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Clan der Astronauten

von Thorsten Hoß (Autor:in)
441 Seiten
Reihe: Die Crew der Sirius 7, Band 3

Zusammenfassung

Entschlossen, die Wiege der Menschheit zu finden und ihre neuen Freunde zu schützen, zieht die Crew der Sirius7 weiter Richtung Meer. Von Untoten verfolgt, von kriegerischen Amazonenclans umgeben und durch interne Spannungen gespalten - keine leichte Aufgabe für den neuen Clan der Astronauten. Hinzu sinnt der tote Zauberer Magister Ingbold, selbst nur noch ein rachsüchtiges Seelenfragment, nach Vergeltung und seinem Kopf, der sich im Besitz der Raumfahrer befindet. Und auch in den mystischen Sieben Türmen wenden sich neugierige Blicke in Richtung der Astronauten und ihrer stetig wachsende Reisegruppe.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Impressum

Clan der Astronauten

(Die Crew der Sirius7, Band 3)

Zweite deutsche Ausgabe

©2017 Thorsten Hoß

Sirius7@rollenspielseminar.de

www.Lunariaromane.de

Covergestaltung: PolinaHoß

Lektorat: Polina Hoß, André Reichel

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Postadresse des Rollenspielseminars

Wilhelmstr. 26 41363 Jüchen

Widmung

Für Ronja

Prolog

Auf einem kunstvoll in einen Felshang eingelassenen, steinernen Balkon saß eine alte Frau in einen bequemen Stuhl im Schatten eines schweren Sonnensegels, das sie vor den Strahlen des sich im Zenit befindenden Gestirns schützte.

Die Alte blickte versonnen auf die Lichtreflexionen des sich vor ihr ausbreitenden Sees. Das Gewässer wurde von zwei tosenden Wasserfällen gespeist, zwischen denen sich die Klosterschule befand, in der die Alte lebte. Die friedliche Stille des Augenblicks wurde gestört, als eine feiste junge Novizin zu ihr trat und sie ansprach.

„Große Mutter, wir haben Nachricht von der Königin der Wogenden Wipfel.“

„Was wünscht sie von uns, mein Kind?“

„Oh, Große Mutter, sie wünscht nicht, sie fordert“, erwiderte die junge Novizin empört. „Sie verlangt, dass sofort ein Kurtai einberufen wird.“

„Eine große Versammlung? Was mag der Grund sein?“

„Sie schreibt, dass ihre Tochter und einige ihrer Kriegerinnen in den Bahn einer Hexe geraten sind, die mit einer Horde Halbmenschen über das Territorium der Vier Flüsse in ihr Land eingedrungen ist.“ Einen Augenblick lang stockte die junge Frau, bevor sie weitersprach. „Sie schreibt weiter, dass die Hexe die Hammerträgerin Barbara besiegt hat und sich nach dem Kampf des Heiligen Hammers bemächtigte.“

„Gibt es Beweise für diese Worte?“

„Es gibt Augenzeugen, Große Mutter. Laut der Königin ist die Botin, die diese Nachricht brachte, selbst eine Augenzeugin.“

„Werde ich sie sehen?“

„Natürlich, wie Ihr wünscht, Große Mutter.“

„Kind, würde es dir etwas ausmachen, mich nicht in jedem Satz ‚Große Mutter‘ zu nennen?

„Natürlich nicht, Groß… Ähm, nein, ja natürlich nicht.“ Das Mädchen wurde rot, während die Alte lächelte.

„War sonst noch etwas, mein Kind?“

„Ja Gro…“, sie stockte. „Ja. Es gibt außerdem ein Schreiben“, wieder stockte sie, "ein Schreiben der Königin der Vier Flüsse.

„Wollen wir hören, was sie möchte?“

„Ja, natürlich.“ Die Novizin brach auch dieses Siegel und begann zu lesen. „Ihr werdet es nicht glauben, Große Mutter, aber sie schreibt das Gleiche wie die andere Königin.“

„Ihre Tochter wurde ebenfalls von der Hexe verzaubert?“

„Nein“, eine Pause, „aber sie schreibt auch von einer Hexe und Halbmenschen in ihrem Gefolge. Und auch sie erwähnt die Niederlage der Hammerträgerin und den Verlust des Heiligen Hammers.“ Dann begann sie zu flüstern. „Au-außerdem berichtet sie in ihrem Schreiben auch davon, dass die Hexe lebendige Tote gegen ihren Clan geschickt hat.“

„Kind! Willst du mir hier Märchen erzählen?“

„N-nein, bestimmt nicht. Darum habe ich diesen Teil bei dem anderen Brief gar nicht erwähnt. Lebende Tote.“ Sie versuchte ein Lächeln, das aber erstarb, als sie in das Gesicht der Großen Mutter blickte.

„Wirst du mir die Briefe augenblicklich geben?“

Natürlich würde die Novizin das tun und hatte es bereits, noch bevor der Satz beendet war.

„Können wir das Kurtai einberufen?“

„Ich werde alles dafür veranlassen.“

„War sonst noch etwas oder wolltest du gerade gehen?“

„Ich wollte gerade gehen, Große Mutter.“

1. Ashley

Ashley Bender, Herrin der Säbelfanten und ehemalige Astronautin und Bordingenieuren des experimentellen Hyperraumschiffs Sirius7 kauerte im hohen Gras. Neben ihr hockte ihr treuer Säbelfant und grollte leise. Das große, säbelzahnbewehrte Rüsseltier, das ihr bester Freund und Reittier in einem war, spitzte erregt seine Ohren und beobachtete genau wie seine Herrin die kleine Stadt, die sich in eine Flussgabelung schmiegte.

Die Blondine fluchte leise vor sich her, während sie dabei zusah, wie eine weitere Gruppe in Metallrüstung gepanzerter Frauen auf schweren Pferden in die Stadt einritten.

„Das wird eine harte Nuss“, brummte sie schließlich, bevor sie sich langsam zurückzog. Die freie Fahrt der letzten Tage war aber auch zu schön gewesen, um wahr zu sein.

Seit sie über die Berge in dieses Land gekommen waren, hatten die hier lebenden dummen Weiber nichts Besseres zu tun, als Ärger zu machen. Dabei waren sie ursprünglich hierhergekommen, um Menschen zu treffen. Und als sie endlich auf sie stießen, stellte sich heraus, dass sich die Bevölkerung überwiegend aus streitlustigen Frauen und devoten Männern zusammensetzte.

Dass Frauen hier mehr zu sagen hatten als Männer, störte Ashley im Grunde nicht weiter. Aber die hiesige Umsetzung! Als hätte man steinzeitliches Denken einfach auf den Kopf gestellt.

Hier waren die Frauen aggressive, muskelbepackte Machos, die Männer in Dörfern hielten und sie ziemlich schlecht behandelten. Die jungen Männer wurden als Lustsklaven und Arbeitstiere gehalten. Die älteren dienten zur Aufzucht und Pflege in den Dörfern.

Emanzipation und Frauenpower war ja soweit okay. Aber so wie hier ging das gar nicht klar. Trotzdem hatte sie sich an den Plan gehalten, den sie und ihre Freunde vor einigen Tagen beschlossen hatten, und die Dörfer gemieden.

Natürlich hatte so eine große Gruppe wie ihre Aufmerksamkeit erregt. Weder die kleine Armada aus mehr als achtzig Booten und vier Schiffen, noch ihre Hundertschaft aus Reitern, die dem Flussverlauf auf großen Reitschweinen und Pferden folgten, war besonders unauffällig.

Dass ihre etwa vierhundertfünfzig Personen starke Gruppe außerdem größtenteils aus Menschenmännern, Orks und Goblins bestand, sah man in dieser Gegend auch nicht alle Tage.

Zunächst war ihr Plan auch aufgegangen. Sie hatten das Dutzend Dörfer, auf die sie unterwegs stießen, zügig passiert und waren gut vorangekommen. Doch die nun vor ihnen liegende Siedlung war nicht so einfach zu ignorieren. Die Amazonen vom Clan der Vier Flüsse, die sich dort offensichtlich aufhielten, hatten hier einen regelrechten Militärstützpunkt errichtet.

Die von zwei Palisadenwällen geschützte Ansiedlung bot zu allem Überdruss auch noch den einzigen Weg für die Berittenen ihrer Gruppe, den Fluss mithilfe zweier Brücken zu überqueren.

Ein langer hölzerner Steg auf der linken Seite der Wehranlage überspannte den südlichen Fluss, der das Territorium der Vier Flüsse von dem der Küstenjäger trennte. Der nördliche Strom wurde sogar von einer steinernen Brücke überspannt. Diese Tatsache hatte Ashley erfreut.

Der Wasserspiegel lag tief genug unter den Bögen des Bauwerks, dass selbst ihre Schiffe darunter hindurch passen würden. Einen Steg an dieser Stelle hätten sie nicht so ohne weiteres überwinden können.

Als sie angefangen hatten, diese Gewässer zu befahren, befand sich jenseits des gegenüberliegenden Ufers noch das Land vom Clan der Wogenden Wipfel.

Doch schon eine Weile gehörte die weite Graslandschaft dem Clan der Singenden Hufe, den sie bisher nur flüchtig kennengelernt hatten. Anders als die Frauen der Wogenden Wipfel, die ein sehr widersprüchliches Verhältnis zu ihnen hatten, und der Vier Flüsse, die ihnen feindlich gegenüberstanden, da die meisten männlichen Menschen in ihrer Schar aus ihren Dörfern stammten, verhielten sich die Singenden Hufe neutral. Die Frauen hatten sie schnell entdeckt, nachdem ihre Gruppe das offene Gelände durchquerte, was nun bis zur Küste vor ihnen liegen sollte. Einen Tag nach ihrer Entdeckung hatte eine Gruppe dieses Clans mit ihnen Kontakt aufgenommen. Sie waren über die seltsame Schar, die vor ihnen stand, zwar sehr erstaunt, blieben aber gefasst und waren zu Gesprächen bereit. Nachdem einige Schafe und Ziegen die Seite gewechselt hatten, tolerierten diese Amazonen, dass der Clan der Astronauten an ihrem Ufer über Nacht rastete. Trotzdem bestanden sie auf einem zügigen Aufbruch.

Die Singenden Hufe hatte ein ausgeklügeltes Informationssystem aus Rauchfahnen und Lichtsignalen, wodurch ihre Vorbeifahrt an Dörfern dieses Clans den Amazonen schon vorher bekannt war und sie von einer Delegation der Frauen erwartet wurden, die sicherstellten, dass sie sich an die Vereinbarung hielten. Die Rauchschwaden und Leuchtfeuer hatten sie gelegentlich selbst gesehen, doch hatte erst Brunhilde ihnen erklärt, was es damit auf sich hatte. Sie war es auch, die ihnen von der Stadt erzählte, die sich Ashley soeben angesehen hatte. Brunhilde war eine von vier Amazonen vom Clan der Wogenden Wipfel, die sie begleiteten. Die Kriegerinnen hatten sich den Astronauten nicht angeschlossen, sondern waren nur wegen Ashleys Waffe bei ihnen.

Ein aberwitzig überdimensionierter Steinhammer, den sie einer Amazone abgenommen hatte, nachdem sie die Kriegerin besiegte und den sie entgegen der gültigen Naturgesetze mit Leichtigkeit führen konnte. Andererseits hatte es noch niemand anderes geschafft ihn anzuheben, seit er in ihrem Besitz war. Und es hatte so ziemlich jeder bereits einmal versucht. Auch Brunhilde und ihren Freundinnen war es nur gemeinsam gelungen, den Hammerkopf ein winziges Stück vom Boden zu heben, bevor sie ihn wieder absetzen mussten. Selbst Junior, der einzige Oger ihrer Gruppe und Adoptivzögling ihrer Crewkameradin Hiriko hatte mit einer Ausdauer und Sturheit an der Waffe gezogen, die nur ein Oger aufbringen konnte. Doch schließlich musste auch er einsehen, dass diese schöne, mächtige Waffe eine Nummer zu groß für ihn war. Seitdem betrachtete Junior sie mit ganz anderen Augen. Ashley seufzte. Das fehlte ihr gerade noch. Ein in sie verliebter Oger! Sie wollte sich bereits abwenden, als sie Aktivitäten auf der Brücke bemerkte, die ihr bisher entgangen waren.

„Was machen die denn da?“

Angestrengt späte die Blondine zur Brückenkonstruktion. Sie konnte eine Reihe von Gestalten ausmachen, die mit etwas am Boden beschäftigt waren, das sich entlang der gesamten Brückenspanne erstreckte.

„Was ist das nur?“ Die Frauen hantierten mit etwas, das Ashley aus dieser Entfernung ein wenig an zu Hause erinnerte. So hatte ihr Vater mit Lichterketten hantiert und sie selbst als Helfer mit Girlanden und so einem Zeug, wenn Festtage anstanden. „Machen die eine Party?“

Ein weiteres intensives Starren ließ die Amerikanerin weitere Details erahnen, die andere Erinnerungen auslösten. Das Boot eines Freundes in einem kleinen Hafenbecken, das überwiegend von Fischerbooten genutzt wurde. An die Fischer, an denen sie vorbeiging, wenn sie ihn besuchte, während sie ihre Netze entwirrten und ihr auf den Arsch starrten.

„Netze! Diese Drecksweiber wollen uns ʼne Falle stellen!“

Noch einmal ließ sie ihren Blick umherschweifen, dann zog sie sich still, aber zügig zurück. Als sie ihrer Meinung nach genügend Abstand zur Siedlung gewonnen hatte, um ihren Säbelfant zu besteigen, ging es noch schneller voran. Von nun an würde es nicht mehr lange dauern, bis sie auf die Vorhut ihrer Leute treffen würde. Und dann gab es einiges zu bereden.

2. Ronja

Ronja saß auf ihrem Bett und starrte missmutig die verschlossene Türe ihres Zimmers an. Tiefer Groll brodelte in ihr. Das Gespräch mit ihrer Mutter war alles andere als gut gelaufen. Obwohl ihre Erklärung, dass sie den Clan der Astronauten nur eskortiert habe, um die Interessen ihrer Mutter und des Clans zu schützen, in ihren Augen schlüssig war und der Wahrheit entsprach, hatte die Königin ihr nicht geglaubt. Sie fluchte.

Alleine die Tatsache, dass sie Ashley und die Astronauten in Schutz nahm, weckte das Misstrauen ihrer Mutter. Aber nachdem die Weisen Frauen die rothaarige Prinzessin untersucht hatten, setzte die Königin sie unter Stubenarrest. Nur weil sie geflucht hatte. Gut, sie wusste auch nicht genau, warum sie in der Sprache der Astronauten fluchte und auch nicht, warum sie diese sprechen konnte und verstand. Magie hatte Nebenwirkungen. Das wusste jeder! Wenn das die einzigen Nebenwirkungen ihrer Heilung waren, sollte ihre Mutter doch froh sein.

Aber nein, ihr wurde unterstellt, dass sie in irgendeiner Form durch die Herrin der Säbelfanten kontrolliert werden würde. Dabei hatten die Weisen Frauen keinerlei Anhaltspunkte für aktive Zauberei bei ihr feststellen können, doch war sie nach wie vor hier eingesperrt. Ronja fluchte wieder. Das war ungerecht, dumm und langweilig. Engstirnig war es auch. Ihre Mutter kannte weder Ashley noch die Anderen. Sie wusste nichts über die freien Beweggründe der Männer, die sich den Astronauten angeschlossen hatten.

Es war der Königin egal, dass ihre eigene Tochter die Wahrheit sprach. Schuld war irgendein böser Zauber, unter dem sie, ihre Begleiterinnen und auch alle Männer standen. Fertig! Das war doch viel einfacher, als zu überlegen, warum die Männer nicht unter der Herrschaft des Clans der Vier Flüsse bleiben wollten oder darüber nachzudenken, wie es wohl um ihre eigenen Dörfer bestellt war. Oder warum ihre Tochter lieber mit einer Horde Fremder umherzog, als zu ihrer Königin zurückzukehren. So ein verfluchter Mist!

Während die Prinzessin erneut sehr unstandesgemäß fluchte, klopfte es leise an der Türe. Gleichzeitig vernahm sie das Knacken des Türschlosses.

„Wer ist da?“

Eine, für eine Amazone zierliche Frau schlüpfte durch den schmalen Spalt, den sie geöffnet hatte, nur um ihn schnell wieder zu schließen. In die Lederrüstung einer Schwertschwester gekleidet, drehte sich die Unbekannte anschließend zu Ronja um und wischte sich eine Kapuze vom schwarz gelockten Kopf.

„Ich bin Anna, Prinzessin. Entschuldigt, wenn ich Euch erschreckt habe.“

„Du hast mich nicht erschreckt. Was willst du?“

„Ich bin nur hier, um nach Euch zu sehen.“

„Warum? Ich kenne dich nicht.“

„Meine Schwertschwester Esmeralda hat mich geschickt.“

„Esmeralda kenne ich, aber warum sollte sie dich schicken?“

„Sie machen sich Sorgen um Euch nach dem, was mit Barbara passiert ist.“

„Barbara, die Hammerträgerin? Was ist mit ihr?“

„Sie ist nicht länger die Hammerträgerin, da sie die heilige Waffe verloren hat. Ihr wird außerdem vorgeworfen, das heilige Artefakt kampflos dem Feind überlassen zu haben.“

„Was? Aber sie hat gekämpft. Wann ist die Verhandlung?“

„Sie war gestern. Während des Tribunals hat sich Barbara nicht verteidigt und wurde für schuldig befunden. Sie gilt nun als Verräterin und wurde aus dem Clan verbannt.“

„Aber Barbara ist eine Heldin! Sie ist eine verdiente Kriegerin des Clans und wird auch über unsere Grenzen hinweg respektiert.“

„Und doch ist sie fortan eine Vogelfreie“, entgegnete ihre Besucherin. „Und Ihr sollt fortgebracht werden.“

„Ich?“ Ronja war aufrichtig überrascht. „Wohin denn?“

„Wir wissen es nicht genau. Vermutlich in eins der drei Klöster der Weisen Frauen. Aber welches davon Euer Ziel sein wird, weiß ich nicht.“

„Meine Mutter schickt mich allen Ernstes ins Kloster? Ist das dein Ernst?“

Die Schwarzhaarige nickte stumm.

„Ich kann es einfach nicht glauben!“ Sie fluchte. „Weißt du, wann ich aufbrechen soll oder wie lange ich dort verweilen muss?“

„Die Abreisevorbereitungen für Euch laufen bereits, Prinzessin. Aber wie lange Ihr im Kloster bleiben sollt, kann ich Euch nicht sagen.“

„Ich aber.“

Anna blickte ihre Prinzessin schweigend an, konnte aber ihre Überraschung nicht verbergen.

„Wenn es nach mir geht, werde ich gar nicht erst dort ankommen!“

3. Boris

Kommandant Boris Iwanowitsch Koschkin, ehemaliger Pilot und Befehlshaber der Sirius7, saß gemeinsam mit seiner Kopilotin Hiriko Tanaka in einem ihrer zahlreichen Einbäume und ließ sich von einem Flussufer zum anderen übersetzen.

Auch Faqech, die Goblinschamanin, die er meist nur Fang nannte, begleitete die beiden. Eine tiefe Freundschaft verband den Russen mit dem zierlichen Goblinmädchen, die sich auf ihren bisherigen Reisen langsam entwickelt hatte.

