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WG mit Biss

Der etwas andere Vampirroman

von Vanessa Carduie (Autor:in)
375 Seiten
Reihe: Schattenseiten-Trilogie, Band 1

Zusammenfassung

Was würdest du tun, wenn du gezwungen bist, deinem alten Leben den Rücken zu kehren? Wenn eine einzige Nacht plötzlich alles auf den Kopf stellt? Wenn dunkle Geheimnisse ans Licht kommen und deine Feinde in den Schatten lauern? Was, wenn aus Freundschaft plötzlich Liebe wird? Wirst du den nächsten Schritt wagen oder dich in dein altes, ruhiges Leben flüchten? Wirst du für deine Liebe kämpfen - Gegen alle Vernunft und gesellschaftlichen Konventionen? Ist Liebe zwischen einem Vampir und einer Werwölfin möglich? Oder wird sie von der alten Feindschaft zerstört? Bist du bereit, alle Konsequenzen zu tragen? ***** Fabian ist zweihunderteinundzwanzig Jahre jung und ein Vampir. Sein bisheriger Wohnort, der Hausmannsturm des Dresdner Residenzschlosses, wird langsam unbequem. Die Menschen rücken ihm immer weiter auf die Pelle und stören seinen Frieden. Ein Umzug scheint unumgänglich, denn die Menschheit weiß nichts von Vampiren und das soll schön so bleiben. Eine passende Lösung scheint das Angebot von seiner Freundin Erika zu sein, die einen neuen Mitbewohner sucht. Doch kann eine WG aus Werwölfin und Vampir funktionieren? Bald darauf wird Erika zum Ziel von Werwolfsjägern und Fabian muss sich entscheiden: Für ein chaotisches, aber erfüllendes Leben an Erikas Seite oder für die Rückkehr in seine alte, ruhige Existenz im Schatten der Gesellschaft?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Das Buch

Fabian ist zweihunderteinundzwanzig Jahre jung und ein Vampir. Sein bisheriger Wohnort, der Hausmannsturm des Dresdner Residenzschlosses, wird langsam unbequem. Die Menschen rücken ihm immer weiter auf die Pelle und stören seinen Frieden. Ein Umzug scheint unumgänglich, denn die Menschheit weiß nichts von Vampiren und das soll schön so bleiben. Eine passende Lösung scheint das Angebot von seiner Freundin Erika zu sein, die einen neuen Mitbewohner sucht.

Doch kann eine WG aus Werwölfin und Vampir funktionieren?

Bald darauf wird Erika zum Ziel von Werwolfjägern und Fabian muss sich entscheiden: Für ein chaotisches, aber erfüllendes Leben an Erikas Seite oder für die Rückkehr in seine alte, ruhige Existenz im Schatten der Gesellschaft?

Die Autorin

Vanessa Carduie erblickte an einem grauen Herbstmorgen 1988 in Dresden das Licht der Welt. Geschichten faszinierten sie von klein auf und bald folgten die ersten eigenen Erzählungen. Mittlerweile hat sie einen Masterabschluss in Biologie und einige ihrer Geschichten fertig gestellt. Derzeit arbeitet sie am dritten Teil der Schattenseiten-Trilogie.

Ihre Geschichten sind eine Mischung aus Liebesroman, Krimi und Fantasy, je nachdem, an welchem Projekt sie gerade arbeitet. Mit ihren Büchern möchte sie ihre Leserinnen und Leser zum Lachen, Weinen und manchmal auch zum Nachdenken bringen. Dafür beschreitet sie auch gern ungewöhnliche Wege.

http://www.vanessa-carduie.com/

https://www.facebook.com/Vanessa-Carduie-1615335805384953/

Widmung

Für alle Träumer und Leseratten. Ohne euch wäre die Welt langweilig.

Sei du selbst und lebe deine Träume!

Aufbruch

Ich lehne gemütlich am Geländer und genieße den Ausblick. Dresden bei Nacht ist atemberaubend, vor allem in lauen Sommernächten wie dieser. Meine Position, hoch oben auf dem Hausmannsturm des Residenzschlosses, ermöglicht es mir, alle Sehenswürdigkeiten zu betrachten. Manche sind näher, wie die katholische Hofkirche, die direkt ans Schloss gebaut wurde. Etwas weiter entfernt stehen links von mir der Zwinger und die Semperoper, rechts die Kunsthochschule auf der Brühlschen Terrasse sowie die Frauenkirche. Das sind nur einige von den Schätzen, die diese Stadt zu bieten hat.

Es ist zweiundzwanzig Uhr und die Sonne ist endlich hinter dem Horizont verschwunden und damit auch die tödliche Strahlung, die mich tagsüber im Dunkeln gefangen hält. Ich mag den Sommer, aber ich freue mich auf die Zeit, wenn die Nächte wieder länger werden und ich mich freier bewegen kann. Modern formuliert könnte man sagen, dass ich eine Sonnenallergie habe. Als Vampir ist das nichts Ungewöhnliches und doch viel fataler als beim Menschen. Das mit dem Bluttrinken ist leider kein Mythos und altern kann ich auch nicht. Einige würden das bestimmt toll finden, aber es nervt ab und zu schon, dass ich dauernd meinen Ausweis vorzeigen muss, wenn ich mir eine Flasche Wein kaufe. Das Leben als Vampir ist kein Zuckerschlecken, aber ich hätte es wesentlich schlechter treffen können. Immerhin bekomme ich bei Vollmond kein Fell und renne wie ein tollwütiger Hund durch die Gegend.

Ich grinse bei der Vorstellung, was Erika mir wegen dieser Gedanken wohl für eine Standpauke halten würde. An ihrer Stelle wäre ich vermutlich auch beleidigt. Aber alte Feindschaften legt man nur schwer ab. Da ich schon friedlich mit den Wölfen zusammenlebe, darf ich mir wohl die eine oder andere Gemeinheit erlauben.

Mit geschlossenen Augen atme ich die Nachtluft ein. Es ist schon erstaunlich, wie viele verschiedene Aromen ich wahrnehmen kann. Auf den Geruch von Pferdeäpfeln könnte ich jedoch gut verzichten. Allerdings sehen die teils historischen Kutschen echt toll aus, wenn sie durch die Altstadt rollen. Außer ihnen fahren noch einige Autos und die Straßenbahnen in schöner Regelmäßigkeit vorbei. Bei diesen Temperaturen ist der Großteil der Leute zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. Unten an der Elbe liegen die Schaufelraddampfer, die gerade im Sommer den Fluss hoch und runter fahren.

Eine schnelle Bewegung zu meiner Linken zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich drehe den Kopf und beobachte die kleinen Fledermäuse, welche im Scheinwerferlicht jagen - Insekten, wohlgemerkt. Für das Blutzapfen sind Mücken oder meine Wenigkeit zuständig.

Eine Weile schaue ich diesen interessanten Tierchen zu, bevor ich meinen Fokus wieder auf die Menschen unter mir richte. Das ganze Jahr über zieht die Stadt, vor allem mit Zwinger, Semperoper und Frauenkirche, Besucher aus aller Welt an. Wenn man so will, dann bin ich auch so ein Zugereister. Nur lebe ich hier schon um einiges länger, als so manches Gebäude alt ist. Damit meine ich keinen der Einkaufstempel, die in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen sind. Menschen sind und waren schon immer ein bisschen eigenartig und so schnelllebig. Oftmals schüttele ich den Kopf über so manche Absurdität, die sie sich einfallen lassen. Allerdings wird es selten langweilig. Mit meiner beinahe unsterblichen Existenz habe ich sowieso gut reden. So doof kann man nicht sein, wenn man es schafft, einige hundert Jahre zu überleben. Aber ich vergesse meine Manieren. Ich heiße Fabian und bin der heimliche Bewohner des Hausmannsturms.

Die Einen werden sich jetzt wundern und fragen: „Häh? Hat der keinen Nachnamen?“

Dazu kann ich nur sagen, dass ich einen besitze, den aber völlig unwichtig finde, da ich ihn spätestens alle zehn Jahre wieder ändern muss.

Die anderen, die vielleicht schon meine schöne Stadt besuchten oder das Glück haben, hier zu wohnen, werden sagen:

„Das kann nicht sein! Ich war schon dort und hätte einen Vampir bestimmt zwischen den ganzen Münzen gesehen!“

Wohl eher nicht. Die Ausstellung des Münzkabinetts sowie die Aussichtsplattform, auf der ich gerade stehe, sind ja nur tagsüber geöffnet. Allerdings muss ich zugeben, dass es früher einfacher war, sich unbemerkt im Schloss zu bewegen. Der Sicherheitsdienst mit seinen Schließanlagen und Kameras ist manchmal echt nervig. Mir ist bewusst, dass ich hier nicht mehr ewig bleiben kann und ich versuche schon seit geraumer Zeit, mich mit dem Gedanken an eine WG anzufreunden.

Warum eine WG?

Na ja, ich bin nachtaktiv und das passt meistens nicht so gut mit den ganzen Sachen zusammen, die leider nur tagsüber laufen wie Postboten, Reparaturen und im Sommer auch das Einkaufen. Ich brauche halt jemanden, der mir gewisse Dinge abnimmt, solange die Sonne am Himmel steht. Das bringt natürlich einige Probleme mit sich, weil ich ziemlich wählerisch sein muss, was meine Mitbewohner angeht. Andere Vampire machen keinen Sinn und, um ehrlich zu sein, mehrere auf einem Haufen zu haben, ist einfach keine gute Idee. Menschen fallen eigentlich auch flach, weil ich keinen Bock auf Gruftis oder Twilight-Fans habe und der Rest wäre wohl nicht so erfreut, wenn der Mitbewohner einem plötzlich am Hals hängt, statt an den Kühlschrank zu gehen. Bleiben eigentlich nur meine überaus geliebten Werwölfe.

Ein leichtes Schaudern kann ich bei dem Gedanken nicht verhindern. Obwohl ich zugeben muss, dass einige von ihnen nicht so übel sind. Das Gleiche könnten sie über mich sagen, wenn sie denn guter Stimmung sind. Es wird ein ziemlicher Kulturschock werden, von der Altstadt in das Szeneviertel Neustadt zu ziehen. Jedoch gibt es keinen besseren Ort, um so ausgefallene Wesen wie Vampire und Werwölfe unterzubringen, ohne Verdacht zu erregen. Ich habe dort schon Menschen gesehen, die wesentlich spektakulärer ausschauten. Durchgeknallt trifft es bei manchen richtig gut, aber das macht nun mal den Charme des Stadtteils aus. Hier kann jeder so sein, wie er oder sie möchte und man wird nicht ganz so blöd angesehen. Es ist ein buntes und lebendiges Viertel, was sehr viel zu bieten hat. So verschieden und vielfältig wie die Bewohner sind auch die Geschäfte, Bars und Restaurants. Künstlerisch, international und erfrischend anders kommt sie daher, diese Neustadt, die von den jungen und den junggebliebenen Leuten lebt. In gewisser Weise gehöre ich zu Letzteren. Zwar sehe ich aus wie Anfang zwanzig, bin tatsächlich jedoch über zweihundert Jahre alt. Da habe ich noch ziemliches Glück gehabt, denn ich wäre nur ungern für immer in den hormonellen Wirren eines Teenagers gefangen. Es hilft leider nicht, dass man schon ewig aus dem Alter heraus ist, wenn sich der Körper nicht verändert. Ewige Pubertät wäre die totale Hölle. Ich bin alt genug, um das Interesse von Frauen und Männern gleichermaßen anzuziehen. Rein biochemisch gesehen bedeutet das nur, dass ich in der Lage bin, meine Opfer anzulocken und mir zeitweilig zu Willen zu machen. Das ist praktisch, allerdings hat diese Fähigkeit zu Beginn meiner Existenz auch zu peinlichen Situationen geführt. Gewissermaßen musste ich nach der Wandlung meinen Körper noch einmal neu kennenlernen. Die ganzen ‚Upgrades‘, wie man heute so schön auf Neudeutsch sagt, benötigten einiges an Übung, um sie unter Kontrolle zu bringen. Ich kann euch versichern, dass es alles andere als angenehm ist, wenn man aus Versehen eine Pheromon-Bombe in einer Menschenmasse platzen lässt. Ich hatte wirklich Schwein, dass ich nicht mehr atmen muss, sonst hätten mich die ganzen, ekstatischen Leiber erstickt.

Dosis und Wirkungsradius werden seitdem immer genauestens kalkuliert, bevor es zur Sache geht. Das Geschlecht meiner Spender ist mir eigentlich egal. Es ist stimmungsabhängig, so wie die Auswahl der Schokoladensorte. Jeder Mensch ist einzigartig und damit auch die Geschmacksnote seines Blutes. Allerdings gibt es generell auch große Unterschiede zwischen Mann und Frau. Wahrscheinlich liegt es an den Hormonen, obwohl auch das mit dem Alter variiert. Aber ich will mich jetzt wirklich nicht in einem Vortrag über die verschiedenen Qualitäten von Blut verlieren, so lange lebt ihr nicht, um das Ende zu hören.

Es gibt jedoch auch Dinge, die ich beim Trinken vermeide. Ich gehe nicht an Kinder, Schwangere oder Alte heran. Das ist moralisch für mich nicht vertretbar. Als Vampir machen mir die meisten Krankheiten nichts aus, aber Drogen, Alkohol und andere chemische Substanzen im Blut können auch mich süchtig oder sogar richtig krank machen. Ich habe einmal von einem stockbesoffenen Kerl getrunken und bin fast nicht mehr aus der Gasse herausgekommen, um mich vor der aufgehenden Sonne zu verstecken. Das ist wirklich keine angenehme Erfahrung und seitdem überprüfe ich meine Spender, bevor ich mir den Bauch vollschlage.

Der angesprochene Bauch grummelt schon ganz schön. Das heißt, ich muss meinen tollen Aussichtspunkt verlassen und mir etwas zum Beißen suchen. Ich schwinge mich über das Geländer und lande geräuschlos wie eine Katze auf meinen Füßen. Wenn man nicht aufpasst, dann kann es vorkommen, dass hinter einem ein entsetztes Keuchen oder Schreien zu hören ist. Die Leute kommen nicht so gut damit zurecht, dass jemand einfach mal aus knapp hundert Metern Höhe springt und weiterläuft, als wäre nichts gewesen. Das sind Momente, in denen eine normale Wohnung mit Tür und Treppenhaus recht praktisch wären. Zumal ich mich dort richtig ausbreiten könnte und nicht immer darauf achten müsste, dass die Menschen mich nicht bemerken.

Seufzend fische ich mein Handy aus der Tasche. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren erreicht wurde. Die heutigen Jugendlichen können sich eine Welt ohne Smartphone und Internet gar nicht mehr vorstellen. Früher musste ich mich mit den Leuten treffen, einen Termin ausmachen und dann auch pünktlich erscheinen sein, weil sie ja nicht via Handy oder Festnetz erreichbar waren. Unvorstellbar, aber es wurden tatsächlich viele Briefe geschrieben. So etwas wie Brieffreundschaften dürften heutzutage so gut wie ausgestorben sein.

Ich interessiere mich für die neusten technischen Spielereien und das ist auch der einzige Grund, warum ich bis jetzt unentdeckt im Hausmannsturm wohnen konnte. Ein wenig Manipulation hier, ein bisschen Cracken da und Schwups, habe ich ein wenig mehr Freiraum. Allerdings haben diese Entwicklungen auch ihre Schattenseiten. Ausweisfälschung ist im digitalen Zeitalter nicht unbedingt einfacher geworden. Es wird immer schwieriger für mich und andere übernatürliche Wesen, unentdeckt unter dem Radar zu bleiben. Aus diesem Grund rücken wir auch langsam zusammen und beginnen, unsere gegenseitige Abneigung zu überwinden. Eine freundliche Verbindung mit Werwölfen wäre zu Beginn meines vampirischen Lebens undenkbar gewesen. Aber die Zeiten ändern sich und im Großen und Ganzen sind wir gar nicht so unterschiedlich. Ehrlich gesagt - aber das bleibt unter uns - sind die Wölfe Meister der Anpassung und Verschleierung. Ihre Existenz zwingt sie zwar dazu, bei jedem Vollmond heulend im Wald herumzurennen, aber davon mal abgesehen, können sie sich relativ frei unter den Menschen bewegen. Nachts ist das für mich auch kein Problem, aber besonders im Sommer bin ich in meiner Bewegungsfreiheit arg eingeschränkt. Mir bleibt auf lange Sicht sowieso keine andere Wahl und deswegen werde ich Erikas Angebot wahrscheinlich annehmen. Ganz wohl ist mir bei der Sache nicht. Wer bietet schon freiwillig einem Vampir ein Zimmer in seiner Wohnung an? Auf der anderen Seite ist sie einfach cool - auch für einen Werwolf - und unsere Freundschaft ist etwas Besonderes.

Bevor ich es noch länger hinauszögern kann, wähle ich ihre Nummer. Ich lausche dem monotonen Tuten und hoffe schon fast, dass sie zu beschäftigt ist, um zu antworten. Diese Hoffnung wird allerdings schon nach dem dritten Klingeln zerstört.

„Hallo Fabian, schön, dass du dich meldest“, sagt sie mit ihrer angenehmen Stimme und klingt ein wenig atemlos.

„Hi Erika, ich hoffe, ich störe dich nicht?“ Vielleicht lässt es sich ja doch noch ein wenig verzögern.

„Nein, ganz und gar nicht. Ich musste nur mein Telefon suchen. In meiner Gedankenlosigkeit hatte ich es in meiner Handtasche gelassen und diese einfach irgendwo hingeschmissen.“

Ich kann mir die Szene lebhaft vorstellen. Sie ist ein lebenslustiger Wirbelwind und schnell abzulenken. Allerdings ist sie auch sehr direkt und redet nicht gern um den heißen Brei herum. Auch heute nicht.

