinken möchte. Nun habe ich sowohl Kaffee als auch Tee aufgebrüht.

Kurz halte ich inne und überlege, ob Sophie kräftig genug ist, um hier in der Küche zu essen. Plötzlich ertönt ihre Stimme hinter mir. „Das riecht gut.“

Überrascht drehe ich mich um und sehe die junge Frau am Tresen lehnen, der den Koch- und den Wohnbereich voneinander trennt. Vom Alter her würde ich sie auf Mitte Zwanzig schätzen, damit wäre sie ein paar Jahre jünger als ich. Sie ist auch etwas kleiner und wirkt in meinen Kleidern zerbrechlich. Ihre blonden Haare hat sie zu einem Zopf geflochten, wodurch ich ihr zartes Gesicht das erste Mal vollständig sehen kann. Sophies unnatürliche Blässe rührt wahrscheinlich vom Blutverlust her.

„Ich hätte das Essen auch zu dir gebracht“, antworte ich und betrachte sie besorgt. „Bist du sicher, dass du so lange sitzen kannst?“

Sophie nickt und stößt sich vorsichtig vom Tresen ab. „Das sollte gehen. Kann ich dir helfen?“

„Du bist verletzt, also setzt du dich brav hin. Mir ist ohnehin nicht mehr zu helfen“, antworte ich mit einem Augenzwinkern. „Ich sehe schon Wölfe, wo keine sind.“

Obwohl mein Witz ein bisschen lahm ist, lächelt sie leicht. Langsam geht sie auf den Küchentisch zu und lässt sich auf einen der Stühle sinken. „Tut mir leid, dass ich dir so viele Umstände bereite. Sobald ich wieder halbwegs fit bin, lasse ich dich in Ruhe. Natürlich komme ich auch für deine Unkosten auf.“

Beleidigt verschränke ich die Arme vor der Brust. „Du kannst so lange bleiben, wie du möchtest. Wehe, du gibst mir Geld! Ich helfe dir, weil es das Richtige ist. Mein Schweigen musst du nicht erkaufen. So arm bin ich nicht, dass deine Anwesenheit mich in den Ruin treiben könnte.“

Sie schaut mich kurz verdattert an. „Ich … So war es nicht gemeint.“

„Wirklich?“

Verlegen blickt sie auf den Tisch. „Für mich ist das auch neu. Ich habe noch nie einem Menschen anvertraut, was ich bin. Uns wird von klein auf beigebracht, dass wir dieses Geheimnis unter allen Umständen bewahren müssen.“

„Ich schweige wie ein Grab, versprochen“, versichere ich ihr. Automatisch gehe ich zu ihr und streiche bei diesen Worten leicht über ihre Hand, ziehe meine Finger jedoch erschrocken zurück, als mir bewusst wird, was ich da tue. Ich gehöre eigentlich nicht zu den Leuten, die andere ständig antatschen müssen, vor allem keine Fremden. „Entschuldige. Möchtest du Kaffee oder Tee?“

„Kaffee mit Milch wäre toll.“

„Kommt sofort.“ Schnell hole ich beides und schenke ihr ein. „Am besten du dosierst die Milch selbst.“

Nachdem Sophie versorgt ist, fülle ich meine eigene Tasse mit Kaffee. Den Tee werde ich später trinken. Morgens brauche ich oft eine Ladung Koffein, um in die Gänge zu kommen.

„Möchtest du Rührei?“

Sophie nickt. „Gern.“

Ich fülle unsere Teller und stelle den Rest zurück auf den Herd. „Lass es dir schmecken. Wenn du so schnell heilst, brauchst du sicherlich auch etwas mehr Nahrung, oder?“

Kleine Schritte (Sophie)

Ich zögere, bevor ich nicke. René gibt sich alle Mühe, nicht neugierig zu sein, aber ab und an scheitert er. Es ist irgendwie süß, wie erschrocken er schaut, wenn er sich wieder einmal verplappert hat. Vorsicht, Mädchen. Er darf dir nicht gefallen, ermahne ich mich in Gedanken. Mir tut es bereits jetzt viel zu leid, dass ich so wortkarg sein muss. Doch ich kann die Sicherheit meiner Leute nicht so leichtfertig aufs Spiel setzen, und für René dürfte es auch unangenehm werden, wenn jemand herausfindet, dass er über uns Bescheid weiß.

Während des Frühstücks sprechen wir wenig. Das liegt vor allem an meinen einsilbigen Antworten, die René irgendwann so sehr verunsichern, dass er gar nichts mehr sagt.

Er muss denken, dass ich ihn scheußlich finde und nichts mit ihm zu tun haben möchte. Tatsächlich könnte er nicht falscher liegen. Zwar ist er deutlich größer und schlanker, als ich es sonst bevorzuge, doch bei René passt es einfach. Mit seinen schulterlangen schwarzen Haaren, die sein eher schmales Gesicht betonen, und den freundlichen Augen wirkt er wie ein Gelehrter. Trüge er eine Brille, wäre er das perfekte Klischee. Seine schüchterne Art ist eine angenehme Abwechslung zu dem testosterongeladenen Gehabe der Wölfe, mit denen ich sonst zu tun habe. Dabei ist mein Retter durchaus männlich und kann sich sehr wohl durchsetzen, wie er immer dann beweist, wenn es um meine Gesundheit geht. Bei ihm ist eindeutig mehr Köpfchen als Muskeln vorhanden, obwohl er kein Hänfling ist. Trotzdem ist es erstaunlich, dass er mich durch die Gegend getragen hat. Ich bin kein Schwergewicht, aber knapp sechzig Kilo muss man als Mensch erst einmal stemmen können. Obwohl er sich vorhin scherzhaft beschwert hat, konnte er mich doch ohne Probleme hochhieven, was mich vermuten lässt, dass doch etwas mehr Kraft in ihm steckt, als ihm bewusst ist. Während er die Reste unseres Frühstücks wegräumt und abwäscht, ertappe ich mich dabei, dass ich ihn heimlich beobachte und mir erschreckend gut gefällt, was ich sehe. Dass er genießbares Essen zubereiten kann – egal wie einfach es sein mag, ist noch ein Pluspunkt. Ich selbst bin eine totale Niete in der Küche, deswegen habe ich mich für meinen Urlaub mit Fertignahrung eingedeckt, die ich nur erwärmen muss. Das bekomme ich immerhin gebacken.

Dank des leckeren Essens und des Kaffees kehren die Lebensgeister langsam in meinen Körper zurück. Meine linke Seite schmerzt noch immer, aber ich habe zumindest nicht mehr das Gefühl, gleich aus den Latschen zu kippen. Nun macht sich jedoch ein dringendes Bedürfnis bemerkbar und stellt mich vor ein neues Problem. Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her, bevor ich meine Scham überwinde und René anspreche.

„Entschuldige, könntest du mir bitte das Badezimmer zeigen?“

René dreht sich zu mir um. „Klar, es ist oben, die zweite Tür links.“

Zweifelnd werfe ich einen Blick durch die offene Tür in den Flur, wo eine Treppe in das obere Stockwerk führt. Schon der kurze Weg vom Sofa in die Küche war ein Kraftakt. In meinem aktuellen Zustand käme ich nicht weit. „Könntest du vielleicht …?“

Ich kann genau sehen, wann bei ihm der Groschen fällt. „Oh, natürlich!“ Er schlägt sich mit der Hand gegen die Stirn. „Tut mir leid. Ich stehe gerade ein bisschen neben mir.“ Schnell kommt er zu mir. „Reicht es, wenn ich dich stütze? Zur Not kann ich dich auch tragen oder zumindest schleifen. Ich bin leider nur ein Bürohengst und kein Bodybuilder.“

„Stützen reicht vollkommen“, versichere ich ihm.

Vorsichtig legt er seinen Arm um meine Taille und zieht mich auf die Füße. Ein stechender Schmerz durchfährt mich, als ich die Wunde belaste, doch ich beiße die Zähne zusammen. Offenbar sieht man mir meinen miserablen Zustand an, denn René wird ganz blass.

„Verdammt! Ich wollte dir nicht wehtun.“

„Soweit ich mich erinnern kann, hast du nicht auf mich geschossen, sondern mich zusammengeflickt“, entgegne ich mit einem schiefen Lächeln. „Ohne deine Hilfe wäre ich tot und könnte mich nicht über derlei Zipperlein beschweren, also mach dir keine Gedanken.“

Im Schneckentempo bewegen wir uns durch die Wohnung. Als wir endlich an der Treppe ankommen, fühle ich mich, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Schweiß steht auf meiner Stirn, und irgendwie scheint sich die Welt um mich zu drehen.

„Halt dich an mir fest. Du klappst gleich zusammen.“

Gerade als ich widersprechen will, knicken meine Beine unter mir weg. Glücklicherweise fängt René mich auf. Trotz meines geschwächten Zustands wundere ich mich über seine guten Reflexe. Behutsam schiebt er mir die Hände unter Arme und Beine und trägt mich die Treppe hinauf ins Bad. Obwohl er vorhin noch behauptet hat, dass ich schwer wäre, erklimmt er die Stufen erstaunlich flott und ohne ins Schwitzen zu kommen.

„Ich verordne dir Bettruhe. Ganz offensichtlich bist du noch zu schwach, um herumzulaufen.“

Stumm nicke ich. Was sollte ich auch erwidern? Er hat recht. Zudem löst seine Nähe seltsame Gefühle in mir aus. Ich muss mich echt zusammenreißen, um mich nicht seufzend an ihn zu schmiegen und meine Nase in seiner Halsbeuge zu vergraben oder ihn gar zu küssen. Wie ich auf derlei absurde Gedanken komme, kann ich mir selbst nicht erklären.

Langsam setzt er mich auf dem WC ab. „Kommst du alleine klar? Wenn du fertig bist oder Hilfe brauchst, ruf einfach, ja?“

Ich nicke und verfluche meine Schwäche. „Danke.“

Sobald ich alleine bin, ziehe ich mir mit zitternden Händen Hose und Unterwäsche herunter und verrichte meine Notdurft. Eigentlich hatte ich gehofft, heute Abend wieder in meiner Unterkunft zu sein. Aber so wie es mir gerade geht, würde ich wahrscheinlich stürzen und verdursten, weil ich zu schwach bin, um mich zu bewegen.

„So eine verdammte Scheiße!“, fluche ich leise.

Nachdem ich mich erleichtert und wieder angezogen habe, fühle ich mich etwas besser. Ich wasche mir Hände und Gesicht und sehne mich insgeheim nach einer Dusche. Doch mein Zustand ist kritisch genug, sodass ich diesen Wunsch vorerst beiseiteschiebe und nach René rufe, damit er mir zeigt, wo ich mich hinlegen kann. Höflich klopft er an die Badezimmertür, bevor er mich aufsammelt und in sein Schlafzimmer trägt. Dass es seins ist, erkenne ich an Renés typischem Geruch. Außerdem sieht man sehr deutlich, dass er heute Morgen aus dem Bett gestürzt ist, als ich unten so einen Lärm veranstaltet habe. Die Decke hängt halb auf dem Boden, und das Kopfkissen sieht noch zerknautscht aus. Unwillkürlich stelle ich mir meinen Retter friedlich schlafend vor und überlege, wie es wäre, mich an ihn zu schmiegen und ihn mit einem Kuss zu wecken. Erschrocken über meine Gedanken zucke ich zusammen.

