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Tod im Kilt

John Mackenzies zweiter Fall

von Emma Goodwyn (Autor:in)
230 Seiten
Reihe: John Mackenzie, Band 2

Zusammenfassung

Ein paar Tage Urlaub mit der ganzen Familie in Edinburgh – darauf hat John Mackenzie, Beefeater im Tower von London, sich schon lange gefreut. Doch das große Treffen der Clans, organisiert von seiner greisen, aber tatkräftigen Tante Isabel, wird überschattet von einem plötzlichen Todesfall. John bleiben nur wenige Tage, um den Täter zu entlarven – nun muss er sich mit Superintendent Simon Whittington zusammenraufen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Idee zu Johns zweitem Fall entstand bereits 2009 beim bis dahin größten Treffen der schottischen Clans, „The Gathering“, in Edinburgh.

Das Festival gehörte zu einer Vielzahl von Veranstaltungen unter dem Motto „Homecoming Scotland“, die vor allem zum Ziel hatten, Menschen mit schottischen Wurzeln zurück in die Heimat ihrer Vorfahren zu führen.

An die 50.000 Besucher aus über 40 Ländern waren mit uns gemeinsam an jenem Juliwochenende im Holyrood Park versammelt und genossen die einzigartige Atmosphäre.

Vor dem Hintergrund dieses Erlebnisses beschloss ich, John und seine Familie nach seinem Debüt in „Tod im Tower“ auf die Reise nach Schottland zu schicken.

 

 

 

E. Goodwyn            


Kapitel 1

 

Staunend beäugt von einer Reihe Touristen folgten zwei Dutzend Frauen John Mackenzie unter ausgelassenem Gelächter aus dem White Tower hinaus in den Innenhof des Towers. Die Damen, allesamt nicht mehr ganz jung, bildeten mit ihren lila Gewändern und roten Hüten eine auffallende Truppe. Offensichtlich genossen sie das Aufsehen, das sie erregten, weidlich.

John konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als seine Mutter, die sich an die Spitze der Gruppe gesetzt hatte, einer Gruppe von Japanern huldvoll zuwinkte und sich dann kess in Positur stellte, als diese ihre Kameras zückten.

„Wetten, dass das Amerikaner sind, Sabine? Bestimmt irgendein verrückter Rentner-Club aus Florida“, brummte ein deutscher Tourist hinter Johns Rücken seiner Begleiterin zu. John wandte sich um, lüpfte höflich seine blau-rote Beefeater-Mütze und sprach das Paar auf Deutsch an.

„Sir, Madam, ich darf Ihnen versichern, es handelt sich um britische Staatsangehörige. Die Ladies gehören der Red Hat Society an, einem sozialen Netzwerk, das sich in erster Linie an Frauen mit Lebenserfahrung wendet. Die Vereinigung hat sich auf die Fahnen geschrieben, gemeinsam die schönen Seiten des Lebens zu genießen.“ Der Mann starrte ihn verblüfft an. Die Frau lachte.

„Mir gefällt das, Klaus. Wer sagt schon, dass wir Frauen im besten Alter damit zufrieden sein müssen, uns auf Kaffeefahrten neue Rheumadecken andrehen zu lassen? So einen Verein könnten wir zu Hause auch brauchen.“

 

Während er zum Tower Green voranschritt, dachte John zurück, wie belustigt er selbst und seine Geschwister noch vor einigen Monaten reagiert hatten, als seine Mutter ihnen von ihren neuen Aktivitäten berichtet hatte. Mittlerweile hatte sich die Familie an Emmelines gelegentliche Ausflüge gewöhnt.

„Und warum sollten die Frauen sich nicht mal eine Auszeit nehmen von ihrem üblichen Alltag? Grandmas Leben hat sich doch jahrelang nur um die Familie und ihren Gartenclub gedreht. Ich finde es gut, dass sie mal ein bisschen rauskommt und einfach Spaß hat“, hatte Renie, Johns älteste Nichte, bei der Neujahrsparade festgestellt.

Wenige Tage nach dem dramatischen Ende einer Mörderjagd, die drei der Mackenzies in tödliche Gefahr gebracht hatte, hatte sich die ganze Familie am Trafalgar Square versammelt, um Emmeline zuzuwinken. Mit über hundert rot behüteten Gefährtinnen war sie in einem Doppeldeckerbus bei der großen Parade mitgefahren und hatte sich sichtlich prächtig amüsiert.

 

Als die Frauentruppe sich um ihn versammelt hatte, fuhr John mit seiner Führung fort. Er wies auf die südwestliche Ecke des Innenhofs, wo sich die fachwerkbekränzte Fassade des Queen’s House befand.

„Meine Damen, an dieser Stelle möchte ich Ihnen von einer äußerst entschlossenen und couragierten Frau erzählen: Winifred Maxwell.

In Frankreich, wo der Stuart-König James II im Exil lebte, lernte Winifred 1699 Lord William Maxwell kennen, der wie sie Katholik und treuer Anhänger der Familie Stuart war. Sie verliebten sich, heirateten und zogen in ihre schottische Heimat zurück, wo sie auf dem Familiensitz der Maxwells lebten und zwei Kinder bekamen. So weit, so gut. Vermutlich hätten sie bis ans Ende ihrer Tage glücklich dort gelebt, wenn sich nicht im Jahr 1715 die Stuart-Getreuen, die sich Jakobiten nannten, zusammengeschlossen hätten, um den neuen englischen König George I zu stürzen und stattdessen mit dem Sohn von James II der Stuart-Monarchie wieder zur Herrschaft zu verhelfen. Winifreds Mann schloss sich den Rebellen an. Allerdings dauerte es nur wenige Monate, bis die Engländer den Aufstand niedergeschlagen hatten. Lord Maxwell wurde gefangen genommen und wie eine ganze Reihe anderer hier im Tower interniert. Als Winifred davon erfuhr, machte sie sich, begleitet nur von ihrer Zofe Evans, auf den langen Weg hierher.

Der schlimmste Winter seit Menschengedenken machte es unmöglich, in der Familienkutsche zu reisen, aber die beiden Frauen kämpften sich unerschrocken auf Pferden durch und erreichten nach fünfzehn Tagen London. In der Zwischenzeit hatte das Parlament beschlossen, alle Aufständischen zu begnadigen – mit Ausnahme einer Handvoll ihrer Anführer. Darunter war auch Winifreds Mann. In ihrer Verzweiflung beschloss sie, an den König persönlich zu appellieren. Da sie nicht zu ihm vorgelassen wurde, verkleidete sie sich als Dienstbote und schaffte es so tatsächlich bis in die Privatgemächer von George I. Aber auch ihr Bitten und die Petition, die sie aufgesetzt hatte, brachten nichts. Weitere Männer wurden zwar freigelassen, aber ihr Mann gehörte zu den dreien, die exekutiert werden sollten.

Während William sich gottergeben auf sein Schicksal vorbereitete und bereits die Rede verfasste, die er auf dem Schafott halten wollte, fasste seine Frau einen wagemutigen Plan. Am Tag vor der geplanten Hinrichtung betrat sie den Tower mit einigen anderen Frauen, die sie für ihre Absichten gewinnen konnte, und einer Flasche Cognac. Eine ihrer Begleiterinnen hatte unbemerkt ein zweites Gewand übergezogen. Die Wachen der Gefangenen vertrieben sich die Zeit meist mit ihren Frauen und dem Kartenspiel in der Wachstube in dem Gebäude hier, gleich hinter uns. Den Alkohol nahmen sie freudig an und sie ließen Lady Maxwell und eine weitere der Frauen zu William. In der Zelle wurde der Gefangene unbemerkt in das Frauengewand gesteckt und geschminkt. Die Frauen schafften es mit Hilfe des Alkohols und einiger Ablenkungstaktiken, die Wachen soweit zu verwirren, dass diesen nicht auffiel, dass am Ende eine ‚Frau‘ mehr den Tower verließ. Erst als William am Folgetag zur Hinrichtung geführt werden sollte, wurde sein Fehlen bemerkt. Trotz einer großen Suchaktion gelang es dem Paar, aus England zu fliehen. Winifred lebte mit ihrem Mann, um dessen Leben sie so mutig und listenreich gekämpft hatte, noch an die 30 Jahre lang in Italien. Das Kleid, in dem Lord Maxwell die Flucht gelang, ist übrigens bis heute im Besitz der Familie.“

John sah lächelnd in die Runde. „Eine solch bemerkenswerte Frau wie Winifred Maxwell würde sicher gut in die Reihen der Red Hat Society passen. Und damit sind wir am Ende der Führung angelangt. Ich hoffe, sie hat Ihnen gefallen. Sollten Sie noch Fragen haben, stehe ich gern zu Ihrer Verfügung.“

Die Frauen klatschten Beifall und zerstreuten sich dann, um noch ein paar Fotos zu schießen. Während John seinen Kollegen und Freund George Campbell entdeckte und über den Hof zu ihm hinüberging, scharten sich einige der Frauen um Emmeline Mackenzie.

„Dein Sohn ist ja ein fescher Bursche. Die Uniform steht ihm gut.“ Joan Cummings, mit 79 Jahren die Älteste der Gruppe, warf über den Hof hinweg einen Blick auf John und pfiff anerkennend. Die anderen Frauen kicherten. Emmeline lächelte geschmeichelt.

„Naja, ein junger Bursche ist er ja mit seinen 44 Jahren nicht gerade. Aber ich finde auch, dass er sich ganz hübsch herausgewachsen hat. Und ich bin sehr froh, dass er nach all den Jahren im Ausland nun endlich wieder in England ist. Er besucht uns auch regelmäßig draußen in Kew und hat sogar begonnen, mir bei meiner ehrenamtlichen Arbeit in den Königlichen Gärten zur Hand zu gehen.“

„Er war lange beim Militär, nicht wahr?“

„Ja. Als Psychologe hat er unsere Soldaten im Ausland betreut. Er war lange in Deutschland, aber in den letzten Jahren wurde er hauptsächlich bei den kämpfenden Einheiten in Afghanistan und im Irak eingesetzt. Irgendwann wurde es ihm zuviel und nach einem Hörsturz hat er sich entschieden, den Dienst aufzugeben. Glücklicherweise hat er über eine Empfehlung seines Kommandanten die Stelle hier bei den Beefeatern bekommen. In der ersten Zeit war es hier, glaube ich, nicht immer leicht für ihn. Er hat zwar nie direkt mit uns darüber gesprochen, aber es hat wohl eine Weile gedauert, bis er sich den Respekt seiner Kollegen erkämpft hatte. Am Anfang hatten die wohl Angst, dass da so ein verschrobener Psycho-Onkel zur Truppe stößt. Mittlerweile scheint er hier sehr glücklich zu sein.“

Mary Iverson, die gerade ihren Fünfzigsten gefeiert und damit das Eintrittsalter für die Red Hatters erreicht hatte, schob sich heran.

„Du sagtest, er wäre unverheiratet?“ Wieder Gekichere.

„Er gefällt dir wohl, Mary? Meinst du nicht, er ist ein wenig jung für dich?“, kam gutmütiger Spott aus den Reihen der Frauen. Emmeline winkte ab.

„Ach, ich bezweifle es mittlerweile schon, dass ich John einmal zum Traualtar werde schreiten sehen. Seine Schwester Maggie ist schon über 20 Jahre verheiratet und unser jüngster, David, ist mit seiner Annie auch schon ewig zusammen. Aber was das mit John noch werden soll …“

Mary Iverson machte ein enttäuschtes Gesicht.

„Du … meinst aber nicht, dass er … du weißt schon … gar nichts von Frauen wissen will?“

Emmeline warf ihr einen scharfen Blick zu.

„Unsinn. Als junger Mann hatte er eine sehr nette Freundin. Und kürzlich hat er mir erzählt, dass er manchmal mit der Sekretärin des Kommandanten ausgeht. Aber das sei rein freundschaftlich, sagte er. Sie haben sich wohl ein wenig kennengelernt, nachdem dieser furchtbare Mord hier passiert ist.“

Während die Frauen Emmelines dramatischer Schilderung der Geschehnisse im letzten Jahr lauschten, sah John auf die Uhr.

„Der Bus müsste eigentlich gleich da sein, um die Damen abzuholen. Bis später, George.“ Lächelnd ging er zu der Gruppe hinüber, um sie hinauszugeleiten.

Auf dem Weg zum Ausgang fragte seine Mutter, „Hast du in den letzten Tagen von Renie gehört?“

Johns Nichte befand sich seit einigen Monaten in Schottland. Dort half sie Isabel Mackenzie, der Patriarchin des Clans, aus dem Johns Vater stammte, bei den Vorbereitungen für das große Clantreffen in Edinburgh, das in zwei Wochen stattfinden sollte. Dazu würde die gesamte Familie nach Schottland reisen. Renie sollte mit ihnen danach wieder zurückkehren, um ihr Anthropologiestudium an der London School of Economics fortzuführen.

John nickte. „Sie rief mich gestern Abend kurz an. Ich habe das Gefühl, dass sie sich sehr wohl fühlt, obwohl das ganze Team jetzt in der heißen Phase vor Beginn des Festivals sehr viel zu tun hat und ständig etwas kurzfristig umdisponiert werden muss.“

Seine Mutter lächelte. „Unser Mädchen. Ich denke, diese Zeit in Schottland hat ihr gut getan. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, über Monate hinweg mit Isabel zusammenarbeiten zu müssen.“ Sie rümpfte ein wenig die Nase.

Emmeline und die über 90-jährige, aber immer noch sehr tatkräftige Tante ihres Mannes hatten nach Jahrzehnten des Gezänks am letzten Weihnachtsfest einen vorläufigen Waffenstillstand geschlossen. Noch ganz unter dem Eindruck ihres knappen Entrinnens hatte Johns Mutter damals vorgeschlagen, das Kriegsbeil zu begraben. John und seine Geschwister warteten nun mit Spannung darauf, wie lange der Frieden bestehen bleiben würde, sobald die beiden Frauen in Edinburgh wieder aufeinandertrafen.

John gab seiner Mutter einen Abschiedskuss.

„Vielen Dank für die interessante Führung, John. Meine Red Hat Sisters waren sehr angetan.“ Emmeline Mackenzie tätschelte ihrem Sohn liebevoll die Wange. John fühlte sich unversehens wie ein Erstklässler, der den Buchstabierwettbewerb gewonnen hatte.