„Hast du dich nun entschieden, ob du in Ralfs ehemaliges Zimmer ziehst?“, fragt sie mich.

Als ich nicht sofort antworte, spricht sie einfach weiter. „Komm schon, Fabian. Schau es dir wenigstens an, bevor du dich dagegen entscheidest. Du kannst nicht ewig im Turm wohnen. Das wissen wir beide.“

Ich mag ihre Art, wirklich, aber bei diesem Thema wäre mir eine diskretere Variante lieber, einfach nur, um meinen Stolz zu retten. Aber welche Wahl habe ich schon? Außerdem hat sie Recht.

„Na gut, aber nur ansehen“, stimme ich ihr seufzend zu.

„Klasse! Du wirst es mögen und es dürfte auch um einiges komfortabler sein. Warum kommst du nicht gleich vorbei? Ich bin zu Hause und habe heute nichts mehr vor.“

Der Drang, irgendeine fadenscheinige Ausrede zu benutzen, ist groß, aber wir wüssten beide, dass es, nicht mehr als das wäre. Immerhin steht das Thema schon seit Wochen im Raum. Ich gebe mich also geschlagen.

„Okay, ich muss nur vorher noch einen Happen essen. Soll ich dir irgendwas mitbringen?“

„Nein, danke. Brich dir keinen deiner Beißerchen raus. Die Adresse kennst du ja. Bis gleich.“

Das ist ein kleiner Running Gag zwischen uns und einer der Gründe, warum ich das Ganze überhaupt in Betracht ziehe.

„Ja, ich pass auf. Bis gleich.“

Ich verstaue mein Mobiltelefon und mache mich auf den Weg. Die schönste und zugleich schnellste Strecke vom Schloss in die Neustadt führt über den Theaterplatz, an Zwinger und Semperoper vorbei, über die Augustusbrücke zum Goldenen Reiter. In warmen Nächten wie dieser sind noch viele Menschen unterwegs. Ich biege um die Ecke und sehe eine recht große Gruppe Touristen in die Straßenbahn einsteigen. Die Tram, wie sie gern genannt wird, ist ein zuverlässiges Verkehrsmittel und erspart einem den Stress des Autofahrens. Das macht nämlich keinen Spaß, wenn viel los ist. Wenn man keinen Führerschein hat, so wie ich, dann ist das eine gute Alternative. Ein eigener Wagen würde auch keinen Sinn machen, denn weder vorm Schloss noch in der Neustadt könnte ich gut parken. Geübt schlängle ich mich zwischen den Leuten hindurch und laufe gemütlich zur Brücke. Auf meinem Weg passiere ich die katholische Hofkirche und gegenüber führen Treppen auf die Brühlsche Terrasse. Abends sind die historischen Sehenswürdigkeiten der Altstadt dezent beleuchtet. Sie bieten ein wunderschönes Panorama, wenn man die Elbe überquert. Den besten Blick hat man eigentlich von der Carolabrücke. Da versperrt einem nichts die Sicht und alles Wichtige passt auf das Bild.

Am anderen Elbufer beginnt die Neustadt. Ich laufe über die Augustusbrücke und werde auf der anderen Seite vom Goldenen Reiter begrüßt.

Direkt an den Elbwiesen gibt es noch das Narrenhäusel und den Elbsegler. Auf Letzteren steuere ich zu, denn ich habe immer noch Hunger. In dem parkartigen Gelände gibt es Bänke und schöne schattige Plätze, wo ich mir unauffällig einen Happen genehmigen kann. Außerdem ist im Sommer an den Elbwiesen und damit auch in den Biergärten, wovon der Elbsegler einer ist, viel los. Ich spaziere gemütlich die Treppen hinunter, die von der Brücke führen und schaue mich schon einmal um. Meine Nachtsicht ist bei weitem besser als die eines Menschen. Alles andere würde ja auch keinen Sinn machen. Farben und Details sehe ich wortwörtlich in einem anderen Licht. Es ist vergleichbar mit den Augen einer Katze, obwohl die eigentliche Nachtsicht eher im Infrarotbereich abläuft. Allerdings brauche ich einen minimalen Anteil an Licht oder Wärmestrahlung. Stockfinster bleibt stockfinster. Mit dem Mond am Himmel und der ganzen Beleuchtung hier unten können sich jedoch auch Menschen ganz gut orientieren. Das ist gut so, denn sie mögen es natürlich nicht, in dunklen Gassen oder Ähnlichem zu stehen, auch wenn sie nichts von mir wissen.

Ich atme tief ein und erhasche ein interessantes Aroma. Es dauert einen Moment, bis ich die betreffende Person in der Menschenmenge ausmachen kann. Ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht, als ich erfreut feststelle, dass die junge Frau allein unterwegs ist und auch noch in meine Richtung läuft.

„Hey, entschuldige bitte. Kannst du mir vielleicht weiterhelfen?“, frage ich und mache ein verwirrtes Gesicht. Wie zufällig berühre ich sie am Arm, als sie in meine Nähe kommt. Sie schaut auf und wirkt im ersten Moment genervt.

Wer lässt sich denn schon gern von Fremden antatschen?

Das ist der Moment, auf den ich gewartet habe. Körperkontakt hilft ungemein, aber Blickkontakt ist unerlässlich bei dem, was ich vorhabe. Es ist immer wieder lustig, zu beobachten, wie sich das Mienenspiel ändert, wenn ich einen Menschen in meinen Bann ziehe. Wo auch immer die Gute mit ihren Gedanken war, jetzt habe ich ihre volle Aufmerksamkeit.

„Hallo, klar. Was hast du denn?“, erkundigt sie sich mit einem strahlenden Lächeln. Mein Opfer ist recht hübsch, gesund und nicht betrunken. Nur die letzten zwei Sachen sind wichtig für mich. Obwohl ein gewisses Maß an Körperhygiene nicht schadet, immerhin muss ich den Leuten sehr nahe kommen und meine Sinne sind wesentlich schärfer. Menschen mögen ja auf Schimmelkäse und Harzer Roller stehen, aber ich bevorzuge es, wenn mein Essen nicht nach Verwesung oder anderen unappetitlichen Dingen riecht. Ich stelle mich neben sie und deute auf ein schattiges Plätzchen, wo eine Bank steht.

„Ich bräuchte mal kurz deine Hilfe. Wie wäre es, wenn wir uns kurz setzen?“

Stände sie nicht unter meinem Einfluss, hätte sie mir bestimmt schon den Vogel gezeigt und wäre abgedampft. So aber nickt sie nur und geht, ohne zu zögern, mit mir zur Bank.

„Hierhin, bitte. Es dauert nicht lange“, lade ich sie ein und setze mich neben sie. Die Pheromone, die ich ausstoße, zaubern einen verträumten Blick in ihre Augen und sie erhebt keine Einwände, als ich ihre Haare zur Seite schiebe. Für Außenstehende wirken wir wie ein Liebespaar, was im Schatten der Bäume ein wenig knutscht. Das ist wichtig, denn ich will keinen Ärger und habe Hunger. Instinktiv suche ich die stark pulsierende Ader und vergrabe meine Fänge darin. Die junge Dame klammert sich an mich und kann ein leises Keuchen nicht unterdrücken. Gebissen zu werden, tut nicht wirklich weh. Nur ganz kurz und danach überschwemmen wir unsere Spender mit dem Glücksgefühl, was uns durchströmt, wenn wir frisches Blut trinken. Manch einer wird regelrecht ekstatisch. Wichtig ist aber nur, dass keiner auf mich aufmerksam wird, und dass mein Wirt keinen Schaden davon trägt, wenn ich von ihm oder ihr nasche. Ich brauche nicht viel Blut. Ein halber Liter hier und da ist ausreichend und nicht anders als Blutspenden. Am Ende können sie sich sowieso nicht mehr an den Vorfall erinnern. Mit kräftigen Schlucken stille ich meinen Hunger und kontrolliere neben ihren Gedanken auch noch ihre Vitalfunktionen. Wenn Spender doch mal nicht so gut drauf sein sollten, dann kann ich sie dazu bringen, demnächst einen Arzt aufzusuchen. Vom Prinzip her mische ich mich damit in ihr Leben ein und ich mache das nur ungern, aber es ist zu ihrem Wohl. Das Mädel ist jedoch ganz gesund, wenn auch ziemlich verwirrt und im Stress. Anscheinend ist sie mit ihren Freunden verabredet und trifft auf einen Typen, den sie heimlich anhimmelt. Ich drücke ihr gedanklich die Daumen. Dem kurzen Eindruck nach, den ich von ihrer Persönlichkeit erhasche, scheint sie eine nette junge Frau zu sein. Als ich fertig bin, lecke ich über die Bisswunde und kurble damit den Heilungsprozess an. Wie das funktioniert, weiß eigentlich keiner. Vampirspeichel scheint Stoffe zu enthalten, die den menschlichen Reparaturmechanismus beschleunigen. In wenigen Minuten ist die Haut komplett verheilt und nur leicht gereizt. Das ist äußerst praktisch, denn so muss ich mir keine Erklärung dafür ausdenken und den Leuten ins Hirn brennen. Welchen Grund sollte es denn schon für die zwei kleinen Löcher geben, die meine Fänge in der Haut hinterlassen? Ein doppelter Mückenstich oder eine Attacke mit einer Serviergabel? Ich weiß ja nicht …

Ich richte ihre Kleidung und stehe dann auf. Als ich mit den Schatten hinter mir verschmolzen bin - Vampire sind verdammt gut in dieser Art der Tarnung - hebe ich den Bann auf und schicke sie ihres Weges. Nun fühle ich mich angenehm gesättigt und Energie geladen. Mit vollem Magen lassen sich die meisten Dinge besser angehen. Ich schlüpfe aus dem abgelegenen Teil des kleinen Parks am Elbsegler und steige die Treppen zur Straße hoch.

Vor mir erstrahlt der Goldene Reiter im Licht der Scheinwerfer und dahinter erstreckt sich die Hauptstraße. Ich hole noch einmal tief Luft und mache mich dann auf den Weg. Wirkliche Begeisterung kann ich für die bevorstehende Begegnung nicht aufbringen, aber sie ist unausweichlich. Ich brauche eine neue Bleibe und Erika einen neuen Mitbewohner. Immerhin wissen wir beide, woran wir sind und müssen einander unser wahres Wesen nicht verheimlichen. Werwölfe leben eigentlich lieber in der Natur, aber Dresden hat genug Grün in der Umgebung, dass sie sich unbemerkt austoben können. Nicht umsonst gibt es seit einiger Zeit wieder Wölfe in der Lausitz. Allerdings kann man für einen schnellen Lauf auch in den Großen Garten, den Hechtpark oder einfach in die Dresdner Heide gehen. Falls man es lieber steiniger und anspruchsvoller mag, dann ist die Sächsische Schweiz auch nicht weit. Werwölfe brauchen viel Platz zum Leben. In kleinen, engen Räumen fühlen sie sich nicht wohl und sie sind nicht so gern allein. Mir ist es auch lieber, wenn ich viel Freiraum habe, aber ich bekomme keine Panik, wenn das nicht der Fall ist. Wäre auch doof, denn immerhin musste ich einen Teil meiner Existenz in einem Sarg verbringen. Das hat jedoch nur praktische Gründe, da dort im Normalfall kein Licht eindringen kann, während ich schlafe. Heutzutage gibt es jedoch so praktische Erfindungen wie Außenjalousien, die das Tageslicht komplett ausschließen. Über die Jahre habe ich meine Holzkiste zu schätzen gelernt. Allerdings ist es nervig, damit zu reisen. Ihr könnt euch die Blicke nicht vorstellen, die ich schon geerntet habe.

Ich laufe die Hauptstraße entlang, welche mehr oder minder eine Promenade und Einkaufsstraße ist. Es gibt viele Restaurants und Kneipen, auch in den Nebenstraßen, Grünanlagen und ein paar Brunnen. Früher sah es anders aus. Da fuhren hier die Straßenbahnen entlang, wo ich jetzt laufe. Heute machen sie einen großen Bogen, bevor sie zum Albertplatz gelangen. Dieser ist für viele gewissermaßen der Startpunkt für eine Tour durch die Neustadt. Hier halten einige Bahnlinien und über die Alaunstraße kommt man schnell ins Herz des Szeneviertels. Diesen Weg schlage auch ich ein und beobachte die Menschenmengen, die aus der Tram strömen und sich an den Ampeln sammeln. Es sind viele junge Leute unterwegs, aber eigentlich sind alle Altersstufen vertreten. Ich habe keinen Stress. Daher lasse ich mich treiben und beobachte die Personen um mich herum. Es ist lustig und lenkt mich nebenbei von dem Gedanken an eine WG mit einer Werwölfin ab. Einige der Jugendlichen sind ausgelassener Stimmung und freuen sich auf ein Konzert, was gleich in der Scheune stattfinden soll. Andere gehen zur ‚Ruhestörung‘ in Katy’s Garage. Ich schlendere die Alaunstraße entlang und werfe hier und da einen Blick in die Schaufenster. Immer wieder bin ich überrascht, was ich dort vorfinde. Zwischen den Bars und Kneipen befinden sich oft kleine Läden, die Kleidung, Spielzeug und alles Mögliche andere anbieten. Da wir uns hier in der Neustadt befinden und damit die Dichte an alternativen Lebensstilen recht hoch ist, gestaltet sich die Auslage vielfältig und teils sehr ungewöhnlich. Von altmodisch über asiatisch und handgemacht oder Jute ist alles dabei.

Die Menschenmenge spaltet sich auf meinem Weg immer weiter auf und an der Kreuzung beim Espitas lasse ich die meisten hinter mir. Ich muss nur noch zwei Straßen weiter und biege schließlich in einen etwas ruhigeren Teil ab. Die WG von Erika liegt in einem der Hinterhöfe und dafür bin ich sehr dankbar. Mich kann zwar nicht viel aus dem Schlaf reißen, aber nach so langer Zeit in Einsamkeit benötige ich einfach ein gewisses Maß an Ruhe.

Ich hole noch einmal tief Luft und kratze meinen Mut zusammen. Unweigerlich steigt in mir ein Gefühl der Vorahnung auf. Meine Tage im Hausmannsturm sind gezählt und mit dem nächsten Schritt betrete ich unweigerlich ein neues Leben. Als ich es nicht weiter hinauszögern kann, suche ich Erikas Namen auf dem Klingelschild. Außer ihrer gibt es noch fünf weitere Mietwohnungen und auch das kommt mir entgegen. Ich klingle und einen Moment später trällert Erika: „Hi, die Wohnung ist in der zweiten Etage.“

Das hatte ich mir schon gedacht, bin aber für den Hinweis trotzdem dankbar. Ein elektronisches Summen erklingt. Ich drücke die schwere Holztür auf und betrete das Treppenhaus. Automatisch betätige ich den Lichtschalter, obwohl ich keins brauche. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Menschen verstört, wenn jemand im Dunkeln durch die Gegend schleicht. Erika weiß, was ich bin, aber meine Nachbarn in spe nicht. Die Wohnungen im Erdgeschoss zweigen direkt von dem Hauseingang ab und ich lenke meine Schritte weiter zur Treppe, die in die oberen Etagen führt. Das Treppenhaus ist angenehm hell gestrichen. Der unterste Teil der Wände ist farblich abgesetzt und mit einer schlichten Borte verziert. Alles wirkt gepflegt und das Geländer, welches ich benutze, besteht aus stabilem Holz. Ich lasse den Blick zur Decke schweifen und erkenne neben einigen Spinnenweben auch hier und da Reste von einfachen Verzierungen. Das Gebäude ist ein klassischer Altbau und dürfte über hundert Jahre alt sein. Das macht ihn mir sympathisch, aber ich bekomme gleichzeitig Bedenken, was den Sonnenschutz angeht. Schnell erreiche ich die zweite Etage und eine Tür wird vor mir aufgerissen.

„Da bist du ja endlich! Ich hatte schon befürchtet, dass du es dir anders überlegt hast“, begrüßt Erika mich.

Ich habe absichtlich getrödelt, daher widerspreche ich ihr nicht. „Tut mir leid, ich muss mich einfach noch mit dem Gedanken anfreunden.“

Ebenso muss ich mich an meine neue Mitbewohnerin und ihre Umgangsformen gewöhnen. Denn sie umarmt mich kurz und zieht mich dann in die Wohnung. Ich werde nicht allzu oft von anderen Leuten umarmt, daher verwundert es mich, dass Erika es tut, obwohl sie weiß, was ich bin. Bevor ich jedoch weiter darüber nachdenken kann, verlangt sie meine Aufmerksamkeit.

„Komm, ich zeige dir mal die Wohnung, Fabian. Danach kannst du dich ja entscheiden, ob du das Zimmer haben möchtest.“ Sie grinst mich selbstsicher an und ich finde das irgendwie beunruhigend. „Ich denke, dass es dir gefallen wird.“

Erika ist ein Wirbelwind, anders kann ich sie nicht beschreiben. Sie sprüht voller Energie und ihr fällt es schwer, lange stillzusitzen. Sie ist kontaktfreudig und gern mit Freunden unterwegs. Ich bin das genaue Gegenteil, aber Vampire sind nun einmal Einzelgänger. In Leggins und einem weiten T-Shirt sieht sie zum Anbeißen aus und macht es mir schwer, mich daran zu erinnern, dass ich eine gute Freundin und Wölfin vor mir habe. Mit ihren lockigen blonden Haaren, den großen braunen Augen und dem Schmollmund kriegt Erika wahrscheinlich jeden Mann herum. Warum sie sich in den Kopf gesetzt hat, dass ausgerechnet ich ihr nächster Mitbewohner werden soll, weiß ich nicht. Ansonsten gefällt mir, was ich von der Wohnung sehe. Die Räume haben die typische Höhe für einen Altbau und sind großzügig geschnitten. Im Flur hängt ein großer Spiegel an der Wand und daneben steht eine Garderobe mit einigen Jacken von ihr und einer ansehnlichen Sammlung von Schuhen. Ich werfe Erika einen vielsagenden Blick zu, während ich meine Schuhe ausziehe und sie lacht.

