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Kurtai der Amazonen

von Thorsten Hoß (Autor:in)
418 Seiten
Reihe: Die Crew der Sirius 7, Band 4

Zusammenfassung

Der Clan der Astronauten steckt fest. Krieg liegt in der Luft. Alle Anzeichen deuten auf Sturm. An einer Steilküste inmitten der Amazonenterritorien versucht der ehemalige Kommandant der abgestürzten Sirius7, Boris Koschkin, den zusammengewürfelten Haufen aus Menschen, Goblins und Orks zusammenzuhalten, während seine restliche Crew unterwegs oder gar verschollen ist. Die Situation scheint aussichtslos, als auch noch Ashley Bender von einem Drachen zur großen Versammlung der Amazonenclans eingeladen wird. Und dann sind da ja auch noch die zahlreichen anderen Probleme, mit denen die Astronauten fertig werden müssen, derweil ihr Clan unaufhörlich weiter wächst...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Impressum

Kurtai der Amazonen

(Die Crew der Sirius7, Band 4)

Zweite deutsche Ausgabe

©2017 Thorsten Hoß

Sirius7@rollenspielseminar.de

www.Lunariaromane.de

Covergestaltung: Polina Hoß

Lektorat: Polina Hoß, André Reichel

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Postadresse des Rollenspielseminars

Wilhelmstr. 26 41363 Jüchen

Widmung

Für alle,

die am 23. Januar

geboren wurden.

Prolog

Der riesige Schwarm gewaltiger Körper verdunkelte die Wasseroberfläche unter ihnen wie eine glitzernde, Blitzebälle schleudernde Gewitterwolke. Hunderte und aberhunderte ledrige Schwingenpaare schlugen kraftvoll und in ruhigem Rhythmus.

Die von ihnen getragenen muskulösen Leiber reflektierten mit ihren silbrigen Schuppen die Sonnenstrahlen, während sie durch die Luft pflügten. Noch lagen die Weiten des Meeres unter den majestätischen Geschöpfen, die beharrlich dem schmalen Streifen entgegenstrebten, der Land bedeutete.

Zielpunkt ihrer Reise würde ein ausgedehnter Meeresarm mit hoch aufragenden, steilen Klippen sein, die von vielen gut geeigneten Höhlen durchdrungen waren, in denen sie ihre Jungen ausbrüten und ernähren konnten, bis sie alt genug waren, die lange Reise zurück zu ihren Jagdgebieten anzutreten.

Ihre Herzen waren aufgewühlt und wild, ihr Blut kochte.

Diejenigen unter ihnen, die noch sehr jung oder gar zum ersten Mal auf dem Weg zu ihrer früheren Kinderstube waren, lieferten sich wüste Wettflüge, einschließlich allerlei gewagter Luftmanöver und Verfolgungsjagden.

Einige spien auch aus reinem Übermut knisternde Energiebälle, die funkenstobend auf der Wasseroberfläche aufschlugen, in der sich die von Lichtreflexen funkelnden Umrisse der Silberdrachen spiegelten.

All diese Drachen hatten das gleiche Ziel vor Augen.

Ihr Brutgebiet.

Nichts würde sie davon fernhalten.

1. Boris

Wind zerzauste sein langes, dunkelbraunes Haar, als Kommandant Boris Iwanowitsch Koschkin an die Steilküstenkante trat. Müßig betrachtete er das Treiben auf den beiden Schiffen, die auf dem schmalen Sandstreifen weit unten am Fuß der Steinwand festsaßen.

Etliche Menschen, Orks und Goblins arbeiteten daran, die Galeere und die Piroge wieder seetüchtig zu machen. Den Einbaum mit so enormen Aufbauten, dass er sogar einen passablen Laderaum besaß, hatten sie auf dem Weg zur Küste erbeutet, neben einer Vielzahl anderer Wasserfahrzeuge. Einen Moment lang dachte Boris an die lange Reise, die schon hinter ihnen lag.

Sie waren mit einer Gruppe aus befreiten Sklaven hierhergekommen. Zu diesem Zeitpunkt waren er und seine Crew die einzigen Menschen ihrer Gruppe gewesen, der Rest hatte aus den kleinen Goblins und den breit gebauten Orks bestanden, die sie immer noch begleiteten. Außer denjenigen, die in der Zwischenzeit gefallen waren. Seit sie in das Herrschaftsgebiet der Amazonen eingedrungen waren, hatte es immer wieder Kämpfe gegeben. Und Tote. Und trotzdem war ihre Gruppe stetig angewachsen, denn die Männer, die hier lebten, hatten sich gleich dörferweise ihrer Gemeinschaft angeschlossen.

Als er daran dachte, dass sie über die Berge gekommen waren, um nach anderen Menschen zu suchen, wie sie selbst, nur um festzustellen, dass die Menschen hier sie entweder gar nicht haben wollten oder sie als eine Art Gottheit verehrten, musste er fluchen. Sie hatten nichts Göttliches an sich, sondern waren nur Gestrandete auf der Suche nach einem neuen Zuhause auf einer fremden Welt. Als sie durch einen Geist namens Ingbold erfahren hatten, dass es auf diesem Planeten Menschen gab, konnte er es gar nicht mehr abwarten, hierher zu kommen. Jetzt wollte er nur noch weg von hier.

Doch das war gar nicht so einfach. Seit ihrem Absturz war eine Menge passiert. Er und seine Crew waren nicht nur für sich selbst verantwortlich, sondern hatten durch die Gründung des Clans der Astronauten - aber eigentlich auch schon, als sie die Sklaven befreiten - Verantwortung für diese Leute übernommen, die sie begleiteten und so viel Hoffnung in sie setzten.

Ja, der Clan der Astronauten war auch so eine Sache.

Aus einer Laune heraus von seiner Bordingenieurin Ashley Bender ins Leben gerufen, begannen die Leute tatsächlich eine gemeinsame Identität zu entwickeln. Ein Gruppengefühl, bei dem es egal war, ob man klein oder groß, männlich oder weiblich, Ork oder Mensch war.

Eine zierliche Hand berührte sanft seinen Arm und lenkte seine Aufmerksamkeit weg von seinen Gedanken. Eine kleine, lächelnde Goblinin hatte sich zu ihm gesellt. Faqech war seine Kampfgefährtin, Freundin und Ratgeberin. Ihr Lächeln erwiderte er freudig.

„Hallo Fang.“

„Hallo Boris“, Faqech begrüßte ihn in fließendem Commen, seiner Heimatsprache. „Es geht offenbar gut voran mit den Reparaturen.“

„Ja“, bestätigte der Russe etwas abwesend. „Die Piroge dürfte bis heute Abend soweit sein. Die Galeere wird noch einige Tage länger benötigen. Wir werden weitere der kleineren Einbäume brauchen, um sie als Rohstoffquelle zu verarbeiten.“

„Wir verbrauchen zu viele dieser Boote zur Reparatur für die Feuerstellen und Schutzfeuer. Es sind nur noch etwas mehr als fünfzig von ihnen übrig.“

„Stimmt. Aber ich denke, wir können die Feuerschneise aufgeben und an der Küste einzelne Höhlen mit Wachfeuern versehen. Die Versuche gestern sind gut verlaufen. Karl denkt, dass wir die Spinnen so lenken können. Außerdem sind es beileibe nicht mehr so viele wie früher.“

Koschkin dachte daran zurück, wie Ashley mit ihrem völlig irrwitzig überdimensionierten Hammer einen Küstenabschnitt zum Einsturz brachte, um den Wasserfall zu zerstören, der sie vom Meer trennte, und so eine Abfahrt für ihre Boote hinunter zu ermöglichen.

Doch das in das darunterliegende Höhlensystem eindringende Wasser hatte die Spinnenplage ausgelöst, die ihrer Gemeinschaft nun einige Probleme bereitete. Gleichzeitig war ihr Plan gescheitert, da auch die zerstörte Klippe weiterhin kaum schiffbar war. Ihr Versuch, die Piroge hinabfahren zu lassen, hatte das bewiesen. Zwar war das Schiff tatsächlich mit einiger Anstrengung ins Meer gelangt, doch dabei auch durch die Schäden, die bei seinem Transfer entstanden waren, fast gesunken.

Die Amazonenkriegerin, von der sie die Waffe erbeutet hatte, die sie dabei einsetzte, nannte sich Barbara und war zurzeit eine Patientin von Faqech. Die Kriegerin schien eine Art Nervenzusammenbruch gehabt zu haben, als Ashley sie bezwang und sie daraufhin aus ihrem Clan verstoßen wurde. Fang würde ihr schon helfen, da die Kleine auch eine erstaunliche Schamanin war.

Es gab hier so viel, was ihn an seinen Heimatplaneten, die Erde erinnerte. Angefangen von der identischen Schwerkraft, über die vielen Pflanzen, die ihrem Gegenstück auf seinem Planeten verblüffend ähnlich sahen, bis hin zu den Menschen. Doch gab es auch gravierende Unterschiede, die diese Welt von seiner Heimat abhoben. Die krasseste Abweichung stellte die hier anscheinend überall präsente Zauberei dar.

So etwas hatte er vorher nur aus Geschichten und Märchen gekannt. Aber hier? Auf dieser Welt war das etwas anderes. Es war offensichtlich, dass Magie hier tatsächlich funktionierte. Ein Fakt, der jeglichem Wissen und Erfahrungswerten widersprach, die sein vorheriges Leben bestimmten, und doch unbestreitbar existierte.

Wie viele Male hatte Fang ihm jetzt schon mit dieser Macht das Leben gerettet? Er wusste es nicht. Es war einfach zu oft gewesen. Es gab niemanden auf diesem Planeten, dem er mehr schuldete, als diesem kleinen Goblinmädchen, das er lange Zeit für einen Jungen gehalten hatte.

Aber nicht nur Fang nutzte diese seltsame Macht für ihre Rituale. Auch Sven hatte ein Talent dafür entwickelt und es immer wieder eindrucksvoll zur Schau gestellt.

Dankbar und in Gedanken versunken nahm er ihre Hand und drückte sie. Sie wechselte das Thema und gab damit seinen Überlegungen eine neue Richtung.

„Hast du Hiriko gesehen?“

„Leider nicht. Sie schwimmt da draußen immer noch herum und sucht Tilseg.“

Hiriko Tanaka war seine Kopilotin gewesen, bevor sie während einer Erkundungstour mit ihm zu Tode stürzte und als Geist wiedergeboren wurde. So wurde es ihm erklärt. Verstehen konnte er auch das immer noch nicht wirklich. Gespenster waren für ihn immer ein Hirngespinst gewesen. Aber das mit den Spukgestalten war hier auch so eine Sache. Geister gab es überall auf dieser Welt.

Hiriko beispielsweise war laut Fang ein Naturgeist. Also nichts, was nachts im Bettlaken umherstreift, sondern eine wirklich hübsche, fast zwei Meter messende, dunkelhäutige Schönheit mit grünem Haar, die ihren wohlgeformten Körper nicht verdecken wollte. Nur ihre Gesichtszüge erinnerten noch daran, dass sie früher einmal eine zierliche Asiatin gewesen war, die zu Tode stürzte, als sie von einigen dieser Riesenschweinen verfolgt wurden. Das war jetzt schon so lange her …

Nun war sie eine Dryade, an einen alten Weinstock gebunden, mit dem sie sich versehentlich vereinte, während sie gemeinsam auf Reisen waren. Zwischenzeitlich wies die Pflanze eine stattliche Größe auf und besaß nun annähernd die Form einer viel zu groß geratenen Schubkarre mit Klohäuschen.

Mit Zeltplanen ausgestattet, diente sie der Crew auch als transportables Krankenlager, das von Hirikos Oger geschoben und überwiegend von seinem Astrogator, Sven Erikson, genutzt wurde, der durch die Anwendung seiner neuen Zauberfähigkeiten immer wieder am Rand eines Körperkollaps gestanden hatte.

Sven war zurzeit wieder nicht ansprechbar, jedoch dieses Mal nicht, weil er sich verausgabt hatte, sondern wegen Hiriko. Sie hatte ihn - wie drückte sie es doch gleich aus?- in ihr Heim eingeladen und die daraus resultierenden Folgen nicht bedacht. Koschkin hätte es schlicht als Folge weiterer Zauberei bezeichnet, doch wie man es auch nannte, nun bestand sein Astrogator nur noch aus einem Gesicht, einem Arm und einem Bein aus Holz, die aus Tanakas Pflanze ragten, während sein Verstand im Inneren des Dryadenheims feststeckte.

Nachdem Hiriko schockiert von der Auswirkung ihrer Tat mit ihrem Klokarren überhastet in See gestochen war, um andere Dryaden um Rat zu fragen, kehrte sie schließlich mit einem arg zerrupften Weinstockstrunk zurück, den ihr Oger wie einen Tragekorb auf dem Rücken trug, aus dem Svens Extremitäten wie durch ein Wunder weiterhin unversehrt hinausragten. Gekrönt wurde dieser skurrile Pflanzenrucksack von einigen großen Farnwedeln, die zu einem weiteren Dryadenheim gehörten.

Der darin lebende andere Naturgeist hieß Nirilis und teilte die nudistische Einstellung aller Nymphen. Sie war die erste Dryade, die sich den Astronauten anschloss. Die Vorstellung, dass diese Entscheidung über den Gedanken der Völkerverständigung hinausging und einen sehr esoterischen Touch hatte, versuchte Koschkin geflissentlich zu verdrängen.

Da Sven innerhalb dieses Gebildes zwar für ihn und alle anderen unerreichbar, aber nach Hirikos Beteuerung sicher war, hatte sich die Dryade zunächst aufgemacht, ihren ehemaligen Bordarzt wiederzufinden. Oder das, was von ihm noch existierte.

Das mit Tilseg war eine weitere Sache, die sich Borisʼ Begreifen entzog. Doch war es unbestreitbar, dass die Persönlichkeit von Till Segschneider, des deutschen Mediziners seiner Schiffscrew, der noch vor der Bruchlandung seines Raumschiffes auf dieser Welt bei einem Unfall auf der Krankenstation verstorben war, wider jeder Vernunft in dem grünen Biogelmenschhybriden weiter lebte, welcher aus dem Menschen und der biologischen Komponente des Schiffssystems entstanden war.

Auf der Erde hätten vermutlich Generationen von Wissenschaftlern versucht herauszufinden, was genau mit dem Doktor geschehen war, aber diese Möglichkeiten hatten sie auf dieser primitiven Welt nicht. Anfangs war ihm das grüne Hybridwesen unheimlich gewesen. Nachdem es aber seine Loyalität zur Crew mehr als einmal unter Beweis gestellt hatte, war es zu einem guten Freund und Kamerad geworden.

Tilseg war es auch, der ihnen die Galeone gebracht hatte. Dabei war der Doktor jedoch selbst irgendwie degeneriert und trieb nun als überdimensionale, vielzellige Amöbe sein Unwesen vor der Küste. Boris wusste, dass Hiriko sich auch am Zustand des Bordarztes die Schuld gab, da sie ihn an Deck einer anderen Galeone zurückgelassen hatte, die von Meerfeen umzingelt war.

Koschkin teilte die Einschätzung seiner Kopilotin in diesem Punkt nicht. Was immer mit dem Doktor passierte, als er auf dem Schiff zurückblieb; die Veränderungen, die zu seiner jetzigen Form führten, waren vermutlich von ihm selbst ausgegangen.

Wie Tilseg sich das Unterwasservolk vom Hals gehalten hatte, das ihrer Gruppe auflauerte, sobald sie sich aufs Wasser trauten, um sie in die Tiefe zu reißen, war nach Borisʼ Einschätzung die wichtigste Information, die der grüne Arzt besaß. Bisher mussten sie die Entführten gegen Vieh wieder aus ihrem kalten Gefängnis auslösen oder riskieren, dass ihre Kameraden von den Meerfeen an irgendein Meeresungeheuer geopfert wurden.

Vielleicht könnte Tilsegs Methode ihnen dabei helfen, das vermaledeite Territorium der Amazonen endlich hinter sich zu lassen, um in das Land zu reisen, aus dem die Vorfahren der hiesigen Menschen kamen. Koschkin fluchte bei diesen Gedanken, worauf Fang ihr Gespräch wieder aufnahm.

„Ich mache mir auch Sorgen um Hiriko, Sven und Tilseg.“

Der Kommandant nickte nur. Sorgen machte er sich auch um seine Kameraden, doch gerade Tilsegs Zustand war bedenklich und erinnerte ihn zu stark an die Geschehnisse an Bord seines alten Raumschiffs, der Sirius7, als sie mithilfe des Hyperraumantriebs hierherkamen und das Biogel - eigentlich Teil des organischen Supercomputers an Bord - den Schiffarzt angegriffen und übernommen hatte. Er wusste nicht allzu viel von Biotechnik, doch war das Biogel ursprünglich eine genmanipulierte Algenart gewesen, die zu einem komplexem Computersystem hochgezüchtet worden war und die Fähigkeit besaß, synapsenähnliche Verbindungen zwischen den einzelnen autonomen Zellen des Gels zu generieren, um so gewaltige Rechenoperationen durchzuführen. Diese Verbindungsfähigkeit war auf der Krankenstation nach dem Bruch des Biogeltanks außer Rand und Band geraten und hatte den Bordarzt überwältigt und infiziert. Boris hatte gelegentlich immer noch Albträume, in denen er immer und immer wieder die Entscheidung treffen musste, einen Freund verloren zu geben und ihn bei lebendigem Leibe zu verbrennen.

Aber selbst die von ihm schweren Herzens eingeleitete Notdesinfizierung der Krankenstation hatte es nicht aufhalten können. Und das hieß etwas, da die Notsysteme alles, was sich auf der Station befand, durch ein extremes Hitzeinferno vernichtet hatten. Die Flammenwalze hatte wirklich alles in der beschädigten medizinischen Abteilung und dem angrenzenden Laboratorium zuverlässig in Asche verwandelt, inklusive des Biogelsystems der Sirius7 und des Körpers von Segschneider.

Alles, außer der Keimzelle, aus der sich Tilseg neu entwickelt hatte, wie er nun wusste.

Sollte das Biogel wieder angefangen haben, auf die erste Art und Weise andere Lebewesen zu befallen, wie den Doktor damals, würde nichts auf dieser Welt dem etwas entgegensetzen können. Was würde dann aus diesem Planeten werden? Wäre dann alles und jeder Tilseg, oder was würde dabei geschehen?

Der Russe schauderte bei diesem Gedanken. Faqech schien das Unwohlsein ihres Gefährten zu spüren.

„Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass Ashley zurück ist.“

„Wirklich? Das ging ja schnell.“

„Ja, sehr schnell.“

„Hatte sie Erfolg?“

„Sie hat nicht viel gesagt, schien mir aber nicht in bester Stimmung.“

„Das ist sie doch nie.“

„Stimmt. Aber sie hat auch die gefangenen Kriegerinnen wieder mitgebracht. Der Clan der Klippenläufer wollte sie nicht, da sie zu anderen Clans gehören.“

Koschkin nickte. Einige Amazonen hatten sich den Astronauten angeschlossen, andere sich ihnen in den Weg gestellt. Die verletzten Überlebenden dieser Konflikte hatten sie kurzerhand mitgenommen, um sie wieder gesund zu pflegen. Schon alleine aus humanitären Gründen fühlten sie sich dazu verpflichtet. Ihr Verhalten hatte aber zunächst regelrechten Unglauben bei ihren Gefolgsleuten ausgelöst, die nicht verstanden, warum man jemand, der einem feindlich gegenübertrat, anschließend half. Gnade gegenüber dem Feind war für die Menschen hier fremd.