„Ich denke, du bist im Bett am besten aufgehoben“, sagt René, dem meine Reaktion zum Glück entgangen ist. Verlegen mustert er das Chaos im Zimmer. „Normalerweise ist es hier ordentlicher. Ich bin heute früh mehr oder minder aus dem Bett gefallen, als ich unten Geräusche gehört habe. Leider gibt es kein zweites Schlafzimmer, aber ich werde einfach für diese Zeit auf dem Sofa schlafen. Irgendwo muss eigentlich noch eine zweite Garnitur Bettzeug herumschwirren.“ Sanft setzt er mich auf der Matratze ab und deckt mich zu. „Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn du übergangsweise in meiner Bettwäsche schlafen musst.“

Bevor er weiterreden kann, lege ich ihm meine Hand auf den Arm und gebe mein Bestes, um das seltsame Prickeln in meinen Fingern zu ignorieren. „Mach dir bitte keine Umstände. Ich kann genauso gut auf dem Sofa schlafen.“ Vielleicht hören dann auch diese seltsamen Fantasien auf.

„Kommt gar nicht in Frage! Du bist verletzt. Außerdem wäre dort der Weg zum Bad viel zu weit. Du bleibst hier.“

Nachdenklich betrachte ich das große Bett. Mir widerstrebt es, einem fremden Mann so nah zu sein. Die meisten würden so eine Chance nutzen, um sich an mich heranzumachen. Bei René kann ich mir das nicht wirklich vorstellen, und ich will auch nicht, dass er meinetwegen auf dem schmalen Sofa liegen muss. Für mich wäre es halbwegs okay, aber René könnte nicht gut darauf liegen, ohne sich zusammenzufalten. „Ich möchte dich nicht aus deinem Bett vertreiben. Es ist genug Platz für uns beide“, höre ich mich sagen, bevor ich darüber nachgedacht habe, denn meinem Seelenfrieden zuliebe sollte ich lieber auf getrennten Schlafplätzen bestehen. Warum bringt er mich so durcheinander?

Überrascht schaut er mich an, dann schüttelt er den Kopf. „Nein, lass gut sein. Du brauchst Ruhe, und ich könnte eh nicht schlafen, aus Angst, dass ich dir vielleicht mit einer unbedachten Bewegung wehtun würde. Außerdem will ich …also ich will dir nicht … äh, ich will mich dir nicht aufdrängen. Wir kennen uns schließlich nicht.“ Eine zarte Röte legt sich auf seine Wangen, was mich vermuten lässt, dass dieser schüchterne Kerl durchaus schmutzige Gedanken haben kann. Allerdings hält er an seinen ritterlichen Grundsätzen fest – und sich, so gut es möglich ist, von mir fern.

Wir diskutieren noch eine Weile, doch letztendlich setzt René sich durch. Frustriert blicke ich ihn an. „Du bist ein Sturkopf!“

Er zuckt nur mit den Schultern und zwinkert mir zu. „Vielleicht. Fakt ist doch, dass du den Schlaf nötiger hast als ich. Mich bringen ein paar Nächte auf dem Sofa nicht um.“

„Grr!“ Erschöpft lasse ich den Kopf auf das Kissen sinken und werde sofort von Renés Duft eingehüllt.

„Ich bringe dir jetzt erst einmal eine Schmerztablette, okay? Dann mache ich mich auf die Suche nach dem Bettzeug.“

Bewegungslos harre ich aus und versuche zu ergründen, warum mich dieser Mann so durcheinanderbringt Als er mit einem Glas Wasser und einem Blister Schmerztabletten wiederkommt, bin ich immer noch nicht schlauer. Wie auch? Umgeben von seinem Geruch, tauchen ungebetene Bilder von zerwühlen Laken und innigen Umarmungen vor meinem geistigen Auge auf. Um mich abzulenken, greife ich nach dem Tablettenblister und überprüfe ihn unauffällig. Mein Gastgeber wirkt zwar harmlos und übt eine seltsame Anziehungskraft auf mich aus, aber ganz so schnell sollte ich meine Vorsicht nicht über Bord werfen. Wenn er mir irgendwelche Drogen unterjubeln würde, wäre ich ihm hilflos ausgeliefert. Allerdings scheint es sich wirklich um ganz normales Ibuprofen zu handeln. René hilft mir, mich aufzurichten. „Hier. Nimm das und ruh dich aus.“

Ich schlucke brav das Schmerzmittel, dann lasse ich mich wieder zurücksinken. „Danke.“

„Kein Problem. Ich lasse dich jetzt in Ruhe. Ruf einfach, wenn du etwas brauchst.“ Mit diesen Worten verlässt er den Raum und lässt die Tür eine Handbreit geöffnet. Müde schließe ich die Augen und gebe mich geschlagen. Ich vergrabe meine Nase im Kissen und inhaliere mit einem Seufzen Renés angenehmen Geruch. Als mir bewusst wird, was ich da tue, balle ich die Hände zu Fäusten. Shit. Das ist gar nicht gut.

Wolfröschen (René)

Als ich eine halbe Stunde später nach Sophie sehe, ist sie eingeschlafen. Sie in meinem Bett vorzufinden, hat eine seltsame Wirkung auf mich. Eigentlich sollte es befremdlich sein, stattdessen fühlt es sich irgendwie richtig an. Du drehst langsam am Rad, was?, verhöhnt mich meine innere Stimme. Sie ist eine Werwölfin und legt ganz offensichtlich keinen Wert darauf, dich näher kennenzulernen. Sobald sie fit genug ist, wird sie aus deinem Leben verschwinden. Finde dich damit ab und lass die Finger von ihr.

Mir ist das durchaus bewusst. Trotzdem finde ich sie sehr anziehend, auch wenn ich mir wirklich keine Hoffnungen machen sollte. So eine attraktive Frau wird sich wohl kaum mit einem Außenseiter wie mir abgeben. Doch als ich sie vorhin nach oben trug, fühlte ich mich regelrecht unter Strom gesetzt. Auch jetzt, wo ich sie nur betrachte, spüre ich wieder dieses seltsame Prickeln. Ihre Nähe stellt merkwürdige Dinge mit mir an und weckt in mir den Wunsch, sie an mich zu ziehen und ihre vollen Lippen zu küssen. Dabei bin ich eigentlich nicht der Typ, der sexuelle Fantasien über fremde Frauen hat. Allerdings scheint meinem Körper das vollkommen egal zu sein, denn er reagiert automatisch auf Sophies Gegenwart und folgt Höhlenmenschinstinkten, von denen ich bisher gar nicht wusste, dass ich sie habe. Ja, ich finde Sophie anziehend und, so ungewöhnlich es auch für mich ist, gerade würde ich verdammt gern zu ihr unter die Decke schlüpfen und erkunden, was sich unter ihren geliehenen Kleidern verbirgt. Erschrocken über meine Gedanken, rufe ich mich zur Ordnung. Reiß dich zusammen, oder willst du als notgeiler Spanner enden?! Sophie gehört außerdem in eine andere Welt. Nur ein blöder Zufall hat uns für kurze Zeit zusammengebracht. Bei meinem Glück hat sie einen Freund oder Mann, der auf sie wartet. Egal, sie ist tabu. Also beherrsch dich und hilf ihr, schnell gesund zu werden!

Ich straffe meine Schultern und gehe wieder nach unten. Meine Suche vorhin hat nur eine dicke Wolldecke zutage gefördert, aber damit kann ich leben. Es ist warm genug, und für die paar Nächte wird es kein Problem sein. So gut es geht, richte ich mein Nachtlager her und lege mich zum Test auf das Sofa. Unzufrieden verziehe ich das Gesicht, weil es nicht sonderlich angenehm ist und ich mich falten muss, um darauf Platz zu finden. Zum Sitzen ist die Couch bequem genug, aber für jemanden von meiner Größe ein Stück zu kurz zum Liegen. Ich stopfe mir eins der Sofakissen unter den Kopf und lege die Füße über die Armlehne. „Zum Glück neige ich nicht dazu, mich im Schlaf großartig zu bewegen, sonst würde ich schnell auf dem Boden landen“, murmle ich, denn das Polster der Sitzfläche endet wenige Zentimeter neben meiner rechten Schulter. „Irgendwie wird das schon funktionieren“, versuche ich mir einzureden. Eine Alternative gibt es schließlich nicht, wenn ich Sophie nicht belästigen will.

Nachdem das geklärt ist, gehe ich zurück in die Küche und stöbere in meinen Vorräten. So schnell wie Sophie heilt, wird sie nahrhaftes Essen benötigen. Am besten mit viel Eisen, um den Blutverlust auszugleichen. Schnell stelle ich fest, dass ich spätestens in zwei Tagen einkaufen muss. Zu zweit werden wir meine Vorräte schnell aufbrauchen. Ich entscheide mich für Pasta mit Spinat für das Mittagessen und bereite die Mahlzeit schon einmal vor. Als das erledigt ist, stehe ich ratlos in meiner Küche. Da ich Sophie noch nicht wecken will, verlasse ich das Wohnzimmer und betrachte meine kleine Terrasse. Als ich das Ferienhaus übernommen habe, war der Garten ziemlich verwildert. Mittlerweile habe ich einige Beete angelegt, die je nach Jahreszeit in verschiedenen Farben blühen, und es gibt auch eine kleine Kräuterspirale. Die Arbeit im Garten macht mir erstaunlich viel Spaß. Es ist befriedigend, etwas mit seinen Händen zu erschaffen. Auch kleinere Reparaturen am Haus kann ich mittlerweile allein erledigen. Als ich mir unwillkürlich vorstelle, dass Sophie gemütlich auf der Terrasse sitzt und mich mit einem Lächeln zu sich auf den Liegestuhl zieht, fluche ich leise.

„Was hat diese Frau nur an sich, dass sie mir permanent im Kopf herumspukt?!“

Normalerweise neige ich nicht dazu, mich in Fantasien zu verlieren. Ich kenne die Werwölfin nicht, und sie hat mir bisher auch keinen Hinweis gegeben, dass sie mich sympathisch findet. Im Moment ist das hier eine reine Zweckgemeinschaft. Sie braucht meine Hilfe und ist daher natürlich bemüht, mich nicht zu verärgern. Da ich ohnehin ein ruhiger Typ bin, wird es in dieser Richtung keine Probleme geben. Mich verwundert nur, dass ich ihr gegenüber so unsicher bin und in diese seltsamen Tagträume verfalle. Das Leben ist nun einmal nicht rosarot mit großer Liebe und Happy End. Eigentlich war ich auch nie auf der Suche danach. Zudem haben meine bisherigen Beziehungen dafür gesorgt, dass ich eher wenig Lust verspüre, mich noch einmal einer Frau zu öffnen, nur um dann sitzen gelassen zu werden, weil ich zu langweilig und zu anständig bin. Frustriert beschließe ich, die Beete vom Unkraut zu befreien. Vielleicht hilft es mir, auf andere Gedanken zu kommen.