„Ich weiß, es sind viel zu viele. Aber ich kann an schönen Schuhen nun mal schlecht vorbei gehen.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Ist wahrscheinlich so ein Frauen-Ding.“

Kopfschüttelnd folge ich ihr durch die angrenzende Tür. Es gibt Eigenheiten bei Frauen, die ich auch nach zweihundert Jahren noch nicht verstehe. Im Vorbeigehen werfe ich beifällig einen Blick in den Spiegel - ja, ich habe ein Spiegelbild - allerdings hat sich seit zwei Jahrhunderten nicht viel daran geändert. Ich bin immer noch durchschnittlich groß, etwa einen Meter achtzig, ein bisschen zu schlank für meinen Geschmack und habe kurze braune Haare. Meine Augenfarbe ist ein komischer Mix aus Grün und Blau, zumindest wenn ich normal bin. Im Vampirmodus leuchten sie blutrot, passend, aber nicht sonderlich ausgehtauglich.

„Das hier ist die Küche“, sagt sie und zeigt in den gemütlichen Raum. Eine Wand ist lindgrün gestrichen und neben einem alten Tisch mit vier Stühlen und einem liebevoll restaurierten Schränkchen steht eine moderne Küchenzeile. Eigentlich sollte mich der Stilmix stören, aber irgendwie hat sie es geschafft, dass alles harmonisch wirkt. Ich trete zum Fenster und schaue in die Nacht hinaus. Ein kleiner Hinterhof mit Wäschestangen, ein paar Bäumen und einem Sandkasten werden vom Mond beleuchtet. Ich drehe mich um und bemerke, dass sie mich abwartend ansieht.

„Hübsch hast du es hier. Grillt denn ab und zu jemand im Garten?“, sage ich, weil mir nichts Besseres einfällt.

„Ja, an den Wochenenden findet ab und zu eine Grillrunde statt. Wir sind ja zum Glück nicht so viele Mieterparteien und verstehen uns ganz gut.“ Erika runzelt die Stirn. „Die Küche ist nicht sonderlich wichtig für dich, oder? Isst du denn überhaupt etwas?“

Ich zucke mit den Schultern. „Ich kann normales Essen zu mir nehmen, wenn du das meinst. Allerdings bringt es mir nicht so viel. Bei Getränken sieht es nicht viel anders aus, aber ich mag es, ab und zu einfach mal etwas Anderes zu schmecken.“

Ganz bewusst vermeide ich das Wort ‚Blut‘. Erika weiß, dass ich ein Vampir bin und als Wolf steht sie auch nicht auf meiner Speisekarte. Allerdings ist es ihr lieber, wenn ich nicht allzu ausführlich bin.

Sie nickt. „Na gut, sag einfach Bescheid, falls ich dir etwas besorgen soll.“

„Danke.“ Wir wissen beide, dass es im Sommer für mich schwierig ist, normal einkaufen zu gehen. Die Sonne geht erst gegen einundzwanzig Uhr unter und es gibt in der Umgebung nicht so viele Geschäfte, die bis zweiundzwanzig Uhr offen haben. Wir verlassen die Küche und Erika zeigt mir die anderen Räume. Dazu zählen ein geräumiges, blau gefliestes Bad mit Badewanne, ein großes Wohnzimmer mit einem beigen Ecksofa, was förmlich zum Entspannen einlädt, der üblichen technischen Ausstattung mit Fernseher und einer Tür zum Balkon. Überall kann ich ihren Einfluss spüren und es gibt viele Grünpflanzen. Erika mag in der Stadt wohnen, aber sie hat hier drin ihren eigenen kleinen Wald. Das spiegelt sich auch in den verwendeten Farben wieder. Es sind angenehme, warme Erd- oder Grüntöne.

Wir gehen wieder in den Flur und sie öffnet eine Tür.

„Das ist mein Zimmer“, sagt sie und lässt mich einen kurzen Blick hinein werfen.

Es sieht ein wenig chaotischer aus und spiegelt ihre vielfältigen Interessen wider. In der Ecke steht eine große Leinwand, gegenüber befinden sich der Schreibtisch mit ihrem schicken Laptop und ein gut gefülltes Bücherregal. Mein Blick fällt auf den großen Kleiderschrank, in dem wahrscheinlich eine ganze Familie ihre Sachen unterbringen könnte. Ich ziehe eine Augenbraue hoch und schaue Erika fragend an. Sie zuckt nur mit den Schultern. Allerdings scheint sie es generell groß zu mögen. Ihr Bett ist für mindestens zwei Personen, aus stabilem Eichenholz und beherbergt eine erstaunliche Anzahl an Kissen und Decken.

„Du magst es kuschelig, oder?“

Erika wird rot. „Auch. Ich kann mich ab und zu einfach nicht entscheiden, welches Kissen das richtige für mich ist. Das wechselt manchmal täglich und ohne Schlaf funktioniere ich nicht.“

Ein Grinsen kann ich mir bei dieser Antwort nicht verkneifen. Werwölfe haben zwar kein Problem mit der Sonne, aber das macht sie nicht unbedingt zu Frühaufstehern.

„Schlaf ist wichtig. Wir wollen ja nicht, dass ein Zombie aus dir wird“, scherze ich.

„Stimmt. Ein Untoter in der WG reicht aus“, gibt sie zurück und schließt die Tür. Dem kann ich nur zustimmen und folge ihr gespannt zum letzten Raum.

„So, da wären wir. Das Zimmer liegt auf der Nordseite und hat sogar diese Sonnenrollos, die du schließen kannst. Der Eigentümer hat das komplette Haus damit ausgerüstet.“

„Das passt ausgezeichnet. Nordseite und Rollos sind toll! Die müssen gut in die Fassade integriert sein, denn ich habe sie von unten gar nicht gesehen. Es gibt zusätzlich noch ein paar Möglichkeiten, wie ich mich vor der Sonne schützen kann.“ Ich spüre ihre Nervosität und frage mich, ob sie Zweifel bekommt.

Die Tür geht auf und enthüllt einen großen Raum mit Fenster. Einen vollständig eingerichteten Raum. Überrascht drehe ich mich zu ihr um. „Ähm, gibt es einen Grund, warum hier noch alle Möbel drin stehen?“

Sie knetet ihre Finger und weicht meinem Blick aus.

„Erika?“

Sie seufzt und schaut schließlich auf. „Na ja, Ralfs Auszug kam ziemlich plötzlich …“

Ihr Verhalten macht mich neugierig und misstrauisch zu gleich. „Was ist passiert?“

„Wie wäre es, wenn wir ins Wohnzimmer gehen und uns setzen? Du kannst dir das Zimmer gern später noch genauer ansehen.“

Ich nicke und setze mich neben ihr auf das Sofa. Es ist wirklich so gemütlich, wie ich vermutet hatte, aber das ist gerade unwichtig. Mich interessiert viel mehr, warum Erika so komisch drauf ist. Meiner Erfahrung nach lassen sich Werwölfe nicht so leicht aus der Ruhe bringen.

„Na komm schon. So schlimm kann es doch gar nicht sein. Außerdem sollte ich zumindest wissen, was auf mich zukommt“, versuche ich, sie zum Reden zu animieren.

Erika streicht sich eine blonde Strähne hinter das Ohr. Sie sitzt mit untergeschlagenen Beinen auf der Couch und hält sich an einem Kissen fest.

„Ich weiß, aber die Sache ist kompliziert. Anfangs war Ralf der perfekte Mitbewohner, aber im Laufe der letzten Wochen ist er immer eigenartiger geworden.“

„Er ist ein Mensch?“, erkundige ich mich.

„Ja, zumindest dachte ich das.“

Das ist ja mal eine Aussage. „Du bist dir nicht sicher?“ Im Normalfall erkennen wir übernatürlichen Wesen einander. Mir war nicht bekannt, dass es Ausnahmen gibt.

„Ich weiß es nicht. Als er sich vorstellte, war er eindeutig menschlich. Ich habe auch noch nie davon gehört, dass es Wesen gibt, die sich vor uns tarnen können. Nachdem er anfing, sich komisch zu benehmen, dachte ich, dass er vielleicht irgendwelche Drogen nimmt. Allerdings konnte ich meinen Verdacht weder bestätigen noch entkräften. Er hatte so schnelle Stimmungswechsel und wurde mir gegenüber auf einmal feindselig. Das ging vielleicht zwei Wochen so und wir haben uns auch ein paar Mal gestritten. Nach unserer letzten Auseinandersetzung lag einfach ein Zettel auf dem Tisch. Darauf stand, dass er es nicht mehr erträgt, mit mir zu wohnen, und die Stadt verlässt. Ich solle mit seinen Sachen machen, was ich wolle. Das war vor drei Wochen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.“

„Mhm“, mache ich nachdenklich. Das klingt in der Tat eigenartig. „Und ihr beiden wart nur Mitbewohner?“

„Ja, natürlich. Was denkst du denn von mir?!“ Sie macht ein entsetztes Gesicht und funkelt nicht wütend an.

Abwehrend hebe ich meine Hände. „Hey. Das war eine ganz normale Frage. Du bist eine tolle Frau und er hat wie ein bockiges Kind reagiert, das nicht bekam, was es wollte.“

Erika wird doch tatsächlich rot und ich bemerke, dass ich wieder einmal geredet habe, ohne nachzudenken. Na, das fängt ja prima an …

„Ähm, danke.“ Sie schenkt mir ein schüchternes Lächeln. „Du bist aber auch nicht übel.“

Oh Mann. Ich habe keine Ahnung, was ich darauf erwidern soll und daher komme ich einfach zum naheliegenden Thema. „Warum möchtest du unbedingt, dass ich bei dir einziehe?“

„Ich mag dich und außerdem weiß ich, was du bist. Einige meiner Bekannten halten mich zwar für bescheuert, weil ich mir einen Vampir in die Wohnung hole, aber ich muss wenigstens nicht mehr so tun, als wäre ich ein normaler Mensch.“

Es stimmt, wir kennen und mögen uns schon lange, aber … „Du hättest doch auch mit einem anderen Werwolf zusammenziehen können“, wende ich ein.

„Ja, aber die können ziemlich herrisch sein.“ Sie sieht mich an und grinst schelmisch. „Außerdem brauchst du eine neue Bleibe. Es schadet dir bestimmt nicht, wenn du öfter unter Menschen wärst.“

Na ja, ich bin jeden Tag unter Menschen. Ich habe praktisch keine andere Wahl, aber das ist nicht, was sie meint.

„Willst du mich etwa sozialisieren?“, frage ich gespielt entsetzt. Ich kann spüren, dass hinter der ganzen Sache noch mehr steckt, aber ich will sie nicht zu sehr drängen, zumindest noch nicht.

„Warum denn nicht? Du kannst mir nicht erzählen, dass du zufrieden bist, immer nur in deinem Turm zu hocken und zu lesen.“

„Lesen bildet! Außerdem habe ich genug Kontakt zu Menschen. Immerhin muss ich mit ihnen arbeiten.“ Aufgrund meines tadellosen Wissens über die Geschichte der Stadt betätige ich mich öfter als nächtlicher Stadtführer. Ich mache noch ein paar andere Dinge, um Geld zu verdienen, auch wenn ich mittlerweile recht wohlhabend bin.

„Na komm schon. So lernt man keine netten Mädels kennen!“

„Willst du mich etwa verkuppeln? Dir ist schon klar, dass das bei meiner Lebenserwartung nur nach hinten losgehen kann?“

„Das heißt aber nicht, dass du für immer alleine sein musst, Fabian. Für mich ist es auch nicht gerade einfach.“

Werwölfe sehen wie Menschen aus und sie leben, allerdings ist ihre Lebenserwartung deutlich höher. Ich weiß es zwar nicht genau, aber Erika ist auch schon etwas älter, als sie aussieht. In den vier Jahren, die wir uns kennen, hat sie sich kaum verändert. Sie scheint Anfang zwanzig zu sein, ist es aber nicht mehr. Bisher habe ich mich jedoch nie getraut, sie nach ihrem wirklichen Alter zu fragen. In unseren Kreisen redet man nur ungern darüber. Der Alterungsprozess verlangsamt sich bei den Wölfen nach dem zwanzigsten Lebensjahr und daher erreichen sie oftmals ein stattliches Alter von über hundertfünfzig Jahren. So gesehen teilen wir das Problem mit dem Altern.

„Du musst deinem Partner nur verheimlichen, dass du jeden Monat ein haariges Problem hast. Im Gegensatz zu mir kannst du tagsüber herumlaufen und hast einen Herzschlag.“ Kopfschüttelnd meine ich schließlich: „Wir sollten das Thema ruhen lassen. Es ist lieb gemeint von dir, aber ich habe mich schon vor Jahrzehnten damit abgefunden, dass ich alleine bleiben werde. Ich kann eigentlich nur froh sein, dass ich mich noch nie in einen Menschen verliebt habe. Nach allem, was ich darüber hörte, ist das nie gut ausgegangen.“

„Ich weiß“, gibt sie seufzend zu. „Ich wollte dich nur ein bisschen ärgern.“

„Warum hast du eigentlich keinen Freund? Es gibt doch genug Werwölfe oder auch Menschen, mit denen du dich treffen könntest?“ Eigentlich geht es mich nichts an, aber immerhin kann es sein, dass ich als ihr Mitbewohner bald mit dem Thema konfrontiert werde.

„Das ist jetzt deine Rache, oder?“

„Nur Neugier. Vampire vertragen sich untereinander nur selten, aber Werwölfe sind doch gesellig oder irre ich mich?“

Erika zuckt mit den Schultern. „Na ja, Rudel, die zusammenleben, sind heutzutage eher selten. Ich kenne einige Wölfe, aber ich möchte mit keinem davon eine Beziehung. Wir unternehmen viel zusammen, aber jeder hat sein eigenes Leben. Außerdem habe ich keine Lust auf die Rangkämpfe.“

„Du hast aber einen Alpha über dir stehen, oder?“ So modern wir inzwischen auch geworden sind, alte Hierarchien lassen sich schlecht durchbrechen.

„Ja, Karl ist okay. Außerdem hat er eine Partnerin und akzeptiert, dass ich über mein Leben selbst bestimmen will. Sollte ich jedoch Mist bauen, wird er nicht zimperlich sein.“

Das kann ich mir gut vorstellen. Es gibt gewisse Regeln, die wir einhalten müssen. Die Menschen haben keine Ahnung, dass es uns gibt und so soll es auch bleiben. Vielleicht kommt irgendwann eine Zeit, in der das nicht mehr notwendig ist. Ich bezweifle allerdings, dass dies in den nächsten hundert Jahren geschieht. Die menschliche Gesellschaft ist einfach noch nicht so weit. Sie zeigen immer wieder, dass sie schon Probleme damit haben einander zu akzeptieren.

„Und es stört ihn nicht, dass ich bei dir einziehe?“

Wir führen keinen Krieg, wie in Underworld, aber so wirklich grün waren wir uns bis vor wenigen Jahren auch nicht. Gewissermaßen sind die Menschen daran schuld, dass wir enger zusammenrücken. Seit der Industrialisierung schrumpfen die Lebensräume der Wölfe und mit der modernen Technik wird es immer schwieriger, nicht aus Versehen bei You Tube aufzutauchen.

„Nein. Er hält mich zwar für verrückt, aber du musst selbst darauf achten, dich unauffällig zu verhalten, und wirst wohl nicht an die Öffentlichkeit gehen und dich outen.“

„Jepp, das ist eher unwahrscheinlich“, stimme ich zu. Dann schaue ich ihr direkt in die Augen. „Das ist aber nicht der einzige Grund, warum du mich hier haben willst.“

Es ist nicht als Frage formuliert, denn wir wissen beide, dass es der Wahrheit entspricht.

„Nein, ist es nicht“, gesteht sie schließlich. „Das klingt jetzt vielleicht blöd …“

Ich bemerke, dass sie rot wird. „Aber?“, hake ich nach.

Erika zupft nervös an einer Ecke des Kissens herum. „Na ja, mit dir in der Wohnung fühle ich mich sicherer.“

Sie sagt es so leise, dass ich für einen Moment glaube, mich verhört zu haben. Dann jedoch sieht sie auf und ich kann erkennen, dass es stimmt. Das ist so ungewöhnlich, dass ich handle, ohne groß darüber nachzudenken. Ich rutsche zu ihr und ziehe sie sanft auf meinen Schoß. Meine Handlung überrascht mich selbst. Als Erika es ohne Widerspruch geschehen lässt und sich an mich kuschelt, bin ich sprachlos. So hatte ich mir das Ganze nun wirklich nicht vorgestellt. Werwölfe haben ein anderes Verständnis von körperlicher Nähe. Für sie ist es normal, intensiven Kontakt zueinander zu haben, wenn sie Trost brauchen oder jemanden mögen. Für mich ist das ziemlich außergewöhnlich. Vor meiner Wandlung war ich ein eher schüchterner Kerl, der keine sonderlich große Erfahrung mit dem anderen Geschlecht hatte. Natürlich habe ich in den letzten zweihundert Jahren nicht nur Händchen gehalten. Aber es ist schwer, romantisch zu sein, wenn ein Teil von dir Blutwerte checkt und man plötzlich mit Fängen dasteht, die einen Tiger neidisch machen würden.