„Keine Ursache, Mum. Ich wünsche euch noch einen schönen Nachmittag.“

Emmeline drehte sich noch einmal um. „Grüße Maggie, Alan, Tommy und Bella herzlich von mir, wenn du sie heute Abend besuchst, hörst du, mein Junge?“

John nickte und winkte den Frauen zu, die bereits in den Bus eingestiegen waren. Joan Cummings warf ihm keck eine Kusshand zu. Als der Bus abfuhr, schnaufte er erleichtert auf.

 

„Wie sehe ich aus, John? Fühlt sich voll krass an, im Rock rumzulaufen.“ Unsicher sah Tommy seinen Onkel an.

Maggie hatte Kilts, Hemden und Jacketts für ihren 14-jährigen Sohn und für John im Schlafzimmer bereitgelegt. Tante Isabel hatte einen Schneider in Inverness beauftragt, die traditionelle Ausstattung für die Männer der Familie zu fertigen. Dazu hatte Maggie ihre Maße genommen und vor Monaten nach Schottland übermittelt. Die kompletten Outfits hatte Renie vor wenigen Tagen hergeschickt.

„Das Gefühl ist wirklich ungewohnt. Zieh die Strümpfe hoch. Dann steckst du den Dolch, den Sgian Dubh, außen in den rechten Strumpf. Der Sporran wird vorne getragen, sieh mal.“ John zeigte seinem Neffen, wo der Fellbeutel platziert wurde. Dann zog er selbst sein Jackett gerade und nickte Tommy aufmunternd zu.

„So, jetzt wollen wir den anderen mal zeigen, wie gut uns der Mackenzie-Tartan steht.“ Er zog seinen Neffen die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, wo Maggie, ihr Mann Alan und Tommys jüngere Schwester Bella bei der Nachspeise saßen und auf ihren Auftritt warteten. Bella prustete los, als sie ins Wohnzimmer traten. „Tommy, du siehst aus wie ein –“ Sie quiekte und verstummte. „… echter Highlander!“, fuhr Maggie nahtlos fort. Aber es war zu spät. Tommy drehte sich um und rannte die Treppe wieder hinauf.

„Das könnt ihr vergessen, dass ich in diesem Kasperkostüm rumlaufe“, rief er über die Schulter zurück und warf die Tür seines Zimmers hinter sich zu. Maggie wollte sich schon erheben, aber ihr Mann hielt sie zurück.

„Lass mich mit ihm reden. In seinem Alter hätte ich genauso reagiert.“ Maggie ließ sich in ihren Stuhl zurücksinken und warf ihrer jüngsten Tochter einen grimmigen Blick zu.

„Du hättest wirklich ein wenig zartfühlender reagieren können.“

Bella gluckste unbeeindruckt. „Aber Tommy sieht wirklich wie ein Idiot aus in der Tracht, mit seinem blöden neuen Punker-Haarschnitt und dem Nasenring noch dazu.“

Ihre Mutter seufzte. John ergriff das Wort.

„Ich glaube, die Kleidung wirkt nur deshalb so komisch, weil sie für uns ungewohnt ist. Aber glaub mir, Bella, nach ein paar Tagen in Edinburgh wird dir dieser Aufzug ganz normal vorkommen. Dort werden Tausende von Leuten sein, die dieselbe Tracht tragen. Nur eben in unterschiedlichen Tartans, also den Farben und Karos, die für ihren Clan stehen.“

Bella sah ihren Onkel prüfend von oben bis unten an. „Ich finde, bei alten Leuten wie dir sieht es gar nicht so übel aus“, sagte sie dann großzügig. Damit stand sie auf und hüpfte durch die offene Terrassentür in den Garten hinaus.

John starrte hinterher. Dann setzte er sich und vergrub das Gesicht in den Händen, während seine Schwester kicherte. Sie tätschelte ihrem Bruder, der zwei Jahre jünger als sie war, tröstend den Rücken.

„Ach, John-Boy, mach dir nichts draus. Für eine Neunjährige wirkt jeder Mensch über 30, als stünde er schon mit einem Fuß im Grab. Aber ich bin sicher, es gibt genügend reifere Frauen, für die du durchaus attraktiv bist.“

„Reifere Frauen!“ John stöhnte und hob den Kopf. „Da könntest du Recht haben. Heute habe ich Mum und ihre Kumpaninnen von der Red Hat Society durch den Tower geführt. Als wir alle vor der Vitrine standen, in der die letzte Rüstung von Heinrich dem Achten ausgestellt ist – du weißt schon, die, die seiner Leibesfülle in den späteren Jahren angepasst war – gab es zuerst ein paar derbe Bemerkungen, so sinngemäß, dass er offensichtlich in jeder Hinsicht überragend ausgestattet gewesen wäre. Und dann hatte ich in dem dichten Gedränge definitiv das Gefühl, dass mich eine von den Ladies in den Hintern gekniffen hat.“

Maggie lachte schallend los, während ihr Bruder sie mit gespielter Empörung ansah. Als sie sich wieder gefasst hatte, brachte sie hervor, „Möchtest du vielleicht Anzeige wegen sexueller Belästigung gegen Unbekannt erstatten? Ich würde die Ermittlungen in diesem Fall persönlich führen, das verspreche ich dir.“

Maggie arbeitete seit vielen Jahren als Staatsanwältin für die Londoner Justiz.

„He, was gibt es bei euch Lustiges? Ich leiste Schwerstarbeit bei der Erziehung unseres halbwüchsigen Sohnes, während ihr euch hier köstlich amüsiert.“ Alan war wieder hereingekommen.

„Hast du mit Tommy geredet? Denkst du, er wird das Tragen des Kilts tatsächlich verweigern? Dann kriegt Tante Isabel einen Tobsuchtsanfall, befürchte ich.“

Gespannt sah Maggie ihren Mann an. Alan winkte ab.

„Er wird ihn schon anziehen, sobald wir dort sind, keine Sorge. Mein Argument, dass die schottischen Mädels das traditionelle Outfit sicher cooler finden werden, als wenn er mit seinen üblichen ausgebeulten Jeans dort auftaucht, hat ihn wohl überzeugt. Außerdem kann er dann den Strumpfdolch tragen, auf den er so steht.“ Alan ließ sich auf das Sofa fallen.

„Bei allem Respekt vor euren schottischen Traditionen – ich bin ganz froh, dass eure formidable Tante Isabel mir nahegelegt hat, als Engländer ohne einen Tropfen schottischen Bluts auf das Tragen der Tracht zu verzichten. Sie sagte mir zwar, dass ich als angeheiratetes Mitglied des Mackenzie-Clans theoretisch auch den Kilt tragen könnte, aber in meinen normalen Beinkleidern fühle ich mich doch entschieden wohler.“

Tante Isabel war nicht nur eine glühende Patriotin, sondern auch Vorsitzende des Komitees, welches das seit vielen Generationen größte Treffen schottischer Clans organisierte.

Maggie lachte. „Isabel ist wirklich trotz ihres Alters eine beeindruckende Frau, die es gewöhnt ist, ihren Willen durchzusetzen. Stellt euch vor, nun hat sie David dazu verdonnert, seinen alten Dudelsack wieder vorzuholen und seine eingerosteten Kenntnisse aufzufrischen. Die Pipe Band von Inverness wird die acht Finalisten der Weltmeisterschaft in den Highland Games ins Stadion geleiten. Sie möchte partout, dass David dabei mitmarschiert, und natürlich auch beim feierlichen Einzug aller Dudelsackbläser. Es sollen über tausend sein. Nun übt er schon seit Tagen wie ein Wilder ‚Scotland the Brave‘ und noch irgendein Stück.“

Alan grinste. „Ja, eurer Tante schlägt man eben nichts ab. Aber nun erzählt – was habe ich vorhin verpasst?“

Maggie setzte ein ernstes Gesicht auf.

„Mein Bruder wurde heute das Opfer eines unverzeihlichen, erniedrigenden Übergriffs mit eindeutig sexuellen Absichten. Ich denke, ich werde morgen sofort ein Sonderermittlungsteam zusammenstellen, das diese fidele Frauentruppe, der unsere Mutter sich angeschlossen hat, unter die Lupe nimmt. Wir werden nicht ruhen, bis wir die infame Person gefunden haben, die es wagt, einem königlichen Beefeater an den Hintern zu fassen. Und wisst ihr, wem ich die Leitung des Teams übertragen werde?“

Als beide Männer sie verständnislos anstarrten, breitete sie die Arme aus, wie ein Moderator, der einen Stargast präsentiert.

„Niemand geringerem als Superintendent Simon Whittington, dem Star der Metropolitan Police!“, schloss sie enthusiastisch. Alle drei brachen in Gelächter aus. Schließlich schüttelte John den Kopf.

„Unser liebster Cousin beschäftigt sich nur mit Kapitalverbrechen, alles andere wäre unter seiner Würde. Abgesehen davon ist er sicher vollauf damit beschäftigt, sich auf das große Golfturnier in St. Andrews vorzubereiten.“

Simon und seine Ehefrau, die Ehrenwerte Patricia Whittington-Armsworth, waren im August zu einem prestigeträchtigen Wohltätigkeitsturnier an der schottischen Ostküste eingeladen.

Maggie nickte.

„Sie fahren in den nächsten Tagen los. Patricia sagte mir kürzlich, sie würden vielleicht auf einen Sprung nach Edinburgh kommen, um sich auch etwas vom Clanfestival anzusehen. Von St. Andrews ist es ja nicht weit.“

John und sein Schwager sahen sich an und gaben dann beide Geräusche von sich, als müssten sie sich übergeben. Maggie maß die beiden mit einem strafenden Blick und hob an, „Wir hatten doch vereinbart …“

John winkte ab. „Ja, ja, du hast ja recht. Alte Gewohnheiten sterben nun mal langsam. Wenn sich jemand seit jüngster Kindheit als intriganter Widerling, als skrupelloser Egomane, schlicht als veritables Ekel erwiesen hat, ist es schwer, von diesem Bild abzurücken. Auch wenn ohne ihn unsere Mörderjagd letztes Jahr ein tragisches Ende genommen hätte.“

Alan sah seine Frau mit betretenem Gesicht an und ergriff das Wort.

„Wir haben ihm viel zu verdanken, Liebling, ich weiß. Also gebe ich hiermit zu Protokoll, dass euer Cousin ein großartiger Mensch, ein hochintelligenter Ermittler und der bestaussehendste Mann in ganz England ist.“

„Na, nun übertreib nicht gleich“, gab Maggie zurück. „Übrigens hat Renie sich heute gemeldet. Sie kann es kaum noch erwarten, dass wir kommen. Und sie sagte, sie hätte eine Überraschung für uns.“ Sie runzelte die Stirn. „Was das wohl sein mag?“

John stand auf und streckte sich. „Du wirst es erfahren. Bei Renie stehen Überraschungen sowieso immer auf der Tagesordnung. Ich danke dir für das vorzügliche Abendessen. Nun muss ich mich umziehen und zurück in den Tower.“

Als sie sich an der Haustür verabschiedeten, mahnte Maggie ihren Bruder scherzhaft, „Wir sind Mittwoch früh um acht Uhr vor dem Tower – wehe, du kommst wieder mal zu spät.“

John grinste. „Ich verspreche dir, ich werde ab 7.45 Uhr gestiefelt und gespornt vor dem Tor stehen.“

Während seine Eltern sowie David und Annie mit ihrem Söhnchen Christopher nach Edinburgh fliegen wollten, würde John mit Maggie und ihrer Familie in deren geräumigem Wagen nach Norden fahren.


Kapitel 2

 

Nachdem die U-Bahn ihn von Belgravia zum Tower Hill gebracht hatte, nutzte John den außergewöhnlich lauen Sommerabend zu einem Spaziergang an der Themse entlang, bevor er in seine Wohnung im Tower zurückkehrte. Das Ufer war dicht bevölkert. Nachdem er ein halbes Dutzend mal gebeten worden war, Touristenpärchen vor der beleuchteten Silhouette der Tower Bridge zu fotografieren, beschloss er, hinter den Festungsmauern zu verschwinden. „N’Abend, John“, begrüßte ihn Michael Conners, einer seiner Beefeater-Kollegen, freundlich am Tor.

„Hallo Michael. Hast du heute die Nachtschicht erwischt?“

Jeweils drei Beefeater schoben zusammen mit einigen Mitgliedern der Militärgarde jede Nacht im Tower Wache. John war froh, dass er diesen Dienst wegen seiner Zusatzaufgaben in der Pflege der Tower-Raben nur noch an zwei Nächten pro Monat übernehmen musste. Conners nickte und hob ein Buch hoch. „Sieh mal, was ich mir zum Lesen mitgebracht habe.“

„Gefiederte Freunde – Aufzucht und Pflege.“ John pfiff anerkennend durch die Zähne. „Du bereitest dich schon gewissenhaft darauf vor, für ein paar Tage unser Ravenmaster zu sein.“

Er klopfte seinem Kollegen auf die Schulter. „Bei dir werden die Raben in den besten Händen sein, Michael. Nächste Woche wird George dich genau einweisen und du kannst schon mal ein paar von meinen Aufgaben übernehmen, wenn ich abgereist bin. Außerdem weißt du ja, dass du immer anrufen kannst, falls es doch ein Problem geben sollte.“

George Campbell, der seit über 20 Jahren Chefpfleger der Raben war, hatte John vor einigen Monaten zu seinem Assistenten gemacht. Normalerweise war immer gewährleistet, dass einer der beiden im Tower war, um die Raben zu versorgen. Der Kommandant der Beefeater, Chief Patrick Mullins hatte für ein paar Tage im August ausnahmsweise beiden Männern frei gegeben. Campbells Familie stammte genauso wie Johns Vater aus Schottland. George und seine Frau Marcia wollten das große Clanfestival wenigstens für drei Tage ebenfalls besuchen.

„George fliegt am Freitag nach Edinburgh und kommt bereits am Sonntagabend wieder zurück. In der Zwischenzeit schaffst du das auf jeden Fall allein mit den Tieren.“

Conners grinste ihn an und warf einen bedeutsamen Blick auf Johns linke Hand, die eine lange Narbe zierte.

„Na, na, nun tu mal nicht so, als wäre dieser Job so einfach.“

John musste lachen.