Die Kleine war zunächst seine Wächterin gewesen, später seine Mitgefangene in der Sklaverei, bis sie schließlich Kampfgefährten und Vertraute wurden. Die Goblinin hatte sich oft genug als treue Verbündete und unschätzbare Hilfe erwiesen. Davon einmal abgesehen, dass er ohne sie schon lange tot wäre.

Der Haupttross ihres Zuges war unterwegs auf die vielen kleinen Pirogen verteilt, die bis zu acht Personen in einer Reihe Platz boten, mit denen sie den Fluss abwärts befuhren. Fang und Hiriko befanden sich selbst meist auf einem der vier rund fünfundzwanzig Meter langen Schiffe, die von bis zu dreißig Ruderern vorangetrieben werden konnten, während er selbst den Ritt auf einen Schweinerücken bevorzugte.

In den Bäuchen der großen Boote verteilt, befand sich auch die Viehherde ihrer Gruppe, wodurch der Aufenthalt an Bord einen interessanten Geruchscocktail ergab, wenn man es vorsichtig formulierte.

Der Hauptteil dieser Flotte rastete abends am rechten Ufer des Flusses, während der berittene Teil auf der linken Seite kampierte. Dadurch waren sie zwar zweigeteilt, doch war dies immer noch die sicherste Variante.

Die Amazonen, deren Territorium auf der rechten Flussseite lag, tolerierten zwar, dass sie dort lagerten, hatten ihnen aber eine Durchreise über ihr Land verwehrt. Daher machte es wenig Sinn, mit den Reittieren überzusetzen. Gleichzeitig bot dieses Ufer jedoch mehr Sicherheit für die Hauptkolonne ihres Zuges, da sie vor direkten Angriffen vom Clan der Vier Flüsse geschützt waren, die das linke Ufer beanspruchten und sich mit dem Clan der Astronauten im Kriegszustand befanden.

Ja, der Clan der Astronauten. Eigentlich war das Ganze nur eine spontane Idee von Ashley gewesen, um ihre wild zusammengewürfelte Gruppe in die Vorstellungswelt der Amazonen einfügen zu können, um so eine Verhandlungsbasis zu schaffen.

Nun waren er und seine Crew zwar immer noch die einzig wirklichen Astronauten auf diesem Planeten, doch hatte sich der Begriff in den letzten Tagen immer mehr als Eigenbezeichnung ihrer Gruppe durchgesetzt. Egal ob Ork, Mensch oder Goblin. Sie waren alle Astronauten. Eine seltsame Vorstellung, fand Koschkin, doch irgendwie wurde ihm bei diesem Gedanken auch warm ums Herz.

Die Einheimischen begannen, die Essenz dessen, was einen Astronauten seiner Meinung nach ausmachte, zu verinnerlichen. Tatendrang, Souveränität, Abenteuergeist, Heldenmut und eine professionelle Einstellung waren zwar wichtige Eigenschaften, die einen Raumfahrer ausmachten, doch war seiner Meinung nach die Kooperationsbereitschaft über ethnische, gesellschaftliche und politische Grenzen hinweg das Entscheidende.

Im Vakuum war kein Platz für kleingeistiges Gezänke um Ideologien. Dort saß man gemeinsam im gleichen Boot, selbst wenn man sich auf verschiedenen Raumschiffen befand. Streitigkeiten endeten im All schnell tödlich für beide Seiten. Schon lange bevor die Erde eine vereinte Weltregierung hatte, als Unruhen noch Kriege waren und viele kleine verfeindeten Staaten miteinander konkurrierten, hatten Astronauten aller raumfahrenden Nationen zusammengearbeitet.

Koschkin spürte, dass er nun in zweifacher Hinsicht ein Astronaut war. Nach wie vor war er der Kommandant der Sirius7, auch wenn sein Raumschiff nach einem schief gelaufenen Hyperraumsprung abgestürzt und dann auch noch von wütenden Drachen als Empfangskomitee auseinandergerupft wurde. Dass die Sirius7 danach auch noch von einem wildgewordenen Monsterkristall zerstört und ins Erdreich gezogen worden war, hatte sein Schiff nicht verdient. Er hielt das Andenken an sein Hyperraumschiff in Ehren, indem er sich weiterhin als Raumschiffskommandant und Astronaut verstand, auch wenn er und seine Crew nie wieder ins Weltall oder nach Hause zurückkehren würden. Aber er war nun auch stolz, ein Astronaut vom Clan der Astronauten zu sein.

„Hey! Ihr hättet ruhig auf mich warten können!“

Koschkin blickte sich um und bemerkte ein zweites Boot, das über den Fluss setzte. Neben den Männern an den Paddeln befand sich sein Astrogator Sven Erikson, über dessen Kopf eine Lichtkugel tanzte, bei der es sich um die Fee Delphi handelte.

Die winzige beflügelte Frau strahlte zurzeit so sehr, dass man ihre Konturen kaum erkennen konnte. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass die Fee aufgeregt war. Das Vogelgezwitscher der Kleinen konnte Boris nicht verstehen, doch sein Astrogator hatte von ihr die Fähigkeit geschenkt bekommen, jede natürliche Sprache verstehen zu können. Für Feen schien das eine allgemein gängige Eigenschaft zu sein.

„Was das Ganze soll, weiß ich auch nicht!“, antwortete Sven der zwitschernden Lichtkugel leicht gereizt. „Was ist eigentlich los?“, wandte sich der Norweger nun an den Russen.

„Ashley hat etwas entdeckt und will mit uns reden.“

„Und warum hat mich keiner geweckt?!“

„Du hast geschlafen und wir wollten dich nicht stören. Fang meinte, du wärst immer noch sehr ausgelaugt und benötigst Ruhe.“ Eriksons ermatteten Gesichtszüge bestätigten Faqechs Einschätzung deutlich. „Du siehst immer noch sehr müde aus.“

„Stimmt, aber es ist okay. Wenn es etwas Neues gibt, möchte ich dabei sein. Vielleicht könnt ihr meine Hilfe gebrauchen. Auch wenn ich zugebe, dass ich momentan zu nicht viel tauge. Aber mal was anderes. Hast du eigentlich den zweiten Säbelfanten von Ashley die letzten Tage gesehen?“

„Nein“, entgegnete Koschkin. „Aber wenn du willst, kannst du sie ja danach fragen.“

„Danke, aber ich glaube, darauf kann ich verzichten.“

„Genau das denke ich auch.“

Ein durch das Boot gehender Ruck machte den Russen darauf aufmerksam, dass sie das andere Ufer erreicht hatten. Nachdem er und Faqech ausgestiegen waren, legte auch Svens Boot an. Gemeinsam suchten sie dann Ashley und Tilseg.

Tilseg war so ein Fall für sich. Ihr ehemaliger Bordarzt Till Segschneider, der aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände diese Welt nicht lebend erreichte, lebte in gewisser Weise in dem grünen Biogelmenschhybrid weiter.

Irgendwie hatten sich die organischen Bestandteile des Bordcomputers der Sirius7, - denn nichts anderes war das Biogel ursprünglich gewesen, - mit dem Doktor verbunden. Tilseg war das Resultat dieser Verschmelzung.

Bis auf die grüne Färbung glich Tilseg körperlich seinem menschlichen Original und auch in der Persönlichkeit des Hybriden erkannte Koschkin seinen alten Freund wieder. Doch die Art, wie Tilseg sprach und die emotionslose Weise, wie er fast jede Situation handhabte, zeigten deutlich, dass Till Segschneider vielleicht ein Teil von Tilseg war, aber eben nicht die gleiche Person.

Trotz der seltsamen Herkunft seines Kameraden, die auf der Erde einen umfassenden Bioalarm ausgelöst hätte, vertraute der Russe dem Glatzkopf blind. Der Arzt hatte oft genug bewiesen, dass er es verdiente. Außerdem stellten Fang und er die wichtigsten Schnittstellen zu den Einheimischen dar und waren zusätzlich ihr mobiles Feldlazarett.

„Da seid ihr ja endlich“, begrüßte Ashley sie und lenkte seine Aufmerksamkeit auf sie. „Da ihr schon genug herumgetrödelt habt, fangen wir gleich an. Auf uns warten flussabwärts Probleme.“

Während die Blondine nun über die befestigte Ortschaft, die Brücken und die Aktivitäten der Amazonen der Vier Flüsse berichtete, zeigte sie ihm betont die kalte Schulter. Sie und er hatten eine „Stop and go“-Beziehung geführt, seit sie sich kannten. Als die Sirius von der Erde aus startete, waren sie nur Crewkameraden mit einer gemeinsamen Geschichte gewesen, aber schlussendlich, auf dieser Welt, nachdem Barrieren wie Pflicht und Rang gefallen waren, hatten sie wieder zusammengefunden. Doch nachdem sie ihn und Faqech beim Sex während eines Schamanenrituals beobachtet hatte, zeigte sie ihre Verletztheit auf ganz eigene Weise. Zunächst durch Gewalt gegen ihn, dann durch Ignoranz. Zweiteres war ihm zwar lieber, als dauernd verprügelt zu werden, aber er hoffte, dass sie ihm irgendwann verzieh. Auch wenn er ihre Gefühle verstand, hatte er nur in bester Absicht gehandelt.

„Der blöde Kater hört nicht zu, ich fass es nicht!“, riss ihn Ashleys Stimme aus seinen Gedanken. Verdammt, er war abgeschweift!

„Entschuldigung, ich war einem Gedanken gefolgt. Was hast du gesagt?“

„Für verpeilte Kater, die nix auf die Reihe kriegen, die Kurzform: Viele Amazonen in Metallrüstungen hinter dicken Palisaden versperren den Weg zu Lande auf dieser Seite. So wie es aussieht, haben sie vor, den Wasserweg durch Netze zu versperren und uns so an der Weiterfahrt zu hindern. So oder so müssen wir an ihnen vorbei oder sie irgendwie umgehen, was mit den ganzen Booten schwierig werden dürfte. Jetzt geschnallt? Und? Vorschläge?!“

Koschkin fluchte. So wie Bender das darlegte, hatten sie tatsächlich ein Problem. Wenn es den Amazonen der Vier Flüsse in der Ortschaft gelang, sie aufzuhalten, könnten die Kriegerinnen sie in die Zange nehmen. Außerdem könnte es Probleme mit den Singenden Hufen geben, wenn sie länger an Ort und Stelle blieben. Ein Verweilen würde einen Verstoß ihrer Vereinbarungen bedeuten. Ebenso, wenn sie versuchen wollten, die Stadt durch das Übersetzen auf die andere Flussseite zu umgehen.

„Vielleicht können wir mit dem Clan der Singenden Hufe nachverhandeln“, schlug er schließlich vor.

„In der Tat. Wir könnten uns darauf berufen, dass wir unsere Vereinbarung bisher eingehalten haben. Wenn unsere Zuverlässigkeit nicht infrage steht, gibt es für eine Einigung eine recht hohe Wahrscheinlichkeit.“

„Toll, hast du eine von ihnen seit dem letzten Dorf gesehen? Ich nicht.“ Ashley verschränkte die Arme und schaute erwartungsvoll weiter in die Runde.

„Vielleicht lassen sich ja auch die Frauen der Vier Flüsse auf eine Unterhaltung ein“, gab Erikson zu bedenken.

„Klar, die waren ja bisher auch so zuvorkommend und verständnisvoll.“

„Sei doch nicht so schroff, Ashley.“ Dass Hiriko jemanden zurechtwies, kam nur sehr selten vor. Vielleicht war das der Grund, dass die Amerikanerin einlenkte.

„Entschuldigung. Ich bin angepisst. Ich habe langsam die Nase voll, dass diese blöden Weiber uns ständig Steine in den Weg legen. Tilseg und ich sind die ganzen Sachen eben schon durchgegangen, als wir auf euch gewartet haben. Und auch wenn der grüne Knuddelbär hier Wahrscheinlichkeiten für dies und das sieht, riecht es stark danach, dass wir wieder kämpfen müssen. Ich habe aber keinen Bock mehr zu kämpfen. Es ist ja gut und schön, diesen Hohlköpfen mit Titten etwas Verstand einzubläuen, aber die wollen Blut sehen.“

„Ich schlage vor, dass wir im Morgengrauen oder besser noch, vor Morgengrauen zur Stadt reiten und mit ihnen reden. Schöpfen wir erst einmal die Optionen aus, die uns zur Verfügung stehen.“

Auch wenn Ashley ein lautes ‚Pah‘ ausstieß, waren alle damit einverstanden. Auch sie, obwohl sie nur sichtlich widerwillig einem Vorschlag, den er gemacht hatte, zustimmte.

Zunächst sollte verhandelt werden.

Zwischenspiel

Wieder wurde die Große Mutter bei ihrer Meditation unterbrochen. In letzter Zeit war es vorbei mit ihrer Ruhe. Etwas widerwillig löste sie ihren Blick von den Wasserreflexionen, die sie studierte, und blickte in das Antlitz der feisten Novizin, die nun wieder vor ihr stand. „Warum störst du mich, Kind?“

„Es gibt noch ein paar wichtige Fragen, Große Mutter.“

„Welche Fragen sind es denn, die keinen Aufschub dulden?“

„Es geht um das Kurtai.“

Die runzlige Alte seufzte. „Deswegen störst du mich? Sollten die Boten nicht bereits unterwegs sein?“

„Ja, die meisten sind schon aufgebrochen, Große Mutter. Aber die Schwestern fragen sich, ob wirklich alle Clans gerufen werden sollten.“

„Geht das Kurtai nicht alle Clans etwas an?“

„Schon, Große Mutter aber von den Resten des Clans der Hohen Klippen haben wir schon lange nichts mehr gehört, seit er auseinanderbrach.“

„Wäre es dann nicht erst recht vonnöten, sie einzuladen?“

„Natürlich, Große Mutter. Aber beim Clan …“, die Novizin musste einen Moment nachdenken, „beim neuen Clan der Drachenklauen sind wir uns unsicher, ob wir sie auch einladen sollen.“

„Was verunsichert dich genau?“

„Was ist, wenn der Drache persönlich zum Kurtai erscheint?“

„Ist er nicht auch eine Königin?“

„Der Drache hat die letzte Königin des Clan der Hohen Klippen gefressen!“

„Haben sich dem Drachen danach nicht viele Clanfrauen unterworfen und ihn als ihre Königin akzeptiert?“

„Ja, aber sonst wären sie auch gefressen worden.“

„Wissen wir das genau?“

„Nein, Große Mutter.“

„Haben nicht alle Clans ein Recht darauf, auf dem Kurtai zu sprechen?“

„Ja schon, aber …“

„Gelten die Regeln des Kurtais nicht für alle?“

„Natürlich, Große Mutter, aber kennt auch ein Drache diese?“

„Vielleicht sollte der Bote die Regeln verdeutlichen, wenn er die Einladung überbringt.“

„Und was, wenn sich der Drache einfach nicht daran hält und die Versammlung zu fressen versucht?“

„Warum sollten die Clans Angst vor der Königin der Drachenklauen haben? Sind die Clans so mutlos und schwach?"

„Natürlich nicht, Große Mutter.“

„Warum störst du mich dann damit?"

„Entschuldigt, Große …“

„Wann lernst du eigentlich, mich nicht im jeden Satz Große Mutter zu nennen?“ In der Stimme der Alten lag nun offene Verärgerung.

„Entschuldigung, ich … ich gehe jetzt …“

Die Große Mutter wandte sich wieder der spiegelnden Wasseroberfläche zu und begann erneut zu grübeln. Dieser Clan der Astronauten brachte wirklich alles durcheinander. Der dreiste Drache, der einen Teil des Clans der Hohen Klippen übernommen hatte, war dagegen nur ein Klacks. Soweit sie wusste, respektierte er wenigstens die Regeln der Clans. Aber diese Astronauten?

4. Sven

Erikson konnte es immer noch kaum glauben. Wie hatten sie ihn überreden können, nun hier im feuchten Gras zu liegen. Du musst mitkommen, hatten sie gesagt. Vielleicht haste ja eine Idee für eine magische Lösung, hatten sie gemeint. Also war er mitgekommen und lag nun hier im Morgentau. Doch eine Idee hatte er nicht, denn er war einfach viel zu müde zum Denken.

„Ich sagte Euch ja, dass Ihr besser darauf verzichten solltet, Eure Lebenskraft für Zaubersprüche einzusetzen. Wie Ihr nun am eigenem Leibe erfahrt, ist die Ermattung viel schwerer, bis die Lebenskraft wieder ersetzt ist, als wenn ihr lediglich das magische Potenzial Eures Manaspeichers wieder aufladen müsstet.“

Lektor Ingbold, Eriksons Lehrmeister der Zauberei, ging ihm gerade auf die Nerven. Leider hatte der Geist recht, denn das war der Lektor außerdem.

„Ja-ja“, erwiderte Sven leicht genervt. „Aber sonst wären die beiden Frauen gestorben. Das konnte ich nicht zulassen.“

„Ich weiß, mein Freund. Eure Motive waren ehrenhaft, besonders, da die Frauen Eure Feinde sind. Doch bedenkt für die Zukunft, dass Magie, die mit Lebenskraft gewirkt wird, unser Handwerk noch deutlich unberechenbarer und gefährlicher macht, als es ohnehin schon ist.“

„Sie haben ja recht, Lektor Ingbold. Ich werde in Zukunft daran denken.“

Während dieser lautlos stattfindenden, innerlichen Unterhaltung, die zwischen dem Norweger und seinem verstorbenen Lehrmeister, dessen Seelengefäß Sven in Form eines kleinen Schmuckstückes um den Hals trug, hatten sich Ashley und der Kommandant plötzlich erhoben.

„Was ist jetzt auf einmal?“

„Wir wollten doch mit ihnen reden“, entgegnete Ashley. „ Also machen wir das jetzt!“

„Jetzt? Wäre es nicht besser, mit mehr Leuten im Rücken mit ihnen zu sprechen?“

„Das könnte ein Gespräch gleichermaßen unmöglich machen“, antwortete nun Koschkin. „Jetzt ist genauso gut wie später.“

Dass die beiden ausgerechnet hier der gleichen Meinung waren, frustrierte Erikson ein wenig. Denn er sah das gerade grundsätzlich anders. Er hätte später in jedem Fall bevorzugt. So aber blieb ihm nichts anderes übrig als zuzustimmen, da Koschkin und Bender ihre Tiere bereits bestiegen und sich dann in Richtung der Stadt wandten.

Müde, von seinem persönlichen Geist genervt und alles andere als überzeugt, das Richtige zu tun, bestieg nun auch er sein Pferd.

Ich sollte bei nächster Gelegenheit wirklich einige Reitstunden nehmen, dachte er bei sich, um sich von den möglichen Folgen seines Handelns abzulenken. Dabei bemühte er sich, seine beiden Kameraden einzuholen, die sichtlich besser mit ihren Tieren zurechtkamen als er.

Sven seufzte. Er war eben ein Fußgänger und Wagenfahrer, aber weder ein geborener noch begeisterter Reiter.

5. Hiriko

Hiriko Tanaka fand, dass der Tod einen sehr befreienden Einfluss auf sie hatte.

Seit sie zu Tode gestürzt, von Ogern verspeist und als Dryade wiedergeboren worden war, nahm sie das Leben mit einer Gelassenheit, die sie zu Lebzeiten nie besaß.

Zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, anderer Leute Erwartungen zu erfüllen. Die ihrer Eltern, ihrer Lehrer und Vorgesetzten. Ja, sogar die Erwartungen ihrer Freunde. Jetzt jedoch war das alles ziemlich unwichtig.