Das größte Problem mit Umarmungen, wie ich sie gerade mit Erika teile, ist, dass die Person ziemlich fix bemerkt, dass ich keinen Herzschlag habe. Daher vermied ich das bisher immer. Ich kann jedoch nicht leugnen, dass sich die Frau in meinen Armen verdammt gut anfühlt. Zwar habe ich mich damit abgefunden, dass ich niemals eine Partnerin finden werde, aber ein Teil von mir dürstet deswegen trotzdem nach menschlicher Nähe. Mit geschlossenen Augen genieße ich diesen Moment und meine Hand beginnt wie von selbst, über ihren Rücken zu streicheln. Ich kann Erikas aufgewühlte Gefühle spüren, aber die Umarmung scheint ihr gutzutun, denn langsam beruhigt sie sich. Irritiert öffne ich die Augen, als ich spüre, wie ihre kleine Nase an meinem Hals entlang reibt. Die Bewegung erinnert mich ein bisschen an das, was ich mache, bevor ich einen Menschen beiße. Da das bei Erika ausgeschlossen ist, bin ich verwirrt.

„Ähm, was genau machst du da?“, frage ich deshalb.

„Ich präge mir deinen Geruch ein und hinterlasse meinen auf dir“, murmelt sie gegen meine Haut.

Ich kann nicht verhindern, dass ein kleiner Schauer durch meinen Körper geht. Wir sind nur Freunde und eigentlich will ich daran auch nichts ändern, aber die ganze Situation hat etwas Erotisches an sich. Mein Herz schlägt zwar nicht mehr und ich atme eher aus Gewohnheit als aus Notwendigkeit, aber der Rest funktioniert wie bei jedem anderen Mann.

„Okay, willst du mir vielleicht auch noch erklären, warum?“, versuche ich, mich abzulenken. Nichts wäre peinlicher als jetzt eine Erektion zu bekommen. Ich bin schon seit Jahrhunderten aus dem Teenie-Alter heraus, weise ich mich gedanklich zurecht. Du willst doch jetzt nicht als notgeiler Untoter abgestempelt werden!

„Du riechst gut und außerdem sollte dich mein Geruch davor bewahren, Ärger mit anderen Wölfen zu bekommen. Du gehörst jetzt praktisch zu mir.“

Irgendwie hilft das überhaupt nicht, meine Libido unter Kontrolle zu bringen. Daher bin ich erleichtert, als sich Erika aus meiner Umarmung befreit und aufsteht.

„Danke für die Schulter. Du kannst dir gern das Zimmer in Ruhe ansehen. Ich brauche jetzt erst einmal einen guten Schwarzen Tee. Möchtest du auch einen?“

„Tee klingt gut“, meine ich und stehe ebenfalls auf.

So richtig weiß ich nicht, wie ich mich verhalten soll. Deswegen nehme ich ihr Angebot an und schaue mich in meinem zukünftigen Raum um. Irgendwann habe ich mich entschlossen, ihrer Bitte nachzukommen. Ich habe nichts zu verlieren und Erika scheint mich zu brauchen, um ihr eine gewisse Sicherheit zurückzugeben. Man würde es zwar nicht vermuten, weil sie so zierlich wirkt, aber eigentlich kann sie sich selbst ganz gut zur Wehr setzen. Wölfe sind stärker als Menschen, doch das ihr offenbar nicht. Ich sehe zwar nicht so aus, aber ich übertreffe die Wölfe in der Regel um einiges. Während ich durch das Zimmer streife, nehme ich mir vor, so bald wie möglich alle Details über ihr Problem mit Ralf herauszufinden. Erika ist kein Angsthase und auch keine schwache Jungfrau in Nöten. Es muss also einen guten Grund für das alles geben.

Dunkle Geheimnisse

Ich bin gerade dabei, die Schränke nach Hinweisen auf Ralfs Verbleib durchzusehen, als ich eigenartige Schwingungen spüre. Das mag blöd klingen, entspricht aber der Wahrheit. Meine Sinne sind wesentlich ausgeprägter als die eines Menschen und gerade schlagen sie Alarm.

Irgendetwas stimmt hier nicht. Langsam drehe ich mich um meine eigene Achse und versuche, herauszufinden, wo und was die Ursache ist. Das Gefühl - oder ist es eher ein Geruch? - scheint stärker zu werden und ich fokussiere mich auf das Bett. Eigentlich sieht es normal aus, aber ich kann eine ungute Vorahnung nicht abschütteln. Vorsichtig nähere ich mich dem Möbelstück und hebe dann die Matratze hoch, um darunter sehen zu können. Fluchend stolpere ich zurück, als mich etwas in den Oberschenkel trifft.

„Heilige Scheiße!“, stoße ich entgeistert aus und lasse die Matratze fallen. Benommen starre auf den kleinen Pfeil in meinem Bein. Es gibt nicht viel, was mich töten könnte, aber das mit dem Pflock durchs Herz ist kein Scherz. Allerdings war das hier nicht das Ziel und ich auch nicht. Ich packe das Geschoss vorsichtig und reiße es mir kurzerhand wieder heraus. Offensichtlich habe ich genug Lärm gemacht, um Erika auf den Plan zu rufen, denn einen Moment später steht sie im Zimmer.

„Was ist los, Fabian?“, fragt sie mich besorgt und ihre Augen weiten sich bei dem Anblick, der sich ihr bietet.

„Bleib lieber dort!“, weise ich sie an, als sie zu mir kommen will. Stirnrunzelnd betrachte ich den Übeltäter. Das Geschoss sieht aus wie die Betäubungspfeile, die für Tiere benutzt werden. Anscheinend habe ich ihn herausgezogen, bevor die Ladung komplett abgegeben werden konnte, denn ein Teil der Flüssigkeit befindet sich noch in der Spritze. Ich drehe mich um und zeige sie Erika. An ihrem erschrockenen Blick kann ich sehen, dass sie nicht damit gerechnet hatte.

„Kannst du mir bitte eine Dose holen, in die wir das Ding tun können? Ich will nicht, dass du dich daran stichst.“

Erika ist ziemlich blass geworden, aber sie nickt und verschwindet in der Küche. Wenig später reicht sie mir eine Plastikbox mit Deckel und ich verstaue den Pfeil darin.

„Ich bezweifle, dass ich das eigentliche Ziel war“, gebe ich zu bedenken. So, wie sich mein Körper anfühlt, scheint es sich um ein sehr starkes Betäubungsmittel zu handeln. Es ist mein Vorteil, dass einen Vampir so schnell nichts umhauen kann. Meine kleine Wölfin hätte jedoch kein derartiges Glück gehabt …

„Dein ehemaliger Mitbewohner ist schon ein bisschen seltsam. Man könnte glatt meinen, dass er versucht, dich umzubringen.“

„Oh Gott“, flüstert Erika und sackt auf dem Fußboden zusammen. Sie hat eine Hand über den Mund gelegt und ihre Augen sind derart stark geweitet, dass es wehtun muss. Ich gehe zu ihr und umfasse ihre Arme. Dann schüttle ich sie leicht, bis sie mich ansieht.

„Erika?“, frage ich und das scheint, sie aus ihrer kurzen Schockstarre zu reißen.

„Fabian, geht es dir gut? Es tut mir so leid, dass ich dich da hineingezogen habe!“

„Red‘ keinen Unsinn. Du hättest mir wegen Ralf schon viel eher Bescheid sagen sollen“, tadele ich sie. Wenn die vorherigen Aktionen ähnlich waren wie die hier, kann ich gut verstehen, warum sie Angst hat.

„Ich hätte nicht gedacht, dass er so weit gehen würde“, flüstert sie und einen Herzschlag später liegt sie wieder in meinen Armen. Irgendwie scheint das langsam zur Gewohnheit zu werden. Allerdings würde ich es bevorzugen, wenn sie das in Zukunft nur aus Freude macht und nicht aus Angst.

„Alles wird gut“, versuche ich, sie zu beruhigen. „Zwar weiß ich noch nicht genau, wie, aber ich werde Ralf finden und dafür sorgen, dass er mit diesem Terror aufhört“, schwöre ich.

Erika lehnt sich von mir weg und schüttelt den Kopf. „Nein, wir werden ihn aufspüren und unschädlich machen. Ich habe mich viel zu lange von ihm einschüchtern lassen.“

Dieser Entschluss scheint ihr neue Kraft zu geben. Gemeinsam stehen wir auf und betreten das Zimmer.

„Wir sollten vorsichtig sein. Wer weiß, was er sich noch ausgedacht hat?“

„In Ordnung“, meint Erika und bewegt sich vorsichtig auf das Bett zu.

Eigentlich ist es nichts Besonderes, ein einfaches Kastenbett mit einem billigen Lattenrost. Interessant dagegen ist die clevere Vorrichtung, die den Pfeil abgeschossen hat.

„Mhm, wie es scheint, hat das Gewicht der Matratze die Feder unter Spannung gehalten. Als ich sie hochhob, löste es den Abschuss aus.“

„Ralf hat Maschinenbau studiert und war McGyver-Fan. Das hat er mir zumindest gesagt.“

„Wenn ich raten müsste, würde ich vermuten, dass er auf Großwildjäger umgeschult hat und einen auf Van Helsing macht“, kommentiere ich.

Als Erika mich fragend ansieht, zucke ich mit den Schultern. „Nehmen wir mal an, dass sich in dem Pfeil nur ein Betäubungsmittel befindet, dann muss er die Absicht haben, wiederzukommen und dich einzuladen. Das hier“, ich zeige auf die Vorrichtung, „ist viel zu speziell, um ein Zufall zu sein.“

„Aber warum das Bett und warum ich?“

„Selbst wenn du alle Möbel behältst, musst du irgendwann die Bettwäsche neu beziehen. Dabei hebst du die Matratze hoch. Außerdem ist das Bett, das einzige, was ich als neuer Mitbewohner austauschen würde, wenigstens die Matratze.“

Ich lege meinen Kopf schräg und mustere sie von oben bis unten. Erika ist hübsch, aber ich werde die Vermutung nicht los, dass er hinter etwas Anderem her ist.

„Du hast gesagt, dass er anfangs noch ganz normal war. Hat er versucht, mit dir zu flirten?“

Sie fährt sich mit den Händen durch die Haare und denkt angestrengt nach. „Na ja, zu Beginn ein wenig. Ich hab ziemlich schnell klar gemacht, dass ich nichts von ihm will. Das schien ihm auch nichts auszumachen, aber nachdem ich von meinem letzten allmonatlichen Ausflug wiederkam, war er komisch.“

Die Bemerkung lässt mich aufhorchen. „Nach dem Rudelausflug im Schein des Vollmondes?“

Erika schnaubt. „Du lässt es geringfügig albern klingen“, wirft sie mir vor. Das bringt mich trotz der ernsten Situation zum Grinsen.

„Ich versuche nur, die Stimmung etwas aufzulockern. Fakt bleibt jedoch, dass Ralf sich nach dem letzten Vollmond anders verhielt.“ Vorsichtig sehe ich sie an. Mir ist bewusst, dass ihr nicht gefallen wird, was ich zu sagen habe. „Du bist ein Profi, aber könnte es sein, dass du dich durch irgendetwas verraten hast?“

Wenn Blicke töten könnten, wäre ich nur noch ein Häufchen Asche auf dem Parkettboden. Dann stößt sie einen Fluch aus und tritt gegen das nächstbeste Möbelstück. In diesem Fall das Bett, welches ein gutes Stück über den Boden rutscht. Was dabei zum Vorschein kommt, lässt uns zeitgleich fluchen.

„Was zur Hölle?!“

Ich kann nicht wirklich glauben, was ich sehe und es dauert einen Moment, bis ich den Sinn begreife. Entgeistert schaue ich Erika an, die auch ratlos wirkt.

„Ähm, was genau ist das?“

„Gute Frage“, antworte ich und schiebe das Bett vorsichtig noch weiter weg. Schließlich kommt das eigenartige Gebilde vollständig zum Vorschein und irgendwie ist mir zum Lachen zu Mute, auch wenn das ganz und gar nicht lustig ist.

„Du kennst nicht zufällig einen Priester?“, erkundige ich mich bei ihr.

Erika flucht einfallsreich und betrachtet das Ding auf dem Boden etwas genauer. Ich tue es ihr gleich und hocke mich hin.

„Mhm, wenn ich raten müsste, dann würde ich sagen, dass dieses hübsche Pentagramm hier mit Blut gemalt wurde. Das ist allerdings schon eine Weile her.“

Frisches Blut hätte ich auf Anhieb gerochen. Je älter, desto schwächer ist der Geruch, aber in diesem Fall wurden noch andere Komponenten beigemischt, die den charakteristischen Duft überdecken. Ich schnüffle etwas intensiver und Erika tut es mir gleich.

„Verbrannte Haare und irgendwelche Kräuter“, meint sie schließlich.

„Anscheinend. Ich habe keine Ahnung von dem Kram. Okkultismus gehört nicht zu meinen Spezialgebieten.“ Angestrengt überlege ich einen Moment, zücke mein Handy und mache ein Bild von der Bescherung.

„Was hast du vor?“, fragt Erika mich neugierig.

„Mir ist gerade jemand eingefallen, der verrückt genug ist, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen“, erkläre ich, während ich eine Nachricht an den Bekannten tippe.

Hallo Harry,

hast du so etwas schon einmal gesehen?

Kannst du mir zufällig sagen, was es ist und wie wir es entfernen können?

Danke und LG, Fabian.

Es ist schon eine Ewigkeit her, dass ich mich mit ihm unterhalten habe. Unsere Bekanntschaft ist auch eher zufällig entstanden. Ab und zu besuche ich doch die einschlägigen dunklen Festivitäten und bei solch einer Gelegenheit hat Harry mich angesprochen. Ziemlich schräger Vogel, aber er ist echt in Ordnung. Vielleicht hilft uns sein eigenartiges Hobby ja weiter.

„So. Nun heißt es, Hoffen und Warten. Wahrscheinlich ist es am besten, wenn wir diesem Ding nicht zu nah kommen. Ich würde mir jetzt gern diese tolle Vorrichtung genauer ansehen“, meine ich und steuere die andere Seite des Bettes an.

„Ich hoffe, das geht weg.“ Erika guckt das Pentagramm böse an. „Mein Vermieter wird mir den Arsch aufreißen, wenn sich das ins Holz eingebrannt hat.“ Dann sieht sie ratlos zu mir.

„Denkst du, dass es wirklich irgendeine Kraft hat?“

Das mag jetzt blöd klingen, aber nur, weil es uns gibt, heißt es nicht, dass wir automatisch an Magie und Dämonenbeschwörung glauben. Die genaue Herkunft unserer beiden Naturelle liegt im Dunkeln und zumindest Erika ist lebendig und ein geborener Werwolf.

„Na ja, ich würde es nicht auf die leichte Schulter nehmen“, meine ich und zeige mit einer Hand auf mich. „Immerhin bin ich tot und stehe jetzt trotzdem vor dir.“

„Mist.“

In diesem einen Wort steckt so viel Frustration, dass ich kurz lächeln muss. Nur zu gern würde ich schwarze Magie als Humbug abtun, aber das könnte uns teuer zu stehen kommen. Da wir ohne weitere Informationen nichts dagegen machen können, wende ich mich der Pfeilschussanlage zu. Vorsichtig mustere ich das Teil und finde noch eine unschöne Sache.

„Tja, ich vermute, dass wir demnächst Besuch bekommen“, teile ich ihr mit.

Erika runzelt die Stirn und lehnt sich neben mir über das Bett. „Ist das ein Sender?“

Ich zucke mit den Schultern. „Sowas in der Art bestimmt. Es macht schließlich Sinn, dass er wissen will, ob und wann der Pfeil abgeschossen wurde.“

Unruhig beginnt sie, im Zimmer hin und her zu laufen. „Ich kann nicht fassen, dass ich nichts gemerkt habe. Ralf schien ein ganz normaler junger Mann zu sein. Ein Student mit ein paar Eigenheiten, aber im Grunde sympathisch. Das hier“, sie zeigt auf die Vorrichtung und das Pentagramm, „ist alles andere als nett oder normal. Was will er nur damit bezwecken?“

„Da überfragst du mich. Einige Männer vertragen es schlecht, wenn sie von einer Frau abgewiesen werden. Zudem sind Mörder oder Psychopathen gern unauffällige und nette Nachbarn.“ Mein Kommentar jagt ihr einen kalten Schauer durch den Körper und sie reibt sich über die Arme.

„Könntest du bitte aufhören, über Psychopathen und Mörder zu reden? Ich habe schließlich ein paar Monate mit dem Kerl zusammen gewohnt.“

„Na gut.“ Ich kann ihr nicht verübeln, dass sie im Moment nicht genauer darüber nachdenken möchte. Bis wir wissen, womit wir es zu tun haben, sind uns die Hände gebunden. Daher stehe ich auf und gehe zu ihr.

