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Turm des Sammlers

Die Crew der Sirius 7, Band 7

von Thorsten Hoß (Autor:in)
418 Seiten
Reihe: Die Crew der Sirius 7, Band 7

Zusammenfassung

Dem mysteriösen Sammler soll Einhalt geboten werden. Die Königin der Astronauten versucht sich dabei in ihrer persönlichen Interpretation von Diplomatie. Aus den eigenen Reihen ist keine magische Unterstützung zu erwarten. Geisterprobleme, ein gewaltiger Krake vor der Küste und ein Drache, der um Hilfe bittet. All das hält die Crew der Sirius7 schwer auf Trab. Doch unbemerkt von allen breitet sich ein Unheil aus, das den Clan vernichten könnte.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Impressum

Turm des Sammlers

(Die Crew der Sirius7, Band 7)

Deutsche Erstausgabe

©2020 Thorsten Hoß

Sirius7@rollenspielseminar.de

www.lunariaromane.de

Covergestaltung: Polina Hoß

Lektorat: Polina Hoß

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der

Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Postadresse des Rollenspielseminars

Wilhelmstr. 26 41363 Jüchen

Widmung

Für meine Frau,

ohne die mein Leben

um vieles ärmer wäre.

Prolog

Die blonde, durchtrainierte Frau bewegte sich so selbstverständlich durch diese Welt, als wäre sie nicht von einem anderen Planeten. Diesen Umstand würde niemand erahnen, der sie hier zu Gesicht bekam. Denn weder ihre Erscheinung, noch die Kleidung aus Tierhaut und Naturstoffen deuteten darauf hin. Auch der Kristall, der fest in der Mitte ihrer Stirn eingewachsen war, - und durchaus nichts Alltägliches darstellte, - gab keinen Anlass zu zweifeln, dass diese Menschenfrau nicht auf Lunaria geboren wurde. Trotzdem kam sie von einer anderen Welt, die eine fremde Sonne in einem weit entfernten Planetensystem umkreiste.

Dass allabendlich ein Ebenbild ihrer Heimat am Firmament erschien, wenn die hiesige Sonne am sternenlosen Himmel unter- und die vier Monde Lunarias aufgingen, würde jemand anderen vielleicht verstören. Aber die Frau beachtete das Bildnis der Erde nicht, wenn es über ihr erschien.

Sie war nicht schmächtig, doch ihre Statur war beileibe nicht so kräftig wie die ihrer anderen menschlichen Begleiter. Dieser Umstand verriet einem Kundigen einiges. Beispielsweise, dass sie nicht direkt aus einem Amazonenclan stammte wie ihre Freunde. Am ehesten hätte man sie den wilden Menschen zugeordnet, die im Schutz des Blätterdachs dieses Waldes außerhalb der Clangebiete der kriegerischen Amazonen lebten.

Die blonde Frau aber war nicht irgendwer. Das konnte man schon beim Anblick ihres Gefolges erahnen. Ihre Begleiter waren nicht nur zahlreich, sondern auch ungewöhnlich. Schon deshalb, da sie sowohl von Männern als auch von Frauen aus dem Amazonengeschlecht begleitet wurde. Das allein war bereits ein Unding aus traditioneller Sicht der Amazonen, galt bei ihnen doch das Kredo, dass der Mann Untertan der Frau war. Männer waren für sie nicht mehr als Sklaven, Diener und gelegentlich geliebtes Haustier und Zeitvertreib. Doch niemals gleichberechtigt, wie es in dieser seltsamen Schar der Fall zu sein schien.

Zum Gefolge gehörte noch eine ganze Horde Goblins, unter die sich noch eine ansehnliche Rotte Tiermenschen und einige Orks mischten. Unter dem Kuddelmuddel von Spezies fiel ein Muskelprotz aufgrund seiner grünen Hautfärbung besonders auf. In Angesicht des mitlaufenden Minotaurus' sowie des furchteinflößenden Reittiers der Blondine war diese Besonderheit jedoch fast nebensächlich. Das pferdegroße Ungetüm, auf dem die Frau saß, war in ein Schuppenkleid aus kleinen Hornplatten gehüllt, besaß zwei lange, säbelartige Eckzähne in seinem Raubtiermaul, spitze Ohren und einen kurzen Rüssel. Ein Tierkenner hätte das große Wesen spielend als männlichen Säbelfanten identifizieren können. Des Weiteren hätte er gewusst, dass diese Raubtiere gefährliche Jäger waren, denen man besser aus dem Weg ging.

Alleine die Idee, auf einem von ihnen zu reiten, war einfach absurd. Und doch ritt nicht nur die Blondine einen Säbelfanten, als wäre daran nichts Ungewöhnliches, sondern auch die Frau neben ihr. Diese rothaarige Kriegerin war klar als Amazone zu erkennen. Dass sie auf einem Säbelfanten ritt, wäre für jede andere Clanfrau Indiz genug, um zu wissen, wer da durch den Wilden Wald reiste. Jede Amazone wusste, dass es in diesem Teil der Welt nur zwei lebende Menschen gab, die tollkühn genug waren, um diese Raubtiere zu besteigen: die blonde Königin der Astronauten, Ashley Bender, und dann noch ihre Geliebte und ehemalige Amazonenprinzessin Ronja.

Etwa zwei Drittel der bunten Schar in ihrem Gefolge waren ebenfalls beritten. Doch saßen diese nicht auf Säbelfanten, sondern ritten etwa zu gleichen Teilen auf kräftigen Pferden oder ebenso großen Reitschweinen. Der Rest ihrer Leute ging zu Fuß.

Obwohl es das dichte Blattwerk der Bäume nicht erlaubte, wurden die Reisenden von dort durch zwei körperlose Entitäten beobachtet.

Es war klug von dir, ihre Königin für dich einzunehmen und sie mit deinem Wächter zu vereinen, begann eine von ihnen einen Dialog.

Was meinst du?

Sag mir nicht, du spürtest nicht ihr wachsendes Potential?“

Doch. Natürlich spürte ich es.“

„Wenn es so weiter gegangen wäre, hätte sie eines Tages zu einer von uns werden können.“

„Findest du, sie hätte dieses Schicksal verdient?“

„Sie wäre wie wir.“

„Nein, nicht wie wir. Sie wäre wie die anderen. Du weißt doch, wie das mit Göttern ist, die nur aus dem Glauben der Sterblichen erwachsen. Es ergeht ihnen wie ihren unzähligen Vorgängern. Sie wachsen heran, blühen eine Weile und vergehen, wenn sie vergessen werden.“

„Oder wandeln sich.“

„Ist es ein besseres Schicksal, wenn man wie wir war?“

„Nein. Das ist wahr. Gut, sie ist nun dein Wächter. Und was hast du mit ihr vor?“

„Nichts.“

„Nichts?“

„Sie ist mein Wächter. Verpflichtet, uns vor Es zu schützen. Mehr nicht.“

„Sie ist also noch frei?“

„Natürlich.“

„Das ist vernünftig.“ Stille. „Doch leider ist die Reise meiner fremden Kinder ins Stocken geraten.“

„Das stimmt. Aber sie haben nun einmal einen freien Willen.“

„Ja. Und das ist auch gut so. Doch meinst du, sie werden je das Tor erreichen, damit wir erfahren, was mit mir in ihrer Welt geschehen ist?“

„Ja. Ganz bestimmt. Sie werden ihre Reise fortsetzen.“

„Meinst du, dass dies ausreichen wird?“

„Das bleibt abzuwarten. Diese Entität schien einen Moment zu zögern. Dann sagte sie: „Was ist mit deinem Sohn? Wird er bereit sein?“

„Ja. Er ist auf dem Weg. Aber es ist immer noch eine weite Reise. Für ihn wie auch für diese Sterblichen. Und das Feld geeigneter Kandidaten ist sehr dünn.“

„Ja. Es ist nur noch einer, wenn man es genau nimmt. Doch für unsere Zwecke sollte der eine reichen.“

„Wenn er denn das Tor durchschreitet.“

„Das wird er. So wahr ich Lunaria heiße.“

„Gut. Sagen wir den anderen, wie es steht, und schauen später noch einmal nach ihnen.“

„Einverstanden.“

Von jetzt auf gleich waren die unzähligen Blätter wieder unter sich. Sie wisperten davon, was sich soeben zugetragen hatte. Doch außer ihnen hatte niemand Notiz von der stattgefundenen Unterhaltung genommen. Und wer achtet schon auf das Geraune von Blättern.

1. Tilseg an der Küste

Das schwere Unwetter über der Küste tobte unablässig heftig weiter. Tilseg saß geschützt an einem Höhleneingang und starrte in die Regenschleier vor ihm. Blitze erhellten das Panorama, wenn sie über den Himmel zuckten, und entblößten eine stürmische See, die fast ebenso wütend gegen die Klippen brandete, wie es der Orkan über ihm tat. Seit die unnatürliche Gewitterfront die Steilküsste erreicht hatte, ging das schon so, ohne dass der Sturm an Kraft einbüßte. Nur die Silberdrachen trotzten Wind und Wetter. Ungerührt zogen sie ihre Kreise über den Steilklippen an der Küste des Astronautengebiets. Jedes andere Geschöpf war außerhalb der Höhlen in Lebensgefahr. Die Silberdrachen jedoch fühlten sich offenbar sogar recht wohl in dem ständigen Blitzgewitter. Tilseg wunderte dies kaum, spien die Ungetüme doch schließlich selbst Blitzbälle, wenn sie ihre Luftkämpfe austrugen oder jagten.

Sie nisteten auch in den zahlreichen Rissen und Löchern der Felsen, die genug Platz für sie boten und teils tiefer in ein natürliches Höhlensystem führten, wo auch Angehörige der Astronauten einige der unterirdischen Kavernen bewohnten und sich häuslich eingerichtet hatten. Durch Gänge und Kammern verbunden, erstreckte sich ihr unterirdischer Einflussbereich von den Überresten des Wasserfalls des Grenzflusses bis zu den Katakomben der ehemaligen Clanburg der Küstenjäger.

Ihre Bereiche hatten die Astronauten von dem übrigen Höhlensystem abgegrenzt, so gut es ging. Schon wegen der großen Spinnen, die in den Tiefen lauerten, waren solche Vorsichtsmaßnahmen geboten. Aber bisher hatten die Drachen nur wenige Probleme verursacht.

Anders als das Volk der Meerfeen. Zwar hatte das Unterwasservolk sie nicht mehr belästigt, seit der Sturm aufgezogen war, doch schwamm deren Königin nun seit einigen Wochen im Höhlenhafen der Amazonenburg umher. Die Meerfeenkönigin schien unfähig, zu ihresgleichen zurückzukehren, ohne dass Tilseg bisher herausgefunden hatte, warum sie sich nicht aus dem Hafen heraus traute.

Hierher hatte sie Faqech und eine ansehnliche Gruppe Helfer gebracht, nachdem sie durch einen Zauberspruch Sven Erikssons plötzlich inmitten eines der Räume hier unten strandete. Offenbar hatte der ehemalige Astrogator bei seinem Versuch, den Kristallschädel von Ingbold wiederzuerlangen, gleich alles, was sich in dessen Nähe befunden hatte, zu sich her teleportiert. Neben dem Totenkopf und einer nicht unerhebliche Menge Wasser war auch die Meerfeenkönigin von diesem Zauber betroffen gewesen.

Das Meerwesen wäre fast erstickt, bevor Fang sie retten konnte, doch hatte ein anderer Goblin helfen können, indem er das Fischwesen mit einer Wasserblase um ihre Kiemen ausstattete, bis sie am unterirdischen Hafen waren.

Der zauberkundige Goblin stammte aus einer vergangenen Epoche. Gefangen mit vielen anderen in einem Zeitfeld, das Sven Erikson und Faqech aufgelöst hatten.

Diese Befreiten und die Meerfee waren Tilsegs priorisierte Aufgabenbereiche mit sehr unterschiedlichen Zielsetzungen. Mit der Meerfee versuchte er einen neuen Frieden zu schließen. Aber dieses Unterfangen gestaltete sich als fast aussichtslos. Eine lange Geschichte von Missverständnissen, Verrat und Kränkungen sorgten dafür. Zwar lagen die meisten dieser Ereignisse in einer Zeit, bevor die Astronauten hierherkamen, doch das war der Meerfeenkönigin egal. Sie scherte alle Menschen über einen Kamm.

Tilseg fand es faszinierend, dass die Erinnerung dieser Spezies offenbar zum Teil in ihrer Genetik verankert war. Das war jedenfalls seine wahrscheinlichste Hypothese, die er aus ihren bisherigen Gesprächen abgeleitet hatte. Die Königin sprach so, als habe sie selbst erlebt, was sie ihm an Untaten der Amazonenclans vorwarf. Doch war sie mit Sicherheit nicht ansatzweise so alt wie ihre Erinnerungen. Geschichtsschreibung oder andere Traditionen der Informationsweitergabe schienen ihr unbekannt.

Er erhob sich von seinem Beobachtungsposten und streckte sich, nur um dann milde über sich selbst zu lächeln. Er war gerade einer alten Gewohnheit von Til Segschneider gefolgt, der sich gerne streckte, um seine Muskeln zu lösen. Er aber besaß keine Muskulatur, wenn man es genau betrachtete.

Ihm gefiel es, dass er immer wieder Eigenheiten entdeckte, die ihn an sein altes Ego erinnerten. Es war gut, gelegentlich daran zu denken, woher man stammte. Einmal ein Mensch gewesen zu sein, half ihm ungemein dabei, die anderen zu verstehen. Er selbst aß nicht, schlief nicht und konnte sich nicht verletzen, ohne dass seine Zellen alles sofort reparierten. Ohne Til Segschneider gebe es keine Empathie in ihm. Als ihm das klar geworden war, hatte sich Tilseg vor sich selbst gefürchtet.

Aber nachdem ihm bewusst geworden war, was ihn von einem Monster trennte, hatte er begonnen, sich Zeit für sich zu nehmen. Wo er zur Ruhe kommen und nachdenken konnte, so wie gerade.

Ein Blitzeinschlag in nächster Nähe blendete ihn kurz. Der folgende Donnerschlag war so laut, dass seine Ohren regelrecht klingelten.

„Es wird Zeit“, sagte er zu sich selbst und wandte sich der Höhle zu. Es standen weitere Gespräche an. Mit den Leuten aus der alten unterirdischen Goblinstadt ebenso wie mit Faqechs Stamm. Fang hatte gute Vorarbeit geleistet, dennoch mussten beide Gruppen noch viel darüber lernen, wie das bei den Astronauten so lief. Diejenigen, die von ihnen noch hier waren, hatten Aufgaben erhalten und schienen gewillt, sich zu integrieren.

Unterwegs zu der unterirdischen Hafenanlage dieses Tunnelsystems erfuhr er von zwei Vorfällen mit den Höhlenspinnen, die in den bewohnten Bereich des Kavernengeflechts eingedrungen waren. Doch mit den Tieren hatten die postierten Wächter und ihre Verstärkung, die erfreulich schnell vor Ort war, kurzen Prozess gemacht. Tilseg war sehr zufrieden. Nicht zuletzt durch Boris Koschkins Training hatten die Astronauten mittlerweile den Bogen raus, wie sie mit den Spinnentieren fertig wurden.

Doch eine Sache blieb verzwickt wie gehabt. Die Meerfeenkönigin zeigte sich unversöhnlich stur und feindselig. Jedenfalls verbal. Das erinnerte ihn irgendwie an die Haltung der Zwerge im Dorf. Sie hatten ein ähnliches Auftreten an den Tag gelegt.

Die Meerfee war, anders als diese Zwerge, aber auch nicht in einem Käfig gefangen. Andererseits hatte sie auch noch keine Versuche unternommen, einen der Astronauten körperlich zu attackieren.

Nur das ließ Tilseg weiter auf ein friedliches Miteinander hoffen. Sie hatte genügend Gelegenheiten verstreichen lassen, ihnen zu schaden, seit sie hier war. Doch das, was sie sonst an Passivität zeigte, widersprach ihrer verbalen Aggressivität massiv.

Tilseg betrat gerade die Hafenkaverne, als er die Rufe bemerkte.

„Drache, Drache!“, schallte es warnend durch die Grotte, als er auch schon den silberbeschuppten Leib bemerkte. Der Drachenkörper selbst war nach seiner Schätzung spielend vier Meter lang, mit Hals und Schwanz auch gut das Doppelte.

Offenbar war der Silberdrache überrascht, sich in einer Höhle wiederzufinden, und prallte bei dem Versuch aufzusteigen gegen die Felsendecke. Mit lautem Platschen stürzte das Ungetüm zurück ins Wasser, wo es einen weiten Kreis zog und sich offenbar zu orientieren versuchte.

Die starren Reptilienaugen trafen Tilseg, dann einige andere in heller Aufregung rufende Astronauten, während die Meerfee versuchte, den größtmöglichen Abstand zum Drachen einzuhalten. Da dies durch die kreisenden Bewegungen des Ungetüms schwierig war, hatte sich die Königin schließlich unter die Holzplanken eines Stegs zurückgezogen und hinter dem Pfahl der Konstruktion versteckt.