Genüsslich streckte die nun fast zwei Meter messende, ehemalige Asiatin ihren nackten Körper und genoss die ersten Sonnenstrahlen auf ihrer dunkelbraun glänzenden Haut.

Einen Moment lang blieb sie noch entspannt auf dem Laubteppich ihres Symbiosepartners liegen, bei dem es sich um einen rankenden Weinstock handelte, der durch ihren Einfluss die Form eines überdimensionierten Handkarrens besaß, über dessen Radachse ein kleines Klohäuschen hinausragte.

Das gewachsene Gebilde wurde durch zwei daran montierte Räder komplettiert und bei Bedarf mit einem kleinen Zeltüberbau abgerundet. Normalerweise würde das Vehikel von ihrem Ziehsohn Junior geschoben, doch stand ihr Gewächs zurzeit fest vertäut an Bord eines ihrer vier Schiffe.

Die vielen Herden im Bauch der Boote und der enorme Zulauf an Menschenmännern hatten sich für sie als Glücksfall erwiesen, denn sie hatte einen Plan. Das eigentliche Glück stellten jedoch nicht die Personen und Tiere, sondern die von ihnen produzierten Exkremente dar, die sie dringend brauchte.

Seit Tagen war sie wieder damit beschäftigt, ihre Pflanze zum Wachsen zu animieren. Ihr Karren war bereits bauchiger geworden und hatte Luftkammern um die umwachsene Wanne gebildet, in der die Wurzeln der Pflanze ruhten. Außerdem begann sich langsam eine Form herauszubilden, die sich entfernt an die der Pyrogen anlehnte. Ihr Projekt nahm sie dermaßen ein, dass sie kaum bemerkte, was ihre Freunde oder die Leute um sie herum taten.

„Junior? Würdest du mir noch ein paar Eimer Mist besorgen, mein Kleiner?“, wandte sich die Dryade mit geschlossenen Augen an ihren Oger. Der etwas einfältige Hüne grunzte zustimmend, murmelte noch etwas in der Sprache der Goblins und stapfte dann von Bord.

Es würde zwar noch eine Weile dauern, doch war sie sehr zuversichtlich, dass ihr Karrenklohäuschen dann zu Wasser gelassen werden konnte, um selbstständig zu schwimmen. Voller Vorfreude dachte sie daran, was ihre Kameraden wohl sagen würden, wenn sie fertig war.

6. Ashley

Sie hatte ja gewusst, dass die dummen Weiber nur kämpfen wollten. Und nun hatten sie den Schlamassel. Ihr ungleiches Reitertrio, bestehend aus dem Kater auf einem Reitschwein, Sven auf einem Pferd und ihr selbst auf ihrem Säbelfanten, hatte sich gerade erst der Stadt genähert und ihre Verhandlungsbereitschaft bekundet, als auch schon die Feindseligkeiten losgingen. Zunächst behinderten Speerwürfe und Schmähungen die Kommunikation. Dann öffnete sich das Tor der Stadt und entließ eine große Schar gepanzerter Reiterinnen, die sich abseits davon sammelten.

„Und nun?“, wollte sie wissen. „Die kleckern nicht, die klotzen!“

„Eine Hundertschaft gegen drei. Ein wenig übertrieben, oder?“, kommentierte Koschkin das Szenario äußerlich ruhig.

„Nur übertrieben?“ Sven war entsetzt. „Wollen wir nicht abhauen?“

„Schau mal da rüber.“ Sven tat wie ihm geheißen wurde und schauderte, als er zurückblickte. Da war noch eine weitere Gruppe Amazonen. Diese waren zwar nur mit der üblichen Lederrüstung gepanzert, doch war auch dieses Grüppchen ihnen eins zu vier überlegen. Und diese Truppe versperrte ihnen den Rückweg.

„Das ist eine Falle!“, kreischte der Norweger nun.

„Du hast es erfasst. Die haben uns anscheinend gestern auch ausgekundschaftet und auf unseren ersten Zug gewartet. Jetzt gedenken sie drei fette Fliegen auf einen Streich plattzumachen.“

„Was meinst du?“

„Idiot! Für die bin ich die Königin des Clans und ihr meine Rädelsführer!“

„Sie wollen der Schlange den Kopf abschlagen, jetzt, wo sie eine Gelegenheit dazu haben“, verstand Koschkin die Blondine richtig.

„Ihr wollt doch nicht allen Ernstes kämpfen?“ Sven war kreidebleich geworden und ging Ashley langsam auf den Geist.

„Nein, ich habe ganz und gar keine Lust zu kämpfen. Das ist diesen dämlichen Tussis da drüben aber egal. Wenn du nicht zufällig einen Megamagnet in deiner Hose versteckst, mit dem wir sie stoppen können oder dir nicht noch was Geniales einfällt, werden wir keine Wahl haben.“ Mit diesen Worten wuchtete sie den schweren Hammer von ihrem Rücken.

„Ich wünschte, Fang wäre hier“, murmelte Koschkin da und verpasste Ashleys Herz einen Stich. Als der Russe ihren versteinerten Gesichtsausdruck bemerkte, ergänzte er hastig: „Im Kampf vom Schweinerücken sind wir ein eingespieltes Team. Sie lenkt, ich bediene die Waffen. Ich weiß nicht, wie nützlich ich ohne ihre Hilfe für euch bin.“ Während sie ihren dummen, treulosen Trampel von Kater anstarrte, meldete sich Erikson zu Wort.

„Das mit dem Magnet ist gar keine dumme Idee. Jedenfalls wenn die Metalllegierung, die hier von den Amazonen benutzt wird, magnetisch ist. Ich habe mit Lektor Ingbold gesprochen und glaube, dass es einen Zauber gibt der uns helfen könnte. Ich brauche allerdings Eisen oder etwas in der Art, um ihn wirken zu können.

„Da bist du bei mir an der falschen Adresse. Meine Speere haben Steinspitzen und mein Hammer hat auch kein Eisen in sich. Ich bin rundum metallfrei.“ Da fiel ihr was ein. „Aber der kleine Kater hier hat Eisen bei sich.“

Koschkin zuckte bei ihren Worten leicht mit der Wimper, wusste er doch sofort, worauf sie anspielte. Sein Messer. Das einzige, was außer ihm und seiner Crew selbst noch von der Erde stammte. Die kurze Klinge war auch vorher aus sentimentalen Gründen sehr wichtig für ihn gewesen. Doch nun stellte sie im Prinzip die letzte Verbindung zu seiner Heimat dar. Ashley sah, wie der Russe einen Moment lang mit sich rang, bevor er die Waffe zog und dem Norweger reichte.

„Gut, gebt mir einen Moment“, bat dieser nun und begann, einen Zauber zu wirken. In der Zwischenzeit hatten sich die gepanzerten Kriegerinnen vor der Stadt genug sortiert, um nun geschlossen gegen sie vorzugehen. Ein Donnern schwoll an, als sich die Frauen in Bewegung setzten.

„Es geht los“, kommentierte Koschkin das Offensichtliche.

7. Faqech

Faqech machte sich langsam Sorgen wegen ihrer Vorräte. Vor allen ihr Bestand an Salben, Tinkturen, Verbandszeug und Heilkräutern war nach der Versorgung der vielen Amazonenkriegerinnen bedenklich stark zusammengeschrumpft oder sogar aufgebraucht und sie hatten kaum Gelegenheit, diese wichtigen Materialien aufzustocken und herzustellen. Sie und Tilseg hatten gerade darüber gesprochen, wie sie verschiedene Dinge ergänzen könnten, als die Frauen in ihr Lager kamen.

Die Kriegerinnen, zwölf an der Zahl, verlangten lauthals, den Anführer des Lagers zu sprechen. So viel konnte sie von Tilseg erfahren. Aber das anschließende Gespräch, das Karl mit ihnen führte, verlief zu schnell, als dass der Grüne einen wirklichen Sinn aus den Worten herausfiltern konnte.

Während sie beisammen standen und schweigend das Gespräch verfolgten, erklang Donner aus der Ferne. Doch das Geräusch war zu anhaltend und dumpf, als dass der Ton mit einem aufstrebenden Gewitter in Verbindung stehen konnte.

Als sich die Schamanin umblickte, um die Quelle des Schalls zu identifizieren, bemerkte sie, wie Bewegung in die berittene Truppe am anderen Flussufer kam. Pferde und Schweine wurden eilig gesattelt und bestiegen. Wurden sie etwa angegriffen?

Doch außer dem seltsamen Donner, der weiter durch die Luft grollte, konnte die Goblinin nichts Ungewöhnliches in ihrem Sichtfeld ausmachen. Ihre Leute am anderen Ufer schienen jedoch mehr zu wissen als sie, denn die Mehrheit der Berittenen brach nun eilig flussabwärts auf.

Kurzerhand schickte sie einen der herumstehenden Gaffer aus, um über den Fluss zu fahren. Sie wollte wissen, was da los war. Einen Moment überlegte sie noch, dann schickte sie jemand anders zu Hiriko, um auch mehr über das hier stattfindende Gespräch zu erfahren.

Die Dryade verstand die Sprache der Menschen zwar ebenfalls nicht, doch hatte sie ihre Fähigkeiten als Naturgeist verfeinert und war in der Zwischenzeit in der Lage, emotionalen Kontakt zu intelligenten Lebewesen aufzunehmen, ähnlich wie sie es auch mit ihrem Oger praktizierte.

Faqech hoffte, dass dies gemeinsam mit Tilsegs rudimentärem Wortschatz des Westländisch, wie die Menschen hier ihre Sprache nannten, ausreichen würde, um nachzuvollziehen, was die Frauen von ihnen wollten. Aber im Grunde konnte sie es sich schon denken. Sie lagerten hier bereits länger als sie es mit den Clanfrauen vereinbart hatten und das passte den Amazonen des hier herrschenden Clans nicht.

Was sie zurzeit viel mehr beschäftigte, war die Frage, was ihre Berittenen vorhatten und woher der seltsame Donner kam, den sie immer noch hörte. Ihre Intuition sagte ihr, dass eine Menge Ärger mit hoher Geschwindigkeit auf sie und ihre Freunde zusteuerte und sie besser an einem anderen Ort waren, wenn er hier eintraf.

„Ich habe ein ungutes Gefühl“, wandte sie sich nun an Tilseg.

„In der Tat, die Prognosen könnten besser sein. Mit einer Sicherheit von zweiundneunzig Prozent werfen die Amazonen uns einen Vertragsbruch vor. Die daraus resultierende Konsequenz ist zu sechsundfünfzig Prozent, dass sie uns zukünftig die weitere Nutzung ihres Territoriums untersagen, wobei hier noch eine achtundachtzigprozentige Chance besteht, dass sie durch Nachverhandlung einlenken würden. Bedenklich ist, dass sie unser Verharren mit einer vierundzwanzigprozentigen Wahrscheinlichkeit als feindlich einstufen, wenn wir nach ihrer Aufforderung nicht unverzüglich aufbrechen.“

Faqech dachte über die Zahlen nach, die der Grüne ihr gerade um die Ohren gehauen hatte. „Wenn ich dich richtig verstehe, schlägst du einen baldigen Aufbruch vor.“

„Korrekt.“

8. Boris

Die metallene Welle aus gepanzerten Frauen und Pferden donnerte weiter in ihre Richtung. Die von den Hufen der vielen galoppierenden Tiere erzeugten Vibrationen übertrugen sich durch das Erdreich und sein Reitschwein auf ihn.

Nervös erneuerte Koschkin den Griff um seinen Speer und wartete innerlich fiebernd darauf, dass der Norweger seinen tollen Zaubertrick vollführte. Äußerlich bemühte er sich weiterhin, ruhig und gelassen zu wirken.

Dass sich der zweite Frauentrupp weiter auf Abstand hielt und keine Anstalten machte, sie ebenfalls anzugreifen, beruhigte ihn nicht wirklich. Die Kriegerinnen hatten wahrscheinlich nur keine Lust, in den Weg der Metalllawine zu geraten, die da auf sie zugaloppiert kam.

Ashley, aufrecht auf ihrem Säbelfant, mal die eine, dann die andere Frauengruppe ins Auge fassend, knurrte im Einklang mit ihrem Reittier leise vor sich her, während Sven weiter seine Formel murmelte.

Der Zauber schien seinem Astrogator schwer zu beuteln, denn der Körper seines Freundes war schweißnass und zitterte bei jedem Wort, das er sprach, stärker.

„Was meinst du? Wie weit sind sie noch weg?“ Seine Frage war an Ashley gerichtet, doch diese antwortete ihm nicht artikuliert, sondern fluchte nur.

„Sie werden bald da sein“, konkretisierte er.

„Sollen sie doch“, fauchte sie schließlich. „Alleine ihr Anblick macht mich schon wütend. Sie werden bereuen, mich kennengelernt zu haben!“

Koschkin betrachtete seine Kameradin mit einem Seitenblick. Ashleys Wutausbrüche waren schon von jeher legendär, auch wenn sie auf der Erde deutlich seltener aufgetreten waren, als auf dieser Welt. Doch in letzter Zeit hatten ihre Wutanfälle eine andere Qualität angenommen, wenn sie sich in einem Kampf befand.

Die Ruhe von Ashleys Reittier beruhigte wiederum den Russen. Der Säbelfant hatte feine Antennen dafür, wann seine Herrin gefährlich wurde. Sogar für ihn. Wenn das Raubtier das Weite suchte und seine Herrin in Gefahr alleine ließ, war es höchste Zeit, es ihm nachzutun und schleunigst abzuhauen.

„Fertig.“ Das klägliche Flüstern des Norwegers wäre fast im Lärm der heranstürmenden Kriegerinnen untergegangen. Als Koschkin seinen Blick wieder ihm zuwandte, erschrak er für einen Augenblick.

Sven sah aus wie eine lebende Leiche. Der Dolch entglitt seinen kraftlosen Fingern und fiel zu Boden. Die Gestalt des dürren, hochgewachsenen Astrogators klappte regelrecht zusammen, kippte langsam zur Seite und versuchte der ballistischen Flugrichtung der zu Boden gefallenen Waffe zu folgen, doch Boris hinderte ihn daran und hielt ihn im letzten Moment im Sattel.

Koschkin fluchte. Ashley fluchte auch.

„Und was soll das jetzt?“, schnauzte die Blondine.

„Sein Zauber hat ihn ausgelaugt!“

„Das meine ich nicht. Was soll das jetzt mit dem Messer, will ich wissen!“

„Ma-ma-gnetich“, röchelte der erschöpfte Zauberer.

„Wenn das Ding was kann, sollte es damit jetzt bald anfangen“, forderte sie.

Koschkin sprang von seinem Schwein, hinderte Sven erneut daran zu kippen, bückte sich und warf Ashley mit dem Wort „Fang“, die Waffe zu. Dann fing er den erneuten Sturzversuch des Norwegers ab und sah daher nicht, dass Ashleys Miene sich bei seinem Wort versteinerte, sie ihren Hammer schwang und den in einem großen Bogen auf sie zufliegenden Dolch damit in Richtung der heranpreschenden schweren Reiterei katapultierte.

Die Wirkung des ungewöhnlichen Projektils war fatal. Zunächst nur für die einzelne Reiterin, die von der heransausenden Stichwaffe glatt durchschlagen wurde. Auch der dicke Panzer ihrer Rüstung hatte der Wucht, die Ashleys Hammer der kleinen Klinge verliehen hatte, nichts entgegenzusetzen.

Nachdem die Waffe auch die Rückseite der Rüstung seines unglücklichen Ziels durchschlug, trudelte das deformierte Messer noch einen halben Meter weiter, bevor es kehrtmachte und erneut in die unglückselige Leiche einschlug, die sich immer noch auf dem Pferd hielt, doch bereits kippte.

Während die Waffe regelrecht an der Rüstung der zu Boden fallenden Toten klebte, wurde ihr Pferd, wie von Geisterhand, seitlich mit nach unten gezogen, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Jetzt begann der Zauber seine Wirkung erst richtig zu entfalten.

Eine weitere Reiterin, die über ihre gestürzte Kameradin springen wollte, wurde im Sprung plötzlich nach unten gezerrt. Der Schwung des Tieres ließ es sich mitsamt seines Artgenossen und der, auf wundersame Weise mit der Seite des Tieres verbundenen, Leiche überschlagen.

Seine Reiterin wurde aus ihrem Sattel geschleudert und flog in einem steilen Bogen in den Dreck. Doch bevor sie sich vom Sturz erholen und sich aufrichten konnte, wurde sie ebenfalls von etwas Ungeheurem gepackt und schreiend zu ihrem, nun panisch strampelnden, Pferd zurückgezogen.

Anderen Amazonen ging es nicht besser. Zunächst nur denen, die sich in direkter Nähe des rapide wachsenden Metallklumpens aus Leibern befanden, doch griff die unsichtbare Kraft schnell um sich und zog immer mehr der Gepanzerten in ihren Bann.

Die zwei Dutzend Frauen, die dieser Hölle entkommen konnten, dachten nicht mehr an Angriff, sondern flohen in panischer Hast und so schnell sie konnten vom Horror des schreienden, wiehernden und kreischenden Metallberges, in den sich ihre Schwestern und deren Tiere verwandelt hatten.

„Scheiße“, kommentierte Koschkin die Lage. „In dem Ding möchte ich nicht feststecken.“

9. Faqech

Sie hatten schnell gepackt. Die meisten Vorbereitungen waren ja schon abgeschlossen gewesen, als die Amazonen zu ihnen gekommen waren, um sie zum Gehen aufzufordern. So wie Faqech es verstand, interessierte es den Clan der Singenden Hufe nicht im Geringsten, welche Probleme sie mit dem Clan der Vier Flüsse hatten. Die Frauen kümmerten sich nur um ihr Gebiet und ihre eigenen Interessen. Und aus diesem Grund hatten sie ihnen zukünftiges Lagern auf ihrem Territorium untersagt, da sie sich nicht an die Vereinbarung gehalten hatten, morgens in aller Frühe wieder aufzubrechen.

Das fand die Schamanin zwar sehr kleingeistig, doch machte sie sich andere Sorgen. Sie hatte gehofft, in der Zwischenzeit Nachricht von Boris und den Anderen erhalten zu haben, doch waren er und seine beiden Begleiter bisher nicht von ihrem Verhandlungsversuch zurückgekehrt.

Die Nachrichten von der gegenüberliegenden Uferseite, zu der sie und die Anderen nun unterwegs waren, beunruhigten sie ebenfalls. Offensichtlich hatten ihre Leute dort befürchtet, Boris und seine Freunde könnten in Schwierigkeiten stecken, weil sie vermuteten, dass der Donner, den sie hörten, von zahlreichen Hufen verursacht wurde.

Dass dieses Grollen in der letzten Minute stark abebbte und dann verklang, konnte alles Mögliche bedeuten. Der Gedanke, ihr Freund und Kraftspender würde vielleicht nicht mehr leben, bedrückte die Goblinin sehr. Nur die Tatsache, dass sie genug zu tun hatte, nachdem ihr Boot endlich wieder anlegte, verhinderte, eine Vertiefung ihrer dunklen Vorahnungen in ein düsteres Grübeln.

10. Ashley

Ashley war in etwa zu gleichen Teilen wütend, überrascht und angeekelt. Ihre Wut richtete sich gegen die Amazonen, die stur und dumm jegliche Verhandlungen torpediert hatten. Ihre Überraschung war der erschreckenden Wirkung des Zaubers geschuldet, die sie so nicht erwartet hatte. Ihr Ekel hingegen galt dem jammernden Metallberg aus zappelnden Gliedmaßen und zermalmten Leibern.