„Komm, lass uns rausgehen. Hier drin können wir gerade nichts ausrichten.“

Erika scheint erleichtert zu sein, den Raum verlassen zu dürfen. Entschlossen zieht sie die Tür hinter uns zu und schließt ab. „So, das sollte es ihm zumindest ein wenig erschweren, uns zu belästigen.“

„Falls er nicht zufällig fliegen kann, wäre es auch schwierig, durch das Zimmer in die Wohnung zu kommen.“

„Stimmt, aber ich fühle mich trotzdem etwas besser“, gibt sie zu. „Und jetzt?“

„Na ja, es kann nicht schaden, wenn du das Türschloss austauschen lässt …“

Sie klatscht sich mit der Hand gegen die Stirn. „Ich bin eine Idiotin! Darauf hätte ich auch alleine kommen können.“

Ich lege ihr tröstend einen Arm um die Schultern. „Mach dir nichts draus. Es ist nur zu verständlich, dass du gerade durcheinander bist.“

„Mhm, durcheinander ist nett gesagt. Ich bin wütend und auch ein wenig verängstigt.“ Sie wirft einen Blick auf die Uhr. „Meinst du, wir können das Schloss noch heute Nacht austauschen lassen?“

„Wenn du einen 24-Stunden-Schlüsseldienst findest und das nötige Kleingeld hast, geht alles“, meine ich mit einem Schulterzucken. „Falls er sich quer stellt, kann ich ja ein wenig Überzeugungsarbeit leisten“, biete ich an. „Nach dem lustigen Betäubungspfeil könnte ich sowieso einen Happen vertragen.“

Erika verzieht das Gesicht. „Ich muss mich noch an deine Essgewohnheiten gewöhnen.“ Dann sieht sie mich besorgt an. „Geht es dir wirklich gut?“

„Ja“, beruhige ich sie. „Mein Körper neutralisiert, was auch immer in dem Pfeil war, allerdings hilft ein guter Schluck, den Vorgang zu beschleunigen.“ Dann grinse ich sie frech an. „Außerdem habe ich mir noch nie Essen ins Haus bestellt.“

Für den Spruch klapst sie mir leicht auf den Arm, kann aber auch nicht ernst bleiben. „Hey, das ist nicht witzig.“

Ich will gerade etwas darauf erwidern, als mein Handy vibriert. Heute scheint meine Glücksnacht zu sein …

„Hallo Harry“, begrüße ich meinen Bekannten und stelle das Gespräch auf Lautsprecher, so dass Erika alles hört. „Kannst du uns weiterhelfen?“

„Hi Fabian, ich hoffe es. Allerdings wird dir nicht gefallen, was ich zu sagen habe.“

Es wäre wohl zu viel verlangt, wenn es sich nur um das bedeutungslose Gekritzel eines Verrückten handeln würde …

„Spuck‘s aus. Wir möchten das Ding echt gern aus dem Zimmer entfernen.“

„Das könnte sich als etwas schwieriger erweisen.“

Ich kann die Sorge in Harrys Stimme wahrnehmen und das beunruhigt mich.

„Brauchen wir tatsächlich einen Priester oder sowas?“, erkundige ich mich.

„Entweder einen guten Exorzisten oder eine echte Hexe, die sich mit Beschwörungen auskennt.“

Scheiße …

„Ähm, das meinst du ernst, oder?“

Es seufzt am anderen Ende. „Ja, das hübsche Pentagramm wird zur Beschwörung von Dämonen verwendet.“

Prima, wir haben auch so keine Probleme …

„Du kannst uns nicht zufällig jemanden empfehlen?“, frage ich ihn. Irgendwie habe ich Zweifel, dass wir im Dresdner Branchenbuch Exorzisten oder Hexen finden werden. Die Ergebnisse einer Internetsuche will ich mir gar nicht ausmalen. So viel Zeit haben wir wirklich nicht.

„Schon, aber ich muss euch vorwarnen. Valeria ist nicht gerade einfach …“

Ich kann den Haken bei der Sache förmlich spüren. „Lass mich raten? Sie mag Vampire oder Werwölfe nicht sonderlich?“

„Na ja, gegen Werwölfe hat sie nichts, es gab jedoch mal einen Exfreund, der sie sehr schlimm verletzt hat …“

Na toll … Muss die Angelegenheit denn noch komplizierter werden?! Dann fällt mir auf, dass Harry die Vergangenheitsform benutzt.

„Sie hat den Ex aber nicht gegrillt oder sowas in der Art?“, frage ich vorsichtig nach.

„Ich glaube nicht“, versucht er, mich zu beruhigen. „Wenn, dann wäre es gerechtfertigt. Er hat sie sehr schlecht behandelt und ein paar seiner Fähigkeiten bei ihr angewendet, die alles andere als nett sind.“

Ich kann mir ungefähr vorstellen, was Harry meint. Gedankenkontrolle ist nicht sonderlich fair, aber zugegebenermaßen der einfachere Weg, wenn man kein Rückgrat oder Gewissen besitzt.

Was? Meine Freundin will mich wegen irgendwas zu Rede stellen? Na gut, dann schalte ich mal auf Vampir und rede ihr das schön aus.

Wer sich dann hinterher wundert, dass sich das Opfer rächt, ist selbst schuld. Solche Spiele mit einer Hexe abzuziehen? Sagen wir mal so: Es ist nicht unbedingt klug.

„Denkst du, dass sie sich wegen mir weigern könnte, uns zu helfen? Eigentlich ist es ja Erikas Wohnung und die Hinterlassenschaft stammt von ihrem durchgeknallten Ex-Mitbewohner.“

„Mhm, das könnte euch ein paar Pluspunkte bringen“, überlegt Harry laut. „Am besten, du lässt sie den Anruf tätigen und verkrümelst dich.“ Er macht eine kurze Pause. „Allerdings dürfte euch ihre Hilfe einiges kosten.“

Innerlich verdrehe ich die Augen. Hexen sind angeblich wie Elstern. Sie wissen, wo sie echte Schätze ausgraben können, und verstehen bei Geschäften keinen Spaß. Aber welche Wahl haben wir denn schon?

„Wenn sie uns wirklich weiterhelfen kann, ist das okay. Solange sie keine zu exotischen Forderungen hat.“

„Ich kann für nichts garantieren“, warnt er mich vor. „Sie ist zu außergewöhnlichen Leistungen fähig, aber sie hat sehr schlechte Erfahrungen mit Vampiren gemacht. Du solltest dich definitiv zurückhalten, wenn sie kommt. Es kann durchaus sein, dass sie dich reizt. Reagiere bloß nicht darauf! Im Verfluchen ist sie besonders gut.“

„In Ordnung“, stimme ich zu. Mein Bedürfnis als Fledermaus oder Kröte zu enden, ist nicht sonderlich groß. Harry gibt mir Valerias Nummer, die ich notiere und reiche den Zettel gleich an Erika weiter. Schließlich bedanke ich mich bei meinem Bekannten.

„Danke, dafür bin ich dir was schuldig. Sag Bescheid, wenn ich dir helfen kann.“

„Geht klar. Ich drücke euch die Daumen! Mit so einem Teil in der Wohnung würde ich auch kein Auge zubekommen. Bis bald!“

„Tschüss.“

Als das Telefonat endet, schaut mich meine neue Mitbewohnerin neugierig an. „Du kennst aber interessante Leute …“

Unbehaglich zucke ich mit den Schultern. „Selbst ich komme ab und zu unter Menschen.“

Mist, ganz schlechtes Wortspiel.

Erikas Augen weiten sich. „Ein Mensch? Bist du des Wahnsinns?!“

„Hey, jetzt beruhige dich mal. Harry wusste schon vor unserer Begegnung über uns Bescheid. Seit Jahrzehnten. Der Mann ist um die siebzig und zudem ein schier unendlicher Strom des Wissens. Früher hätte man ihn wohl als Gelehrten bezeichnet.“

Die Zweifel sind ihr ins Gesicht geschrieben. „Wenn das jemand herausbekommt …“

„Dann ist es eben so. Harry ist sehr vorsichtig und mit ihm wird wahrscheinlich auch sein ganzes Wissen um uns sterben. Er hält keinerlei Namen oder andere persönliche Daten schriftlich oder anderweitig fest, die es ermöglichen würden, uns zu finden.“

Mit den Händen reibt Erika sich wieder über die Arme. „So ganz wohl ist mir bei der Sache trotzdem nicht.“

Ich ergreife ihre Hände und halte sie locker fest. „Harrys Wissen dürfte im Moment unser kleinstes Problem sein. Er interessiert sich für uns, aber hütet sich davor, Informationen an andere Menschen preiszugeben und uns zu schaden. Ihm sind die Folgen einer solchen Aktion sehr wohl bewusst.“

Erika schaut mich lange mit ihren großen braunen Augen an. Schließlich nickt sie. „Na gut. Ich vertraue dir und damit wohl oder übel auch diesem Harry. Was machen wir als Nächstes?“

„Du rufst am besten mal diese Hexe, Valeria, an und ich kümmere mich um dein Türschloss. Vielleicht haben wir ja Glück und beide Probleme lassen sich heute Nacht noch lösen.“

„Okay“, stimmt sie seufzend zu. „Normalerweise bin ich nicht so planlos.“

„Und ich kein Ritter in strahlender Rüstung. Jeder kommt mal an einen Punkt, an dem er die Hilfe eines Anderen braucht.“ Ich drücke sie kurz an mich. „Dafür sind Freunde doch da. So, ich gehe jetzt in die Küche und versuche, uns ein neues Türschloss zu organisieren.“

„Dann nehme ich mir mal diese Hexe vor.“ Sie schüttelt den Kopf. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal derartige Probleme bekomme. Normalerweise kann ich recht gut einschätzen, was für einen Charakter mein Gegenüber hat.“

„Wir machen alle Fehler und manche sind Meister darin, ihr wahres Wesen zu verbergen.“

Mit diesen Worten wende ich mich von ihr ab und gehe in die Küche. Nach einer kurzen Recherche habe ich endlich eine Firma gefunden, die seriös genug erscheint, um uns nicht unnötig Geld aus den Taschen zu ziehen. Ich wähle die Nummer und warte gespannt, immerhin ist es mitten in der Nacht. Es dauert jedoch nicht lange, bis sich eine freundliche Männerstimme meldet, der ich mein Problem schildere. Zu meiner Überraschung verspricht der Herr, dass in circa zwanzig Minuten ein Mitarbeiter vorbeikommt und unser Schloss austauscht. Mit knapp hundert Euro sind wir dabei, aber das ist es mir wert, wenn es einen Irren davon abhält, uns zu belästigen. Nach dem Telefonat stehe ich auf, um Erika die gute Nachricht zu erzählen. Als ich ins Wohnzimmer einbiege, begegne ich ihrem besorgten Blick. Leise gehe ich zu ihr und setze mich auf das Sofa.

„Valeria, wir brauchen wirklich dringend Ihre Hilfe! Können Sie für mich nicht mal eine Ausnahme machen? Ich verspreche Ihnen, dass er Sie nicht belästigen wird. Wenn Sie möchten, dann können Sie auch erst nach Tagesanbruch zu uns kommen.“

Erika schaut mich fragend an und ich zucke mit den Schultern. Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich einen weiteren Tag in meinem Versteck verbringe oder nicht. Mit einem so schnellen Umzug hatte ich sowieso nicht gerechnet. Wichtig ist mir im Moment eigentlich nur, dass dieses Pentagramm aus der Wohnung verschwindet und sich meine Wölfin wieder sicher fühlen kann.

Leise kann ich die entnervte Antwort ihrer Gesprächspartnerin hören. „Schon gut. Wenn es wirklich so schlimm ist, wie Harry meinte, dann komme ich lieber gleich vorbei. Sie haben Glück, dass ich Zeit habe. Halten Sie mir den Vampir vom Leib oder er wird sich umgucken!“

Ich habe wirklich kein Verlangen, zu erfahren, was mir blüht, wenn ich mir einen Fehltritt erlaube. Daher werde ich mich einfach außer Sicht- und Reichweite aufhalten, wenn sie kommt.

„Vielen Dank! Fabian wird Sie garantiert nicht belästigen“, versichert sie der Hexe.

„Das möchte ich auch hoffen. Ich bin in circa einer Stunde bei Ihnen. Es gibt einige Vorbereitungen, die ich treffen muss.“

„Danke. Bis später.“

Erschöpft lehnt sie sich an meine Schulter und ich lege meinen Arm um sie.

„Anstrengende Diskussion?“, frage ich sie. Anhand des kurzen Gesprächsfetzens, den ich mitbekommen habe, weiß ich, dass ich bei der Hexe sehr vorsichtig sein sollte.

Erika wuschelt sich mit einer Hand durch ihre blonden Locken und verzieht das Gesicht. „Anstrengend ist kein Ausdruck. Ich kann ja verstehen, dass sie Vorbehalte gegen Vampire hat, aber Ralfs Hinterlassenschaften machen mir gerade mehr Sorgen.“ Sie schaut mich neugierig an. „Hast du eine Idee, warum sie so misstrauisch ist?“

„Ja, ich denke schon. Hexen sind auch nur Menschen und passen daher in unser Beuteschema, wenn du so willst. Normalerweise halten wir uns streng von anderen übernatürlichen Wesen fern und ihr Blut ist tabu. Keiner weiß, ob wir es verarbeiten könnten oder daran zugrunde gehen würden. Wenn sie tatsächlich mit einem Vampir zusammen war, kann es durchaus sein, dass er sie gebissen hat - mehr als einmal. Wenn sie vorher noch nie mit uns zu tun hatte, dann wird sie auch nicht gewusst haben, wie man sich vor unserer Einflussnahme schützt …“ Ich lasse den Satz ausklingen und an Erikas größer werdenden Augen kann ich ablesen, dass sie den Wink versteht.

„Scheiße. An ihrer Stelle wäre ich wahrscheinlich auch stinksauer, wenn mich mein Ex gedanklich manipuliert hätte. Du hast das mit dem Beißen so betont?“

Ich zucke leicht mit den Schultern. „Je öfter wir uns von einem Menschen nähren, desto einfacher ist es, seine Schutzwälle zu umgehen. Außerdem ist es nicht gut für den Wirt, wenn wir ihn immer wieder in kurzen Abständen anzapfen. Der Mythos vom willenlosen Vampirsklaven ist nicht so weit hergeholt. Das ist jedoch in unseren Kreisen seit Jahrzehnten geächtet und fast genauso schlimm wie einen Menschen während der Nahrungsaufnahme zu töten oder Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“

Ein leichter Schauer geht durch Erikas schlanken Körper. „So, wie du das schilderst, ist das wirklich gruselig.“ Vorsichtig sieht sie mich an. „Du kannst das aber nicht mit mir machen, oder?“

Ich zucke merklich zurück und blicke sie meinerseits entsetzt an. „Nein! Das würde ich auch nie tun!“ Ein wenig beleidigt bin ich schon, dass sie mir so etwas zutraut. Anscheinend ist das deutlich in meiner Mimik zu sehen, denn sie lächelt mich an und tätschelt mir die Wange.

„Ich glaube nicht, dass du so gemein sein könntest. Aber ich wollte einfach nur wissen, ob es möglich wäre.“

„Mhm, ich habe noch nie gehört, dass ein Vampir einen Werwolf kontrollieren konnte. Allerdings bin ich nicht allwissend. Normalerweise gehen wir uns aus dem Weg und ihr passt nun mal nicht ins Beuteschema.“

„Nett, dass ich von der Speisekarte gestrichen wurde“, witzelt Erika.

„Dabei bist du süß genug, dass ich Zahnweh bekomme.“

Das war lustig gemeint, aber Erika wird rot und nun komme ich mir ziemlich dämlich vor.

„Meinst du das ernst?“, fragt sie mich verunsichert.

Bevor ich antworten kann, klingelt es an der Tür und dankbar greife ich die Chance zur Flucht.

„Das dürfte der Schlüsseldienst sein“, sage ich und springe vom Sofa. Ich brauche mich nicht umzudrehen, um ihren perplexen Gesichtsausdruck zu sehen.

Ich bin so ein Vollidiot!, beschimpfe ich mich gedanklich, während ich zur Tür gehe. Schwungvoll reiße ich sie auf und erschrecke damit den Menschen vom Schlüsseldienst.

„Guten Abend“, grüße ich höflich und versuche mich an einem kleinen Lächeln. „Schön, dass Sie so schnell kommen konnten.“

„Dafür sind wir doch da. Sie haben gesagt, dass Ihnen der Schlüssel geklaut wurde und Sie ein neues Schloss wollen?“

Ich nicke zustimmend und verwickle den Mann in ein Gespräch. Zum Glück braucht er keine tiefgehenden Details und ist gut vorbereitet. Innerhalb von zwanzig Minuten ist das Schloss ausgetauscht und er drückt mir drei neue Schlüssel in die Hand.

„Hier, das sind die neuen Schlüssel, die Ihnen hoffentlich nicht so schnell abhandenkommen“, meint er mit einem Augenzwinkern.

„Oh, wir werden gut auf sie aufpassen. So einen Ärger brauchen wir wirklich nicht noch einmal“, erwidere ich todernst. Danach erkundige ich mich noch nach dem Preis und setze schließlich meine Unterschrift auf seinen Auftragsbogen.

„Vielen Dank! Auf Wiedersehen“, verabschiede ich den netten Herren und schließe die Tür. Mit den Schlüsseln in der Hand drehe ich mich um und bin nicht sonderlich überrascht, Erika mit verschränkten Armen und abwartendem Blick hinter mir stehen zu sehen. Es ist eindeutig, dass sie endlich eine Antwort haben möchte. Zunächst halte ich ihr die neuen Schlüssel hin.

„Hier, das Schloss ist ausgetauscht und damit ist zumindest ein Problem erledigt.“

Mit königlicher Eleganz nimmt sie die Schlüssel entgegen, ohne sie wirklich zu beachten. Erika steht relativ weit oben in der Rudelhierarchie und hat daher eine gewisse Dominanz. Normalerweise lässt sie das nicht heraushängen, aber in diesem Moment ist es überdeutlich. Sie erwartet von mir eine ehrliche Antwort und wird weitere Ausreden nicht gelten lassen. Das ist nur fair, außerdem ist ein angepisster Werwolf nichts, womit man sich wirklich herumschlagen möchte.

„Nun?“, fragt sie.

Ergeben seufze ich. Was bleibt mir denn für eine Wahl?