Hunger (Sophie)

Ein leckerer Geruch weckt mich. Irritiert öffne ich die Augen und fühle Panik in mir aufsteigen, weil ich für einen Moment nicht weiß, wo ich mich befinde. Diesmal liege ich in einem fremden Schlafzimmer, aber immerhin ist das Bett gemütlich und die andere Seite leer. Vorsichtig drehe ich mich um, und sofort steigt mir ein angenehmer, eindeutig männlicher Duft in die Nase, der das Bild meines Retters in meinem Kopf entstehen lässt. René. In meinem leicht benebelten Zustand seufze ich verträumt und wünsche mir, dass er hier bei mir wäre. Beinahe kann ich seine Lippen auf meinen spüren … Ich schrecke hoch, als es vor der Tür scheppert. Oh Gott! Was habe ich gerade gedacht?

„Super. Ich bin so ein Trottel“, flucht René leise. „Hoffentlich ist sie nicht vor Schreck aus dem Bett gefallen.“ Bei dieser Bemerkung muss ich schmunzeln. Kurz darauf klopft es leise. Einer spontanen Eingebung folgend, stelle ich mich schlafend und schließe meine Augen nur so weit, dass ich durch einen winzigen Spalt Richtung Tür schielen kann. Langsam öffnet sie sich, und mein Retter erscheint mit einem Tablett in der Hand. Ein abgedeckter Teller, ein Glas und eine kleine Flasche Saft befinden sich darauf. Nun weiß ich, woher der leckere Geruch kommt, der mich geweckt hat. Vorsichtig stellt René alles auf dem kleinen Tisch neben dem Bett ab. Dann dreht er sich zu mir und zögert. Nervös wischt er sich die Hände an seiner Hose ab, bevor er sich auf die Matratze setzt und sich zu mir beugt. Gespannt und irgendwie aufgeregt halte ich den Atem an. Sanft umfasst er meine Schulter und schüttelt sie leicht. „Sophie, aufwachen. Ich habe dir etwas zu essen gebracht.“

Ich entscheide mich dafür, nicht zu reagieren. So vorsichtig, wie René mich wecken möchte, würde es ohnehin nicht funktionieren. Dieser scheint ratlos zu sein.

„Es ist zwar schade um das Essen, aber du brauchst sicherlich deinen Schlaf“, flüstert er mehr zu sich selbst. Mich beschleicht ein seltsames Verlustgefühl, als er seine Hand zurückzieht. Unbewusst rücke ich näher zu ihm. Ich will einfach nicht, dass er jetzt geht.

Er seufzt leise. „Ich sollte die Finger von dir lassen.“ Trotzdem spüre ich, dass er zärtlich über meine Wange streicht. Ein Prickeln durchläuft meinen Körper, obwohl diese Berührung so leicht, kaum wahrnehmbar ist. „So wunderschön, ob nun als Wolf oder Mensch …“ Seine Worte lassen mein Herz höher schlagen und verstärken dieses eigenartige Verlangen, ihm ganz nah zu sein. Ich habe beileibe schon einfallsreichere Komplimente bekommen, doch bei René spüre ich, dass er es ernst meint. Bevor ich weiß, was ich da tue, habe ich sein Handgelenk umfasst. Erschrocken zuckt er zurück, doch ich lasse nicht locker.

„Oh! Ich … Es tut mir leid. Ich wollte nicht …“

Weiter kommt er nicht. Ich ziehe ihn zu mir herunter und küsse ihn. Völlig überrumpelt dauert es einen Herzschlag, bis er auf meine Attacke reagiert. Sanft erwidert er den Druck meiner Lippen, und ich seufze zufrieden. Doch bald ist mir das nicht mehr genug. Ich will ihn ganz nah bei mir spüren und schlinge meine Arme um seinen Hals. René verliert das Gleichgewicht und landet halb auf mir. Schmerz durchzuckt mich und klärt meinen benebelten Verstand. Was zur Hölle mache ich eigentlich?!

„Oh Gott! Es tut mir leid! Habe ich dir wehgetan?“ So schnell es geht, richtet René sich auf und schaut mich voller Sorge an.

Ich ziehe die Stirn kraus und atme flach, um den Schmerz zu vertreiben. Das ist wohl die Strafe für meine leichtsinnige Handlung.

„Sophie?“

Ich drehe den Kopf und betrachte den Mann, der mir noch immer viel zu nahe ist. „Schon okay. Es ist meine Schuld. Ich hätte dich nicht zu mir ziehen sollen.“ Und erst recht nicht küssen dürfen …

Obwohl ich den letzten Teil des Satzes nicht ausspreche, scheint René ihn in Gedanken ähnlich vervollständigt zu haben. Äußerlich gelassen zucke ich mit den Schultern, während in mir ein wahrer Aufruhr tobt. „Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe. Ich wusste wohl für einen Moment nicht, wen ich vor mir habe“, lüge ich. Kurz kann ich Schmerz in seinen Augen sehen, dann setzt er einen neutralen Gesichtsausdruck auf. „Ich lasse dich jetzt besser alleine. Ruf einfach, wenn etwas ist.“

„René, ich …“, beginne ich und bereue mein abweisendes Verhalten, obwohl es nur vernünftig ist. Doch er schüttelt nur den Kopf und geht zur Tür. „Lass gut sein. Wir wissen beide, dass aus uns nichts werden kann – denn offensichtlich bin ich nicht der, den du haben willst.“

Seine Worte treffen mich mehr, als sie dürften. Dabei entsprechen sie nur der Wahrheit, die eigentlich von mir hätte kommen müssen. Jedoch stimmt der letzte Teil seiner Aussage nicht. Mein Körper will René eindeutig, nur weiß ich ganz genau, dass das in einer Katastrophe enden würde. Traurig blicke ich ihm nach und verfluche alle, die mich in diese verzwickte Situation gebracht haben. So eine verdammte Scheiße! Was mache ich nur?

Mit dem Arm über den Augen liege ich in Renés Bett und kann nicht fassen, was gerade passiert ist oder besser, was ich getan habe. Obwohl es nur ein leichter, kurzer Kuss war, fühle ich mich, als hätte René mich gebrandmarkt. Jede Zelle meines Körpers schreit nach mehr, einzig mein geschwächter Zustand und das letzte bisschen Verstand halten mich davor zurück, zu ihm zu gehen und zu beenden, was wir gerade angefangen haben. Verdammt noch mal! Ich bin doch keine läufige Hündin. Normalerweise kann ich meine Gelüste gut kontrollieren. Irgendetwas hat dieser große, schlanke und eher zurückhaltende Mensch an sich, das mich magisch anzieht.

Doch darf ich dem nicht nachgeben. Davon abgesehen, dass ich eine Werwölfin bin, gibt es noch ein weiteres Problem: Enrico, meinen untreuen Noch-Verlobten. Spätestens nach der Begegnung mit René ist für mich klar, dass ich nicht nur die Hochzeit absagen, sondern mich endgültig von Enrico trennen muss. In diesem Moment ärgere ich mich maßlos, dass ich mich von meinen Eltern überreden ließ, in Ruhe über diese Sache nachzudenken, statt die Verlobung – nein, am besten gleich die ganze Beziehung – sofort zu beenden. Sie und auch Enrico haben mich regelrecht bedrängt, die Hochzeit doch stattfinden zu lassen, weil ich deutlich gemacht habe, dass ich keine Lust mehr auf diese Farce hatte.

Nachdem ich meinen Noch-Verlobten in flagranti mit einer Dame erwischt hatte, von der ich bisher dachte, dass sie meine Freundin sei, wurde mir langsam klar, dass so einiges in unserer Beziehung nicht mehr stimmte. Unter Protest meiner Familie zog ich zunächst zu meiner besten Freundin Pia, um Abstand zu gewinnen. Mir war schließlich bewusst, dass Beziehungsprobleme ihre Ursache auf beiden Seiten haben. Vielleicht war ich ihm nicht mehr aufregend genug, oder ich hatte seine Bedürfnisse ignoriert? Eine ganz kurze Zeit dachte ich tatsächlich, dass wir das wieder hinbekommen könnten. Enrico hatte sich auch mächtig ins Zeug gelegt, um mir zu beweisen, wie viel ich ihm angeblich bedeutete. Und für kurze Zeit war die Versuchung, ihm zu glauben, groß gewesen. Bis ich vor ein paar Tagen mitbekommen habe, dass er sich weiterhin mit anderen Frauen trifft. Gott, wie dumm ich war! Voller Wut und Schmerz habe ich ein paar Sachen gepackt und bin hierher in die Einsamkeit der Lüneburger Heide geflohen, um mir eine Auszeit zu nehmen. Ich wollte für einige Tag einfach niemanden sehen. Dummerweise bin ich so überstürzt abgereist, dass ich Enrico noch gar nicht darüber aufgeklärt habe, dass unsere Hochzeit niemals stattfinden wird. Eigentlich hätte ich vorher reinen Tisch machen und mich vor meiner Abreise direkt von ihm trennen sollen. Ganz offensichtlich war ich an diesem Tag nicht bei Verstand, sonst hätte ich das Problem schon geklärt.

Jedenfalls hatte ich der Liebe abgeschworen, wollte mich nie wieder so hinters Licht führen lassen. Genau aus diesem Grund kann ich nicht fassen, dass ich mich in den erstbesten Mann verliebe, der mir über den Weg läuft. Tja, da hat der Vorsatz ja eine ganze Woche gehalten. Auch wenn Enrico für mich gestorben ist, kann ich mich nicht einfach auf einen anderen Mann einlassen. Offiziell bin ich noch vergeben, und mein Noch-Verlobter dürfte alles andere als begeistert sein, wenn er herausfindet, dass er plötzlich Konkurrenz bekommen hat. Werwölfe sind da recht empfindlich und mögen es nicht, wenn man ihrem Eigentum – und ihren Frauen – zu nahe kommt. Natürlich ist es in den Augen der Männer vollkommen okay, wenn Enrico mich betrügt, aber wehe, ich tue dasselbe. Das wäre ein handfester Skandal und dürfte sehr unschön für meinen neuen ‚Lover‘ ausgehen.

Ich seufze und drehe mich auf die Seite. Mein Blick streift den Tisch, auf dem René mein Mittagessen abgestellt hat. Der ganze Ärger hat meinem Hunger einen Dämpfer verpasst, aber ich muss essen, um wieder zu Kräften zu kommen. Ächzend richte ich mich auf und angle nach dem Tablett. Mir geht es etwas besser, doch jede Bewegung ist viel anstrengender, als sie sein sollte. Neugierig luge ich unter die Abdeckung und finde eine großzügige Portion Pasta mit Spinat vor. Eigentlich stehe ich nicht so auf das Grünzeug, aber es riecht einfach köstlich. Vorsichtig probiere ich und versuche, das Zittern der Gabel zu ignorieren. Trotz meiner Abneigung gegen Spinat schließe ich genießerisch die Augen.

„Verdammt! Warum muss er auch noch genial kochen können?“, brumme ich.