„Mit kleineren Verlusten muss man immer rechnen. Aber jemand wie du, der 20 Jahre lang Einsätze in der Royal Air Force geflogen hat, wird ja wohl keine Furcht vor einem kleinen Vogel haben, oder doch?“ Conners brummte.

„Auf jeden Fall beneide ich dich nicht um deinen Trip nach Norden. Wer will schon da hinauf, wo die dort noch viel schlechteres Wetter haben als wir hier? Und dann noch zusammen mit der ganzen Familie.“ Er schüttelte sich theatralisch. „Das würde ich keine zwei Tage aushalten. Die Blagen von meiner Schwester könnten den Sanftmütigsten auf die Palme bringen. Und mein Schwager erst, dieser geschniegelte Typ – Investmentbanker – lauter Gauner sind das, sage ich dir …“

Bevor Conners sich weiter für dieses Thema erwärmen konnte, verabschiedete John sich hastig. Da die Raben es gewöhnt waren, im Morgengrauen gefüttert und aus ihrer Voliere gelassen zu werden, musste er in den Sommermonaten früh aus den Federn.

 

Als er am nächsten Morgen das Fleisch für die Raben klein schnitt, vernahm er Laufschritte draußen. Neugierig, wer um fünf Uhr früh schon unterwegs war, trat er aus dem Rabenhaus. Chief Mullins kam von seiner Wohnung hinter dem White Tower herüber und winkte.

„Donnerwetter, Chief, Sie sind ja früh auf den Beinen.“

Mullins trabte auf der Stelle. „Jetzt ist die beste Zeit zum Joggen, Mackenzie.“ Er klopfte sich auf den Bauch. „Im Urlaub in Italien habe ich ein wenig zugelegt, dagegen muss sofort was unternommen werden.“

Während John seinen durchtrainierten, hochgewachsenen Kommandanten, bei dem keinerlei Bauchansatz zu erkennen war, etwas zweifelnd ansah, erschien auf Mullins’ Gesicht ein Grinsen.

„An Ihrem Urlaubsziel werden Sie wohl kaum zunehmen. Der Fraß da oben muss ja die Hölle sein. Cheerio.“ Mit federnden Schritten lief er in Richtung Tor davon.

Aus der Voliere ertönte unwilliges Kreischen. Die Vögel hatten wenig Verständnis für Verzögerungen, wenn sie auf ihr Futter warteten. John beeilte sich, das Fleisch abzuwiegen – die Ration für jeden Vogel war genau festgelegt – und etwas Trockenfutter darüber zu streuen. Dann ergriff er die ersten vier Näpfe und öffnete das Gittertor zur Voliere. „Herrschaften, hier kommt euer Frühstück. Lasst es euch schmecken.“

Die beiden ranghöchsten Tiere, Bran und Florrie, bekamen als erste ihr Futter. Den jüngsten der Raben, Gworran, schien es nicht zu stören, dass er am längsten warten musste. Geduldig saß er auf seinem Lieblingsast und verfolgte jede von Johns Bewegungen mit schief gelegtem Kopf. Als John das Futter auf einem Brett deponierte, das auf dem Ast befestigt war, hopste Gworran herzu und rieb seinen Schnabel an Johns Hand. Dann pfiff er die ersten Töne der britischen Nationalhymne und stürzte sich auf das Fleisch. Mit den unterschiedlichen Geräuschen, die er nachahmen konnte, entwickelte er sich allmählich zu einer Attraktion für die Touristen, die sich häufig um ihn scharten, wenn er wie die anderen Vögel tagsüber im Gelände des Towers herumstrolchte.

Nachdem die anderen Vögel die Voliere verlassen hatten, schloss John eilig das Tor. Gworran musste heute noch ein wenig ausharren, bevor er hinauskonnte. Sein Flügel mussten wieder einmal gestutzt werden. Diese Prozedur war alle paar Monate fällig, damit die Vögel nicht fortfliegen konnten.

Da König Charles II im 17. Jahrhundert eine Prophezeiung erhalten hatte, dass das britische Königreich fallen würde, sollten keine Raben mehr im Tower leben, hatte er sicherheitshalber verfügt, dass zu jeder Zeit mindestens ein halbes Dutzend der Tiere hier gehalten werden mussten. Momentan lebten neun der intelligenten Vögel im Tower of London. Über die Jahrhunderte hatte es unter den wachsamen Augen der Rabenpfleger nur eine Handvoll der Tiere geschafft, das Weite zu suchen, was jedes Mal für landesweite Aufmerksamkeit sorgte. George Campbell achtete daher peinlich genau darauf, dass seine kleine Truppe vollständig blieb.

„Guten Morgen, John“, begrüßte er seinen Assistenten, als er in das Rabenhaus trat. „Bist du bereit für deinen ersten Flügelschnitt?“

John schluckte. „Morgen, George. Denkst du nicht, ich sollte dir heute noch einmal zusehen? Ich bin mir wirklich nicht sicher –“

„Unsinn“, schnitt ihm der Ältere freundlich, aber bestimmt das Wort ab. „Du hast mir doch schon etliche Male assistiert und weißt, was zu tun ist. Außerdem ist Gworran das geeignete Tier für deinen ersten Einsatz, da er dich sehr gern hat und die ganze Sache bestimmt friedlich über sich ergehen lassen wird.“

John seufzte und zog sich ebenso wie George zur Sicherheit ein Paar widerstandsfähige Handschuhe an. Dann holte er Gworran aus der Voliere, der sich bereitwillig von ihm aufnehmen ließ. Als er jedoch die Schere erblickte, die George in diesem Moment aus dem Wandschrank hervorholte, zuckte der Vogel zusammen und brach in lautes Keckern aus.

„Gut zupacken, John, sonst entwischt er dir“, riet George. „Und jetzt setz dich hierher und spreiz ihm den rechten Flügel ab.“

John standen bereits die Schweißtropfen auf der Stirn. „Aber vielleicht tue ich ihm weh –“

„Zum Donnerwetter, junger Mann. Nun mach schon, dann ist es gleich vorbei und Gworran hat wieder seine Ruhe.“

Behutsam ergriff John den Flügel und spreizte ihn so weit ab, dass er die Schwungfedern gut erreichen konnte. Während George ihm half, den Vogel festzuhalten, schnitt er sorgfältig die Federn ab und achtete darauf, keinen der durchbluteten Kiele zu verletzen. So verursachte das Flügelstutzen dem Tier genauso wenig Schmerzen wie das Haareschneiden einem Menschen. In wenigen Minuten war alles geschafft. John war froh, dass es ausreichte, den Vögeln immer nur jeweils einen Flügel zu stutzen.

„Fertig. Nun lass ihn hinaus.“

John tat, wie ihm geheißen. Gworran hüpfte hastig ein Stück fort, warf ihm noch einen vorwurfsvollen Blick zu und stapfte dann davon. John schnaufte tief durch und ging zurück in das Rabenhaus. George klopfte ihm schmunzelnd auf die Schulter.

„Für deinen ersten Versuch war das doch ganz ordentlich. Gworran wird dir jetzt sicher für ein, zwei Tage aus dem Weg gehen, aber bis du aus Schottland zurück bist, hat er sich wieder beruhigt.“

Gemeinsam machten sie sich daran, die Voliere zu reinigen und plauderten über die bevorstehende Zusammenkunft der schottischen Clans.

„Das wird ein Fest, John. Allein von uns werden über 100 aus der ganzen Welt anreisen. Ah, ich freue mich schon, das Campbell-Banner über dem Zelt flattern zu sehen.“

Jeder Clan bekam in dem riesigen Festivalgelände hinter Holyroodhouse, der königlichen Residenz in Edinburgh, ein eigenes Großzelt zur Verfügung gestellt, wo die Familienmitglieder sich treffen konnten.

„Über 100 Verwandte? Da habt ihr ja vielleicht sogar eine Chance auf den Preis für den Clan mit den meisten Teilnehmern, den das Komitee ausgesetzt hat.“ John war beeindruckt, aber George winkte ab.

„MacDonald – das ist die Familie mit den weltweit meisten Mitgliedern. Mehr als fünf Millionen sollen es sein. Ich wette, die werden das größte Kontingent bei unserem Treffen bilden. Aber einen Preis könnten die Campbells durchaus für sich verbuchen: Beim Highland Fling – da hat Erin, eine Großnichte von mir, sicher eine Siegchance. Sie ist in ihrer Altersklasse schottische Vizemeisterin.“

John hörte den Stolz in Georges Stimme. „Highland Fling? Das ist doch einer der Tänze, die Teil der Highland Games sind?“

Statt einer Antwort stützte George einen Arm auf die Hüfte, nahm den anderen Arm nach oben und winkelte unter einigem Ächzen das Knie an, so dass sein rechter Fuß an der linken Wade auflag. Dann summte er fröhlich eine Melodie und hüpfte erstaunlich graziös auf einem Bein herum. John applaudierte lachend. George beendete seine Darbietung mit einer Verbeugung und setzte sich dann schnaufend.

„Ich bin auch nicht mehr der Jüngste. Aber vor vielen Jahren war ich mal ein ganz passabler Tänzer. Und nicht zu vergessen Hammerwerfer.“ Er lächelte versonnen. „Bei dieser Disziplin war ich meistens unschlagbar. Kugelstoßen ging auch noch ganz gut, aber beim Baumstammwerfen, da war ich meistens Letzter. Aber das ist alles lange her. Heutzutage schaue ich mir die großen Wettbewerbe nur noch im Fernsehen an.“

John schrubbte den letzten Futternapf sauber und griff nach einem Geschirrtuch.

„Dann wirst du dir in Edinburgh sicher die Endrunde der Weltmeisterschaft nicht entgehen lassen.“

George nickte nachdrücklich. „Auf keinen Fall. Das trifft sich hervorragend, dass das Finale beim Clantreffen ausgetragen werden wird. Allerdings glaube ich nicht, dass unser Mann, Tim Carlisle, eine Chance haben wird. Unser bester Wettkämpfer, Rory McAllister, liegt mit einer Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus, habe ich gestern in der Zeitung gelesen. Das ist schade, denn er hätte mit Sicherheit eine Chance auf den Sieg gehabt. In den letzten 15 Jahren haben fast immer Amerikaner oder Australier gewonnen. Eine Schande, das.“ Er schüttelte den Kopf. „Mittlerweile gibt es in Amerika mehr Highland Games als in Schottland, das muss man sich mal vorstellen. Bei denen ist das richtiges Big Business, mit Profis und Sponsoren und Werbeverträgen. Pah, damals bei uns ging es um die Ehre – und vielleicht mal um ein Fässchen Whisky für den Sieger.“

Seufzend erhob er sich und fasste sich sogleich mit einem unterdrückten Fluch ans Knie. „Herrjeh, die alten Knochen wollen auch nicht mehr so richtig. Das Tanzen überlasse ich wohl doch lieber dem Nachwuchs.“

 

Nach getaner Arbeit ging John durch die stille Festung zurück in seine Wohnung. Da sein Dienst heute erst am späten Vormittag begann, überlegte er flüchtig, sich noch einmal aufs Ohr zu legen, verwarf diesen Gedanken aber wieder. Er konnte die Zeit nutzen und seinen Koffer für Schottland packen.

Nach einer Stunde starrte er auf einen riesigen Haufen aus Kleidungsstücken, Schuhen, Büchern und allerlei Krimskrams. Damals, als ich für ein halbes Jahr zum Auslandseinsatz flog, hatte ich auch nicht mehr dabei, dachte er erheitert. Aber schließlich musste man bei dem berüchtigten schottischen Augustwetter ebenso auf heiße Sommertage wie auf sintflutartige Regenfälle bei kühlen Temperaturen gefasst sein.

Nachdem er es geschafft hatte, alles in den Koffer hineinzuzwängen, ging er in die Küche, um sich eine Tasse Darjeeling-Tee zu gönnen. Er hatte gerade den ersten Schluck genommen und war im Begriff, sich genüsslich über die Times herzumachen, als das Telefon klingelte. Er runzelte die Stirn. Es war immer noch früh am Morgen. In den vielen Jahren bei der Truppenbetreuung hatte er die Erfahrung gemacht, dass Anrufe zu ungewöhnlichen Zeiten selten etwas Gutes bedeuteten. Als er abhob und die aufgeregte Stimme seiner Mutter hörte, schlug sein Herz schneller.

„Mum, was ist los? Ist irgendwas mit Dad?“

„Unsinn, John, deinem Vater geht es gut“, kam es etwas unwirsch zurück. Dann hörte er, wie Emmeline tief Atem holte. Danach klang ihre Stimme ruhiger. „Ich wollte dich nicht erschrecken mit meinem frühen Anruf, John, tut mir leid. Aber ich musste mich gerade fürchterlich über Isabel aufregen.“

„Isabel? Was ist mit ihr?“

„Dieses Weib hat unsere Hotelreservierung vermasselt. Wir sollten doch alle im Riddick’s untergebracht sein. Das wäre wunderbar zentral gewesen und überhaupt soll das ein sehr angenehmes Haus sein. Und nun hat sie mich gerade angerufen, dass das Hotel überbucht ist und sie uns deshalb woanders Zimmer besorgen musste.“

„Aber Mum, wenn das mit der Überbuchung stimmt, dann kannst du den Fehler ja wohl kaum Tante Isabel ankreiden“, wandte John ein. Seine Mutter ließ ein unwilliges Schnauben hören.

„Hm. Ich denke, man hätte doch von der Cheforganisatorin dieses Clanfestivals erwarten können, dass sie in unserem Sinne auf die Hotelleitung einwirkt. Wenn sie sich etwas mehr Mühe gegeben hätte, hätten wir unsere Zimmer mit Sicherheit behalten können.“

John seufzte innerlich. „In welchem Hotel sind wir denn nun?“ Wieder machte seine Mutter ein abfälliges Geräusch.

„Stell dir vor, die ganze Stadt ist angeblich ausgebucht, so dass wir nur noch in der Universität etwas bekommen konnten. Nun müssen wir in einer Art Studentenwohnheim hausen, mit Essen in der Mensa, ist das nicht scheußlich?“

John bemühte sich, Emmeline zu beruhigen. „Ach, Mum, das ist doch nicht so schlimm. Für die paar Tage wird’s schon gehen –“ Weiter kam er nicht. Hörbar verstimmt unterbrach seine Mutter ihn, indem sie ankündigte, sie müsste jetzt seinen Geschwistern Bescheid geben. Kopfschüttelnd legte John auf und kehrte zu seiner Zeitung zurück.