„Erika, das war ein Scherz.“ Ihr Blick wird nicht unbedingt freundlicher, daher beeile ich mich, weiterzusprechen. „Dass du eine schöne Frau bist, brauche ich dir nicht zu erklären.“ Ich zucke mit den Schultern. „Wir sind zwar nur befreundet, aber selbst mir entgeht das nicht. Immerhin bin ich nicht blind.“

Einen Augenblick lang glaube ich, so etwas wie Enttäuschung in ihrem Gesicht zu sehen. Der Ausdruck verschwindet jedoch so schnell, dass ich mir sicher bin, ihn mir nur eingebildet zu haben. Wir kennen uns nun schon seit vier Jahren und nie hat einer von uns versucht, mehr als eine tiefe Freundschaft daraus zu machen. Ehrlich gesagt, habe ich mir nie Gedanken über die Gründe dafür gemacht und möchte es auch gerade nicht. Wir haben wichtigere Probleme zu lösen, schließlich ist ein Irrer hinter ihr her.

„Danke, dass du dich um den Schlüsseldienst gekümmert hast“, meint Erika schließlich und lässt das andere Thema ruhen, wofür ich ihr wirklich dankbar bin.

„Kein Problem. Das war nun wirklich das Einfachste an der ganzen Sache. Soll ich dann lieber die Wohnung verlassen, wenn Valeria kommt? Ich möchte nicht, dass sie dir ihre Hilfe verweigert, nur weil ich im selben Raum wie sie bin.“

Sie überlegt einen Moment und schüttelt schließlich den Kopf. „Nein, bitte bleib. Du kannst dich im Wohnzimmer aufhalten, während sie hier ist. Immerhin ist das deine zukünftige Wohnung.“ Sie sieht mich fragend an. „Wenn du noch willst?“

Es ist durchaus möglich, dass ich einen Fehler mache, aber: „Ich ziehe ein, wenn du möchtest, wenigstens, bis das Problem mit Ralf gelöst ist. Danach sehen wir weiter.“

In der jetzigen Situation will ich sie nur ungern alleine lassen und ich habe nicht sonderlich viel Gepäck, was einen Umzug einfacher macht.

„Du bist ein Schatz, Fabian. Danke!“, meint sie erleichtert und drückt mich kurz an sich. Dann geht sie wieder auf Abstand. „Wann möchtest du denn einziehen? Hast du überhaupt Möbel oder so etwas? Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie du im Hausmannsturm lebst.“

„Na ja, viel Gepäck habe ich nicht. Was ich an Möbeln besitze, ist eingelagert.“ Ich bemerke, dass sie mich hoffnungsvoll ansieht. „Wenn du magst, dann kann ich auch heute schon hier einziehen. Ich müsste dafür bloß ein paar Sachen holen gehen.“

„Das würdest du wirklich für mich tun?“, fragt sie erstaunt.

„Klar, schließlich kann ich dich schlecht alleine lassen. Wenn ich sowieso hier einziehe, kann ich das auch heute machen.“ Mir fällt auf, dass es da nur ein klitzekleines Problem gibt. „Ähm?“

„Was?“, fragt Erika besorgt.

„Ich hab mich nur gefragt, wo ich schlafen werde. Das eigentliche Zimmer ist ja gerade nicht wirklich bewohnbar.“

„Mist! Das hatte ich ganz vergessen!“ Nachdenklich runzelt sie die Stirn. „Mhm, außer dem Wohnzimmer und meinem gibt es ja keine Möglichkeiten. Bad und Küche scheiden ja schon aus Prinzip aus.“

Ich überlege. „Beides ist Südseite, oder?“

„Leider.“

„Sonnenrollos im Wohnzimmer?“

„Nein. Verdammt, das ist mir entfallen! Durch den nachträglichen Anbau des Balkons gibt es keine.“ Sie zögert einen Moment. „Dann kommt ja nur noch mein Zimmer in Frage.“

Mir ist das überhaupt nicht recht. Das ist zu viel Kontakt in zu kurzer Zeit. Wir brauchen beide unsere Freiräume.

„Es gibt vielleicht noch eine andere Möglichkeit“, sage ich daher.

„Welche denn? Du verträgst doch kein Sonnenlicht.“

„Das stimmt, aber ich will dir auch nicht auf die Pelle rücken oder dich gar aus deinem Zimmer vertreiben.“

Erika errötet. Irgendwie bekomme ich das Gefühl, dass hier noch etwas läuft, von dem ich keine Ahnung habe. So, wie sie reagiert, wäre sie definitiv im Zimmer geblieben, was ja auch ihr gutes Recht ist. Aber wer will denn bitte auf Tuchfühlung mit einem Vampir gehen?

„Was denn?“

Nun bin ich ein bisschen schüchtern. Sie wird bestimmt lachen.

„Na ja, ich habe noch meinen Sarg. Den könnte man theoretisch auch hinter das Sofa stellen und mit irgendwas abdecken. Dann hast du deine Ruhe und musst keine Rücksicht auf mich nehmen.“

Sie schaut mich entsetzt an. „Du schläfst tatsächlich in einem Sarg?!“

Ich merke, dass ich ein wenig rot werde, zucke aber mit den Schultern. „Es ist vielleicht nicht so bequem wie ein Bett, aber lichtgeschützt und wenn ich schlafe, ist das egal. Außerdem könnte ich ein Bett ganz schlecht im Hausmannsturm vor den neugierigen Menschen verstecken.“

Nachdenklich kaut Erika an ihrer Unterlippe herum und nickt schließlich. „Da hast du Recht. Ich habe mir ehrlich gesagt keine großen Gedanken gemacht, wie du dort tatsächlich lebst. Es erstaunt mich, dass du es so lange ausgehalten hast.“

Ich bin froh, dass sie nicht abgestoßen von mir ist und auch, dass sie aufgehört hat, mit ihren weißen Zähnchen an ihrer vollen Unterlippe zu nagen. Irgendwie hat mich der Anblick mehr abgelenkt, als er dürfte. Allerdings stört ihre nächste Frage meinen zurückgewonnenen Frieden.

„Du kannst aber ganz normal in einem Bett schlafen, wenn du vor dem Licht geschützt bist?“

„Ja, klar. Das mit dem Sarg hat rein praktische Gründe. Früher war es ein bisschen schwieriger, einen Platz zum Schlafen zu finden, wo man bei Sonnenaufgang nicht als Häufchen Asche endet. Ich empfinde ein Bett auch bequemer, aber ich schlafe tagsüber sowieso wie ein Toter. Daher ist es nicht so schlimm, in der Kiste zu sein.“

„Ein passendes Bild“, meint Erika und verzieht leicht das Gesicht. Sterbliche haben definitiv ein Problem mit Särgen. Trotz ihrer verhältnismäßig langen Lebenszeit gehören Werwölfe dazu. „Kann dich denn gar nichts wecken?“, fragt sie neugierig.

„Ich würde sagen, dass schon einiges passieren muss, damit ich wach werde. Allerdings ruhe ich ja nur. Wenn Gefahr in Verzug oder etwas extrem laut ist, wache ich auf.“ Ich zögere einen Moment, aber als zukünftige Mitbewohnerin sollte sie es besser wissen, zu ihrer eigenen Sicherheit.

„Was?“, fragt sie, als sie meine Unsicherheit bemerkt.

„Na ja, wenn ich geweckt werden sollte, dann kann es sein, dass ich erst einmal im Vampirmodus bin und dich vielleicht angreife, wenn du mir zu nahe bist. Falls das passiert, darfst du dich nicht wehren. Im Normalfall bin ich innerhalb eines Herzschlags bei klarem Verstand. Ich kenne deinen Geruch und weiß, dass du keine Gefahr bist. Wenn du jedoch gegen mich kämpfst, bleibt mein Körper auf Abwehr. Glaub mir, das ist nicht so hübsch. Da du kein Feind bist, wird es aber nicht tödlich enden.“

Ich kann sehen, dass meine Worte Erika beunruhigen. Das ist jedoch besser als sie in Gefahr zu bringen. Sie schluckt und sieht mich dann unverwandt an.

„Ich danke dir für deine Ehrlichkeit. Mir wird langsam klar, warum du die Einsamkeit bevorzugst und dich so lange gegen mein Angebot gesträubt hast.“

„Es ist nicht einfach, mit einem Vampir zusammenzuleben, und ich kann auch verstehen, wenn du dir lieber einen normalen Mitbewohner suchen möchtest.“

Ihre Reaktion auf das gutgemeinte Angebot haut mich jedoch um. Wortwörtlich, denn Erika macht erst große Augen und wird auf einmal wütend.

„Spinnst du?! Hältst du mich etwa für so feige und wankelmütig?“

Sie gibt mir einen kräftigen Schubs, der mich an der nächsten Wand landen lässt. Damit beweist sie eindrucksvoll, dass sie kein schwaches Mädchen ist. Bevor ich etwas erwidern kann, redet Erika weiter und baut sich drohend vor mir auf. Irgendetwas scheint bei mir kaputt zu sein, denn ich finde sie gerade echt heiß. Allerdings sollte ich das besser nicht erwähnen, wenn ich Wert auf meine Gesundheit lege.

„Außerdem zeigt unser Zimmerproblem eindeutig, wie viel es mir bringt, einen normalen Mitbewohner zu haben. Immerhin versuchst du nicht, mir etwas anzutun, und bist ehrlich.“

Fasziniert stelle ich fest, dass ihre Iriden eine andere Farbe bekommen, wenn sie wütend ist. Es scheint, als käme ihre Wölfin in solchen Situationen durch. Ich kann nicht abstreiten, dass der goldbraune Ton ihrer Augen echt ungewöhnlich ist.

„Sag mal, ändert sich deine Augenfarbe immer, wenn du deinen Gefühlen freien Lauf lässt?“, entschlüpft es mir.

Erika versteift sich, blinzelt einmal und schlagartig sind ihre Augen wieder in ihrem üblichen warmen Dunkelbraun. Sie flucht leise und will sich abwenden.

So einfach kommst du mir aber nicht davon. Mit einer schnellen Bewegung packe ich ihren Arm und nun ist sie es, die mit dem Rücken zur Wand steht. Links und rechts von ihrem Kopf platziere ich meine Hände und kessele sie damit ein. Ihr überraschter Gesichtsausdruck ist Gold wert und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Hey Wölfchen, das Spiel beherrsche ich auch.“

Ich mag oftmals zurückhaltend sein, besitze jedoch durchaus das Herz eines Jägers. In dieser Hinsicht stehe ich den Wölfen in nichts nach, ganz im Gegenteil.

„Ich bin ein Raubtier, Erika. Das solltest du niemals vergessen, auch wenn du nicht auf dem Speiseplan stehst.“

Um dieser Warnung mehr Bedeutung zu geben, lasse ich die körperlichen Veränderungen zu, die mich als das kennzeichnen, was ich wirklich bin. Meine Fänge fahren sich aus und an der veränderten Sicht erkenne ich, dass die Transformation abgeschlossen ist. Allerdings wäre Erikas entsetztes Keuchen Hinweis genug. Ich bin aber noch lange nicht fertig. Mit einer Hand schiebe ich ihre blonden Locken zur Seite und entblöße ihren Hals. Aufmerksam beobachte ich sie, während ich meinen Kopf senke. Ich kann hören, wie sich ihr Herzschlag beschleunigt und nicht verhindern, dass mich die Situation erregt. In diesem Augenblick sind wir gerade nicht Erika und Fabian, sondern Beute und Jäger. Sie scheint sich dessen und meiner Worte von eben bewusst zu sein, denn sie verhält sich ruhig. Träge streichle ich mit einem Finger an ihrem Hals entlang und spüre, wie ein Zittern durch ihren Körper geht. Das deutliche Pulsieren ihrer Halsschlagader zieht mich an und ich presse meine geschlossenen Lippen darauf. Erikas Hand krallt sich in meine Schulter, doch sie sagt nichts und stößt mich auch nicht von sich. Ich atme tief ein und genieße ihr köstliches Aroma. Es ist ein süßer Duft, der mir wohlbekannt ist, in den sich aber neue Noten mischen.

„Ich kann deine Angst riechen, auch wenn sie noch so gering sein mag. Ich habe dir das Angebot vorhin nicht gemacht, weil ich dich für wankelmütig halte. Ganz im Gegenteil. Ich mag dich sehr. Ich halte dich für eine intelligente junge Frau, die aufgrund der Risiken an ihre Sicherheit denkt und damit auch ihren neuen Mitbewohner überdenkt“, flüstere ich ihr ins Ohr.

„Aber das tue ich doch. Fabian, bitte“, erwidert sie mit belegter Stimme. „Ich weiß, dass du mich nie absichtlich verletzten würdest und das ist alles, was im Moment für mich zählt.“

Ihre Aussage und die ganzen Gefühle, die in ihr mitschwingen, führen dazu, dass sich meine dämonische Seite schlagartig zurückzieht. Ich richte mich auf und fahre mit meiner Hand über ihre Wange. Das bringt sie dazu, mich anzusehen.

„Du weißt, dass ich dir das ohne Probleme versprechen kann. Ich wollte nur nicht, dass du dich unbewusst in Gefahr begibst oder schockiert bist, wenn ich meine wahre Natur nicht unter Verschluss halten kann. Egal, was die moderne Literatur glaubt, Vampire sind nun mal nicht klein und niedlich. Nur haben die meisten von uns genug Willen und Verstand, um den Dämon unter Kontrolle zu halten.“

„Ich weiß es eigentlich“, gibt Erika zu. „Du machst es mir nur zu leicht, alle Warnungen über Vampire zu vergessen, die ich schon von frühester Kindheit an eingetrichtert bekommen habe.“ Sie errötet ein wenig und ich kann ein leichtes Zittern in ihrem Körper spüren. Anscheinend hat meine kleine Demonstration sie mehr mitgenommen als beabsichtigt.

„Verzeih mir. Ich wollte dich nicht verängstigen“, entschuldige ich mich. Als ich jedoch einen Schritt zurücktreten will, hält sie mich nicht nur mit ihrer Hand auf meiner Schulter davon ab.

„Fabian, halte mich bitte nur einen Moment lang, bis ich mich wieder gefangen habe. Ich glaube, das ist gerade ein bisschen zu viel auf einmal für mich.“

Wer so einer Bitte widerstehen kann, hat kein Herz. Meins schlägt zwar nicht mehr, aber deswegen bin ich nicht gleich gefühllos.

„Hey, alles wird gut“, sage ich und nehme Erika in den Arm.

Sie verkriecht sich förmlich in mir. In diesem Augenblick wird mir klar, dass ich sie niemals mit ihren Problemen alleine lassen könnte. Dafür ist sie im Laufe der letzten Jahre einfach zu wichtig für mich geworden. Ich kann spüren, wie durcheinander sie ist und mir geht es nicht anders. Der Abend hatte bis jetzt einige Überraschungen zu bieten, von denen die wenigsten angenehm waren. Dabei steht uns der Besuch der Hexe und Vampirhasserin noch bevor. Eigentlich ist es überraschend, dass wir uns dazu hinreißen lassen, unsere andere Seite so vor dem Anderen zur Schau zu stellen. Wir wissen beide nur zu gut, wie wir die Kontrolle behalten. So sehr ich auch darüber nachdenke, ich kann mich nicht erinnern, dass wir in den ganzen Jahren aneinandergeraten wären. Noch nicht mal in der Anfangszeit unserer Freundschaft, als wir mehr Vorurteile gegeneinander hatten. Normalerweise harmonieren wir gut miteinander, was wir auch jetzt noch tun, aber irgendwie ist alles anders. Es ist nicht so, dass ich in dieser Zeit aktiv verdrängt hätte, dass sie eine Frau ist, aber wir hatten auch nicht so viel Körperkontakt. Heute gab es mehr als genug Situationen, in denen wir einander sehr nah waren.

Ich kann nicht umhin, zu bemerken, wie gut es sich anfühlt, sie in meinen Armen zu haben. Mir fällt auf, dass wir immer noch im Flur stehen. Irgendwie ist das völlig untergegangen. Ich lege mein Kinn auf ihrem Kopf ab und bemerke, dass sie langsam ruhiger wird. Meine Hände haben sich wieder einmal selbstständig gemacht und streicheln ihren Rücken. Tief luftholend schließe ich die Augen, versuche einfach, an nichts zu denken und diesen Moment zu genießen. In gewisser Hinsicht dürstet es mich nach zwischenmenschlicher Nähe, aber ich habe gelernt, mir dieses Vergnügen zu versagen, da es im Nachgang meist noch schlimmer ist, allein zu sein. Es ist etwas Besonderes jemanden so zu halten, vor allem da Erika meine Nähe sucht, obwohl sie weiß, was ich bin. Ich mag, wie sie riecht, irgendwie nach Wald und Sonnenschein. Jetzt, da der Geruch der Angst verflogen ist, finde ich es noch besser. Es passt einfach nicht zu ihr, sich vor etwas oder jemandem zu fürchten. Überrascht reiße ich die Augen auf, als ich noch etwas anderes wahrnehme: Einen Hauch Erregung und nicht nur meine Hände streicheln ihren Rücken, sondern ihre stehlen sich gerade unter mein T-Shirt. Ich kann einen kleinen Schauer nicht unterdrücken, denn ihre Finger sind kühl und das Ganze ist einfach ungewohnt. Es reicht jedoch aus, um Erika aufzuschrecken, und sie zuckt aus meinen Armen zurück.

„Oh Gott, es tut mir leid. Ich wollte nicht …“, stottert sie und wird mehr als nur ein bisschen rot.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. „Ähm, was genau wolltest du nicht?“

Als sie nicht antwortet und zu Boden blickt, muntert mich das nicht gerade auf.

„Es ist schon okay, wenn du mich nicht berühren willst“, meine ich daher und wende mich ab.