Status Quo (René)

Frustriert ramme ich den Spaten in den viel zu trockenen Boden. In mir streiten sich die widersprüchlichsten Gefühle um die Vorherrschaft. Einerseits bringt allein der Gedanke an den Kuss meinen Körper zum Prickeln, andererseits vermiesen mir Schuldgefühle und ein dumpfer Schmerz in der Herzgegend diese schöne Erinnerung. Sie will dich nicht. Offensichtlich hat sie im Halbschlaf gedacht, du wärst jemand anderes. Sophies Ablehnung trifft mich mehr, als es dürfte. Mir war schließlich bewusst, dass ich mich lieber von ihr fernhalten sollte. Es würde mich sehr wundern, wenn die junge Frau keinen Freund hat, was ihre abweisende Reaktion nach dem Kuss sehr gut erklären würde. Dazu kommt dann noch diese Werwolf-Problematik.

„Ach verdammt! Warum passiert das ausgerechnet mir?“, fluche ich leise und schaufle Erde hin und her. Immerhin bewirkt mein Elend, dass ich endlich ein neues Beet umgegraben habe, was ich schon seit einer Ewigkeit anlegen wollte. Nachdem die Erde aufgelockert und von den überzähligen Pflanzen befreit ist, gehe ich zum Schuppen und belade die Schubkarre mit Steinen, die ich als Umrandung für das Beet nutzen möchte. Der Boden ist voll mit kleinen Findlingen, was mich oft genug zur Verzweiflung bringt, aber auch praktisch sein kann, wie in diesem Fall. Da ich immer nur sporadisch in meinem Ferienhäuschen bin, müssen die Pflanzen widerstandsfähig sein. Deswegen ist mein Garten ein geordnetes Chaos voller Wildblumen, Kräutern und einigen Beerensträuchern. Ich habe kein Problem damit, wenn die Tiere aus der Heide sich hier tummeln und an den Früchten bedienen. Ich finde es schön, ein Reh oder einen Hasen zu entdecken, wenn ich morgens mit einem Kaffee in der Hand in meinen Garten schaue. Gerade im Herbst hat es etwas Magisches, wenn der Nebel aufsteigt und daraus ein Tier ins Licht tritt. Ab und an entwickelt sich daraus ein Gespräch, oder wir genießen in einträchtigem Schweigen unser Frühstück. Ein Wolf war noch nie dabei, obwohl es hier in der Gegend wieder ein Rudel gibt. Ich weiß, dass diese Geschöpfe sehr scheu sind und Menschen meiden. Da ich keine Schafe oder etwas in der Art halte, habe ich auch keinen Grund, böse auf die Wölfe zu sein.

Dafür hast du jetzt eine Werwölfin im Haus, die dir sehr wohl gefährlich werden kann. Ich bezweifle, dass Sophie mich angreifen würde, doch wenn sie geht, nimmt sie mein Herz mit. Warum ich es ausgerechnet an sie verlieren musste, ist mir ein Rätsel. Die Sache mit dem Kuss macht alles noch komplizierter. Um nicht weiter über diese Thematik nachdenken zu müssen, beginne ich, die Findlinge rings um das neue Beet anzuordnen. Wenn ich es geschickt anstelle, dann kann ich damit ein leicht erhöhtes Beet errichten, in dem ich sensiblere Pflanzen etwas besser vor Schädlingen schützen kann. Von Pestiziden halte ich nichts, und da ich immer nur zeitweise im Ferienhaus bin, würde es auch gar keinen Sinn ergeben. Ich habe festgestellt, dass es viel effektiver ist, einen Deal mit den Vögeln zu machen. Ich verzichte auf jegliche Schädlingsbekämpfungsmittel oder abschreckende Maßnahmen, und sie sorgen dafür, dass meine Pflanzen nicht von Insekten gefressen werden. Um die Schnecken kümmert sich eine Igelfamilie, die ein sicheres Heim in der ausrangierten Hundehütte der Vorbesitzer gefunden hat. Die Hütte polstere ich jedes Jahr frisch mit Zweigen und Laub aus. Im Winter versorge ich meine kleinen Helfer natürlich auch. Nicht selten wird mein Gewächshaus oder der Schuppen dann zum Winterquartier für sie. Dass ich besonders tierlieb bin und auch mit ihnen kommunizieren kann, hat sich offenbar in der Gegend herumgesprochen, denn oft begegne ich bei der Gartenarbeit so einigen Tieren aus Heide und Wald, die meine Nähe sehr gelassen nehmen. Wer kann schon von sich behaupten, dass in seinem Garten Rehe gemütlich Gras fressen, während man nur wenige Schritte entfernt seine Rosen verschneidet? Meist sind es die üblichen Verdächtigen, die mich schon kennen, und daher keine Angst haben. Je nach Lust und Laune plaudern wir ein bisschen oder genießen nach einer kurzen Begrüßung einfach die Ruhe. Neue Besucher kläre ich kurz darüber auf, wo sie ihren Hunger stillen können und was tabu ist. Das klappt bisher prima.

Ich habe mich gut mit meinen tierischen Nachbarn arrangiert und freue mich auch, dass sie mir so viel Vertrauen entgegenbringen. Auf diese Weise verbringe ich Zeit mit Tieren – die mir nebenbei bemerkt deutlich lieber als die meisten Menschen sind – ohne selbst ein Haustier zu besitzen. Auch unter normalen Umständen würde ich leiden, wenn ein geliebtes Tier verstirbt, aber durch meine spezielle Fähigkeit ist die Verbindung einfach zu intensiv, um den Verlust auszuhalten. Nur einmal, wenige Jahre nach Michas Tod, hatte ich ein Haustier. Einen schwarzen Kater namens Kasimir. Er folgte mir eines Tages auf dem Schulweg einfach nach Hause und weigerte sich, mich zu verlassen. Kasimir war ein Charaktertier und hatte so einigen Schabernack im Kopf. Ich habe ihn aus tiefstem Herzen geliebt, und deswegen hat mich sein Ableben damals förmlich zerrissen. Ich wusste, dass er alt und krank war, und er hatte mich darum gebeten, sein Leiden zu beenden, trotzdem war der Gang zum Tierarzt damals das Schlimmste, das ich in meinem Leben tun musste. Danach habe ich mir geschworen, nie wieder so eine enge Bindung zu einem Tier aufzubauen, und bis heute ist mir das gelungen, auch wenn es mich immer zu meinen pelzigen oder gefiederten Freunden zieht.

Während ich in der Sommersonne Stein für Stein aus der Schubkarre auf den Boden hieve, wird mir ganz schön warm. Kurzerhand ziehe ich mein verschwitztes Shirt aus und werfe es Richtung Terrasse. Eine kleine Blaumeise fliegt zu mir und landet auf dem Rand der Schubkarre.

‚Was wird das?‘, fragt sie und hüpft aufgeregt hin und her.

‚Das wird ein neues Beet. Ich wollte demnächst einige Hortensien kaufen und vielleicht noch ein paar andere Pflanzen dorthin umsiedeln.‘ Lächelnd strecke ich ihr die Hand hin und sofort hopst sie auf meinen Finger. ‚Sonnenblumen?‘, fragt sie liebenswürdig.

Lachend streiche ich ihr sanft über das winzige Köpfchen. ‚Von mir aus auch Sonnenblumen, auch wenn es zum Aussäen schon ein bisschen spät ist. Ich möchte schließlich nicht, dass ihr den Winter über hungern müsst.‘

‚Danke!‘ Freudig piepsend hüpft sie in die Höhe und fliegt einmal um mich herum, bevor sie in den Bäumen verschwindet. Glücklich sehe ich ihr einen Moment nach, bevor ich mich wieder an die Arbeit mache. Diese kleinen Vögelchen sind einfach drollig und schaffen es immer, mich aufzumuntern.

Als ich mit der Umrandung fertig bin, wische ich mir den Schweiß aus dem Gesicht. Zufrieden betrachte ich den niedrigen Ring aus Feldsteinen, den ich demnächst mit Erde und Pflanzen befüllen werde. In Gedanken schon bei der Dusche, die ich dringend nötig habe, drehe ich mich zum Haus um. Für einen Moment glaube ich, eine dunkle Gestalt in den Schatten des angrenzenden Waldes zu sehen, doch als ich blinzle, ist sie verschwunden. Merkwürdig. Ein lautes Krächzen lenkt meine Aufmerksamkeit zurück zum Haus. Auf dem Dach sitzt ein großer Rabe und scheint mich zu beobachten, dann erhebt er sich in die Lüfte und verschwindet im Wäldchen.

Verwundert über diese seltsamen Ereignisse schüttle ich den Kopf und entdecke Sophie, die an meinem Schlafzimmerfenster steht. Während ich sie noch überrascht mustere und ihren Namen murmle, stolpert sie nach hinten und verschwindet aus meinem Sichtfeld.

Zwickmühle (Sophie)

Angenehm gesättigt schiebe ich das Tablett zurück auf den Tisch und lasse mich ins Bett sinken. Noch ist mir keine Lösung für meine verzwickte Situation eingefallen, aber ich fühle mich gerade auch nicht stark genug, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Solange ich so schwach bin und mich nicht alleine versorgen kann, bin ich auf Renés Hilfe angewiesen. Meine ganzen Habseligkeiten liegen sicher verstaut im Ferienhaus. Ich habe also weder Handy noch Geld dabei, um irgendwie mit der Außenwelt kommunizieren oder mir ein Taxi rufen zu können. Eigentlich sollte mich dieser Gedanke in Panik ausbrechen lassen, tatsächlich erfüllt mich eine freudige Gelassenheit. Ich genieße Renés Gesellschaft – mehr als ich sollte – und auf diese Weise bleibe ich von nervigen Anrufen verschont, die mich zum Umdenken bewegen wollen. Wenn sie unbedingt eine Hochzeit feiern möchten, dann soll Enrico sein aufgedonnertes Bumsstück ehelichen. Ich bin fertig mit diesem verlogenen Wolf. In gewisser Weise muss ich diesem Mistkerl für seine offenkundige Untreue sogar dankbar sein, denn so erspare ich mir eine schreckliche Ehe. Wölfe sind umtriebig, aber in der Regel halten wir uns an unseren Treueschwur. Wenn ich meinem Verlobten nach zwei Jahren schon zu langweilig geworden bin, ist das keine gute Voraussetzung für eine glückliche Ehe. Je mehr Abstand ich zu dieser Sache habe, desto sicherer bin ich mir, dass er mich schon länger betrügt. Ich dumme Nuss habe das nur nicht mitbekommen. Eigentlich hätte mir meine sensible Nase verraten müssen, dass er sich mit anderen Damen in den Laken wälzt, doch aus irgendeinem mysteriösen Grund war das nie der Fall. Mittlerweile vermute ich, dass er meinen Geruchssinn absichtlich mit einer viel zu großen Menge an Parfum betäubt hat. Eine Unart, die ich noch nie leiden konnte und die in den letzten Monaten unserer Beziehung immer öfter vorkam. Ich hatte sie hingenommen, weil Enrico das zum Glück nicht jeden Tag machte, sondern immer dann, wenn er im ‚Fitnessstudio‘ war. Was er in dieser Zeit tatsächlich getrieben hat und warum er diese Parfumdusche brauchte, musste ich erst mit eigenen Augen sehen, um es endlich zu begreifen. Warum war ich nur so blind und habe das so lange mit mir machen lassen?, frage ich mich leicht schockiert. Vielleicht lag es daran, dass mein Umfeld mir immer suggeriert hat, was für einen guten Fang ich doch gemacht habe. Schließlich kann nicht jede von sich behaupten, dass sie mit dem Sohn des Alphas liiert ist.