Fasziniert beobachtete er die Kreise des Ungetüms, das seinerseits schließlich zu einer Entscheidung gelangte und seine Nüstern blähte. Schon jagte ein Blitzball in Richtung der weiterschreienden Astronauten.

„Deckung!“, konnte Tilseg gerade noch rufen, als der Blitz schon einschlug. Drei Astronauten verstummten und wanden sich nun zuckend am Boden. Er selbst fiel über ein Geländer und klatschte in das Wasser.

„Raus aus der Höhle!“, befahl er lauthals, als er wieder aufgetaucht war. Dabei wedelte er wie wild mit seinen Armen, bemüht, die Aufmerksamkeit des Drachen auf sich zu lenken. Seine Berechnung ging auf. Nun aber war er Ziel des Beschusses.

Als die knisternde Kugel nur knapp neben ihm ins Wasser schlug, spürte er die Wucht des elektrischen Schlags. Ein Moment, der ihm schlagartig seine Bewegungsfähigkeit raubte. Im Inneren seines Körpers entfalteten Zellen hektische Aktivität, als sie sich bemühten, mit der spontan ansteigenden Spannung fertig zu werden. Während er so gelähmt dastand, brüllte der Drache triumphierend. Er dominierte die Situation und war sichtlich zufrieden damit.

Tilseg zuckte immer noch und qualmte ein bisschen, doch erlangte er langsam die Kontrolle über seinen Körper zurück. Sein Körper kämpfte gegen die inneren und äußerlichen Verbrennungen an, die der Stromball verursacht hatte, und heilte.

Derweil nahm der Drache einige weitere Astronauten unter Feuer, die gerade versuchten, ihre betäubten Kameraden wegzuschaffen. Dass der Geschuppte zielsicher war, bewiesen die folgenden Aufschreie, die abrupt verstummten, als weitere Körper zuckend zu Boden gingen.

Es musste etwas geschehen, das war Tilseg völlig klar. Dem Drachen musste Einhalt geboten werden. Und zwar schnell! Wieder begann der Doktor mit den Armen zu rudern, um die Aufmerksamkeit des Ungeheuers auf sich zu lenken.

Der Silberdrache schien gleichermaßen verdutzt wie empört, dass eins seiner Ziele nach seinem Stromschlag weiterhin kontrolliert herumzappelte, und beschloss, den Beschuss zu wiederholen. Der Blitzball traf Tilseg nun frontal. Stromkaskaden jagten durch seinen Körper und Funken stoben auf der Wasseroberfläche davon.

Aber dieses Mal gelang es dem Astronauten, seine Körperkontrolle zu behalten. Zwar zitterte er am ganzen Leib und Rauch stieg von dem Einschlagpunkt in die Höhlenluft empor. Die Wunde war tief, doch winkte er dem Drachen stoisch zu, wobei ihm ein feines Lächeln über das Gesicht huschte.

Der Drache brüllte. Nun klar aus Empörung und nicht aus Siegesgewissheit. Ein weiterer Blitzball schoss durch die Höhle und traf den Leib des Arztes zielgenau.

Tilseg erbebte, als die Blitzkugel ihn traf, und er versuchte, den Stromschlag umzuleiten. Zitternd und erneut aus einer Wunde qualmend, taumelte er leicht, als es ihm gelang. Tilseg spürte, wie der Strom durch ihn floss. Wie die Ladungen von Zelle zu Zelle weitergeleitet wurden und abflossen. Herausfordernd richtete er sich auf, was das Ungetüm nur noch mehr aus der Fassung brachte. Aus dem Augenwinkel beobachtete Tilseg, wie die getroffenen Astronauten hektisch eingesammelt und fortgetragen wurden, also erhöhte er den Einsatz, indem er sich umdrehte und dem Drachen mit seinem Allerwertesten zuwackelte.

Fauchend spie der Drache einen dritten Stromball in seine Richtung und glotzte überrascht, als Tilseg sich blitzschnell umdrehte und ihn mit beiden Händen auffing. Der Doktor war so sehr mit Spannung geladen, dass die Stromkugel tatsächlich in seinen Händen verblieb.

Tilseg rechnete nicht lange, sondern schickte das knisternde Stromgeschoss einfach zum Absender zurück, der es kaum glauben konnte, als seine eigene Primärwaffe gegen ihn gerichtet wurde. Blindwütig fauchte das Ungetüm und schüttelte sich, dann tauchte es ab.

Kühl beobachtete der Doktor, wie der geschmeidige Drachenleib durch das Wasser glitt, genau auf ihn zu. Eine körperliche Konfrontation war zwar nicht seine Absicht gewesen, doch war es nun zu spät, um einen Alternativplan zu erarbeiten. Das Einzige, wozu ihm noch Zeit blieb, bevor der Drache ihn erreichte, war, sich auf den unweigerlichen Angriff einzustellen.

Dem zuschnappenden Maul konnte er gerade noch entgehen, als der Silberdrache aus dem Wasser hechtete. Impulsiv schlang er seine dicken Arme um den Hals des Drachen, als dieser ins Leere schnappte. Die Krallen des Ungetüms bohrten sich jedoch erbarmungslos in seinen Körper. Tilseg ignorierte die entstehenden Wunden völlig und verließ sich auf seine Zellen, die das, was die Krallen anrichteten, schon wieder reparieren würden. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, dem Drachen die Luft zu nehmen, in dem er mit aller Macht zudrückte.

Das Ungetüm öffnete sein Maul und brüllte. Das heißt, er versuchte es. Doch durch die von dem Druck der kräftigen Arme des Doktors zugeschnürte Kehle, drang nur ein klägliches Gurgeln. Nun war es der Drache, der sich zu winden begann, und mit beiden Vorderläufen Rillen in den hartnäckigen Würger kratzte. Wasser spritzte, während das Ungeheuer wild mit den Flügeln schlug und sich zu befreien versuchte. Aber der Doktor war stark und seine Arme glichen einem Schraubstock, der den Hals des Ungeheuers fest im Griff behielt. Der Drache schlug und wand sich, versuchte wegzukommen, doch Tilseg ließ ihn nicht. Schließlich verdrehte der Silberdrache seine Augen, röchelte ein letztes Mal und erschlaffte schließlich in der tödlichen Umklammerung des Astronauten.

Nun, sie wäre tödlich gewesen, hätte Tilseg nicht den Druck vom Hals genommen und das nun bewusstlose Tier vor dem Erstickungstod gerettet. Nachdenklich betrachtete er den schlaffen Leib, der nun vor ihm im Wasser dümpelte. Kurzentschlossen packte er den Drachen an seinen Hörnern und zerrte ihn zum Ufer, damit er nicht doch noch am Ende ertrank. Tilseg begann einige Berechnungen anzustellen. Was sollte er nun mit dem Silberdrachen anstellen? Und welche Optionen gab es, bevor das Schuppentier wieder zu sich kam und die Situation von vorne begann? Erfreut oder dankbar war der Drache wahrscheinlich nicht, wenn er wieder zu Bewusstsein kam, aber er war viel zu groß und zu schwer, um ihn hier wegzubringen. Doch es musste eine andere Lösung geben, außer ihn in Ketten zu legen oder zu töten. Gerade bedauerte er sehr, dass Hiriko nicht hier war. Sie wüsste sicher einen Weg, mit ihm zu reden.

2. Ronja

Seit Ashley Bender sich mit einem unerwarteten, dafür umso innigeren Kuss zu ihr bekannt hatte, fiel es Ronja schwer, Bodenkontakt zu halten. Die letzten Wochen und Monate waren wie ein Traum gewesen, den sie wahrhaftig lebte.

Es hätte fast perfekt sein können, wären da nicht diese verfluchten Layfane. Zwar waren die eher tierhaften, haarigen Humanoiden nicht mehr in der Masse aufgetreten, wie es Boris Koschkin während ihres Ansturms auf die Clanburg der Küstenjäger erlebt hatte, aber sie blieben ein Ärgernis.

Immer wieder gab es Übergriffe von ihnen auf kleinere Gruppen Astronauten, meist auf Jagdtrupps im Wilden Wald. Warum ihr Herr und Meister – der ominöse Sammler – seine Kreaturen aussandte, wussten sie immer noch nicht. Doch worauf es die Layfane abgesehen hatten, war klar: Fleisch!

Tilseg hatte erzählt, dass er anhand der Beobachtungen des Kommandanten und anderer Überlebender der Kämpfe um die Amazonenburg einige Berechnungen angestellt hatte. Die Hypothese, welche er daraufhin aufstellte, war schaurig. Demnach benötigten diese magisch veränderten Kreaturen Fleisch, um sich zu vermehren. Hatten sie genug gefressen, würgten sie eine Art Gewebe-Ei hervor, das sich anschließend in kürzester Zeit zu einem neuen Layfane entwickelte.

Ein gruseliger Gedanke, der durch das Verhalten der Layfane jedoch untermauert wurde. Ihre Angriffe zielten darauf ab, zu töten und die Leute zu verschleppen. Waren sie unterlegen, schnappten sie sich wahllos eine Leiche und traten den Rückzug an. Ihnen war egal, ob es ein Artgenosse oder Astronaut war, den sie dabei erbeuteten. Hauptsache es war Fleisch.

Damit unterschieden sich diese Kreaturen deutlich von den Layfanen in den Wäldern jenseits der Clangrenzen, die zwar Fleisch auch nicht verschmähten, doch ihren Nachwuchs gebaren, wie es auch Menschen tun.

Da der Tiermensch Dragar und seine Leute das Heim des Sammlers schon länger kannten, waren sie schließlich doch aufgebrochen, um ihn zur Rede zu stellen. Doch hatten sie festgestellt, dass es nicht ausreichte, den Ort zu kennen, wenn man dann ignoriert wurde.

Außer ein paar Layfanleichen zu produzieren, hatten sie nichts erreichen können.

Da sie den Turm des Sammlers nicht einfach einreißen wollten - und konnten, wie Ronja realistisch vermutete, -waren sie schließlich Tilsegs Vorschlag gefolgt.

„Dragar, wie weit noch?“, fragte Ashley über ihre Schulter hinweg.

„Wir schind schehr nah und schollten esch gleich schehen“, entgegnete Dragar, der hinter dem Säbelfantenrudel hermarschierte. „Dasch Gebäude ischt tschiemlich niedrig. Man schieht esch erscht, wenn man schon fascht da ischt.“

Ronja spähte in die von dem Wolfsmensch angezeigte Richtung. Tatsächlich. Jetzt konnte sie zwischen dem Blätterwust ein Gebäude ausmachen.

„Da vorn“, meldete sie augenblicklich und deutete voraus. „Mauerwerk.“

„Ja. Ich sehe es auch. Scheint so, als wäre der Turm von unserem Glatzkopf wirklich ein wenig kurz geraten.“ Ashley grinste. „Wollen wir doch einmal sehen, ob auch jemand zu Hause ist. Wenn Tilseg recht damit hat, dass die Zauberer die Umgebung ihrer Türme im Auge behalten, sollte sie uns ja schon bemerkt haben.“

„Meinst du, die Magierin wird uns wirklich dabei helfen, dass wir zum Sammler vorgelassen werden?“, fragte Ronja skeptisch.

„Ein Versuch schadet nicht“, entgegnete Ashley. „Türen eintreten können wir immer noch, wenn sie uns nicht freiwillig geöffnet werden.“

Es war mit Sicherheit ein Turm und kein Türmchen. Dicke, runde Mauern und ein spitz zulaufendes Dach, ganz nach der Manier eines Zauberturms, wie sie hier üblich zu sein schien. Ronja hatte nun schon mehrere dieser Gebäude gesehen, um die Gemeinsamkeiten der Bauten zu erkennen. Sie waren schon individuell auf ihre Art, doch der Aufbau, das Material und der Grundriss waren ähnlich. Besaßen sozusagen einen gemeinsamen Stil. Aber dieser Turm war ein wenig kurz geraten, so als wäre er noch nicht hoch genug gewachsen, um seiner Bestimmung gerecht zu werden.

„Nur eine Etage“, murmelte sie nachdenklich. Sie wusste nicht viel über Zauberer, aber dieser Turm sprach nicht gerade für die Macht seiner Bewohnerin.

3. Karl

Er hatte die Messe gerade beendet und stand nun da, um einigen Auserwählten feierlich ein Geschenk der Göttin zu überreichen - Bruchstücke von Ashley Benders Leib, den sie nach ihrer Wiedergeburt als Mensch zurückgelassen hatte.

„Nimm diese Träne“, sagte er dem Astronauten, der nun mit gesenktem Haupt vor ihm stand, und hängte ihm einen kleinen Stein an einer einfachen Schnur um den Hals. „Dieses Schmuckstück ist Teil der Göttlichkeit unserer Königin. Trage es mit Würde und Anstand, auf dass sie dich leiten und beschützen möge.“

Während der Beschenkte sich nun entfernte und der nächste Astronaut vortrat, dachte Karl an die Vergangenheit und wie sich sein Schicksal doch verändert hatte, seit die Königin der Astronauten in sein Dorf gekommen war. Damals sah er in der wilden und völlig verwirrten Frau zuerst nur irgendeine Kriegerin der Vier Flüsse, bevor sie einen Spähtrupp dieses Clans im Alleingang niedergemacht hatte. Die wütende Blondine war gefährlich und unberechenbar gewesen.

„Nimm diese Träne …“, begann er die Zeremonie aufs Neue.

Als Dorfvorsteher war er damals versucht gewesen, die Säbelfantenreiterin an die Vier Flüsse zu verraten. Doch seine alten Herrinnen hätten ihn und seine Leute alleine für ihre Anwesenheit im Dorf bestraft. Also pflegte er die an Körper und Seele verletzte Frau in der Hoffnung, sie würde seine Gemeinschaft verlassen, bevor seine Herrinnen ihre Anwesenheit bemerken konnten.

„Nimm diese Träne …“

Rückblickend war seine damalige Entscheidung schicksalshaft. Nicht nur für ihn und sein Dorf, auch für sein ganzes Volk. Denn es handelte sich bei der so verletzlichen und aufgewühlten Frau um niemand geringeren als eine Göttin. Nach allem, was er bereits mit den Astronauten erlebt hatte, war er heute felsenfest davon überzeugt, dass Ashley Bender und ihre Freunde nicht von dieser Welt stammten.

Zwar hatte Karl mit dieser Einschätzung gar nicht so Unrecht, trotzdem lag er weit daneben. Für ihn waren die Zeichen jedoch klar und sein Glaube stark.

„Nimm diese Träne …“

Selbst als Boris Koschkin explizit bestritt, dass Ashley und ihre Kameraden Götter waren, fühlte er sich bestätigt. Welcher Mensch konnte schon dem Reiz, wie ein Gott verehrt zu werden, widerstehen? Niemand, seiner Meinung nach. Nachdem er sich sicher war, dass die Götter selbst sich seinen geschundenen Leuten gezeigt und ihnen geholfen hatten, schickte er immer wieder einzelne Getreue los, die seine frohe Botschaft verkündeten. Sie reisten zu anderen Dörfern, um von Wundern zu berichten, die sich bei den Astronauten ereigneten und die sie teils selbst erlebt hatten.

„Nimm diese Träne …“

Weder seiner Königin noch den anderen Halbgöttern in ihrem Gefolge hatte er etwas über die Missionare erzählt. Auch nicht über die Tränen und was er damit tat. Den Göttern war eine offene Anbetung sichtlich unangenehm, wie er wusste. Das war auch der Grund dafür, dass er seine Messen zu Ehren der Götter im Verborgenen abhielt.

„Nimm diese Träne …“

Nachdenklich berührte er sein eigenes Stück des Göttlichen Kristalls unter seiner Tunika und lächelte. Er war schon lange nicht mehr alleine mit seinem Glauben und es gab viele, die sein Werk weitertrugen.

„Nimm diese Träne …“

Und nun konnte er sie sogar dafür belohnen. Dank Carlos. Er war es, der die Artefakte mit einigen Getreuen aus dem Berg geborgen hatte, in dem ihre Königin zum zweiten Mal zu ihnen gekommen war. Bruchstücke ihres Leibs, den sie nach ihrer Wiedergeburt als Mensch zurückließ. Carlos hatte sie nur ein wenig schleifen lassen, bevor er sie ihm schickte.

„Nimm diese Träne …“

Es waren mittlerweile hunderte dieser Splitter, die Karl verteilt hatte und immer noch schickte Carlos mehr. Aber das Wichtigste war, dass die Göttin sein Tun mit Wohlwollen zu betrachten schien, erstrahlten manche Kristalle doch mit jedem Tag mehr, an dem die Gläubigen sie mit sich führten. Wozu ihr oder den anderen Göttlichen Astronauten des Clans also etwas über die Existenz der Kleinode sagen, wo ihr Segen doch zeigte, dass sie mit seinem Handeln einverstanden waren.

„Nimm diese Träne …“, sprach er ein letztes Mal und lächelte glücklich.