Ich möchte wirklich nicht darüber sinnieren, was dieser dumpfe Schmerz bedeutet, der sich bei diesem Gedanken in mir ausbreitet. Irgendwie hatte ich angenommen, dass sie über mein Vampirsein hinwegsehen kann, auch wenn ich es ihr gerade erst demonstriert habe. Dieser Abend gleicht einer emotionalen Achterbahnfahrt und mir wird bewusst, warum ich in den letzten Jahrzehnten die Einsamkeit gesucht habe.

„Fabian, warte!“, erklingt es hinter mir.

„Was? Du brauchst keine Angst haben, dass ich dich alleine lasse, bevor das Problem mit Ralf gelöst ist. Ich stehe zu meinem Versprechen. Allerdings musst du dich schon entscheiden, was du willst“, gebe ich nicht sonderlich nett zurück und setze meinen Weg zur Küche fort. Ich kann ihre kleinen Füße auf dem Parkett hören und bin nicht überrascht, als sie mich am Arm festhält.

„Fabian! Lass es mich doch wenigstens erklären.“ Ihre Stimme hat einen flehenden Tonfall und ich müsste ihr wehtun, um ihren Griff zu lösen. Egal wie genervt ich gerade bin, das möchte ich nicht. Ungeduldig drehe ich mich zu ihr um und ziehe fragend eine Augenbraue in die Höhe.

„Auf die Erklärung bin ich jetzt wirklich gespannt.“ Ich verschränke meine Arme und sehe sie abwartend an.

Erika ist sichtlich nervös und nimmt ihre Hand weg. „Fabian, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht beleidigen.“

„Aber?“, frage ich, als sie nicht weiterspricht. „Du bist diejenige, die meine Nähe gesucht hat. Ich verstehe dich gerade einfach nicht“, meine ich kopfschüttelnd. „Erst hängst du an mir wie eine Klette und im nächsten Moment zuckst du weg, als hättest du dich verbrannt. Ich bin keiner deiner Wölfe oder Menschen, die du einfach von dir stoßen kannst, wie es dir passt.“

Das war nicht sonderlich fair und ich kann sehen, dass meine Worte sie verletzen. Aber Erika wäre nicht sie selbst, wenn sie sich dadurch abschrecken ließe.

„Mhm, nach meinem Zögern vorhin habe ich solche Worte wahrscheinlich verdient“, murmelt sie und schaut mich schließlich an. „Es ist alles so kompliziert und ich weiß gerade selbst nicht wirklich, was mit mir los ist.“ Sie fährt sich mit einer Hand durch die Haare und wirkt ein bisschen verloren. „Weißt du, deine Demonstration vorhin hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen und der ganze Ärger mit Ralf macht es auch nicht besser. Du bist ein so guter Freund, dass ich einfach Angst habe, dich zu verlieren.“

„Warum verlieren?“, frage ich sie.

„Seit wir uns kennen, bist du mein Fels in der Brandung. Ich kann mich immer auf dich verlassen und muss keinerlei Ansprüchen gerecht werden. Aber irgendwie hat sich das in letzter Zeit verändert, zumindest für mich“, flüstert sie.

Ich löse meine verschränkten Arme und streiche ihr mit einer Hand eine vorwitzige Locke aus dem Gesicht. „Was hat sich verändert?“, frage ich sie leise.

„Das hier …“ Sie zeigt mit dem Finger zwischen uns hin und her. „Wenn du mich so ansiehst, dann …“

Weiter kommt sie nicht, denn wir schrecken bei dem schrillen Klingeln an der Tür auseinander.

Wie verhext

Mist, das ist echt perfektes Timing, denke ich und halte Erika fest, bevor sie zur Tür gehen kann. „Das hier ist noch nicht geklärt.“

„Ich weiß“, erwidert sie sichtlich nervös und geht dann an die Gegensprechanlage.

„Hallo? Sind Sie noch da?“

Ich höre sie erleichtert ausatmen. „Es tut mir leid, Valeria. Ich war gerade im Bad und bin nicht schneller an die Tür gekommen.“

Das ist zwar gelogen, aber sie würde wohl kaum Pluspunkte sammeln, wenn sie die Wahrheit sagt. Da die Hexe Vampire offenkundig nicht leiden kann, verziehe ich mich vorsichtshalber ins Wohnzimmer. Zwar ist mir nicht wohl dabei, Erika mit ihr alleine zu lassen, aber es ist wichtiger, dass Ralfs Hinterlassenschaften schnell entfernt werden. Zum Glück sind meine Ohren gut genug, um sie trotzdem hören zu können, falls etwas sein sollte. Ich bin wirklich neugierig, was Valeria macht. Meines Wissens nach bin ich noch nie einer echten Hexe begegnet.

Ich höre, wie die Wohnungstür geöffnet wird und Erika unsere Besucherin begrüßt.

„Hallo, vielen Dank, dass Sie so schnell gekommen sind. Wir wissen das wirklich zu schätzen.“

„Hallo, Erika. Mir wäre es recht, wenn wir die Sache so schnell wie möglich hinter uns bringen könnten. Ich möchte nicht mehr Zeit als notwendig in Gesellschaft eines Vampirs verbringen“, erwidert eine andere weibliche Stimme, die ein wenig zu hoch klingt. Anscheinend beunruhigt sie meine Anwesenheit wirklich.

„In Ordnung, auch wenn Fabian keine Gefahr für Sie darstellt und ein ganz lieber ist.“

„Warten Sie nur ab. Ich hätte das vor einiger Zeit auch behauptet, wurde aber schmerzhaft eines Besseren belehrt.“

Diese Aussage macht mich wirklich neugierig.

„Wo ist er?“, höre ich Valeria fragen.

„Im Wohnzimmer. Wir dachten, es sei besser, wenn Sie sich nicht begegnen. Harry meinte, dass Sie schlechte Erfahrungen mit Vampiren gemacht haben, aber ich wollte ihn bei mir behalten.“

Überrascht registriere ich, dass sich Schritte auf das Wohnzimmer zubewegen und weiche zum Sofa zurück. Es kommt wahrscheinlich nicht gut an, wenn sie mich direkt an der Tür vorfinden. Diese geht auf und zusammen mit Erika betritt die Hexe das Zimmer. Einen Augenblick lang kann ich sie nur anstarren, denn die Gute ist eine eindrucksvolle Erscheinung. Sie hat lange dunkle Haare, die bis zu ihren Hüften reichen, blaue Augen, die dramatisch geschminkt sind und mich aufmerksam mustern. Ihre Lippen sind voll und ergeben ein stimmiges Gesamtbild. Gerade sind sie jedoch fest zusammengepresst. Ich würde vermuten, dass unter ihren Vorfahren Zigeuner sind, denn ihre Haut hat einen goldbraunen Teint und die ganze Art passt einfach dazu. Eine weiße Bluse bedeckt ihren Oberkörper und ein langer, wallender Rock fällt bis zu ihren Füßen in mehreren Lagen herab. Die Hexe hat einladende Kurven und ist durchaus eine exotische Schönheit. Mich fasziniert jedoch viel mehr die starke Energie, die von ihr ausgeht.

„Ist irgendetwas passiert?“, frage ich Erika.

Diese zuckt mit den Schultern. „Fabian, das ist Valeria. Valeria, das ist Fabian, ein guter Freund von mir und mein neuer Mitbewohner.“

„Hallo Valeria, vielen Dank, dass Sie uns helfen wollen“, grüße ich höflich, bleibe aber stehen, wo ich bin.

Einen Moment herrscht Stille, während mich die Hexe unter die Lupe nimmt. Ich kann verstehen, warum ein Vampir von ihr angezogen wurde, mal ganz von ihrem Aussehen abgesehen. Die Magie in ihr ist deutlich zu spüren und ein machtgieriger Vampir könnte durchaus verleitet sein, sich einen Teil davon abzuknapsen. Mein Blick fällt auf ihren Hals und ich sehe, dass sie trotz der warmen Temperaturen einen Schal trägt. Generell zeigt sie ungewöhnlich wenig Haut, wie mir bewusst wird. Das lässt nichts Gutes ahnen.

„Was hat er Ihnen angetan?“, frage ich sie und überrasche damit alle, mich eingenommen.

Valeria verengt die Augen zu Schlitzen. „Was er mir angetan hat?“ Sie greift nach ihrem Halstuch und zieht es weg. Das, was darunter zum Vorschein kommt, ist übel.

„Heilige Scheiße!“, stoße ich entsetzt aus. Selbst auf die große Entfernung von der Tür zum Sofa, wo ich stehe, kann ich die hässlichen Narben sehen. Sie ziehen sich über ihren ganzen Hals und lassen keinerlei Fragen über ihre Herkunft offen.

„Ein Sadist“, murmele ich und komme vorsichtig näher. Da ich bemerke, wie sich Valeria verspannt, hebe ich meine Hände in einer Art Friedensgeste. „Keine Angst, ich will es mir nur etwas genauer anschauen und werde Sie keinesfalls berühren.“

Meine Zusicherung scheint sie etwas zu beruhigen. Allerdings kann ich ihre Abneigung deutlich spüren und auch ihre Furcht.

„Wenn Sie mich für so dumm halten, dass ich einem Vampir glaube, dann haben Sie sich geschnitten!“

Mittlerweile stehe ich einige Armlängen entfernt vor den beiden Frauen und kann die Verletzungen mehr als deutlich sehen. Erika ist sichtlich blass geworden und ich kann es ihr nicht verdenken.

„Ich verstehe, warum Sie Vampire so sehr hassen. Er hat eine Blutbar aus Ihnen gemacht und die Wunden noch nicht einmal versorgt.“ Die verschiedenen Bisspuren deuten aber noch auf etwas anderes hin. „Die Gelenke sehen auch nicht viel besser aus, oder?“, wage ich zu vermuten.

Valeria schüttelt den Kopf und hat sichtlich mit der Situation zu kämpfen. Das war ganz und gar eine traumatische Erfahrung für die junge Frau und ich bin erstaunt, dass sie jetzt vor mir steht.

„Es waren mehrere, oder? Ihr Ex-Freund hat Sie anderen angeboten und Sie damit fast umgebracht.“ Ich kann spüren, wie sich eine ziemliche Wut in mir aufbaut. Valeria wurde im wahrsten Sinne des Wortes als Blutwirtin missbraucht. Von einem Vampir, der keinerlei Skrupel kennt.

„Ja, er hat sich einen Spaß daraus gemacht, mich zu bannen und an seine Freunde zu verfüttern.“

„Ich hoffe, Sie haben es ihm anständig heimgezahlt. Er hätte es sehr wohl verdient, sich den nächsten Sonnenaufgang anzusehen.“

Meine harten Worte scheinen beide Frauen zu überraschen. Ich zucke nur mit den Schultern und setze zu einer Erklärung an: „Es gibt auch für uns Vampire klare Regeln. Es ist uns zwar erlaubt, Menschen zu beißen, weil wir uns nicht anders ernähren können, aber jeglicher Missbrauch und Gefährdung sind verboten. Wir können es uns nicht leisten, die Menschen zu schädigen und zu viel Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Das da“, ich nicke zu Valerias Hals, „ist eindeutig das Werk eines echten Sadisten. Wenn Sie ihn nicht unschädlich gemacht haben, dann werde ich ihn melden.“

Sichtlich erschüttert, schaut mich Valeria an. „Ich hätte nicht gedacht, dass mich mal die Worte eines Vampirs trösten würden … Aber ich habe mich schon selbst um Alexander und seine Spießgesellen gekümmert, nachdem ich mich von der letzten Attacke erholt hatte. Sie können niemandem mehr schaden.“

„Das ist gut zu wissen und Sie werden auch keine Probleme deswegen bekommen. Jeder, der sieht, was er Ihnen angetan hat, wäre versucht, den Kerl in der Luft zu zerreißen. Wenn Sie möchten, dann kann ich den Vorfall trotzdem melden, damit Sie nicht noch belästigt werden.“

Die Hexe macht große Augen und ich lächle sie beruhigend an.

„Wenn jemand von uns verschwindet, dann wirft es oftmals Fragen auf und wir wollen nicht, dass sie mit den Leuten konfrontiert werden, die sie im Normalfall stellen.“

„Heißt das, dass es irgendwo eine lange Liste mit Namen gibt? Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie alle von euch finden können“, fragt mich Erika erstaunt.

Schulterzuckend sehe ich zu ihr. „Ich habe keine Ahnung, wie sie es machen, aber ich weiß, dass sie einen Überblick haben. Es ist nicht erlaubt, neue Vampire zu schaffen, ohne die Einwilligung des Rates einzuholen. Jeder weiß, dass es sehr gefährlich ist, wenn man sich den Gesetzen zu oft widersetzt. Wenn man schon keine Moral mehr besitzt, dann macht einem die Androhung der Strafen ausreichend Angst, um das Schlimmste zu verhindern.“

„Ich weiß, was du meinst. Das gleiche Prinzip gilt bei uns auch, allerdings sind wir in erster Linie unserem Alpha unterstellt. Aber mit dem möchte sich eigentlich keiner anlegen.“

Erstaunt dreht sich Valeria zu Erika um. „Sie sind ein Werwolf?“

„Ja, ich hatte vergessen, das zu erwähnen, oder?“

„So könnte man es auch sagen“, murmelt die Hexe und sieht dann zwischen uns beiden hin und her. „Verstehe ich richtig, dass eine Werwölfin und ein Vampir befreundet sind und sogar zusammenziehen wollen?!“

„Japp, das ist vollkommen korrekt“, bestätige ich. „Erika ist gar nicht so übel für ein mondsüchtiges Fellknäuel.“

„Und Fabian ist auch ganz okay für einen elenden Blutsauger“, gibt Erika grinsend zurück.

„Ich glaube, ich muss mich setzen“, meint Valeria nur und geht mit wackeligen Beinen zum Sofa.

„Soll ich uns vielleicht einen Tee machen?“, bietet Erika an.

„Ja, gern. Ich muss mich erst einmal sammeln, bevor ich mich um das eigentliche Problem kümmern kann.“

Auch wenn die Hexe ihre Abneigung für den Moment vergessen hat, bleibe ich lieber auf Abstand.

„Sie wissen nicht viel über uns, oder?“

Überrascht hebt sie den Kopf. „Nein, anscheinend nicht. Bis ich Alex kennenlernte, wusste ich nicht mehr als die üblichen Gerüchte. Er hat sich nicht die Mühe gemacht, mich über die herrschenden Gesetze aufzuklären oder mir zu sagen, was er ist.“

„Das wäre zu gefährlich für ihn gewesen, denn dann hätten Sie gewusst, dass Sie sich Hilfe holen könnten.“

„Wahrscheinlich“, stimmt sie mir zu. „Sie sind so anders als er und seine Freunde. Ihre Aura ist viel heller und nicht schwarz wie seine. Nach meinen Erfahrungen mit Alex hatte ich angenommen, dass alle Vampire so sind.“

Ich lächle traurig. „Das kann ich gut verstehen. Bei den Vampiren verhält es sich nicht anders als bei den Menschen. Es gibt gute und schlechte Individuen. Wir haben zwar unser menschliches Leben hinter uns gelassen, aber sind deswegen nicht gleich blutrünstige Dämonen. Die wenigsten sind wirklich böse, aber es gibt leider einige, die sich von der Macht, die wir über andere ausüben können, verführen lassen. Ich lebe seit über zweihundert Jahren, aber für mich stellen Menschen nicht nur Nahrung dar. Schließlich war ich selbst mal einer mit Freunden und Familie.“

„Zweihundert Jahre?“ Valeria sieht mich erstaunt an.

„Ja, ich bin schon etwas älter, aber noch lange nicht alt im vampirischen Sinne. Ich kann mich noch ganz gut an die Konflikte mit den Werwölfen erinnern, aber die waren schon damals nicht so schlimm, wie es gern dargestellt wird. Wir versuchen eigentlich, einander aus dem Weg zu gehen.“

„Und trotzdem wollen Sie mit einem Werwolf zusammenziehen?“

Ich zucke mit den Schultern. „Erika und ich kennen uns schon seit ein paar Jahren und haben uns angefreundet. Es gibt zwar hier und da ein paar blöde Blicke, aber es wird von beiden Seiten toleriert. Die Menschen lassen uns nicht viele Möglichkeiten, so extrem, wie sie sich ausbreiten.“

„Außerdem braucht Fabian eine neue Bleibe und ich einen Mitbewohner“, fügt Erika hinzu, als sie mit dem Tee ins Zimmer kommt und jedem eine Tasse eingießt.

Ich setze mich zu den Damen aufs Sofa, versuche aber so viel Abstand wie möglich zu Valeria zu halten. Selbst, wenn sie ihre Abneigung gegen Vampire überwinden kann, möchte ich ihr wirklich nicht zu nahe kommen. Erika hingegen hat keine Probleme mit Nähe und setzt sich zu mir.

„Im Moment ist mein Ex-Mitbewohner das Problem und der war ein Mensch“, meint sie zu Valeria. „Bei Fabian weiß ich immerhin, woran ich bin und wir müssen uns voreinander nicht verstellen.“

„Aha, das muss schön sein“, antwortet die Hexe.