Zum Glück ist mir persönlich der Status im Rudel egal. Ich bin nicht darauf angewiesen, dass ich von allen verehrt werde. Meinen Job habe ich mir selbst erarbeitet, und der ist bewusst unabhängig vom Rudel gehalten, worüber ich gerade sehr froh bin. Das erleichtert es mir auf jeden Fall, die Trennung voranzutreiben, wenn ich weiß, dass mein Einkommen gesichert ist und ich ohne Probleme auf eigenen Beinen stehen kann.

Als ich draußen im Garten einen leisen Fluch höre, richte ich mich auf und versuche, aus dem Fenster zu spähen. Was macht René da? Enttäuscht stelle ich fest, dass ich von meiner Position im Bett nur auf den angrenzenden Wald schauen kann. Kurz hadere ich mit mir, ob ich mich lieber schonen oder meine Neugier befriedigen soll. Letztere siegt. Unter Ächzen kämpfe ich mich zum Fenster und klammere mich ans Fensterbrett, um nicht sofort wieder umzukippen. Die Verletzung heilt spürbar und zum Glück gewohnt schnell, aber vom Bäume-Ausreißen bin ich noch weit entfernt. Vorsichtig linse ich durch die zarte Gardine und entdecke meinen Retter im Garten. Schnaufend wuchtet er Steine aus einer Schubkarre und scheint damit eine Umrandung für ein Beet errichten zu wollen. Ein Prickeln erfasst meinen Körper, als ich feststelle, dass er zum Arbeiten sein Shirt ausgezogen hat. Schmutz und Schweiß glänzen auf seiner hellen Haut, vermindern den leckeren Anblick aber keinesfalls. Verglichen mit Enrico, ist René eine Bohnenstange, aber das stört mich nicht. Tatsächlich war es seine liebenswerte Art, die mich neugierig gemacht hat und anzieht. Körperliche Vorzüge bringen mir nichts, wenn das Innere ein stinkender Müllhaufen ist. Attraktiv ist René durchaus, nur eben nicht so muskulös, wie ich es von Werwölfen gewohnt bin. Das hält diesen besonderen Menschen jedoch nicht davon ab, mich oder schwere Steine durch die Gegend zu schleppen. Ein Fakt, der mich immer wieder erstaunt und unweigerlich die Frage aufwirft, ob er nicht vielleicht doch einen Hauch Schattenwelt in sich trägt. Seine Gabe, mit Tieren sprechen zu können, ist außergewöhnlich und ein Hinweis, dass mehr in ihm steckt, als man auf den ersten Blick sieht.

Mit dem Arm wischt er sich den Schweiß aus dem Gesicht und dreht sich zum Haus um. „Sophie?“, fragt er überrascht, als er mich am Fenster entdeckt. Erschrocken stolpere ich nach hinten und lande prompt auf meinem Hinterteil.

„Au!“ Stöhnend halte ich mir meine verletzte Seite und verfluchte meine Neugier.

Eilige Schritte kündigen Renés Kommen an. Na super. Peinlicher geht es nicht. Wie ein verliebter Teenie spioniere ich ihm nach und liege zur Krönung auch noch in Renés Shirt und der geliehenen Unterhose hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken vor ihm.

Entzückende Aussichten (René)

So schnell ich kann, laufe ich nach oben. Sophies plötzliches Verschwinden und ihr Schmerzensschrei sprechen dafür, dass sie gestürzt ist. Hoffentlich hat sie sich nicht verletzt. Du bist ja ein toller Pfleger, wenn sie sich zum Fenster quälen muss, damit sie deine Aufmerksamkeit bekommt.

Ich sprinte die Treppenstufen hinauf und stoße die Tür zum Schlafzimmer auf. Bei dem Anblick, der sich mir bietet, gerate ich ins Stocken. Sophie hockt auf dem Boden und schaut mich durch ihre blonden Locken hindurch mit großen Augen an. Im Schlaf hat sich ihr Zopf offenbar gelöst, sodass ihre goldene Mähne locker über ihre Schultern fällt.

„Hast du dich verletzt?“, frage ich und gehe zu ihr, um ihr aufzuhelfen.

„Nein, ich …“, stammelt sie und wird rot.

Ohne zu überlegen, hebe ich sie auf meine Arme. „Brauchst du etwas? Musst du ins Bad?“

Sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht. „Ich wollte nur wissen, wo du bist.“ Dann lässt sie den Blick über mich gleiten und lächelt leicht. Das geht mir durch Mark und Bein. „Du hast ganz schön geschuftet, was?“

Erst weiß ich nicht, was sie damit meint, doch als sie mir mit dem Finger Dreck von der Schulter wischt, fällt der Groschen. Vor Schreck lasse ich sie beinahe fallen. „Oh! Tut mir leid, das hatte ich ganz vergessen.“

Sophie klammert sich an mich. „Keine Panik. So ein bisschen Schweiß und Dreck bringen mich nicht um. Wobei ich wirklich nichts gegen eine Dusche hätte. Wenn man als Wolf um sein Leben rennt, wird man auch nicht sauberer.“

Ich kann ihr Bedürfnis sehr gut verstehen, aber … „Mit einer offenen Wunde ist eine Dusche nicht zu empfehlen. Leider habe ich nichts da, um sie abkleben zu können. Die Pflaster in meinem Sanikasten sind nicht wasserabweisend. Denkst du denn, dass du in deinem geschwächten Zustand überhaupt so lange stehen kannst?“

Sophie schaut zerknirscht. „Wahrscheinlich hast du recht. Ich habe nur dieses dringende Bedürfnis, mich zu waschen …“

„Ich würde dir wirklich gern helfen, aber …“ Allein der Gedanke, dass ich mit ihr in der Dusche stehe, löst ein riesiges Gefühlschaos in mir aus. So gut es geht, versuche ich jegliche schmutzige Fantasie und die entsprechenden körperlichen Reaktionen zu unterdrücken. Obwohl Sophie anziehend ist und mich ihre Nähe erregt, darf ich nicht vergessen, dass sie verletzt ist.

Fragend schaut sie mich an. „Was aber?“

„Na, ja. Du willst sicherlich nicht, dass ich dir beim Waschen zur Hand gehe und … ich dich nackt sehe …“

Die Überraschung steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. „Oh!“ Einen Moment scheint sie über meine Aussage nachzudenken. „So schlimm fände ich es nicht“, gesteht sie leise und wird rot. „Kannst du mal schauen, wie die Verletzung aussieht? Wenn sie sich geschlossen hat, würde ich wirklich gern duschen, sonst muss ich mich eben so waschen.“

Kurz bin ich zu verblüfft, um zu reagieren. Stocksteif stehe ich mit ihr in den Armen da, während mein Hirn verzweifelt versucht, herauszufinden, was die beste Antwort ist, mit der ich mich nicht lächerlich mache oder als notgeilen Typen oute. „Äh, okay“, stammle ich. Das ist also das glorreiche Endergebnis meiner Bemühungen.

Bevor ich mich noch weiter blamieren kann, trage ich Sophie zum Bett und setze sie vorsichtig darauf ab. Die junge Werwölfin dreht sich, damit ich an den Verband komme. Meine Finger zittern ein wenig, als ich ihn so behutsam wie möglich löse. Wenn ich zu ruppig bin, reiße ich womöglich die Wunde wieder auf. Das will ich auf keinen Fall. Als ich den Mull hochhebe, komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Wow! Wie ist das möglich?“

Sophie reckt den Hals. „Was ist denn?“

„Deine Verletzung, sie sieht ganz anders aus. Ich kann kaum glauben, dass ich dich gestern erst verarztet habe.“

„Wir heilen schnell, aber es tut trotzdem noch weh.“

Besorgt betrachte ich die gerötete Haut. „Oberflächlich geschlossen ist die Wunde immerhin.“ Ich mache eine Pause, weil ich mich scheue, die nächsten Worte auszusprechen. „Nach der … Dusche sollte ich den Faden ziehen, sonst könnte es zu spät sein. Allerdings wird wohl eine Narbe zurückbleiben. Tut mir leid. Wenn ich geschickter genäht hätte, würde sie sicherlich schmaler ausfallen.“

Sophie schnaubt und schaut mich ungläubig an. „Du hast mir das Leben gerettet, René! Wegen einer Narbe brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen.“ Dann runzelt sie die Stirn. „Oder findest du mich deswegen nicht mehr attraktiv?“

„Nein, ich … Natürlich bist du noch hübsch …“, plappere ich, ohne nachzudenken. „Narben sind nicht sonderlich beliebt, und diese ist an einer Stelle, wo man sie recht schnell sieht.“ Am liebsten würde ich im Boden versinken. Warum stelle ich mich nur so dämlich an?

Ihr leises Kichern reißt mich aus meinen Gedanken. „Dann ist alles gut. Würdest du mir denn beim Waschen zur Hand gehen wollen?“

„Ich … äh. Wie hast du dir das vorgestellt?“ Ich spüre, wie ich rot werde, und gebe mir größte Mühe, das Bild einer nackten Sophie in meinem Badezimmer zu verdrängen.

Lässig zuckt sie mit den Schultern, als wäre es das normalste der Welt, sich von einem Fremden duschen zu lassen. Es steht außer Frage, dass ich sie weder begaffen noch begrapschen würde, trotzdem wäre es wohl eine unangenehme Situation für uns beide. Zumal ich nicht weiß, ob ich meine körperliche Reaktion auf ihre Nacktheit unterdrücken kann. Ich bin schließlich nur ein Mann, auch wenn ich in mancher Hinsicht ein Sonderling bin.

„Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich mich nicht gleichzeitig festhalten und waschen kann. Selbst wenn ich mich auf den Fußboden setzte, hätte ich das Problem, dass der Duschkopf unerreichbar wäre.“

„Willst du nicht lieber noch einen Tag damit warten? So schnell wie du heilst, wärst du morgen nicht mehr auf meine Hilfe angewiesen.“

Nachdenklich kaut sie auf ihrer Unterlippe. So gut es mir möglich ist, versuche ich, mich davon abzulenken, dass diese unheimlich attraktive Frau mich quasi unter die Dusche zerren will. So etwas ist mir noch nie passiert. Das könnte auch daran liegen, dass ich nun einmal kein Frauenschwarm bin. Zwar bin ich groß, aber zu dünn, zu schüchtern und, wie mir mal eine Ex-Freundin bescheinigt hat, zu nett und damit einfach nur langweilig. Die einzige Eigenschaft von mir, die interessant wäre, würde dafür sorgen, dass mich die Damen als Irren abstempeln. Außerdem habe ich nicht vergessen, dass ich Sophie eigentlich nicht näherkommen darf. Nur scheint das die junge Werwölfin nicht davon abzuhalten, mich in derlei intime Situationen zu verwickeln. Jetzt tu nicht so, als wärst du böse deswegen, lacht mich meine innere Stimme hämisch aus. Du willst doch nichts lieber, als sie in deiner Nähe zu haben, gern auch in deinem Bett.