 

Für den Abend vor der Abreise hatte er Bonnie Sedgwick zum Abendessen eingeladen. Bonnie regierte über das Vorzimmer von Chief Mullins. Obwohl sie nicht im Tower lebte, wusste sie stets bestens über alles Bescheid, was hier vor sich ging. Sie und John waren in seinem ersten Jahr hier gute Freunde geworden und Bonnie hatte sich gerne bereit erklärt, nach seinen Pflanzen zu sehen, so lange John fort war.

„Donnerwetter, seit meinem letzten Besuch hier ist das Grünzeug ja förmlich explodiert, John. Du musst wirklich ein Händchen für Pflanzen haben.“ Bonnie stand staunend in der Tür des kleinen Arbeitszimmers, in dem Johns Bücher und sein Computer schon fast hinter der überbordenden Flora verschwanden. Zu Johns Leidwesen ließen die recht kleinen Fenster der massiven Towergebäude trotz der Südseite nicht viel Licht herein. So hatte er probeweise ein paar spezielle Pflanzenleuchten installiert, die zu ungeahntem Wachstum geführt hatten.

Er nickte schmunzelnd. „Du hast recht. Die grünen Kerlchen hier halten mich ganz schön auf Trab. Ständig bin ich am Umtopfen. Wahrscheinlich werden sie mich eines Nachts wie dieses Monster aus ‚Little Shop of Horrors‘ mit Haut und Haar auffressen.“

Bonnie lachte. „Ach ja, Audrey hieß sie, glaube ich. Wenn das so weitergeht, werden sie zumindest irgendwann deine ganze Wohnung einnehmen. Was ist das überhaupt alles? Manches habe ich noch nie gesehen.“

Hier war John in seinem Element. „Also das hier ist eine Kiwano, eine Horngurke, die eigentlich in Australien und Teilen von Afrika kultiviert wird. Angeblich schmecken die Früchte wie eine Mischung aus Banane, Maracuja und Zitrone. Ich weiß allerdings noch nicht, ob die Früchte hier zur Reife kommen werden. Dann haben wir hier den Austrieb eines Kapokbaums, den ich aus einem Samen herangezogen habe. Er wächst beängstigend schnell und muss wohl bald umquartiert werden. Vielleicht findet meine Mutter einen Platz in einem der Gewächshäuser in Kew für ihn. Er hat nämlich wunderbare rosafarbene Blüten und produziert eine Art Baumwolle. Dann haben wir hier eine Reihe Chilisorten, z.B. Bangalore Torpedo oder die recht süße Chocolate Beauty, natürlich auch die berühmte Tabasco …“ Nach einer Weile bemerkte John, dass Bonnies Augen zunehmend glasig wurden.

„Entschuldige, ich könnte noch stundenlang weiter erzählen. Ich scheine von meiner Mutter das Faible für alles Grünzeug geerbt zu haben. Und ich finde es jedes Mal wieder faszinierend zu beobachten, was mit etwas Licht, Erde und Wasser aus einem unscheinbaren kleinen Samenkorn heranwächst. Aber keine Sorge, Bonnie, um die meisten der Pflanzen brauchst du dich nicht zu kümmern, die überstehen die paar Tage problemlos. Sieh her, ich habe die, die täglich Wasser brauchen, in diese Ecke gestellt.“

Nachdem er ihr alles erklärt hatte, nickte Bonnie erleichtert. „Na, das werde ich schaffen. Ich verspreche dir, ich werde mich so gut ich kann um die Pflanzen kümmern und jeden Tag ein Schwätzchen mit ihnen halten.“

John lachte. „Bonnie, du bist ein Goldstück. Aber jetzt essen wir. Es gibt Huhn mit Cashewnüssen.“

„Hmm, das klingt lecker. Dann erzähle ich dir erst nach dem Essen von dem Kind, das sich heute mitten auf dem Tower Green übergeben hat …“


Kapitel 3

 

Am Dienstagmorgen starteten sie pünktlich auf die rund 400 Meilen lange Reise.

„Wie gut, dass ihr diesen Achtsitzer habt. Bei der Menge an Gepäck hätten wir sonst mit zwei Autos fahren müssen, um alle Platz zu haben.“ John lehnte sich behaglich in seinem Sitz zurück und sah durch den Nieselregen die Vorstädte Londons an sich vorüberziehen.

„Was schätzt du, wie lange wir brauchen werden, Alan?“

Alan Hughes, der am Steuer saß, grinste seinem Schwager im Rückspiegel zu.

„Wenn Maggie und ich uns mit dem Fahren abwechseln, müssten wir es in sieben bis acht Stunden schaffen. Mit dir am Steuer –“

„– wären wir wohl doppelt so lange unterwegs“, fuhr Maggie nahtlos fort und kicherte. Bella sah neugierig von dem Buch auf, in dem sie las.

„Onkel John, verfährst du dich immer oder was? Wir haben ein Navigationssystem, sieh mal. Damit würdest auch du nach Edinburgh finden.“ Sie strahlte ihn an.

John schmunzelte. „Danke für den Hinweis, Bella. Was deine Eltern meinen, ist aber wohl eher, dass ich nicht gerade als Schnellfahrer bekannt bin.“

Nun prustete Maggie los.

„Nicht gerade als Schnellfahrer! Dass ich nicht lache.“ Sie drehte sich zu ihrer Tochter nach hinten. „Dein Onkel ist die größte Schnecke, die Großbritannien je gesehen hat. Er fährt sogar mit dem Fahrrad schneller als mit dem Auto. Sag mal, Schätzchen, wird dir auch nicht schlecht, wenn du im Auto liest?“

„Ich lese doch immer im Auto, Mummy. Kein Problem.“

 

Zwölf Stunden später öffnete John die hintere Wagentür und atmete tief durch. Er fühlte sich ein wenig wie ein Häftling, der soeben wieder in die Freiheit entlassen worden war. Nicht nur, dass Bella sich kurz hinter Birmingham übergeben hatte, nein, einige lange Staus hatten die Hauptverkehrsadern nach Norden verstopft. Alan hatte daraufhin beschlossen, über Ausweichrouten zu fahren, während Maggie der Meinung war, sie sollten auf dem Motorway bleiben. Während sie also unter stetigem Gezänk über endlose kleine Landstraßen gekurvt waren, hatte John sich bemüht, die grüngesichtige Bella von ihrem Leid abzulenken. Währenddessen hatte sein Neffe, der mit Ohrstöpseln und geschlossenen Augen in der hintersten Sitzreihe lümmelte, seinen iPod so laut aufgedreht, dass der Punkrock selbst die Fahrgeräusche übertönte.

 

„Hey, hier ist es ja cool.“ Bella war ebenfalls ausgestiegen und sah sich neugierig um. „Das sieht ja aus wie ein Gruselschloss. Werden wir da wohnen?“ Sie deutete auf ein dunkles Gebäude mit einer Vielzahl von Erkern und Türmen.

„Darin ist die Verwaltung des Studentenwohnheims, Bella. Unsere Zimmer werden sicher in einem der modernen Häuser da hinten sein.“ Maggie war wie immer perfekt vorbereitet. Während ihre Tochter eine enttäuschte Schnute zog, fischte Johns Schwester ihr Handy aus der Tasche. „Ich versuche gleich mal, David zu erreichen. Die anderen müssten ja längst hier sein.“

Als die Männer das gesammelte Gepäck der Familie ausgeladen hatten, trat Maggie herzu und rollte mit den Augen.

„Oh je, David sagt, dass Mum auf dem Kriegspfad ist. Der Flieger hatte wohl Verspätung und dann mussten sie ewig auf das Gepäck warten und als Krönung scheinen die Zimmer hier nicht ganz, sagen wir, den modernen Standards zu entsprechen.“

„Das kannst du laut sagen, Schwesterherz. Hallo alle miteinander.“ David war offensichtlich im Lauftempo hergeeilt, um die Familie zu begrüßen.

„Lasst uns erst mal zur Rezeption gehen. Ihr werdet sehen, die Leute hier sind wirklich sehr nett und bemüht, aber offensichtlich ist jede Unterkunft in Edinburgh total ausgebucht und die Reservierung für unsere Zimmer hier ist so kurzfristig gewesen, dass sie uns nur noch in einem Haus unterbringen konnten, das zur Renovierung ansteht. Außerdem konnten wir statt der bestellten fünf Zimmer nur vier kriegen. Eins für Mum und Dad, eins für Annie, Christopher und mich und zwei bleiben für euch.“

„Na, das ist doch kein Problem. Dann teile ich mir mit Tommy ein Zimmer und Bella bleibt bei Maggie und Alan“, meinte John. „Für die paar Tage wird das schon gehen.“

David grinste. „Wart’s ab, John. Aber da du ja an das Leben in Kasernen gewöhnt bist, wirst du dich hier bestimmt wohlfühlen.“

„Gibt’s wenigstens ’nen Fernseher?“, krähte Bella.

Maggie bedachte ihre Tochter mit einem strengen Blick. „Das ist nun wirklich nicht so wichtig. Mal ein paar Tage auf die Kiste zu verzichten, das schadet euch keinesfalls.“

„Aber W-LAN, das gibt’s doch hoffentlich?“ Beinahe flehentlich sah Tommy seinen Onkel an und war sichtlich erleichtert, als David nickte. Maggie schickte sich gerade an, wieder eine mütterliche Ermahnung zum Medienkonsum loszuwerden, als John zwei Koffer ergriff und sich in Richtung Rezeption aufmachte.

„Los, jetzt kommt schon. Lasst uns endlich die Zimmer beziehen und dann einen Happen zum Essen finden. Mir knurrt schon der Magen.“

 

Wenig später standen John und sein Neffe in dem kleinen Raum, den sie sich nun für fünf Tage teilen würden. Das Mobiliar hatte offensichtlich etliche Studentengenerationen kommen und gehen sehen. Alles war zwar sauber, aber abgewetzt und leicht windschief. An den olivgrünen Vorhängen hatten schon zu viele Hände ungeduldig gezerrt und die ehemals weißen Wände waren verkratzt und gesprenkelt.

John bemühte sich um ein Lächeln.

„Äh, naja, das sieht doch ganz … gemütlich aus.“

Aber Tommy hörte ihm überhaupt nicht zu. Er hatte seinen Rucksack auf eines der schmalen Betten geworfen und seinen Laptop schon hochgefahren. Nun grunzte er zufrieden.

„Alles klar, wir haben Verbindung zur Außenwelt.“

John beobachtete einige Momente lang, wie Tommys Finger über die Tastatur flitzten. „Ich bin online, also bin ich“, brummte er dann kopfschüttelnd und machte sich auf, seine Eltern zu suchen.

 

Im Nebenzimmer versuchte der nette Junge von der Rezeption gerade schwitzend, ein drittes Bett zwischen die beiden anderen zu bugsieren. Man konnte sich dort drin kaum noch umdrehen. Alan, der als Inhaber einer florierenden Computersoftwarefirma gewöhnt war, auf seinen Geschäftsreisen in Fünfsternehotels zu logieren, nahm es mit Humor.

„Das erinnert mich an meine Anfangszeiten, als ich mit meinem Commodore-Rechner in einem winzigen Einzimmerapartment in Brixton saß, das ich mir mit einer Kakerlakenfamilie teilte. Im Vergleich dazu ist das hier doch ganz komfortabel.“

Maggie sagte nichts, aber ihr mühsam kontrollierter Gesichtsausdruck sprach Bände. Bella dagegen warf ihr Plüschpferd, das sie überall hin begleitete, auf das Bett und hopste hinterher.

„Ich find’s ganz kuschlig hier. Da können wir uns abends noch Geschichten erzählen, das ist wie im Zeltlager.“ Vergessen war der Fernseher.

Maggies Gesichtszüge klarten sich auf und sie rief, „Kommt alle miteinander, wir holen jetzt die anderen ab und dann gehen wir etwas essen, ich sterbe bald vor Hunger.“

Annie, David und Christopher hatten ihr Zimmer ein Stockwerk tiefer.

Nachdem sich alle begrüßt hatten – auf dem Flur, denn in das Zimmer hätten nicht alle auf einmal hineingepasst – deutete David nach links.

„Unsere Eltern sind hier den Gang runter, um die Ecke. Ich bin gespannt, wie Mum jetzt drauf ist. Vorhin war sie ganz schön angesäuert. Ich habe keine Ahnung, ob die beiden noch etwas essen wollen, es ist ja schon ganz schön spät. Wahrscheinlich ist es am einfachsten, gleich hier auf dem Campus in die Studentenmensa zu gehen, statt lange nach einem Lokal zu suchen.“

Also bewegte sich der Mackenzie-Tross weiter den trostlosen, in Beige gehaltenen Gang hinab. Noch bevor David anklopfen konnte, stand Emmeline Mackenzie schon in der Tür.

„Kinder! Da seid ihr ja endlich! Ich habe euch schon den Flur herunterkommen hören. Man hört hier überhaupt alles – ihr könnt euch nicht vorstellen, was die jungen Leute neben uns für einen Höllenlärm veranstalten, Australier sind das glaube ich. Ich habe sie schon höflich gebeten, doch leiser zu sein, aber das interessiert die gar nicht, was so eine alte Frau sagt – “

„Hallo, Grandma! Wie schön, dass ihr da seid!“

„Renie!“ Johns älteste Nichte, die unbemerkt herangekommen war, flog förmlich an den Hals ihrer Großmutter, der vor Wiedersehensfreude die Tränen in die Augen stiegen.

„Meine Güte, lass dich ansehen, Kind. Du bist ja ganz mager – geben sie dir hier oben nichts zu essen?“

Renie lachte und drückte Emmeline einen Kuss auf die Wange. „Ach Grandma, das sagst du doch immer, wenn du mich siehst. Hallo Grandpa!“

Lächelnd schloss James Mackenzie seine Enkelin in die Arme und zwinkerte dabei verstohlen seinen Kindern zu. Renie hatte wieder einmal erfolgreich für Ablenkung gesorgt. Für den Moment hatte Emmeline ihren Ärger vergessen. Nachdem Renie auch allen anderen um den Hals gefallen war, hakte sie sich bei ihrer Großmutter unter und ging ohne weitere Umstände voraus.