Da etliche der Orks und Goblins jedoch in ihrem Sklavendasein auch als Arenakämpfer missbraucht worden waren, verstanden sie gut, dass nicht jeder, der kämpft, es freiwillig tut, und waren den Anweisungen seiner Crew gefolgt. Die Menschen akzeptierten schließlich, dass dies eine grundsätzliche Einstellung, ein elementarer Aspekt der Astronauten war und taten es ihnen gleich. Jedenfalls viele von ihnen. Koschkin schätzte, dass sich ihnen in der Zwischenzeit mehr als zweitausend Personen angeschlossen hatten. Die befreiten Sklaven hingegen stellten nur noch etwa zehn Prozent dieser Masse dar.

Der schnelle Zuwachs ihrer Gruppe sorgte für interne Spannungen. Gerade jetzt, wo ihre Reise stockte, zeigte sich, dass Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede und individuelle Besonderheiten unter ihren Leuten immer wieder zu Streitigkeiten führten. Noch hielt es sich in Grenzen, doch mussten sie der Entwicklung entgegensteuern, sollten dem Clan der Astronauten daraus auf Dauer keine größeren Probleme erwachsen.

Das war einer der Gründe, warum sie dafür sorgten, dass Menschen, Orks und Goblins wenn möglich gemeinsam arbeiteten und nicht untereinander blieben. Doch die Sprachbarriere war ein gravierendes Hindernis bei der Völkerverständigung. Fang hatte Commen hervorragend erlernt, seit sie sich kennengelernt hatten. Und er selbst konnte sich auch auf Goblinisch ausdrücken, aber bei weitem nicht so gut. Westländisch, wie die Menschen ihre Sprache hier nannten, verstand er hingegen kaum.

Viele andere, ja sogar die überwältigende Mehrheit der Leute, sprach nur ihre eigene Muttersprache. Aber daran arbeiteten sie, indem sie Sprachkurse gaben. Commen sollte die Hauptsprache der Astronauten werden. Doch das war noch ein weiter Weg.

Koschkin seufzte. Sie hatten so viele Probleme und kaum Lösungen. Faqech ließ ihm Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Egal, er musste einfach eins nach dem anderen angehen und darauf vertrauen, dass seine Crew das Richtige tat. Noch einmal seufzte er, dann wandte er sich der zierlichen Goblinin zu.

„Na gut, lass uns gehen und hören, was Ashley erreichen konnte.“

2. Hiriko

Zwei schlanke Körper glitten mühelos und schnell durch die Wassermassen, die sie umgaben. Der ausgedehnte Meeresarm war groß und zerklüftet, sodass ihr Ziel viele Möglichkeiten hatte sich zu verbergen und sich genau da aufzuhalten, wo sie gerade nicht waren. Während die beiden Dryaden gelegentlich verlangsamten, um sich suchend umzublicken, umrahmten grüne Haare ihre besorgten Gesichtszüge, die im Wasser ein seltsames Eigenleben zu führen schienen, so sanft, wie sie sich bewegten. Beschleunigten die beiden Naturgeister wieder, lösten sich einige kleine Gasbläschen von ihren Mähnen und strebten der gut zwanzig Meter höher liegenden Wasseroberfläche entgegen.

„Hiriko!“ Nirilisʼ Stimme schallte durch das zwielichtige Nass, als wäre es Luft, und ließ die schnell schwimmende Dryade in die Richtung ihrer Freundin blicken. Diese fuchtelte mit ihren Armen und deutete dabei in eine spezielle Richtung, während sie weiter rief: „Da unten, ist das Ding da das, was wir suchen?“

Tanakas Blick folgte dem Fingerzeig und entdeckte nun auch einen großen, grünen, wabernden Klumpen, der träge durchs Wasser trieb und sich mit einigen gemächlich schlagenden Tentakelauswüchsen vorwärts bewegte.

„Ja, ich glaube schon“, entgegnete sie unsicher.

Irgendwie hatte sie gehofft, dass die Beschreibung von Tilsegs Zustand übertrieben gewesen wäre und schauderte nun innerlich, als sie auf das unförmige Wesen unter sich zusteuerte. Zwei Armeslängen von dem Etwas, das vielleicht Tilseg war, beendete die Dryade ihre Annährung und starrte das unförmige Ding an, das zu ihrem Entsetzen zurückstarrte.

Der Leib der Kreatur war unförmig und massiv. Viel voluminöser, als es sich Hiriko vorgestellt hatte. Inmitten der grünen Masse, die ebenfalls anhielt, als sie die Dryade erblickte, saß ein menschliches Auge. Tilsegs Auge!

Sie hatte ihn tatsächlich gefunden. Schuldgefühle und Freude rangen in ihrem Inneren miteinander, bis sie sich zu einem vorsichtigen ‚Hi, durchringen konnte.

Der Klumpen reagierte nicht, glotzte sie aber weiter an.

„Hallo Tilseg, erkennst du mich?“

Das Ding näherte sich langsam, Hiriko wich zurück.

„Es wäre mir lieber, wenn wir erstmal nicht kuscheln. Ja?“

Das Wesen verformte sich unablässig, hielt aber schließlich an, ohne eine wirkliche Form auszuprägen. Sie stoppte ebenso.

„So ist besser.“

„Sei vorsichtig“, mahnte Nirilis.

„Bin ich doch.“

„Ich finde, das Ding sieht gefährlich aus.“

„Ich halte doch Abstand. Das ist ein Freund von mir, der Hilfe braucht. Du musst keine Angst haben, er wird mir bestimmt nichts tun!“

Wie um ihre Worte Hohn zu strafen, schoss plötzlich ein Tentakel aus dem Leib des Grünen, als Hiriko ihren Blick von ihm abwandte, um ihrer Freundin aufmunternd zuzulächeln.

„Nein!“ Nirilisʼ Schrei schallte durch das Wasser, doch es war zu spät. Unter den ungläubigen Blicken der Nymphe drang die Spitze der Tentakel in den Bauch ihrer Freundin ein.

Zwischenspiel

Angestoßen durch den sanften Wind klapperte das mannshohe Messergras leise. Einige unvorsichtige und zu tief sirrende Fliegen verloren einzelne Extremitäten oder gar das Leben in den scheinbar sanften Wogen, wenn die rasiermesserscharfen Pflanzen ihre Körperteile mühelos durchtrennten. Doch hier gab es genug von ihnen, selbst wenn sie zu Hunderten starben, denn das Nahrungsangebot inmitten der scharfen Pflanzen erwies sich als ausgesprochen reichhaltig. In einem weitläufigen Kreis von rot bemalten Totems in Form überdimensionierter Orkköpfe befand sich eine Fläche, die frei von schneidenden Gewächsen war. Ein Dorf, in dem einmal fast zweihundert Orks lebten, befand sich dort.

Nun waren alle tot. Jeder.

Weder Männer noch Frauen noch ihre Kinder hatten der dunklen Zauberei etwas entgegenzusetzen gehabt. Selbst das Vieh lag tot in den Pferchen. Nur Legionen von Fliegen, die sich über die hier allerorts herumliegenden Kadaver hermachten, schienen dort zu existieren und feierten eine gewaltige Party. Doch ein Ork lebte noch zwischen den gedrungenen Behausungen. Die einsame Gestalt beachtete die Toten nicht, denen sie das Leben geraubt hatte, und ignorierte auch die Fliegen, die mit ihr im Schutzkreis eingeschlossen wurden, als der Zauber begann.

Konzentriert rezitierte der Ork fremdartige Worte, die ihm ein unsichtbarer Dritter flüsterte. Der Geist in der Lampe, der ihm mit lautloser Stimme zusäuselte, wie die magischen Worte lauteten, die nötig waren, um einen Dämonen zu beschwören, erfüllte keine Wünsche, sondern war eine gefangene und versklavte Seele. Eine dunkle Seele, die einst ein Magier gewesen war.

Der Geist nannte sich Magister Ingbold und leitete den Orkschamanen durch den für ihn ungewohnten Zauber, bedacht, keine Fehler zu begehen. Beschwörungsfehler waren tödlich und hatten darüber hinaus unkalkulierbare Risiken. Doch das war nicht der Grund, weshalb der Zauberer sich solche Mühe gab. Noch brauchte er den Ork. Aber Freunde waren er und der Schamane bestimmt nicht.

Nicht nur, dass der Magister die Spezies seines Knechtmeisters für minderwertig und Schamanismus für überflüssiges Beiwerk der Zauberei hielt. Auch die Tatsache, dass dieser spezielle Orkschamane der Lehrling des Lehrlings seines eigenen Schülers war, verbreiterte den unversöhnlichen Abgrund zwischen ihnen. Dieser Schüler hatte ihn verraten, für sein vorzeitiges Ableben gesorgt und ihn so kurz vor Beendigung seines Lebenswerks dazu verdammt, eine Existenz als Spuk zu führen.

Dass Gregar, wie sein Peiniger sich selbst nannte, ihn außerdem schon mehrfach gefoltert hatte, seit seine dreckigen Halbmenschenfinger die Lampe des Magisters betatschten, sorgte ebenfalls nicht gerade dafür, dass er dem Ork in irgendeiner Weise wohlgesinnt war. Dass das Wissen, welches der Schamane dabei anwandte, von ihm selbst stammte, empfand der Magister zu allem Überfluss als unerträgliche Schmach und schändliche Ironie des Schicksals, die baldigst korrigiert werden musste. Der gefangene Magier hätte nur zu gerne den ein oder anderen kleinen Fehler in die Zauberformel eingewoben, um dem Ork zu schaden. Doch noch brauchte er ihn für seine eigenen Ziele. Noch hatte er Hoffnung, den Halbmenschen davon zu überzeugen, ihn aus der unscheinbaren Öllampe zu befreien, die sein Seelengefäß und Gefängnis war.

Doch damit sein verhasster Herr ihm dabei half, seinem Gefängnis zu entkommen, musste er sich als nützlich erweisen, um weiter das Vertrauen des Schamanen zu erlangen.

3. Boris

Gemeinsam gingen Fang und Boris zu ihrem ausgedehnten Lagerplatz am Ufer des Flusses, dessen Wasserfall ins Meer von Ashley eingeebnet wurde, und suchten die Amerikanerin. Die Blondine saß mit einigen anderen Frauen an einem Lagerfeuer, aß etwas und unterhielt sich dabei in der Sprache der einheimischen Menschen.

Nicht weit davon entfernt wimmelte ein Rudel Säbelfanten im Schatten einiger vereinzelt stehender Bäume. Die Tiere sahen in Koschkins Augen aus wie Säbelzahntiger, die in einem Schuppenkleid aus kleinen Panzerplatten steckten und einen kurzen Elefantenrüssel besaßen.

Die meisten dieser großen Raubtiere gingen Boris bis zur Hüfte oder sogar bis zur Brust, doch zwei Exemplare waren deutlich größer. Diese besaßen die Dimension eines Ochsen und waren furchteinflößende Gegner. Das wusste er aus eigener Erfahrung.

Eine der Frauen in Ashleys Begleitung bemerkte ihn und Fang als Erste. Der Rotschopf hob grüßend den Arm und machte so auf ihn aufmerksam. Diese Kriegerin gehörte, wie alle Frauen, die dort am Feuer saßen, zu den Amazonen, die sich ihnen während des Durchzugs der Astronauten durch die Territorien der Clans angeschlossen hatten, und war gleichzeitig die erste Amazone, auf die Ashley gestoßen war.

Dass seine Kameradin die Clanfrau bei dieser Gelegenheit fast totgeschlagen hatte und sie nun zu ihnen gehörte, machte ihm ein wenig Hoffnung, wenigstens noch so lange mit den Amazonenclans Frieden zu halten, bis sie hier weg waren, da die Rothaarige nicht nur eine einfache Kriegerin des Clans darstellte, sondern auch die Thronfolgerin der Wogenden Wipfel war.

Andererseits fanden die Clanfrauen es bestimmt nicht lustig, dass ihre Prinzessin sich von ihnen abgewandt hatte. Ein ernüchternder Gedanke.

„Wenn das mal nicht der blöder Kater ist!“

Ashleys Stimme war laut und klar zu verstehen, als sie ihn auf diese Art begrüßte. Doch Koschkin hätte selbst dann gewusst, dass diese Worte von ihr stammten, wenn sie von jemand anders niedergeschrieben worden wären, da nur sie ihn so nannte. Leise fluchte der Russe. Er hätte ihr nie verraten sollen, was sein Nachname wirklich bedeutete.

„Hallo Ashley“, erwiderte er, ohne weiter darauf einzugehen. „Wie waren die Verhandlungen?“

Als Antwort fluchte nun die Blondine, bevor sie erwiderte: „Die Königin der Klippenläufer ist noch starrköpfiger als du. Man hat uns noch nicht einmal hineingelassen.“

„Also hast du nichts erreichen können?“

„Das habe ich nicht gesagt!“

Ihre scharfe Zurechtweisung ließ ihn verstummen und von weiteren vorschnellen Fragen Abstand nehmen. Ashley fuhr fort: „Was unseren Aufenthalt hier anbelangt, so ist der geritzt. Aber unsere Gefangenen wollten sie immer noch nicht haben. Genauso wenig wie sie uns Patrouillen erlauben wollen. Darüber reden wir gerade. Ronja meint, dass an der Burg der Klippenläufer irgendetwas nicht stimmt. Sie haben zwar großspurig getan, doch das Gemäuer wirkte irgendwie heruntergekommen.“

„Gemäuer?“ Koschkin war so erstaunt über die Wortwahl seiner Ingenieurin, dass er seinen guten Vorsatz kurzzeitig vergaß.

„Ja, Gemäuer. Bist du blöd? Die Festung wirkte ziemlich hinüber. Jetzt kapiert?“

Da ihr selbst wohl nicht bewusst war, dass sie ungewohnte Worte nutzte, hielt es Boris für besser, nicht weiter darauf einzugehen und den Mund zu halten.

„Wir diskutierten gerade, ob wir das Verbot ernst nehmen können und ob es besser ist, Patrouillen auszusenden oder nicht. Die Klippenläufer scheinen sich in ihrer Steinfestung eingeigelt zu haben. Unterwegs sind wir niemandem begegnet. Selbst die beiden Dörfer, die wir passierten, waren leer, ähnlich wie die am Fluss.“

„Meinst du, sie haben auch diese vorsorglich ausgesiedelt, damit die Männer nicht zu uns überlaufen können, oder gibt es einen anderen Grund, den wir nur noch nicht kennen?“ Fangs Miene zeigte deutlich ihre Beunruhigung.

„Beides möglich“, antwortete Ashley ihr. „Aber ich weiß nicht. Irgendwas ist hier faul!“

Während die Blondine nun fluchte, ergriff Ronja das Wort.

„Die Klippenläufer haben den Ruf aggressive Kriegerinnen zu sein. Ihr Verhalten passt nicht dazu.“ Ihre Aussage wurde vom Nicken der anderen Frauen unterstützt.

„Na gut, wir sollten vorsichtig sein. Aber wenn sie sich wirklich zurückgezogen haben, sollten wir das Risiko eingehen, sie zu verärgern und tatsächlich Patrouillen ausschicken.“ Die Frau, die dies sagte, kannte Koschkin nicht.

„Schön und wenn sie schon unterwegs sind und was zu jagen finden, sollen sie es gleich mit nachhause bringen. Ronja und ich werden uns auch einer Patrouille anschließen, sobald Hiriko mit den Säbelfanten geredet hat. Wo ist sie eigentlich?“

„Sie ist immer noch auf der Suche.“

Faqechs Antwort löste einen weiteren Fluch bei der Blondine aus, bevor sie erwiderte: „Na hoffentlich bekommt sie das bald auf die Reihe. Die Säbelfanten verhalten sich zwar friedlich, solange Ronja und ich bei ihnen sind. Aber die Gerüche der vielen Leute machen sie nervös. Als wir bei den Klippenläufern waren musste der Tross knapp hundert Meter Abstand halten. Und auch als wir am Tor verhandelten, blieb Ronja abseits bei dem Rudel, um keine Zwischenfälle zu provozieren.“

„Wir hoffen alle, dass Hiriko bald wieder zurückkommt und auch dass sie erfolgreich ist. Wir werden Geduld haben müssen.“ Faqech Miene spiegelte völligen Ernst wider. Koschkin nickte bei den Worten der kleinen Schamanin, doch Ashley fluchte erneut.

„Genau das ist der Punkt! Mir geht die Geduld aus. Es geht mir hier alles viel zu langsam!“ Wieder fluchte sie. „Na gut. Solange Hiriko beschäftigt ist, werden Ronja und ich ein paar Jagdexpeditionen starten. Karl ist besorgt, wie schnell unsere Lebensmittelvorräte schwinden. Und die Tiere der Herden brauchen wir vielleicht noch für die Meerfeen, wenn dein Plan mit dem Boot nicht aufgeht.“

„Es wird funktionieren! Die Piroge werden sie nicht so schnell versenken können. Wie sonst erklärst du dir die Tatsache der vielen Schiffe, die im Seeschling gefangen sind? Hätten die Meerfeen die Möglichkeit so große Schiffe zu versenken, hätten sie das auch getan.“

„Kann sein“, lenkte Ashley ein. „Wann geht es los?“

„Die Reparaturen sind fast abgeschlossen. Morgen könnten wir das Schiff mit Proviant beladen und danach in See stechen.“

„Und dann darfst du dich wieder als Kommandant eines Schiffes fühlen!“

Ihr ätzender Kommentar schmerzte ihn tatsächlich, aber er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen.

„Darum geht es nicht. Die Erkundung ist genauso wichtig wie die Jagd! Wir müssen hier weg, bevor sich die Amazonen gegen uns stellen. Du weißt genau, dass wir den vereinigten Clans nichts entgegenzusetzen haben.“

„Das ist deine Meinung!“ Ashley tätschelte den steinernen Kopf ihres Hammers. „Die werden genauso eins auf die Fresse kriegen wie die anderen!“

„Wo du sie schon erwähnst“, nahm Fang den Faden auf. "Was machen wir nun mit den Gefangenen? Die Klippenläufer wollten sie nicht, doch sind ihre Verwundungen ausgeheilt.“

„Und es sind einige zusätzliche Mäuler, die zu stopfen sind“, pflichtete Koschkin bei. „Lassen wir sie selbst entscheiden, wohin sie gehen wollen.“

„Wir haben keinen Grund sie weiter festzuhalten“, meinte Faqech.

„Gut, sehe ich ähnlich. Wenn sie gehen wollen, sollen sie gehen, solange sie ihr Wort als Clanfrauen geben, friedlich abzuziehen.“

Da Fang und Ashley seine Meinung teilten, war das nun beschlossene Sache.