Es waren wirklich außergewöhnliche Zeiten, in denen nicht nur Götter über das Land wanderten, sondern ein jeder Teil ihrer Größe sein konnte. Beseelt von diesem Gedanken, verabschiedete er seine Gemeinde und machte sich weiter an seine Arbeit, den Clan der Astronauten zu verwalten. Und weiter zu vergrößern. Zum Ruhm und zur Ehre seiner Göttin …

4. Ashley

„Wer will klopfen?“, fragte Ashley und betrachtete die Pforte des Turmes.

„Ich kann …“, begann Ronja sich freiwillig zu melden, als die Flügel der Tür sich öffneten und eine recht kurze, aber muskulöse Amazone ins Freie trat.

„Was wollt ihr?“, fragte die narbengesichtige Frau barsch und stellte sich breitbeinig vor den wie von Geisterhand schließenden Eingang des Gebäudes.

„Ashley Bender, die Königin der Astronauten, ist auf der Suche nach Viktoria der Magierin. Unsere Königin wünscht zu erfahren, ob die Herrin dieses Turmes zu Hause ist.“

„Was interessiert euch das?“, erwiderte die Torwächterin.

Ronja entging nicht die anwachsende Nervosität des Rudels, das misstrauisch die kleine Kriegerin beäugte.

„Meine Königin wünscht ein Gespräch.“

„Schön für sie. Worüber?“

„Über den Sammler und seinen Turm.“

„Was gibt es über den schon zu sagen?“, antwortete die vernarbte Frau ungerührt. „Ihr hattet eure Chance.“

Ashley hörte sich den Dialog zwischen Ronja und der fremden Kriegerin an, während sie das Gebäude musterte. Die Worte der Wächterin waren störrisch und unkooperativ. So würden sie nicht weiterkommen. Schließlich mischte sie sich selbst ein und sagte:

„Wieso lebt deine Herrin eigentlich in einem Bungalow unter den Türmen? Vielleicht habe ich mich ja geirrt und sie ist gar nicht kompetent genug, um uns zu helfen.“ Damit wandte sie sich an ihre Geliebte: „Es ist Zeitverschwendung, mit der Frau zu sprechen. Soll sie ihrer Herrin doch erklären, wieso wir wieder gegangen sind.“

Damit bestieg sie ihren Säbelfanten wieder und gab ihm durch leichte Anspannung ihrer Beinmuskeln zu verstehen, dass sie umdrehen wollte. Doch bevor das Tier die Kehrtwende vollständig vollziehen konnte, öffnete sich die Pforte hinter der kurzen Kriegerin erneut.

Ashley hörte das Schaben der Türflügel und grinste, machte aber keine Anstalten, ihr Vorhaben abzubrechen. Langsam trottete ihr Reittier in Richtung ihrer anderen Gefolgsleute, die ein wenig Abstand gewahrt hatten.

„Meine Herrin ist nun bereit mit Euch zu sprechen“, hörte sie die jetzt merkwürdig angespannte Stimme der Amazone. „Ich … Ich bitte um Verzeihung.“ Dann stöhnte die Wächterin wie unter Schmerzen, die sie nur mühsam unterdrücken konnte.

Ashley hielt an und blickte sich um. Die Amazone vor der Tür flackerte seltsam, während sie verkrampft dastand. Dann war es vorbei. Die Frau streckte sich wieder und trat zur Seite, um Viktoria Platz zu machen. Den finsteren Blick, den die Amazone der Magierin zuwarf, nachdem diese an ihr vorbeigeschritten war, entging Bender aber nicht.

Leise fluchend, runzelte sie die Stirn. Das stank doch nicht nur nach bösartiger Magie, sondern auch nach Sklaverei!

Aber was hatte sie schon erwartet? Schließlich war sie selbst eine Weile Gefangene eines anderen hiesigen Magiers gewesen und für seine Experimente missbraucht worden. Auch die Tiermenschen in ihren Reihen waren Sklaven dieses oder eines zweiten Zauberers gewesen, den Ronja gefunden hatte. Warum also hätte die Magierin mit der Pentagramm-Tätowierung auf dem Schädel anders sein sollen?

„Ihr geruht Euch, dazu herabzulassen, mich zu besuchen?“, fragte die Magierin von oben herab. „Was verschafft mir die unerwartete Ehre?“

Ashley spürte, wie Wut über die provozierende Art der Magierin in ihr emporstieg, konnte sich aber zügeln. Seit sie mit dem Wächter Lunarias eins geworden war, hatte sie sich viel besser im Griff als früher. Ein paar Schimpfworte konnte sie sich aber trotzdem nicht verkneifen.

„Wir sind hier, um unser Versprechen einzuhalten und gemeinsam den Sammler aufzusuchen“, übernahm nun Tilseg die Gesprächsführung und trat vor.

Ashley überlegte einen Moment, ob sie seine Einmischung zurückweisen sollte, doch das grüne Hybridwesen mit den Erinnerungen des Doktors der Sirius7 war ein besonnenerer Verhandlungspartner als sie. Sollte er es ruhig versuchen.

„Ach ja?“, entgegnete die Magierin schnippisch. „Als ich mit deiner Königin darüber sprechen wollte, hatte sie dafür keine Zeit.“

„Ich sagte dir damals doch, dass der Zeitpunkt, wann wir uns mit dem Sammler beschäftigen würden, unbestimmt war.“

Ashley sah deutlich, dass Tilsegs Worte die Magierin irritierten.

„Du?“, erwiderte die Glatzköpfige ungehalten. „Dein toter Vater, meinst du wohl?“

„Inkorrekt. Du hast mit mir gesprochen. Lass dich von meinem Größenunterschied nicht täuschen.“

Viktoria schien über die Worte des Grünen nachzudenken. Ashley konnte nachvollziehen, dass die Magierin stutzte, hatte sie Tilseg bisher doch nur als einen riesenhaften Hünen kennengelernt und ihn das letzte Mal großflächig verteilt im Tunnel des von Zwergen bewohnten Berges gesehen, wo sie ihren Hintern rettete.

Auch sie hatte damals nicht glauben können, dass Tilseg noch lebte, auch wenn Hiriko seine Lebenskraft in den Überresten gespürt hatte. Und doch hatte die Dryade Recht behalten. Nun hatte der Clan der Astronauten nicht nur einen großen, sondern fünf normalgroße Tilsegs, die jeder für sich, zweifelsfrei Tilseg waren. Eine verwirrende Situation, wie Ashley fand.

„Wir sind gewillt, zu kooperieren. Was ist mit dir?“, erhob sie schließlich ihre eigene Stimme, als gerade niemand sprach. „Ich dachte, der Sammler ist für dich ebenfalls ein Ärgernis?“

Ashley hoffte, mit dieser Gemeinsamkeit einen Ansatzpunkt zu finden. Zu Recht wie es schien, denn die Magierin entgegnete kühl:

„Das stimmt.“ Dann schwieg sie einen Augenblick, als würde sie nachdenken. „Also schön“, sagte sie dann. „Was schwebt Euch konkret vor?“

5. Boris

Boris Koschkin büffelte. Seine feste Freundin Faqech war da unerbittlich. Vielleicht hätte der ehemalige Kommandant der Sirius7 mehr Gegenwehr geleistet, wenn er nicht gewusst hätte, dass die Goblinin recht damit hatte. Sein Westländisch musste deutlich besser werden.

Selbst Quägch, die Muttersprache seiner Geliebten, beherrschte er nur mäßig. Dadurch war er im Grunde immer wieder auf jemanden angewiesen, der Commen sprechen konnte. Und das waren - sah man einmal von seiner Schiffscrew ab - nicht einmal eine Handvoll Leute, die infrage kamen. Er musste wirklich lernen. Schon alleine, um sich mit den anderen Astronauten unterhalten zu können. Schließlich war ihre Zahl nach den letzten Schätzungen Tilsegs bereits deutlich im fünfstelligen Bereich angelangt und wuchs immer noch weiter.

„Die Geschichte von Boris Iwanowitsch Koschkin“, brummte der Russe leise. „Vom Raumschiffskommandanten zum Sprachschüler in nur einem Absturz.“

So konnte das Leben spielen. Koschkin fluchte leise und wiederholte dann nochmals die Worte seines aktuellen Lehrers. Und er war dabei nicht alleine. Eine Amazonenkriegerin, drei Männer, vier Goblins und ein Bär wiederholten die Worte gemeinsam mit ihm. Zunächst auf Quägch, dann auf Westländisch. Dass er mit einem Bären, der aufgerichtet über sechs Meter groß war, die Schulbank drücken würde, hätte er niemals in seinem ganzen Leben zu glauben gewagt. Und doch war es so. Er ärgerte sich über den Umstand, dass der Bär auch noch schnellere Fortschritte beim Lernen machte als er selbst, konnte aber nichts daran ändern, so sehr er sich auch bemühte.

„Ein Bär ist schlauer als ich“, grummelte er leise. Doch Bo, wie der Bär von den anderen genannt wurde, war eben kein normales Tier, redete er sich selbst gut zu.

Sein erneuter Ausbruch an gemurmelten Schimpfworten wurde da plötzlich unterbrochen.

„Weniger schimpfen, mehr lernen“, tadelte ihn eine Stimme. Aber nicht der Goblin, der diese Lerneinheit leitete, war der Sprecher, sondern Fang, seine Geliebte.

„Ich lerne ja“, entgegnete er resigniert und drehte sich zu der Schamanin um.

„Ich habe es gehört“, erwiderte die Goblinin und gab dem sitzenden Russen einen Kuss. „Du bist ja auch schon besser geworden.“

„Findest du? Ich habe einen Knoten in der Zunge, wenn du mich fragst.“

„Scheint dir ja zu helfen.“ Sie grinste schelmisch. „Hunger?“

„Ja“, erwiderte er erleichtert. „Ich könnte einen Bären verspeisen!“

Seine unbedachten Worte brachten ihm einen irritierten Blick von Bo ein.

„Geh und füttere deinen Menschen, bevor noch ein Unglück geschieht“, brummte der Bär so trocken, das Fang laut lachen musste.

„Mach ich“, versprach sie und zog den Russen auf die Beine. Kurze Zeit später saßen sie zu zweit an einem der Herdfeuer und aßen.

„Wie geht es Sven?“, fragte er sie zwischen zwei Bissen.

„Etwas besser“, entgegnete Fang und nahm sich ebenfalls noch etwas Eintopf aus dem großen Kessel über der Kochstelle. „Auch wenn er gelegentlich immer noch ziemlich verwirrt ist.“

„Kein Wunder, wenn ich höre, wie er von Hiriko und Delphi belagert wird.“

Faqech grinste.

„Sie wollen beide nur sein Bestes.“

„Ja klar. Was das heißt, weiß ich genau. Das ganze Lager redet davon.“

„Eifersüchtig?“ Fang grinste. „Kommst du etwa nicht genug auf deine Kosten?“

„Nein … Doch ... Ach, Fang“, Koschkin fluchte. „Du weißt, wie ich das meine.“

„Ja“, entgegnete die Schamanin und küsste ihn. „Aber ich meine es ernst. Die beiden machen sich genauso viele Sorgen um ihn wie wir. Sie haben einfach eine andere Art damit umzugehen.“

„Früher war Hiriko anders.“

„Hiriko ist jetzt ein Naturgeist. Geisterwesen sind anders als du und ich. Und Delphi ist immer noch eine Fee, auch wenn sie nun die Größe eines Menschen besitzt. Sie denken und handeln anders als wir.“

„Ja gut. Einverstanden. Lassen wir die beiden außen vor. Aber ich verstehe immer noch nicht, was mit Sven los ist. Nach dem ganzen Hokuspokus in der Goblinstadt ging es ihm doch gut.“

„Es sah so aus. Ja. Aber das war eine Täuschung. Magie ist da sehr tückisch.“

„Das habe ich mittlerweile auch kapiert. Aber was mit Sven geschehen ist, verstehe ich trotzdem nicht.“

„Hm … Gut, stell dir einen Fluss vor. Einen langen, verzweigten Fluss.“

„Na schön. So weit, so klar.“

„Dieser Fluss führt mal mehr, mal weniger Wasser über die Jahreszeiten hinweg, die sein Erscheinen prägen. Neue Arme entstehen, andere versanden.“

„Okay. Worauf willst du hinaus?“

„Warte ab. Nun stell dir ein Hochwasser vor, das diesen Fluss überquellen lässt, Böschungen mit sich nimmt und ganze Landstriche um den Flussverlauf herum überschwemmt.“

„Ist das bei Sven der Fall?“

„Ja und nein.“

Koschkin fluchte.

„Das hilft mir nicht weiter. Leidet er nun an Hochwasser oder nicht?“

„So war es im Grunde die letzten Male, bei denen sich Sven verausgabt hat. Dieses Mal aber, war es eine ungleich mächtigere Flutwelle, die alles in ihm mit sich gerissen hat.“

„Aber wieso war er denn zuerst soweit in Ordnung?“

„Nachdem der Zauber vorbei war, hast du bei Sven sozusagen die glatte Wasseroberfläche gesehen. Doch als wir das Wasser abgelassen haben, kamen die Schäden zum Vorschein, die zuvor unter der vermeintlich unbeschädigten Oberfläche verborgen waren.“

„So ist das also. Hm. Ja, ich denke, ich verstehe jetzt.“

„Gut. Was macht dein Studium?“, wechselte sie unverwandt das Thema und die Sprache.

Koschkin fluchte erneut.

„Wenn du schon fluchen musst, dann bitte auf Quägch.“

„Du gemein bist“, entgegnete er quäkend.

„Du bist gemein“, verbesserte sie ihn und grinste wieder.

Boris antwortete nicht, sondern grummelte nur unverständlich.

„Na schön“, wechselte Fang wieder ins Commen. „Ich will dich heute nicht weiter quälen.“

„Danke“, entgegnete Koschkin ehrlich erleichtert und ignorierte ihr Grinsen. „Und was machst du jetzt?“

„Ich geh jetzt erst einmal Sven besuchen. Wir sehen uns nachher. Essen wir dann zusammen?“

„Ja“, seufzte der Kommandant. Einen Moment hatte er gehofft, er käme um die restliche Lektion herum.

„Oje. So schlimm mit mir zu essen?“

„Äh … nein! Ich …“

Nun lachte Faqech schallend und küsste ihn nochmals. Offenbar hatte er sehr lustig ausgeschaut.

„Wir sehen uns später“, entgegnete sie immer noch amüsiert. Dann überließ sie ihn erneut seinen Lektionen.

Sie war erbarmungslos, fand er.

6. Viktoria

Nun reiste sie also doch wieder mit den Astronauten. Viktorias Neugier hatte am Ende über Groll und Abneigung gesiegt. Ein wenig haderte sie mit sich selbst, hatte sie doch absolut kein Vertrauen in diese Wilden. Aber da sich dieses Mal keine Dryade in den Reihen der Barbaren aufhielt, hatte sie Verstärkung mitgenommen. Als Schutz und Rückendeckung. Viktorias ältester Dämon Fex hatte seine Amazonenkriegerinnengestalt beibehalten und begleitete sie ganz offen. Ein anderes Andersweltwesen übernahm als kleiner Spatz die Luftüberwachung.

Ihre beiden Diener gaben ihr ein gewisses Gefühl der Sicherheit, denn obwohl sie sich jederzeit hätte hinwegteleportieren können, argwöhnte sie langsam, dass die Astronauten ihre wahre Macht geschickt hinter ihrer Grobheit und dem unbedarften Vorgehen verbargen.

Diese kraftstrotzende Barbarin Barbara beispielsweise. Das Artefakt, welches sie bei sich trug, war ein überdimensionaler Hammer, den selbst diese Amazone mit all ihren Muskelbergen nicht hätte handeln können. Und doch trug sie die Wuchtwaffe, als wiege sie fast nichts.

Dass auf der Waffe eine Art Gewichtreduzierungs- oder Levitationszauber lag, war offensichtlich. Doch widerstand das Kriegsgerät jeglichem ihrer Versuche, tiefer in den magischen Matrizenaufbau vorzudringen, der in der Waffe schlummerte.

„Ich müsste ihn eine Weile in Ruhe studieren“, murmelte die kahlköpfige Magierin in Gedanken versunken.

Offenbar war die Kriegerin aber nicht die eigentliche Besitzerin der Waffe, sondern trug sie nur für ihre Königin. Diese ruppige Blondine warf für Viktoria immer neue Fragen auf. Was war die Verbindung zwischen der Monarchin und dem Kristall, den sie in den Tunnel gefunden hatte?

Die Säbelfantenreiterin war jedenfalls eine latente Magiebegabte, so wie ihre Hammerträgerin. Ein kleiner Zauberspruch hatte Viktoria diesen Umstand schnell verraten. Aber sie selbst schien keinen blassen Schimmer davon zu haben. Nun. Ihre Macht war begrenzt. Knapp an der Grenze, wo mancher Magier überlegen würde, ob sich eine Schulung der kümmerlichen Fähigkeiten überhaupt lohnte.

Und doch schienen so viele Ungereimtheiten in ihrer Person zusammenzulaufen: der Kristall, mit dem sie etwas zu tun hatte, dann ihr Hammer, ihre schlummernde Stärke und ihre Verbindung zu dem Säbelfantenrudel. Alles wirklich ungewöhnlich.