„Jetzt gehen wir essen. Die Verpflegung hier soll sehr lecker sein, habe ich gehört. Ist zwar Selbstbedienung, aber du setzt dich einfach gemütlich hin, Grandma, und ich bringe dir alles, was du dir wünschst.“

„Aber Renie, wir müssen zumindest noch den Geldbeutel holen, sonst können wir doch gar nicht bezahlen“, protestierte Emmeline schwach.

„Eben nicht, Grandma! Ist schon alles organisiert. Das funktioniert hier alles mit dieser Plastikkarte, auf die werden alle Essen der Familie gebucht, und bezahlen braucht ihr gar nichts, weil Tante Isabel alle Kosten für Übernachtung und Essen hier übernimmt.“

Jäh blieb Emmeline stehen.

„Das kommt ja gar nicht in Frage. Wir können für unsere Ausgaben sehr gut selbst aufkommen. Da braucht sie sich gar nicht als noble Gastgeberin aufzuspielen.“

John seufzte unhörbar, während Maggie hinter ihm unverhohlen kicherte und raunte, „Es geht wieder los.“

Renie aber zog ihre Großmutter resolut weiter.

„So ein Quatsch, das will sie doch gar nicht. Aber sie hatte so ein schlechtes Gewissen wegen der vermasselten Hotelreservierung, obwohl sie eigentlich gar nichts dafür konnte, dass sie mir aufgetragen hat, das so zu organisieren. Also tu ihr doch den Gefallen und lass sie bezahlen, sie kann sich’s leisten“, meinte sie unbekümmert.

„Na, darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“, grummelte Emmeline, ließ sich aber über den Hof des Campus führen und hinein in den Beton- und Glasbau der Mensa. Drinnen scharten sich hauptsächlich junge Leute um zwei enorme Ausgabetheken, zwei weitere waren geschlossen.

„Wow, das ist ja riesig“, staunte Bella.

„Muss es auch sein, Bella. Während des Trimesters werden hier täglich tausende von Studenten verpflegt. Nur jetzt, während der Sommerferien, können hier Touristen unterkommen. Also ist hier alles für den Ansturm in den nächsten Tagen bestens gerüstet.“

Renie hatte ein paar freie Tische erspäht, die sie kurzerhand mit Alans und Johns Hilfe zusammenschob. Dann platzierte sie ihre Großeltern auf zwei der Plastikstühle und während Maggie schnell mit einigen Servietten die leicht angeschmierten Tische abwischte, hatte ihre Tochter auch schon herausbekommen, was es gab.

„Es gibt Roastbeef, Lammkeule, irgendeinen Eintopf und gebackenes Fischfilet, dazu alle möglichen Beilagen und Salate und natürlich für die Fastfood-Fans unter uns Chicken Wings und Pommes.“

„Die will ich!“ Schon war Bella losgestartet.

Es dauerte eine Weile, bis alle mit ihren mehr oder weniger vollen Tabletts wieder da waren.

„Hmm, diese Minzsauce ist wirklich köstlich“, lobte James Mackenzie. „Aber natürlich kein Vergleich zu deiner, Em“, beeilte er sich hinzuzufügen. Seine Frau hatte das fetttriefende Fischfilet nach einigen Bissen von sich geschoben.

„Soll ich dir etwas anderes holen, Mum?“, erkundigte sich Maggie.

„Danke, nein. Aber vielleicht könnte ich eine Tasse Tee bekommen?“

„Ah, da hole ich mir auch eine, Mum. Ich bringe dir eine mit.“ John stand auf. „Sonst noch jemand?“ Alle verneinten.

Beim Heißgetränkeautomaten sah John erleichtert, dass es eine gute Auswahl an Schwarztees im Beutel gab. So würde seine Mutter wenigstens die Sorte bekommen, die sie beide bevorzugten, Darjeeling.

Als er wieder zum Tisch zurückkam, fragte seine Mutter gerade, „Wann werden wir Isabel sehen? Sie wird wohl die Zeit finden, ihre Familie zu begrüßen?“

„Sie hofft, dass sie es morgen einrichten kann. Jetzt in den letzten Tagen vor dem Festival ist bei uns im Organisationsbüro der Teufel los, kann ich euch sagen. Isabel ist für die Ausrichtung des Balls am Donnerstag verantwortlich, mit dem Empfang der Clan Chiefs. Über 100 werden da sein, das ist die größte Versammlung der Familienoberhäupter auf schottischem Boden seit Menschengedenken. Das wird ein richtig historischer Moment“, erzählte Renie enthusiastisch.

„Du klingst schon wie Isabel“, merkte ihre Großmutter spitz an.

„Em, bitte.“ James Mackenzie sah seine Frau nachsichtig an. Renie grinste nur.

„Tante Isabel hat mich gebeten, euch zu fragen, ob ihr morgen Mittag in unsere Zentrale kommen möchtet. Dann soll ich uns etwas zu essen bestellen und euch alles zeigen. Das Komitee hat ein ganzes Haus gemietet. Im obersten Stock sind ein paar Zimmer, die die Studenten und anderen Hilfskräfte bewohnen. Dort hat auch Isabel ein kleines Apartment, da sie die letzten Monate die meiste Zeit hier in Edinburgh verbracht hat. Das Hin- und Herfahren nach Inverness war irgendwann zu aufwändig. Sie ist schließlich auch nicht mehr die Jüngste. Und sie rackert wirklich wie ein Tier, um alles perfekt vorzubereiten. Allerdings erwartet sie das auch von ihren Mitarbeitern. Eine ruhige Kugel schieben kann bei uns im Team keiner.“

„Was sind deine Aufgaben bei der ganzen Geschichte, Renie?“, erkundigte sich David.

„Hauptsächlich kümmere ich mich um die Musikgruppen. Von Freitag bis Sonntag werden rund 20 Bands auf unseren beiden Bühnen stehen. Headliner ist Kyla Macpherson –“ Renie verdrehte die Augen und gab würgende Geräusche von sich.

„Auf die freue ich mich besonders. Seit ich auf BBC Vier ein Konzert mit ihr gesehen habe, bin ich ein Fan von ihr. Das ist eine tolle Frau und die Musik ist spitze. Dabei kann ich mich nach einem Tag im Büro so richtig schön entspannen“, warf David ein.

Annie stöhnte theatralisch. „Die CDs von ihr nudeln bei ihm rauf und runter. Mir geht sie schon mittlerweile auf den Wecker.“

„Kyla, das bedeutet im Gälischen die Liebreizende“, merkte James Mackenzie augenzwinkernd an.

„Hah, liebreizend! Also, ihre Melodien sind ja vielleicht nicht schlecht, wenn man das ewige Geigengefiedel mag, aber die Frau selbst, die ist echt ’ne Zumutung. Ihre Managerin schickt mir quasi stündlich neue Emails, was die Gnädige alles für Wünsche für ihr Hotelzimmer und für ihre Garderobe hat. Die treibt mich noch in den Wahnsinn. Außerdem geht sie nirgendwo hin ohne ihre blöde Töle.“

„Renie! Solche Töne passen gar nicht zu dir. Und lass so etwas schon gar nicht Tante Isabel hören“ Maggie sah ihre Tochter scharf an.

Isabel Mackenzie war eine landesweit bekannte Züchterin von Scotch Terriern. Ihr letzter Champion, Walter – mit vollem Namen Sir Walter Scott – war wie seine Besitzerin in Ehren ergraut und begleitete sie überall hin.

„Ach, das ist doch ganz was anderes. Kylas Hündchen ist so ein Handtaschenformat und braucht jeden Tag frisch gekochtes Essen. Ich musste schon eine Liste mit seinen bevorzugten Menüs an den Küchenchef im Hotel weiterleiten. Und ein spezielles weiches Einstreu für sein Reise-Hundeklo, für sein empfindsames Popöchen …“ Renie geriet zunehmend in Fahrt.

John bemerkte, dass einige der Gäste an den umliegenden Tischen bereits mehr oder minder offen lauschten. Wahrscheinlich würde es dem Organisationskomitee nicht gefallen, wenn Renie lautstark Interna über die Stars des Festivals ausplauderte.

„Was ist musikalisch sonst noch geboten?“, unterbrach er die Schimpftiraden seiner Nichte.

„Das geht querbeet. Wir haben traditionelle Gruppen und auch ganz moderne. Am coolsten finde ich die Atomic Pipers, die spielen Punkrock auf Dudelsäcken. Hier in der Szene in Edinburgh haben sie sich schon einen Namen gemacht.“

„Krass“, ließ sich Tommy beeindruckt vernehmen. In den letzten Monaten hatte er in der Musiksammlung seines Vaters alte Alben von den Sex Pistols und The Clash entdeckt, mit denen er seither das Haus beschallte. Seine Mutter hoffte, dass diese Welle bald wieder abebben würde und mit ihr auch Nasenring und Haartracht wieder verschwinden würden.

Flugs zog Renie ihren iPod aus der Jackentasche und reichte ihn ihrem Bruder hinüber.

„Da sind ein paar Demotracks von denen drauf, hör doch mal in den letzten rein, ‚Fields of blood‘.“ Dann holte sie tief Luft. „Ja, Leute, da wir gerade beim Thema sind, da wollte ich euch sowieso noch was sagen.“ Alle sahen sie gespannt an.

„Andy, das ist der Drummer der Atomic Pipers, und ich, also wir haben uns bei der Vorbereitung des Auftritts kennengelernt und jetzt – sind wir zusammen.“

Für einen Moment sagte niemand etwas. John bemerkte amüsiert, wie Alan schon Luft holte, um etwas zu sagen, als Maggie ihrem Mann einen Blick zuwarf und beinahe unmerklich den Kopf schüttelte.

„Das freut mich für dich, Kleines. Dürfen wir den jungen Mann in den nächsten Tagen kennenlernen?“, fragte Maggie ihre älteste Tochter lächelnd.

Renie, die scheinbar nicht sicher gewesen war, welche Reaktion ihre Neuigkeit auslösen würde, atmete erleichtert auf.

„Natürlich, Mum. Ihr sollt ihn auf jeden Fall kennenlernen, denn …“ Sie verstummte einen Moment und fuhr dann wild entschlossen fort.

„Wir möchten hier in Edinburgh zusammenziehen und ich werde die Band managen.“

Nun war es an Alan, seine Frau zurückzuhalten. Maggie war aufgesprungen und hatte dabei Johns Teetasse umgeworfen. Sie achtete gar nicht darauf. Aufgebracht funkelte sie ihre Tochter an.

„Was soll das heißen, Maureen? Was ist mit deinem Studium? Du wirst doch nicht deinen Studienplatz an der LSE einfach hinschmeißen wollen wegen irgend so einem dahergelaufenen –“

Alan legte seine Hand auf Maggies. „Setz dich, Maggie. Lass uns in Ruhe darüber reden.“

Nun aber sprang Renie ebenfalls auf und brachte wiederum das Geschirr zum Klirren.

„Mum, du hast immer erzählt, dass damals, als ihr geheiratet habt, auch keiner an Dads Erfolg geglaubt hat. Was war er denn, als ihr euch kennengelernt habt? Ein Freak, der die Schule abgebrochen hatte und auf dem Speicher irgendwelche Computerprogramme schrieb.“

Ein Punkt für Renie, dachte John bei sich. Das Mädchen war zwar hitzköpfig, aber argumentieren konnte sie genauso gut wie ihre Mutter, die Staatsanwältin.

Diese wiederum ließ sich davon nicht beeindrucken und schoss zurück, „Ich habe damals mein Studium nicht abgebrochen und mir die ganze Zukunft versaut –“

An dieser Stelle erhob sich James Mackenzie würdevoll.

„Emmeline, Liebes, wir ziehen uns zurück. Es war ein langer Tag. Ich würde vorschlagen, wir treffen uns um acht Uhr zum Frühstück. Und nun gute Nacht allerseits.“ Er reichte seiner Frau, der angesichts dieses Zwists sichtlich das Herz blutete, galant den Arm und die beiden gingen.

Maggie bemerkte, dass viele der Gäste offen zum Tisch der Mackenzies herüberstarrten. Sie setzte sich wieder. Nach einem Moment griff Renie nach ihrer Jacke und ihrem Tablett, drehte sich wortlos um und entfernte sich. Als ihre Eltern Anstalten machten, ihr nachzugehen, mischte John sich ein.

„Ich glaube, es ist besser, ihr lasst sie. Wahrscheinlich tut es allen gut, erstmal eine Nacht darüber zu schlafen. Sonst werft ihr euch weiter gegenseitig Dinge an den Kopf, die ihr gar nicht so meint.“ Nach kurzem Zögern stimmte Alan ihm zu und auch Maggie nickte widerstrebend. „Vielleicht könntest du sie anrufen, John? Ihr beide seid immer schon gut miteinander ausgekommen, dir wird sie zuhören.“

John nickte. „Was soll ich ihr sagen?“

„Wir möchten diesen Andy gerne gleich morgen treffen. Vielleicht können wir ihn zum Essen einladen?“

„Gut, ich schlage ihr das vor. Und jetzt ist es an der Zeit für uns alle, zu Bett zu gehen, nicht wahr, Bella?“ John zog seine jüngste Nichte, die dem Wortwechsel stumm und mit ängstlichem Gesicht gelauscht hatte, von ihrem Stuhl hoch. „Das wird schon wieder, Bella. Mach dir keine Sorgen. Pass auf, morgen oder übermorgen gehen wir in den Zoo“, flüsterte er ihr zu.

Bellas Miene hellte sich auf. „Oh, ja. Haben die auch Faultiere?“ Im Londoner Zoo gehörten diese zu Bellas Lieblingen.

„Keine Ahnung. Ich glaube aber, dass es einen Ameisenbären gibt.“ Während Maggie, Alan und David die Tabletts abräumten, rüttelte John seinen Neffen an der Schulter. Tommy nahm die Ohrstöpsel ab.

„Oi, Alter, da fahr ich voll drauf ab, sag ich dir. Gehen wir schon? Wo ist Renie überhaupt?“

Bella schnaubte. „Mann, Tommy, du hast ja wieder mal gar nichts mitgekriegt. Renie will einen Freak heiraten und in Schottland bleiben. Mum und Dad sind am Explodieren.“

Tommy sah seine kleine Schwester einen Moment verständnislos an, zuckte dann mit den Achseln und setzte die Ohrstöpsel wieder ein.