„Wer sagt es den Gefangenen?“

„So was Blödes kann auch nur von ʼnem dummen Kater kommen! Natürlich derjenige von uns, den die Frauen verstehen können. Du kommst schon mal gar nicht in Frage. Und Fang?“ Ashley schaute die Schamanin geradeheraus an. „Sie lernt schnell, aber zum richtigen Reden reicht es noch nicht. Also bleibt ja nur einer von uns übrig. Ich rede mit ihnen, sobald ich aufgegessen habe. Und nun troll dich. Die Mädels und ich haben noch was zu besprechen.“

4. Hiriko

Die Tentakelharpune überwand die Entfernung zwischen ihnen in Sekundenschnelle und bohrte sich tief in Tanakas Körper.

„Nein, nein, nein“, schrie Nirilis entsetzt und immerzu, außerstande einzugreifen.

Ein überraschtes ‚Aua‘ Hirikos eigene, erste Reaktion, als sie auf die Einstichstelle blickte, den Schmerz und das Brennen bemerkte.

Alles geschah so schnell, dass Hiriko gar nicht erst mit einfachem Entstofflichen reagieren konnte. Doch nun stellte sie fest, dass sie die Stelle, in der Tilsegs Tentakel steckte, nicht länger verändern konnte. Wie war das möglich? Sie war doch ein Naturgeist.

Heiß brannte der Stachel in ihrem Körper, als sie reflexartig nach Tilseg griff und Kontakt herstellte.

„Hab es! Hab es!“

Gierige Zufriedenheit war alles, was sie von dem Wesen spürte. Wo war Tilseg? Wo waren Verstand und Herz des grünen Knuddelbärs?

„Hab es! Hab es!“

Irgendwo da musste auch er sein.

„Hab es! Hab es!“

Sie musste es nur anders betrachten.

„Hab es! Hat sie!“

Da! In den Wirren der Lebensimpulse war er endlich. Wirr und schwach, aber da.

„Tilseg!“

„Hat sie! Rechnen, hat sie.“

Das Brennen in ihrer Brust wurde schlimmer aber sie wollte den Kontakt noch nicht aufgeben

„Tilseg, spürst du mich?“

„Hat sie! Rechnen, hat sie.“

Während sie tiefer in sein Bewusstsein eindrang, revanchierte sich sein außer Kontrolle geratener Körper ebenfalls mit weiteren Vorstößen in ihren Leib. Ein Schrei quoll aus ihrer Kehle, als sie weiter an dem Bewusstsein ihres Freundes zupfte, während das Biogel begann, ihren Leib zu übernehmen. Zelle für Zelle, Stück für Stück.

„Nein, nein, das darf nicht sein. Hiriko, oh nein.“ Nirilis schwamm panisch um die beiden ungleichen Wesen, die wie mit einer Nabelschnur durch die einzelnen Tentakel verbunden waren.

Hiriko schrie, sie weinte. Dann schrien beide. Brüllten ihre Angst, Ohnmacht und Verzweiflung in die Weiten des Meeres, während sich ihre Tränen mit dem Wasser mischten.

Zwischenspiel

Der Drache Wargiriuns-Aranarich-Deregal-Merac-Argon folgte zielstrebig dem Fluss, der sich unter ihm dahin schlängelte. Irgendwo in den Windungen des Gewässers befand sich das, was er suchte.

Es war kein Gegenstand, den er als seine Beute erkoren hatte, sondern eine Person, genauer ein Mensch. Aber nicht irgendeine von ihnen wollte er in die Klauen bekommen, sondern ein ganz spezielles Weibchen.

Eine Frau mit blondem Haar, bewaffnet mit einem großen steinernen Hammer und auf einem Raubtier reitend, das die Menschen Säbelfanten nannten.

Wer das majestätische Geschöpf so durch die Lüfte gleiten sah, wäre nicht auf den Gedanken gekommen, dass es sich bei dem Ungetüm um eine Amazonenkönigin handeln würde. Der Drache war die Königin vom Clan der Drachenklauen, einem Amazonenclan, der sich aus den Trümmern eines anderen erhoben hatte, nachdem er die damalige Monarchin verspeist hatte, die Jagd auf ihn machen ließ.

Seine Herrschaft war kompromisslos.

Wer ihm nicht folgte, musste gehen oder wurde verspeist. Doch ließ er den Frauen unter seiner Herrschaft mehr Autonomie und Freiheit, als es manch anderer Clan zulassen würde, was den Drachenklauen wenig Liebe von den anderen Clans einbrachte, da diese sich neben der Tatsache, dass sie einen Drachen als ihre Königin anerkannten, in einigen Punkten unterschieden.

Auch die Drachenklauen praktizierten eine Trennung zwischen Mann und Frau, doch war es den Kriegerinnen erlaubt, sich Männer zu erwählen und mit ihnen zusammen zu leben. Gleichberechtigt waren jedoch auch diese Paarungen nicht.

Es gab Tage, da bereute Wargiriuns-Aranarich-Deregal-Merac-Argon es, sich zwischen Menschen niedergelassen zu haben. Zu seltsam und unsinnig wirkte ihr Verhalten. Doch die Vorteile, eine Königin zu sein, waren auch nicht zu verachten. Zufriedenheit stieg in ihm auf, als er an seinen ständig wachsenden Hort dachte, den die Frauen für ihn zusammentrugen.

Das war eine gewisse Mühe wert, beschloss der Drache. Also hatte er sich herabgelassen, zur großen Versammlung der Amazonenclans, ihrem Kurtai, zu kommen, und sich angehört, was die kleingeistigen Menschen zu bereden hatten. Wenn das stimmte, was sie berichteten, war dieser neue Clan der Astronauten tatsächlich gefährlich.

Doch das war er auch! Also machte er sich wegen ihnen keine Sorgen.

Die Berichte über die Königin dieses Clans, die auch Herrin der Säbelfanten genannt wurde, hatte ihn allerdings neugierig gemacht.

Das ständige Mittelmaß der Menschen langweilte ihn, doch diese Frau schien besonders zu sein. Mit leichtem Bedauern dachte er daran, dass er sie vielleicht würde töten müssen, sollte sie tatsächlich Tote beschwören und ähnliche Verbrechen begehen, wie sie ihr zur Last gelegt wurden. Aber zunächst würde er sie finden und mit sich nehmen.

Hatte er seine eigene Neugier dann gestillt, würde er sie schließlich dem Kurtai übergeben. Die dort getroffenen Entscheidungen müsste auch er befolgen, wenn er nicht den Status seines eigenen Clans riskieren wollte.

Diese Möglichkeit aber war für ihn gänzlich ausgeschlossen, denn dann wäre sein Hort in ernster Gefahr. Das aber würde kein Drache je freiwillig zulassen!

5. Sven

Sven Erikson hockte auf einem Tisch. Neben ihm saß sein Freund und Lehrmeister Lektor Ingbold mit baumelnden Beinen. Gemeinsam beobachteten sie eine mannsgroße, tiefschwarze Schattenkatze, die gerade im Begriff stand, einen ebenso beschaffenen Negativabdruck eines Gehirnes mit wild zappelnden Nervensträngen am Hirnstamm zu verspeisen. „Ich glaube, ich verstehe langsam Euren Zauber, den Ihr gewirkt habt, um dieses Kätzchen zu erschaffen.“

„Wirklich? Dann können Sie es mir hoffentlich auch erklären. Denn ich weiß ehrlich gesagt immer noch nicht, warum es weiter größer wird, doch die Zauber, die von Ihnen abgefallen sind, nicht. Ebenso wenig wie den Bannspruch, den ich erschaffen habe, um Sie von den anderen Zaubern zu befreien.“ Dabei deutete der Norweger in eine Ecke des kleinen Raumes, in der ein handflächengroßes zwölfbeiniges spinnenartiges Schattengeschöpf hockte und wie erstarrt wirkte.

„Da kann ich Euch eventuell weiterhelfen, mein Freund. Ich denke, es liegt an der Art, wie Euer Zauber funktioniert, in Kombination mit den Eigenschaften dieses Raumes.“

„Wären Sie dann so freundlich, mich zu erleuchten, verehrter Lektor?“

„Aber mit Vergnügen. Wie Euch schon trefflich aufgefallen war, ist Euer Zauberkätzchen der einzige Spruch, der anwächst, wenn er die anderen Zaubersprüche verschlingt. Seine Wirkungsweise scheint darauf zu beruhen, jeder Zauberspruchmatrix solange Mana zu entziehen, bis diese in sich zusammenbricht.“

„Und durch die Aufnahme des so gestohlenen Manas wird der Zauberspruch stärker.“ Sven nickte verstehend. „Ich glaube, Sie haben tatsächlich die Erklärung dafür gefunden, warum nur die Katze wächst. Die anderen Zaubersprüche dienten dazu, Ihre Erinnerungen und Handlungsmöglichkeiten einzuschränken.

„Ja“, bestätigte der Lektor. „Jedenfalls soweit wir es bisher herausgefunden haben. Neues Mana sammeln sie dabei jedoch nicht.“

„Aber wieso greift die Katze nicht meine vielbeinige Spinne an? Das verstehe ich nicht.“

„Das, mein Freund, ist eine gute Frage, die auch mich beschäftigt. Warum dieser Bannspruch Euren anderen Zauber ausgespart hat, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Vielleicht weil sie beide von Euch stammen oder weil Euer Kätzchen durch seine Zaubermatrix nur bestimmte Arten von Zaubersprüchen jagt.“

Sven dachte eine kleine Weile über die Worte seines Lehrers nach. Irgendwie war es immer noch seltsam, dass er sich Auge in Auge mit Ingbold unterhalten konnte. Schließlich war Ingbold eigentlich ein Geist. Genau genommen sogar nur ein Seelenfragment eines abtrünnigen Magiers der Sieben Türme, der in einem kleinen, runden Schmuckstück eingekerkert war und nur mit Personen interagieren konnte, die dieses Kleinod berührten. Seit Hiriko ihn jedoch in ihren Weinstock hineingezogen hatte, um ihm diesen Raum zu zeigen, befand sich nicht nur er selbst, sondern auch der Lektor plötzlich im Inneren des Dryadenheims. Gefangen im Holz saßen sie hier nun fest.

„Sie haben recht. Beides scheint auch mir möglich. Man könnte es testen, indem Sie oder ich einen weiteren Zauber wirken, um zu sehen, wie die Katze darauf reagiert.“

„Ihr habt einen wachen Verstand, mein Freund. Doch fürchte ich, dass Eure Freundin uns strikt verboten hat weitere Zaubersprüche zu wirken. Davon abgesehen besitze ich schon seit langem keine Zauberkraft mehr.“

„Stimmt. Hiriko war nicht begeistert, als sie die Zauber gesehen hat. Davon abgesehen geht es mir ähnlich wie Ihnen. Ich habe mittlerweile Erfahrungen, wie es sich anfühlt, wenn man es mit der Zauberei übertreibt. Die beiden Bannsprüche haben mich definitiv an diese Grenze geführt. Meinen Sie, dass die Regeneration von Zauberkraft, so wie Sie mir den Vorgang erklärten, auch hier funktioniert?“

„Ich enttäusche Euch nur ungern, doch entzieht sich dies meinem Kenntnisstand. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass Dryaden überhaupt zu so etwas in der Lage wären. Dass sich Zaubersprüche auf diese Art und Weise verstofflichen können, ist eine völlig neue Erkenntnis für mich. Der Wissenschaftler in mir ist völlig außer sich, wenn ich darüber nachdenke.“

„Wirklich? Und was bringt Sie so aus der Fassung?“

„Mein Freund, Ihr steht noch am Anfang Eurer Reise durch die Wissenschaft der Schulmagie, auch wenn Ihr schon einige erstaunliche Leistungen vollbracht habt, die manchen Meister der Zauberkunst erblassen lassen würden. Im Laufe der Jahrzehnte werdet Ihr lernen, wie groß und komplex die Spielarten der Magie doch sind. Aber dies hier“, er deutete auf die Katze, die nun unruhig durch den Raum streifte und sie dabei immer wieder umkreiste, „dies hier eröffnet ganz neue Aspekte, die selbst ich noch nicht beachtet habe.“

„Sie müssen es ja wissen, Lektor Ingbold. Schließlich sind Sie derjenige von uns beiden, der die Berufserfahrung besitzt.“

„Das, mein Freund, ist richtig. Doch muss ich gestehen, dass ich erstaunlich viel Neues erlernt habe, seid Ihr mir erlaubtet, mit Euch zu reisen. Die Zauber, von denen Ihr mich befreitet, haben nicht zugelassen zu erkennen, wie viel ich doch noch nicht wusste von dem, was ich durch Euch und Eure Freunde erleben durfte.“

„Bitte, Ihre Begleitung ist mir eine Ehre.“

„Ich habe es bisher noch nicht getan, aber ich möchte Euch von ganzem Herzen für diese Möglichkeit danken, die Ihr mir geschenkt habt, mein Freund. Eure Hilfe, die Ihr mir zuteilwerden ließet, als Ihr mich von diesen Zaubern befreitet, werde ich nie vergelten können.“

„Oh, aber, ähm..“ Sven wusste gar nicht, was er sagen sollte. So emotional war der Lektor selten, eigentlich sogar noch nie gewesen. Gelegentlich überschwänglich vielleicht, aber nie so offen. „Ja, kein Problem. Habe ich doch gern gemacht.“ Er spürte die Röte in seinem Gesicht aufsteigen und überlegte, wie das nun wieder möglich war, obwohl er doch in einer Pflanze steckte, völlig von seinem Körper getrennt. Oder etwa nicht? „Ich wüsste ja zu gerne, was draußen vor sich geht“, wechselte er schnell das Thema. „Was Hiriko und die anderen wohl gerade machen?“

6. Hiriko

Hirikos Wahrnehmung gefror. Oder war es die Welt, die plötzlich anhielt? Jegliche Bewegung erstarrte. Zunächst festigte sich das Wasser um sie herum zu einem klaren, kalten Kristall, in dem sie eingeschlossen war.

Nirilis schemenhafte Gestalt verharrte in ihrer Bewegung und auch die kleinen Gasbläschen hielten inne. Dann hielt schließlich selbst das Licht an. Es wurde dunkel.

Nun waren sie allein.

Die Kreatur, die Tilseg war, und sie in finsterer Bewegungslosigkeit. Doch dann flutete Licht die Dunkelheit um sie herum und nahm das Brennen und den Schmerz einfach mit, während es sich in ein unendliches Nichts erstreckte.

Im Zentrum des erleuchteten Nichts schwebten nun drei Körper. Zum einen Hiriko selbst. Ihre beiden Begleiter waren grün doch von unterschiedlicher Gestalt. Der eine war ein formloser Klumpen, unentwegt in Bewegung und doch auf der Stelle verharrend. Der andere war ihr Freund und Weggefährte.

Zunächst war sie sprachlos, außerstande zu begreifen, was passierte. Doch die Stimme des Doktors, der ‚Das ist über alle Maßen faszinierend‘ sagte, löste die Barrikade.

„Tilseg!“

Erst jetzt schien der muskelbepackte Glatzkopf sie tatsächlich zu bemerken.

„Hiriko Tanaka?“

Tilsegs Miene zeigte Überraschung, dann Freude und Erstaunen. Hiriko hatte noch nie so viele Gefühlsregungen über die Miene ihres grünhäutigen Freundes huschen sehen, seit er war, wie er war. Schließlich zeigten seine Züge Besorgnis, als er weitersprach.

„Habe ich dir etwas getan? Ich befürchte, ich habe dich angegriffen. Ich bitte dafür vielmals um Verzeihung. Geht es dir gut?“

„Mir? Ja, mir gehtʼs soweit gut“, entgegnete sie verunsichert. „Aber ich hab keine Ahnung, was hier los ist.“

„Faszinierend. Mir geht es genauso.“ Die Stirnfalten des Doktors legten sich in der Art in Falten, wie es Till Segschneider früher immer getan hatte, wenn er über ein Problem nachdachte. Tilsegs Miene war normalerweise weniger aussagekräftig.

„Es tut mir leid“, brach es nun aus der Dryade heraus. „Ich habe vergessen, dass du an Bord geblieben warst, es ist so viel passiert und dann habe ich nicht mehr an dich gedacht.“

„Es gibt keinen Grund, warum du dich entschuldigen musst. Du hast nichts getan. Ich muss mich entschuldigen, dass ich meinen Körper nicht kontrollieren konnte und er dich angegriffen hat.“

„Es freut mich, dass ihr so höflich miteinander umgeht.“

Die kraftvolle Stimme schien aus allen Richtungen auf sie einzudringen und ließ Hiriko erschreckt zusammenzucken. Doch dann regten sich Erinnerungen. Sie kannte diese Stimme vom Tag ihrer Geburt.

„Ein erstaunlicher Effekt. Die Situation wird immer interessanter.“

Tilsegs gelassene Äußerung verwirrte Tanaka, während der grüne Klumpen leise vor sich her blubberte.

„Wer … Wer bist du?“ Emotionen, die ihren Körper überfluteten, gaben die Antwort auf diese Frage. „Bist du es wirklich?“

„Dir ist diese Entität bekannt?“

„Entität? Du meinst …“ Sie brach ab, setzte dann erneut an. „Ähm ja, schon. Auch wenn ich keinen Namen für sie habe.“

„Du darfst mich Mutter nennen, wenn du möchtest, denn alle Dryaden sind ein Teil von mir. Die meisten Völker auf mir nennen mich Lunaria, wenn sie meinen Leib benennen. Doch die Menschen nennen mich auch Luna. Ich überlasse es euch einen Namen zu wählen. So war es immer schon Brauch.“

„Mutter?“

Hirikos Stimme war nur ein Hauch, als sie versuchte zu begreifen, was die körperlose Stimme gerade erzählt hatte. Tilseg fing sich vor ihr wieder.

„Wenn ich das richtig erfasse, deutet Ihr an, dass Ihr diese Welt verkörpert?“

„Ja.“

„Im esoterischen oder religiösen Sinne?

„Ja.“

„Diese Antwort ist unspezifisch, ich konkretisiere: Seid Ihr eine Art Göttin oder wollt Ihr damit sagen, dass der Planet selbst ein Bewusstsein besitzt, mit dem wir gerade in Verbindung stehen?“

„Ja.“

„Diese Antwort bleibt unspezifisch. Darüber muss ich nachdenken.“

„Warum sind wir hier?“ Hirikos Stimme war immer noch schwach, aber klar zu verstehen.

„Das ist eine gute Frage.“ Die Stimme fühlte sich ein wenig wärmer an als zuvor. „Ihr seid hier, weil ich nicht zulassen kann, dass das passiert, was im Begriff war zu passieren.“

„Was ist denn los?“

„Ich habe dich angegriffen“, entgegnete Tilseg auf ihre Frage.

„Nein“, widersprach die Stimme. „Ich weiß, dass du es zu verhindern suchtest. Der Angreifer, um den es geht, schwebt neben dir.“

Zwei Paar Augen richteten sich auf den Klumpen neben Tilseg.