Wieder war sie am Tod etlicher Menschen beteiligt. Und obwohl die Clanfrauen es provoziert hatten und selbst sicherlich nicht gezögert hätten, den blöden Kater, sie und auch Sven kaltblütig umzubringen, regte sich Traurigkeit und weitere Wut in ihr. Diese Gefühle kanalisierten sich in einem Fluch, den sie regelrecht ausspie, bevor sie zu schreien begann.

„Ihr blöden, gehirnamputierten Kampfweiber! Ist es das, was ihr wollt? Tod, Leid und Verderben?“ Dabei deutete sie mit ihrem Hammer auf den langsam ausblutenden Schrotthaufen, der noch kurze Zeit zuvor eine schlagkräftige Truppe gut bewaffneter und gerüsteter Kriegerinnen war. „Das ist doch völlig sinnlose und blanke Idiotie! Ist euer Leben wirklich so wenig wert, dass ihr es auf diese Weise wegwerfen müsst?“

Wie zur Bestärkung ihrer Worte sackte der Haufen unter Schmerzensschreien ein wenig mehr in sich zusammen, zusammengepresst von seinem eigenen Gewicht und den magnetischen Kräften, die ihn zusammenhielten.

Ashley machte eine Pause, um sich zu sammeln, dann sprach sie mit mehr Ruhe weiter.

„Wir haben euch heute ein weiteres Mal bewiesen, dass der Clan der Astronauten es durchaus versteht, sich und seine Mitglieder zu schützen. Das hier und heute vergossene Blut habt ihr selbst zu verantworten und nicht wir. Und ihr werdet auch entscheiden, ob noch mehr Blut vergossen werden muss. Der Clan der Astronauten hat nichts anderes im Sinn, als euer Territorium zu verlassen. Hindert uns daran und zahlt den Preis wie eure Schwestern hier, oder lasst uns in Frieden passieren, dann werden auch wir Frieden halten. Doch solltet ihr weiterhin den Kampf suchen und uns nach dem Leben trachten, werden wir euch vernichten.“

Während ihres kleinen Appells hatte die Blondine sich soweit beruhigt. Tief atmete sie nun einige Male durch und lauschte. Weder Schmähungen noch Speere flogen über die Mauer, während sie schwieg. Ein Zeichen, dass ihre Worte angekommen waren.

Doch das Anschwellen der Geräuschkulisse in ihrem Rücken kündigte weitere Reiter an. Im ersten Moment dachte Bender, dass sich die kleinere Amazonentruppe nun doch dazu entschlossen hatte, den Angriff, den die schwere Reiterei begonnen hatte, fortzusetzen. Ein Blick über ihre Schulter zeigte ihr aber, dass die Berittenen zu ihren Leuten gehörten und sich die Amazonen, die ihnen bisher den Rückzug verwehrt hatten, nun im vollen Galopp die Flucht ergriffen.

„Die haben offensichtlich keine Lust mehr, zu kämpfen“, brummte ihr Katerchen, der gerade Erikson von seinem Pferd half. Erst der zweite Blick auf die beiden Männer machte ihr deutlich, dass der Russe den Norweger eher herunterwuchtete, als ihm beim Absteigen zu helfen.

„Was ist mit ihm?“, fragte sie barscher, als sie es eigentlich vorgehabt hatte.

„Ich denke, es liegt an seiner Zauberei. Er hat wieder das Bewusstsein verloren.“

Sven war und blieb eben ein Weichei, dachte sie bei sich. Doch hatte der Eierkopf ihr und Koschkin den Arsch mit seinem Zauberspruch gerettet, daran gab es nichts zu rütteln.

„Bring ihn besser zu deiner kleinen Freundin und sag den Anderen, sie sollen nachrücken, aber sie sollen noch nicht die Brücke ansteuern.“

„Und du?“

„Ich werde bleiben und abwarten. Und jetzt hör auf zu quatschen, schnapp dir das Weichei und trab los!“

11. Ronja

Das Klirren eines Schlüsselbundes und das Klacken ihres Türschlosses weckten Ronja auf. Etwas träge richtete sie sich auf ihrem Bett auf. Außer zu essen und zu schlafen hatte sie nicht viel, womit sie sich die Zeit vertreiben konnte. Und Mahlzeiten bekam sie nur zweimal am Tag. Ein flüchtiger Blick aus der ovalen, an der längsten Stelle unterarmlangen Öffnung, die ihr als Fenster diente, erkannte sie, dass es für das Abendessen noch zu früh war. Frühstück konnte es auch nicht sein, denn sie hatte sich danach erst hingelegt und einen ganzen Tag hatte sie bestimmt nicht geschlafen, so wenig ausgelastet wie sie war. Während sie noch dabei war, sich den Schlafsand aus den Augen zu reiben, öffnete sich die Zimmertüre und zwei Amazonen betraten den Raum. Die Kriegerinnen postierten sich rechts und links vom Eingang des Zimmers und fixierten sie mit steinernen Mienen.

„Was wollt ihr?“ Ronjas Frage richtete sich an die ernsten Frauen, doch diese schwiegen. Stattdessen antwortete eine tiefe, der Prinzessin wohlbekannte Stimme für die Wächterinnen.

„Wir wollen Euch dabei helfen, wieder Euer Selbst zu erlangen, Prinzessin. Zu diesem Zweck werden wir eine gemeinsame Reise unternehmen.“

Ihre Mutter hatte tatsächlich die Füchsin geschickt. Die erste Reiterin vom Clan der Wogenden Wipfel hatte diesen Spitznamen nicht nur wegen ihres Haars, das die gleiche Färbung schmückte, wie sie auch das Fell eines Fuchses aufwies, sondern auch durch ihre Fuchsgesichtsmaske, die jedoch nur ihre linke Gesichtshälfte vollständig bedeckte. Welchen Makel diese Maske jedoch verbarg, wusste kaum jemand zu sagen, da die fähige Kriegerin diese schon lange trug, bevor sie zur Ersten Reiterin ihrer Mutter wurde.

„Was mich anbelangt, ist es um mein eigenes Selbst sehr gut bestellt, danke der Nachfrage. Und überhaupt! Wie soll mir eine Reise helfen?“

„Die Reise selbst wird Euch nicht heilen, Prinzessin. Doch die Weisen Frauen im Kloster von Laylay werden Euch sicher helfen können, wenn wir Euch in ihre Obhut übergeben haben.“

„Ich brauche keine Heilung, denn mir geht es ausgesprochen gut. Warum soll ich also in das Kloster von Laylay?“

„Die Königin ist dem Rat der Weisen Frauen gefolgt und wird auch selbst mit uns reisen.“

Nun war Ronja doch überrascht. Sie hätte nicht gedacht, wie wichtig sie für ihre Mutter war, dass sie ihre Genesung persönlich überwachen wollte.

„Wirklich? Mutter wird mich begleiten?“

„Wir werden gemeinsam reisen.“

Ronja wurde warm ums Herz, als sie diese Worte hörte. Doch die Nachfolgenden zermalmten diese Gefühle der Liebe wieder.

„Während Eurer Behandlung im Kloster von Laylay wird in dessen Nähe ein Kurtai abgehalten, an dem die Königin persönlich teilnehmen möchte und zu dem wir weiterreisen, wenn wir Euch in die Obhut der Weisen Frauen von Laylay gegeben haben.“

„Natürlich.“ Wie sollte es anders sein. Einen Moment lang hatte Ronja die Hoffnung gehabt, ihre Mutter würde sich ausnahmsweise einmal wie eine Mutter verhalten und nicht wie eine Königin. Aber eigentlich hätte sie es besser wissen müssen, schließlich kannte sie die Königin zur Genüge.

„Bitte packt, was Ihr für Eure Reise benötigt. Ihr wisst, es ist ein langer Weg bis zum Kloster von Laylay.“

„Natürlich“, entgegnete die Prinzessin monoton, wandte sich ab und begann zu packen. So konnten weder die Erste Reiterin noch ihre Aufpasserinnen sehen, dass die Augen Ronjas sich mit Tränen füllten.

12. Boris

Nachdem Koschkin endlich wieder ins Lager zurückkehrte, war Faqech sehr erleichtert. Am liebsten wäre sie dem Russen genauso um den Hals gefallen, wie Hiriko es tat. Stattdessen hatte sie sich zurückgehalten und zunächst Erikson untersucht.

Boris freundschaftlich zu umarmen hatte sie sich jedoch nicht nehmen lassen, bevor sie Sven auf das Schiff bringen ließ, wo auch der Symbiosepartner der Dryade festgezurrt war. Nach einer kurzen Unterredung mit Boris, Tilseg und Hiriko war sie dem Bewusstlosen gemeinsam mit Hiriko gefolgt und hatte sich um ihn gekümmert, während ihr Schiff und die anderen Boote nach und nach ablegten. Auch die zurückgebliebenen Reiter zogen nun flussabwärts.

„Kannst du mir helfen, Hiriko?“, fragte die Schamanin die aufgeregte Dryade.

„Klar, was soll ich tun?“

„Ich bin mir nicht sicher, was passiert ist, aber unserem Freund Sven geht es nicht gut.“ Ihre Befürchtung, dass der Norweger sogar im Sterben lag, wollte sie gegenüber der Dryade nicht äußern. „Um ihm zu helfen, muss ich ein sehr mächtiges, aber langwieriges Ritual vollziehen, das einige Vorbereitungen in Anspruch nimmt.“

„Okay. Und was soll ich machen?“

„Du kannst mir dabei helfen, ihn zu entkleiden.“

„Das ist jetzt nicht dein Ernst!“ Hiriko machte große Augen.

„Doch. Ich muss verschiedene Zeichen der Macht auf seinen Körper malen. Auf seiner Kleidung hätten sie keine Wirkung.“

Nun grinste die Dryade verschmitzt. „Klar helfe ich dir. Ich hatte zwar gehofft, dass Sven wach ist, wenn ich ihm mal richtig an die Wäsche gehe, aber da wir ihm nur helfen wollen, kann er wohl nicht meckern.“

13. Ashley

Ashley war von ihrem Säbelfant gestiegen und hatte sich breitbeinig aufgebaut und die vielleicht zweihundert Meter entfernte Palisadenmauer mit einem finsteren Blick ins Visier genommen. Nun wartete sie. Worauf sie eigentlich wartete, konnte die Amerikanerin nicht genau sagen. Hätte irgendjemand sie gefragt, was sie denn erwartete, sie hätte nur: ‚Das was kommen wird‘, geantwortet. Während sie so dastand, still und bewegungslos, sammelten sich immer mehr ihrer Leute hinter ihr, das wusste und hörte sie deutlich. Doch das war es nicht, worauf sie wartete.

„Eure mickrige Horde aus Halbmenschen und Eure dämonische Magie schrecken uns nicht!“, schallte da eine Stimme von der Palisade her.

Na endlich, dachte Ashley, den Weibern ist ein Mundwerk gewachsen. Laut aber sagte sie:

„Weder ist die Magie, die zum Untergang eurer Schwestern führte, dämonisch, noch sind das alle meine Leute, die ihr vor euch seht. Und wenn ihr keine Angst verspürt, seid ihr noch dümmer, als ich dachte. Wie ich euch schon sagte, liegt es an euch, wie viel Blut heute noch fließen muss.“

„Das sind große Worte, doch scheinen sie mir leer und hohl. Außerdem schützen uns unsere Palisaden und wir werden alles tun, Euch daran zu hindern, diese zu überwinden.“

Ein Scheppern und Poltern unterbrach die Unterhaltung der Kontrahenten da unerwartet. Durch Magnetismus bisher fest aneinander gehaltene Metallteile verloren den Kontakt und waren plötzlich nur noch der Schwerkraft ausgesetzt. Mit Getöse und weiteren Schmerzensschreien brach das metallene Monster endgültig auseinander und wurde wieder zu seinen Einzelteilen.

„Helft ihnen“, richtete sich Ashley über ihre Schulter an ihrer Leute, in der Gewissheit, dass die wenigen Männer unter ihnen sie verstanden hatten und den anderen schon zeigen würden, was sie wollte.

„Wie ich sehe, geht auch die dämonischste Kraft einmal zu Ende!“, freute sich die Stimme hinter dem Schutzwall.

„Wer sagt dir, dass die Kraft endet und nicht beendet wurde?“, bluffte Ashley spontan. „Diese Frauen sind keine Gefahr mehr für den Clan der Astronauten, das ist alles.“

„Ihr schüchtert uns nicht ein!“, rief die Stimme trotzig zurück. "Unsere Wälle werden halten!“

„Ist das so?“ Die Stimme der Blondine war laut aber kühl. „Wenn ihr so überzeugt von der Stärke eurer Wälle seid, habt ihr bestimmt nichts dagegen, dass ich dies auf die Probe stelle.“

„Bringt mir eine Waffe der Besiegten“, rief sie nun zu ihren Leuten.

Schon kurz Zeit später eilte einer der ehemaligen Dorfbewohner herbei und überreichte ihr in tiefer Verbeugung einen Säbel. Unsicheres Gelächter erklang jenseits der Holzbarrikade, als sie die Waffe wog und dann entschlossen in die Luft warf. Doch als sie den Hammer wie einen überdimensionierten Tennisschläger einsetzte und die Klingenwaffe so wie zuvor das Messer beschleunigte und in Richtung der Palisaden schickte, verstummte das Lachen augenblicklich. Mit einem brachialen Krachen schlug die Waffe in das massive Holz und fraß sich tief in den Schutzwall hinein. Sonst geschah zunächst nichts. Ashley stieß einen leisen Fluch aus. Irgendwie hatte sie mit einem stärkeren Effekt gerechnet. Doch gerade, als sie einen weiteren Säbel oder etwas in der Richtung fordern wollte, knackte es verdächtig und einer der beiden betroffenen Baumstämme löste sich aus seiner Reihe und krachte machtvoll zu Boden und ließ die Blondine grinsen.

„Natürlich, ihr habt da einen mächtigen Wall, der euch beschützt“, lobte sie. „Jedenfalls, solange ich ihn nicht mit Säbeln bombardiere.“

14. Faqech

„Schau mal, da vorne!“, vernahm die Schamanin Hirikos Stimme. Neugierig, was die Dryade entdeckt hatte, unterbrach Faqech ihre Arbeit und blickte auf. Voraus, noch einige Kilometer entfernt, erkannte sie eine Ansiedlung der Menschen. Etliche Rauchfahnen stiegen aus der Siedlung auf, die für einfache Feuerstellen viel zu üppig waren.

„Was ist da vorne los?“

„Das frage ich mich auch. Irgendwas geht da vor sich. Vor ein paar Minuten waren diese Rauchfahnen noch nicht da.“

„Greifen wir die Stadt an?“

„Ich weiß nicht. Siehst du, da vorne, ich glaube das sind unsere Leute und sie sind noch außerhalb der Stadt.“

„Wer greift denn sonst an?“

Hiriko zuckte auf die Frage der Schamanin nur mit den Schultern. Faqech bediente sich ebenfalls dieser Geste und wandte sich wieder ihrem nackten Patienten zu.

„Wir werden es früh genug erfahren. Ich habe zu tun.“

Damit begann sie weiter, feine Zeichen auf Svens Haut aufzumalen, die schon einen Teil seines Oberkörpers und den kompletten rechten Arm bedeckten.

„Das ist sehr hübsch“, lobte Hiriko.

„Danke, aber darauf kommt es nicht an. Es steckt große Macht in den Zeichen und sie werden mir helfen, Sven zu retten.“

„Stimmt, er ist sehr schwach. Was hat er wohl angestellt? Er ist nicht verletzt und wirkt, als schlafe er nur. Aber seine Lebenskraft ist kaum zu spüren.“

Wieder unterbrach Faqech ihre Arbeit. „Machst du dir keine Sorgen um ihn, obwohl du spürst, wie nahe am Tode er ist?“

„Nein. Er ist zwar sehr schwach, aber sicher. Und du hilfst ihm. Also brauche ich mir keine Sorgen machen. Aber in der Stadt vor uns sterben gerade Menschen, das bedrückt mich ein wenig.“

„Wie weit kannst du eigentlich Lebenskraft spüren?“, wollte Faqech wissen, während sie weiterarbeitete.

„Das ist unterschiedlich. Ich habe festgestellt, dass es da auf mehrere Dinge ankommt. Zunächst einmal kommt es darauf an, wie weit ich von meiner Pflanze entfernt bin. Je näher desto besser.“ Die Dryade grinste. „Dann, wie gut ich gelaunt bin. Bin ich fröhlich, fällt es mir leichter, Leben zu spüren, als wenn ich traurig bin.“

„Das ist interessant.“

„Findest du? Danke, das ist cool. Außer Tilseg interessiert sich eigentlich niemand dafür und ich denke meistens nicht viel darüber nach.“

„Beeinflusst sonst noch etwas deine Fähigkeit außer deinem Symbiosepartner und deiner Stimmung?“

„Ja, tatsächlich, ich habe den Eindruck, dass die Tageszeit oder das Licht selbst auch einen Einfluss auf mich haben. Tagsüber fällt es mir leichter, Leben zu spüren als in der Nacht. In der Nacht wiederum ist es einfacher, umso mehr Mondlicht auf mich fällt. Aber ich kann mir das auch einbilden, weil ich es schöner finde, wenn es hell ist und ich dann einfach besser drauf bin.“

„Also, ich finde das wirklich interessant. Wir müssen uns unbedingt einmal intensiver darüber unterhalten, denn ich würde gern mehr darüber hören. Aber ich merke, dass unser Gespräch mich zu sehr ablenkt und würde das ganze gerne auf später verschieben, wenn du nichts dagegen hast.“

„Nö, kein Problem. Ich finde es auch interessant, dir beim Malen zuzugucken. Gerade bei der Leinwand.“ Sie grinste.

15. Boris

Als Koschkin wieder bei Ashley eintraf, dieses Mal in Begleitung von Tilseg und den restlichen Reitern ihrer Gruppe, war der Kampf hinter den Palisaden bereits wieder abgeklungen. Nur noch hier und da schienen kleine Gefechte und einzelne Duelle stattzufinden, wenn der Russe seinen Ohren richtig trauen konnte.

„Was zum …“, ein derber Fluch unterteilte den Satz, „ist hier eigentlich los? Zerfleischen die Amazonen sich nun gegenseitig?“

„Ich glaube, dass es in dieser Stadt auch viele Männer gibt, die sich gerade emanzipieren“, entgegnete Ashley gelassen. „Ich hab aus Langeweile deine Rede frei wiedergegeben, die du vor ein paar Tagen gehalten hast. Die hat echt eine einschlagende Wirkung.“

„Was?“

„Aber jetzt habe ich genug gewartet. Ich denke, es wird Zeit, anzuklopfen.“ Damit ließ sie ihn einfach stehen und schlenderte gelassen zur Palisade. Erst jetzt bemerkte Koschkin, dass einige der Stämme herausgebrochen waren und schmale Lücken in der Wehrmauer hinterlassen hatten.

„Was ist hier passiert?“

Als Boris sich jedoch hilfesuchend nach Tilseg umblickte, stellte er fest, dass der Grünhäutige bereits zu den verletzten Amazonen geeilt war, die Svens Magneten überlebt hatten.