 

Als die Familie sich zum Frühstück wieder traf, war Emmeline schon aus der Ferne anzusehen, dass sie übel gelaunt war.

„Wie hast du geschlafen, Mum?“, erkundigte sich John vorsichtig.

„Hah! Frag mich lieber, ob ich überhaupt geschlafen habe. Es war entsetzlich stickig und diese Radaubrüder im Zimmer neben uns haben die ganze Nacht Lärm gemacht und als ich in den frühen Morgenstunden endlich eingenickt war, hat irgend so ein Verrückter angefangen, draußen diesen grässlichen Dudelsack zu spielen.“

„Das war ‚Farewell to Aberdeen‘, Emmchen”, warf ihr Mann hilfreich ein, der gerade mit seinem voll beladenen Tablett zum Tisch kam. „Seht euch an, was ich gefunden habe!“ Ohne den mörderischen Blick seiner Frau zu bemerken, stellte James Mackenzie sein Tablett auf dem Frühstückstisch der Familie ab. „Black Pudding! Das hatte ich seit Jahren nicht.“

Skeptisch sah Bella auf eine runde, glänzende, rotschwarze Scheibe mit undefinierbaren hellen Stückchen darin auf dem Teller ihres Großvaters. „Was ist das denn? Sieht ja eklig aus.“

„Das ist etwas ganz Feines, mein Mädchen. Man macht es aus Schweineblut, Hafer und ein paar anderen Zutaten. Möchtest du ein Stück probieren?“

„Igitt! Da esse ich lieber meine Pancakes mit Sirup.“ Bella schüttelte sich. „Was machen wir heute? Gehen wir jetzt gleich in den Zoo?“, wollte sie wissen.

„Nein, Schatz, das machen wir morgen, da haben wir mehr Zeit. Heute Vormittag schauen wir uns die Innenstadt und die Burg an und dann besuchen wir Renie in ihrem Büro. Was wir hernach machen, machen wir vom Wetter abhängig, würde ich sagen“, antwortete Maggie ihr.

Während sich alle auf das herzhafte Frühstück stürzten und Emmeline fortfuhr, an allem herumzukritteln, wandte Maggie sich halblaut an John. „Hatte sich Renie wieder beruhigt, als du mit ihr telefoniert hast? Das war ja eine peinliche Szene, die wir beide da gestern aufgeführt haben, aber das Kind treibt mich noch in den Wahnsinn mit ihren fixen Ideen und ihrem Sturschädel.“

„Maggie, das Kind ist jetzt 20 Jahre alt“, merkte John milde an. Maggie winkte ab.

„Ich weiß, ich weiß. Alan sagt das auch. Natürlich muss sie ihre eigenen Entscheidungen fällen, aber wir wissen doch alle, dass sie sich immer wieder Hals über Kopf in irgendwelche Abenteuer hineinstürzt, ohne Rücksicht auf Verluste.“

Sie sah John aufgewühlt an und für einen Augenblick fühlten sich beide Geschwister an den Abend vor nicht einmal einem Jahr zurückversetzt, als sie stundenlang gemeinsam im St. Bartholomew’s Krankenhaus in London auf die Nachricht des Arztes gewartet hatten.

Damals hatte Renie sich ohne nachzudenken in eine gefährliche Situation gebracht, um John bei der Jagd nach einem Mörder zu helfen. Während die körperlichen Narben, die sie davongetragen hatte, ihr wohl für immer bleiben würden, hatte sie sich ansonsten aber in ihrer typischen Gummiballmanier von diesem Erlebnis kaum beeindrucken lassen.

John drückte die Hand seiner Schwester.

„Ich verstehe deine Sorgen. Aber wenn wir sie vor den Kopf stoßen und sie sich nicht ernst genommen fühlt, erreichen wir gar nichts. Gestern war sie noch sehr aufgebracht, aber ich bin sicher, dass sie sich heute wieder beruhigt hat. Du kennst ja deine Tochter, sie ist schnell auf der Palme, aber auch schnell wieder unten.“

Maggie sah ihren Bruder an und atmete tief durch. Dann musste sie lächeln.

„Manchmal ist es doch gut, einen Psycho-Onkel in der Familie zu haben. Du bist einfach der geborene Vermittler.“

„Prellbock trifft es wohl besser“, brummelte John gutmütig.

Da schob Alan seinen leeren Teller von sich und sah auffordernd in die Runde. „Kommt, Leute, lasst uns das schöne Wetter ausnutzen. Ziehen wir los.“

Beim Hinausgehen nahm John seinen Neffen beiseite.

„Tommy, hättest du etwas dagegen, wenn ich deiner Großmutter anbiete, mit uns das Zimmer zu tauschen? Dann hätte sie wenigstens Ruhe in der Nacht.“

Tommy grinste ihn an. „Klar, John. Sag’s nicht Mum, aber ich kann sogar in Mr. Frears’ Chemieunterricht pennen. Also stören mich ein paar laute Zimmernachbarn nicht.“

Als John seiner Mutter den Vorschlag machte, umzuziehen, lehnte sie zunächst vehement ab.

„Nein, nein, mein Junge, das möchte ich euch auf keinen Fall zumuten. Dein Vater und ich, wir werden das schon durchstehen.“ Sie setzte ein märtyrerhaftes Gesicht auf, ließ sich aber schließlich doch überzeugen. Da alle zusammenhalfen, war der Zimmertausch schnell geschehen und so zogen sie in bester Laune los.

 

Einige Stunden später ließ sich die ganze Familie verschwitzt und geschafft auf die Stühle im Besprechungsraum der Organisationszentrale fallen.

„Donnerwetter, ihr seht aus, als hättet ihr einen ganz schönen Marsch hinter euch“, nahm Renie sie in Empfang. Sie schien ihren Ärger tatsächlich überwunden zu haben und begrüßte sogar ihre Mutter mit einem Kuss auf die Wange. „Ich bringe euch gleich etwas zu trinken, Sandwiches habe ich auch schon bestellt.“ Schon war sie wieder hinaus.

Maggie warf ihrem Bruder einen erleichterten Blick zu.

 

An der Wand hinter dem Konferenztisch hingen Flipcharts mit Erledigungslisten, detaillierten Ablaufplänen und Zuständigkeiten. Alan stand auf, ging hinüber und besah sich alles mit kritischem Blick. Dann hob er anerkennend eine Augenbraue.

„Sehr professionell, muss ich sagen. Meine Leute in der Firma, die unsere Entwicklungsvorhaben koordinieren, legen mir manchmal schlechtere Projektpläne vor.“

John trat dazu und gemeinsam sahen sie sich das Organigramm an, das auch Fotos des gesamten Teams zeigte. Ganz oben thronte eine Aufnahme von Isabel Mackenzie, die als Gesamtverantwortliche und zusätzlich Komiteechefin für den Bereich Clan-Kontakte genannt wurde. In der Reihe darunter gab es ein halbes Dutzend gleichberechtigter Komiteechefs für alle möglichen Aufgaben, von der Bewirtung über die Organisation der Highlandspiele bis hin zu allgemeinen Verwaltungsaufgaben wie der Anmietung von Räumen und beweglichen Bauteilen wie Bühnen. Darunter fächerte sich der Plan stark auf.

John fand Renies Namen unter dem der Komiteeleiterin für die Organisation der Bühnenprogramme, einer gewissen Florence Jamison. In Renies Verantwortungsbereich fiel nicht nur die Kontaktpflege zu den Musikern, sie war auch mit einem Extrapfeil noch Isabel Mackenzie direkt als Assistentin zugeordnet.

„Nicht schlecht, was?“ Renie war wieder hereingekommen. Sie stellte ein Tablett mit Gläsern und Wasserflaschen ab und trat ebenfalls vor die Wand.

„In der Theorie läuft bei uns alles total strukturiert ab, jeder hat sein klar abgegrenztes Aufgabenfeld und seinen übergeordneten Verantwortlichen, dem man zu berichten hat …“ Sie lachte.

„Praktisch sieht es natürlich anders aus. Es gibt ein paar Komiteebosse, die arbeiten wirklich aktiv mit, andere lassen sich nur selten sehen. Die haben sich nur in dieses Amt bringen lassen, weil es sich hier in Edinburgh gut macht, an der Organisation dieses Treffens beteiligt zu sein. Bald werden wieder die Stadtverordneten gewählt und einige von denen hier sind sehr aktiv in der Kommunalpolitik. Meine Vorgesetzte hier, Flo Jamison, zum Beispiel, hält sich ziemlich aus der ganzen Geschichte heraus. Sie kommt zu den monatlichen Sitzungen der Führungsebene, aber ansonsten überlässt sie das Arbeiten uns kleinen Lichtern. Der hier dagegen“, sie wies auf den Verantwortlichen für den Bereich Bewirtung, „Sir Robert Grant, der hängt sich wirklich rein. Ist zwar auch ein Politiker, aber für sein Alter – ich schätze, er ist so Anfang bis Mitte 50 – ein ganz cooler Typ und mit Herzblut dabei. Der macht auch das meiste selbst und wälzt nicht alles auf die niederen Chargen ab. Nur schreiben kann er seit Wochen kaum, seit er sich den Arm gebrochen hat. Aber das ist ja kein Problem, zum Tippen sind wir ja da.“

Sie wies durch die Glastür des Konferenzraums, durch die man ein Großraumbüro sehen konnte, in dem ein gutes Dutzend Leute offensichtlich eifrig am Arbeiten war.

„Am liebsten lässt er allerdings seine Aufträge von unserer Beauty Queen hier erledigen.“ Sie zeigte auf das Foto einer attraktiven jungen Dame mit langem blondem Haar.

John grinste. „Du magst Miss Selena Rawlins – Empfang und besondere Aufgaben – wohl nicht, was?“

„Pah, Selena. Ich habe mal zufällig ihren Führerschein gesehen. Ihr Name ist schlicht und einfach Sally. Aber das ist ihr wohl nicht glamourös genug.“ Sie verdrehte die Augen. „Ich schätze, sie wurde hauptsächlich für Dekorationszwecke angeheuert. Und wer weiß, was sie für besondere Aufgaben für die männlichen Komiteemitglieder erfüllt.“

„Maureen Hughes! Wie sprichst du denn über deine Kolleginnen! Das gefällt mir ganz und gar nicht.“ Maggie war entsetzt über den gehässigen Ton ihrer ältesten Tochter.

„Reg dich ab, Mum. Ich musste oft genug die Fehler von dieser blonden … Dame ausbügeln. Und nun hat sie sich auch noch heute früh auf unbestimmte Zeit krankgemeldet. So kurz vor Beginn des Festivals, wo wir hier ohnehin alle am Limit arbeiten!“

Sie atmete tief durch. „Aber nun genug davon. Jetzt erzählt mal, was habt ihr alles gesehen?“

„Sie haben uns den Calton Hill hinaufgesprengt, bei der Hitze.“ Tommy wischte sich theatralisch die Stirn.

Sein Vater lachte. „Aber die Aussicht war toll, das musst du zugeben, Faulpelz.“ Er wandte sich Renie zu. „Wir sind dann die Royal Mile hinauf bis zur Burg. Die Schlangen am Eingang waren zwar ewig lang, aber wir haben die Burg trotzdem besichtigt. Sehr beeindruckend.“

„Aber am besten hat mir die Statue von Greyfriars Bobby gefallen!“, ließ sich Bella vernehmen. „Stell dir vor, Renie, das war ein Terrier, der nach dem Tod seines Herrchens über zehn Jahre jeden Tag an dessen Grab saß – so lange, bis er selbst gestorben ist.“

Renie nickte amüsiert. „Den kenne ich, Bella. Ganz in der Nähe ist eine Kneipe, in die wir öfter mal gehen.“

Eifrig zog Bella ihren kleinen Fotoapparat aus der Tasche. „Schau, Mum hat ein Foto von mir mit Bobby gemacht.“

Als Renie nach der Digitalkamera griff, ertönte hinter ihr eine kräftige Stimme. „Ah, ich sehe, ihr habt das Denkmal für Bobby besucht – das Tier war wirklich eine Zierde der Terrierrasse. Willkommen in Edinburgh!“

Tante Isabel war hereingekommen und hatte über Renies Schulter gelugt. Ihr treuer Begleiter Walter, der Scotch Terrier, folgte ihr auf dem Fuß, freundlich mit seinem kurzen Schwanz wedelnd. Auch wenn sein imposanter Schnauzbart mittlerweile grau geworden war, glänzte sein gepflegtes schwarzes Fell immer noch und er betrat das Zimmer mit derselben Würde, mit der er in seinen jüngeren Jahren die Wettkampfrichter auf der gesamten Insel überzeugt hatte.

Als alle einander begrüßt hatten, nahm Tante Isabel leise ächzend am Kopfende des Konferenztischs Platz. John dachte bei sich, dass sie zwar erfreut wirkte, ihre Familie zu sehen, gleichzeitig aber auch müde aussah. Maggie schien das Gleiche zu denken. Besorgt erkundigte sie sich, „Wie geht es dir, Tante Isabel? Es wird dir doch nicht zu viel?“

Da blitzte es in Isabels Augen auf und sie richtete sich kerzengerade auf. „Unsinn, Margaret. Natürlich waren die letzten Tage anstrengend, aber bis jetzt klappt alles bestens. Natürlich auch dank meinem hervorragenden Team.“ Sie lächelte Renie zu. „Maureen leistet großartige Arbeit.“ Sie sah zu Maggie und Alan hinüber. „Ihr könnt sehr stolz sein auf eure Tochter. Sie –“

Da platzte ein junger Mann herein, in den Armen eine große Schachtel. „Ms. Mackenzie, es tut mir leid, Sie zu stören, aber gerade sind die Tischstandarten für den Ball geliefert worden und die Tartans einiger Clans haben eindeutig Farbfehler.“

„Wie bitte?“, donnerte Isabel. „Zeigen Sie mal her.“ Als sie einige der taschentuchgroßen Stoffstücke in Händen hielt, stöhnte sie.