„René? Hast du mich gehört?“

Erschrocken tauche ich aus meinem inneren Zwist auf. „Oh, entschuldige. Was hast du gesagt?“

Plitsch, Platsch (Sophie)

In mir streiten das Bedürfnis nach einer Dusche – ich kann den Dreck tatsächlich auf meiner Haut spüren – und die Vernunft miteinander. René muss mich für bescheuert halten. Erst stoße ich ihn von mir, dann küsse ich ihn und nun will ich auch noch mit ihm duschen. Tatsächlich sind der Wunsch nach Hygiene und der, ihm nahe zu sein, etwa gleich stark ausgeprägt. Bei einem Werwolf würde ich den einen Tag warten, aber aus irgendeinem Grund bin ich mir sicher, dass mein Retter diese Situation nicht ausnutzen würde, um sich an mir zu vergreifen. Ich glaube, da geht von mir mehr Gefahr aus. Die meisten Frauen würden mich bemitleiden, weil der heiße Typ mich nicht sofort unter der Dusche vernaschen will. Ich hingegen weiß es zu schätzen, dass ich erst Renés Bedenken um mein Wohlbefinden zerstreuen muss, damit er das tut, was er gern möchte. Meine feine Nase nimmt einen Hauch von Erregung wahr, was bedeutet, dass ihn die Vorstellung einer gemeinsamen Dusche nicht kalt lässt.

Behutsam drehe ich mich zu ihm um und ergreife seine Hände. „Bitte, René. Ich weiß, dass es dir unangenehm ist. Ich mache so etwas auch nicht jeden Tag, aber ich muss einfach duschen, sonst werde ich noch verrückt. Das Fell hält zwar den meisten Dreck ab, aber ich bin gestern durch Büsche und Gräser gerannt und mehrmals gestürzt. Ich habe mehr Dreck und Schweiß auf der Haut als du nach der Gartenarbeit. Spätestens morgen stinke ich wie ein Iltis, und so möchte ich nicht länger im Bett liegen. Ich verspreche dir, dass ich mich nicht überanstrenge.“

Es dauert einen Moment, bis er mir antwortet. Kurz schließt er die Augen und atmet einmal tief durch.

„Na gut“, seufzt er. „Ich möchte nicht, dass du dich unwohl fühlst. Falls die Wunde wieder aufreißt, ist es besser, wenn es ringsherum sauber ist.“

Ein bisschen gequält wirkt er schon, was mir ein schlechtes Gewissen beschert. Offiziell bin ich noch verlobt, doch sobald ich zu Hause bin, schieße ich Enrico endgültig ab. Schließlich hat dieser treulose Hund in unserem Bett mit einer anderen gevögelt. Da er sich nicht an sein Versprechen hält, muss ich es auch nicht tun. Nur habe ich den Arsch in der Hose, diese Farce einer Beziehung endgültig zu beenden. Noch einmal lasse ich mich definitiv nicht erweichen. Falls ich René also näher komme, ist das okay. Wenn nur das blöde Werwolfsproblem nicht wäre! So sehr er mir gefällt, ich sollte mein Herz nicht an ihn hängen, sonst füge ich uns beiden nur unnötige Schmerzen zu.

„Danke! Es bedeutet mir wirklich viel, dass du dich so rührend um mich kümmerst. Ich versuche, dir nicht zu sehr zur Last zu fallen.“

„Du bist keine Last!“, widerspricht er etwas heftiger als nötig. „Verdammt, Sophie! Natürlich helfe ich dir. Das ist für mich selbstverständlich.“ Sein Blick spricht Bände, als er mir direkt in die Augen schaut. „Ich mag dich jetzt schon mehr, als ich sollte. Du verhältst dich so widersprüchlich, dass ich einfach nicht weiß, wie ich mit dir umgehen soll.“

„Es tut mir wirklich leid. Ich möchte dich nicht quälen.“ Betreten sehe ich auf meine Hände. „Ich wünschte, du wärst mir egal, aber das bist du nicht. Wenn die Dinge anders liegen würden, dann …“

René legt mir einen Finger auf die Lippen. „Manche Sachen sollten unausgesprochen bleiben.“

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter und nicke. Er hat recht. Wenn wir unsere Sehnsüchte äußern, dann ist Herzschmerz vorprogrammiert.

„Komm. Ich helfe dir bei der Dusche. Danach kannst du dir überlegen, ob du hier oben bleiben willst und ein Buch liest oder unten auf dem Sofa verweilst und mir ein bisschen Gesellschaft leisten möchtest.“

„Okay. Darf ich mir noch einmal Kleidung von dir leihen? Meine Sachen sind alle in meiner Ferienwohnung.“

„Natürlich. Wir können dir auch deine Sachen holen, wenn es dir lieber ist?“

Ich schüttle mit dem Kopf. „Nein, lass ruhig. Sobald ich dort bin, hätte mich die böse Realität wieder. Tatsächlich genieße ich es gerade, für nichts und niemanden erreichbar zu sein.“

Renés Augenbrauen wandern nach oben. „Falls du mir erzählen willst, was dich hierher verschlagen hat, bin ich ganz Ohr.“

„Du meinst abgesehen von den schießwütigen Idioten?“

„Ja.“

„Vielleicht verrate ich es dir tatsächlich“, ist meine zögerliche Antwort. Er hätte es durchaus verdient, zumindest ein paar Dinge zu wissen.

Obwohl ich protestiere, trägt mein Retter mich ins Bad. Er lässt mich alleine, um neue Kleider für uns beide zu holen und mir etwas Privatsphäre zu gönnen. Ich erledige den Gang zur Toilette und überlege, ob ich mich gleich ausziehen soll oder ob es den armen Mann zu sehr schockt, wenn ich unvermittelt nackt vor ihm stehe. Tatsächlich geht es mir besser als heute Morgen. Vom Bäume-Ausreißen bin ich allerdings noch weit entfernt. Jede Bewegung tut weh, auch wenn der Schmerz langsam ein erträgliches Level erreicht. Wenn meine Heilung weiterhin so schnell verläuft, werde ich in spätestens zwei Tagen wieder genesen sein. Eigentlich sollte mich das freuen, doch das Gegenteil ist der Fall. Sobald ich nicht mehr auf Renés Hilfe angewiesen bin, muss ich ihn verlassen. Allein dieser Gedanke verursacht einen seltsamen Schmerz in meiner Brust. Zu schade, dass ich mich nicht einfach hier verstecken kann, bis sich die Probleme von selbst geklärt haben. Auf der anderen Seite kann ich nicht riskieren, dass mich jemand hier entdeckt. Das Letzte, was ich möchte, ist René in mein Beziehungsdrama reinzuziehen. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn er bei einer möglichen Auseinandersetzung verletzt würde.

Kurz entschlossen ziehe ich mir das geliehene Shirt über den Kopf und die Jogginghose aus. Genau in dem Moment geht die Tür auf, und René erstarrt. „Oh, entschuldige Ich hätte anklopfen sollen.“ Schnell schaut er auf den Fußboden, was ich unheimlich charmant finde. Dieser Mann gibt sich viel Mühe, mir Privatsphäre zu geben und mich nicht zu begaffen, wie es andere an seiner Stelle tun würden.

„Schon okay. Bist du soweit?“, frage ich und nutze die Chance, ihn heimlich zu betrachten. Er hat sich seiner Jeans entledigt und steht nur in Boxershorts vor mir. Schade, dass die interessante Stelle von dem Kleiderbündel verdeckt wird. Seinen Oberkörper konnte ich vorhin schon bewundern. Tatsächlich ist René sehr schlank und hat lange Beine, um die ihn viele Frauen beneiden dürften. Sein Bauch ist flach, aber nicht durchtrainiert, die Arme sind durchaus muskulös, aber nicht so aufgepumpt wie bei Enrico. Ein Fakt, mit dem ich gut leben kann.

„Soll ich dich unter die Dusche tragen oder stützen?“

So verführerisch es auch wäre, mich tragen zu lassen, ich entscheide mich René zuliebe für die zweite Option. Wenn ich in seinen Armen liege, kann er meine Nacktheit unmöglich ignorieren. „Ich fühle mich nicht mehr so schwach und kann selbst laufen. Stützen sollte ausreichen.“

Zögerlich kommt er zu mir und legt mir einen Arm um die Taille. Gemeinsam schlurfen wir in die – zum Glück – ebenerdige Duschkabine.

„Und nun?“

„Ich lehne mich an die Wand. Das sollte verhindern, dass ich umkippe.“

„Okay, aber das ist bestimmt kalt.“ Langsam lässt er mich los und wartet, bis ich eine stabile Position gefunden habe, dann stellt er die Wassertemperatur ein.

„Kannst du mich bitte einmal komplett abbrausen? Dann seife ich mich ein, so gut es geht.“

Als er nicht sofort antwortet, schaue ich auf. Seine Wangen sind leicht gerötet, und sein Herzschlag beschleunigt sich. In seinem angenehmen Geruch kommt nun eine deutliche Spur Erregung hinzu. Scheinbar versucht er verzweifelt herauszufinden, ob es eine Möglichkeit gibt, meinen Wunsch zu erfüllen, ohne mich anzuschauen.

Ich lache leise. „Entspann dich. Wenn ich dich schon nötige, mit mir duschen zu gehen, muss ich damit leben, dass du mich nackt siehst.“ Mein Blick wandert an seinem Körper nach unten. Offenbar ist mein edler Retter fest entschlossen, seine Pflicht zu erfüllen und seine Bedürfnisse zu ignorieren. Tapfer versucht er, mich nicht zu betrachten, trotzdem verraten seine mittlerweile knapp sitzenden Boxershorts mehr, als sie verstecken. Ein wohliger Schauer läuft über meinen Rücken. Zu schade, dass ich noch zu schwach bin, um auf Erkundungstour zu gehen. Bei den Schmerzen wäre Sex einfach keine gute Idee und sicherlich nicht gerade angenehm. Ich will nicht riskieren, dass die Wunde wieder aufreißt. Obwohl ich das weiß, kann ich nicht verhindern, dass mein Körper auf Renés Gegenwart reagiert und ich eindeutig mehr als seine Hilfe beim Waschen will.

„René? Können wir beginnen?“, sage ich, um mein Kopfkino zu unterbrechen.

Ruckartig hebt er seinen Kopf und gleichzeitig die Brause. Ich zucke leicht zusammen, als ich plötzlich Wasser im Gesicht habe.

„Tut mir leid!“, ruft er und senkt den Arm.

Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die kühlen Fliesen und streiche mir mit einer Hand die nassen Haare nach hinten. „Der Ansatz war gut“, necke ich ihn. „Jetzt müsste nur noch der Rest geduscht werden.“

Als sich unsere Blicke treffen, klappt sein Mund vor Überraschung auf. „Deine Augen!“

„Sie ändern ihre Farbe, wenn wir intensive Gefühle empfinden. Jetzt sei so gut und mach weiter, sonst wird mir wirklich kalt.“

Sofort gehorcht er. Als das warme Wasser meine Haut umspült, seufze ich. Es tut unheimlich gut, Schweiß und Dreck abzuwaschen. „Darf ich mir etwas von deinem Duschgel mopsen?“

„Klar.“ René dreht sich um und nimmt das Gewünschte von der kleinen Ablage auf seiner Seite der Dusche.