„Doch da ihr beide eins seid, wird meine Entscheidung euch beide betreffen.“

„Eine Entscheidung? Was muss entschieden werden? Und was hat Tilseg überhaupt so Schlimmes getan?“

„Das sagte dein Freund doch bereits.“

„Ich bin schon öfters angegriffen worden, ohne dass du eingegriffen hast. Bis eben dachte ich sogar, ich hätte dich erträumt, als ich wiedergeboren wurde, und jetzt, jetzt bist du plötzlich hier. Ich verstehe gar nichts mehr.“

„Ich glaube, ich kann dir in einigen Punkten weiterhelfen.“ Tilsegs Stimme war weiter ruhig, ja geradezu gelassen, doch seine Körperhaltung zeigte Anspannung. „Seit wir uns hier befinden, kann ich wieder klar rechnen. Erinnerst du dich noch an den Kristall? Du hast mir erzählt, dass irgendetwas durch dich zu ihm, gesprochen hatte. Anschließend ließ der Kristall Ashley Bender gehen, raubte ihr aber ihr Wissen über jegliche Technik der Sirius7 und damit große Teile ihres Lebens.

„Ja, ich erinnere mich gut. Aber ich verstehe trotzdem nicht.“

„Ich habe lange über diesen Kristall, die Vernichtung des Schiffes und Ashleys Schicksal nachgedacht. Mit meinem jetzigen Wissensstand komme ich zu dem Schluss, dass dieser Kristall tatsächlich durch die Technik an Bord der Sirius angelockt wurde. Im Grunde könnte man ihn mit einer Art auf Technik spezialisierte Immunzellen des Planeten vergleichen, die jede technische Entwicklung vernichten, die einen bestimmten Technisierungsgrad überschreitet.“

Hiriko schwieg mit offenem Mund, vergebens bemüht den Ausführungen des Doktors zu folgen.

„Das hast du gut erkannt“, lobte die körperlose Stimme. „Wie lauten deine weiteren Schlussfolgerungen?“

„Ohne die Hintergründe zu wissen, die zu dieser ‚Immunreaktion‘ führten, ist als Folgerung zwingend zu sagen, dass dieser Planet sich offensichtlich aktiv gegen Techniken höheren Komplexitätsgrades wehrt.“

„Na gut, das erklärt, was mit dem Schiff und irgendwie auch was mit Ashley damals passiert ist. Aber was hat das mit dir und mir zu tun?“ Hiriko kam immer noch nicht mit.

„Wenn du es genau betrachtest, ist mein Körper im Grunde ebenfalls ein technisches Produkt. Nur eben kein Erzeugnis auf Grundlage der Maschinentechnik sondern wurde durch Biotechnik hervorgebracht.“ Tilseg machte eine Pause und deutete auf seine unförmige zweite Hälfte. „Dieser Teil von mir ist dem Biogel viel näher als einem Menschen. Ohne die Kontrolle durch mein Bewusstsein laufen primitive grundlegende Programme ab, die in meiner Genstruktur verankert sind. Zellerhaltung, Assimilation und Reproduktion.“

„Aha …“

Tilsegs Berechnungen schienen schneller und schneller abzulaufen, während Hiriko immer größere Probleme hatte, den Gedankengängen des Doktors zu folgen.

„Du, beziehungsweise die Dryaden, scheinen ebenfalls Teil des planetaren Immunsystems zu sein. Vergleichbar vielleicht mit den Helferzellen eines Organismus. Durch den Versuch meines Körpers, dich zu assimilieren, ist Lunaria auf mich aufmerksam geworden.“

„Willst du sagen, du bist eine Art Krankheit?“

„Im planetaren Maßstab, korrekt. Wenn es mir nicht gelingt, die Kontrolle über meine Körper zurückzuerlangen, stelle ich eine immense Gefahr für das gesamte Ökosystem dieses Planeten da.“

„Aber wieso denn?“

„Weil das Biogel außer Kontrolle ist. Es war nie für Einsätze außerhalb seines Tanks konzipiert und sollte eigentlich gar nicht in der Lage sein, längere Zeit in einer anderen Atmosphäre als die, die in Biogenkammern herrscht, überleben zu können.“

„Für so ein winziges Geschöpf besitzt du eine ausgesprochen scharfe Auffassungsgabe. Deine Schlussfolgerungen entsprechen der Wahrheit. Bisher habe ich dein Gefahrenpotenzial nicht erkennen können, da es durch dich verschleiert war. Doch der Übergriff gegen Hiriko und durch den Versuch ihre Zellen genauso zu übernehmen, wie es deine Substanz zuvor bereits mit einigen anderen Tieren tat, hat mir die Wahrheit offenbart.“

„Ich verstehe das alles nicht.“

„Das ist nicht schlimm“, entgegnete die sanfte omnipräsente Stimme der Dryade.

„Ich komme zu dem Schluss, dass ich in meinem Zustand tatsächlich eine ernstzunehmende Bedrohung für dich bin“, wandte sich Tilseg an die körperlose Göttin. „Nach meinen Berechnungen bin ich sogar eine deutlich stärkere Bedrohung, als es die Sirius7 je für dich sein konnte.“

„Richtig. Deine Art der Technik ist mir neu, auch wenn sie mir nicht grundlegend fremd ist.“

„Was wirst du gegen mich unternehmen?“

„Das hängt ganz vom Ausgang unseres Gespräches ab.“

„Nun muss ich mich doch meiner Begleiterin Hiriko Tanaka anschließen. Das verstehe auch ich nicht mehr. Mir ist es bisher nicht gelungen, die Kontrolle über meinen Körper zurückzuerlangen.“

„Das schaffst du schon“, ermutigte Hiriko ihn, doch Tilseg schüttelte nur den Kopf.

„Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit werde ich auch in Zukunft nicht dazu in der Lage sein. Meine Berechnungen zeigen, dass der Risikofaktor für alles andere im Falle meiner Weiterexistenz inakzeptabel hoch ist. Ich komme zu dem zwingenden Schluss, dass das Biogel vernichtet werden muss, um es daran zu hindern, alles Lebende in Biogel umzuwandeln, was es vorfindet. Meine Vernichtung ist daher unumgänglich, um die Sicherheit aller anderen zu gewährleisten.“

„In diesem Punkt irrst du dich. Aber das ist nur zu menschlich. Dir ist es nicht möglich die Zusammenhänge zu überblicken, doch gerade deine soeben gezeigte Bereitschaft, dich für das größere Ganze aufzuopfern, eröffnet dir noch einen anderen Weg.“

Hätte die körperliche Stimme ein Gesicht besessen, so würde dieses jetzt strahlen, so warm und freundlich, wie sie sich nun anhörte. Hiriko hatte aufgegeben zu begreifen, worüber sich Lunaria und Tilseg unterhielten. Doch bei dem Gefühl dieser Worte beruhigte sie sich ungemein. Irgendwie wusste sie nun, dass alles gut werden würde.

Dann spürte sie ein Kitzeln an ihrem Bauchnabel, als sich ein winziger Funke von ihr löste. Seltsam anmutend, doch wunderschön, schwebte er zu Tilseg hinüber, der seine Hand ausstreckte und den Funken mit den Fingern umschloss, nachdem er sich auf seine Handfläche hinabgesenkt hatte.

„Danke“, murmelte der Grüne und lächelte fast selig. „Faszinierend. Ich verstehe.“

Hiriko freute sich einfach nur, auch wenn sie nicht verstand, was Tilseg offensichtlich begriff. Ihr reichte es zu wissen, dass er leben würde. Sie würde ihren Freund nicht verlieren.

Ihren Freund! Natürlich. Sven war ja auch in Not! Wenn ihre Schöpferin ihr nicht helfen konnte, dann war Niemand dazu in der Lage. Dass war die Idee überhaupt!

„Entschuldigung?“ Pause. „Vielleicht kannst du mir auch helfen“, ihre Stimme war leise und kleinlaut. Unsicher wartete sie darauf, ihre Erschafferin erneut sprechen zu hören, aber sie erhielt keine Antwort mehr. Das Licht schwand und abrupt setzte wieder Bewegung ein.

Einen Moment war sie noch geblendet, dann sah sie wieder klar. Nun erkannte sie Tilsegs Umriss, der sich gerade zu Ende formte. Er war tatsächlich wieder da.

„Sie ist fort“, seufzte sie enttäuscht.

„Hiriko“, rief zeitgleich eine andere Stimme. „Dir geht es gut, ich bin ja so froh!“

„Nirilis?“ Suchend blickte sie sich um, als die Dryade ihr auch schon in die Arme schwamm.

„Es … es war alles so furchteinflößend. Du und das Ding, mit dem Tentakel zwischen euch. Und dann bist du …“, sie stockte. „Doch dann hast du so seltsam gestrahlt. So hell, dass ich dich nicht mehr anschauen konnte. Aber jetzt ist alles wieder gut, oder?“

„Ja, sicher.“ Enttäuschung klang in ihrer Stimme mit, doch dann erhellten sich ihre Züge wieder etwas. Wenigstens einem ihrer Freunde hatte sie helfen können. Für Sven würde sie auch noch eine Lösung finden. „Kennst du eigentlich Tilseg schon?“

Nirilis schüttelte den Kopf und folgte dann dem Blick ihrer Freundin.

Beide Frauen wandten ihre Aufmerksamkeit dem grünen, muskelbepackten Glatzkopf zu, der ihre Blicke erwiderte und ihnen stumm grüßend zunickte. Unzählige Luftbläschen perlten von der Haut des Doktors ab, der zur Wasseroberfläche deutete.

„Natürlich, er kann unter Wasser ja nicht sprechen. Lass uns nach oben schwimmen und zum Lager zurückkehren. Ich kann es nicht abwarten nach Hause zu kommen.“ Mit diesen Worten schwamm Hiriko los. Nirilis und Tilseg folgten.

Zwischenspiel

Eine Feuersäule loderte im Zentrum des Pentagramms, während beißender Schwefelgeruch und intensiver Lavendelduft die Luft sättigte. Hätte Magister Ingbold noch einen Magen besessen, war er fast sicher, dass sich dieser durch diese widerliche Duftkombination nun umdrehen würde. Dass der Schamane keine Miene beim Schauspiel des Dämons verzog, imponierte dem Magier wider Willen. Die Monstrosität der Anderswelt gab sich indes ausgesprochen große Mühe, eine gute Show abzuliefern.

Die brüllende Flammensäule erstarrte urplötzlich zu Eis und zerbarst in Millionen kleine Fragmente, die zischend und augenblicklich wieder verdampften und dieses Mal einen intensiven Rosengeruch abgaben. Eine wohlproportionierte, weibliche Silhouette zeichnete sich verführerisch im Rosenwasserdampf ab, der nun das Pentagramm füllte, wie dichter wabernder Nebel. Eine samtig weiche Frauenstimme von überirdischer Schönheit säuselte Worte aus dem Dunst, jedes von ihnen vor Verlockung triefend.

„Hattest du wieder einmal Sehnsucht nach mir, kleines Dickerchen? Es ist so lange her, dass du mich das letzte Mal gerufen hast. Ich dachte schon, du wärst klüger geworden und hättest meinen Namen vergessen.“

Selbst als Geist konnte er das Verlangen, das die Stimme auslöste, noch spüren. Der Dämon, den er dem Halbmenschen empfohlen hatte, war erstaunlich stark geworden, seit er ihn das letzte Mal beschworen hatte. Aber damals besaß er auch noch einen Körper aus Fleisch und Blut. Und das war schon sehr lange her.

Mit einer gewissen Befriedigung erkannte er, dass es dem Ork nicht besser ging, jedenfalls was seine körperliche Reaktion anbelangte, die eindeutig auf die Verlockungen des Dämons reagierte . Doch der Schamane besaß einen starken Willen, den er nun demonstrierte, als er mit lauter, fester Stimme erwiderte: „Wen auch immer du erwartet hast, ich bin es nicht. Beuge dich deinem neuen Meister!“

Die kraftvolle Stimme Gregars schien den Dämon ein wenig aus dem Konzept zu bringen, da die Konturen der Gestalt leicht flackerten und sich der Nebel regelrecht überhastet lichtete, damit die Frauengestalt im Zentrum des Pentagramms ihren Beschwörer besser sehen konnte.

„Nanu, wer bist denn du?“

Die Stimme der Frau klang immer noch verführerisch, geradezu erotisch, doch in ihrer Tonlage war sie einige Etagen in den Keller gezogen. Die Konturen, die nun etwas breiter und maskuliner wirkten, blieben jedoch weiter in den Schwaden verborgen. Doch die Züge des Dämons zeigten eine Orkin, die selbst Ingbold attraktiv fand. Und das trotz seiner abwertenden Meinung über diese Spezies.

„Ich bin dein neuer Herr und du wirst mir willig dienen, oder ich werde dich bestrafen!“

„Ich soll dir willig sein und du willst mich strafen? Na schön, mein starker Beschwörungsmeister, dann komm und nimm mich wie ein echter Mann!“

Während die Orkin dies sagte, enthüllte der Nebel gerade genug von ihren einladenden Rundungen, um ihre Worte auf animierende Weise zu unterstreichen, während sie sich lasziv und herausfordernd zugleich vor den Augen des Schamanen rekelte.

Wieder beeindruckte die Reaktion des Orks den Magister.

„Lass dieses Spielchen, Geist. Diese Arten von Diensten wünsche ich nicht von dir.“

„Nicht?“ Nun lösten sich auch die letzten Nebelfetzen und gaben die Sicht auf eine makellose und atemberaubende Orkfrau frei, gekleidet in einen Hauch von Nichts, das nur betonte, ohne zu verstecken. „Das ist aber schade. Es ist doch schon so lange her.“ Sie warf einen anzüglichen Blick auf seine Lendengegend und grinste süffisant. „Für uns beide, wie ich sehe.“

Gregar schluckte schwer, hielt aber stand. Nach einem kurzen Zögern begann er einen Zauber zu murmeln, den Ingbold sehr gut kannte. Mit diesem Spruch pflegte der Halbmensch auch ihn zu strafen, wenn er unzufrieden mit ihm war. „Das wird nicht funktionieren“, freute sich der Magister bereits auf die Ratlosigkeit des Orks, wenn dieser begriff, dass der Zauber für Geister und nicht für Dämonen bestimmt war. Aber dieser Verlauf konnte ihm nur recht sein. Nachdem sein Peiniger gescheitert wäre, würde er sich wieder an ihn wenden. So könnte er erneut seine Nützlichkeit unter Beweis stellen und sich bei dem widerlichen Halbmenschen einschmeicheln. Als der Dämon jedoch wie ein profaner Geist in seinem Pentagramm durchgeschüttelt wurde, just als der Zauber ihn traf, staunte Magister Ingbold nicht schlecht. Das Wesen der Anderswelt im Übrigen auch.

„Was soll denn das?“, beschwerte sich der Dämon erbost. „Seit wann kommt ihr denn mit dieser Tour?“ Die Orkin schaute den Ork abschätzend an, nachdem sie ihren Körper mit einer einzigen Geste wieder unter Kontrolle hatte.

„In Ordnung, du bist also keiner von denen, die stur nach dem Lehrbuch vorgehen, was? Aber einen Zauber, mit dem man Geister foltern kann? Das ist wirklich unhöflich. Noch nie was von einem Vorspiel gehört? Wie? Gut, ich gebe zu, du hast mich kalt erwischt. Mit sowas hatte ich wirklich nicht gerechnet. Aber mal ernsthaft, für was hältst du mich. Ich meine, ja es hat ein bisschen wehgetan, aber nochmal kommst du mir mit der gleichen Masche bestimmt nicht mehr.“

„Schweig, Geist, ich befehle es dir!“

„Geist. Da ist es wieder. Schätzchen, du bist da völlig auf dem Holzweg. Aber gut, Narren soll man nicht stoppen, oder wie sagt man? Ehrlich, wenn das alles ist, was du drauf hast, dann wird das hier eine langatmige Angelegenheit.“

„Schweig, Geist, und zeige Respekt, den ich habe dich beschworen!“ Der Ork wirkte verärgert, doch konnte Ingbold auch eine Spur Unsicherheit in der Stimme des Schamanen ausmachen. Der Dämon indes ignorierte die Forderung des Halbmenschen und sprach einfach weiter.

„Also gut, ich bin ja nicht so. Ich schenke dir eine Chance. Du entlässt mich jetzt, hier und auf der Stelle, und ich sehe davon ab, dich bei erster Gelegenheit zu töten. Ich sehe ja, dass du ein Anfänger bist. Die Zaubermatrix, die du benutzt hast, um mich zu beschwören, verrät mir, dass du ein Schüler von dem Dicken bist. Oder bist du gar ein Schüler seiner Schüler? Die Ausführung war etwas schlampig. Oder hat der Fettsack ein Buch mit seinen Formeln geschrieben? Nein, das glaub ich nicht. Das würde einfach nicht zu ihm passen.“

„Schweig endlich still, Geist, ich befehle es dir! Du bist durch die Kraft meiner Magie an mich gebunden!“

„Ach du meine Güte. Du hast wirklich Glück, dass ich ausgeruht bin. Normalerweise habe ich nicht so viel Geduld mit meinen Beschwörern. Zunächst einmal, was das ‚gebunden‘ anbelangt: Haben dir deine Lehrer nicht beigebracht, dass dein Zauber mich zwar in diese Welt holt und mich auch tatsächlich an dich bindet, doch ansonsten bin ich zu nichts verpflichtet.“

Bei ihren Worten betrachtete die Dämonin abschätzig das Pentagramm und zog dann einen perfekten Schmollmund. Dass dies mit Orkhauern möglich wäre, selbst mit so entzückenden, hätte Lektor Ingbold nie zu glauben gewagt. Wäre er noch im Besitz seines Herzens und würde über die Fähigkeit, entsprechende Emotionen zu empfinden, verfügen, er hätte sich vermutlich augenblicklich verliebt. Leider hatte er diese Schwäche in den Seelensplitter von Lektor Ingbold ausgelagert …Der Magister stutzte: „Leider?“

Das Wesen der Anderswelt war wirklich um einiges stärker geworden. Dass es selbst auf ihn als körperlose eingekerkerte Existenz noch eine derartige Wirkung entfalten konnte, war ein wichtiges Indiz für die Macht des Andersweltwesens. Dass Gregar sich noch nicht seine Kleidung vom Leib gerissen hatte, um in den Bannkreis zu stürmen, ließ Achtung für den Ork in ihm aufsteigen, was ihn zutiefst anekelte.

„Und dann das Pentagramm“, sprach der Dämon. „Das einzig Positive, was man darüber sagen könnte, ist, dass es bei all seiner Stümperhaftigkeit keine Lücken aufweist, die erwähnenswert wären. Aber ansonsten? Es ist schon lange her, dass diese Art von Pentagramm mehr an mir vermochte, als mich festzuhalten. Und es wird der Tag kommen, an dem es mich gar nicht mehr kümmern wird. Dann werde ich solche Anfänger wie dich vermutlich erst nach meiner Mahlzeit zu einem Gespräch bitten.“

„Magier! Stimmt das, was der Geist behauptet?“ Gregar stieß die Lampe mit seinem Fuß an, um Körperkontakt herzustellen, als er diese Frage stellte. Magister Ingbold wurde von der plötzlichen Einbeziehung in das Gespräch etwas überrascht.