Während Viktoria so über ihre Begleiter im Allgemeinen und die Astronautenkönigin im Konkreten nachgrübelte, erreichten sie schließlich den Turm des Sammlers.

Kreischend schwangen sich mehrere Layfane aus den Bäumen auf ihren Weg. Die Astronauten waren in der Überzahl und doch griffen die Biester an. Schnell entbrannte um Viktoria ein wüstes Handgemenge. Blut spritzte reichlich, als der Tod die Reihen abging und seine Ernte einfuhr. Alles geschah schnell und mit brutaler Härte.

Dann war es vorbei.

Die meisten Leichen waren Kreaturen des Sammlers. Nur zwei Astronauten waren gestorben. Viktoria musste zugeben, dass diese Barbaren recht effektiv auf diesen unerwarteten Überfall reagiert hatten.

„Wir sind da“, sagte die Königin der Astronauten, während sie einen Speer säuberte, den sie eben noch im Kampf benutzt hatte. „Viktoria? Wärst du so nett?“

Nun wurde es ernst. Sie hatte zwar behauptet, dass sie den Astronauten helfen konnte, Kontakt mit dem Sammler aufzunehmen, aber genaugenommen wusste sie selbst nicht mit Sicherheit, ob sie das auch konnte. Bisher hatte sie jedenfalls noch nicht mit dem Sammler persönlich gesprochen.

Sein Gebäude war groß und von der üblichen Grundform, die auch ihren eigenen einstöckigen Turm auszeichnete. Doch hatte das Bauwerk des Sammlers gut den dreifachen Durchmesser. Das glatte Mauerwerk verschwand in der Höhe zwischen den Blättern und suggerierte unterschwellig, bis in die Wolken zu reichen. Viktoria wusste jedoch, dass seine Spitze nicht über das Blätterdach des Waldes hinausragte.

Sie wusste aber auch, dass die Realität im hiesigen Luftraum stark gekrümmt war, was auf verschobene Dimensionen hindeutete. Viktoria kannte sich nicht gut genug mit derlei Magie aus, um die tatsächlichen Ausmaße des Gebäudes einschätzen zu können, doch eins war ihr klar. Das, was sie hier sahen, war nur ein Teil des eigentlichen Bauwerks.

Mit klopfendem Herzen näherte sich Viktoria dem Portal, das die einzige Öffnung in der runden Mauer zu sein schien. Die ebenmäßig gemaserte Tür besaß einen Messingring, den die Magierin nach kurzem Zögern berührte. Das Metall war kalt, nahm aber sofort ihre Körpertemperatur an. Dann ruckte der Ring leicht. Viktoria zog rasch die Hand zurück, als Bewegung in die Tür kam. Doch anstelle sich zu öffnen, zerlief das Holz im Zentrum beider Flügel und beulte sich aus, bis sich ein großes, grobes Antlitz auf der Holzoberfläche bildete.

„Was willst du?“, grollte das Gesicht.

„Mein Name ist Viktoria. Ich bin ein Mitglied des …“

„Beantworte nur meine Frage, Frau. Ich weiß sehr wohl, wer du bist.“

Viktoria blieb die Spucke weg. So hatte sie sich das nun wirklich nicht vorgestellt.

„Was fällt dir ein, so mit mir zu reden?“

„Ich rede, wie es mir gefällt. Also nochmal, was willst du?“

„Ich verlange, dass du mich augenblicklich einlässt. Ich bin hier, um mit deinem Meister zu sprechen.“

„Woher willst du wissen, dass ich nicht mein Meister bin, Frau?“

Viktoria spürte, wie der Zorn ihre Wangen rötete.

„Ich kenne gefangene Seelen wie dich. Wenn du nicht erst meinen und später den Zorn deines Meisters spüren willst, öffne dich.“

„Oh, jetzt habe ich aber Angst. Also gut ...“ Die Augen des Kopfes schlossen sich einige Augenblicke, dann grinste die Fratze. „Nein.“

„Wie, nein?“

„Nein eben. Wie in ‚Nein, du darfst nicht rein‘.“

„Aber der Sammler unterhält Kontakte zu meinem Bund.“

„Du bist nicht der Sprecher deines Bundes, also hast du auch kein Anrecht auf eine Audienz. Wirkliches Wissen scheinst du ebenfalls nicht zu besitzen. Also nein, du darfst nicht hinein. Nun geh, bevor ich einen Wächter wecke.“

Viktoria starrte das Gesicht frustriert an, das wieder zur Oberfläche der Flügeltür wurde. Was sagte sie nun den Astronauten, die hinter ihr warteten? Sie spürte Wut und Demütigung, während sie fieberhaft nach einer Erklärung suchte, die sie nicht vor den Barbaren blamierte.

Nur leider wurde sie einfach nicht fündig.

7. Ronja

Ronja konnte der Magierin im Gesicht ansehen, dass sie sich das Ganze anders vorgestellt hatte. Während die Tätowierte nun zu ihnen zurückkehrte, musste sich die Amazone zusammenreißen, um nicht schadenfroh zu grinsen. Doch der Gedanke, dass auch sie so nicht weiterkamen, dämpfte ihr Gemüt ausreichend, um sich nicht viel anmerken zu lassen.

„Es war einen Versuch wert. Gut gemacht.“

Ashleys Lob überraschte Ronja ebenso sehr wie die kahle Magierin.

„Gut gemacht? Aber ich bin doch gescheitert?“, entgegnete Viktoria irritiert.

„Schon“, bestätigte Ronjas Geliebte ungerührt. „Aber als wir geklopft haben, war da nicht einmal dieser unhöfliche Holzkopf.“

„Trotzdem werden wir nicht zum Sammler vorgelassen.“

„Stimmt“, bestätigte Ashley der Zauberin. „Aber wenn man vom Pförtner ignoriert und verspottet wird, muss man eben andere Saiten aufziehen, um sich Gehör zu verschaffen.“

Ronja, bisher über die so zahme Rede ihrer Freundin recht erstaunt, lächelte bei Ashleys nächsten Worten wölfisch.

„Barbara?“

„Ja, meine Königin?“

„Meinen Hammer, bitte.“

Während Ashley von ihrem Säbelfanten stieg und sich von der Hammerträgerin die riesige Wuchtwaffe übergeben ließ, wirkte Viktoria blasser und blasser.

„Was habt Ihr vor?“, fragte die Magierin schließlich, als Ashley sich in Richtung des Portals wandte.

„Na was wohl?“, entgegnete die Blondine. „Ich werde jetzt etwas kräftiger anklopfen.“

„Wartet“, beschwichtigte die Zauberin schnell. „Macht nichts Unüberlegtes.“

„Weshalb? Offenbar meint der Sammler, dass er uns ungestraft ignorieren kann. Da seine Schoßtierchen uns aber nicht in Ruhe lassen wollen, habe ich ein paar Takte mit ihm zu besprechen.“

„Ich verstehe. Aber es gibt vielleicht noch eine andere Möglichkeit.“

„Ach? Und welche?“

„Ich weiß, wer der Sprecher meines Bundes ist. Ich werde ihn hierherholen. Er wollte sich zwar nicht einmischen, doch glaube ich, er würde auch nicht wollen, dass ihr gewaltsam gegen den Sammler vorgeht. Wartet bitte.“

„Schön. Und wie lange wird das dauern?“

„Nicht sehr lange.“

„Also gut“, entgegnete die Königin. „Wir werden warten.“

„Ich werde bald zurück sein“, antwortete Viktoria und begann mit ihrem Teleportationszauber.

8. Faqech

Faqech grinste immer noch, als sie auf das Zelt von Sven Erikson zuging. Der hochgeschossene Magier war ebenfalls ein Erdling und ehemaliges Mitglied der Crew ihres Geliebten. Doch zurzeit war er auch ihr Patient.

Fang verdankte diesem Astronauten einiges, ebenso wie jeder andere ihres Stammes. Überdies hatte sie Schuldgefühle, da sie sich mitverantwortlich für seinen jetzigen Geisteszustand fühlte.

Zwar hatte sie nichts getan, um ihm zu schaden, doch war der Zauberer bei dem Versuch, ihren Stamm aus der Zwischenwelt zu befreien, massiv überanstrengt worden. Nun musste er den Preis dafür zahlen, sich auf Magie eingelassen zu haben, die im Grunde viel zu mächtig für ihn war.

Es war Ehrensache, dass sie alles tat, um Erikson darin zu unterstützen, wieder zu sich zurückzufinden. Doch schien es ihr, als konnte sie ihm doch nicht wirklich helfen. Dieser Umstand bedrückte sie sehr, spornte sie aber auch gleichzeitig an, weiterzumachen.

„Sei mir gegrüßt, Faqech“, erklang eine körperlos scheinende Stimme außerhalb des Zeltes. „Ich fürchte, unser Freund ist noch ein wenig beschäftigt.“

„Ich höre es“, entgegnete sie und schaute sich um, bis ihr Blick auf einen roten, runden Stein fiel, der an einer Kette befestigt war und an einer Stange des kurzen Vordaches baumelte. „Offenbar haben sich die lieben Liebenden wieder versöhnt“, begrüßte sie das Schmuckstück, in dessen Inneren ein Seelenfragment eines Magiers eingeschlossen war. „Hängst du deshalb hier draußen herum, Ingbold?“

„Ja. Und auf eigenen Wunsch“, erklärte der Stein, bei jedem Wort schwach aufscheinend. „Es … ist besser für mein Seelenheil, wenn ich nicht immer wieder Zeuge bestimmter Aktivitäten bin.“

Fang grinste verstehend, während besagte Aktivität im Inneren des Zeltes sich dem Höhepunkt näherte.

„Nun“, entgegnete sie verschmitzt. „Ob Zuhören wirklich besser ist?“

„Das ist ein wahres Wort“, seufzte das baumelnde Geschmeide. „Aber es ist eben, wie es ist. Nicht wahr?“

„Ja. Meinst du, es dauert noch länger?“

„So scheint es. Ich habe zwar darauf hingewiesen, dass du kommen würdest, doch meine Bedenken wurden von Delphi einfach ignoriert …“

Fang nickte wissend. Die Mensch gewordene Fee Delphi ließ sich nicht groß von Zwängen oder Bedenken leiten.

„Und Sven?“

„Nun … Mein Freund war es, der veranlasste, dass Hiriko mich am Ende hierher beförderte bevor sie ging. Ist diese Antwort für dich ausreichend?“

Fang schmunzelte weiter und nickte erneut.

„Jaja. Liebende können ihr Umfeld schwer belasten“, sagte sie dann.

„Ja. So ist es wohl.“

„Soll ich dich ein wenig ausführen, bis sich die Gemüter wieder abgekühlt haben?“

„Es wäre mir eine Freude.“

Fang fingerte Ingbold geschickt von der Stange und streifte ihn sich über den Kopf.

„Wünsche?“

„Mir ist jede Richtung außer Hörweite recht, meine Liebe.“

„Schön. Kannst du mir noch einmal erzählen, wie Zaubersprüche der Schulmagie aufgebaut sind, während wir wandern?“

„Natürlich. Sehr gerne sogar. Ich freue mich, dass dich diese Spielart der Magie interessiert.“

„Es ist nicht nur wegen meines Interesses, vielmehr hoffe ich, einen neuen Weg zu finden, Sven zu helfen.“

„Nun. Dann wird es mir zweifach eine Freude sein, dir die Grundlagen der Schulmagie zu erläutern“, erwiderte Ingbold förmlich und dienstbeflissen. „Es ist so: Alles beginnt im Grunde mit der Idee an sich. Sie ist Ausgangs- und Angelpunkt jedweder magischen Aktivität. Doch um die Idee in einen Zauber umzuwandeln, bedarf es einer magischen Matrix …“

Zwischenspiel

Zwetzetez' Turm war auf den ersten Blick nicht viel anders als der seiner Kollegen, die es in den Wilden Wald verschlagen hatte. Doch der Untergrund unterschied sich deutlich. Schon vor Jahrzehnten war der Magier in die Katakomben, die seine Dienerschaft unermüdlich in die Erde trieb, umgezogen. Das Gemäuer darüber war mehr ein Museum seiner Vergangenheit.

Der Magier hatte sich Zeit seines Lebens mit Leib und Seele seiner Leidenschaft vor allem im Bereich der Metamorphose von Lebewesen verschrieben. Seine Experimente hatten ihn am Ende zu einem Ausgestoßenen gemacht und ihn schließlich in diesen unwirklichen Wald geführt. Seine Forschungen waren es auch, die zuletzt seine heutige Gestalt bedingten. Denn Zwetzetez hatte nichts mehr an sich, das ihn noch als den Menschen auswies, der er früher einmal gewesen war.

Aber der Beginn seiner eigenen Transmutation lag fast ein volles Jahrhundert zurück und er hatte schon lange vergessen, wie es war, ein schwacher, kleiner Mensch zu sein. Mit seinem veränderten Körper änderten sich aber auch einige seiner Vorlieben und führten schließlich dazu, dass er seinen Turm im Grunde nur nutzte, wenn seine Kollegen ihm sporadisch ihre Aufwartung machten.

So auch heute, als die Diener dort einen Gast meldeten.

Zwetzetez griff sich seine schwere Robe und streifte sie über, während er in Gedanken mit seinen Mandibeln klapperte. Viktoria war sein heimlicher Liebling unter seinen Bundesgenossen. Weniger ihre Persönlichkeit oder Stärke war es, die ihn faszinierte, sondern die Art und Weise, wie sie sich verschleierte. Die Magierin hatte so viele verschiedene Zaubersprüche auf sich vereint, dass sie ein faszinierendes Muster bildeten, wenn er sie mit seinem besonderen Blickwinkel betrachtete.

Die Zauber selbst waren für sich nichts Außergewöhnliches, doch die Anmut, mit der sie ineinanderflossen und sich gegenseitig ergänzten, war wunderbar. Diese magische Harmonie war beeindruckend. Zwetzetez überprüfte im Vorbeigehen, dass sein Körper zur Gänze unter seiner Robe versteckt war. Seine Chitinpanzerung war hart und fest und fast völlig unempfindlich gegenüber so feinen Reizen wie Kleidung beispielsweise. Auch wenn dies generell ein Vorteil seines Körpers war, barg es auf der anderen Seite auch einige Schwierigkeiten. Überzeugt, nun salonfähig zu sein, teleportierte er sich in einen Nebenraum seines Empfangsbereichs und öffnete die reich verzierte Flügeltür.

Es ist immer wieder eine Freude, dich zu sehen“, begrüßte er telepathisch die Magierin, die inmitten des Raumes stand. Seine Mundwerkzeuge waren schon lange nicht mehr in der Lage, menschliche Laute wiederzugeben.

„Ich grüße dich, Zwetzetez“, entgegnete die gutaussehende Frau. „Entschuldige, dass ich unangekündigt bei dir auftauche.“

Schon gut“, winkte der Magier ab, wodurch eine seiner Greifklauen kurz unter dem weiten Saum seiner Robe hervorblitzte. „Was ist es, mit dem ich dir behilflich sein kann?

„Ist das so offensichtlich?“

Nun, deine Besuche sind selten grundlos in letzter Zeit.“ Eigentlich waren sie es nie. Doch so scharf wollte Zwetzetez seine Gedanken nicht formulieren.

„Ja, nun gut. Ich komme gleich zur Sache. Es geht um den Sammler.“

Nun klackte der Magier etwas verärgert mit seinen Kauwerkzeugen.

Bitte, meine Liebe. Darüber haben wir doch schon gesprochen.

Die Hartnäckigkeit, mit der die Menschenfrau dieses Thema verfolgte, langweilte ihn langsam.

„Ja“, gestand Viktoria ein. „Aber nun stehen die Astronauten vor den Toren des Sammlers.“

Nun. Bei Björndal und Morgan waren sie auch schon. Und was geschah? Sie haben die Türme in Frieden gelassen. Die Barbaren werden sich schon wieder trollen, wenn sie erst eingesehen haben, dass sie unterlegen sind.

„Glaubst du? Ich denke, dass sie etwas mit dem Tod von Julius und Artur zu schaffen hatten.“

Ja. Die Barbaren waren zugegen. Soviel weiß ich ebenso. Doch wenn du ein wenig tiefer geforscht hättest, wäre dir aufgefallen, dass Julius sich schlicht übernommen hat und Artur Opfer seiner eigenen Kreation wurde. Das ist Berufsrisiko. Dem Sammler werden sie nichts anhaben können.“

„Du bist dir aber ziemlich sicher.“

Ja.

„Wieso?“

Nun. Sagen wir einmal, dass ich mich vor langer Zeit auch intensiver für den Sammler interessiert habe. Die Abschirmung seines Turms ist jedoch perfekt.

„Was meinst du damit?“

Deine Barbaren sind …“

„Es sind nicht meine Barbaren!“

Verzeih. Diese Barbaren sind nur deshalb am Turm, weil der Sammler sie dort toleriert.

„Was? Du glaubst, er will, dass sie dort sind?