„Ashley, warte doch mal. Was ist hier passiert?“

Anstatt zu antworten holte die Amerikanerin entschlossen mit ihrem riesigen Hammer aus und begann, seitlich weitere Baumstämme aus einer Lücke zu treiben. Nach kurzer Zeit hatte sie ihren ganz persönlichen Eingang geschaffen und durchschritt die erste gefallene Barrikade. Ihr Säbelfant folgte ihr beflissen. Koschkin fluchte und schloss sich der Blondine dann ebenfalls an.

Als der Russe die Bresche erreichte, erkannte er, dass dieser Bereich der Stadt nur ein breites Stück Land war, das zwei palisadenbewehrte Wälle einzäunten. Am Rand des Geländes waren überall Kistenstapel und Körbe abgestellt. Ein paar getötete Amazonen lagen verstreut umher, doch sonst hatten die internen Kämpfe in der Stadt hier wenig Schaden angerichtet. Die Brände, die Koschkin durch die Rauchfahnen und den Geruch identifizieren konnte, befanden sich hinter dem zweiten Hindernis.

Die zweite, parallel laufende Palisade wies ein Tor fast genau gegenüber der Lücke auf, die Ashley geschlagen hatte. Die Flügel des Durchgangs waren geöffnet und eine Gruppe von etwa zwanzig Männern und vier Frauen, wie Koschkin verwundert feststellte, sprachen gerade mit Ashley. Ein halbes Dutzend weiterer Frauen kniete am Boden und wurde von ebenso vielen Männern bewacht. Während er dastand und die Situation in sich aufnahm, erreichten einige ihrer Reiter ebenfalls die frische Passage und drängten an Boris vorbei. Dieser sah dies als Zeichen und setzte sein Schwein ebenfalls wieder in Bewegung. Wie er es hasste, wenn die Amerikanerin ihre Alleingänge probte. Fluchend beeilte er sich, zu ihr aufzuschließen.

„Ach Katerchen, gut, dass du kommst.“

Koschkin war verwundert. Mit diesem Satz hatte er wirklich nicht gerechnet.

„Reite zum Ufer und sag den Leuten auf den Booten, sie können die Brücke ansteuern, sobald sie mich darauf stehen sehen. Bis dahin holst du so viele Helfer wie möglich hierher, die diesen ganzen Kram hier mal durchschauen. Vermutlich können wir von dem Zeug was gut gebrauchen.“

„Was?“

„Sei ein liebes Katerchen, halt die Klappe und geh. Ich habe eine Stadt zu befrieden!“

Zwischenspiel

Ina vom Clan der Singenden Hufe und ihre Schwertschwestern beobachteten aufmerksam das Treiben auf der anderen Flussseite. Sie sahen zu, wie sich die drei Gestalten der Stadt näherten, wie ihnen dann ihr Rückweg abgeschnitten wurde und die gepanzerten Kriegerinnen schließlich ihren Angriff starteten.

Fassungslos nahmen sie das brachiale und unerwartete Ende der Attacke zur Kenntnis und beobachteten dann, wie die Verstärkung des Clans der Astronauten eintraf. Dass sich der zweite Trupp der Vier Flüsse zurückzog, sobald sich das Kräfteverhältnis der Berittenen auf dem Feld ausglich, belustigte das Dreiergespann eine Weile.

Als dann die Unruhen innerhalb der Ortschaft ausbrachen, die sich schnell bis zu den Wehranlagen ausdehnten, verschwand die ausgelassene Stimmung jedoch schnell wieder. Dass Männer einen Aufstand probten, war eine ernste Sache.

Den anschließenden Einmarsch der Astronauten und ihre Plünderung der Siedlung, die zum Clan der Vier Flüsse gehörte, verfolgten sie besonders aufmerksam, schliefen in Schichten und beobachteten rund um die Uhr. Als der Clan der Astronauten schließlich nach zwei Tagen abzog, wandte sich Ina an ihre Schwestern.

„Die Königin und ihre Erste Reiterin müssen davon erfahren. Helena, du reitest auf direktem Weg zur Burg. Berichte der Königin alles, was wir gesehen haben.“

„Gut“, bestätigte die Frau rechts neben ihr knapp. Dann wandte sie sich an ihre Schwertschwester, die mit einer Locke ihres kastanienbraunen Haars spielte.

„Reite du nach Feyfey, Antonia, und berichte alles der Ersten Reiterin. Es könnte ihr beim Kurtai eine große Hilfe sein, zu wissen, was geschehen ist. Ich selbst werde die Lage hier noch etwas im Auge behalten, bevor ich heute Abend zum nächsten Feuerturm aufbreche. Anschließend werde ich mich flussabwärts begeben, um die Astronauten weiter im Auge zu behalten.“

„Dann werden wir uns aber lange nicht mehr sehen“, maulte Antonia zwar, nickte aber trotzdem tapfer. „Könnt ihr mir erklären, warum der Clan der Astronauten so weit gefächert reist?“

„Wieso?“ wollte Helena wissen.

„Na schaut doch. Wieder ein Boot. Normalerweise fahren die Dorfbewohner nicht so weit den Fluss hinab. Sie müssen also zu den Astronauten gehören. Ihr habt doch auch gesehen, dass die letzten Tage, in denen sie da drüben lagerten, eine ganze Reihe Nachzügler zu ihnen aufgeschlossen haben, oder?“

„Das kann ich mir auch nicht ganz erklären. Aber bei so vielen Männern wundert mich gar nichts.“

„Stimmt“, pflichtete Helena bei.

„Was glaubt ihr? Warum haben sie ihre Gefangenen hier gelassen, aber die Verletzten der Vier Flüsse mitgenommen? Das ist doch komisch.“

„Das finde ich auch. Als Pfand würden die Unverletzten viel mehr taugen“, bestätigte auch Ina. „Einmal ganz davon abgesehen, dass sie sich überhaupt die Mühe gemacht haben, ihren Feinden zu helfen. Auf lange Sicht schwächen sie sich dadurch nur selbst.“

„Stimmt“, sagte Helena.

„Aber vielleicht finde ich ja heraus, was sie damit bezwecken, wenn ich ihnen folge. Ich erzähle es euch, wenn wir uns wieder sehen.“

„Musst du wirklich weiter flussabwärts?“ In Antonias hübschem Gesicht standen Tränen.

„Kommt mir nach, wenn ihr könnt und eure Pflichten es zulassen. Ich werde euch vermissen“, entgegnete Ina sanft und strich sich ihrerseits eine schwarze Strähne aus dem Gesicht, leicht verlegen und gerührt über die Anhänglichkeit ihrer jungen Schwertschwester.

Schließlich verabschiedeten sich die drei doch und zwei gingen ihrer Wege. Die eine zögerlich, sich immer wieder umschauend, und die andere ohne einen einzigen Blick nach hinten.

Ina blieb allein zurück und beobachtete weiter.

Zunächst, wie die zurückgelassen Amazonen aus den Häusern ausbrachen, in die die Astronauten sie eingesperrt hatten. Dann die grollende Staubwolke, die sich der Stadt näherte.

Dabei kam sie nicht umhin, das Timing der Astronauten zu bewundern. Nicht einmal eine Stunde nach Abzug des Clans war die Armee der Vier Flüsse am Horizont erschienen.

„Erstaunlich. Die Astronauten haben wirklich großes Glück!“

Oder wussten sie etwa, dass die Armee im Anmarsch war? Aber woher sollten sie das wissen?

Sie beschloss, dass sie hier nichts Interessantes mehr erfahren würde und machte sich zum Feuerturm auf, um die Signale abzusetzen. Danach würde sie die Verfolgung aufnehmen.

Wenn sie erst einmal den Clan der Astronauten wieder einholte, würde sie vielleicht das ein oder andere Rätsel lösen können, das sie im Moment beschäftigte.

16. Boris

Kommandant Boris Koschkin ritt auf seinem Schwein und betrachtete den Flussverlauf, dem er folgte und über den ihre Armada aus Ruderbooten fuhr. Auf der gegenüberliegenden Uferseite herrschte immer noch der Clan der Singenden Hufe. Soweit er wusste, erstreckte sich deren Gebiet noch bis zu dem Punkt, wo der Fluss ins Meer mündete. Ihre langgezogene Folge von Einbäumen war tagsüber völlig unüberschaubar. Fuhren die Boote zu dicht beieinander, behinderten sie sich nur gegenseitig. Das war eines der Dinge, die zu einem Problem werden konnten, sollten die Amazonen der Singenden Hufe ihre Meinung gänzlich ändern und sie als Feinde betrachten.

Ihre Verzögerung an der Brücke zwischen dem Land der Singenden Hufe und der Vier Flüsse hatte dazu geführt, dass die Frauen ihnen die Duldung auf ihrem Land fortan verwehrt hatten. Das und die kleine Stadt der Vier Flüsse lag nun schon zwei Tagesreisen zurück und der Clan, dem das Land, über das sie reisten, nun gehörte, hatte sich noch nicht blicken lassen.

Und soweit Boris das beurteilen konnte, wurden sie auch nicht von dem Clan der Vier Flüsse weiterverfolgt, doch wenn die Herrscherinnen dieses Landes sie auch nicht durchreisen lassen wollten, wurde es schwierig. Nicht nur, weil ihre Schiffe und Boote zurzeit hoffnungslos überladen waren und auch dann nicht alle Berittenen aufnehmen konnten, selbst wenn alles andere von Bord geworfen wurde. Sie benötigten schließlich auch einen Ort, wo sie bleiben konnten, bis sie endgültig in See stachen.

Und auch da stellte sich noch die Frage, wie sie an seetaugliche Schiffe kamen. Für die ganze Meute, die sie nun mal waren. Ihre Ruderboote würden auf offener See jedenfalls nicht ausreichend sein.

Das war auch so eine Sache, die den Russen schwer beschäftigte. Entweder verlor er langsam sein Augenmaß oder sie waren nach ihrem Aufenthalt in der Stadt deutlich mehr als vorher.

Gut, das waren sie sowieso, da sich in der Stadt dreihundert Männer und mehr dem Clan der Astronauten angeschlossen hatten. Überwiegend junge Kerle, deren Aufgabe darin bestand, die zahlreichen Waren zu transportieren, die im Laufe eines Monats durch diese Stadt flossen. Ein kleinerer Teil von ihnen hatte auch in den erstaunlich zahlreichen Schmieden der Stadt gearbeitet oder war den Kriegerinnen dort auf andere Art dienstbar.

Für den enormen Zulauf war Koschkin indirekt selbst verantwortlich, da Ashley sich hervorragend auf seine Rede berufen konnte, die er vor kurzer Zeit noch vor ihrer Gruppe gehalten hatte, um zu definieren, was sie darstellten und wohin sie wollten. In dieser Ansprache hatte er selbst gesagt:

„Jeder, der den Wunsch verspürt und bereit ist, unsere Gemeinschaft zu akzeptieren, sei uns willkommen!“

Das hatte Ashley sogar zitiert.

Aber unter der meuternden Stadtbevölkerung waren tatsächlich auch Amazonen gewesen. Das irritierte ihn. Von knapp sechzig Angehörigen der Vier Flüsse wusste er, die übergelaufen waren und sich ihrem Clan angeschlossen hatten.

Nach allen Erfahrungen, die sie bisher mit den kriegerischen Frauen sammelten, hatte Koschkin es zunächst kaum glauben können. Anscheinend waren diese Abtrünnigen überwiegend nicht einfach nur Kriegerinnen, sondern auch Handwerker, die dauerhaft in der kleinen Stadt lebten und verbotene Liebschaften zu den dort arbeitenden Männern pflegten. Dieser Umstand war wohl auch die Hauptmotivation, ihren Geburtsclan zu verlassen und den Astronauten zu folgen.

Auch gut. Solange sie keinen Ärger machten, galt diese Alle-Sind-Willkommen-Regel auch für sie. Trotzdem hatte sich ihre Zahl damit gut und gerne verdoppelt.

Für ihre Reiterei galt das auf jeden Fall, vielleicht hatten sich ihre Berittenen auch verdreifacht. Es war wirklich schwer, den Clan der Astronauten im Auge zu behalten. Sie hatten auf jeden Fall sehr viele Pferde erbeutet. Anscheinend gehörte es zum guten Ton einer Amazonenkriegerin wenigstens ein eigenes Pferd zu besitzen. Die halbe Stadt war ein Pferdestall gewesen, hatte sich herausgestellt. Koschkin schüttelte den Kopf und fluchte leise.

Mit so vielen Leuten in See zu stechen, würde kein Kinderspiel werden. Und wenigstens die Amazonen hätten bestimmt etwas dagegen, wenn man ihre Pferdchen in Form von Proviant an Bord nehmen würde.

Und schließlich waren da noch die beiden Frauen, die in der Stadt eine Art Kräuterladen mit Krankenstation führten. Sie leisteten keine Gegenwehr. Auch dann nicht, als Tilseg und Faqech veranlassten, fast den kompletten Laden auszuräumen und auf die Boote zu verfrachten. Doch als sie mitbekamen, wie die Astronauten auch die Verwundeten an Bord brachten, bestanden sie darauf, mitzureisen.

Ähnlich wie die vier Frauen der Wogenden Wipfel, die Ronja immer noch begleiteten, erklärten sie sich jedoch nicht bereit, sich dem Clan der Astronauten anzuschließen.

Stattdessen war ihr Ziel ihrer eigenen Aussage nach, das Wohl ihrer Clanschwestern im Auge behalten zu wollen. Ob diese beiden weitere, versteckte Motive hatten, konnte der Russe nicht sagen, doch bemerkte er ein gewisses Unwohlsein der desertierten Amazonen. Andererseits reagierten die Frauen auf ihre Cousinen von den Wogenden Wipfel genauso, nachdem diese erklärt hatten, nur bei den Astronauten zu sein, um ihren Heiligen Hammer im Auge behalten zu können, den Ashley nun führte.

Dies alles war ihm bekannt und erklärte auch sein Gefühl, doch schien ihm trotzdem, als würde ihre Gruppe immer noch täglich ein bisschen weiter wachsen. Einbildung, redete er sich ein. Reine Einbildung.

Zwischenspiel

In den weiten Wogen der Messergrassteppe lag die Stadt Garrk. Der Orkstamm der Garr-Kah-Rag, der sich hier niedergelassen hatte, war durch das Leid anderer zu Wohlstand und Macht gekommen. Sie waren erfolgreiche Sklavenjäger, einflussreiche Sklavenhalter und die Herren eines großen Gebietes.

Obwohl der Garr-kah-rag-Stamm schon einige Generationen an diesem Ort siedelte, wurde das Stadtbild immer noch von Zelten dominiert. Die wenigen Holzbauten, die man dort fand - neben den Palisadenmauern, die das Zentrum umgaben -, dienten entweder der Angeberei oder dem Sklavenhandel.

Der hochgewachsene, in die Jahre gekommene Ork hatte sich durch ein Labyrinth aus Gässchen in einem flatternden Meer von Zeltplanen endlich in einen Bezirk vorgearbeitet, wo er fand, was er brauchte. Das sagten ihm die zahlreichen hölzernen Verschläge und etliche Ogerpferche, die sich hier befanden.

Willfährige sollten es am besten sein, hatte der Geist des Magiers gesagt. Die Umwandlung ihrer Lebenskraft in für ihn nutzbares Mana wäre umso ergiebiger, je bereitwilliger das Opfer erbracht werden würde. So etwas ließe sich hier bestimmt finden.

Der Schamane war sich nicht sicher, ob er dem bösen Geist trauen konnte, doch deutete alles darauf hin, als habe sich Magister Ingbold, - wie der Geist sich selbst nannte - seine Knechtschaft akzeptiert und schien ihm nun hilfsbereit zu dienen.

Trotzdem musste er aufpassen. Geister wie dieser Zauberer waren nicht so einfach zu beherrschen und trieben meist ein doppeltes Spiel. Doch war auch nicht von der Hand zu weisen, dass Magister Ingbold ihm bereits einiges Wissenswertes erzählt hatte.

So wusste er nun, dass seine Gegenspieler eine Gruppe von fünf Menschen waren, die von einer ganzen Horde befreiter Sklaven begleitet wurden. Außerdem waren die Fremden nach etwas auf der Suche, wonach hatte der Geist aber nicht weiter erklären können.

Durch den Geist wusste er auch, wie er seine Wächter stärker machen konnte und auch, wie sie trotz der großen Entfernung, die in der Zwischenzeit zwischen ihm und seinen Gegnern lag, ihre Ziele aufspüren konnten. Deshalb war er nun hier.

Dieser Schritt würde eine Grenze überschreiten. Das war ihm klar. Doch war er einfach nicht bereit, das mächtige Totem verloren zu geben, was man ihm geraubt hatte. Doch Blutmagie war eine ernste Sache und es widersprach den schamanischen Regeln.

Andererseits hatte der Geist ihm eines klargemacht. Ein guter Teil seines Wissens war gar kein Schamanismus, wie er bisher immer dachte, sondern gehörte zur gleichen Zauberei, die Magister Ingbold selbst praktiziert hatte.

Nachdem er auch mehr darüber nachdachte, war es eigentlich logisch, denn der Lehrer seines Lehrers selbst war einmal Schüler des Magisters gewesen.

Der stammlose Schamane traf seine Entscheidung und betrat das nächstgelegene Verkaufszelt. Er würde die Lehre des Geistes auf die Probe stellen, nachdem er genügend Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatte. Sagte der Geist die Wahrheit, würde er weitere Wächter nach seinen Gegnern aussenden.

Der magische Schädel sollte wieder ihm gehören.

17. Ashley

Seit sie das Clangebiet der Vier Flüsse hinter sich ließen, hatte Ashley sich wieder etwas von der Gesamtkolonne abgesetzt. Die meiste Zeit bildeten sie und ihr Säbelfant die Vorhut. Die Ruhe, die sie so umgab, tat ihr gut.

Vor vier Tagen hatten sie nun schon das Territorium der Vier Flüsse verlassen und außer einigen Spähern auf der anderen Flussseite hatte sie noch keinen einzigen Menschen getroffen, der nicht zu ihrer Gruppe gehörte. Und das, obwohl sie bereits zwei Siedlungen passiert hatten.

Die verlassenen Orte schienen beide bis vor kurzem noch bewohnt worden zu sein. Auf jeden Fall machten sie nicht den Eindruck von Ruinen. Und doch war niemand da.

Auch in dem Dorf, das sie heute erreicht hatte, war es nicht anders gewesen. Was war hier los? Wurden die Bewohner evakuiert? Entführt? Oder waren sie einfach weggelaufen? Das Ganze machte keinen Sinn.

Es war schon dunkel, als sie ins Lager zurückkehrte und ihr Säbelfant war müde. Trotzdem suchte sie wieder Hiriko auf wie jeden Tag, seit sie das Waldgebiet verlassen hatten.

Sie fand die Dryade am Flussufer in der Nähe der Boote. Entspannt lag sie im Gras, den Blick versonnen nach oben gerichtet und lächelte leise vor sich her.

„Kommt sie zurück?“

„Oh, hi, Ashley.“

„Ja, klar, hallo und so. Kommt sie zurück?“

„Wer?“

„Wer wohl. Mensch, Hiriko, was soll das? Ich frag dich jeden Abend danach, seit sie weg ist!“

„Ach so. Entschuldigung.“ Hiriko schloss ihre Augen einen Moment. „Nein, dein anderer Säbelfant ist immer noch nicht wieder da. Ich kann nichts spüren.“

Die Blondine fluchte.