„Danke.“ Ich nehme die Flasche entgegen und schnuppere daran. Es riecht angenehm, außerdem lenkt es mich ein bisschen von dem Duft der Erregung ab, der von uns beiden ausgeht. Ich gebe etwas Duschgel auf meine Hand und verteile es auf meiner Haut. Den Bereich um meine Wunde spare ich dabei aus. Mein Gastgeber nutzt die Gelegenheit, um sich selbst abzuduschen. Mir entgeht jedoch nicht, dass er das Wasser deutlich kälter stellt, was mich schmunzeln lässt. Da ist wohl jemandem heiß. Als er fertig ist, hängt er die Brause in ihre Halterung und seift sich ebenfalls ein. „Du bist wunderschön“, murmelt er leise.

„Mehr als meine Füße hast du doch gar nicht gesehen“, ziehe ich ihn auf.

„Die sind auch schön.“

Ich lache leise und verwende deutlich mehr Aufmerksamkeit darauf, René zu betrachten, als mich zu waschen. „Du bist auch nicht übel. Willst du die Unterhose wirklich anbehalten? Das muss doch unangenehm sein.“

Er zuckt nur mit den Schultern. „Geht schon. So kann ich dich nicht belästigen.“

Ich rolle mit den Augen. „Davon kann wohl kaum die Rede sein. Bist du als Kind in einen Kessel Tugendhaftigkeit gefallen?“

Er wendet sich von mir ab. „Vielleicht.“ Das klingt ein bisschen verschnupft. Offenbar habe ich einen wunden Punkt getroffen.

„Das war nicht böse gemeint“, versuche ich mich zu entschuldigen. „Heutzutage sind die wenigsten Männer so höflich und wohlerzogen.“ Ich spüle meine Hände ab und stelle das Wasser wieder etwas wärmer. Ich kann ganz gut mit der Hitze leben. Dann drehe ich mich um. „Würde es dir etwas ausmachen, meinen Rücken einzuseifen? Sobald ich mich strecke, belaste ich die Wunde.“

Hinter mir ist ein ersticktes Geräusch zu hören. In Gedanken verflucht René mich sicherlich, und ich kann ihm deswegen nicht einmal böse sein. So wie ich diese Bitte geäußert habe, kann er ganz schlecht ablehnen.

„Das ist nicht fair, Sophie“, beschwert er sich zu Recht. „Willst du meine Beherrschung auf die Probe stellen? Ist das alles nur ein Spiel für dich?“

„Ich spiele nicht mit dir“, versichere ich ihm. Seine Nähe und die fehlende Kleidung schüren die Sehnsucht, endlich von ihm berührt zu werden. „Es mag falsch und egoistisch sein, aber ich möchte, dass du mich anfasst.“

Der Laut, der hinter mir ertönt, klingt eindeutig gequält. Nichtsdestotrotz höre ich, wie er zum Duschgel greift und meinem Wunsch nachkommt. Als seine warmen Hände meinen Rücken berühren, lehne ich die Stirn gegen die kühlen Fliesen und genieße es mit geschlossenen Augen.

Das fühlt sich verdammt gut an.

Grenzerfahrungen (René)

Ich beiße die Zähne zusammen und lasse meine seifigen Finger über ihre weiche Haut gleiten. In diesem Moment weiß ich ganz genau, wie man auf die Bezeichnung ‚süße Folter‘ gekommen ist. Denn alles in mir drängt mich dazu, Sophies zarten Körper zu erkunden, doch mein Ehrgefühl hält mich ab, auch nur einen Zentimeter weiter hinunter zu streichen und ihren Po zu berühren oder seitlich abzuschweifen. Natürlich halte ich auch etwas Abstand zu ihr, obwohl ich sie am liebsten in meine Arme ziehen und küssen würde. Ihr Geständnis, dass sie von mir angefasst werden möchte, macht es nicht einfacher. Noch nie kam mir meine Unterhose so eng vor. Diesen Ständer kann ich unmöglich verstecken.

„Fertig“, murmle ich mit rauer Stimme und hoffe, dass die Tortur ein Ende hat. Sophie hebt den Kopf und blickt mich über ihre Schulter hinweg an. In ihre goldenen Augen zu sehen, beschert mir eine Gänsehaut. Wenn ich ihre Mimik richtig deute, dann war das für sie auch mehr als nur ‚kurz einseifen‘.

„Du hast ein paar Stellen vergessen“, schnurrt sie.

„Sophie …“

Langsam dreht sie sich zu mir um. Mein erster Impuls ist es, zurückzuweichen, doch ich komme nicht weit. In meinem Rücken spüre ich die kühle Glaswand. Vor mir steht Sophie in ihrer ganzen Pracht und wirkt nicht, als würde sie über das Wetter plaudern wollen. Tatsächlich breitet sich ein durchaus raubtierhaftes Lächeln auf ihrem süßen Mund aus. „Hast du etwa Angst vor mir?“, fragt sie leicht amüsiert.

Ich schüttle den Kopf. „Nein, nur vor dem, was wir tun könnten. Wir wissen doch beide, dass wir es hinterher bereuen würden.“

Sie streckt ihre Hand aus und zieht mich zu sich. Diese zarte Frau ist verdammt stark. „Im Moment bereue ich nur, dass ich zu schwer verletzt bin, um dich zu vernaschen. Die Verlockung ist verdammt groß.“

Ich stolpere halb in ihre Arme, kann mich aber zum Glück noch abfangen, bevor ich sie zerquetsche. Mir wird heiß und kalt, weil wir uns fast überall berühren. Sophies Brüste drücken gegen meinen Oberkörper und bringen mich beinahe um den Verstand. Wie soll ich bitte in dieser Situation einen klaren Gedanken fassen?! Als wüsste sie, was in mir vorgeht, stellt sie sich auf ihre Zehenspitzen und zieht mein Gesicht zu sich herunter. „Nicht denken, nur fühlen. Lass uns einfach so tun, als gäbe es die Welt da draußen nicht.“

Mit einem kleinen Stöhnen gebe ich endlich dem Bedürfnis nach, sie zu küssen. Willig öffnet sie ihre Lippen, und ich tauche in sie ein. Während unsere Münder um die Vorherrschaft ringen, gehen Sophies Hände auf Wanderschaft und heizen mir gehörig ein.

„Berühr mich!“, fordert sie leise. Zögerlich lasse ich meine Finger nach unten gleiten und knete ihren Po. Offenbar ist ihr das nicht genug, denn kurz darauf ergreift sie meine Hand und führt sie dahin, wo sie sie haben will. Meine Unterhose scheint sie auch zu stören, denn die muss als nächstes dran glauben.

„Stopp! Wir dürfen nicht … Deine Verletzung …“

„Ich weiß“, knurrt sie. „Du ahnst nicht, wie sehr mir das gerade gegen den Strich geht.“ Neugierig erkundet sie, was sie soeben freigelegt hat. Stöhnend schließe ich für einen Moment die Augen.

„Du bist nirgendwo klein, was?“, zieht sie mich auf. Ich komme gar nicht dazu, etwas zu erwidern. Mein Hirn ist wahrscheinlich gerade blutleer, weil das an anderer Stelle gebraucht wird. Ihre geschickten Finger reizen mich, während sie sich an mich drängt und keinen Hehl aus ihren Sehnsüchten macht.

„Gott! Ich will dich spüren.“ Ein Quickie unter der Dusche ist jedoch nicht das, was ich im Sinn hatte, und für Sophies verletzte Seite wäre es auch fatal. Mit aller Macht reiße ich mich zusammen und kämpfe mich aus dem Strudel der Lust heraus.

„Wir müssen aufhören“, keuche ich am Rande meiner Beherrschung und löse ihre Finger sanft von meiner Körpermitte. „Verdammt! Du wurdest gestern angeschossen und kannst kaum alleine stehen. Willst du wirklich riskieren, dass die Wunde wieder aufreißt?“

Sie lässt den Kopf hängen. „Natürlich nicht. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.“ Sophie schmiegt sich an mich. Behutsam manövriere ich uns unter den warmen Wasserstrahl, und bald darauf sind die letzten Seifenreste fortgespült. Mit Mühe gelingt es uns, nicht übereinander herzufallen. Nachdem ich Sophies seidige Lockenpracht gewaschen habe, trete ich aus der Dusche und schlinge mir ein Handtuch um die Hüften. Ich hole ein frisches für Sophie und wickle sie darin ein. Langsam normalisiert mein Puls sich wieder, und das Denken fällt mir auch leichter. Schnell trockne ich mich ab, bevor ich der jungen Werwölfin zur Hand gehe. Zum Glück hat die Verletzung unser Beinahe-Stelldichein gut überstanden. Die Haut ist gerötet und empfindlich, aber geschlossen. Sophies Körper vollbringt wahre Wunder. Zur Sicherheit entferne ich den Faden, mit dem ich die Verletzung genäht habe. Ich will nicht riskieren, dass er einwächst und dadurch vielleicht Probleme verursachen könnte. Die Wundränder sind glatt und werden glücklicherweise durchs Fadenziehen nicht übermäßig strapaziert. Trotzdem klebe ich ein großes Pflaster über die Stelle, um sie wenigstens ein bisschen zu schützen.

„Danke“, flüstert Sophie.

„Keine Ursache.“

Wahrheiten (Sophie)

Schweigend ziehen wir uns an und vermeiden Blickkontakt. Ich fühle mich schlecht, weil ich Renés Hilfsbereitschaft ausnutze und meine innere Wölfin beinahe mit mir durchgegangen wäre. Frustration und Sehnsucht toben in meinem Körper und überdecken den Schmerz. Je klarer mein Verstand wird, desto unbarmherziger schlägt er zu. Erstaunlich, was Lust bewirken kann.

„Es tut mir leid, René. Ich wollte dich wirklich nicht bedrängen.“

Skeptisch schaut er mich an. „Ach, wirklich?“

Verlegen senke ich den Blick und merke sehr deutlich, dass meine Wangen rot werden. „Na ja, nur ein bisschen. Du riechst so gut.“

Das bringt ihn zum Lachen. „Du bist seltsam, weißt du das?“

„Werwölfe haben extrem gute Nasen und Ohren“, verteidige ich mich. „Ich kann sehr wohl riechen, wenn du erregt bist, Freundchen. Oder willst du das leugnen?“

Er schüttelt den Kopf. „Nein, denn das wäre eine Lüge.“

„Und nun?“

„Wie wäre es, wenn du mir erklärst, warum du hierher geflohen bist?“, schlägt er vor.