Nein, aber sie stören ihn offensichtlich auch nicht weiter. Wäre es nicht so, würde er sie vernichten.“

„Aber sie haben seine Kreaturen getötet.“

Diese modifizierten Layfane? Ach herrje, Viktoria. Diese Kreaturen bedeuten nichts.“

„Du willst also nicht helfen?“

Nein“, entgegnete er. Dann zögerte er kurz. „Aber ich werde dich begleiten und mir ansehen, was passiert. Sollten die Barbaren sich daneben benehmen, scheint es mir interessant zu sein, die Reaktion des Sammlers zu beobachten. Möchtest du alleine zurückteleportieren oder soll ich dich mitnehmen?“

„Danke. Ich reise selbst.“

Schön. Wir sehen uns dann da. Port“, sprach Zwetzetez und löste sich auf.

9. Ashley

Ashley stand breitbeinig vor dem großen Turm des ominösen Sammlers und wartete. Sie hatte ihren Hammer vor sich auf dem Boden abgestellt, wo sein schwerer Kopf die Vegetation unter sich zerquetschte.

„Was meinst du?“, wandte sich die Blondine an ihre Geliebte. „Kommt sie heute noch zurück?“

„Schwer zu sagen, aber ich denke …“

Der Wortlaut wurde durch das Eintreffen einer großen, unförmigen Gestalt in einer weiten Robe unterbrochen. Doch auch, wenn das Gesicht des Fremden im Schatten seiner Kapuze verborgen lag, eröffneten die Proportionen, dass kein Mensch darunter steckte.

Ronja fluchte fast synchron mit Ashley, wenngleich ihre Wortwahl ein wenig voneinander abwich. Dann reagierten die Astronauten, indem hektisch zahlreiche Waffen gezückt und auf den vermummten Fremden gerichtet wurden.

„Stopp!“, befahl Ashley hart, was augenblicklich Wirkung zeigte. „Waffen runter!“ Dann wandte sie sich zu dem Neuankömmling: „Bist du der Sammler?“

Anstelle einer Antwort des verhüllten Fremden, keuchte Ronja auf.

„Was ist?“, fragte Ashley ihre Geliebte besorgt.

„Es … Es spricht. Es spricht in meinem Kopf.“

Ashley griff ihre Waffe, während die Prinzessin weiter sprach.

„Er … Er sagt, dass er Zwetzetez genannt wird und ihn eine Freundin …“ In diesem Moment erschien Viktoria neben dem Verhüllten. „… um diesen Besuch bat. Er meint die da.“

„Wie kannst du das nur so schnell?“, fragte die kahle Zauberin fast gleichzeitig mit ihrem Erscheinen und löste so ein amüsiertes Glucksen bei dem Magier aus, welches Ashley ein wenig schaudern ließ. Doch sie riss sich zusammen und mischte sich augenblicklich ein:

„Er will jetzt also mit dem Sammler für uns reden?“

„Nein, aber er ist neugierig, was ihr vorhabt“, entgegnete die Magierin.

„Also bist du mit deinen Ideen am Ende?“

„Ja. Ich fürchte schon“, erwiderte die Glatzköpfige, ohne großes Bedauern.

„Tolle Hilfe“, motzte Ronja und sagte damit das, was Ashley dachte.

„Na schön“, brummte die Blondine. „Dann eben auf die harte Tour.“

Damit ging die Königin der Astronauten zielgerichtet auf die zweiflüglige Tür zu. Leise über die Zeitverschwendung maulend, die durch die nutzlose Magierin entstanden war, blieb sie schließlich vor der Pforte stehen und betätigte den Messingring.

Nichts.

„Viktoria? Würdest du bitte nochmal die Fratze rufen?“

Die Magierin tauschte sich kurz mit ihrem großgewachsenen, unförmigen Kollegen aus und kam dann zu ihr.

„Ja. Doch was soll das bringen?“

„Ruf sie einfach. Das Reden kannst du getrost mir überlassen!“

„Ich kann nicht garantieren, dass sie mit dir spricht“, sagte die Zauberkundige, berührte aber trotz ihrer Bedenken den Metallring. Wieder zerfloss das Holz und bildete die Fratze.

„Was ist denn noch?“, begann das Gesicht zu sprechen, noch bevor es seine Augen öffnete.

Anstelle einer Antwort trat Viktoria zurück und überließ Ashley das Feld.

„Hi“, begrüßte die Amerikanerin das hölzerne Antlitz. „Ich würde gerne mit dem Verantwortlichen hier sprechen.“

Die Augen des Türwächters richteten sich zwar auf die Blondine, aber ansonsten reagierte er nicht weiter auf sie. Stattdessen sagte er in Richtung der Glatzköpfigen:

„Wenn ihr nicht auf meine Worte hören wollt, werde ich euch eben anderweitig verscheuchen.“

Der Boden vibrierte als sich Teile des Mauerwerks in Bewegung setzten. Drei große Wandelemente machten Anstalten, ihren angestammten Platz verlassen zu wollen, und schälten sich langsam aus dem Gebäude.

10. Ingbold

Ingbold war über Fangs Interesse an seiner Art zu zaubern hocherfreut und genoss ihr Fachgespräch mit zunehmender Dauer sehr. Die Schamanin war wirklich ein kluger Kopf und er schämte sich ein wenig dafür, ihre Spezies zu Lebzeiten nur herablassend betrachtet zu haben. Ihm war nie bewusst gewesen, wie vielschichtig die Berufung eines Schamanen war. Früher dachte er wirklich, sie wären nichts weiter als primitive Scharlatane, die mit ihren Trommeln, Rasseln und Masken die Leute zum Narren hielten. Wie hatte er sich da geirrt. Die Schamanin säuberte gerade ihre Hände in einer Wasserschale, als ein dreischwänziger Fuchs zu ihnen stolziert kam und sich vor ihnen hinlümmelte.

„Hallo, Nerekei“, begrüßte Faqech den Großen Geist ohne aufzusehen.

„Hier steckst du also, Goblinmädchen“, beschwerte sich der Fuchs und gähnte. „Ich hab' mir schon Sorgen um dich gemacht. Hast du vergessen, dass wir verabredet waren?“

„Entschuldige, aber ich hatte viel zu tun“, erwiderte sie und drehte sich zu ihm um. Als sie den trägen Fuchs erblickte, lächelte sie. „Nicht jeder von uns kann sich die Sonne auf den Pelz scheinen lassen, wann immer er möchte.“

„Spotte nur“, brummte der Fuchs und schmatzte vernehmlich. „Es ist erstaunlich anstrengend einen Körper zu besitzen.“ Nerekei kam auf die Füße, nur um sofort auf sein Hinterteil zu plumpsen und sich erst einmal genüsslich zu kratzen. „Und ablenkend ist es außerdem!“

„Ja. Natürlich. Würdest du aber so lieb sein und Platz machen?“, erkundigte Fang sich höflich. „Ich würde gerne weiterarbeiten.“

„Das ist ja nett“, grummelte der Fuchs. „Da macht man sich Gedanken und schaut, wo du steckst, und zum Dank wird man gleich fortgescheucht.“

„Komm schon, Nerekei. Ich muss gleich noch zu Sven und bin auch noch mit Boris verabredet.“

„Soso“, schmunzelte der Fuchs, machte aber Platz.

Fang räumte die restlichen Sachen weg, die sie für ihre Arbeit gebraucht hatte. Auch ihr persönliches Set Nadeln, die sie sorgsam in ein Tuch einrollte und in ihrem eigenen Rucksack verstaute. Zuvor musste sie aber einige Dinge herausnehmen, um sie an den rechten Platz zu packen.

„Was ist das eigentlich genau?“ erkundigte sich Ingbold.

„Was meinst du?“ fragte die Schamanin abwesend zurück.

„Diese Maske da zum Beispiel.“

„Sie ist ein Fetisch“, erklärte sie. „So wie diese Rassel oder auch meine Trommel.“

„Wozu sind deine Fetische gut?“

„Für meine Rituale.“

„Ja. Das weiß ich. Aber ich weiß auch, dass du schon ohne sie Rituale vollzogen hast.“

„Das ist richtig. Und du hast recht. Ich kann auch ohne einen Fetisch Rituale vollziehen. Aber sie erleichtern mir meine Arbeit deutlich und schützen mich zugleich. Meine Maske beispielsweise macht es mir einfacher, mit der Geisterwelt in Kontakt zu treten. Die Trommel ist dagegen vor allem bei einer Beschwörung nützlich.“

„Ah“, sagte Ingbold und schaute zu, wie sie alles zurückpackte und den Rucksack wieder verschnürte.

„Ich werde dich kurz hier lassen, wenn du nichts dagegen hast“, sagte Fang und legte ihn ab. „Ich muss mal kurz. Wenn ich wieder da bin, bringe ich dich zu Sven zurück.

Kaum dass sie weg war, stand Nerekei auf und machte einen Satz auf den Tisch, auf dem Ingbold lag, und ließ sich neben ihn plumpsen.

„Ein tolles Mädchen.“

„Ja“, erwiderte der Lektor etwas unsicher darüber, was Nerekei von ihm wollen könnte.

Der Fuchs musterte ihn genau.

„Du bist ein komischer Geist“, sagte er dann. „So … unvollständig, wie du wirkst.“

Ingbold brauchte einen Moment, bevor er verstand, worauf das Tier hinauswollte.

„Das kannst du merken?“

„Natürlich. Mein Körper mag nun mickrig sein. Trotzdem bin ich ein Großer Geist.“ Nerekei schnüffelte. „Der Geist in dem Kristallschädel bei euch im Zelt ist auch so wie du. Anders, aber sehr ähnlich.“

„Ja“, gab Ingbold zu. „In ihm befindet sich ein anderer Teil meines Selbst.“

„Oha“, stieß Nerekei überrascht aus. „Du hast deine Seele gespalten?“

„Könnte man so sagen.“

„Wie töricht.“

„Wieso?“

„Weißt du, wie lange es dauert, bis eine Seele auf die Größe angewachsen ist, um ein Mensch zu werden?“

„Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, dass Seelen überhaupt wachsen.“

„Oh und ob sie das tun! Sie entwickeln sich unablässig weiter. Sie können wachsen, aber auch verkümmern. Ein Prozess über viele Leben hinweg. Sie absichtlich zu zertrümmern, erscheint mir ausgesprochen dumm.“

„Das ist es wohl“, brummte Ingbold nachdenklich. Über diesen Aspekt seines Zustands hatte er nie nachgedacht. Etwas besorgt setzte er nach. „Weißt du, was geschieht, wenn eine Seele verkümmert?“

„Du meinst, nachdem sie im Totenreich war? Sie wird natürlich wiedergeboren.“ Der Fuchs musterte den Stein, in dem Ingbold steckte, scharf. „Du hast vermutlich gute Chancen als Floh oder dergleichen wiederzukehren bei dem bisschen Seele, das du noch besitzt.“

„Ein Floh …“, sagte Ingbold ausdruckslos.

„Vielleicht auch eine Ameise oder so etwas.“

Ingbold schwieg. Das war ein großer Brocken, den er erst einmal verdauen musste. Über derlei Konsequenzen seiner Seelenspaltung hatte er sich nie Gedanken gemacht.

„So, da bin ich wieder“, erklang da Fangs erleichterte Stimme. Als sie an den Tisch herantrat, kraulte sie kurz den Fuchs und nahm Ingbold anschließend auf. „Jetzt werden wir einmal sehen, wie es um Sven bestellt ist. Mittlerweile sollte es ja wieder sicher sein, ihn zu besuchen.“ Sie grinste verschmitzt. „Willst du mit, Nerekei?“

„Ich begleite dich nur ein Stück und gehe dann noch ein wenig alleine spazieren. Dir bei deiner Arbeit zuzusehen, langweilt mich nur.“

„Wie du willst“, sagte sie und ging los. Dass der Fuchs und sie ihn in ihre folgende Unterhaltung nicht miteinbezogen, kam Ingbold dabei gut zustatten. Denn der Lektor beschäftigte sich mit düsteren Gedanken über das Leben nach dem Tod und seine Existenz als Geist.

11. Viktoria

Waren das Golems oder Elementare? Viktoria tippte auf Letzteres und trat den Rückzug an.

Diese Astronauten machen sich besser, als ich dachte“, sagte Zwetzetez gelassen, als sie schließlich wieder an seiner Seite war. „Ich hätte erwartet, dass sie weglaufen, wenn die Steinwächter erscheinen.“

Viktoria war fassungslos.

„Du wusstest davon?“

Ja. Sie haben keine Chance.

„Meinst du?“, fragte sie nachdenklich.

Die Steinwächter hatten sich in der Zwischenzeit zur Gänze aus ihrem Wandbett gezwängt und stampften nun langsam und behäbig los. Einer in Richtung der kampfbereiten, doch abwartenden Barbarenhorde. Die anderen beiden hatten die hammerschwingende Königin zum Ziel.

Wir sollten uns ein wenig weiter zurückziehen, meine Liebe. Ich weiß nicht, wie fein diese Wächter zwischen Eindringling und Besucher unterscheiden können. Wir wollen doch nicht versehentlich zwischen die Fronten geraten, oder?

„Ja“, entgegnete Viktoria abwesend, derweil ihr Kollege sie mit sich zog. Sie aber starrte wie gebannt die Königin an. Oder genauer gesagt ihren Hammer.

Während die ersten Speere aus den Reihen der Astronauten geschleudert wurden, schlug die Barbarenkönigin auf etwas, das man im anatomischen Sinne vielleicht den Unterschenkel des Steinkolosses nennen konnte. Wenn auch nur, weil der Teil des Konstrukts in etwa die gleiche Funktion erfüllte.

Hinter Viktoria klackte Zwetzetez aufgeregt mit seinen Kauwerkzeugen, als er mit ihr im Arm weiter zurückwich.

Der Golem knickte ein und fiel. Mit kolossalem Dröhnen krachte das Elementarwesen auf den Boden, während Ashley, die im direkten Körpervergleich wie ein wildgewordener Liliputaner aussah, weitere wuchtige Hiebe ausführte. Stein barst und splitterte unter der Urgewalt des Hammers.

Viktorias Handflächen wurden feucht. Sie wollte diesen Hammer haben. Unbedingt. Irgendwie musste sie dieses Artefakt an sich bringen.

Zur gleichen Zeit, in der die Königin den ersten Golem in handliche Trümmer schlug, traten auch die übrigen Astronauten in Aktion. Die Freifläche um den Turm herum war nicht riesig, doch groß genug, um den Schweinereitern Manövriermöglichkeiten zu offerieren.

Deine Barbaren sind nicht dumm“, kommentierte Zwetzetez das Vorgehen der Astronauten, von denen zwei Reiter gerade versuchten, den Steinriesen zu fesseln. Dazu zogen die Astronauten das Seil hinter sich her, während sie den Steinkoloss von beiden Seiten umritten.

Viktoria ignorierte ihn völlig. Ansonsten hätte sie darauf hingewiesen, dass es sicherlich nicht ihre Barbaren waren. Stattdessen hielt sie den Atem an, als der dritte Elementargolem seine hammerartige Hand auf die wütende Amazonenkönigin niedersausen ließ. Die Blondine erkannte die Gefahr nicht, die auf sie herabsank, denn sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihren aktuellen Gegner zu demolieren. Es war ein unglaubliches Bild, wie sie um den Steinkoloss herumtänzelte und ihn trotz massiver Gegenwehr, Stück für Stück zertrümmerte.

„Das war es dann“, flüsterte Viktoria.

12. Ronja

Fels traf dröhnend auf Fleisch. Die Todgeweihte wurde unter der Steinfaust begraben und in den Boden gerammt. Ronja schrie entsetzt auf. Tränen der Trauer und Wut trübten ihren Blick. Störrisch wischte sie sich diese Störenfriede aus den Augen, damit sie erkennen konnte, was nun weiter geschah. Dass die Königin der Astronauten nun nichts weiter als Mus war, stand außer Frage.

„Ashley …“

Erstaunt und hart zog sie Luft ein, als sich die große Felsenfaust von der Stelle löste, an der zuvor noch ihre Geliebte gestanden hatte. Anstelle einer zermatschten Königin, erhob sich jedoch ein Kristallwesen, das in seiner Körperform immer noch Ashley Bender entsprach, nun aber vollständig aus einem bläulichen Mineral bestand. Überall dort gut sichtbar, wo er nicht durch die ramponierte Kleidung ihrer Geliebten verdeckt wurde.

Genug gespielt“, knurrte das Wesen, das Ashleys Platz eingenommen hatte. „Jetzt ist der Spaß vorbei.“

Das Kristallgeschöpf griff sich den heiligen Hammer und warf ihn mühelos und mit enormem Schwung in Ronjas Richtung.

Barbara, hol dir den Hammer!“, rief die kristalline Ashley mit ihrer seltsamen und doch so vertrauten Stimme. Im nächsten Moment sprang sie dann den Steingolem an.