„Und Sven?“

„Faqech sagt, er wird noch eine Weile schlafen, wie lang, kann sie auch nicht sagen. Aber seine Lebenskraft wird stärker, also wird alles gut.“

„Schön für ihn. Warum dauert das so lange?“

„Ist wohl normal so. Wenn du mich fragst, ist der ganze Zauberkram ein ziemlich gefährliches Geschäft. Aber Sven wird sich erholen.“

„Ja schön, aber das meine ich nicht. Warum ist mein Säbelfant so lange weg?“

„Das weiß ich nicht. Ich hab ihr so gut es ging vermittelt, was du von ihr wolltest. Und ich glaube, sie hat verstanden. Sie wird ihre Gründe haben.“

Wieder ein Fluch.

„Ach komm schon, Ashley. Mach dir keine Sorgen. Sie wird schon wiederkommen.“

„Was hast du ihr nochmal vermittelt?“

„Na, das was du gesagt hast. Dass du dein Rudel vermisst und dass es dir leid tut, dass du böse gewesen bist. Und dass du das Rudel wieder sammeln willst und sie die Anderen suchen soll. Natürlich nicht in Worten. Ich habe versucht, Emotionen zu übermitteln. Aber das weißt du doch alles.“

„Ja, ich weiß. Aber ich wollte es nochmal wissen.“ Einen Moment lang stand die Blondine einfach so da. Dann sagte sie: ‚Danke, Hiriko‘, und ging.

18. Boris

Kommandant Boris Koschkin fluchte über sich selbst. Er war ein Idiot. Denn nur ein Idiot konnte beim nächtlichen Kackengehen so dämlich sein, seinen Fuß dermaßen zu verdrehen, dass er nicht mehr reiten konnte.

Nun saß er in einem Einbaum, eingepfercht zwischen einigen Kisten in seinem Rücken und einen gebündelten Stapel Felle vor sich. Die Warenstapel erstreckten sich über die gesamte Länge des Bootes und sparten gerade genug Platz aus, der für ihn und die vier Männer, die mit ihm ruderten, reichte. Aber wenigstens mitrudern konnte er noch, versuchte er sich selbst aufzumuntern.

Nun ja, eigentlich musste man sagen, dass er es zwar tat, aber eigentlich gerade erst lernte. Bevor sie auf diesen Planeten strandeten und diesen Fluss befuhren, hatte er noch nie wirklich gerudert. Anfänglich hatte er sich ziemlich ins Zeug gelegt, bis ihm die Männer mit viel Mühe klar machten, dass es darauf alleine nicht ankam. Im Laufe der Stunden, die er jetzt schon pullte, hatte er begriffen, sich dem Rhythmus der Anderen anzupassen. Das gelang ihm in der Zwischenzeit recht gut. Er glaubte auch, langsam zu verstehen, wann man auf der einen und wann auf der anderen Seite paddeln sollte. Und das besänftigte seinen Groll gegen sich selbst ein wenig.

Sein Boot befand sich fast an der Spitze ihrer Flotte, an vierter Stelle, wenn Koschkin das richtig überblickte. Aber genau konnte er das nicht sagen, da er durch die Felle vor sich nicht viel sehen konnte. Aber er hörte, dass die vorderen anfingen, ihnen oder auch den anderen etwas zuzubrüllen. Als Reaktion begannen seine Bootskameraden Ruderabläufe durchzuführen, die ihm noch nicht vertraut waren. Versuchten sie, rückwärts zu fahren oder sich zu drehen? Wieder einmal fluchte Koschkin. Dieses Mal, weil er nicht verstand, was sich die Männer gegenseitig zuriefen und warum sie plötzlich hektisch wirkten. Dafür bemerkte er allerdings, dass sich ihr Boot langsam drehte.

19. Ronja

Ihr Herzschlag hämmerte in ihren Ohren und ihr stoßweise gehender Atem stach ihr jedes Mal in ihre Körperseite, während sie rannte. Dabei musste sie immer wieder Hindernissen ausweichen, sich unter tiefen Bäumen hindurch ducken und umgestürzte Baumstämme oder niedriges Buschwerk überspringen.

Ihre vier Verfolger waren dicht auf ihren Fersen. Die Berittenen hatten fast alle Vorteile auf ihrer Seite, daher versuchte Ronja sie in für Pferde unwegsamem Gelände abzuschütteln.

Bisher hatte ihr Plan nur mäßig funktioniert. Zwar war es ihr tatsächlich gelungen, die Frauen gelegentlich abzuhängen, doch hatten sie nicht lange gebraucht, die Prinzessin wiederzufinden.

Ronja fluchte.

Wenn das so weiter ging, würde ihre Flucht bald enden. Sie hatte zu spät bemerkt, dass ihre Verfolger sie hetzten wie eine Jagdbeute. Zu Fuß hatte sie einfach keine Chance. Sie musste anhalten, verschnaufen und brauchte einen neuen Plan.

Trotzdem rannte sie verbissen weiter.

Plötzlich rammte sie etwas von der Seite. Sie war so sehr damit beschäftigt gewesen, weiterzulaufen und ihre Wahrnehmung durch Schmerz, Erschöpfung und auch Angst getrübt, dass sie die Amazone gar nicht bemerkt hatte, die da von der Seite auf sie zugeritten kam und deren Pferd sie streifte.

Taumelnd verlor sie das Gleichgewicht und stürzte. Ihre eigene Geschwindigkeit und der Aufprall mit dem Tier ließen sie sich noch zweimal regelrecht überschlagen, bis sie endlich auf dem bemoosten Waldboden rutschend zum Liegen kam.

„Gebt auf, Prinzessin, Ihr könnt uns nicht entkommen.“

„Ich gebe nicht auf!“, stieß Ronja schnaufend zwischen den Zähnen hervor.

„Aber wieso? Ihr seid erschöpft und ausgelaugt. Eine Flucht macht keinen Sinn. Und wir wollen Euch nur helfen!“

„Wenn du mir wirklich helfen willst, lass mich gehen“, antwortete die Amazonenprinzessin trotzig, immer noch um Atem ringend.

„Ihr wisst, dass ich das nicht tun kann. Die Königin hat uns befohlen, Euch zu ihr zurück zu bringen.“

„Meine Mutter interessiert sich nicht für mich!“

„Was redet Ihr da? Sie hat uns schließlich ausgeschickt, Euch zu finden.“

„Natürlich.“ Mit Mühe verkniff sich Ronja einen Fluch. „Es zeugt von wahrer Mutterliebe, ihre Tochter wie ein Tier hetzen zu lassen.“

„Ihr habt uns keine Wahl gelassen“, antwortete die Berittene ernst. Gleichzeitig erreichte eine zweite Amazone die beiden Frauen.

„Na endlich“, freute diese sich beim Anblick der Gestürzten. Zu ihr gewandt fuhr sie fort. „Meine Hochachtung, Prinzessin. Ihr habt eine beeindruckende Ausdauer bewiesen. Aber jetzt ist der Spaß vorbei. Erhebt Euch und lasst uns zurückkehren. Wir halten die Reisegesellschaft auf!“

In diesem Moment wurde die Aufmerksamkeit Ronjas jedoch von einem unterschwelligen Geräusch in Anspruch genommen. Ein tiefes, grollendes, mehrkehliges Knurren war zu vernehmen, durchsetzt mit aufgeregtem Schnaufen und gelegentlichem leisen Trompeten.

Ronja erkannte diese Laute sofort, verknüpfte sie kaum ein anderes Geräusch stärker mit der blonden Astronautin, zu der sie fliehen wollte.

„Säbelfanten“, murmelte sie. „Ist Ashley wirklich gekommen, um mich zu holen?“

Ihr sich langsam beruhigendes Herz beschleunigte wieder, als tatsächlich ein Säbelfant durch das Grün des Waldes auszumachen war. Dann noch ein zweiter und noch ein dritter.

Nun hatten auch die Reiterinnen die Raubtiere bemerkt, die sie zu umringen begannen. Doch die drei Tiere waren nicht alleine. Ganze neun dieser Fleischfresser zeigten sich nun den Frauen. Angeführt wurde das Rudel von einem Säbelfanten, der es von seiner Größe her fast mit dem Reittier Ashleys aufnehmen konnte.

Nun fluchte Ronja doch. Diese Tiere gehörten nicht zur Herrin der Säbelfanten. Und das bedeutete, sie war so gut wie tot!

So würde es also enden, dachte sie. Von ihren eigenen Schwestern bis zur Erschöpfung gehetzt und dann von Säbelfanten zerfetzt. Und nicht einmal eine Waffe hatte sie, um sich zur Wehr zu setzen.

Als die Tiere dann zum Angriff übergingen, sah Ronja keine andere Möglichkeit, als sich zusammenzurollen und auf den ersten Schmerz zu warten.

Für eine Gegenwehr war sie viel zu erschöpft.

20. Boris

Koschkin fluchte und pullte als würde sein Leben davon abhängen. Auch wenn seine Kraftausdrücke nicht viel nützten, hatte er mit dem, was das Paddeln betraf, durchaus recht. Das Boot, in dem er sich befand, war in einer starken Strömung gefangen, die es in halbschräger Lage mit sich riss. Um sich genauer umzusehen, fehlte ihm die Zeit, doch meinte er, dass es den Booten vor ihnen nicht besser erging als ihnen. Die Nachfolgenden schienen die Warnungen der Männer noch früh genug gehört zu haben, um die Uferböschung anzusteuern. So waren sie dem Sog gerade noch entgangen, der ihn und die anderen gerade mit sich riss.

Als Boris aus dem Augenwinkel das vorderste Boot plötzlich abkippen sah, verharrte er vor Schreck einen Moment lang in seiner Bewegung. Ein dröhnendes Rauschen schälte sich langsam aus Brandungsgeräuschen, die er schon weiter flussaufwärts gehört hatte. Doch das, was er bisher als gutes Zeichen betrachtete, sich dem Meer zu nähern, erwies sich als das Donnern eines Wasserfalls, über dessen Kante gerade das zweite Boot vor ihnen kippte.

Koschkin verstärkte seine Anstrengung und ruderte jetzt wie wild. Er bot seine ganzen Kräfte auf, um den Einbaum doch noch aus der tückischen Strömung herauszubekommen. Es nutzte nichts. Das nächste Boot verschwand steil aufgerichtet aus seinem Sichtfeld, als ihr eigenes noch einmal beschleunigte. Unbarmherzig wurden sie weitergezogen, jeglichen Kraftaktes zum Trotz.

Nach dem letzten Boot, was sich vor ihnen befand, kippten schließlich auch sie selbst über die Klippe und stürzten schreiend in die Tiefe, weiter den Wassermassen folgend.

21. Ronja

Der Kampf war kurz aber heftig. Während die Säbelfanten über die Amazonen herfielen, hatten die beiden Berittenen von einer weiteren Kriegerin der Wogenden Wipfel Verstärkung erhalten. Aber auch zu dritt erwiesen sich die Frauen als unterlegen.

Vielleicht wären die Chancen der Frauen besser gewesen, wenn sie von Anfang an gemeinsam gekämpft hätten, doch so war eine der Clanfrauen schon überwältigt worden, bevor die Dritte zur Hilfe kam und auch ihre andere Kameradin fiel nur wenige Augenblicke nach dem mutigen Eingreifen der Herbeigeeilten.

Alleine wurde die Nachzüglerin dann auch schnell von den Tieren überwältigt und gerissen.

Ronjas Atem ging immer noch schnell und ihre Lungen brannten. Die Seitenstiche ließen jedoch schon langsam nach. Sie lebte immer noch und Schmerz war bisher ausgeblieben. Vorsichtig löste sie sich aus der embryonalen Stellung, in die sie sich eingerollt hatte und wagte es, sich umzuschauen. Entweder hatten die Tiere sie noch nicht bemerkt oder sie interessierten sich für den Moment nicht für sie.

Der große Säbelfant fraß alleine von einem erlegten Pferd; die blutende Wunde an seiner Flanke schien das Raubtier gar nicht wahrzunehmen.

Die meisten der kleineren Säbelfanten hatten auch leichte Verletzungen erlitten, fraßen jetzt aber ebenfalls. Ihr Mahl bestand aus dem zweiten Pferd und den drei toten Kriegerinnen. Doch einer der Säbelfanten näherte sich stattdessen leise grollend und interessiert schnüffelnd der rothaarigen Amazone.

Ronja hielt den Atem an, konnte aber einen leisen Fluch nicht unterdrücken. Dass sich daraufhin die Ohren des Räubers aufstellten, bemerkte sie nicht. Wohl aber, dass sich das Tier weiterhin vorsichtig näherte.

Die Gedanken der Kriegerin drehten sich im Kreis, ohne ihr zu sagen, was sie nun tun sollte. Nun war es auch schon zu spät, denn der Säbelfant war bei ihr. Ronja hatte keine ängstliche Mentalität, doch erstarrte sie zu einer Salzsäule, als der Rüssel des Tieres sie beschnüffelte.

Ein weiterer Fluch löste sich leise aus ihrer Kehle und ließ die Augen des Tieres zu Schlitzen werden. Das Schnüffeln intensivierte sich. Ronja konnte es kaum fassen, doch der Säbelfant ließ tatsächlich von ihr ab und trötete.

Die Amazone hatte fast alle Details aus dem Leben der Amerikanerin vergessen. Erinnerungen, die sie erlangte, als sich die Wesen der beiden Frauen eine Weile lang überlagerten, wie die kleine Goblinschamanin ihr erklärt hatte, die sie später geheilt hatte.

Doch war sich die Prinzessin ziemlich sicher, dass trotz dem Ruf und den Gerüchten, die über Ashley Bender verbreitet wurden, die Amerikanerin nicht in der Lage war, andere Lebewesen zu kontrollieren.

Und doch schien dieser Säbelfant sich irgendwie seltsam zu verhalten. Was heißt irgendwie? Auf jeden Fall - war die bessere Beschreibung. Eigentlich sollte sie jetzt genauso tot sein wie ihre drei Schwestern, die gerade stückweise im Magen der anderen Raubtiere landeten.

War sie vielleicht doch in Sicherheit?

22. Ashley

Ashley war ihrer Intuition gefolgt und hatte den Flussverlauf verlassen. Sie wollte unbedingt herausfinden, was um aller Welt in diesem Landstrich vor sich ging. Die frisch verlassenen Dörfer konnten ein Zeichen drohender Gefahr für die Astronauten darstellen. Und das reichte ihr aus, um der Sache nachzugehen.

So war sie also einem Trampelpfad gefolgt, den sie entdeckt hatte, und tatsächlich, nach mehreren Stunden Ritt war sie auf ein bewohntes Dorf gestoßen. Bis zur Ansiedlung war sie zwar nicht gelangt, da zuvor sechs Amazonen auf sie zuhielten.

„Wir grüßen dich, Clanfrau der Astronauten“, begann eine der Frauen ein Gespräch. „Was tust du hier, abseits des Flusses?“

„Ich schau mich nur ein wenig um.“

„Und was ist der Grund deines Tuns?“

„Meine Leute und ich wunderten uns, dass alle Ortschaften hier in der Gegend verlassen waren, und sind neugierig, was der Grund dafür ist.“

„Der Grund seid Ihr selbst. Die Königin vom Clan der Küstenjäger lehnt einen Kontakt mit dem Clan der Astronauten ab und hat befohlen, Euer Durchzugsgebiet zu räumen. Von den Singenden Hufen wissen wir, dass Ihr zur Küste wollt, um unser Land zu verlassen. Letzteres liegt auch in unserem Interesse, daher wollen wir Euch nicht aufhalten.“

„Darum habt ihr die Dörfer geräumt?“

„So ist es. Wir haben kein Interesse daran, dass unseren Siedlungen das gleiche Schicksal widerfährt wie denen der Vier Flüsse. Wir wollen keinen Streit mit dem Clan der Astronauten. Solange Ihr Eurer Route weiter folgt, wird das auch so bleiben. Der Weg zur Küste steht Euch offen, also kehre nun um, Clanfrau der Astronauten, und sage deiner Königin, sie soll keine weiteren Erkundungen des Kernlandes der Küstenjäger durchführen. Nur so kann es weiter Frieden geben.“

Ashley hatte nach diesem Gespräch schnell einsehen müssen, dass die Kriegerinnen vom Clan der Küstenjäger nicht bereit waren, ihre Unterhaltung fortzusetzen, und hatte sich auf den Rückweg gemacht.

Zwar empfand sie die Sicherheitsvorkehrungen der Küstenjäger als ziemlich überzogen, doch erklärten sie die verlassenen Siedlungen und beruhigten ihre Nerven.

Dies änderte sich erst wieder, nachdem sie das neue Lager der Astronauten erreichte und die Unruhe bemerkte, die hier herrschte. Irgendetwas war mit ihrem Katerchen und einigen Booten passiert. So viel erfuhr sie bereits nebenher durch aufgeschnappte Gesprächsfetzen.

Eilig suchte sie einen ihrer Kameraden. Tilseg war der Erste, den sie fand.

„Was ist passiert?“, überfiel sie ihn. Der Grüne sah sie für einen Moment an, kam dann aber direkt zur Sache.

„Boris Koschkin und die Mannschaften von mehreren Booten sind verschollen. Sie sind weiter flussabwärts abgestürzt.“

„Was soll das heißen, sie sind abgestürzt?“

„Boris Koschkin befand sich auf einem der Boote, die den Wasserfall herunterstürzten, der sich weiter flussabwärts befindet“, erklärte Tilseg in seinem gewohnt ruhigen Ton.

„Was? Wieso! Was hatte der dumme Kater denn auf einem Boot zu suchen? Der reitet doch sonst immer einen Vetter von sich?!“

„Er hatte sich in der letzten Nacht verletzt und konnte sein Schwein nicht reiten.“

„Das kann doch alles nicht wahr sein. Muss der Scheißkerl eigentlich mit allem, was er steuert, abstürzen?“ Die Blondine schäumte. Teils vor Ärger, aber überwiegend vor Sorge, die sie nicht kanalisieren konnte.

„Ich werde den dummen Kater suchen. Und wenn er es gewagt hat, abzunibbeln, werde ich ihn eigenhändig nochmal umbringen!“

23. Ronja

Ronja hatte gerade wieder Hoffnung geschöpft, vielleicht doch mit heiler Haut aus der ganzen Sache herauszukommen, als der große Säbelfant ihre Anwesenheit bemerkte. In einem tiefen, durchdringenden Basston knurrend näherte sich das Tier nun der Rothaarigen.

Vielleicht hatten die Raubtiere ihre Schwestern nur des Hungers wegen getötet. Doch in den Augen des ochsengroßen Säbelfanten glomm ihrer Meinung nach gerade pure Mordlust.

Hektisch versuchte die Amazone, ihre Optionen abzuwägen. Eine Flucht war aussichtslos, so viel war klar. Würde sie auch nur versuchen wegzulaufen, wäre das ihr Ende. Hier einfach liegen zu bleiben würde sie jedoch ebenfalls nicht retten.

Dieses Mal war es wirklich vorbei!

Langsam, ja geradezu genüsslich, näherte sich der große Räuber seinem Opfer. Das Tier schien die gleichen Schlüsse zu ziehen wie sie und ließ sich quälend viel Zeit, seine Beute zu erreichen.

So oder so, sie konnte ihm nicht entkommen. Ronja hatte den Eindruck, dass der Große ihre Flucht geradezu provozieren wollte, so langsam, wie er sich nährte.