Ich presse die Lippen zusammen. Allein der Gedanke an Enrico und mein ignorantes Rudel macht mich wütend. „Eigentlich habe ich keine Lust, darüber zu reden, aber ich bin dir ein paar Antworten schuldig. Sobald ich gesund bin, muss ich dich verlassen, sonst ziehe ich dich in den Mist hinein. Das möchte ich nicht.“

„Klingt gefährlich. Möchtest du wieder ins Bett oder ins Wohnzimmer?“

„Kommt darauf an, wo du mir Gesellschaft leistest.“

René lacht leise und gibt mir seine Hand. „Du weißt ganz genau, wie du mich um den Finger wickeln kannst.“

Ich strecke mich und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. Bevor ich noch mehr Unfug anstellen kann, lasse ich ihn los. „Du bist sehr empfänglich für meine Reize. Ich bin gern in deiner Nähe, obwohl ich es nicht sollte.“

„Mhm“, brummt er und läuft neben mir die Treppen hinunter ins Wohnzimmer. Vor dem Sofa lässt er meine Hand los, was ich sofort bedaure. „Brauchst du noch eine Schmerztablette? Du warst vorhin recht blass.“

Kurz zögere ich, dann bejahe ich seine Frage. Nach der übermütigen Aktion in der Dusche spüre ich die Verletzung sehr deutlich. René bringt mir ein Glas Wasser und die gewünschte Tablette, dann lässt er sich neben mir nieder. „So, raus mit der Sprache: Was treibt eine junge hübsche Frau alleine in dieser Gegend?“

Ich nehme brav meine Medizin, bevor ich das Glas auf dem Tisch abstelle und es mir gemütlich mache. Da er mich nicht abhält, rutsche ich zu ihm und lege meinen Kopf auf seinen Schoß – alles im Schneckentempo, aber René lässt mich gewähren. So bin ich ihm nahe und kann seine Reaktionen gut mitverfolgen. Außerdem kann er schlecht aufspringen, wenn ich auf ihm liege. „Mein Noch-Verlobter und zukünftiger Ex-Freund.“

Sofort versteift er sich. Wahrscheinlich hält er sich gerade in Gedanken eine Gardinenpredigt, weil er mich geküsst hat.

„Atmen nicht vergessen“, erinnere ich ihn. „Du musst dich nicht schuldig fühlen. Der Typ ist ein treueloses Schwein. Tatsächlich bin ich mittlerweile froh, dass ich ihn mit einer anderen im Bett erwischt habe. So erspare ich mir eine schreckliche Ehe.“

„Welcher Idiot würde dich mit einer anderen betrügen?!“, rutscht es René heraus.

„Du bist ein Schatz.“ Ich kichere leise. „Offenbar war er der Meinung, dass er zu gut für eine einzige Frau ist. Mich wurmt eigentlich nur, dass ich so lange blind war. Wie ich vorhin angemerkt habe, sind unsere Nasen deutlich besser als die der Menschen. Sex hinterlässt immer eine Duftspur, da muss man sich hinterher schon sehr gründlich waschen.“

Renés Augenbrauen wandern nach oben. „Heißt das, du riechst jetzt nach mir?“

Ich nicke. „Körperkontakt reicht auch. Ich habe zudem dein Duschgel benutzt, schlafe in deinem Bett und trage deine Kleidung. Bevor ich mich unter meine Leute wagen kann, muss ich deinen Geruch leider loswerden. Das letzte, was sich möchte, ist, dass hier ein wütendes Wolfsrudel auftaucht.“

„Keine rosigen Aussichten“, stimmt er mir zu. „Ich gehe mal davon aus, dass mir das nicht gut bekommen würde.“

„Wahrscheinlich nicht. Noch bist du sicher. Zumal es totaler Bullshit ist. Dieser Mistkerl darf sich fröhlich mit anderen in den Laken wälzen, aber ich nicht, oder was?“

„Also versteckst du dich hier?“

„So in etwa. Irgendwie sind alle der Meinung, dass ich die Hochzeit nicht absagen darf und diesem untreuen Köter verzeihen soll. Ich habe nur keine Lust dazu.“ Ich mache eine kurze Pause, um mich zu sammeln. „Ich muss gestehen, dass ich erst in der Einsamkeit hier ein klares Bild von meiner alten Beziehung bekommen habe. Rückblickend fallen mir immer mehr Dinge ein, die mich an meinem Noch-Verlobten stören. Optisch würden ihn sicherlich einige als Augenweide bezeichnen, wenn man auf den muskulösen, prolligen Typ steht – oder sich von ihm einwickeln lässt, wie in meinem Fall. Enrico kann charmant sein, was er gerade in der ersten Zeit mir gegenüber war, aber er ist auch anmaßend, bevormundend und viel zu sehr darauf bedacht, vor allen so gut wie möglich dazustehen.“ Ich schüttle den Kopf über meine Blauäugigkeit. „Mittlerweile habe ich erkannt, dass ich zwar schüchtern bin und nicht so schnell mit anderen Leuten warm werde, aber in den letzten Jahren habe ich mich definitiv weiterentwickelt. Das mag zu einem gewissen Teil auch an Enrico gelegen haben, denn seine Schmeichelei in der Anfangszeit hat mir irgendwie gutgetan. Plötzlich war ich nicht mehr nur ein komischer Nerd, sondern wurde auch als begehrenswerte Frau wahrgenommen – inklusive zickiger Anfeindungen anderer Wölfinnen, die Enrico gern für sich gehabt hätten. Zudem hat mich mein beruflicher Erfolg – vor allem durch die sehr gute Promotion – erkennen lassen, dass ich mich nicht zu verstecken brauchte. Nach und nach fiel mir auf, dass Enrico kein sonderlich großes Selbstbewusstsein hat, wobei er das nie zugeben würde – nicht einmal sich selbst gegenüber. Mit etwas Abstand betrachtet, würde ich sagen, dass seine Selbstsicherheit nur gespielt ist. Innerlich ist er ein verunsicherter Welpe, der Angst hat, weil er ahnt, dass er nie ein Alpha werden wird und damit eine Schande für seinen Vater Rüdiger ist. Deswegen auch dieses schreckliche, prollige Verhalten und diese nervigen Machtspielchen, die er nur gewinnt, weil alle Schiss haben, seinem Vater die Wahrheit zu sagen. Enrico legt sich gern mit jedem an und hüpft von Bett zu Bett, um sein mickriges Ego aufzupolieren. Da ihn alle gewähren lassen, denkt er mittlerweile wirklich, dass er ein toller Hecht ist. Selbst mich hat er damit geblendet, wie ich mir jetzt voller Scham eingestehen muss.“

René schaut mich verständnisvoll an. „Du bist nicht die Einzige, die sich vom Schein blenden lässt. Ich bin auch schon einmal derart auf die Nase gefallen.“

Erleichtert lächle ich ihn an. „Ich war immer ein kleiner Sonderling, weil ich mich eben nicht für die gleichen Dinge interessierte wie die anderen Mädels aus dem Rudel. Zwar bin ich hübsch, aber eine Niete in Haushaltssachen und viel zu dünn, um die Begierde der meisten Männer zu wecken. Als Enrico dann Interesse an mir zeigte und mich umgarnte, war ich durchaus geschmeichelt. Immerhin sah er gut aus und konnte sehr charmant sein, wenn er wollte.“

Nachdenklich blicke ich nach draußen in Renés Garten. „Im Nachhinein frage ich mich, warum Enrico sich mit mir abgegeben hat. Vielleicht war er auch ein Opfer der Umstände, denn sein Vater wollte schon lange, dass er endlich ‚ein Mann wird und Verantwortung für eine Familie übernimmt‘. Mein Alpha Rüdiger – Enricos Vater – ist ein Wolf der alten Schule, der mit strenger Hand regiert und so einige verstaubte Traditionen pflegt, die mir als aufgeklärter junger Frau schon immer gegen den Strich gingen. Ich würde durchdrehen, wenn ich plötzlich nur noch Hausfrau und Mutter sein müsste, denn ich liebe meine Arbeit und meine Freiheit. Vielleicht dachte Rüdiger auch, dass ich als ruhiges Mauerblümchen besänftigend auf seinen Sohn wirken könnte. Es ist sehr gut möglich, dass mein Ex seinem Vater gefallen wollte und seine Wahl deswegen auf mich fiel, obwohl – oder eher weil – ich so gar nicht seinem typischen Beuteschema entspreche. Wahrscheinlich ging es deswegen auch so schnell mit allem: Zusammenziehen und dann nach etwas mehr als einem Jahr schon die Verlobung. Alle waren so begeistert, weil wir ja ein ‚ach so schönes Paar‘ waren. Irgendetwas hat sich immer gefunden, um mich davon abzulenken, dass in unserer Beziehung etwas verkehrt lief. Ich habe mich in den vergangenen zwei Jahren oft wie überfahren gefühlt. Was ich wollte, war zweitrangig. Das ist mir erst so richtig bewusst geworden, als es um die Trennung ging. Meine Meinung war scheinbar nicht so wichtig. Es fanden sich immer haufenweise Argumente für die Beziehung, sodass ich mich beschwatzen ließ, die Hochzeit nicht sofort abzusagen und Enrico eine zweite Chance zu geben.“ Fassungslos über meine Blauäugigkeit schüttle ich den Kopf. „Allerdings bestand ich auf einer räumlichen Trennung, um dem Druck von außen zumindest zeitweise zu entfliehen. Aktuell wohne ich bei meiner besten Freundin und habe mir eine Auszeit genommen. Enrico und unsere Eltern haben ihr Bestes gegeben, um mich zu besänftigen, und für eine kurze Zeit dachte ich tatsächlich – dumm wie ich war –, dass ich ihm wirklich etwas bedeute. Allerdings habe ich dann mitbekommen, dass er mich weiterhin betrügt. Als sie das wieder kleinreden wollten, bin ich durchgedreht und hierher abgehauen, um endlich mal meine Ruhe zu haben. Wenn sie Enrico so toll finden, können sie ihn gern selbst heiraten.“

„Was?!“ René wirkt ehrlich geschockt. „Sollte so eine Entscheidung nicht allein von dir getroffen werden? Du wurdest betrogen und musst dein Leben mit ihm verbringen, nicht die anderen.“

„Sag ich doch! Aber meine Familie fürchtet um ihr Ansehen. Mein So-gut-wie-Ex-Verlobter ist theoretisch eine sehr gute Partie, nur eben ein Schürzenjäger mit teils antiquierten Ansichten. Damit folgt er allerdings dem Pfad seines Vaters.“ Ich lache bitter. „Eigentlich muss ich diesen schießwütigen Idioten dankbar sein. Dank ihnen habe ich dich getroffen und eine perfekte Ausrede, um die Anrufe meiner Sippschaft zu ignorieren.“

„Du kannst dich gern hier verstecken. Mein Urlaub geht zwar nur noch eine Woche, aber das bedeutet nicht, dass du abreisen musst.“

Überrascht schaue ich ihn an. „Wird das Haus denn nicht vermietet sein?“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752116878
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Urban Fantasy Schattenwelt Werwolf Freundschaft Gestaltwandler Übernatürliches Liebe Vampire Romantasy Romance Fantasy Liebesroman Humor Erotik Erotischer Liebesroman

Autor

  • Vanessa Carduie (Autor:in)

Vanessa Carduie erblickte an einem grauen Herbstmorgen 1988 in Dresden das Licht der Welt. Geschichten faszinierten sie von klein auf und bald folgten die ersten eigenen Erzählungen. Sie hat Biologie studiert und widmet sich seit einigen Jahren aktiv ihrer Schreibleidenschaft. Mit ihren Büchern möchte sie ihre Leserinnen und Leser zum Lachen, Weinen und manchmal auch zum Nachdenken bringen.
Zurück

Titel: Liebe im Wolfspelz