„Was? Dass Nimdraguhhn euch verschlingen würde? Natürlich, auf der Stelle.“

„Narr! Erfüllt dieser Runenzauber nicht seinen Zweck?“

„Nun“, Ingbold wünschte sich die Möglichkeit, mit Räuspern etwas Zeit zu gewinnen, sprach aber weiter. „Der Dämon ist in der Tat stärker geworden, seit ich nicht mehr unter den Lebenden weile. Ich hätte nicht gedacht, dass andere seinen Namen kennen.“

„Nein wirklich? Der dicke Magier ist auch hier? In dieser ollen Ölleuchte?“ Die Orkfrau brach in ein raues, aber durchaus anziehendes Gelächter aus und bekam sich kaum noch wieder ein. „Das muss aber ziemlich eng da drinnen sein, ich meine, hast du ihn mal gesehen? Er ist nicht nur unglaublich fett, sondern auch noch aufgeblasen bis zum geht nicht mehr. Und jetzt“, der Dämon konnte kaum noch sprechen, so musste er lachen, „und jetzt steckt er in diesem winzigen Ding.“ Der Sukkubus kniete nun lasziv am Boden und hieb, Tränen vergießend und nach Atem ringend, mit einer Faust immer wieder auf den Boden ein. Sein Gelächter war nun dunkel und schallend, wie ein Inferno.

„Was willst du damit sagen?“ Gregars Frage galt immer noch dem Magister, der auch prompt weitersprach.

„Da ich von einem deutlich schwächeren Dämon ausgegangen bin, schien mir dieses Pentagramm als ausreichend. Doch ich befürchte, um dem Dämon Euren Willen aufzuzwingen, benötigen wir etwas Komplexeres. Oder Ihr versucht den Dämon zu foltern, um sein Wort zu erpressen, an das er sich halten muss. Aber achtet dabei auf die Formulierung, die Tücke liegt in Details.“

„Ihr macht mich fertig. Wirklich, es tut mir schon fast nicht mehr leid, dass ihr mich von zu Hause weggezerrt habt. Echt. Selten so gelacht. Aber gut, dafür bekommt ihr noch eine zweite Chance. Lasst mich gehen und wir werden so tun, als ob dies hier nicht passiert ist.“

„Ihn zu foltern könnte Tage dauern und bei dem Machtgefälle zwischen ihm und den Bannformeln ist ein Erfolg nicht gewiss, wird aber mit Sicherheit viel Kraft erfordern. Ich an Eurer Stelle würde ihn entlassen, das Pentagramm verstärken und es an ihn anpassen, um es danach erneut zu versuchen.“

„Ich kann dich hören“, säuselte die Orkin. „Bis eben hatte ich dich übersehen, mein Dickerchen, aber nachdem ich wusste, wo du warst, war alles andere kein Problem mehr. Hast du abgenommen? Ich hatte dich größer in Erinnerung.“ Wieder brach sie in schallendes, zügelloses Gelächter aus. Selbst in dieser derben Zurschaustellung von ungehemmter Schadenfreude schaffte der Dämon es unglaublich attraktiv zu wirken. Vielleicht hätte der Magister sogar versucht, mit seiner Lampe an die Orkin heranzukommen, obwohl sie ihn aufs Übelste demütigte, würde er nur die Möglichkeit dazu besitzen. Doch dann bemerkte er etwas, was ihn metaphysisch erstarren ließ.

„Entlasst ihn! Entlasst ihn schnell!“

„Was ist geschehen, Geist? Warum plötzlich so aufgeregt?“

„Nimdraguhhn hat herausgefunden, wie er das Pentagramm gegen uns nutzen kann. Er hat begonnen Mana über den Drudenfuß zu beziehen. Ich habe so etwas noch nie gesehen, aber er muss gestoppt werden. Bitte vertraut mir! Entlasst ihn sofort!“ Einen Moment blickte Gregar auf die Tonlampe zu seinen Füßen, anschließend zur sich lachend den Bauch haltenden Schönheit. Dann begann er ohne weitere Verzögerung die Entlassungsformeln zu rezitieren. Ingbold unterstützte ihn dabei. Schnell begann sich die Kontur der Orkin zu verflüchtigen und sie selbst zu verblassen. Doch ihr höhnisches Gelächter erklang bis zuletzt und hinterließ am Ende eine Spur Schwefelduft mit Vanillearoma.

„Sprich, Zauberer. Der Geist aus dem Drudenfuß ist wieder fort. Erkläre mir nun, warum dieses Ritual nicht funktionierte.“

„Der Dämon war unerwartet stark. Für derart mächtige Wesen der Anderswelt reichen das Pentagramm und die Bannzauber nicht, die ich Euch gezeigt habe. Anscheinend hat ein anderer Beschwörer die Dienste von Nimdraguhhn in Anspruch genommen, nachdem ich ihn das letzte Mal beschworen hatte.“

„Wiederhole dich nicht ständig! Dass der mächtige Geist stärker ist, hast du mir bereits erklärt, als der Geist noch hier verweilte. Berichte, was nötig ist, diesen unverschämten Geist in seine Schranken zu weisen.“

„Um ihn bändigen zu können, müssen wir weitere Bann-, Schutz-, und Bindeformeln dem Pentagramm hinzufügen. Anderes Zubehör wäre auch recht hilfreich für dieses Vorhaben.“

„Was sind das für derlei Dinge?“

„Nun, Beschwörungskreide beispielsweise“, begann der Magister seine Erklärung und Aufzählung von Materialien, die Beschwörung und Beherrschung von Dämonen erleichterten und die Zaubersprüche des Pentagramms stärken konnten. Der Ork lauschte interessiert und stellte nur gelegentliche Zwischenfragen.

Ingbold frohlockte innerlich, während er erzählte. Bald würde der Halbmensch ihm zahm aus der Hand fressen.

7. Ashley

Auf ihrer ersten gemeinsamen Jagdtour mit dem Rudel hatte es einen heftigen Kampf gegeben, der sie zwang unverrichteter Dinge umzukehren. Außerdem wurde Ashley so zum unfreiwilligen Fußgänger. Beides war der Amerikanerin auf das Gemüt geschlagen. Obwohl der große Säbelfant, den Ronja mit dem übrigen Rudel mitbrachte, immer noch einen geschienten Kiefer besaß und Fleisch nur in kleinen Häppchen zu sich nehmen konnte, hatte er ihren Säbelfanten herausgefordert und im Kampf am Bein schwer verletzt worden. Ihr Reittier war zwar siegreich gewesen, doch lahmte nun durch die Wunde deutlich. Aber auch sein Gegner humpelte dank eines gut sitzenden Krallenschwingers. Außerdem hatte er einige frische Male im Nacken und in der Flanke.

Ashley hoffte, dass die Rangfolge nun geklärt war und die beiden miteinander auskommen würden. Sicher war das allerdings nicht, befürchtete sie. Ein Schatten, der über den Boden glitt, weckte ihre Aufmerksamkeit und ließ sie nach oben schauen. Ein Drache kreiste über ihnen und schien im Begriff tiefer zu gehen. Die Blondine runzelte die Stirn und schirmte die Augen ab, um besser erkennen zu können, was das Ungeheuer vorhatte. Ashleys folgender Fluch weckte auch Ronjas Aufmerksamkeit.

„Was ist los?“

„Schau hoch.“

Der Rotschopf tat wie ihr geheißen.

„Ein Drache!“

„Genau. Das Drecksvieh da oben scheint landen zu wollen.“

„Mir scheint, der Drache kommt ganz in unserer Nähe runter.“

„Sehe ich auch so. Hast du eine Ahnung, was ein Drache von uns wollen könnte?“

„ Nein. Oder? Warte mal, das ist nicht ganz richtig! Es gibt einen Drachen bei den Clans“, Ronja fixierte das im Sinkflug näher kommende Ungetüm. „Das könnte tatsächlich die Königin der Drachenklauen sein. Den Namen vergesse ich immer wieder. Er ist so elend lang.“

„Na, das kann ja interessant werden.“ Ashley grinste verschmitzt und zog ihren Hammer. „Wenn das Vieh tatsächlich die Königin eines Clans ist, sollte es doch sprechen können, oder?“

„Ja, soweit ich weiß sogar sehr gut.“

„Ausgezeichnet. Wollen wir doch mal sehen, was der große Dino von uns will.“

„Was ist ein Dino?“

„Ach vergiss es, Viehzeug aus meiner Heimat eben.“

Während die beiden Frauen so miteinander sprachen, sank der Drache herab und setzte geschickt, regelrecht grazil, keine zehn Meter von den beiden Kriegerinnen und ihrem Säbelfantenrudel entfernt auf. Die Tiere waren von der Präsenz des großen Wesens eingeschüchtert, flohen jedoch nicht. Das galt auch für Ronja, die ihre Emotionen mit den Tieren zu teilen schien. Selbst Ashley war beeindruckt. Der Leib des Drachen war bestimmt fünfzehn Meter lang, mit Hals und Schwanz auch gut zwanzig. Die grüngoldenen Schuppen reflektierten bei jeder Bewegung auf eine faszinierende Art und Weise die Sonnenstrahlen. Das Farbenspiel von Reflexion, Licht und Schatten war regelrecht hypnotisch. Ronja blinzelte und auch Ashley bemerkte, dass sie sich konzentrieren musste, nicht auf diesen Effekt zu starren, um sich darin zu verlieren.

„Bei dir scheine ich richtig zu sein“, begann der Drache mit donnernder Stimme zu sprechen.

„Möglich. Wen hast du den gesucht?“

„Dich. Der große Steinklotz hat dich verraten, den du so lässig schwingst. Aber deine Säbelfanten waren auch recht nützlich, um dich aus der Luft auszumachen. Du bist die Herrin der Säbelfanten, Königin der Astronauten!“

„Richtig, das bin ich. Anscheinend hast du wirklich gefunden, was du suchtest. Und jetzt sage mir, was du willst, wir wollen heute noch weiter.“

Ungläubig richtete Ronja ihren Blick auf ihre Freundin. Dass sie so gelassen, ja provokant, mit dem Ungeheuer sprach, imponierte ihr über alle Maßen. Dass Ashley schier überwältigt von der Situation war und dadurch reflexartig frech reagierte, konnte die Amazone dabei nicht ahnen.

Auch der Drache schien überrascht. Rauch kräuselte einen Moment lang aus seinen Nüstern, bevor ein dumpfes Grollen von ihm ausging. Ashley brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass der Drache lachte.

„Du bist ein freches, angriffslustiges Ding, nicht wahr? Anscheinend entsprechen einige der Gerüchte tatsächlich der Wahrheit.“ Bender konnte es nicht richtig abschätzen, aber sie meinte, dass der Drache nun schmunzelte. „Wenn du glaubst, es mit mir aufnehmen zu können und dir nach einem Streit dürstet, kleine Menschenfrau, so werde ich dir deinen Wunsch erfüllen. Doch ist es nicht der Wunsch nach einem Gefecht, der mich zu dir führt.“

„Ich habe keine Angst vor dir! Aber einen Kampf will ich auch nicht!“ Nun schwang in Ashleys Stimme doch ein wenig Unsicherheit mit. „Also, was willst du von mir? Warum macht sich ein Drache die Mühe, nach einem Menschen zu suchen?“

„Um das zu tun, was wir gerade tun. Für den Moment möchte ich mich mit dir unterhalten. Auch wenn es andere Wünsche zu berücksichtigen gilt, ist dies alles, wonach mir in diesem Moment der Sinn steht.“

„Und was kommt dann?“

„Du fragst einen Drachen, was er in Zukunft vorhat? Nun, das kann ich dir nicht sagen, da ich es selbst nicht weiß. Die versammelten Amazonen des Kurtai möchten gerne, dass ich dich zu ihrer kleinen Feier dränge. Einige von ihnen wollen dich auch sofort tot sehen, wenn es sich einrichten lässt. Diese Kleingeister würden sich sicher über einen Kampf zwischen uns freuen.“

Das Ungetüm unterbrach seine Rede, um ein markerschütterndes Gebrüll in Richtung der Säbelfanten auszustoßen, aus dessen Pulk einzelne herangeschlichen waren, die sich nun hastig in die Herde zurückzogen. Mit einem zufriedenen Grollen wandte sich der Beschuppte wieder an Ashley.

„Doch andere sind so unentschlossen wie ich und möchten dich kennen lernen, deine Sicht der Dinge erfahren. Ob ich irgendeinem ihrer Wünsche folge, steht auf einem anderen Mond.“ Der Drache machte eine Pause um seine Worte sacken zu lassen. Dann fuhr er fort: „Nun kleiner Mensch, was sagst du? Zeit für einen kleinen Plausch oder ein Kräftemessen? Die Wahl liegt bei dir. Ich denke, für mich dürfte beides interessant werden.“

„Reden wir.“

„Gute Wahl.“ Ein freudiger Funke blitzte in den Sichelaugen des Ungetüms. „Ich schlage vor, wir beginnen damit uns vorzustellen, wie es sich gehört. Mein Name ist Wargiriuns-Aranarich-Deregal-Merac-Argon, Königin der Drachenklauen.

„Das ist ziemlich lang. Gibtʼs da keine Kurzform?“

„Eine Kurzform? Was soll das sein?“

„Mein Name ist Ashley Bender, du kannst Ashley zu mir sagen. So in etwa.“

„Meine Clanfrauen nennen mich schlicht Königin.“

„Ja, aber meine Königin bist du nicht!“ Die Säbelfantenreiterin ging im Kopf die Namen durch, die der Drache genannt hatte. „Kann ich dich vielleicht Argon nennen?“

Der Drache schnaufte abfällig. „Keinesfalls! Damit würdest du mich nach einem einzigen Aspekt benennen, der ohne die anderen eine gänzlich andere Bedeutung hat.“

Ashley dachte darüber nach und während sie das tat, wurde sie ruhiger. Innerlich war sie seit der Sichtung des Drachen aufs äußerste angespannt. Doch so groß und furchteinflößend das gewaltige Wesen war, schien es tatsächlich zu meinen, was es sagte.

„Wenn der eine Name nur ein Aspekt ist und so weiter, was hältst du davon wenn ich dich Wadma nenne?“

„Wadma?“ Der Drache dachte kurz über ihren Vorschlag nach, nickte dann aber. Ich verstehe, dass die meisten Menschen mit meinem Namen überfordert sind. Ihr seid zu schlicht und zu kleingeistig, um ihn zu begreifen. Wadma als Abkürzung für Wargiriuns-Aranarich-Deregal-Merac-Argon scheint mir akzeptabel, auch wenn ich den Klang recht seltsam finde.“

„Also gut, Wadma, was kann ich für dich tun?“

„Erzähl mir von dir und deinen Leuten.“

„Okay“, entgegnete Ashley knapp, deutete Ronja mit einem Zeichen an, sich mit dem Rudel ein wenig zurückzuziehen und zu rasten. Dann begann sie die Geschichte der Astronauten zu erzählen.

Dabei sparte sie aus, dass es sich bei der Sirius7 eigentlich um ein Raumschiff handelte und sie von einem anderen Planeten stammte. Selbst wenn sie und die anderen Astronauten nicht beschlossen hätten, dass dies ihr Geheimnis blieb, dank des Kristalls in ihren Körper wusste sie sowieso kaum noch etwas davon.

Trotzdem blieb sie, soweit es ging, bei der Wahrheit und berichtete, dass sie Gestrandete und Heimatlose waren, warum sie unterwegs waren, was sie wollten und wie es zum Clan der Astronauten kam. Wadma schwieg und lauschte aufmerksam jedem ihrer Worte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie dem Drachen besser keine Lügengeschichten auftischen sollte, auch wenn sie nicht genau wusste warum, aber sie hielt es für eine gute Idee, ehrlich zu sein.

8. Boris

Boris Koschkin saß am Rande der Klippe und starrte missmutig auf die Wasserfläche unter sich. Die Piroge hatte schon vor Stunden ohne ihn abgelegt.

Ashley hatte im Grunde recht gehabt, er wäre wirklich gerne mit auf Erkundungsfahrt gegangen, doch aus anderen Gründen, als sie ihm unterstellte. Fang überzeugte ihn jedoch, dass es besser war, wenn er im Lager blieb, da er der einzige Astronaut seiner Crew war, der als Ansprechpartner für den Clan übrig blieb, solange die anderen unterwegs, gelförmig oder hölzern waren.

Leise fluchend suchte er das Wasser nach dem kleinen Punkt ab, der die Position des Schiffes verriet. Hundert Mann stark war die Besatzung, die aufgebrochen war, die Küste nach einer geeigneten Bleibe für den Clan der Astronauten abzusuchen. Karl hatten sie zum Expeditionsanführer gemacht, nachdem Koschkin eingesehen hatte, dass er zurückbleiben musste.

Irgendwie hatte er den Eindruck, dass alle um ihn herum in Bewegung waren. Nur er stand still. Das ärgerte ihn ein wenig, doch es war nicht zu ändern. Fangs Argumente waren zu schlüssig gewesen, als dass er sie hätte ignorieren können.

Die Galeere lag indes immer noch am Strand. Langsam begriff der Russe, warum Wasserfahrzeuge zur Gänze aus ihrem Element gezogen wurden, wenn sie überholt werden mussten. Nur so konnte man den Rumpf wirklich vernünftig reparieren.

Doch das Wasser unter dem Kiel war nicht der einzige Grund, warum die Reparaturen an der Schiffsruine zum Erliegen kamen. Es gab einfach zu viel morsches Holz an Bord und zu wenig Ersatzmaterialien in ihrem Besitz. So würden sie das Wrack vermutlich nie seetüchtig bekommen. Wenn sie diese Galeere aber nicht reparieren konnten, würden sie ihren Plan, das Land der Amazonen per Schiff zu verlassen, auch nicht verwirklichen können.

Wieder quoll eine leise Fluchkaskade aus seinem Mund.

Sie schafften es ja nicht einmal ihre Gefangenen frei zu lassen. Das war für ihn kaum zu fassen gewesen, als Ashley ihnen entnervt erzählt hatte, dass die Gefangenen sich nicht befreien lassen wollten. Die Frauen argumentierten, dass sie nicht zu ihren Clans zurückkehren könnten, da sie befürchteten, von ihren Schwestern nicht mehr akzeptiert zu werden. Nachdem sie so lange bei den Astronauten waren, würden sie ihnen nicht mehr vertrauen, wenn sie plötzlich und frei zurückkehrten. Da Ronja und die anderen Überläufer bestätigen, dass die Befürchtungen der Amazonen durchaus begründet waren, blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Gefangenen bis auf weiteres zu behalten. Doch wurden sie nun nicht mehr bewacht und mussten, so wie alle anderen, Aufgaben im Lager verrichten.

Warum musste eigentlich alles so kompliziert sein, fragte Koschkin sich und fluchte wieder.