Doch da stellte sich plötzlich der Säbelfant, der sie zuvor beschnüffelt hatte, seinem Artgenossen in den Weg und trötete herausfordernd. Die anderen Tiere des Rudels schienen genauso überrascht über das Verhalten ihres Gefährten zu sein wie die Amazone selbst.

Auch der Rudelführer stutzte und trompetete seinerseits. Doch der kleinere Säbelfant wich nicht zurück. Der größere schnaufte und begann einen halbherzigen Versuch, das Tier, welches sie schützte, zu umgehen. Doch wieder stellte sich ihre Beschützerin zwischen die beiden.

Dies schien den großen Säbelfanten sehr zu verärgern, denn er brüllte laut auf und knurrte nun wieder. Dieses Mal galt das Geräusch jedoch nicht Ronja, sondern seinen Artgenossen. Das restliche Rudel beobachtete die gesamte Situation genau, unternahm aber nichts.

24. Hiriko

Hiriko saß am Klippenrand. In ihrer Nähe donnerte das Wasser des Flusses in die Tiefe und benetzte die Felsen bis kurz vor ihrem Aussichtspunkt mit feinem Spritznebel. Etwa zehn Meter unter ihr brandete das dunkle Wasser des Meeres in sanften Wellen an die hier stark zerklüftete Küste.

Die feinen Züge der ehemaligen Asiatin wirkten ernst, während sie das Wellenspiel beobachtete, welches unter ihr aufgeführt wurde. Zwei der hier abgestürzten Einbäume hatten den Aufprall auf die Wasseroberfläche weitgehend unbeschadet überstanden und waren von den Überlebenden auf eine der flachen, felsigen und schmalen Küstennarben gezogen worden, die hier und dort die Steilklippen vom Wasser trennten.

Die neun Männer hatten versucht, zu retten, was zu retten war, sodass ihnen vier Leichen und ein ganzer Stapel Treibgut Gesellschaft leisteten, als das Abendrot, was nun die ganze Szene beleuchtete, die kommende Nacht ankündigte.

Das Getöse des Wasserfalls und die Geräusche des Meeres erschwerten die Kommunikation mit den Überlebenden sehr, doch spürte sie, dass es den Leuten dort unten gut ging, wenn man von ihrer Traurigkeit und Erschöpfung einmal absah.

Aber diese Männer waren es im Moment nicht, mit denen sich ihre Gedanken gerade beschäftigten, obwohl sie auch mit ihnen fühlte.

Unter dem Wasserspiegel spürte sie weiteres Leben. Dieser Umstand alleine hätte sie nicht verwundert, wusste sie doch genau, dass Meere vor Leben nur so strotzten.

Ein derber Fluch kündigte Ashleys Anwesenheit an und ließ die Dryade ihren Blick von der Tiefe des unergründlichen Nassʼ abwenden.

„Hi, Ashley.“

„Hi, Hiriko.“

Die Blondine trat neben ihr an den Abhang und starrte ebenfalls in die Tiefe. Als sie das kleine Grüppchen Überlebende unter sich sah, lächelte sie erleichtert.

„Der blöde Kater hat immer mehr Glück als Verstand, was? Stürzt mit allem möglichen ab und überlebt trotzdem.“ Dann brüllte sie in die Tiefe.

„Hey, Katerchen, das mit den Bruchlandung wird langsam zur Gewohnheit oder?“ Bei diesen Worten grinste sie breit.

„Du musst nicht so brüllen. Er kann dich nicht hören.“

„Wieso, da winkt doch sogar wer. Anscheinend haben sie mich doch gehört.“

„Ja, die da unten haben dich gehört. Doch Boris ist nicht bei ihnen.“

„Was?“ Die Tonlage der Amerikanerin veranlasste Hiriko, schnell zu antworten.

„Er lebt, aber er ist nicht bei den fünf da unten.“

„Nicht? Wo steckt der blöde Kater dann?“

„Er ist unter Wasser.“

„Bitte? Wieso ist er denn tauchen?“

„Das kann ich dir auch nicht sagen. Aber bisher ist er nicht wieder aufgetaucht.“

„Bisher? Wie lang ist er denn schon da unten?“

„Mindestens seit ich angekommen bin. Vermutlich ist er nach dem Sturz gar nicht erst wieder hochgekommen.“

„Hiriko! Mach keine blöden Witze! Geht es ihm nun gut oder nicht? Wo steckt der dumme Kater jetzt?“

„Hab ich doch gesagt. Er ist unter Wasser und es geht ihm gut.“ Ashley fluchte, dann entgegnete sie etwas ruhiger:

„Komm schon, willst du mir ernsthaft erzählen, er ist jetzt unter die Fische gegangen?“

„Naja, so was in der Art. Ich kann es mir auch nicht erklären, aber es ist so, wie ich dir sage. Ich kann seine Lebenskraft unter der Wasseroberfläche spüren. Warum er aber so lange unten bleiben kann, ist mir auch ein Rätsel.“

„Das geht doch gar nicht!“

„Ich kann dir nur sagen, dass er irgendwo am Meeresgrund ist und zwar nicht alleine.“

„Nicht alleine? Wer ist denn bei ihm?“

„Ich spüre noch drei andere Menschen dort unten und außerdem noch sehr viele andere Leben. Aber wem die Lebenskraft genau gehört, die ich um Boris herum wahrnehme, kann ich dir auch nicht sagen.“

„Fische vielleicht?“

„Möglich. Aber dann sind es durchaus große Fische, die sich ihre eigenen Gedanken machen können.“

„Was?“

„Ich weiß doch auch nicht. Warum glaubst du, sitze ich hier herum?“

Ashley fluchte wieder und ausnahmsweise drückten die derben Worte der Amerikanerin auch Hirikos Gefühle aus. Sie machte sich ebenso große Sorgen wie ihre Kameradin und wusste auch nicht, wie sie helfen konnte.

25. Ronja

Bisher hatte sie es nicht gewagt sich großartig zu bewegen. Zu sehr hatte sie das alles verwirrt und eingeschüchtert.

Als sie schon dachte, dass der große Säbelfant den kleineren einfach zur Seite fegen würde, um an sie zu gelangen, hatte tatsächlich ein weiteres der Raubtiere eingegriffen und ihrer Beschützerin Beistand geleistet.

Auch dieses Mal schien das größere Tier nicht damit gerechnet zu haben, was Ronja ausgesprochen gut nachvollziehen konnte, denn es ging ihr genauso. Dass der Rudelführer jedoch zu der Ansicht kam, dass sie den ganzen Aufwand nicht wert war, überraschte sie ebenfalls. Mit einem genervten Trompeten wandte sich das große Tier ab, das es ihrer Einschätzung nach auch mit den beiden kleineren Exemplaren hätte aufnehmen können, und widmete sich wieder seiner Mahlzeit.

Still hatte sie die Tiere beim Fressen beobachtet, bis diese sich ein wenig von den Kadavern zurückzogen und sich dort tatsächlich friedlich und satt zur Ruhe legten. Nur die beiden Säbelfanten, die sie geschützt hatten, blieben in ihrer Nähe und stillten abwechselnd ihren Hunger.

Während sie wartete und beobachtete, überlegte Ronja fieberhaft, was das Säbelfantenweibchen bewog sich ihretwegen gegen das viel größere dominierende Männchen aufzulehnen. Womit es sie rettete. Aber wie lange nur würde das gut gehen? Irgendwie musste sie aus diesem Schlamassel wieder herauskommen. Nur wie? Würde sie sich heimlich verdrücken, wenn die Tiere schliefen, könnte sie vielleicht entkommen. Doch wahrscheinlich würde sie dem großen Raubtier nur einen Gefallen tun und sich selbst zu seiner Beute machen.

Kurze Zeit dachte sie darüber nach, was passieren würde, wenn die letzte Verfolgerin, die ihr auf den Fersen gewesen war, sie nun finden würde. Doch glaubte sie nicht, dass es dieser Kriegerin besser ergehen würde als ihren Schwestern.

Dass ihre Verfolgerinnen durch die Raubtiere zu Tode kamen, hatte Ronja nicht gewollt. Die Traurigkeit, die sie empfand, war aber auch mit einer gewissen Erleichterung verbunden. Ohne die Wildtiere wäre ihre Reise hier zu Ende gewesen, das war völlig klar. Die Kriegerinnen hatten sie gehetzt und hätten keine Gnade mit ihr gehabt. Nein. Wenn sie nicht zufällig die Tochter ihrer Königin gewesen wäre, hätten sie sie wahrscheinlich am Ende der Hatz einfach erlegt. Dass sie weiterhin frei war, verdankte sie den Säbelfanten. Ronja fühlte sich zudem irgendwie den beiden Säbelfanten verpflichtet, die sie geschützt hatten. Die Tiere hatten die Amazonen getötet und doch verspürte sie ein unerklärliches, unterschwelliges Bedürfnis, sich bei den Tieren für ihre Hilfe zu revanchieren.

Daher hatte sie ihren ganzen Mut zusammengenommen, sich erhoben und war langsam und vorsichtig zum nächstgelegenen Pferdekadaver gegangen.

Das ganze Rudel hatte sie dabei beobachtet.

Die meisten träge und mit nur einem Auge, doch der Große sehr aufmerksam. Ronja hatte das mächtige Tier ihrerseits ebenfalls nicht aus den Augen gelassen.

Sie war zwar selbst ziemlich müde, doch nicht mehr so erschöpft wie nach der Hatz ihrer Schwestern auf sie. Sollte der Rudelführer einen weiteren Angriff auf sie starten, würde sie eine Flucht versuchen. Doch der Angriff blieb aus und sie fand, was sie suchte.

Ein Tiegel mit einer fast schwarzen Salbe darin und einige Leinenstreifen. Sogar ein kleines Fläschchen mit Alkohol hatte die tote Besitzerin in ihrer Satteltasche mit sich geführt. Ronja nahm erst einmal einen tiefen Schluck des starken Schnapses. Aus rein medizinischen Gründen zur Nervenberuhigung.

Nach einer kurzen Rücksprache mit Kehle und Magen nahm sie auch noch das bisschen Proviant und die Wasserflasche, die sie in der Tasche fand, bevor sie wieder zu ihren Beschützern zurückkehrte, die sich ebenso wie die anderen nicht gerührt hatten.

Als die Prinzessin jedoch versuchte, sich den beiden noch weiter zu nähern als bisher, vernahm sie ein leises Grollen, das sie warnte, näher zu kommen.

„Gut, ich verstehe. Wir sind keine Freunde, aber vielleicht können wir welche werden?“, wisperte sie leise und tat einen weiteren Schritt. Als sie sich jedoch noch weiter annäherte, schnappte eines der Tiere nach ihr. Bestürzt schrak sie zurück und fluchte, gab aber nicht auf. Die Amazone hatte die aufmerksame Reaktion des Tieres auf ihren Fluch bemerkt und wechselte intuitiv in die Sprache der Astronauten, die sie immer noch beherrschte. Langsam näherte sie sich erneut.

„Ganz ruhig, meine Lieben, ich möchte mir nur eure Wunden ansehen.“

26. Boris

Ihm war kalt. Außerdem fühlte er sich irgendwie schwerelos, aber das fühlte sich nicht richtig an. Die Kälte umspülte ihn regelrecht. Es fühlte sich so körperlich an, dass er sie an ihm vorbeirauschen spüren und das Rauschen sogar hören konnte. Auch das Atmen war seltsam und sein Raumgefühl nicht existent.

Als Koschkin endlich die Augen aufschlug, erschrak er bis ins Mark.

Eine in bläulich grünes Zwielicht getauchte Unterwasserlandschaft umgab ihn und das konnte nicht richtig sein.

Wie kam er denn hierher? Die Frage war irrelevant, beschloss die in ihm aufsteigende Panik und übernahm die Kontrolle. Hektisch begann der Russe zu zappeln und hielt reflexartig die Luft an. Mit aller Macht versuchte er nach oben zu gelangen, doch etwas hielt ihn zurück.

Ein Blick nach unten offenbarte ihm, dass seine Füße von einer langen, fransig wirkenden Pflanze umschlungen waren. Hektisch begann er damit, an dem Gewächs zu zerren, doch es nützte nichts. Das Zeug ließ einfach nicht los. Noch einmal verstärkte er seine Bemühungen, sich irgendwie loszureißen, bevor ihm die Luft endgültig ausging. Und dieser Punkt kam schnell näher. Koschkin spürte, wie sich alles in ihm verkrampfte, als er einen Atemzug zu unterdrücken versuchte, den sein Körper immer dringender verlangte.

Fieberhaft suchte er nach seinem Messer, doch es war nicht da. Seine Lungen brannten und sein Körper schrie nach Sauerstoff. Viel länger konnte er seine Luft nicht anhalten. Trotzdem rang er weiter, bis er einfach nicht mehr kämpfen konnte und reflexartig nach Luft schnappte.

Kühles Nass drang in seine Lungen ein und er hustete. So würde er also sterben! Gestrandet auf einem fremden Planeten, weit weg von zuhause und elendig ersaufend.

Zwischenspiel

Magister Ingbold beobachtete aus seiner Lampe heraus, wie der Orkschamane seine widerwärtige Kombination aus Zauberei und schamanischem Tamtam durchführte. Es erstaunte ihn ein wenig, als der Halbmensch mit seinem Firlefanz tatsächlich Erfolg hatte und sich ein vom Opferblut der beiden tot am Boden liegenden Sklaven durchtränktes Skelett erhob und mit den Zähnen klapperte. Widerwillig musste der Magister eingestehen, dass der Primitivling ein gewisses Talent für die Zauberei besaß, ähnlich wie sein unseliger Lehrling damals. Doch änderte dies nichts an seinem Plan. Dieser dumme Möchtegernzauberer würde für die Quälerei, die er ihm angetan hatte, noch büßen.

Doch vorerst würde Ingbold ihm helfen müssen, um sein Vertrauen zu gewinnen und seine eigenen Ziele voranzutreiben. Sollte der Ork doch glauben, dass er dem dreckigen Halbmensch seinen Kopf lassen würde, wenn der ihn endlich zurückholte.

Die Dienerkreatur würde schon noch sehen, was sie davon hatte, einen Magister der Sieben Türme knechten zu wollen. Vorerst galt es jedoch, hilfsbereit zu bleiben. Also öffnete Magister Ingbold seinen Geist und ließ zu, dass die untote Kreatur durch ihn die Spur zu seinem alten, verräterischen Ego, Lektor Ingbold, aufnahm, der ihn hintergangen und sich den Schädeldieben angeschlossen hatte.

„Geh hin und bringe mir den Kopf zurück, den sie mir genommen haben!“, befahl der Schamane dann seiner Kreatur, die sofort losstürmte und die Verfolgung begann.

Mithilfe des Orks würde er sich an allen rächen, freute sich der Geist. An seinem alten Ich, dem Schädeldieb, der kleinen Halbmenschschamanin und auch an dem verfluchten Naturgeist und ihrer Fee. Und natürlich würde auch der Ork seine Anmaßung noch büßen, ihm Befehle erteilen zu wollen. Das war nur eine Frage der Zeit. Und Zeit hatte der eingekerkerte Magier mehr als genug.

27. Hiriko

Hiriko saß immer noch auf dem Felsvorsprung, wo Ashley sie gefunden hatte. Ihr Oger leistete ihr Gesellschaft, während Ashley damit beschäftigt war, einen Weg hinunter zu den Klippen zu finden.

Die Blondine hatte die Warterei nicht mehr ausgehalten und war der Dryade auch ein wenig auf die Nerven gegangen, weil sie alle Nase lang fragte, ob Koschkin denn immer noch atmete. Und auch wenn es ungewöhnlich war und auf der Erde gar ein Ding der Unmöglichkeit darstellte, konnte Hiriko ihrer Freundin immer nur bestätigen, dass ihr Kommandant nach wie vor lebte, bis sie schließlich ging.

„Gibt es etwas Neues zu berichten?“, erkundigte sich Tilseg einige Zeit später bei ihr, als er sie besuchte. Sie schüttelte nur den Kopf und nickte dann in Richtung der Bucht, in der die Wellen tanzten.

„Er ist draußen. Keine dreihundert Meter von uns entfernt, aber gut fünf Meter unter der Wasseroberfläche. Ansonsten sind seine Lebenszeichen stabil.“

„Faszinierend.“

„Ja schon, aber was sollen wir machen, um ihn da wieder rauszuholen?“

„Ich berechne andauernd Optionen, doch fehlen mir wichtige Daten, um einen geeigneten Vorschlag zu machen. Meine Berechnungen liefern weder eine Erklärung für dieses Phänomen, noch einen Lösungsansatz. Ich kann mir nicht erklären, wieso Boris Koschkin unter Wasser so lange überleben kann.“

„Ja, ich weiß auch nicht weiter.“

„Wenn die fremden Lebensformen da unten etwas mit seinem Untertauchen zu tun haben, stellen sie mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auch den Lösungsweg dar.“

„Natürlich, ich bin doch echt ein Dummerchen! Und du bist ein Genie!“, rief Hiriko plötzlich, sprang auf, drückte dem Doktor einen Kuss auf die Wange und hüpfte dann ohne ein weiteres Wort in die Fluten. Ihr Eintauchen löste nur ein leises Kräuseln der Wasseroberfläche aus. Dann war auch sie untergetaucht.

28. Roja

Sie hatte es wahrhaftig geschafft. Niemals hätte sie geglaubt, dass sie irgendwann in ihrem Leben einmal die Wunden wilder Säbelfanten versorgen würde. Und trotzdem hatte sie es gerade getan.

Indem sie den beiden Säbelfanten in Ashleys Sprache gut zuredete, gelang es ihr, sich die Wunden der Tiere anzusehen. Mit noch ein wenig mehr Geduld und weiteren Worten, sanft und leise vorgetragen, ließen ihre Beschützer es tatsächlich auch zu, dass sie etwas der schwarzen Paste auf die Wunden verteilte.

Durch das Schuppenkleid der Räuber gestaltete sich dies an einigen Stellen nicht so einfach wie sie vermutete, da sie zur richtigen Anwendung die Schuppen etwas anheben musste, um an die darunter liegende Wunde zu gelangen.

Dieser Vorgang war aber offensichtlich sehr unangenehm für einen Säbelfanten, wenn sie die Schuppen zu sehr anhob und sie hätte bei ihrem ersten Fehltritt fast ihren Arm verloren. Danach war sie noch vorsichtiger und löste keine weiteren größeren Protestaktionen ihrer Patienten aus.

Ihren Versuch, auch die anderen Tiere mit Salbe zu versorgen, gab sie schon etliche Meter, bevor sie das erste der Tiere überhaupt erreichte, wieder auf. Der angesteuerte Säbelfant erhob sich sofort drohend und zeigte ihr unmissverständlich, was passieren würde, wenn sie ihn belästigte.

Aber das war in Ordnung. Den Säbelfanten, die ihr geholfen hatten, hatte auch sie geholfen, damit konnte sie leben. Außerdem war sie mittlerweile doch sehr müde. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie vielleicht auf einen Baum klettern sollte.

Konnten Säbelfanten klettern? Konnte sie es überhaupt noch, so müde wie sie war? Während sie überlegte, aß sie noch ein wenig, trank einige Schlucke Wasser und schlief schließlich dann doch am Boden ein.

29. Boris

Koschkin wand sich unter Krämpfen und kämpfte mit sich selbst, während er immer wieder versuchte, den Atem anzuhalten, doch wieder Wasser ein- und ausatmete und weiterkämpfte.