Während Ronja staunte, ritt Barbara dicht an ihr vorbei, um sich die Waffe zu holen, die einige Meter vor ihr ins Erdreich eingeschlagen war. Wie die Kriegerin sich im vollen Galopp zur Seite beugte und die schwere Waffe hochwuchtete, bekam der Rotschopf gar nicht richtig mit. Zu sehr war ihre Wahrnehmung mit ihrer geliebten Königin beschäftigt, die nun mit bloßen Fäusten Stücke aus dem Golem schlug. Die Kerben, die ihr Vorgehen verursachte, waren bei Weitem nicht so tief wie zuvor bei den Hammerschlägen, doch schien es auszureichen, um die volle Aufmerksamkeit des Elementarwesens auf sich zu fixieren.

Der Steinriese versuchte, die Kristallfrau wie eine lästige Mücke zu zerquetschen. Wieder und wieder donnerten die massiven Arme des Steinwächters auf die kletternde und kämpfende Königin. Dass Ashley fast unbeeindruckt weitermachte, war schier unfassbar. Offenbar konnten ihr die wuchtigen Treffer nicht viel anhaben und bewirkten lediglich, dass der Golem sich ihren Kristallkörper selbst in den Leib trieb.

Ashleys Attacken und die Eigenverletzungen, die der Golem sich immer weiter selbst zufügte, forderten schließlich seinen Preis. Mit gewaltigem Getöse ging der zweite Wächter in die Knie. Das Ringen ging zwar weiter, doch Ashley war nun klar überlegen.

Das Seil, welches die beiden Reiter um die Beine des letzten Golems gewickelt hatten, war inzwischen soweit gespant, dass es ihn zu behindern begann. Doch seiner Stärke hatten die Fasern nicht viel entgegenzusetzen und rissen, bevor sie eine echte Wirkung entfalten konnten.

Aber während der Steinwächter den eingeleiteten Schritt noch zu Ende führte, der das Seil zum Reißen brachte, hieb Barbara mit dem Heiligen Hammer auf das Standbein ein. Splitternd entstanden Risse im Gestein, während die Kriegerin durch den folgenden Rückstoß des Aufpralls kräftig durchgeschüttelt wurde.

Scheusal und Amazone taumelten, konnten sich aber wieder fangen. Der Golem drehte sich nun zu seiner Angreiferin, während Barbara geistesgegenwärtig und brachial nachlegte. In ihren Händen war die Wirkung des Hammers offenbar nicht ganz so verheerend, wie bei der Königin, doch immer noch mehr als ausreichend.

Ihr zweiter Treffer brachte das Ungetüm zum Wanken. Splitternd flogen Bruchstücke davon, als der Hammerkopf durch das angeschlagene Gestein hindurchbrach und es regelrecht zertrümmerte. Langsam kippte der Koloss. Die Hammerträgerin musste sich beeilen, aus der Gefahrenzone zu kommen, als der Golem endlich auf die Erde krachte. Doch besiegt war der Steinriese immer noch nicht.

Schreiend stürmte nun alles, was in irgendeiner Weise eine Wuchtwaffe in den Händen hielt, nach vorn. Wie eine durchgeknallte Horde Steinmetze hackten, schlugen und meißelten die Astronauten jetzt auf das am Boden liegende und um sich schlagende Ungetüm.

Ashley indes hatte ihrem zweiten Gegner nun auch vollends den Garaus gemacht und starrte zu dem arg in Bedrängnis geratenen letzten Wächter. Doch obwohl es unter den unerschrocken angreifenden Astronauten Verletzte und sogar Tote gab, überließ sie diese Kreatur den Leuten.

Ronja hatte sich während des Todeskampfes der Steinkreatur weiter Ashley angenähert und ihre Geliebte dabei nicht aus den Augen gelassen. Während die Blondine mit grimmigem Blick dem Kampfgeschehen folgte, fand sie immer mehr zu ihrem Selbst zurück.

Der Kristall wich Stück für Stück, hinterließ Haut und Haar, das Ronja so gut kannte. Am Ende stand wieder ihre Geliebte dort, wo zuvor die kristalline Variante der Königin gestanden hatte.

Ronja, völlig blind für den Kampf ihrer Kameraden, stolperte auf ihre Königin zu, wie in Trance. Besorgt über die fremdartige Verwandlung und voller Freude, ihre Freundin wohlbehalten zurückzuhaben.

„Ashley?“

„Jup.“

„Geht es …“

„Jaja. Alles gut.“

Erst jetzt entspannte sich die Kriegerin ein wenig und schloss ihre Geliebte in die Arme. Zeitgleich realisierte sie endlich, was um sie herum geschah. Erschrocken löste sie sich von der Blondine, die ernst die Schlacht betrachtete, ohne einen Finger zu rühren.

„Willst du nicht eingreifen?“, fragte Ronja baff.

„Nein.“

Wieder riss ein Arm des Steinmonsters zwei Männer in den Tod.

„Aber sie sterben.“

„Ja“, entgegnete Ashley mit rauer Stimme. „Aber ich kann nicht immer überall sein. Wenn das mit den Astronauten Bestand haben soll, müssen sie ihren Teil leisten.“

Wieder wurde jemand zermalmt. Dieses Mal ein Goblin, der mit Hilfe eines Knüppels und Dolches auf das Wesen einmeißelte, bevor er in einer beiläufigen Bewegung des Steinwächters über dessen Torso verschmiert wurde.

„Wir alle müssen für einander einstehen“, erklärte Ashley mit fast tonloser Stimme. „Nicht nur die Stärksten von uns.“

Langsam erlahmte die Gegenwehr des letzten Steinwächters. Die gemeinsame Anstrengung der Astronauten und, nicht zuletzt, Barbaras Schläge mit dem Heiligen Hammer zeigten Wirkung und brachten ihnen schließlich den Sieg.

Jubel brandete auf, als er sich nicht länger rührte und stattdessen die dritte Trümmerruine auf der Lichtung vor dem Turm bildete. Es war vorbei und die Astronauten hatten gesiegt. Ronja schaute in Ashleys grimmiges Gesicht und begriff endlich, warum ihre Angebetete sich bewusst zurückgehalten hatte.

Die Leute bejubelten nun ihren Sieg und nicht nur den Sieg ihrer Königin. Für das Selbstwertgefühl und den Zusammenhalt unter den Astronauten ein enormer Unterschied.

„Ich liebe dich“, flüsterte Ronja ihrer Königin zu.

Ashleys Züge wurden weich und schon fühlte sich die Amazonenprinzessin herangezogen und geküsst. Als sich ihre Lippen wieder trennten, umspielte auch ein Lächeln das Antlitz der Monarchin.

„Ich dich auch“, sagte sie zärtlich.

Schweigend blickten sich die beiden in die Augen, bis Ashley diesen magischen Moment beendete und mit einem finsteren Blick zu dem Turm des Sammlers hinüber schaute.

„Wir ziehen uns fürs Erste zurück und kümmern uns um unsere Verletzten. Danach starten wir einen weiteren Versuch. Vielleicht ist der Sammler dann einsichtiger, jetzt, wo wir seine Wächter zerstört haben.“

„Ja“, entgegnete Ronja stockend. „Hoffentlich.“

Zwischenspiel

Diese Barbaren beeindruckten Zwetzetez zunehmend. Schon weil er nicht damit gerechnet hatte, dass sie tatsächlich alle drei Wächtergolems ausschalten würden. Nachdenklich starrte er die emsigen Astronauten an, die nun mit dem Bergen ihrer Toten und Verletzten beschäftigt waren.

„Offenbar haben deine Freunde nun doch genug“, kommentierte er trocken.

„Glaub ich nicht“, entgegnete Viktoria ernst. „Ich habe sie als geradezu penetrant hartnäckig kennengelernt.“

„Du meinst, sie werden ihr aggressives Vorgehen fortführen?“

„Ja.“ Viktoria deutete mit einer Kopfbewegung zu den Barbaren. „Und da kommen sie auch schon.“

Zwetzetez folgte ihrer Geste mit den Augen und bemerkte im Wust der Leute eine kleinere Gruppe, die auf sie zukam.

„Wusstet ihr was davon“, rief die Barbarenkönigin noch aus der Entfernung.

„Nein“, gestand die Magierin kühl.

„Schön. Welche Überraschungen des Sammlers kennt ihr denn?“, fragte die Menschenfrau nun direkt.

„Ich habe gesehen, was ich sehen wollte.“, erklärte Zwetzetez Viktoria und ignorierte die Königin völlig. „Daher werde ich mich nun zurückziehen.“

„Dachte ich mir schon“, brummte Viktoria.

Was die Barbaren zu sagen hatten, hörte Zwetzetez nicht mehr, denn er teleportierte. Direkt in Morgans Vorhalle. Dort empfing ihn der dicke Zauberer schon kurze Zeit später, als er mit ausgebreiteten Armen auf ihn zuschwebte. Doch er umarmte ihn nicht, sondern begrüßte ihn nur freundlich.

„Bist du wegen der Störungen hier?“, erkundigte sich der Hausherr nach einigen Höflichkeitsfloskeln.

Könnte man so sagen“, übermittelte Zwetzetez seine Gedanken. „Doch bin ich nicht sicher, ob wir von der gleichen Störung sprechen, auch wenn ich vermute, dass sie zusammenhängen.“

Morgan runzelte die Stirn.

„Ich verstehe nicht ganz.“

„Keine Sorge, ich werde es dir erklären. Aber sag mir doch bitte vorher, welche Störungen du bemerkt hast.“

Zwetzetez erfuhr, dass der Manafluss von Morgans Turm etwa zur gleichen Zeit ungewöhnliche Fluktuationen aufgewiesen hatte, als die Wächtergolems sich aus den Mauern formten, um gegen die Astronauten vorzugehen. Er berichtete Morgan dies und alles andere, was sich um den Sammlerturm zugetragen hatte. Morgan schwieg, bis er mit seinen Ausführungen fertig war.

„Und Viktoria ist ganz sicher in die Sache verwickelt?“

„Durch sie haben die Astronauten wohl überhaupt von dem Sammler erfahren. Aber ohne seine Layfane wären sie vermutlich nicht sonderlich an ihm interessiert.“

„Verstehe“, brummte Morgan. „Nun, wir haben auf das, was der Sammler macht, keinen Einfluss. Aber ich bin sicher, dass er diese Wilden auch ohne unsere Hilfe abwehren kann.“

„Die Steingolems haben sie nicht aufgehalten.“

„Schon. Aber der Sammler hat mehr Möglichkeiten als diese.“ Morgan gab sich den Anschein von Sicherheit. Allerdings Zwetzetez kannte seinen Kollegen lange genug, um zu erkennen, dass er sich Gedanken machte. „Um sicher zu gehen, sollten wir ihn jedoch im Auge behalten, solange die Wilden sich in seiner Nähe herumtreiben.“

„Das kann ich übernehmen“, bot Zwetzetez an.

„Schön.“ Morgan nickte zufrieden. „Dann ist das ja geregelt.“

„Was ist mit Viktoria?“

„Wenn sie den Wilden weiter hilft, werden wir uns mit ihr befassen. Für den Moment allerdings würde ich nichts unternehmen. Sie weiß eh nicht genug, um wirklichen Schaden anzurichten.“

„Vielleicht sollten wir sie einweihen. Wenn sie weiß, was es mit dem Sammler auf sich hat …“

„Nein. Ich traue ihr nicht. Jetzt sogar weniger als zuvor. Sie in die Geheimnisse unseres Bundes einzuweihen ist verfrüht, solange sie sich nicht klar bewiesen hat.“ „Wie du meinst. Ich hoffe nur, wir begehen damit keinen Fehler.“ „Wir würden einen Fehler machen, wenn wir sie übereilt einweihen. Aber wenn du meinst, behalt auch sie im Auge.“ Morgan kramte in seinem Umhang. „Hier. Wenn es Probleme gibt, ruf mich.“ Damit übergab er ihm eine kleine Kristallkugel. „Aber nur benutzen, wenn meine Anwesenheit dringend erforderlich ist, ja? Ich verlasse mich ganz auf dein Feingefühl.“

13. Faqech

Nachdem sie noch Sven Erikson besucht hatte, um mit ihm ein paar Übungen auszuführen und ihm Ingbold zurückzubringen, war sie in ihr Zelt gegangen. Schon kurz nach ihr schlüpfte auch Boris durch den Eingang. Er küsste sie zur Begrüßung, bevor er sich schwerfällig neben sie plumpsen ließ.

„Ich bin fertig“, brummte der Russe auf Commen.

„So schlimm?“, fragte sie schmunzelnd.

„Ja. Sprachen liegen mir einfach nicht.“

Fang strich ihm mitfühlend über den Rücken.

„Ich dachte in eurer Welt gibt es auch viele Sprachen.“

„Schon. Aber eher aus der Tradition heraus. Jeder auf der Erde spricht Commen.“

„Du schaffst das schon“, sagte sie auf Westländisch.

„Irgendwann“, erwiderte er auf Quägch und grinste.

Sie küsste ihn.

„Sollen wir zu Bett?“, wechselte sie zurück in die Gemeinsprache der Erde.

Boris nickte zustimmend.

„Es war ein langer Tag.“

„Ja“, bestätigte sie. „Und nun kommt der angenehme Teil.“

Ihren Blick erwidernd, lächelte nun auch er, als sie ihn sanft auf die Füße zog und dann zu ihrem Schlaflager führte. Nachdem sie eine Weile lang ins Bett gegangen waren, lagen sie aneinander gekuschelt da und schliefen. Jedenfalls Koschkin tat das. Fang befand sich noch in dem Zustand, der zwischen wach und schlafend liegt.

Wann wirst du dein Totem wieder rufen?“, fragte da Quekerech in ihren Dämmerzustand hinein. Der tote Schamane begleitete sie überall hin. Das wusste sie. Doch die meiste Zeit behelligte er sie nicht.

Sie öffnete ihre Augen und sah die geisterhafte Gestalt ihres Lehrers verschlafen an.

„In den nächsten Tagen hatte ich das eigentlich nicht vor. Warum?“

Die Ausbildung eines Nachfolgers ist langwierig. Du solltest deine Bemühungen verstärken, geeignete Kandidaten zu finden. Dein Totem kann dir dabei helfen, wenn du es darum bittest.

„Ah, darum.“ Irgendwie hatte sie den Eindruck, dass der Tod ihren Lehrer ungeduldiger gemacht hatte, so hartnäckig er dieses Thema verfolgte. „Warum die Eile?“

Ich versuche dir nur zu helfen, nicht meine Fehler zu wiederholen. Du warst meine einzige Schülerin, die am Ende zum Schamanen taugte. Als du den Stamm verlassen hast, sah es so aus, als würde mir niemand folgen. Das hat mich schwer belastet. Aber ich hatte zumindest dich und du hast mich nicht enttäuscht. Du aber hast niemanden, der deine Bürde weiter tragen könnte. Das muss sich ändern. Zum Wohle aller, denen du dich verpflichtet fühlst. Die Kette darf nicht brechen.“

„Ja, das verstehe ich.“

„Ist's jetzt mal gut?“, mopperte Nerekei unerwartet. „Manch einer hier sucht Ruhe und versucht zu schlafen.“

Fang hatte nicht bemerkt, wann sich der Fuchsgeist zu ihnen ins Bett geschlichen hatte.

„Verzeihung, dass ich nicht auf dich Rücksicht nehme, wenn du ungefragt in mein Bett kletterst“, grummelte sie und widerstand dem Impuls, den Fuchs aus ihrer Decke zu vertreiben. „Wenn du so dringend Ruhe willst, findest du sie vielleicht an einem anderen Ort“, sagte sie stattdessen.

„Ein Vorschlag. Wenn ihr beide jetzt die Klappe haltet, zeige ich dir morgen einen netten Platz für dein Ritual. Was sagt ihr?“

Sie schwieg. Erkannte den listigen Trick, der darin lag. Und auch der Geisterschamane schien, ihre Gedanken zu teilen, und verblasste.

„Besten Dank“, brummte Nerekei leicht enttäuscht. „Und nun eine gute Nacht zusammen.“

Faqech lächelte leise. Dann schlief sie ein.

Ganz früh hatte sie sich am nächsten Morgen aus dem Bett geschlichen, ihre Sachen gepackt und war dann Nerekei gefolgt. Abseits des Astronautenlagers um das Dorf herum gelangten die beiden schließlich zu einem Findling von beachtlicher Größe. Die Oberseite war flach und fast wie geschaffen, dort ein Ritual abzuhalten. Hier würde sie ihr Totem rufen. Es war ein guter Ort dafür.

„Hab ich zu viel versprochen?“

„Nein, hast du nicht. Dieser Platz ist wunderbar.“

Das war er wirklich. Nachdem sie alles vorbereitet und mit ihrem Ritual begonnen hatte, ging es fast wie von selbst. Während sie sich in ihr Lied hineinsteigerte, wurde es dunkel um sie herum. Keine bedrohliche Finsternis, eher die Dunkelheit einer Nacht, in der keiner der Monde sonderlich voll war. Doch hell genug, dass sie die Silhouette erkannte, die über sie hinwegflog, drehte und wenige Augenblicke später lautlos heranglitt.

Die große Eule setzte geschickt vor ihr auf.

Ich weiß, was du wünschst, Seelenkind“, sagte sie klar und deutlich, doch ohne den Schnabel zu bewegen. „Und ich werde dir gerne helfen, passende Lehrlinge zu finden.“

Fang war überrascht. Ihr Totem hatte sich ihr bisher nur gezeigt und ihr zugehört. Doch gesprochen hatte es noch nicht zu ihr.