„Das ist ja eine Katastrophe. Hier ist das Grün zu hell und hier ist das Blau zu dunkel geraten – wie ungeheuer peinlich. Was sollen die Clan Chiefs denken?“ Sie stand mit grimmiger Miene auf. „Ich muss mich sofort darum kümmern und der Weberei Beine machen. Ihr entschuldigt mich.“ In der Tür fiel ihr noch etwas ein. „Ach, David, morgen Nachmittag um fünf Uhr ist die erste Probe für den Einmarsch der Dudelsackpfeifer. Du beherrschst doch mittlerweile die Stücke, die ich dir geschickt habe?“

David zog schuldbewusst den Kopf ein. „Äh, Tante Isabel, ich muss die nächsten Tage noch üben. So ganz bekomme ich sie auswendig noch nicht hin. Es ist doch lange her –“

Isabel warf ihm einen erzürnten Blick zu. „Also ich muss doch sehr bitten. Ein wenig mehr Einsatz für dein Vaterland hätte ich schon erwartet, junger Mann.“

Das brachte Emmeline auf die Barrikaden, die ohne zu zögern ihrem Jüngsten beisprang.

„Nun mach mal halblang, Isabel. Erstens hat David nicht unbegrenzt Zeit, dieses unerträgliche Dudelsackgepfeife zu trainieren – schließlich hat er einen Beruf, der ihn voll ausfüllt und dazu noch Frau und Kind.“

John meinte, Isabel mit den Zähnen knirschen zu hören, da feuerte Emmeline noch eine Breitseite ab. „Und zweitens ist das Vaterland meiner Kinder immer noch England.“

Tante Isabel zuckte zurück, als wäre sie geschlagen worden. Dann drehte sie sich wortlos um und warf im Gehen die Tür hinter sich zu.

Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann entkam Maggie etwas wie ein Schluchzen. Erstaunt sah John seine Schwester an und merkte, dass sie damit kämpfte, sich das Lachen zu verbeißen. Dann platzte sie doch heraus. „David und der Dudelsack, im Dienst ihrer Majestät – das ist ja Stoff für ein Heldenepos“, japste sie.

Da prustete auch Annie los. „Ich wüsste schon einen Titel: ‚Der Mann mit dem goldenen Dudelsack‘ oder ‚Man pfeift nur zweimal‘.“ David stimmte in das Gelächter ein und bat dann Renie, „Miss, bitte reichen Sie mir ein Wasser. Geschüttelt, nicht gerührt.“

Sogar Emmeline verzog das Gesicht zu einem Lächeln, brummelte aber dann erbost, „Was denkt die Frau sich? Kanzelt eins meiner Kinder ab wie einen Schuljungen. Und das alles für ihr überdimensionales Trachtenfest.“

Das war nun wieder für James Mackenzie zu viel. Er warf seiner Frau einen ungewohnt strengen Blick zu.

„Für dich als Engländerin wird in den kommenden Tagen manches schwer zu verstehen sein. Aber für uns Schotten sind die Clans genauso wie unsere althergebrachten Traditionen eben mehr als Folklore –“

Bevor die englisch-schottischen Differenzen in einen handfesten Ehekrach münden konnten, ging die Tür auf und ein junger Mann mit langem Haar lugte herein. In den Händen trug er ein Tablett mit einem Berg Sandwiches. „Hallo zusammen.“

„Andy! Komm rein!“ Renie sprang auf, nahm das Tablett entgegen und deponierte es auf dem Tisch. Dann fiel sie dem jungen Mann um den Hals und küsste ihn herzhaft, während der Rest der Familie den Neuankömmling unverhohlen kritisch musterte.

Einzig Tommy wirkte begeistert. „Wow, du bist der Drummer von den Atomic Pipers? Ihr seid voll krass.“

Da löste Renie sich lachend aus der Umarmung und stellte sie einander vor. „Das ist also mein Freund Andy Gordon. Andy, das sind meine Großeltern, David, Christopher und Annie, Mum und Dad, Bella, Tommy und John.“

Andy winkte lässig in die Runde. „Hallo Leute.“

„Gordon? Stammen Sie aus Moray?“, fragte James Mackenzie interessiert.

„Mhm. Meine Familie wohnt in Dufftown.“

„Die Gordons haben im 14. Jahrhundert an der Seite unseres ruhmreichen Königs Robert the Bruce gekämpft. Eine sehr bedeutende Familie, bis heute“, äußerte James Mackenzie anerkennend.

„Jaja, die Schlacht von Inverurie – das höre ich von meinem Großvater seit meiner Kinderzeit. Olle Kamellen sind das.“ Andy winkte ab. Während James nun verdutzt dreinsah und Emmeline ihrerseits amüsiert lächelte, wandte sich Andy an Renies Bruder.

„Ey, Mann, wenn dir unsere Musik gefällt, kannst du morgen gern zur Bandprobe kommen.“

„Oh, ja“, hob Tommy enthusiastisch an, bemühte sich dann aber um Coolness. „Da hätte ich schon Bock drauf.“ Er schielte zu seinen Eltern hinüber.

„Ich kann ihn mitnehmen, ich sehe mir die letzte Probe vor dem Auftritt sowieso an“, sprang Renie ihm bei.

Maggie warf ihrem Mann einen kurzen Blick zu und meinte dann zurückhaltend, „Hm. Darüber reden wir noch. Sagen Sie, junger Mann, darf ich Sie etwas fragen?“

Andy grinste. „Schießen Sie los, Lady.“

„Was tun Sie eigentlich beruflich? Sind Sie – Sandwichlieferant?“

Renie fuhr hoch. „Mum! Willst du Andy jetzt ins Kreuzverhör nehmen oder was?“

Der junge Mann aber lachte. „Lass mal, Renie. Für die Alten sind solche Sachen einfach wichtig.“ Die Alten! John sah den entrüsteten Gesichtsausdruck seiner Schwester und musste sich das Lachen verbeißen.

Bevor Maggie etwas sagen konnte, fuhr Andy fort. „Meine Eltern haben darauf bestanden, dass ich etwas Vernünftiges lerne, für den Fall, dass es mit der Musikkarriere nichts wird. Ich bin jetzt im vierten Jahr meines Physikstudiums hier an der Uni in Edinburgh, nächstes Jahr habe ich meinen Master in der Tasche. Nebenher arbeite ich noch im Red Lion, der Kneipe eines Kumpels.“ Er wies auf die Sandwiches. „Die stammen von unserem Koch. Ich hoffe, sie munden.“ Er verbeugte sich ein wenig spöttisch. „Und nun muss ich wieder los. Ciao, Süße.“ Mit einem Kuss für Renie war er wieder weg.

Kaum war die Tür hinter ihm zugegangen, ging Renie auf ihre Mutter los. „Also das war ja total peinlich. Sind Sie Sandwichlieferant?“, äffte sie Maggie nach. „Total antiquiert, also echt.“

Nun mischte Alan sich ein. „Jetzt komm mal runter von deinem hohen Ross, Fräulein. Du wirst es deiner Familie schon nachsehen müssen, wenn wir uns dafür interessieren, für wen du dein Studium aufgeben und hier in Edinburgh bleiben willst.“

Renie, die diesen strengen Ton von ihrem liberalen Vater nicht gewöhnt war, blieb für einen Moment still. „Aber –“

„Renie, bitte komm schnell. Ich habe die Managerin von Kyla Macpherson am Apparat, jetzt will sie ihre Garderobe auch noch in Hellblau gestrichen haben, die spinnt doch komplett –“ Das Mädchen, das hereingestürmt war, schlug sich plötzlich die Hand vor den Mund und sah entsetzt das Telefon an, das sie trug.

„Scheiße, ich hab schon wieder vergessen, die Stummtaste zu drücken“, flüsterte sie.

Schon war Renie bei ihr und griff nach dem Hörer. „Jill? Sie müssen meine unqualifizierte Assistentin entschuldigen. Was kann ich für Sie tun?“ Mit einem entschuldigenden Blick für das Mädchen wandte sie sich ab und sprach in geschäftsmäßigem Ton weiter. „Selbstverständlich. Ich werde mich sofort darum kümmern. Vergissmeinnicht-Blau, sagen Sie? Ich werde sehen, was ich tun kann.“ Sie bedeutete dem unglückseligen Mädchen, ihr zu folgen und beide verließen eilig den Raum.


Kapitel 4

 

Einige Stunden später stand John leicht schnaufend auf dem Gipfel von Edinburghs Hausberg, dem Arthur’s Seat. Vom dem Studentenheim, wo die Mackenzies untergebracht waren, war er zu Fuß gelaufen und hatten den gut 800 Fuß hohen Hügel erklommen. Zufrieden ließ er sich ins warme Gras fallen und genoss den Rundblick. Die Innenstadt mit der Burganlage, der Meeresarm des Firth of Forth und auch der Park von Holyrood breiteten sich vor ihm aus. In dem Park würde das Clanfestival stattfinden, dort konnte John emsige Betriebsamkeit beobachten. Letzte Zelte wurden aufgestellt, auf den Bühnen wurde gewerkelt, Lieferwagen bahnten sich einen Weg zu den Ausschankbuden.

Nur wenige Schritte vor John fielen die Klippen der Salisbury Crags über 130 Fuß senkrecht in die Tiefe. Dem Abgrund kam er lieber nicht zu nahe. Lieber legte er sich auf den Rücken und sah in den strahlendblauen Himmel.

Während der Rest der Mackenzies sich nach einem anstrengenden Nachmittag in der Einkaufsmeile Princes Street in der Unterkunft ausruhte – und David sich pflichtschuldig zum Üben mitsamt seinem Dudelsack an ein stilles Plätzchen verzogen hatte – hatte John dringend das Bedürfnis nach etwas Alleinsein verspürt und sich auf den Weg hier herauf gemacht.

Wie gut die Ruhe nun tat, nach zwei Tagen dicht an dicht mit der Familie. Auch in den kommenden Tagen würde es sicher noch genug Anlässe für Zwistigkeiten zwischen Isabel und seiner Mutter geben und auch Renies Auseinandersetzungen mit ihren Eltern würden weitergehen. John hatte immer schon ein offenes Ohr für die Probleme anderer gehabt, aber manchmal musste er sich eingestehen, dass er rundheraus gesagt die Schnauze gestrichen voll hatte. Nun wollte er für ein paar Stunden von niemandem, von absolut niemandem etwas hören. Er schloss die Augen und ließ sich genussvoll von der Sonne bescheinen.

 

Er erwachte, als ihm Regen ins Gesicht schlug. Verwirrt setzte er sich auf und überlegte einen Moment, wo er überhaupt war. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er weit über eine Stunde geschlafen hatte und nun türmten sich über ihm stahlgraue Wolken. Obwohl es kurz vor sechs noch taghell sein sollte, wirkte alles duster und verhangen. Hastig zog er die Regenjacke an, die er sich um die Hüften gebunden hatte, eingedenk der Mahnung seines Vaters, „Vier Jahreszeiten an einem Tag – das ist Schottland.“

Während er sich vorsichtig den glitschig gewordenen Weg hinunterarbeitete, setzte ein immer stärker werdender Wind ein. Die Böen klatschten die Regentropfen mal von vorn, mal von hinten an seinen Körper und seine Hosenbeine klebten an ihm. Schlotternd erreichte er das Studentenwohnheim, nur um festzustellen, dass sein Zimmer verschlossen und Tommy verschwunden war.

Zähneknirschend machte er sich auf die Suche und fand ihn schließlich im Zimmer von Maggie, Alan und Bella, wo die Kinder sich mit einer Spielekonsole vergnügten, die Tommy ins Gepäck geschmuggelt hatte.

„Mum und Dad sind irgendwohin gegangen. Zum Abendessen sind sie wieder zurück, haben sie gesagt“, antwortete Bella abwesend auf Johns Frage. Tommy zog den Zimmerschlüssel aus der Hosentasche, ohne den Blick vom Monitor zu nehmen. John nahm den Schlüssel an sich und zog sich zurück.

Auch wenn der Wasserstrahl in der Dusche dürftig war und sich der widerliche Duschvorhang beständig an seinen Körper heften wollte – das heiße Wasser war eine Wohltat und John ließ sich so lange berieseln, bis er durch und durch aufgewärmt war. Mit einem zufriedenen Grunzen trocknete er sich ab. Das brettharte, viel zu kleine Badetuch erinnerte ihn lebhaft an die Handtücher in den Kasernen der Britischen Armee. Einen Fön gab es hier nicht, aber er hatte einen in seinem Koffer. Er schlang sich notdürftig das kratzige Frotteeteil um die Hüften, trat aus dem Badezimmer – und sah sich seiner Mutter gegenüber.

„Mum! Äh, ich hätte dich hier gar nicht, äh, erwartet“, brachte er heraus und hielt ein wenig verlegen das Handtuch fest.

„Die Tür war offen“, antwortete Emmeline und ging zu dem kleinen Fenster hinüber, an dem der Sturm rüttelte. Sie starrte in die Dunkelheit hinaus. John kramte eilig seinen Bademantel aus dem Koffer heraus und warf ihn sich über. Ein wenig unsicher setzte er sich auf sein Bett.

„Ist irgendwas, Mum?“

Seine Mutter drehte sich zu ihm um und schien ihn zum ersten Mal richtig wahrzunehmen.

„Deine Haare sind ja ganz nass, Junge. Fön sie dir lieber, du erkältest dich sonst noch in diesem –“, sie sah verachtungsvoll im Zimmer herum, „Rattenloch.“

„Ach, Mum, so schlimm ist es nun auch wieder nicht –“, hob John an, aber seine Mutter winkte müde ab und setzte sich neben ihn.

„Ich wünschte, wir wären nicht hergekommen. Dieser ganze schottische Mumpitz geht mir auf die Nerven und dann sagt dein Vater auch noch, ich als Engländerin würde das eben nicht verstehen. Nach bald 50 Jahren Ehe – wie kann er da so etwas sagen? Und dann noch Isabel! Dieses Weib wird sich nie ändern, und wenn sie 100 Jahre alt wird.“

John wollte etwas sagen, aber Emmeline ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Und nun auch noch Renie mit ihrem merkwürdigen Freund. Ich verstehe ja, dass deine Schwester gegen den jungen Mann eingenommen ist, aber diese Streitereien in der Familie, die … machen mich ganz krank.“ Ihre Stimme zitterte.