Wenigstens hatten sie das Spinnenproblem halbwegs im Griff, versuchte er sich selbst aufzumuntern. Diese furchteinflößenden gräulichen Raubspinnen mit ihrem annähernd einen Meter messenden Körper erreichten dank ihrer langen, haarigen Beine, mit denen sie ausgesprochen schnell von der Stelle kamen, spielend die Höhe eines Menschen.

Doch die Schnelligkeit dieser Tiere und auch ihre Masse, mit denen sie ihr Lager Nacht für Nacht bestürmten, war nicht das eigentliche Problem gewesen. Ein einziger Biss mit ihren Giftklauen reichte aus, einen erwachsenen Mann fast augenblicklich zu lähmen oder gar zu töten.

Interessanterweise schienen die Leute, die mehrfach von diesen Spinnenbissen betroffen waren, eine Art Immunität zu entwickeln. Faqech hatte dies bei der Betreuung der Verletzten zuerst bemerkt. Vor allem bei den kämpfenden Goblins und Orks schien sich die Körperchemie schnell auf das Gift einzustellen. Bei ihnen reichten zwei oder drei überstandene Vergiftungen, um eine Immunisierung zu erzielen. Der menschliche Organismus benötigte fast doppelt so viele dieser unfreiwilligen Giftimpfungen, bevor auch bei ihnen ein solcher Effekt eintrat.

Diese zunehmende Giftresistenz der Lagerverteidiger erwies sich in den letzten Nächten immer mehr als hilfreich, da die Spinnen sich auf ihr Gift verließen und recht irritiert darauf reagierten, wenn ihre Opfer nach einem erfolgreichen Angriff nicht hilflos zusammenbrachen.

Ihre Jagdstrategie bestand darin, ihre Gegner zu überraschen und sie schnell handlungsunfähig zu machen. Der offene Kampf lag ihnen dagegen nicht so sehr.

Während seine Augen unstet die Weite vor sich betrachteten und seine Gedanken sich mit Problemen beschäftigten, bemerkte er eine dunkle Wolke. Weit weg, fast am Horizont. Das zuckende Blitzgewitter unter ihr hatte seinen Blick angezogen. Die Heftigkeit der Entladungen da draußen deutete darauf hin, dass dort ein enormes Gewitter toben musste. Wieder fluchte der Russe, als er sich vorstellte, wie es wohl wäre, wenn sie in ein solches Unwetter gerieten. Hier oben und im Lager hätten sie kaum Möglichkeiten, Schutz vor einer derartigen Urgewalt zu finden. Sie mussten hier endlich weg.

Zwischenspiel

Der Wind frischte auf und zupfte ungeduldig an der robenartigen Gewandung der alten Frau, die regungslos auf einem Stuhl saß und von ihrem steinernen Balkon auf die unter ihr liegende Wasseroberfläche starrte. Die Große Mutter von Laylay war so sehr in ihre Vision vertieft, dass sie die pummelige Frau, die an sie herantrat, gar nicht wahrzunehmen schien. Geduldig wartete die Novizin darauf, bemerkt zu werden. Zwar war das, was sie zu sagen hatte, wichtig, doch störte man die Große Mutter nicht, wenn sie so war wie jetzt. Zeit verging, bis sich schließlich etwas in den Augen der Alten veränderte. Sie schienen irgendwie nicht länger nach innen gerichtet zu sein, auch wenn sie starr geradeaus schauten. Als die Augenlider einen Schlag taten, wusste die Novizin, dass es bald so weit war. Hastig reichte sie einer suchenden Hand den hölzernen Becher, der mit Wasser gefüllt war. Die Ältere trank und blickte dann die Pauswangige an.

„Was gibt es, mein Kind?“ Ihre Stimme war schwach und belegt, als sie sprach.

„Die Clans werden immer unruhiger, Große Mutter.“

„Wegen des Verbleibs von Wargiriuns-Aranarich-Deregal-Merac-Argon?“

„Das auch. Wie ihr wisst, ist der Clan der Vier Flüsse bereits in großer Zahl zum Kurtai erschienen, auch wenn die Delegation selbst der Tradition entspricht. Gerüchten zufolge soll sich ein weiteres Heer bei Zweibrücken sammeln. Das Lager der Wogenden Wipfel wächst hingegen täglich weiter. Anscheinend hat ihre Königin beschlossen ebenfalls mobil zu machen.“

„Wie reagieren die anderen Clans darauf?“

„Die Drachenklauen sind empört und wittern Verrat. Die Schattenläufer, die Weißen Stuten und die Giftspornjäger beobachten zurzeit nur und warten ab, wobei die letzten beiden Clans häufiger von Abgesandten der Wogenden Wipfel, der Vier Flüsse und der Singenden Hufe besucht werden. Die Singenden Hufe sammeln ebenfalls Truppen bei Zweibrücken auf ihrer Uferseite. Und die Steppenjäger haben Boten ausgesandt, die ihre Königin unterrichten sollen, damit sie entscheidet, was zu tun ist.“

„Was denkst du?“

„Sie werden ebenfalls Clanfrauen hierher entsenden.“

„Und weiter?“

„Ich … ich weiß nicht.“ Die Novizin war sichtlich überrascht, dass die Ältere ihre Meinung erfragte. Zwar bestanden alle Äußerungen der Großen Mutter aus Fragen, doch stellten diese oft genug Anweisungen, Befehle und Aussagen dar und zielten weniger darauf ab, die Meinung anderer in Erfahrung zu bringen. „Vielleicht reist sogar ihre Königin persönlich hierher“, ergänzte sie schließlich, als weiter die Augen der Alten auf ihr ruhten. „Ich … ich glaube, es wird Krieg geben …“

Die Große Mutter nickte kaum merklich. Sie war zu dem gleichen Schluss gekommen. Doch war sie sich nicht sicher, gegen wen die Clans in den Krieg ziehen würden, auch wenn die meisten Clanfrauen genauso wie ihre Novizin zurzeit fest davon ausgingen, dass es gegen den Clan der Astronauten gehen würde. Ihre Visionen aber zeichneten anderes Unheil in der Zukunft, das über sie kommen könnte.

„Hast du sonst noch etwas zu berichten oder möchtest du gehen?“

„Wenn Ihr erlaubt, Große Mutter, würde ich mich gerne zurückziehen.“

Die Alte nickte nur und konzentrierte sich wieder auf die Wasseroberfläche. Noch rangen die möglichen Zukunftsversionen miteinander, doch die Fäden begannen sich zu verweben und klarer zu werden. Sie spürte es deutlich, als sie wieder in ihren Visionen versank und die Zeit selbst belauschte.

9. Ashley

Ihr Gespräch hatte Stunden gedauert, bis tief in die Nacht hinein. Sie erzählte von ihrem Leben im Clan der Astronauten.

Wadma erzählte vom Kurtai und gelegentlich sogar von seinen Clanfrauen. Aber schließlich kam der Drache doch zum Ende mit seinen Fragen und schien auch der ihren überdrüssig zu werden.

„Nun kenne ich dich besser und du weißt, was man dir vorwirft. Was gedenkst du zu tun, Königin der Astronauten?“

„Ich habe doch erklärt, dass das ein wenig anders ist.“

„Ich denke nicht. Für die, die dich begleiten, bist du mehr als die gestrandete Ashley Bender. Du bist die Herrin der Säbelfanten, Königin der Astronauten und Trägerin des Heiligen Hammers. Und das solltest du auch für die anderen Clans sein. Wenn sie dies nicht mehr glauben, ist euer Schicksal bereits besiegelt. Denkt darüber nach, was ich dir erzählt habe. Jetzt bin ich des Redens überdrüssig und außerdem hungrig. Ich werde jagen und schlafen. Dann werden wir uns wiedersehen. Und du wirst eine Entscheidung treffen müssen.“

Ohne eine Antwort von Ashley abzuwarten, breitete der Drache seine Schwingen aus und stieß sich kraftvoll vom Boden ab. Zügig stieg er in die Höhe und ließ sie alleine zurück. Leise fluchend wandte sie sich zu ihrem Rudel um. Ronja und die Säbelfanten schliefen, doch sie war noch nicht müde. Das Gespräch mit dem Drachen geisterte durch ihren Kopf, während sie sich selbst ein Nachtlager einrichtete und auch als sie versuchte zur Ruhe zu kommen. Diese dämlichen Amazonen ließen einfach nicht locker. Der Drache schien recht mit seiner Einschätzung zu haben, dass die Königin der Vier Flüsse und die der Wogenden Wipfel ihren Kopf auf Dauer durchsetzen würden, wäre sie nicht bereit, selbst noch zu erscheinen und sich dem Kurtai zu unterwerfen. Sie würde das mit den anderen besprechen müssen.

Aber dafür hatte sie vermutlich nicht viel Zeit.

10. Hiriko

Als Hiriko im Schein der ersten Sonnenstrahlen aus den Wasserfluten stakste und von den Wachposten des Lagers bemerkt wurde, war sie so glücklich wie schon lange nicht mehr. Grinsend winkte sie den Männern zu, die rufend andere auf sie aufmerksam machten.

Es dauerte einen Moment bevor sie begriff, dass nicht nur Freude in den Stimmen klang. Einige der Wächter deuteten wild in ihre Richtung, als wollten sie ihr etwas mitteilen. Machten die Männer sie auf irgendetwas aufmerksam? Schließlich blickte die Dryade hinter sich, konnte aber nichts erkennen, was die Aufregung der Leute auslösen könnte. Nur Nirilis und Tilseg standen dort und blickten auf die Klippen.

„Kennen sie deinen grünen Freund nicht?“, wollte die Nymphe von ihr wissen.

„Doch, natürlich. Wieso fragst du?“

„Weil seine Anwesenheit sie aufzuregen scheint.“ Anders als Hiriko verstand Nirilis Westländisch gut und damit auch die Rufe der Männer.

„Nach meinem Verständnis sind die Leute überrascht über meine Körperhöhe“, ergänzte ihr Kamerad.

Tanaka war bisher so sehr mit den Geschehnissen während ihrer Begegnung mit der Göttin Luna beschäftigt gewesen, dass ihr gar nicht aufgefallen war, dass Tilseg, obwohl er wieder der Alte war, sich in einem entschiedenen Punkt verändert hatte. Jetzt aber, nachdem er aus dem Wasser gestiegen war und sie ihn in Gänze betrachtete, war es offensichtlich und unübersehbar.

„Wow! Meine Güte!“ Der Grünhäutige war ein Riese geworden und überragte sie nun gut um das Doppelte.

„Faszinierend, nicht wahr?“

Staunend schaute Hiriko zu ihrem Freund empor und nickte.

„Wie bist du nur so groß geworden?“

„Mein Organismus hat lebende Materie verzehrt, um seinen Energiehaushalt zu decken“, begann Tilseg eine Erklärung. „Überschüssige Materie wurde dabei in Biogel umgewandelt. Meine Größe ist das Resultat dieses Massezuwachses.“

„Bleibst du jetzt für immer so?“ Hiriko blickte mit großen staunenden Augen an der hünenhaften Gestalt des Mediziners empor, deren Proportionen normal wirkten, nur eben als Vier-Meter-Riese.

„Da die zusätzliche Masse ein Teil von mir ist, halte ich es für sehr wahrscheinlich. Da ich jedoch im Vorfeld auch nicht mit so einem Resultat gerechnet hatte, ist diese Einschätzung allerdings nicht abschließend zu sehen.“

„Du bist ja sogar größer als Junior! Unglaublich, dass ich das vorher nicht bemerkt habe.“

„In der Tat.“

Ein lauter Fluch in Commen kündigte die Anwesenheit des Kommandanten auf der Klippenspitze an. Hiriko wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Felsen zu und winkte erneut.

„Alles in Ordnung! Ich habe Tilseg gefunden und es geht ihm wieder gut!“

Koschkin antwortete mit einem erneuten Fluch, winkte sie aber schließlich nach oben. Also kraxelten die drei die felsige Schräge empor, bis sie von einem schnell wachsenden Empfangskomitee umringt wurden, in dessen Zentrum sich auch Koschkin und Faqech befanden.

Während der Russe offensichtlich mit widerstreitenden Gefühlen der Freude und des Misstrauens kämpfte, blickte die Goblinschamanin, ihren Kopf weit in den Nacken gelegt, zu Tilseg auf, um ihn prüfend anzuschauen. Dieser kniete sich nun nieder, um mit den anderen etwas mehr auf Augenhöhe zu sein.

„Ich habe mich wieder unter Kontrolle. Es besteht kein Grund zur Sorge. Ich hoffe, der zeitweilige Verlust meiner Selbstkontrolle wird keine negativen Nachwirkungen auf unsere Beziehung haben.“

Während Boris, immer noch perplex, einfach nur den Kopf schüttelte, umarmte Faqech das Schienbein des grünen Hünen und drückte es erfreut.

„Ich bin froh, dass du wieder da bist! Ich habe dich und deinen Rat sehr vermisst. Mir ist es egal, wie groß oder klein du bist. Das einzige, was zählt, ist, dass es dir wieder gut geht und du du bist!“

„Sie hat recht“, bestätigte Koschkin ernst. „Auch ich bin froh, dass du wieder da bist. Wir haben uns alle große Sorgen um dich gemacht. Du musst unbedingt erzählen, was passiert ist. Das ist bestimmt eine interessante Geschichte.“

„In der Tat. Ich habe einiges zu berichten. Ich schlage vor, dass wir uns sofort zusammensetzen. Einige Informationen, die ich besitze, sind meinen Berechnungen nach von enormer Tragweite.“

Koschkin zog bei Tilsegs Worten eine Augenbraue nach oben, nickte dann aber. Auch Faqech schenkte ihm einen neugierigen Blick. Doch Hiriko war von seinem Vorschlag nicht sonderlich begeistert.

„Hat das nicht noch Zeit? Ich will vorher schauen, wie es Sven und Lektor Ingbold in meinem Weinstock geht.“

„Tatsächlich? Jetzt?!“

„Das ist wichtig!“

Boris, der sich seit ihrem Gesprächsanfang etwas entspannte, lächelte nun. „Wirst du lange dafür brauchen?“

„Nein, eigentlich sollte das recht schnell gehen.“

„Hat das, was du zu sagen hast, noch so lange Zeit, Tilseg?“

„Vermutlich. Auf eine weitere Stunde mehr oder weniger dürfte es nicht ankommen. Ich kann die Zeit nutzen, um mir etwas Kleidung anzufertigen.“

„Was passendes haben wir vermutlich auch nicht auf Lager“, brummte der Russe.

„Vielleicht ist Ashley bis dahin ja auch zurück“, fügte Fang hinzu.

„Na gut. Treffen wir uns also in einer Stunde an der üblichen Kochstelle“, schloss Boris den Dialog. „Es ist wirklich schön, dass ihr wieder da seid.“

Zwischenspiel

Hinter den östlichen Grenzen des Territoriums der Amazonenclans ragten sieben Türme in den Himmel, die gemeinsam ein mächtiges magisches Konstrukt bildeten und gleichzeitig Heimstatt der Magier der Sieben Türme waren.

Magister Gregor, Magier des Vierten Ranges und Meister der Grenze, saß im dritten der Türme in seinem Arbeitszimmer und schwieg, während ein Kollege vor ihm auf und ab stapfte. Der korpulente Magier schnaufte und schwitzte, während er hin und her tigerte, ohne Ruhe zu finden.

„Nichts!“, brummte der runde Magister, der Attila hieß und der Meister der Lesesäle des Dritten Turms war. „Die Sieben haben wirklich beschlossen, nichts zu tun!“ Mit einer wütenden Geste richtete der aufgebrachte Mann die Brille auf seiner Nase und raufte sich die mittellangen dunkelblonden Haare. „Erkennen sie denn nicht, welche Gefahr von Magister Ingbold ausgeht?! Er ist ein Verräter und ein Dieb! Es ist mir unbegreiflich, warum die Sieben seine Seelengefäße nicht als Gefahr für die Türme ansehen! Unverantwortlich nenne ich das!“

Der deutlich jüngere Magier im Sessel beobachtete seinen Kollegen, nickte gelegentlich und grübelte schweigsam. Im Grunde teilte er Attilas Groll, wenn auch aus anderen Gründen.

Anders als der korpulente Zauberer hatte er keine persönliche Fehde mit dem Verräter Ingbold, sondern eher akademisches Interesse an ihm. Der Abtrünnige hatte einige Schritte zur Lichwerdung durchgeführt und mehrere Seelengefäße angefertigt. Ihm ging es darum, diese Artefakte in die Hände zu bekommen, um sie zu studieren.

Offiziell war dieses Wissen in den Türmen verboten. Nur Magier, die in den siebten Rang erhoben wurden, durften sich mit dieser Spielart der Magie beschäftigen und auch nur dann, wenn sie die Erlaubnis der Sieben hatten, der Herrn und Lenker der Türme. Doch schon lange hatte niemand mehr diesen Rang erlangt. Was blieb ihm also anderes übrig, als andere Quellen anzuzapfen? Die Indizien über die Weiterexistenz von Magister Ingbold war ein Glücksfall für ihn gewesen und eine Exkursion mit dem Segen der Sieben wäre eine Möglichkeit, seine Ziele mit ihrer Unterstützung zu verfolgen. Daraus wurde nun nichts.

Allerdings gab es Alternativen. Gregor räusperte sich.

„Ich verstehe Euren Groll nur zu gut, Magister Attila“, sprach er dann den Älteren an. „Und ich teile ihn mit Euch. Doch was sollen wir tun? Die Sieben haben entschieden und wir müssen uns fügen.“

„Ich weiß, ich weiß.“ Verärgert winkte der dicke Magister ab, während er weiter seiner Kreisbahn folgte. „Doch die Rache an dem Mörder meines Vaters schien mir schon so nah. Ich war mir so sicher, dass die Sieben anders entscheiden würden.“

„Ich hatte auch einen anderen Ausgang erhofft. Doch sie scheinen Ingbold nicht als Gefahr für die Türme anzusehen. Uns sind also die Hände gebunden.“

„Nein, ich kann das nicht akzeptieren. Euer Plan war gut, mein Junge, doch ist er nicht aufgegangen. Wir werden selbst handeln müssen!“

Gregor freute sich innerlich, auch wenn er nach außen eine kühle Mine bewahrte. Er hatte gehofft, dass der Magister so auf die Entscheidung der obersten Instanz der Türme reagieren würde. Kühl entgegnete er: „Wir können uns nicht gegen die Sieben stellen.“

„Natürlich nicht!“ Attilas Stimme drückte neben seiner Empörung nun auch leichte Furcht aus, die bei den nächsten Worten jedoch gleich wieder verschwand. „Das habe ich auch nicht vor, mein Junge. Wir werden ihre Entscheidung natürlich respektieren. Forderungen an die Sieben zu stellen ist gefährlich und sinnlos. Jeder weiß das! Wir können aber einen anderen Weg beschreiten. Nachdem ich über die Weiterexistenz des Verräters Bescheid weiß, kann ich ihn nicht einfach so entkommen lassen. Und das werde ich auch nicht!“

„Was schlagt Ihr also vor?“ Ein Lächeln zu unterdrücken fiel dem Meister der Grenze immer schwerer.