Ich … Ich danke dir“, sagte sie, obwohl sie zugleich weitersang.

Und ich dir, dass du so höflich warst, mir so weit entgegen zu kommen.“

Die Worte der Eule ließen sie erneut stutzen. Inwieweit war sie ihrem Totem entgegen gekommen?

„Sag, wo sind wir gerade?

In den Schatten, Seelenkind.“ Die Eule blickte ernst. „Dort, wo sich unsere beiden Welten berühren. Nicht mehr ganz dein Diesseits, aber auch noch nicht ganz die Geisterwelt.“

Fangs Körper erschauderte leicht. Sie hatte dieses Ritual noch nie so intensiv erlebt. Und während das Lied auf ihren Lippen weiterging, fragte sie.

Wie kannst du mir helfen?

Im Grunde ist es ganz einfach“, sagte ihr Totemtier. „Durch mich wirst du die Gabe besitzen, das Manapotential anderer Lebenden zu erkennen. So sollte es ein Leichtes sein, grundsätzlich Befähigte zu finden. Ob sich ihre Persönlichkeit ebenso für einen Schamanen eignet, musst du jedoch selbst herausfinden.

„Wunderbar“, erwiderte sie und sang vor Entzücken lauter. „Das ist mehr, als ich zu hoffen gewagt habe. Ich danke dir.“ Da fiel ihr etwas ein.

Unter Schamanen war allgemein bekannt, dass ein Seelentier, hatte sich erst einmal eines entwickelt, denjenigen, zu dem es gehörte, immer und überall begleitete. Dabei war es egal, ob sich der Träger dessen bewusst war oder nicht.

Wenn Seele und Seelentier aber nicht in Einklang mit einander waren, konnte sich das Totem zurückziehen. Handelte man entgegen der inneren Einstellung, oder veränderte sich die Persönlichkeit, konnte so etwas passieren. Alles, was man tat und war, beeinflusste auch die Beziehung zum Seelentier. Bei extremen Veränderungen konnte es sogar zum völligen Verlust des persönlichen Totems kommen.

„Entschuldige, aber begleitest du mich sonst nicht?“

Sie wusste, dass diese Frage eigentlich sehr naiv war. Doch etwas in ihr drängte danach, sie zu stellen.

Doch. Natürlich“, sagte die Eule gnädig. „Ich bin immer da, auch wenn ich lange warten musste, bist du bereit warst, mit mir zu sprechen.

Fang schämte sich bei den Worten ihres Seelentiers ein wenig.

Und was wird nun anders sein?“, fragte sie, um sich abzulenken.

Während ich dir helfe, begleite ich dich auf andere Weise. Du wirst es bemerken, denn meine Hilfe wird dich anstrengen.“ Während ihr Totem dies sagte, begann es seinen Kopf zu drehen und hinter sich zu blicken. „Wie ich sehe, ist der erste Kandidat recht nah. Ich denke, wir sollten unser Gespräch beenden, bevor er sich wieder weggeschlichen hat.

Damit breitete die Eule ihre Flügel aus und schwang sich mit kräftigen Schlägen in die Luft. Faqech wollte schon das Ende ihres Rituals einleiten, als der Vogel eine Drehung machte und genau auf sie zuflog. Ihre Augen weiteten sich, als sie realisierte, dass die Eule mit voller Wucht in sie hineinkrachen würde. Aber bevor sie reagieren konnte, war es schon zu spät. Ihr Körper wurde nach hinten gerissen und prallte hart auf den Stein.

Die Nacht endete so schlagartig wie ihr Gesang. Sonnenlicht blendete ihre Augen.

„Tut's weh?“, fragte Nerekei spöttisch, schnüffelte aber besorgt. „Hat dich ja richtig umgehauen.“

„Ja“, entgegnete Fang mit belegter Stimme. Missmutig schirmte sie ihre Augen vor der gnadenlosen Feuerkugel am Himmel ab.

„Dein Vögelchen hat da ja zum Schluss 'n ganz schönes Spektakel hingelegt“, plauderte der Fuchs heiter weiter. „Bist du jetzt besessen oder was?“

„Besessen?“ Erst als Nerekei es ansprach, kam ihr diese Möglichkeit in den Sinn. War es das, was ihr Totem angedeutet hatte? Konnte ein Seelentier in die Seele eindringen, zu der es gehörte? Sie gar übernehmen?

Eine Bewegung, die sie aus dem Augenwinkel sah, unterbrach diesen Gedanken. Ruckartig schwenkte ihr Kopf in diese Richtung. Die Augen abgeschirmt, versuchte sie blinzelnd auszumachen, was sie gerade bemerkt hatte. Und da hatte sie die Quelle der Bewegung auch schon ausgemacht.

„Ich sehe dich“, rief sie dem Schleicher im Gras zu, das selbst einem Goblin nur mäßig Deckung geben konnte. Für Keine-Ahnung war es jedoch hoch genug. „Komm her, wenn du schon da bist.“

Keine Reaktion. Das musste man dem Waschbär lassen. So einfach war er nicht aus der Deckung zu locken. Fang streckte sich, um ihre Muskeln zu lockern.

„Komm schon. Ich weiß, dass du dich hier im Gras rumtreibst, Keine-Ahnung.“

Stille, dann eine vorsichtige Bewegung. Schließlich ein Seufzen.

„Na gut. Du hast mich erwischt“, gab sich der Tiermensch zu erkennen und steckte seinen Kopf aus der Wiese. „Woher wusstest du, dass ich hier bin?“

„Das verrate ich dir nicht. Dafür schleichst du mir viel zu oft hinterher.“ Es war ein Schuss ins Blaue, doch nun wirkte der Waschbär etwas verlegen. Wie oft hatte er sie wohl schon beobachtet und belauscht, ohne dass er bemerkt worden war. „Aber das ist ein anderes Thema“, schob sie diese Gedanken beiseite. „Komm her.“

Keine-Ahnung zögerte.

„Kommt der Schattenvogel auch nicht wieder?“

„Du hast ihn gesehen?“, fragte Fang verdutzt.

„Das konnte jeder, Goblinmädchen“, erklärte Nerekei als sei das selbstverständlich. „Nur das, was ihr besprochen habt, blieb in der Geisterwelt verborgen.“

Fang war baff.

„Das hätte ich jetzt nicht gedacht.“

„Was heißt das?“, wollte Keine-Ahnung wissen, der sich immer noch nicht von der Stelle gerührt hatte. „Ich möchte erst wissen, ob es wirklich sicher ist. Weißt du“, erklärte der Waschbär weiter, „mein Instinkt sagt mir, dass es keine gute Idee ist, auf einem Felsen zu sitzen, wenn so große Raubvögel wie deiner in der Gegend sind.“

„Du bist sicher“, beschwichtigte Fang und winkte ihn zu sich. „Komm schon her.“

Immer noch zögerlich folgte er ihrer Anweisung. Als er schließlich vor ihr stand, musterte sie ihn eindringlich. So sehr, dass es dem Tiermenschen unangenehm schien und er ihrem Blick auswich.

Sie hatte nicht gewusst, wie das Erkennen von statten gehen würde, doch sah sie das Potenzial, dass in dem Kleinen steckte, deutlich. Auch wenn sie nicht sagen konnte, woran sie es erkannte.

„Dein ehemaliger Herr hatte dich als Manaspender benutzt. Richtig?“

Der Waschbär nickte unbehaglich.

„Keine Sorge“, griff sie seiner Befürchtung voraus. „Dergleichen habe ich nicht vor.“ Und tatsächlich, entspannte er sich bei ihren Worten merklich.

„Warum erkundigst du dich dann danach?“, stellte er zaghaft eine Gegenfrage.

„Weil ich nach jemandem suche, den ich ausbilden will. Jemandem, der verstehen kann, was es bedeutet, ein Schamane zu sein.“

„Ein Schamane? Ich?!“

„Vielleicht könntest du einer werden. Ja. Hast du dir schon einmal Gedanken über die Geisterwelt gemacht?“, begann sie ihre eigentliche Befragung. So wie auch Queckech es damals bei ihr gemacht hatte. Doch zu ihrer Enttäuschung stellte sich schnell heraus, dass Keine-Ahnung nicht die nötigen Charaktermerkmale besaß, die einen Schamanen auszeichneten. Beginnend schon bei seiner Geduld, wurde der Waschbär bei zunehmender Länge der Befragung immer zappeliger. Er konnte einfach nicht still an einem Fleck bleiben.

Fang seufzte. Sie sah nicht, dass der Weg eines Schamanen sein Weg war.

„Danke für deine Zeit.“

„Hab ich bestanden?“ erkundigte sich der Waschbär hoffnungsvoll.

„Bestanden?“, Fang lächelte. „Darum geht es nicht.“

„Also nicht“, sagte Keine-Ahnung etwas niedergeschlagen.

„Es gab nichts zu bestehen.“

„Also werde ich jetzt Schamane?“

Faqech dachte darüber nach.

„Ich bin nicht sicher, ob meine Arbeit wirklich etwas ist, das dich erfüllen würde.“

„Und wenn ich es ganz fest will?“

„Willst du wirklich die Verantwortung eines Schamanen tragen? Das Wohl der Lebenden und Toten über deines stellen und dich ganz dem Dienst der Gemeinschaft widmen?

„Joa, ich glaub schon, irgendwie. Ich möchte eine Aufgabe und mich nützlich machen!“

„Das verstehe ich gut“, sagte Fang und strich ihm über den Kopf. „Ich mache dir einen Vorschlag. Wenn ich mit der Ausbildung von Lehrlingen beginne und du immer noch bereit bist, deine Bedürfnisse zugunsten anderer zurückzustellen, werde ich es mit dir versuchen.“

Für ihre Worte wurde sie von dem kleinen Waschbär mit einem strahlenden Lächeln belohnt, das ihr Herz erwärmte.

„Danke!“

„Dafür brauchst du dich nicht bedanken. Wenn du wirklich ein Schamane werden willst, wird viel Arbeit vor dir liegen.“

„Trotzdem, danke.“ Der Tiermensch war nun noch hibbeliger als üblich. „Mir wird meist nicht viel zugetraut.“

„Tatsächlich?“ Seine Worte schmerzten sie, sah sie doch, dass der Waschbär ein gutes Herz hatte und sich redlich bemühte einen Platz für sich bei den Astronauten zu finden. „Ich sehe viel Potential in dir“, versuchte sie ihn aufzubauen. „Selbst wenn du nicht das Zeug zu einem Schamanen haben solltest, kannst du es ja immer noch als Zauberer versuchen.“

Keine-Ahnungs Augen funkelten aufgeregt. „Du hast recht!“ Wieder zeigte er sein strahlendes Lächeln. Dann fragte er unvermittelt: „Kann ich jetzt gehen?“

„Ja. Klar.“

„Danke!“, rief er fröhlich, während er sich mit einem Satz ins Gras trollte. Schmunzelnd sah sie ihm hinterher, als sich Nerekei zu Wort meldete.

„Wenn du den zu einem Schamanen machen kannst, werd' ich auch einer.“

„Sei nicht so gemein“, tadelte sie den Fuchs. „Momentan ist er der beste Kandidat, wenn auch der einzige.“

14. Ashley

Sie hatte nicht gut geschlafen und war immer noch stink sauer. Auf sich, den Sammler und auf die vermaledeite Magierin. Am liebsten hätte sie den Turm mit bloßen Händen dem Erdboden gleichgemacht und die nichtsnutzige Magierin in einem darunter begraben. Ashley kochte innerlich. Doch die kühle Hand ihrer Freundin auf ihrem Unterarm bewahrte sie vor einer innerlichen Explosion. Sie musste ein Vorbild sein. Heute mehr als je zuvor. Nicht für die kleine Schar, mit der sie zusammen saß. Aber für all jene, die sie beobachteten und auf ihre Führung vertrauten.

„Somit können wir zusammenfassend davon ausgehen, dass gut ein Siebtel unserer Leute für weitere Konfrontationen ausfällt“, schloss Tilseg seinen Bericht über die Verletzen und Toten.

„Wir mussten mit Widerstand rechnen“, sagte Barbara in hartem Ton. „Unsere Gefallenen sind in Ehre gestorben und wir haben die Kreaturen bezwungen, die sie töteten. Wir können ihrer mit Stolz gedenken.“

„Aber wir sind mit unserem Anliegen nicht weiter gekommen“, merkte Tilseg an. „Insofern bin ich froh, dass Viktoria zugesagt hat, uns heute nochmals bei einem Gesprächsversuch zu unterstützen. Vielleicht lassen sich weitere Opfer vermeiden.“

„Wenn sie wieder so hilfreich ist wie gestern, können wir auf sie verzichten!“, knurrte Ronja ungehalten. „Ich traue ihr nicht über den Weg!“

„Ich stimme zu“, sagte Barbara. „Und mir behagt es nicht, dass wir auf sie warten sollen.“

„Welche Alternative haben wir denn?“, erkundigte sich Tilseg in ruhigem Ton. „Wenn sie es schafft und den anderen Magier überzeugen kann, uns doch zu helfen …“

„Genauso gut kann sie gerade eine Falle vorbereiten“, widersprach Barbara energisch. „Diesen Zaubernden ist alles zuzutrauen!“

„Du vergisst, dass auch wir Magiekundige in unseren Reihen haben“, argumentierte Tilseg.

„Das ist was anderes. Schließlich sind sie Astronauten!“

Trotz ihres inneren Gefühlsturms musste Ashley bei den Worten der Amazonenkriegerin lächeln. Das hatten sie wirklich geschafft. Die Amazonen mochten ihre alten Denkweisen und Vorurteile nur schwer ablegen, sei es in Bezug auf Männer, Magiebegabte oder andere Spezies. Wenn sie zum Clan der Astronauten gehörten, war es egal. Astronauten waren Astronauten. Egal, was sie sonst waren. Das machte sie stolz und gab ihr einen Moment der inneren Ruhe.

„Wir werden warten!“, beschloss sie bestimmt und streifte sanft Ronjas Hand von sich ab, um aufzustehen. Alle warteten darauf, wie es weiter gehen würde, also konnte sie es auch einfach laut verkünden.

„Die Kreaturen des Sammlers sind ein Problem, um das wir uns nach wie vor kümmern müssen“, erklärte sie mit fester Stimme. „Erst recht nachdem wir wissen, dass die Layfanenplage nicht das einzige Übel ist, über das er befiehlt. Es ist offensichtlich, dass wir seine Angriffe nicht tolerieren können, doch kennen wir nicht den Grund seines Tuns. Viktoria könnte uns helfen, eine Lösung zu finden, die beiden Seiten genügt, darum warten wir. Die Astronauten sind kein blutrünstiger Clan, der nur den Kampf als Lösung kennt. Also schöpfen wir unsere Möglichkeiten aus, so gut es geht. Unsere Entschlossenheit und Wehrhaftigkeit haben wir gestern erneut bewiesen. Und das werden wir wieder tun, sollte der Sammler sein Handeln nicht ändern.“

Unter dem Jubel der Leute setzte sie sich wieder. Ronja lächelte sie an. Aber Barbara blieb ernst. Ihr gefiel die Entscheidung nicht sonderlich, das konnte Ashley sehen. Doch wusste sie auch, dass die Amazone ihre Worte achten würde. Tilseg hingegen schien ein wenig überrascht, doch durchaus zufrieden.

„Gut gesprochen“, lobte er. „Ich finde es richtig, dass du die Diplomatie gewählt hast. Ich würde jedoch vorschlagen, Faqech oder Sven Erikson anzufordern, falls Viktoria uns nicht zur Seite stehen will und es doch zu einer Konfrontation kommt.“

„Das würde Tage dauern“, sagte Ronja „Selbst wenn Sven sich mit Fang hierherzaubern würde, müsste ein Bote zunächst zu ihnen gelangen.“

„In der Tat. Aber vielleicht wäre Viktoria ja bereit, ihnen zu sagen, dass wir sie brauchen.“

„Wir verlassen uns zu stark auf diese Frau“, brummte Barbara missmutig.

„Schauen wir mal, wie es läuft“, wiegelte Ashley ab. Irgendwie widerstrebte es ihr, um Hilfe zu bitten. Nicht dass ihre Freunde sich nicht als nützlich erweisen würden, aber irgendwie fand sie es wichtig, den Sammler ohne Magie auf ihre Seite zu schlagen.

Tilseg stand auf.

„Gut. Wie du meinst. Ich werde mich nun wieder meiner Arbeit widmen. Kann mir jemand Bescheid sagen, wenn Viktoria zurück…“

Er hatte seine Frage noch nicht zu Ende geführt, als die Magierin ganz in ihrer Nähe mit einer Amazonenkriegerin auftauchte und sich suchend umsah.