Er war sich nicht sicher, wie lange er gebraucht hatte, bis ihm etwas auffiel. Die Atemnot hatte er nur dann, wenn er nicht atmete. Und er hatte jetzt schon zu oft Luft geholt und Wasser eingeatmet, als dass er nicht schon längst ertrunken sein müsste. Gegen seinen Instinkt atmete er bewusst.

Er atmete ein, atmete aus und wieder ein, atmete Wasser und bekam Luft.

Er konnte unter Wasser atmen?!

Offensichtlich!

Auch wenn er das Ganze nicht verstand, beruhigte ihn dieser Umstand enorm. So sehr, dass seine verkrampften Muskeln etwas entspannten und er seine Lage das erste Mal, seit sie bestand, durchdenken konnte.

Er war unter Wasser.

Offensichtlich. Aber warum?

Weil er auf einem Fluss gefahren war?

Nicht ganz.

Weil er einen Wasserfall heruntergefahren war.

Genau! Und dann? Dann war er auch schon hier.

Koschkin fluchte. Natürlich war dies unter Wasser absolut unverständlich. Einen echten Russen hielten solche Details aber nicht davon ab. Das brachte ihn zwar auch nicht weiter, aber egal. Seine Erkenntnisse waren ja auch nicht besser.

Erneut versuchte er sich darin, die Schlingpflanze von seinen Füßen zu entfernen. Das war immer noch nicht einfach, da die Pflanze sich regelrecht dagegen wehrte, von seinem Fuß gewunden zu werden.

Da sein Körper jetzt aber nicht mehr in absoluter Alarmbereitschaft agierte, gelang es deutlich besser als zuvor. Trotzdem sog sich die Pflanze mit vielen kleinen Saugnäpfchen immer wieder an ihm fest. So hatte er bald zwar einen seiner Füße befreit, doch dabei die Bewegungsfreiheit seines linken Arms verloren.

Wieder fluchte Koschkin und einige Gasbläschen stiegen sanft zur Oberfläche empor. Der Russe war so sehr in seinen Kampf mit der Pflanze verwickelt, dass er die beiden Schatten gar nicht bemerkte, die sich ihm angenähert hatten.

„Was willst du damit erreichen?“, fragte plötzlich die kühle Stimme einer fremdartigen Mentalität in seinem Kopf.

Der nächste Fluch blieb Boris in der Kehle stecken, als ihm dieser Umstand bewusst wurde. Die Stimme war in seinem Kopf!

Gut, klarer Fall, jetzt hatte er einen Tiefseekoller. Zwar wusste er nicht genau, was die Symptome eines solchen Phänomens waren, was häufig Taucher befiel, die zu tief tauchten und deren Gasgemisch für entsprechende Tiefe nicht geeignet war, doch war er sich sicher, dass er nun auch Opfer dieser Taucherkrankheit wurde.

„Halt still, Trockenländer, wir werden dich aus dem Seeschling befreien.“

Da! Da war sie wieder gewesen!

Koschkin zweifelte ernsthaft an seinem Verstand, als er eine kühle Berührung an seiner Schulter spürte und überrascht durch diesen unerwarteten Kontakt zusammenzuckte.

Als er seinen Blick in die Richtung wandte, sah er zuerst eine fast menschlich wirkende, feingliedrige Hand, die vollständig mit winzigen kleinen Schuppen bedeckt war und Schwimmhäute zwischen den langgliedrigen Fingern aufwies.

Auch der dazugehörige Arm und selbst der Torso der Kreatur könnte, mal abgesehen von den auch hier vorzufindenden Schuppen, der eines Menschen sein. Eines weiblichen Menschen, wenn man es genau nahm, bemerkte der Russe verdutzt.

Doch alles andere war es definitiv nicht. Der schlanke Leib erinnerte eher an einen Fisch inklusive Schwanzflosse am Ende. Der Kopf wurde von etlichen stachelartigen Auswüchsen gekrönt, zwischen denen ebenfalls Häute gespannt waren. Ein weiterer Kamm verlief vom Kopf bis in den Bereich, der bei einem Menschen Steiß genannt werden würde.

Am Hals der Kreatur arbeiteten Kiemen unerlässlich, während ihn zwei große runde Augen starr anblickten. Das Wesen hatte auch eine Art Nase. Diese war aber kaum zu erkennen und bestand eigentlich nur aus zwei Löchern, die sich ebenfalls bewegten. Der Mund der Kreatur besaß auffallend dicke Lippen und war ausgesprochen bereit.

„Halt den Trockenländer fest! Dieser zappelt schlimmer als ein Fisch. Schrigoran wird seine Freude mit ihm haben.“

Nach diesen Worten wurde er von der Wasserfrau gepackt und erstaunlich kräftig festgehalten. Das zweite Wesen, das er jetzt erst bemerkte, sah dem anderen bis auf eine leicht unterschiedliche Musterung der Schuppen zum Verwechseln ähnlich, doch diese Feinheit entging dem Russen völlig. Dass dieses seinen Fuß jedoch mit Leichtigkeit befreite, entging ihm nicht. Als auch sein Arm frei war, nutzte er die Gelegenheit und rammte seinen Ellbogen in den Leib der Kreatur, die ihn festhielt. Überrascht von dem Angriff des Russen lockerte das Unterwasserwesen seinen Griff und gab Boris Gelegenheit, seine Aktion mit dem anderen Ellbogen zu wiederholen. Nun endlich frei, strebte er so schnell er konnte Richtung Wasseroberfläche. Seine Lederkleidung zog schwer an ihm und die Stiefel erschwerten es zu schwimmen, doch das war ihm egal. Er wollte weg von hier, zurück ans Tageslicht, raus aus der Kälte.

30. Ashley

Als Ashley zu der Stelle zurückkehrte, an der sie Hiriko zurückgelassen hatte, fand sie statt der Dryade Faqech vor. Im ersten Moment wollte die Amerikanerin sich einfach umdrehen und weggehen, doch dann zögerte sie. Stattdessen trat sie schließlich doch an die Goblinin heran.

„Hey, Fang.“

„Hallo, Ashley. Warst du mit deiner Suche erfolgreich?“

„Nein. Ich bin drei Stunden weit die Küste entlang, ohne eine Möglichkeit zu finden, wie man hinunter kommt. Davon einmal abgesehen, dass die felsigen Streifen, die es da unten gibt, die Bezeichnung Strand nicht verdienen. Da ist nirgendwo Platz für uns.“ Die Blondine fluchte. „Wo ist Hiriko?“

„Tilsegs sagt, sie ist ins Meer gesprungen.“

„Was? Warum?“

„Er hat sie wohl auf eine Idee gebracht, wie man Boris helfen könnte. Ich sitze hier und warte auf sie. Möchtest du mir Gesellschaft leisten?“

„Ich …“ Bei der Erwähnung von Koschkins Namen war sie leicht zusammengezuckt und hatte ihre Fäuste geballt. „Ich weiß nicht.“ Einen Moment überlegte sie, dann fluchte sie wieder. „Ach, wieso nicht“, entschied sie sich schließlich und ließ sich neben der Schamanin nieder.

Eine Weile saßen die beiden ungleichen Frauen nur da und starrten auf die dunkle Wasseroberfläche.

„Ich hasse den blöden Kater“, gestand Ashley plötzlich.

„Hass ist die negative Form von Liebe“, entgegnete Faqech.

„Was? Ist das irgendeine schamanische Weisheit? Was soll das heißen?“

„Ich meine damit, dass du sehr starke Gefühle für Boris empfindest. Und weil er dich verletzt hat, sind diese ins Gegenteil verkehrt und nagen nun an dir.“

„Du bist wirklich ein kleiner Klugscheißer. Hat dir das schon mal jemand gesagt?“

„Klugscheißer? Was bedeutet dieses Wort?“

„Dass du zu allem etwas zu sagen hast.“

„Oh, also so etwas wie eine weise Person.“

„Das würde ich so jetzt nicht sagen.“

Wieder breitete sich Schweigen zwischen den beiden aus.

„Ich glaube, ich habe mich noch nicht bei dir entschuldigt.“

„Ja-ja. Tilseg hat es mir erklärt. Kultur und so. Finde ich irgendwie kacke, ist bei euch aber so. Eine Entschuldigung ist also nicht nötig. Doch der dumme Kater hat keine Ausrede.“

„Er wollte helfen.“

„Wem denn? Seinem Schwanz?“

„Mir.“

Ein Fluch und Schweigen.

„Na gut. Wenn wir schon davon reden, wie oft habt ihr es denn jetzt schon getan?“

„Getan? Was meinst du damit?“

„Na, wie oft habt ihr es gemacht? Es miteinander getrieben, gevögelt, gepimpert, rumgebumst!“ Wieder fluchte die Amerikanerin. „Also sag schon! Wie oft habt ihr gefickt?“

„Boris hat zweimal mit mir das Ritual der Lüsternen Macht vollzogen. Das erste Mal bei meiner Prüfung zur Schamanin, wo er mir seine Kraft schenkte, um meine Geisterreise anzutreten, um mich zu beweisen, mich den Geistern zu stellen und mein Totem zu finden. Das zweite Mal hast du uns beobachtet. Wieder war der Zweck seines Kraftgeschenkes eine Geisterreise. Ich hatte gehofft, dass ich dabei einen Weg finden würde, Hiriko zu helfen, nachdem sie von den zu einem Steinwächter geformten, singenden Steinen angegriffen worden war. Dass wir für sie bereits alles getan hatten, was wir tun konnten, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.“

Stille folgte Faqechs Worten, bis Ashley sie mit einem weiteren Fluch verscheuchte. Da die Blondine sonst nichts dazu sagte, sprach die Schamanin nach einer Weile wieder.

„Deine Reaktion hat mir gezeigt, dass Boris und ich ein großes Tabu eurer Kultur gebrochen haben. Das war mir davor nicht bewusst gewesen. Ich glaube, dass eine Entschuldigung das Mindeste ist, was ich tun muss.“

Damit stand die Goblinin auf, nahm Ashleys Hand und führte ihre Stirn zu ihr. Dann begann sie wieder zu sprechen.

„Ashley Bender. Ich bitte dich, mir zu verzeihen, dass ich deine Kultur missachtete und dir Leid zugefügt habe, als ich deinen Gefährten zu meinem Kraftspender machte. Dies lag nicht in meiner Absicht und ich bedauere es zutiefst. Mögen meine Ahnen und die deinen Zeuge meines Eingeständnisses sein.“

Wieder fluchte Ashley. „Mann, Fang. Du machst es einem wirklich schwer, böse auf dich zu sein.“ Als die Goblinin weder antwortete, noch sich rührte, ergänzte die Amerikanerin schließlich: „Ja, ja, ja. Ist ja gut. Ich verzeihe dir. Der dumme Kater ist aber eine andere Sache!“

„Ich danke dir für deine Vergebung“, entgegnete Faqech.

„Schon gut“, winkte Ashley ab. „Aber sag mir mal, was ist das jetzt eigentlich für eine Sache zwischen dir und dem dummen Kater?“

„Was meinst du?“

„Na dieses Kraftspenderding.“ Eine gewisse Ungeduld lag in der Stimme der Amerikanerin.

„Kraftspender sind Personen, zu denen der betreffende Schamane eine besondere Beziehung hat.“

„Besondere Beziehung? Was heißt das? Bist du in ihn verknallt oder was?“

„Entschuldige bitte, aber das Wort verknallt kenne ich noch nicht.“

Ashley fluchte, bevor sie antwortete.

„Liebst du ihn?“

„In gewisser Weise.“ Bei Faqechs Worten knurrte die Amerikanerin leise, ließ die Goblinin aber weiter sprechen. „Boris ist ein enger Vertrauter für mich. Nur Personen, zu denen ein Schamane eine enge emotionale Bindung hat, kommen als Kraftspender für ihn in Frage.“

„Und du hast keinen Goblin gefunden, der anstelle vom Katerchen dafür in Frage kam?“

„Als ich damals mit Queckech und Boris nach Hause zurückgekehrt war, habe ich festgestellt, dass ich mich von meinen eigenen Leuten entfremdet hatte. Zwar hatte ich immer noch einige Freunde dort, doch auch sie hatten sich von mir entfernt.“

Ashley schnaufte, nickte dann aber.

„Das kenne ich gut. In meiner alten Gegend war ich die einzige, die auf die Uni gegangen ist. Als ich meine Leute nach dem ersten Jahr besuchte, war es irgendwie komisch. Wir hatten uns kaum noch was zu sagen und so.“

Nun nickte Faqech nachdenklich.

„Ich war zuerst traurig darüber, dass ich mich als Fremde in meinem eigenen Stamm fühlte, und ich spürte einen tiefen Groll gegen meine Leute, weil sie mich zusammen mit Boris in die Sklaverei verkauften, wie du ja auch selbst weißt.“

„Das war echt eine üble Nummer von denen. Ich wäre an deiner Stelle vermutlich ausgerastet und hätte sie übel zusammengestaucht.“

„Ich dachte damals schon, dass ich nie eine echte Schamanin werden würde, als Boris mir seine Hilfe anbot. Und da ist es mir klar geworden.“

„Was?“

„Dass niemand in meinem Stamm mir so nah stand wie er. Seine Bereitschaft, mir zu helfen, ohne genau zu wissen, worauf er sich eigentlich einließ, und seine Zuneigung mir gegenüber waren es, die mich überhaupt erst auf den Gedanken brachten, ihn als Kraftspender in Erwägung zu ziehen.“

„Und mit ihm zu ficken.“

„Außerhalb eines Rituals hat es zwischen ihm und mir nie einen so intimen Kontakt gegeben. Doch ohne Boris hätte ich meine Ausbildung nicht abschließen können und wäre vielleicht sogar bei dem Versuch gestorben oder hätte meine Seele dabei verloren.“

„Deine Seele? Du machst doch Witze!“

„Nein. Traumreisen und Geisterreisen sind keine einfachen Handlungen. Körper und Seele werden dabei voneinander getrennt und nur ein hauchdünnes Band bleibt zwischen ihnen bestehen. Neben den vielen Gefahren, die einem während der Reise widerfahren können, ist der vollständige Verbrauch der magischen Macht eines der gefährlichsten Risiken. Ist das Mana eines Schamanen verbraucht, bevor er in seinen Körper zurückgekehrt ist, löst sich das Band auf und trennt Körper und Seele dauerhaft. Den wenigsten Seelen gelingt es, ihren Körper ohne dieses Band wiederzufinden.“

„Du meinst also, das Katerchen ist so etwas wie deine Lebensversicherung oder eine Art Energiereservetank.“ Ashley nickte und grübelte.

Sie hatte auf der Reise bisher kaum mit der Goblinschamanin gesprochen. Daher war ihr nie wirklich aufgefallen, wie gut die Kleine das Commen mittlerweile beherrschte. Doch jetzt gerade wurde es ihr sehr bewusst. Fang drückte sich besser aus als mancher auf der Erde Geborene. Und was sie sagte, leuchtete ein, auch wenn die Blondine die Konsequenzen, die sich daraus ergaben, nicht so toll fand. Zwei Dinge wurden ihr aber immer klarer. Die kleine, zierliche Goblinin war wirklich erstaunlich und die Sache mit dem Kraftspender war eine ernste und andauernde Angelegenheit und nicht einfach nur ein Vorwand für einen Seitensprung.

31. Ronja

Ein grober Stupser weckte sie aus einem unruhigen Schlaf. Müde blinzelte sie einige Male, bevor ihr ihre Situation wieder bewusst wurde. Schlagartig war sie hellwach. Der Stupser kam von einem der Säbelfanten, die sich immer noch in ihrer Nähe aufhielten. Der Rudelführer und die meisten anderen der Tiere trotteten gerade gemütlich in einigen Metern Abstand an ihr vorbei. Der Säbelfant, der sie geweckt hatte, trompetete noch einmal in ihre Richtung und folgte dann den anderen.

Was sollte sie jetzt tun? Etwas mühselig erhob sich die Amazone und versuchte eine Entscheidung zu fällen. Das Rudel schien keine direkte Bedrohung für sie zu sein und wenn sie das Verhalten des Säbelfanten und seinen Stupser richtig verstand, hatte das Raubtier sie aufgefordert, ihnen zu folgen. Was tun? Sich alleine durchschlagen oder dem Rudel folgen? So oder so, eins brauchte sie auf jeden Fall, wenn sie die Reise bis zu den Astronauten überstehen wollte. Ausrüstung und Proviant!

Also ging sie noch einmal zu den Pferdekadavern, um sich die Satteltaschen des anderen Tieres anzusehen. Sie arbeitete so schnell es ihr geschundener Körper zuließ, der bei jeder Bewegung protestierte und auf die Anstrengung des gestrigen Tages hinwies. Sie ignorierte es und stopfte alles Brauchbare in eine der ledernen Taschen. Während sie damit beschäftigt war, Sachen zusammenzuklauben, entging ihr nicht, dass die Säbelfanten sich ein weiteres Mal an den Leichen gütlich getan hatten, während sie geschlafen hatte. Der Anblick der Überreste war nun äußerst unappetitlich und die Rothaarige vermied es, den Überbleibseln ihrer Schwestern allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken.

Trotzdem musste sie sich kurz mit einer von ihnen beschäftigen, als sie die blutverkrustete Waffe einer der Toten an sich nahm, um sich die Klinge selbst anzulegen. Folgte sie den Säbelfanten, konnte sie auch so enden. Ein letztes Mal zögerte sie. Dann nahm sie die Satteltaschen und folgte den Räubern.

32. Hiriko

Während Hiriko schnell und fast mühelos durch das Wasser glitt, musste sie lächeln. Eine Dryade zu sein, war wirklich toll. Zielstrebig folgte sie Koschkins Lebenskraft, bis sie ihn endlich entdeckte.

Der Russe strampelte und schlug wild um sich, während zwei Wesen ihn zu packen versuchten. Hiriko beschleunigte weiter und rammte eine der Gestalten mit der Schulter, während sie vorbei schwamm.

Die zweite Gestalt ließ von ihrem Kommandanten ab und betrachtete sie mit einem kalten, starren Blick, der jedoch auch Überraschung zeigte.

„Was mischst du dich ein, Pflanzengeist? Wir haben keinen Streit mit dir.“

„Und ob ihr Streit mit mir habt! Lass den Menschen los! Der gehört zu mir.“

„Zu dir? Was hast du denn mit dem Trockenländer zu schaffen?“

„Er ist ein Freund von mir, das muss euch genügen.“ Nach einem Moment des Lebenskraftspürens ergänzte die Dryade: „Die anderen drei, die ihr mit ihm gefangen habt, im Übrigen auch.“

„Deine Freunde kamen ohne Einladung in unser Reich. Sie sind daher freiwillige Opfer für Schrigoran den Verschlinger. Du kannst sie nicht zurück haben.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739445748
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Zauber Worldbuilding Freunde gefahr Action Drachen Spannend Rollenspiel Amazonen Heldenreise Episch Fantasy High Fantasy Roman Abenteuer Kinderbuch Jugendbuch

Autor

  • Thorsten Hoß (Autor:in)

Thorsten Hoß wurde in den Siebzigerjahren geboren und wuchs im Rheinland auf, wo er heute noch lebt. Mit Legasthenie geschlagen, brauchte es sehr lange, bis aus seiner Liebe zu Geschichten eine Leidenschaft zum Schreiben wurde. Im Rahmen seiner pädagogischen Arbeit entwickelte er zudem das Rollenspielsystem Lunaria und die gleichnamige Welt, bevor er begann, seine Lunariaromane zu schreiben.
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Titel: Clan der Astronauten