John bemühte sich, sein Erstaunen zu verbergen. Seine Mutter war so lange er denken konnte, in jeder Lage ein Fels in der Brandung gewesen, eine Frau, die getreu dem britischen Motto ‚stiff upper lip‘ allen Herausforderungen die Stirn bot. Dass sie ihm nun ihr Herz ausschüttete, zeigte ihm, wie sehr ihr die Situation an die Nieren ging. Wortlos legte er einen Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich.

Nach einer Weile sagte er leise, „Weißt du noch, was du früher immer zu uns gesagt hast, wenn wir mit größeren und kleineren Wehwehchen angelaufen kamen und Zeter und Mordio geschrien haben?“

Emmeline schniefte und blinzelte eine Träne fort. „Wenn das Leben dir hundert Gründe gibt, traurig zu sein, zeige ihm tausend, um zu lächeln.“

John stand auf und reichte ihr ein Taschentuch. „Ich ziehe mich schnell an und hole uns einen Tee. Dann reden wir weiter.“

„Das wäre schön, John.“ Dankbar sah Emmeline ihren Sohn an.

Wenig später war John wieder da. Zur Cafeteria des Studentenwohnheims hatte er nur ein kurzes Stück über den Hof laufen müssen, dennoch war er völlig windzerzaust.

„Es hat aufgehört zu regnen, aber der Sturm ist unglaublich“, vermeldete er, als er sich aus seiner Regenjacke schälte und ein Tablett mit einer Thermoskanne und zwei Tassen abstellte. Aus der Jackentasche fischte er ein paar Zuckerpäckchen und Milchdöschen.

„Ich habe heute Nachmittag ein paar Shortcakes gekauft, die würden gut zum Tee passen“, fiel es Emmeline ein.

„Bleib sitzen, Mum, ich hole sie. Was macht Dad eigentlich?“

„Vorhin hat er mit einem Bekannten hier an der Universität telefoniert, irgendeinem Paläontologen, mit dem er sich morgen treffen will.“

John ging den Gang hinunter zum Zimmer seiner Eltern und klopfte an. Sein Vater öffnete, sah ihn einen Moment verwirrt an und fragte dann, „Hast du Emmeline gesehen, John? Ich habe mit Dr. Bradley telefoniert – er hat mir versprochen, mir morgen gegen Abend die Ergebnisse seiner letzten Ausgrabungen in Utah zu zeigen, sie haben einen gut erhaltenen Schädel eines Tyrannosaurus Rex gefunden – und jetzt merke ich, dass sie irgendwie verschwunden ist.“

John seufzte. Wenn es um Dinosaurierknochen ging, vergaß sein Vater alles andere um sich herum. Vor einigen Jahren hatte er seinen Posten als Kurator im Naturhistorischen Museum nur mit blutendem Herzen aufgegeben, um in Rente zu gehen. Er war aber immer noch ehrenamtlich im Museum engagiert und verbrachte mindestens einen Tag pro Woche dort.

In knappen Worten versuchte John, seinem Vater beizubringen, dass Emmeline sich unglücklich fühlte. Betroffen sah James Mackenzie seinen Sohn an.

„Naja, vielleicht habe ich mich etwas hinreißen lassen.“

John sah schmunzelnd auf den neuen Bademantel seines Vaters, der wie seine Pantoffeln im Mackenzie-Tartan gemustert war, und nickte unverbindlich.

„Was könnte ich tun, John?“

John überlegte. „Wie wäre es, wenn du morgen mit Mum in die Botanischen Gärten hier gehst? Das würde sie bestimmt freuen.“

„Eine gute Idee. Wir gehen gleich vormittags hin und dann führe ich sie zu einem schönen Essen nur für uns beide aus.“ James’ Miene hellte sich auf.

„Komm doch mit in mein Zimmer, Dad. Ich habe eine Kanne Tee besorgt. Bring die Shortcakes mit.“

Während sein Vater den Gang hinunter ging, schlenderte John noch einmal hinüber in die Cafeteria und holte eine zusätzliche Tasse. Er ließ sich Zeit dabei und hoffte, sein Vater würde in der Zwischenzeit die richtigen Worte finden.

Als er wieder zurückkam, hatten sich seine Eltern offensichtlich zumindest für den Moment ausgesöhnt und so tranken die drei einträchtig Tee und plauderten über Belangloses. Emmeline schien sich nach ihrem Ausbruch wieder gefasst zu haben.

„Nach dem langen Tag heute bin ich ziemlich kaputt. Essen gehen möchte ich eigentlich nicht. James, wie wäre es, wenn du uns später eine Kleinigkeit aus der Cafeteria holst?“

„Gern, Emmeline. Dann sehen wir uns zum Frühstück, John. Grüß die anderen von uns.“ Johns Eltern zogen sich in ihr Zimmer zurück. Kurz darauf kam Tommy herein.

„Hey, John. Mum und Dad sind wieder da und haben versprochen, heute Abend mit uns zu McDonald’s zu gehen. David, Annie und Christopher sind auch dabei. Kommst du mit?“

John hatte nichts gegen gelegentliches Fastfood einzuwenden, aber die Aussicht auf einen ruhigen Leseabend schien im heute verlockender. So streckte er sich genüsslich auf dem Bett aus und machte sich über das neueste Buch von Donna Andrews her, während draußen weiter der Wind heulte.

Gegen neun hörte er laute Stimmen auf dem Flur und gleich darauf dröhnte irgendein Musiksender aus dem Nachbarzimmer, untermalt von Gelächter und Gläserklirren. Kein Wunder, dass seine Mutter bei dem Radau hier nicht schlafen hatte können. Glücklicherweise hatte John seine Hochleistungs-Ohrstöpsel immer im Gepäck, mit denen alle Angehörigen der Britischen Streitkräfte ausgerüstet waren. Sie hatten ihm bei seinen Auslandseinsätzen in der Truppenbetreuung gute Dienste geleistet. Selbst in der Kaserne im umkämpften Kabul hatte er mit den Dingern das Artilleriefeuer in den umgebenden Straßen ausblenden können, um wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu ergattern.

Nur das Dröhnen in seinem Kopf, das Kreischen in seinen Ohren, das hatte er damit nicht betäuben können. Der Tinnitus war in den letzten Monaten seiner Dienstzeit immer schlimmer geworden und hätte ihn fast wahnsinnig gemacht. Es war ihm schwergefallen, um seine Entlassung zu bitten, da er seinen Beruf liebte, aber irgendwann hatte er einsehen müssen, dass er so nicht weiterleben konnte.

Nun, nach bald einem Jahr bei der Truppe der Yeoman Warders im Tower, gemeinhin Beefeater genannt, war er sich sicher, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Er lächelte in sich hinein, steckte sich die Stöpsel in die Ohren und kehrte zu seinem Buch zurück.

 

Im Morgengrauen wurde er von Tommy wachgerüttelt.

„John! Bist du taub? Dein Handy klingelt wie verrückt.“ Erst als John die Ohrstöpsel abnahm, bemerkte er das penetrante Läuten, das aus seiner Jackentasche kam. Im Display konnte er sehen, dass Renie die Anruferin war. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es kurz vor sechs Uhr war. Was mag jetzt wieder los sein, fragte er sich besorgt, als er sich meldete.

„John! Na endlich. Du musst ja schlafen wie ein Murmeltier. Pass auf, schwing dich aus dem Bett und mobilisier die Familientruppe. Wir brauchen jeden verfügbaren Helfer auf dem Festivalgelände, sonst schaffen wir die Aufräumarbeiten nicht bis morgen. Der Sturm hat reihenweise Zelte weggeblasen und auch sonst fette Schäden angerichtet.“

„Ich komme so schnell es geht, Renie“, versicherte ihr John und dachte fieberhaft nach. „Ich werde sehen, was wir organisieren können, damit wir zu mehreren anrücken können. Ich melde mich nachher noch mal bei dir.“

Während er sich eilig wusch und anzog, erklärte er Tommy, was passiert war. Der war Feuer und Flamme, auch mitzuhelfen und ging sogleich los, um seine Eltern aufzuwecken. John weckte David und Annie so schonend wie möglich auf. Wenig später hatten sich alle versammelt. Maggie als die geborene Organisatorin nahm das Heft in die Hand.

„Wie sehen unsere Pläne für heute aus? Erstmal Mum und Dad: Was haben die beiden heute vor?“ John vermeldete, dass die beiden ihren Tag mit den Botanischen Gärten und den Dinosaurierknochen bereits verplant hatten.

„Gut, dann brauchen wir uns um die beiden nicht zu kümmern“, meinte Maggie zufrieden. „Was machen wir mit den Kindern?“

Bella, die schlaftrunken hinter ihren Eltern hergetapst war, meldete sich zu Wort. „Wir wollten doch heute in den Zoo gehen!“

„Dann gehe ich mit Bella, Tommy und Christopher in den Zoo“, schlug Annie gähnend vor.

„Auf keinen Fall gehe ich in den Zoo. Ich helfe auch mit.“ Tommy verschränkte die Arme und sah herausfordernd in die Runde.

„Dann will ich auch“, muckte Bella auf.

Maggie strich ihrer Tochter über das verstrubbelte Haar. „Das ist lieb, Schätzchen. Leider dürfen Kinder unter 14 Jahren nicht arbeiten. Außerdem hast du dich doch schon auf die Faultiere gefreut, nicht wahr?“

Bella nickte.

„Dann ist das abgemacht. Bella und Christopher verbringen den Tag mit Annie – ihr könnt euch ja dann erst mal gemütlich wieder hinlegen – und der Rest macht sich fertig, frühstückt und zischt los.“ Sie sah auf die Uhr. „Weiß jemand, wann die Mensa morgens öffnet?“

„6.30 Uhr.“

„Okay, das passt. John, du kannst Renie Bescheid geben, dass wir gegen halb acht Uhr fünf Mann hoch anrücken werden.“

John salutierte grinsend. „Jawohl, Major Maggie. Wird erledigt.“

 

Das Festivalgelände war nicht weit vom Studentenwohnheim entfernt, aber um Zeit zu sparen nahmen sie sich ein Taxi. Renie erwartete sie im Eingangspavillon des Geländes, wo sie etliche Helfer, die bereits angekommen waren, zu verschiedenen Aufgaben dirigierte.

„Schön, dass ihr da seid!“, rief sie ihnen entgegen. „Wir können wirklich jede verfügbare Hand brauchen.“

„Das ist doch selbstverständlich, Schatz“, meinte Maggie und umarmte ihre Tochter kurz.

„Wo sollen wir anfangen?“

„Am schlimmsten hat es das Zeltdorf getroffen, wo jeder Clan seinen Pavillon hat. Es hat so gut wie alle Zelte weggeweht. Ein Glück, dass wir unsere mobile Kommandozentrale hier in ein paar Wohncontainern untergebracht haben. So ist wenigstens die heil geblieben.“ Sie unterbrach sich, um einem Mann mit einer Lieferung von ‚Jacks Bühnenequipment‘ den Weg zu weisen und wandte sich ihnen dann nahtlos wieder zu.

„Gott sei Dank ist vorhin schon ein Mann von der Firma, die die Zelte geliefert hat, angekommen. Der kann euch sagen, wo ihr anpacken sollt.“

Als gleichzeitig zwei Mobiltelefone klingelten, lächelte sie entschuldigend, nahm einen Anruf an und deutete nach hinten.

„Also auf geht’s!“ Tommy setzte sich tatendurstig in Bewegung, um gleich darauf „Ach du Scheiße!“ auszurufen, als sie aus der rückwärtigen Tür des Eingangspavillons auf das riesige Festivalgelände hinaustraten, über dem heute Morgen wieder die Sonne lachte. Links von ihnen begann das riesige Zeltdorf mit über 100 weißen Pavillons. Vor ihnen lag das von erhöhten Zuschauerrängen umgebene Stadion, in dem die Highland Games und ein Teil des Showprogramms stattfinden würden. Im hinteren Teil befanden sich die Buden, wo schottische Spezialitäten und Kunsthandwerk angeboten wurden. Für die schottische Spezialität Nummer Eins, Single Malt Whisky, gab es ein besonders großes Zelt.

Überall lagen Zeltteile herum, dazwischen Klappstühle und anderes Mobiliar. Die beiden großen Bühnen hatten den Sturm dagegen besser überstanden, lediglich ein paar Lautsprecher hingen schief. Aber in dem großen Zelt, in dem die Tanzwettbewerbe stattfinden würden, klaffte ein langer Riss und eine der zahlreichen mobilen Verpflegungsstationen war umgeweht worden. Bierflaschen lagen verstreut herum. Bei deren Anblick schnaubte David verächtlich.

„Tss. Da legen sie hier so viel Wert auf die schottische Eigenart und Heimatverbundenheit und so fort und dann schenken sie auf dem großen Clantreffen amerikanisches Bier aus. Das finde ich ja seltsam.“

John, der als überzeugter Teetrinker keine Ahnung von Biermarken hatte, sah genauer hin. „Van de Beer – der Name klingt ja eher holländisch.“

„Soweit ich weiß, steht da ein holländisch-amerikanisches Konsortium dahinter“, meinte Alan nachdenklich. „Wirklich schade, dass die Veranstalter nicht einer lokalen Brauerei den Vorzug gegeben haben. Naja, es ist überall das gleiche: Modemarken, Fastfoodketten, Coffeeshops –auf der ganzen Welt springen einem die gleichen Namen ins Gesicht.“

„Packen wir’s an, Männer, über die Globalisierung könnt ihr ein anderes Mal philosophieren.“ Maggie ging zu einem Mann hinüber, der damit beschäftigt war, die herumliegenden Zeltteile aufzuheben und auf Schäden zu prüfen. Sichtlich froh über die Helfer erklärte er ihnen, was zu tun war.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739345574
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Mai)
Schlagworte
London Schottland Spannung Familie Humor Krimi Thriller

Autor

  • Emma Goodwyn (Autor:in)

Hinter dem Pseudonym Emma Goodwyn verbirgt sich eine erfolgreiche Psychologin, die mit John Mackenzie, dem Helden ihrer Cosy Mysteries nicht nur den Beruf teilt. Neben einer Vorliebe für die asiatische Küche und Darjeeling-Tee verbindet beide die Leidenschaft fürs Gärtnern und das Lösen von Rätseln.
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Titel: Tod im Kilt