„Hier sind wir“, rief Ashley ihr zu und wartete, bis sie sich an sie angenähert hatte, bevor sie fortfuhr. „Da du endlich da bist, können wir es ja nun noch einmal mit dem Sammler versuchen, nicht wahr?“

„Ja“, sagte Viktoria. „Aber ich weiß nicht mehr als gestern. Ich kann den Türwächter für euch rufen, doch mir ist nichts eingefallen, um ihn umzustimmen.“

„Weißt du denn mehr über die Verteidigung des Turms?“

„Nein. Ich habe sogar versucht, nochmals mit meinen Kollegen darüber zu sprechen, doch keiner war bereit, mir mehr über den Sammler zu verraten.“

„Wir werden es trotzdem versuchen“, beschloss Ashley grimmig. So oder so würde sie den Konflikt heute lösen.

Und sie mussten nicht weit gehen, bis sie den Turm erneut erreichten. Hier hatte sich nichts verändert, auch wenn Ashley irgendwie damit gerechnet hatte. Doch der Turm hatte sich seinen zertrümmerten Golem nicht wieder einverleibt. Ein ermunternder Hinweis darauf, dass sie heute vielleicht nicht mit Golems kämpfen mussten.

„Ruf den Wächter“, sagte Ashley nur.

„Es wird nicht gelingen“, erklärte Viktoria pessimistisch, tat aber, was von ihr erwartet wurde.

„Gib es auf, Viktoria, es nützt nichts, Spielchen zu spielen“, begann die Fratze mit ihrer Ablehnung, noch bevor sie sich vollends ausgeformt hatte. „Verschwindet einfach und lasst es endlich gut sein. Das ist meine letzte Warnung. Geht oder erwartet eine ernsthafte Bestrafung!“

„Du blödes Möbelstück“, knurrte Ashley ärgerlich und hob den Hammer. Sie hatte auch nicht vor, noch eine Warnung auszusprechen.

15. Tilseg im Dorf

Tilseg betrachtete die stämmigen Beine des Pflanzengolems, der vor ihm aufragte, und rechnete die Maße kurz im Kopf durch. Mit einem Schmunzeln musste er daran denken, dass er vor nicht allzu langer Zeit ebenso groß gewesen war wie Hirikos Weinstock, für den er seine Berechnungen anstellte. Aber seine jetzige Größe, die er auch als Til Segschneider besessen hatte, gefiel ihm deutlich besser. Es machte es um ein Vielfaches einfacher, seinen Aufgaben nachzugehen, und erinnerte ihn daran, wie es früher als Mensch gewesen war. Für Tilseg fühlte es sich so an, doch war es an sich nicht korrekt.

Wenn man es genau nahm, stammten nur seine Erinnerungen von dem Bordarzt, während sein Körper aus einem Zellengewebe bestand, das zuvor als organischer Supercomputer zu den Schiffskomponenten der Sirius7 gehörte. Seine seltsam anmutende Abstammung war vielleicht der Grund, warum er sich keine Gedanken darum machte, dass er einer Nymphe, die als Mensch die Copilotin der Siriuscrew war, half. Hiriko wollte nicht, dass ihre Symbiosepflanze den Boden übermäßig auslaugte, wenn sie wurzelte. Da die Alternative, sesshaft zu werden und der Pflanze Gelegenheit zu geben, ihr Wurzelwerk weit genug zu verzweigen, nicht infrage kam, musste eine andere Lösung her. Tilseg hatte dazu auf eine alte Idee zurückgegriffen, die er ein wenig modifiziert hatte.

„Glaubst du, das reicht?“, fragte Nirilis und schaute auf die Skizzen, die er angefertigt hatte.

„In der Tat“, entgegnete er gelassen. „Die von mir berechnete Fäkalienfüllmenge sollte ausreichen, um EfA hinreichend mit Nährstoffen zu versorgen.“ Eine kleine Lichtkugel, die dicht an seinem Gesicht vorbei sauste, lenkte ihn etwas ab. Das war eine der vier Töchter Hirikos, die nun um ihn herumschwirrte. Die ein wenig an Feen erinnernden Lichtkügelchen schienen neugierig darauf zu sein, was er denn da mit ihrer Mutterpflanze anstellte, denn schnell umkreisten ihn gleich drei von ihnen.

„Wie willst du diese Konstruktion in mich einsetzten?“ erkundigte sich die Pflanze mit knarzender Stimme. Dass sie einen fast humanoiden Eindruck machte und neben zwei Wurzelbeinen auch einen Torso und zwei Arme aufwies, erleichterte es, sie als Person wahrzunehmen. Tilseg faszinierte es immer wieder aufs Neue, dass er eigentlich mit einem KI-Programm aus Sven Eriksons Kopf sprach, wenn er sich mit EfA unterhielt.

„Da du deine Extremitäten zwar bewegen, aber nicht verformen kannst, werde ich Hiriko Tanakas Hilfe benötigen, um die Behälter zu installieren.“

„Ich werde mich für die Installation der neuen Hardware bereithalten. Wann wird das Upgrade bereit sein?“

„Heute Nachmittag“, antwortete er nach kurzer Kalkulation. „Es ist keine schwierige Konstruktion und es gibt einige sehr geschickte Leute unter den Astronauten.“

„Und du meinst, die beiden Behälter sorgen dafür, dass die Erde nicht mehr so schnell auslaugt, auf der EfA steht?“, fragte Nirilis, die immer noch seine Zeichnung musterte.

„In der Tat. Das Prinzip hat sich bewährt, auch wenn ich dieses Mal einen Einfüllstutzen eingeplant habe. Für eine Toilette sind die Beine nicht geräumig genug und im Torso könnte es EfAs Stabilität gefährden. Außerdem bezweifle ich, dass jemand sein Geschäft in ihr verrichten möchte.“

„Administratorin Tanaka hat die Verödung meines Untergrundes als einen unerwünschten Parameter festgesetzt. Ich bin mit allen Maßnahmen einverstanden, um es zu beenden, solange diese meine Existenz nicht bedrohen.“

„Die Behälter sollten dich nicht behindern. Gefüllt sollten sie deine Stabilität sogar vergrößern, da du dann einen tieferen Schwerpunkt hast.“

„Kannst du sowas auch für mich machen?“

„Ja. Schon. Hast du mit deinem Farn etwa ähnliche Probleme?“

„Nein, nicht direkt. Aber er ist auch ganz schön groß geworden und passt kaum noch in seinen alten Topf. Wenn ich mit Hiriko unterwegs sein möchte, muss ich mir etwas anderes einfallen lassen. EfA kann ihn zwar noch tragen, aber ohne ihre Hilfe, kann man ihn kaum noch vom Fleck bekommen.“

„Verstehe“, sagte Tilseg. „Ich werde mir etwas überlegen.

„Toll“, freute sich die Dryade und gab ihm einen Kuss. „Dann sehen wir uns später. Ich hab noch was vor.“

Damit hüpfte die Dryade fröhlich davon und ließ ihn und EfA stehen. Aber das war nicht schlimm. Er hatte genug zu tun. Sowohl als Arzt des Clans als auch sonst. Und das war an diesem Tag nicht anders.

16. Viktoria

Als die Königin der Astronauten ihren Hammer hob, wich Viktoria instinktiv zurück. Mit einem animalischen Knurren zog die Blondine mit ihrer Waffe einen weiten Bogen, um dann das Holzgesicht zu treffen.

Die Fratze machte große Augen, als die Wucht des Schlages sich entfaltete. Knisternde Endladungsblitze jagten vom Türrahmen Richtung Hammerkopf, während das Holz Funken stob und das Gesicht zerplatzte. Eigentlich hätte die Monarchin von einer ganzen Reihe von Abwehrzaubern getroffen werden müssen, als sie den Eingang attackierte. Statt aber ein Häufchen glühende Asche zu sein, stand die Barbarin unversehrt da und schlug erneut auf die Tür ein. Scheinbar lag das an diesem Hammer, den die Königin führte. Er musste die magischen Angriffe irgendwie absorbieren. Anders war ihr Überleben nicht zu erklären.

Sie stolperte und fiel unsanft auf ihren Allerwertesten, als sie weiter zurückwich, aber gleichzeitig die Geschehnisse an der Tür nicht aus den Augen lassen wollte. Harte Hände hoben sie auf und führten sie weiter. Aus dem Augenwinkel erkannte sie … Zwetzetez? Wer hätte das gedacht?

„Ich dachte du wolltest nichts hiermit zu tun haben“, brachte sie endlich heraus und löste sich aus seinem Griff.

Ein dritter Schlag der Königin ließ beide Flügel der Tür mit einem Knall aus den Angeln reißen.

„Ja.“, sagte er knapp, während er beobachtete, wie die Astronauten sich neu organisierten.

Der Haupttross blieb zurück, während eine kleinere Gruppe sich um die Barbarenkönigin sammelte und in das Gebäude eindrang.

„Morgan hat die Barbaren unterschätzt.“

„Morgan? Was weiß der denn schon?“, entgegnete Viktoria eisig. „Der verkriecht sich doch immer in seinem Labor.“

Verkenne ihn nicht. Ich denke, er wird …“ Ein dicker, schwebender Magier materialisierte sich in diesem Moment bei den beiden bereits anwesenden Mitgliedern des Bundes. „… bald eintreffen.“

„Was geht hier vor?“ Der Ton, den der Zauberer anschlug, zeugte von einer ungewohnten Erschütterung des Mannes. Viktoria spürte es sofort.

Die Barbaren, die sich selbst Astronauten nennen, haben sich gerade gewaltsam Einlass beim Sammler verschafft.“

„Wie konntet ihr beide das zulassen?“

„Wieso?“, forderte Viktoria zu wissen. „Er ist ja noch nicht einmal Mitglied des Bundes.“

„Zwetzetez, du solltest es besser wissen.“

Der Angesprochene raschelte nur leise unter seiner Robe und klackerte mit seinen Kauwerkzeugen.

„Wieso?“, wiederholte sich Viktoria. „Was haben wir mit dem Sammler zu schaffen?“

„Zwetzetez“, grollte der Dicke jetzt fordernd. „Du wolltest doch die Wilden im Auge behalten!“

„Das habe ich“, erklärte der Verhüllte ruhig. „Und ich habe dich gerufen.“

Morgan schnaufte und deutete auf den zerschmetterten Eingang.

„Zu spät! Noch nie ist etwas durch die Schutzzauber der Tür gekommen!“

„Du sagtest doch, dass der Sammler unseres Schutzes nicht bedarf?“, erklärte sich der Insektoid in ihren Gedanken. „Er ist dazu konstruiert, sich selbst zu helfen.“

„Wovon redet ihr eigentlich?“ Viktoria schaute nun von einem zum anderen. Zwetzetez klackerte nachdenklich mit seinen Mandibeln.

Wir sollten sie vielleicht langsam einweihen. Meinst du nicht auch, Morgan?“

„Das können wir auch später. Jetzt müssen wir handeln.“

Wieder teleportierte sich eine Person zu der kleinen Magieransammlung.

„Du hast mich gerufen …“, begann der blasse, hochgewachsene Mann. „Oh …“

„Gwendulin. Danke, dass du meiner Aufforderung gefolgt bist.“

„Ja, natürlich. Wer sind diese Leute?“

Wieder ein Teleport. Ein kräftiger Mann mit dichtem Bart erschien auf der Bildfläche.

„Ärger?“, brummte er wortkarg.

„Ich dachte, der Sammler interessiert uns nicht?“, Viktoria war nun regelrecht erbost. „Was soll also dieses Theater?“

Ich denke, du machst dir zu viele Gedanken, Morgan. Die Barbaren werden nicht weit kommen.

„Sie sind schon zu weit gekommen. Kommst du nun mit oder nicht, Zwetzetez?“

Ich bleibe hier.“

„Viktoria?“

„Ehe mir nicht jemand erklärt, was hier gespielt wird, rühre ich mich nicht von der Stelle.“

„Narren! Alle beide!“, giftete der Dicke und schwebte vor Empörung einige Zentimeter höher.

„Und die da?“

Der Bärtige deutete in Richtung der Astronauten, die immer noch draußen herumstanden und ihre kleine Gruppe im Auge behielten.

„Um die kannst du dich kümmern. Gwendulin und ich knöpfen uns die Barbaren im Sammler vor.“

„Was? Das Gebäude selbst ist der Sammler?“

Ja, meine Gute“, entgegnete Zwetzetez gelassen auf Viktorias Frage. „Ohne ihn würde dem Bund nicht so viel magische Macht zur Verfügung stehen.“

„Ich … Ich verstehe nicht.“

„Gut!“, schnauzte Morgan. „Von mir aus erklär es ihr. Wenn du schon nicht zur Vernunft kommst, versteht sie vielleicht den Ernst der Lage.“ Dann wandte sich der Dicke an seine beiden anderen Kollegen: „Gehen wir.“

17. Barbara

Barbara hinkte noch etwas. Auch ihre Schulter tat noch höllisch weh und erinnerte sie an den gestrigen Kampf. Aber nichts in der Welt hätte sie davon abhalten können, ihrer Königin in den finsteren Turm zu folgen.

Nachdem sie durch das zerstörte Portal ins Innere getreten waren, fanden sie sich erstaunlicherweise auf einer Plattform wieder. Von dort eröffnete sich das Panorama eines viel zu großen Raumes. Alles hier war aus einem seltsamen Material gefertigt, welches je nach Blickwinkel und Helligkeit andersfarbig wirkte.

Der gewaltige und unnatürliche, in allen Regenbogenfarben schimmernde Hohlraum machte ihr Angst. Sie war eine gestandene Kriegerin, doch nun schluckte sie schwer und spürte, wie ihre Beine erweichten. Doch warum? Sie schaute sich um, konnte aber nichts erkennen, das ihre Reaktion rechtfertigte. Ein skurril verschobenes Treppenhaus dominierte das Turminnere. Der verantwortliche Architekt hatte offenbar versäumt, oben oder unten zu definieren. Die Treppen zeigten einen abenteuerlichen Verlauf. So verdreht in sich selbst, wie sie waren, schien es unmöglich, sich auf ihren Stufen zu halten, ohne an ihnen festgeklebt zu sein.

„Was ist das hier?“, flüsterte sie ihre Frage.

„Magisches Brimborium“, entgegnete ihre Königin gepresst, während sie wie die anderen in den Raum stierte. Ashleys Augen schienen sich auf etwas zu fokussieren. Barbara folgte dem Blick und bemerkte nun drei Gestalten, die durch das Zwielicht des Raumes auf sie zuschwebten.

„Was ist das?“, fragte Prinzessin Ronja, die dicht neben ihrer Königin stand.

„Weiß ich doch nicht“, knurrte diese zurück. „Mehr Sicherheitssysteme vermutlich.“

Barbara zog den Heiligen Hammer aus seiner Halterung, bereit ihn ihrer Herrin erneut auszuhändigen, wenn sie ihn brauchen sollte. Die runden Objekte ihrerseits näherten sich zügig bis auf wenige Meter. Dort schwebten sie einen Augenblick bewegungslos in der Luft, bevor sie sich trennten. Seltsame Wesen waren es. Fast rund und von schmutzig brauner Färbung. Ohne Arme und Beine, doch stattdessen mit zuckenden Tentakeln ausgestattet. Eins von diesen unheimlichen Schwebedingern blieb kurz außerhalb ihrer Waffenreichweite stehen und starrte Barbara mit dem einzelnen großen Auge an, das in der Körpermitte des Ungetüms saß.

Das zweite Wesen betrachtete die Königin, die ‚Ruhig bleiben‘ murmelte.

Die dritte Kreatur hatte sich einen Ork ausgesucht, der sie mit den anderen Freiwilligen begleitete. Das Glubschauge vor Barbara brummte kurz und wandte sich dann dem Goblin neben ihr zu. Gleiches geschah bei Ashley.

Das Ding, was den Ork angestarrt hatte, kreischte hingegen auf. Erst drehte sich die Kreatur blitzschnell, öffnete dann einen Schlund an seiner Unterseite und stülpte sich über den Unglücklichen. Bevor der arme Astronaut noch reagieren konnte, enthauptete es den Ork mit einer Drehung. Leblos sackte die kopflose Leiche zu Boden.

Ronja fluchte. Ashley ebenso. Nun schrie das Monster, das Barbaras Nebenmann betrachtete.

„Angriff!“, brüllte Ashley, derweil das Ungetüm bei Ronja zu kreischen begann. Das dritte Glotzauge hatte Barbara nicht mehr im Blick, aber sein Kreischen deutete an, dass es bereits den nächsten Astronauten anvisierte.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752120523
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Helden Zauber Action Magie Rollenspiel Spannung Worldbulding Heldenreise Furry Starke Frauen Roman Abenteuer Episch Fantasy High Fantasy Kinderbuch Jugendbuch

Autor

  • Thorsten Hoß (Autor:in)

Thorsten Hoß wurde in den Siebzigerjahren geboren und wuchs im Rheinland auf, wo er heute noch lebt. Mit Legasthenie geschlagen, brauchte es sehr lange, bis aus seiner Liebe zu Geschichten eine Leidenschaft zum Schreiben wurde. Im Rahmen seiner pädagogischen Arbeit entwickelte er zudem das Rollenspielsystem Lunaria und die gleichnamige Welt, bevor er begann, seine Lunariaromane zu schreiben.
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Titel: Turm des Sammlers