„Eine Expedition. Die Türme haben schon lange keine Forschungsreise in das Umland durchgeführt. Es sollte nichts dagegen sprechen, eine Exkursion in die umliegenden Gebiete genehmigt zu bekommen. Niemand kann uns etwas vorwerfen, wenn wir dabei auf die Seelenfragmente eines Verräters treffen und diese vernichten.“

Gregor lächelte als er „Eine gute Idee, werter Magister“, erwiderte.

So in etwa hatte er sich das vorgestellt. Dass die Seelenfragmente eines Abtrünnigen alleine reichen würden, die Herren der Türme aus der Ruhe zu bringen, hatte er von Anfang an bezweifelt.

Doch alleine in die Außenwelt zu reisen, um seine Feldforschungen auf eigene Faust voranzutreiben, schien ihm zu riskant. Aber mit Attilas Hilfe würde es eine richtige Expedition geben.

Der dicke Magister kannte sehr viele der anderen Magier im Turm gut. Besser als er selbst und gut genug, um sie zu überzeugen, sich zu beteiligen oder wenigstens ihren Teil dazu beizutragen.

„Ihr werdet mich also unterstützen?“ wollte Attila da von ihm wissen und riss ihn aus seiner gedanklichen Abschweifung.

„Uneingeschränkt!“, entgegnete Gregor und brachte den anderen damit zum Lächeln.

„Sehr gut, mein Junge. Ich wusste, ich kann auf Euch zählen.“

Und ich auf Euch, dachte Gregor belustigt und lächelte ebenfalls. Und ich auf Euch.

11. Hiriko

Hiriko konnte es gar nicht mehr abwarten, zu ihrer Pflanze zu kommen. Trotzdem nahm sie sich Zeit ihren Ziehsohn zu begrüßen. Der Oger freute sich sehr, dass die Dryade wieder zurückgekehrt war, und war sichtlich enttäuscht, dass sie nicht erst ausgiebig mit ihm knuddeln wollte.

„Später, mein Schatz, Mama hat noch was zu tun.“

Damit eilte sie weiter, bis sie schließlich an ihrem Weinstock ankam. Svens erstaunte, in Holz erstarrte Züge gaben ihr einen kleinen Stich ins Herz, doch da sie ihn gleich befreien würde, tat es ihr kaum weh. Stattdessen glitt sie ohne weitere Umschweife in ihre Pflanze. Doch anstatt durch den Lebensstrom hindurch in die Kammer zu gleiten, in dessen Inneren sich Sven und Ingbold befanden, blieb sie im Strom des Lebens, lauschte und spürte. Tatsächlich, es fühlte sich an wie bei ihrer Begegnung mit Lunaria. Aber nicht genauso. Weniger konzentriert und zentralisiert.

„Mutter? Bist du da?“ Die Lebenskraft um sie herum pulsierte, aber antwortete ihr nicht. „Ich brauche deine Hilfe. Ich habe einen schlimmen Fehler gemacht. Bitte komm und rede mit mir.“

Hiriko rief, flehte und bat, doch Luna antwortete nicht. Nur die Lebenskraft um sie herum umschloss sie tröstend. Hiriko brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass sie so keine Antwort finden würde. Sie hatte einen Fehler gemacht. Nun lag es an ihr, ihn wieder zu korrigieren. Göttliche Hilfe war nicht zu erwarten. Als sie diese Erkenntnis akzeptieren konnte, verließ sie ihre Pflanze wieder. Zuvor stattete sie Sven und Ingbold noch einen kurzen Besuch ab, um sicherzugehen, dass sich nichts verändert hatte und es beiden nach wie vor gut erging. Dann machte sie sich auf, ihre Freunde zu treffen.

12. Ashley

Als Ashley endlich das Lager erreichte und nach dem dummen Kater und Fang fragte, erfuhr sie, dass diese gerade beisammen saßen. Die Blondine ärgerte sich darüber, dass Faqech und Koschkin so viel Zeit miteinander verbrachten, doch wurde ihr Groll von der Neuigkeit überrannt, die sie einige Sätze später von den Leuten des Lagers erfuhr.

Hiriko hatte tatsächlich Tilseg gefunden und zum Lager zurückgebracht. Offensichtlich war einiges passiert, seit sie zu ihrem vermurksten Jagdausflug aufgebrochen war.

„Bleibst du bei den Säbelfanten? Ich bin bald zurück.“

Ronja nickte und blickte der Blondine nach, als diese dann schnellen Schrittes ins Lagerzentrum stapfte.

Als sie sich der kleinen Gruppe näherte, die da im üblichen Lagertrubel hockte, verwechselte sie Tilseg zuerst mit Junior und wunderte sich warum Hirikos Oger so grün wirkte. Nachdem sie sich aber weit genug genähert hatte, erkannte sie ihren Kameraden in dem Muskelberg, der bei den anderen saß. Ihr derber Fluch machte die Runde auf sie aufmerksam.

„Hi Ashley“, rief ihr Hiriko entgegen, die vergnügt winkte. Auch die anderen stimmten nun Willkommensbekundungen an, die sie einfach überging.

Die Blondine beendete ihre Fluchkaskade und entgegnete ihnen: „Was zum Geier hat denn Tilseg so aufgepumpt?!“

Der grüne Hüne lächelte verhalten und erklärte ein weiteres Mal seinen Riesenwuchs.

„Das ist ganz schön krass“, kommentierte Ashley seine Erläuterung. „Und wann wird das Weichei kein Holzkopf mehr sein?“

Hiriko verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Ashley redete unterdessen einfach weiter.

„Es trifft sich gut, dass ihr hier gerade alle zusammen hockt, denn das, was ich zu sagen habe, ist dringend.“

Wie um ihre Worte unterstreichen zu wollen, machten etliche Rufe der Leute die Gruppe auf einen Drachen aufmerksam, der über dem Lager kreiste.

„Der ist neu“, Koschkin sprach diese Worte leise, aber gut verständlich. „Der ist größer als die anderen, die ich seit einiger Zeit beim Lager beobachte, und er hat auch eine andere Farbe. Ist das vielleicht einer von denen, die die Sirius angegriffen haben?“

„Nee. Die waren kleiner und hatten nur zwei Hörner“, entgegnete Hiriko selbstsicher.

„Wie aufs Stichwort“, murmelte die Blondine. „Das da oben ist Wadma, die Königin der Drachenklauen“, erklärte sie nun lauter. „Über diesen Drachen will ich mit euch sprechen, denn er hat mich auf der Jagd besucht und mir einige interessante Dinge erzählt.“

Zwischenspiel

Als die geballte Flugformation der Silberdrachen schließlich über die vielleicht zwanzig Kilometer messende Meerenge hinwegflog, die den ausgedehnten Meeresarm von der offenen See trennte, wurde sie merklich breiter. Einzeln oder in kleineren Gruppen scherten Drachen aus der Masse aus, um bestimmte Bereiche der Küste anzusteuern. Dahin, wo sie schon ihre eigene Kindheit verbracht hatten.

Ungefähr dort, wo die vielen Schiffwracks dümpelten, die inmitten des hier so dicht wuchernden Seeschlings festgehalten wurden, das dem Wasser von oben den Anschein gab, fast eine Grünfläche zu sein, löste sich die Kerngruppe endgültig auf und strebte in mehreren Banden verschiedenen Küstenabschnitten entgegen, die sich weiter im Inneren der Bucht befanden.

Die Drachen hatten es eilig. Sie waren zwar - von den Einzelgängern einmal abgesehen, die schon vor ihnen hier eingetroffen waren - die erste größere Welle von Silberdrachen, die das Brutgebiet erreichten. Trotzdem drängte die Zeit, sich die besten Bruthöhlen zu sichern, bevor eine der Mitreisenden diese für sich beanspruchte.

Wenn erst die nächsten Wellen folgten und hier eintrafen, würden bald die richtigen Kämpfe beginnen, um Brutplatz und Brutpartner.

13. Boris

Ashleys Ausführungen bestätigten Koschkin in seiner Meinung, dass sie und der Clan der Astronauten hier schnellstmöglich weg mussten. Leider schien sich seine Bordingenieurin in den Kopf gesetzt zu haben, tatsächlich zur Amazonenversammlung zu reisen. Das merkte er schon alleine daran, wie sie ihr Erlebnis mit dem großen grünen Drachen schilderte. Als sie schließlich mit ihrem Bericht endete, fluchte der Russe leise.

„Was?“ Ashleys Reaktion war scharf und ungehalten.

„Du willst doch nicht wirklich dahin?“, entgegnete der Kommandant so ruhig, wie er vermochte. „Was glaubst du, was die Amazonen mit dir machen, wenn sie dich in die Finger bekommen? Glaubst du wirklich, dass dieses Kurtai fair ablaufen wird?“

„Wadma scheint es ehrlich zu meinen.“

„Du glaubst dem Drachen? Wirklich? Hat er nicht selbst gesagt, dass die Amazonen dich tot sehen wollen?“

Nun war es an Ashley zu fluchen. Dabei funkelte sie Boris böse an, bevor sie gereizt antwortete: „Hast du denn eine bessere Idee, was wir machen sollen? Das Meer vor uns ist von diesem verfluchten Grünzeug überwuchert und völlig verseucht mit Fischfressen, die uns auch ans Leder wollen.“

„Wenn wir dafür weiter keine Lösung finden, müssen wir wohl über Land weiterreisen.“

Benders abwertendes Schnaufen sagte alles über ihre Meinung zu Koschkins Vorschlag.

„Wie wir zu Fuß in dieses Land gelangen, woher die hier heimischen Menschen stammen, wissen wir nicht“, gestand Boris vorsichtig ein.

„Auch der Seeweg ist uns unbekannt“, warf Tilseg ein.

„Boris hat recht, wir wissen nur, dass die Menschen mit Schiffen hierher gelangten“, unterstützte Faqech seine Aussage

Tilseg ergänzte seinerseits: „Es ist nicht sicher, ob sich die Heimat der Menschen auf der gleichen Landmasse befindet wie wir. Die Weiterreise zu Wasser ist nach meinen Berechnungen die vielversprechendste Option.“

Ashley fluchte und winkte ab, schien aber keine Argumente gegen diese Aussage vorbringen zu können. Tilseg fuhr ungerührt fort.

„Vielleicht könnten uns meine Informationen bei einer Entscheidungsfindung helfen.“

Die ruhig, fast monoton vorgetragenen Worte sorgten für überraschte Blicke und Verstummen seiner Freunde, die ihn nun kollektiv ansahen, als er weitersprach.

„Ich hatte ein längeres Gespräch mit einer Meerfee, die mir berichtete, warum ihr Volk sich gegenüber Menschen verhält, wie es dies tut.“

„Weil sie alle Arschlöcher sind!“

„Da irrst du dich, Ashley Bender. Nach meinen Berechnungen haben die Meerfeen Hinterlist und Wortbruch von den Menschen erlernt. Als die ersten Schiffe vom Seeschling eingefangen wurden, half das Wasservolk den Seeleuten an Land zu kommen. Generationen lang kooperierten Menschen und Meerfeen miteinander zum Nutzen beider Völker, bis die Amazonen sie betrogen und ihnen etwas Wichtiges stahlen. Dieses Artefakt schützte das Volk vor gefährlichen Jägern in diesen Breiten.“

„Vor diesem Schrigoran?“ Hiriko war ganz aufgeregt und zappelte neben Tilseg auf ihrem Platz. „Dem, von dem die Meerfeen mir erzählt haben?“

„Inkorrekt. Über ein Wesen mit dem Namen Schrigoran habe ich keine auswertbaren Informationen, die uns nützen. Nach meinen Berechnungen und den Erläuterungen meiner Gesprächspartnerin zu urteilen, leben diese Jäger oberhalb des Spiegels, wie sie die Wasseroberfläche nennen. Dank den Informationen, die ich von Hirikos Dryadenfreundinnen erhalten habe, handelt es sich bei diesen besagten Jägern mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls um Drachen.“

„So viele Drachen gibt es hier jetzt auch wieder nicht“, widersprach Koschkin. „Ich habe mir zunächst auch Sorgen wegen ihnen gemacht. Aber außer den paar Silberdrachen, die sich hier herumtreiben, habe ich hier nur den großen Grünen über uns gesehen.“

„Korrekt. Nur scheint es so zu sein, dass es sich bei den Silberdrachen, die du bisher gesichtet hast, nur um einen kleinen Teil der hier eigentlich lebenden Population handelt. Beim Durchrechnen der mir vorliegenden Informationen komme ich zu dem Schluss, dass diese Drachenart Verhaltensweisen ähnlich wie die von Zugvögeln der Erde aufweisen und sie nur zu bestimmten Zeiten geballt in dieser Region auftreten.“

„Oh Mann. Sag nicht, dass dieser Zeitraum von den Meerfeen als Jagdzeit bezeichnet wird.“ Hiriko bekam große Augen und ergänzte, als die meisten sie verständnislos ansahen. „Die Meerfeekönigin erzählte mir, dass sich ihr Volk auf die Jagdzeit vorbereiten muss. Dafür brauchen sie unsere Leute und die Tiere. Als Vorräte. Auch dieser Schrigoran hatte irgendetwas damit zu tun, aber was, kann ich nicht sagen.“

„Die Wahrscheinlichkeit dafür ist als sehr hoch anzusehen“, bestätigte Tilseg.

„Also werden wir noch mehr Probleme bekommen?“ Koschkins Miene verfinsterte sich bei diesen Worten.

„In der Tat, das ist korrekt.“

Boris fluchte, Ashley ebenso.

„Aber die Drachen haben uns bisher doch noch gar nichts getan.“ Hiriko klang sehr ernst, als sie ihre Stimme erhob. „Außer bei der Landung mit der Sirius7 hatten wir bisher keine Probleme mit ihnen. Wieso sollte sich das ändern?“

„Welche Auswirkungen die Jagdzeit für uns hat, kann ich zurzeit nicht festlegen“, entgegnete der grüne Hüne ruhig. „Die Furcht des Meervolks ist nicht unbegründet und sollte von uns nicht leichtfertig ignoriert werden.“

„Wenn diese Jagdzeit wirklich jetzt ansteht, könnte es auch die Evakuierung der Dörfer hier erklären“, dachte Boris laut. „Bisher sind wir davon ausgegangen, dass wir der Grund wären, warum die Ortschaften verlassen waren. Was ist, wenn die Amazonen vom Clan der Küstenjäger andere Gründe hatten? Beispielsweise die Ankunft vieler Drachen, die diese Siedlungen gefährden?“

„Darum haben wir auch keine Patrouillen von ihnen getroffen!“ Ashleys Augen weiteten sich, als ihr etwas bewusst wurde. „Die verfluchten Weiber haben uns eine Falle gestellt! Darum hatten sie nichts dagegen, dass wir uns hier aufhalten. Und vermutlich ist das auch der Grund, warum wir uns nicht umsehen sollten. Diese kleinen, verfluchten …“ Der Rest des Satzes kippte in einen derben, kaum verständlichen Fluch um, während die Blondine ihre Fäuste ballte.

„Das ergibt durchaus einen Sinn“, meldete sich nun Fang zu Wort. „Was ist das denn für ein Artefakt, das den Meerfeen gestohlen worden ist und sie gegen die Drachen schützen soll?“

„In diesem Punkt sind meine Informationen leider sehr unklar. Die Meerfee, mit der ich sprach, wollte sich nicht genauer dazu äußern. Doch bin ich mir sicher, dass der Clan der Küstenjäger im Besitz dieses Artefaktes ist.“

„Und wie soll uns das alles weiterbringen?“

Ashley war wirklich ungehalten, das konnte Koschkin deutlich an ihrer angespannten Körperhaltung, den geballten Fäusten und ihrer Stimmlage erkennen.

Sorgen stiegen in ihm auf, ob sie vielleicht kurz vor einem neuen Anfall stand und sie vielleicht im nächst Moment ausrasten und alle angreifen würde. Doch stattdessen sprach sie, wenn auch mit verärgerter Stimme, einfach weiter.

„Die Infos über diese Drachen oder die Probleme der Fischfressen mit den blöden Küstenjägern haben nichts mit der großen Versammlung zu tun.“

„Wenn wir den Gegenstand von den Küstenjägern bekommen könnten, den die Meerfeen wollen, würde das ihre Bereitschaft mit uns zusammenzuarbeiten deutlich erhöhen. Das könnte uns den Weg zum Meer eröffnen.“

„Tolle Idee, Superhirn“, ätzte Ashley in Tilsegs Richtung. „Und was soll uns das bringen? Haben wir seit neustem genügend Schiffe, um hier wegzukommen, oder wenigstens eine Ahnung, wohin wir schippern sollten? Und selbst dann, was ist mit dem Grünzeug im Wasser? Warum sollten wir mehr Glück mit dem Zeug haben, als die Mannschaften der Wracks da draußen?!“

„Das alleine kann nicht unsere Lösung sein“, pflichtete Boris ihr zu. „Aber wenn wir es schaffen, uns mit den Meerfeen zu einigen, wären wir schon einen Schritt weiter.“

„Dann versucht das ruhig“, erwiderte Bender genervt. „Ich halte es für sinnlos. Stattdessen werde ich zur Versammlung der Amazonen reisen und den Weibern ihren Kopf zurecht rücken. Die erzählen einen Scheiß über mich und uns, den ich nicht so stehen lassen kann. Aber vorher muss Fang sich die Säbelfanten ansehen. Die beiden Großen haben miteinander gekämpft.“

„Dein neues Rudel ist wilder als dein letztes. Sie werden mich nicht in ihrer Nähe dulden“, entgegnete Fang nachdenklich. „Darum brauche ich auch Hiriko“, bestimmte Ashley. „Die kann das regeln.“ „Mich?“ Hiriko, die offenbar nicht richtig zuhörte, schloss schleunigst zum Gespräch auf, als ihr Name fiel. „Was denn für ein neues Rudel? Du hast neue Säbelfanten? Wann hast du dir die denn angelacht?“

„Ist doch jetzt egal! Kommt einfach zu mir, wenn ihr hier fertig seid. Ich habe genug von dem Gelaber!“ Damit drehte sich die Blondine um und verließ ihre Freunde zügig und sichtlich geladen.

„Hoffentlich schlägt sie unterwegs niemanden zusammen“, brummte Koschkin, während er ihr hinterher starrte. Auch Faqech neben ihm blickte ihr nach.

„Sie hat sich wieder besser unter Kontrolle, seit ich sie von dem mächtigen Geist befreit habe, der sich in ihr festgesetzt hatte. Aber weiterhelfen kann ich ihr nur, wenn sie nicht ständig unterwegs ist.“

Koschkin nickte nachdenklich, als Ashley seinem Blick in der Menge entglitt, und entgegnete dann. „Sie sollte auf jeden Fall nicht alleine gehen. Die Folgen davon könnten verheerend sein. Selbst wenn sie nicht ausrastet, ist Ashley nicht gerade diplomatisch.“

„Sicher. Jemanden mit ihr mitzuschicken, hat bisher ja auch immer gut geklappt.“

Fangs Kommentar verwunderte den Russen so sehr, dass er stockte. Ironie war normalerweise nicht ihre Art. Hiriko ließ ihm aber keine Zeit weiter darüber nachzudenken.

„Wartet mal, Ashley war von einem Geist besessen? Oder habe ich mich da eben verhört?“ Der Dryade stand der Mund offen.

„In der Tat, das ist eine interessante Information“, bestätigte Tilseg.

Die Reaktionen seiner Freunde machte Boris darauf aufmerksam, dass die anderen ja gar nichts darüber wussten, was im Lager so passiert war.

Also brachten er und Faqech die zwei auch in diesen Punkten auf den neusten Stand, um danach weiter darüber zu sprechen, was nun zu tun war.

14. Ashley

Ashley erreichte ohne Zwischenfälle den Rastplatz des Rudels, da ihr jeder, der ihren Weg kreuzte, auswich und Abstand hielt. Auch im Lager hatte sich ihr Temperament herumgesprochen. Bender ließ sich grummelnd neben Ronja sinken und schwieg.

„Probleme?“, fragte die Rothaarige nach einer Weile.

„Nein. Alles klar.“ Ashleys Stimme machte der Kriegerin deutlich, dass es besser war, nicht weiter nachzufragen und die Blondine in Frieden zu lassen.

Ihr gemeinsames Schweigen dauerte jedoch nicht lange, da der Drache wieder zu ihnen herabstieß und landete. Er hatte gerade elegant aufgesetzt, als er auch schon seine Stimme erhob: „Nun, Ashley Bender, wie lautet deine Entscheidung?“

Die Landung des Ungetüms und seine weittragende Stimme, hatten für einige Aufmerksamkeit gesorgt und bewirkt, dass sich schnell eine ansehnliche Meute an Menschen versammelte. Die Menge hielt aber einen gebührenden Abstand und war nicht in der Lage, Ashleys Gesprächspart mitzuverfolgen. Den Drachen verstanden sie jedoch ausgezeichnet, jedenfalls diejenigen, die des Westländischen mächtig waren.

„Ich werde den Kurtai aufsuchen und Stellung gegen die Lügen beziehen, die dort verbreitet werden.“

„Das ist eine kluge Entscheidung“, lobte der Drache. „Dann lass uns aufbrechen.“

„Ich kann jetzt noch nicht los. Mein Säbelfant ist verletzt. Es wird eine Weile dauern, bevor ich wieder auf ihm reiten kann.“

„Die Zeit drängt. Ich bin sicher, dass die Vier Flüsse und die Wogenden Wipfel in jedem Moment meiner Abwesenheit für ihre Position werben werden.“

„Und wenn schon? Was soll ich dagegen tun? Ich kann noch nicht fliegen!“

„Ich hingegen schon.“

„Was? Ich soll auf deinem Rücken reiten?“

„Nein.“ Rauch quoll aus den Nüstern des Ungeheuers und ein tiefes Grollen folgte. Dann sprach der Geschuppte weiter. „Warum scheint mich jeder mit einem Pferd zu verwechseln? Ich bin ein echter Drache, keiner dieser tumben Silberlinge, die hier überall herumflattern.“

„Wenn du mich nicht tragen willst, was nützt es mir dann, dass du fliegen kannst?“

„Das ist der Unterschied. Ich wäre bereit, dich zum Versammlungsplatz zu tragen. Doch niemand reitet auf mir!“

Der Drache grollte und spie eine Feuerschneise in Richtung der Gaffer, die sich zu nah herangewagt hatten, und trieb sie damit wieder auf Abstand. Ashley schluckte, sprach aber mit fester Stimme weiter.

„Warum bist du bereit uns zu helfen? Siehst du in mir oder im Clan der Astronauten keine Gefahr wie die anderen Clans?“

„In gewisser Weise schon. Aber einen echten Drachen kann niemand so leicht täuschen. Du bist ehrlich zu mir und dein Wesen passt nicht zu dem Bild, das im Kurtai gezeichnet wurde. Darum glaube ich, dass die Anschuldigungen, die gegen dich und deinesgleichen erhoben werden, falsch und übertrieben sind.“

„Du willst mir jetzt aber nicht erzählen, dass du das aus reiner Selbstlosigkeit machst, oder?“

„Nein. Zum einen sind es unsere Gemeinsamkeiten, die mich dazu bewogen haben, dich zu unterstützen.“

„Was habe ich mit einem Drachen gemein?“

Der Drache schnaufte verärgert, als sie ihn unterbrach.

„Höflichkeit ist es schon einmal nicht. Wir sind beide Sonderlinge unter den Führern der Clans. Wir passen nicht so recht in ihre Denkweise und das System. Wenn auch aus verschiedenen Gründen, die in meinem Fall offensichtlicher sind, als in deinem. Zum anderen gefällst du mir einfach, frecher kleiner Mensch. Es gibt nicht viele, die sich in meinem Angesicht so natürlich zeigen, wie du es tust. Und noch weniger, die bereit sind mir die Stirn zu bieten. Bis zu einem gewissen Grad weiß ich dieses Verhalten zu schätzen.“

„Du hilfst mir also, weil du mich magst?“

„So kann man es auch ausdrücken“, bestätigte der Geschuppte nun amüsiert.

Ashley fluchte leise, während sie über die Worte des Ungetüms nachdachte. Der Drache hatte recht, wenn er darauf hinwies, dass sie nicht zu viel Zeit verschwenden sollte, bevor sie sich dem Kurtai stellte. Besser früher als später.

„Na gut, Wadma, wie hattest du dir den Transport denn vorgestellt?“

Zwischenspiel

Ingbold war sichtlich erstaunt, welche Materialien die Wohnstätte des Dorfschamanen beherbergte. Gregar war nicht der einzige Halbmensch, der sich mit der Zauberkunst der Schulmagie intensiver beschäftigte, als es für einen Schamanen üblich war. Das war ihm klar. Dass er selbst es war, der dessen Vorgänger die Kunst der Schulmagie beibrachte, verdrängte der Magier in diesem Moment gekonnt. Der Gedanke hätte ihn zwangsweise daran erinnert, dass die nun von Gregar genutzten Schriften einst sein Eigen waren und sein eigenes Wissen gegen ihn eingesetzt wurde, um ihn zu töten und auch um ihn nun gefügig zu halten.

Der ehemalige Lehrer seines Knechtmeisters hatte sogar die herausgetrennten Seiten seines Kompendiums der Anderswelt aufbewahrt, obwohl er diese Seiten offenbar als zu gefährlich angesehen hatte. Sie zu vernichten hatte er dann doch nicht gewagt und sie stattdessen separat verborgen. Doch Gregar schien kein Problem gehabt zu haben, sie trotzdem zu Tage zu fördern.

Mithilfe der Aufzeichnungen und des Magisters erweiterte er das Beschwörungspentagramm fieberhaft, doch hoch konzentriert, bis weder er noch Ingbold einen Fehler finden konnten.

„Sag mir, Geist, sind wir bereit?“

„Dieses Mal müsste es funktionieren“, bestätigte Ingbold dem Schamanen. „Der Dämon ist stark, aber ich bezweifle, dass seine Macht über die zehnte Stufe hinausgeht. Andernfalls …“ Der Magister beendete seinen Satz nicht, was dem Schamanen sehr wohl auffiel.

„Was andernfalls? Rede, Geist, was hat es mit diesen Stufen auf sich?“

Im Allgemeinen werden die Wesen der Anderswelt in Kraftstufen unterteilt, die eine grobe Orientierung über die Macht dieser Kreaturen ermöglichen.“ Ingbold hoffte mit dieser Antwort genügend gesagt zu haben, doch der Schamane bohrte nach.

„Wieso glaubst du, dass die Macht des mächtigen Geisterwesens unterhalb dieser zehnten Stufe liegt?“

„Nun ja, wäre Nimdraguhhn ein Dämon mit solcher Macht, hätte ihn unser erstes Pentagramm nicht einmal festhalten können, nachdem er ins Diesseits eingetreten war. Doch besitzt der Dämon wenigstens die fünfte Stufe, da er sich den Kontrollelementen unseres ersten Beschwörungskreises entziehen konnte, was schwächeren Dämonen in der Regel nicht möglich ist.“

„In der Regel? Du strapazierst meine Geduld, Magier!“

„Es gibt immer Ausnahmen von der Regel. Das dürftet ihr genauso gut wissen wie ich. Das Pentagramm wird dieses Mal seinen Zweck erfüllen, ich gebe Euch mein Wort darauf.“

„Also gut, dann werde ich das Ritual erneut beginnen“, entgegnete der Schamane und begann ohne weitere Umschweife, die Beschwörungsformeln zu rezitieren, während Ingbold gespannt darauf wartete, was der Dämon nun zu bieten hatte.

Zunächst aktivierten sich die Schutzzauber des Drudenfußes, dann die Komponenten, die Wesen der Anderswelt im Diesseits und an den Beschwörer fesselten. Erst dann begann die eigentliche Beschwörung.

Gregar bewies dem Magister erneut, dass er den Halbmenschen nicht unterschätzen durfte, da er erstaunlich rasch lernte und die Formeln hervorragend zu sprechen wusste. Trotzdem geschah nichts, was auf die Anwesenheit eines Dämons hinwies. Nur das Surren der überall herumsausenden Fliegen war zu vernehmen.

„Was hat das zu bedeuten, Geist?“ Gregars Stimme klang unheilschwanger, als er den Magister schließlich wieder ansprach. „Warum hat es nicht gewirkt?“

Ingbold sah durch die Zwischenwelt die Bereitschaft des Pentagramms. Es war sehr wohl aktiv, die Zauber des Orks entfalteten ihre Wirkung.

Nimdraguhhn sah er jedoch nicht. Nur etliche Fliegen, die im Inneren des Drudenfußes eingeschlossen waren.

„Es müsste … Nein, es hat funktioniert“, entgegnete er hastig. „Der Dämon muss hier sein!“

„Nichts deutet darauf hin!“ Das bösartige Funkeln in den Augen des Orks ließ Ingbold körperlos erschaudern. „Hast du mich betrogen?“

Nein, nein. Das würde ich niemals! Er muss hier sein. Er versteckt sich nur vor uns und hofft, dass wir auf seinen Trick hereinfallen.“

„Was ist dein Vorschlag?“

„Ruft seinen Namen und befehlt ihm sich zu zeigen. Die Macht des Pentagramms wird ihn zwingen zu gehorchen.“

„Das will ich dir auch raten. Nun denn, Nimdraguhhn, beende dein Versteckspiel und zeige dich mir. Ich, dein Herr und Meister, befehle es!“

„Mein Herr und Meister? Das ich nicht lache“, summte es darauf aus dem Fliegenschwarm im Pentagramm. Ein Fliegenschiss bist du für mich!“

Trotz der abfälligen Bemerkung vergrößerte sich der Körper eines der Insekten und begann sich aufzublähen, bis es in etwa menschengroß im Beschwörungskreis schwebte. Aus großen Facettenaugen starrte das mit einem schwarzen Chitinpanzer bewehrte, haarige Wesen den Ork kalt an, als es weitersprach.

„Du hast also tatsächlich auf den Fettsack gehört? Dummer kleiner Ork! Dieses Mal werde ich nicht so nett zu dir sein.“

„Schweig still, wenn ich mit dir rede, ich befehle es!“

Der Dämon fauchte, sprach jedoch nicht weiter. Stattdessen wogte nun ein übelriechender Gestank von Fäulnis und Verwesung von der Riesenfliege her zu ihnen herüber. Gregar, merklich erfreut dass der Dämon diesmal gehorchte, wenn auch widerwillig, kam nun ohne weiteren Schnickschnack zur Sache.

„Du sollst fortan mein Werkzeug sein, unterwerfe dich mir und diene gut und ich werde dich dorthin zurückschicken, woher du gekommen bist, nachdem deine Arbeit hier beendet ist.“

Das große Insekt sank zu Boden und zuckte wie unter Krämpfen, während es langsam den Kopf neigte und eine unterwürfige Haltung einnahm. Der mächtige Geist unterwarf sich tatsächlich seinem Willen. Der Ork lächelte und fuhr fort.

„Bediene dich der Leichen in diesem Dorf, die dir einen Körper geben und dich schützen werden.“

Die ineinander verworrenen Symbole des Pentagramms knisterten leise, als der Dämon dem Willen des Orks unterworfen wurde. Der Insektenkopf des Dämons nickte stumm, bevor der Leib der Kreatur explodierte und das Innere des Dudenfußes mit Fliegeninnereien übersäte. Die Überreste brodelten, als würde das Fleisch kochen und verdampfte. Die Dampfschwaden verflüchtigten sich nach allen Seiten, auch über den Rand des Beschwörungskreises hinaus.

„Was geschieht nun?“ Gregars Stimme zitterte nun doch.

„Der Dämon beginnt Euren Befehl auszuführen“, entgegnete Ingbold siegesgewiss.

„Indem er sich selbst vernichtet?“

„Dämonen haben eine eigene Art ihre Befehle zu befolgen. Ihr werdet schon sehen.“

„Das Ritual ist also erfolgreich?“

„Geduldet Euch und wartet ab, was nun geschieht.“

Gregar nickte und wartete, während der Magister innerlich jubelte. Der Halbmensch hatte gerade seine erste Anweisung befolgt. Es ging voran!

15. Boris

Boris rannte und kam doch zu spät. Hiriko und Tilseg hatten mühelos mit ihm Schritt halten können und wurden daher genau wie er Zeuge, wie der Drache mit Ashley startete und mit kräftigen Flügelschlägen abhob. Seine Bordingenieurin klammerte sich am linken Vorderlauf des Drachen, der rasch in die Lüfte stieg und sich schnell entfernte.

Koschkin fluchte ausgiebig, während Faqech zu ihnen aufschloss und gemeinsam mit den anderen beobachtete, wie das Ungetüm ihre Freundin mit sich nahm.

„Mannomann“, wisperte Hiriko.

„So viel dazu, dass Ashley jemanden mitnehmen soll“, kommentierte Faqech resigniert. „Eigentlich sollten wir mittlerweile wissen, dass sie es nicht mag, begleitet zu werden.“

„In der Tat“, bestätigte Tilseg.

„Was machen wir jetzt?“ Hiriko schaute die anderen fragend an.

„Wir müssen hinterher“, beschloss Koschkin, nachdem er mit Fluchen fertig war. „Das Ganze riecht mir zu sehr nach einer Falle.“

„Das Kurtai ist heilig“, mischte sich Ronja ein, die zu ihnen gestoßen war und nun Tilseg anstarrte, während sie weitersprach. „Während seiner Dauer wird es zu keinen Kampfhandlungen kommen.“

„Da kennst du Ashley schlecht. Weißt du, wo der Drache sie hinbringt?“

„Ja. Zum Kloster von Laylay. Dort findet das Kurtai statt.“

„Ist es weit weg von hier?“, wollte Hiriko wissen.

„Es ist von hier aus etwa genauso weit entfernt wie Zweibrücken.“

„Das ist die Amazonensiedlung, die wir überwinden mussten, um hierher zu gelangen“, fragte Faqech nach, „richtig?“

„Genau. Mit dem Pferd dauert die Reise drei bis vier Tage.“

„Nach der Fluggeschwindigkeit des Drachen zu urteilen, würde er diese Strecke in weniger als der halben Zeit zurücklegen.“ Tilseg legte die Stirn in Falten. „Selbst wenn wir sofort aufbrechen, wird Ashley einen großen Vorsprung haben.“

„Egal! Die Entscheidungen, die dort getroffen werden, gehen uns alle etwas an.“

„Boris hat recht“, stimmte Faqech zu. „Aber wir können nicht alle gehen. Unsere Gemeinschaft ist zu groß, um schnell voranzukommen.“

„Ein Trupp Berittener sollte nicht dieses Problem haben.“ Koschkin war sehr aufgewühlt, als er dies sagte.

„In der Tat. Doch muss auch diese Gruppe durch Clanterritorium. Dies könnte zu negativen Auswirkungen führen, sowohl was unsere Position bei der Versammlung, als auch die Sicherheit unseres Lagers betrifft.“

„Möglich. Darum werde ich den Trupp anführen.“

„Es wäre besser, wenn du das jemand anderem überlässt.“ Faqechs Einwand führte dazu, dass der Kommandant sie fassungslos anstarrte, während sie weitersprach. „Ashley reagiert zwar auf deine Anwesenheit besser als früher, doch ist sie immer noch sehr aggressiv, wenn du dabei bist. Deine Gegenwart bei der großen Clanversammlung könnte alles nur noch schlimmer machen. Du solltest besser im Lager bleiben, um die Leute zu beruhigen.“

Gegen das erste Argument konnte Boris nichts einwenden, denn es war tatsächlich so, wie Fang es sagte. Doch dass er zur Beruhigung der Leute hierbleiben sollte, konnte er so nicht einsehen, nachdem er nicht mehr das einzige Crewmitglied im Lager war.

„Wieso? Tilseg ist viel besser darin die Leute zu beruhigen als ich.“

„In der Tat“, pflichtete der Grüne ihm bei, was Koschkin ein wenig verletzte. „In der Regel mag dies tatsächlich der Fall sein, doch müssen sich die Leute zunächst an die veränderten Größenverhältnisse meiner Person gewöhnen.“

„Das sollte jedoch kein Problem darstellen, während du die Delegation begleitest.“

„Ich komme auch mit!“, unterbrach Hiriko die Schamanin aufgeregt.

„Gut“, stimmte Fang zu, auch Tilseg nickte.

„Ich habe wohl gar nichts mehr zu sagen“, murmelte Koschkin, fluchte kurz und nickte dann ebenfalls. „Tilseg und Hiriko brechen also mit einer Abordnung unseres Clans zum Rat der Amazonen auf, um Ashley zu unterstützen.

„Junior und Nirilis kommen natürlich auch mit“, mischte sich Hiriko wieder ein.

Koschkin seufzte und fuhr fort: „Ja, natürlich. Wenn ihr sowieso schon zu einem Ort reist, an dem sämtliche Amazonenclans anwesend sind, könnt ihr auch unsere freiwilligen Gefangenen mitnehmen. Wenn sie als Gefangene übergeben werden, kann ihnen niemand Illoyalität vorwerfen oder behaupten, dass sie in unserem Auftrag spionieren. Dann haben wir gleich mehrere Gründe Clangebiet unerlaubt zu durchqueren.“

„Wie sollten noch darüber sprechen, wie unsere Abordnung zusammengesetzt ist“, gab Faqech zu bedenken.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739445755
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Worldbuilding Freunde Action Gefahr Drachen Untote Rollenspiel Spannung Dämon episch Episch Fantasy High Fantasy Roman Abenteuer Kinderbuch Jugendbuch

Autor

  • Thorsten Hoß (Autor:in)

Thorsten Hoß wurde in den Siebzigerjahren geboren und wuchs im Rheinland auf, wo er heute noch lebt. Mit Legasthenie geschlagen, brauchte es sehr lange, bis aus seiner Liebe zu Geschichten eine Leidenschaft zum Schreiben wurde. Im Rahmen seiner pädagogischen Arbeit entwickelte er zudem das Rollenspielsystem Lunaria und die gleichnamige Welt, bevor er begann, seine Lunariaromane zu schreiben.
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Titel: Kurtai der Amazonen