„Es hat definitiv Vorteile, obwohl ich auch im Rudel leben könnte. Nur engt mich das zu sehr ein.“ Sie sieht Valeria neugierig an. „Haben Sie denn keine Freunde, die wissen, was Sie sind?“

Diese lacht traurig. „Nein, außer Harry und meiner kleinen Familie weiß es keiner. Die wenigsten würden wirklich verstehen, was das bedeutet. Sie sind keine schlechten Menschen, aber viele möchten nur das sehen, was sie kennen und alles andere kann es nicht geben.“

„Das tut mir leid, aber es ist der Grund, warum wir uns vor den Menschen versteckt halten. Sie sind so intolerant untereinander, dass wir uns nicht ausmalen wollen, was sie mit Vampiren oder Werwölfen machen würden. Eine moderne Inquisition hätte verheerende Folgen.“

„Ohne Zweifel. In meiner Ahnenreihe sind einige auf dem Scheiterhaufen gelandet, nur weil sie versuchten, anderen Menschen zu helfen“, stimmt Valeria zu. „Aber das ist jetzt nicht von Bedeutung. Wenn Harry Ihnen meine Nummer gegeben hat, vertraut er Ihnen, das reicht mir.“

„So lange Sie aus Ihrem Besuch in der Werwolf-Vampir-WG keine Titelstory für die Presse machen, reicht uns das auch aus“, bemerke ich nicht ohne Humor. „Harry meinte, Sie könnten uns helfen, dieses komische Pentagramm unschädlich zu machen. Erika würde wirklich besser schlafen, wenn es aus der Wohnung verschwindet.“

„Und du hättest dann auch ein eigenes Zimmer, wo du dich so richtig schön ausbreiten kannst.“

„Mhm, das klingt gut, allerdings sollten wir vorher wohl lieber die restlichen Möbel überprüfen. Nicht, dass wir noch eine böse Überraschung finden“, gebe ich zu bedenken.

„Da hast du wahrscheinlich recht“, stimmt Erika mir zu. „Das werden wir heute Nacht aber nicht mehr schaffen.“

Ich werfe einen Blick auf die Uhr und erschrecke ein wenig. Es ist schon recht spät. „Die Nächte im Sommer sind einfach zu kurz. Hast du eigentlich ein Auto? Dann ginge das mit dem Transport ein bisschen schneller.“

Valeria sieht uns mit großen Augen an. „Ihr wollt den Umzug noch heute Nacht machen?“

„Na ja, tagsüber fällt leider flach und solange wir Ralf nicht gefunden haben, sollte Erika nicht allein in der Wohnung bleiben. Ich habe nur wenig Zeug in meiner jetzigen Residenz und kann es recht schnell zusammensuchen“, erkläre ich ihr.

„Tja, dann sollte ich mich wohl lieber an die Arbeit machen. Wo ist das Problem denn versteckt?“

Wir erheben uns gemeinsam und Erika führt Valeria den Flur entlang zu Ralfs Zimmer.

„Hier drin. Wir haben es eher durch Zufall entdeckt.“ Sie schließt die Tür auf, aber öffnet diese noch nicht. „Ich muss Sie vorwarnen. Mein Ex-Mitbewohner scheint ein Problem mit mir zu haben. Fabian hatte heute schon das Pech in eine Falle zu geraten. Seien Sie also bitte vorsichtig.“

Valeria nickt. „Irgendwie bekomme ich langsam das Gefühl, dass eine WG mit einem Vampir auch Vorteile haben könnte“, meint sie schließlich, als wir im Zimmer stehen.

Erika und ich sehen uns überrascht an. So einen Spruch hätten wir nicht erwartet.

„Ist es denn wirklich so schlimm, wie Harry meinte?“, erkundige ich mich.

„Es ist zumindest nicht gut und ein ganz schönes Stück Arbeit“, gibt Valeria seufzend zu. Dann mustert sie das Zimmer. „Ich kann sonst nichts Derartiges im Raum wahrnehmen, aber das schützt euch nicht vor weiteren mechanischen Fallen.“

„Nein, leider nicht. Ich hatte zwar begonnen, das Zimmer zu durchsuchen, aber das haben wir nach der Entdeckung des Pentagramms dann abgebrochen.“

„Eine weise Entscheidung. Jetzt brauche ich erst einmal Platz zum Arbeiten.“

„In Ordnung. Sollen wir das Bett hochkant ans Fenster stellen? Ich muss bloß vorher diese hübsche Vorrichtung deaktivieren“, biete ich an.

„Das wäre gut. Ich muss ein paar Bannkreise ziehen und meine ganzen Utensilien platzieren.“

Ich nicke und nähere mich vorsichtig dem Bett. Die Matratze hatten wir ja schon hochgehoben und so den Mechanismus ausgelöst. Nun packe ich das Teil und stelle es vor das Fenster. Damit ist sie nicht nur aufgeräumt, sondern verdeckt zum Großteil auch das Sichtfeld, falls doch jemand zu uns sehen sollte. Es hat definitiv Vorteile ein Vampir zu sein, denn sonst wäre das eine ziemliche Plackerei. Während Valeria ihre Sachen holt, schieben Erika und ich das Bettgestell in Richtung Fenster. Nachdenklich stehen wir vor Ralfs Konstruktion.

„Denkst du, dass wir es einfach zerstören sollten?“, fragt sie mich ratlos.

„Ich habe keine Ahnung. Es kann nicht schaden, auf Nummer sicher zu gehen. Der Sender kann vielleicht irgendwie deaktiviert werden, aber der Rest ist für sich genommen eh Schrott.“

„Mhm, meinst du, wir könnten ihn über den Sender orten oder so?“

„Vielleicht. Ich muss mich darüber aber erst belesen“, gebe ich zu bedenken.

„Wenn ihr wollt, kann ich später mein Glück mit dem Teil versuchen“, wirft Valeria ein, als sie den Raum betritt.

„Ich gehe davon aus, dass sich Ihre Methode ein wenig von der üblichen unterscheidet“, sagt Erika interessiert.

Valeria lächelt sie an. „Ja, ich brauche keine Funkwellen. Mir ist wichtig, dass es etwas von der Person selbst ist. Haare, Blut oder Kleidungsstücke gehen genauso, wobei die ersten zwei, die mit Abstand sichersten sind.“

„Das wundert mich jetzt nicht.“

Valeria lacht nur über meine trockene Bemerkung und macht sich an die Arbeit. Ich wende mich wieder dem Bett zu und reiße kurzerhand die komische Vorrichtung aus dem Rahmen.

„Mhm, das ging ja mal schnell. Was machen wir mit dem Rest?“, fragt mich Erika.

„Na ja, am besten Lattenrost raus und dann stelle ich das Unterteil zur Matratze.“

Erika nickt und macht sich daran, den billigen Lattenrost zusammenzurollen. Als das geschafft ist, fasse ich unter die eine Seite des Bettes und stemme es hoch. Wirklich schwer ist es nicht, aber dafür umso staubiger.

„Bäh, reinlich war er ja nicht gerade.“

„Nein, anscheinend nicht. Was willst du eigentlich mit den ganzen Möbeln machen?“, fragt mich Erika.

Ich sehe mich nachdenklich um. „Ehrlich gesagt, würde ich nur ungern die Sachen hier stehen lassen. Sonst übersehen wir vielleicht etwas und von so einem Irren möchte ich nichts in meinem Zimmer haben.“

„Das kann ich nur zu gut verstehen. Wollen wir sie entsorgen oder versuchen, sie zu verkaufen?“

„Entweder wir verkaufen sie über eine Kleinanzeige oder wir rufen den sozialen Möbeldienst an, wenn die Schränke noch brauchbar sind. Die Entscheidung liegt bei dir, du bist die Hauptmieterin. Ich benötige das Geld nicht, von daher ist es mir egal.“

„Wahrscheinlich ist das mit dem Möbeldienst die einfachste Lösung. Die holen den Kram gleich gesammelt ab und dann kannst du anfangen, dich neu einzurichten“, schlägt sie vor.

„Wir können es gern so machen. Allerdings wirst du wohl zu dem Termin da sein müssen, falls sie nicht zufällig erst nach Sonnenuntergang vorbeikommen.“

Erika grinst mich an. „Du hast auch immer eine gute Ausrede. Aber die Haushaltsaufgaben teilen wir gleichmäßig ein.“

„Klar, du musst dich nur damit abfinden, dass ich sie zu anderen Zeiten erledige, als du gewohnt bist.“

„Oh Mann, das kann ja heiter werden!“, sagt sie nicht ohne Humor.

„Tja, dafür brauchst du keine Angst zu haben, dass ich dir den Kühlschrank leer futtere. Ich gehe lieber auswärts essen.“

Ich bemerke, dass Valeria uns anstarrt, und befürchte schon, etwas zu indiskret gewesen zu sein.

„Ist alles in Ordnung bei Ihnen? Wenn wir Sie stören, verlassen wir den Raum.“

Sie schüttelt verwundert den Kopf. „Ich war nur überrascht, dass Sie so offen über Ihre Ernährung reden und es auch wieder nicht tun.“

Erika lacht. „Ich befürchte, wir haben Sie ein wenig vergessen, Valeria. Fabian und ich kennen uns schon eine Weile und daher machen wir auch den einen oder anderen Witz darüber. Das muss Ihnen gefühllos vorkommen, nach dem, was Sie erlebt haben. Es tut mir leid. Ich weiß zwar, wie sich Fabian ernährt, aber wir sind sehr gut darin, die direkte Bezeichnung zu umgehen.“

„Na ja, es ist ein großer Unterschied etwas zu wissen oder es demonstriert zu bekommen“, meine ich nur und sehe dann die Hexe ernst an. „Ich bin sehr vorsichtig, was meine Spender angeht und sehr darauf bedacht, ihnen nicht zu schaden. Das ist zwar ein größerer Aufwand, weil ich mir mehrere Leute pro Nacht suchen muss, aber am Ende ist es für uns alle besser.“ Wie auf ein geheimes Kommando knurrt mein Magen und ich werde rot.

Valeria schaut mich erschrocken an.

„Entschuldigung“, murmle ich. Vielleicht war das ein bisschen zu viel Information für die Arme. „Ich glaube, ich muss doch mal einen Blick in deinen Kühlschrank werfen, Erika.“

„Ja, mach ruhig. Wenn es dir hilft“, meint sie und begleitet mich zur Tür. „Du musst dich heute noch nähren, oder?“, flüstert sie und schaut mich besorgt an. „Du bist ein bisschen blass um die Nase.“

„Ja, muss ich. Das kleine Zwischenspiel mit dem Betäubungspfeil hat ziemlich viel Energie gekostet.“ Ich sehe zu Valeria und zurück zu meiner Wölfin. „Wenn das für euch beide okay ist, könnten wir Valeria ja hier ihre Arbeit machen lassen und mein Zeug holen gehen. Dann würdest du mit dem Auto fahren und ich genehmige mir einen kleinen Schluck, bevor ich zu dir stoße.“

„Du kannst auch jetzt schnell gehen, wenn es so dringend ist. Mit ihr bin ich ja recht gut geschützt.“

„Bist du dir sicher? Ich habe keine Ahnung, wie sie damit umgehen wird. Wenn ich verschwinde, weiß sie, was ich tue.“

Erika zuckt mit den Schultern. „Ihre Abneigung hat schon nachgelassen. Außerdem waren wir ein bisschen zu indiskret. Du musst etwas trinken, sonst gibst du einen schlechten Beschützer ab, weil du die ganze Zeit auf meinen Hals starrst.“

„Hey, das würde ich nie tun! Auch wenn du einen sehr hübschen Hals hast, Wölfchen.“ Damit habe ich es wieder geschafft, uns in eine peinliche Situation zu bringen, denn Erika wird rot.

„Findest du wirklich?“

Ich glaube, langsam wird mir klar, was sie vorhin meinte. Irgendetwas hat sich zwischen uns verändert. „Ja, dein Hals ist ebenso hübsch wie der Rest von dir. Du weißt, dass ich keine falschen Komplimente verteile.“ Bevor einer von uns auf dumme Gedanken kommen kann, gehe ich lieber etwas futtern. „Wenn das in Ordnung ist, dann bin ich mal kurz weg. Kann ich mir deinen Schlüssel ausleihen?“

Es ist deutlich, dass der spontane Themenwechsel sie verwirrt, aber Erika hat sich schnell gefasst und nickt. „Klar, mach ruhig, Du musst nur den neuen Wohnungsschlüssel noch dran machen. Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um unseren Besuch.“

„Danke.“ Ich kann der Versuchung nicht widerstehen und streichle über ihre Wange. „Wir reden später, ja?“

„Ja. Sei vorsichtig.“

„Das bin ich doch immer“, beruhige ich sie.

Zwischen uns hat sich wirklich einiges verändert, ohne dass wir es mitbekommen haben …

Alles anders (Erika)

Ein wenig wackelig auf den Beinen drehe ich mich um und gehe zurück ins Zimmer. Ich kann noch immer nicht fassen, dass ich Fabian mehr mag, als es für Freunde üblich ist. Wie lange das schon so ist, kann ich nicht mehr sagen. Anfangs war es wirklich nur eine Freundschaft, eine sehr ungewöhnliche noch dazu. Selbst nach all den Jahren, die ich ihn jetzt schon kenne, darf ich mir ab und zu anhören, wie verrückt ich doch bin, weil ich mit einem Vampir Umgang habe. Meine Pläne für die WG sind dementsprechend auch auf viel Gegenliebe gestoßen …

Na ja, was soll ich machen? Ich versuche jetzt schon seit einem Jahr ziemlich viel, damit es nur bei der Freundschaft bleibt. Es gab einige Situationen, in denen ich mich arg zusammenreißen musste, um ihn nicht anzuspringen. Ich habe versucht, ein bisschen auf Abstand zu gehen und ihn nicht so oft zu berühren. Das fiel und fällt mir ungeheuer schwer. Etwas zieht mich mit unglaublicher Kraft zu ihm. Allerdings haben meine Entbehrungen nicht wirklich geholfen. In letzter Zeit hat sich unser Verhältnis zueinander verändert und immer scheint eine unterschwellige Spannung da zu sein, wenn wir zusammen sind. Nur war ich mir nie sicher, ob Fabian es auch bemerkt oder ob ich das einzige Opfer wirrer Gefühle bin. Ein bisschen schiebe ich meine Probleme mit Ralf auch darauf, dass ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt war, um zu bemerken, was mein eigener Mitbewohner ausheckt.

Vielleicht habe ich ihn einmal zu oft abgewiesen ... Ich weiß es nicht, aber die ganze Situation mit Fabian schlägt mir auf das Gemüt. Während unseres kleinen Streites vorhin ist mir bewusst geworden, dass ich mich durchaus selbst Ralf gegenüber verraten haben könnte. Mein Blutsauger hat schon recht mit der Feststellung, dass sich meine Augenfarbe ändert, wenn ich zu aufgebracht bin, um meine Wölfin unter Kontrolle zu halten. Ich untertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass mir Ralf irgendwann ziemlich auf die Nerven ging. Es ist durchaus möglich, dass er Hoffnungen hegte. Jedoch habe ich von Anfang an klar gemacht, dass ich keine Beziehung innerhalb der WG möchte. Irgendwann schlug die ganze Geschichte um. Aus dem flirtenden, netten Mitbewohner wurde ein unberechenbarer und jähzorniger Mann, den ich nicht wiedererkannte. Ich bin kein zartes Blümchen, das bei einer leichten Berührung einknickt und habe lange und hart für meine Unabhängigkeit gekämpft. Ein ‚kleiner Mensch‘ sollte eigentlich kein Problem für mich darstellen, auch wenn es auf den ersten Blick wie ein unfairer Kampf aussähe. Tatsächlich bin ich eigentlich diejenige, die ihn in die Tasche stecken sollte. Ich habe keine Ahnung, wie Ralf mich so in die Ecke drängen konnte. Erst war er nur launisch und dann wurde es zu einem regelrechten Psychoterror. Ich fühlte mich ständig von ihm beobachtet und hatte Angst, es noch schlimmer zu machen, wenn ich meine übernatürliche Stärke genutzt hätte, um ihn loszuwerden. Damit manövrierte ich mich in eine ausweglose Situation. Das ist auch ein Grund, warum ich es bisher niemandem erzählt habe. Gewissermaßen ist es mir peinlich, und dass so etwas passiert ist, macht mir Angst.

Mir war klar, dass sich ein Zusammenleben mit Fabian schwierig gestalten könnte, weil ich Gefühle für ihn habe. Aber immerhin hätte ich so die Chance herauszufinden, wie er zu mir steht. Ehrlich gesagt, hat der Abend in dieser Hinsicht mehr als genug Stoff zum Nachdenken hervorgebracht. Die hübschen Hinterlassenschaften von Ralf haben mir gerade noch gefehlt …

Ich tauche aus meinen Gedanken auf und bemerke, dass Valeria mich komisch ansieht.

„Gibt es ein Problem?“, erkundige ich mich höflich und leicht verwirrt.

Sie macht ein nachdenkliches Gesicht und schaut zur Tür. „Ich weiß nicht. Wohin geht er?“

„Fabian?“ Ähm, schlechte Frage … Ich mustere Valeria, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich ihr die Wahrheit sagen sollte. Sie scheint, ihre anfängliche und sehr gut nachvollziehbare Abneigung gegen Vampire oder zumindest meinen Vampir abgelegt zu haben. Gedanklich zucke ich mit den Schultern. Es könnte wesentlich schlimmere Folgen haben, wenn ich es ihr verheimliche.

„Er ist schnell etwas trinken gegangen“, sage ich daher nur. Unter uns würde ich sagen, dass er sich ‚etwas zum Beißen‘ gesucht hat, aber das ist wohl der falsche Ausdruck gegenüber einer traumatisierten Hexe, deren Hilfe wir noch brauchen.

„Sie meinen jetzt nichts aus der Küche, oder?“

„Nein, ich lagere kein Blut im Kühlschrank“, gebe ich zu. Ich versuche zwar, mir nicht zu bewusst zu machen, was Fabian zum Leben braucht, aber es bringt nichts, um den heißen Brei herumzureden.

Valeria wird ziemlich blass und ich rechne schon fast damit, dass ich sie auffangen muss.

„Hey, machen Sie sich keine Sorgen. Fabian würde Sie nicht anrühren und er achtet wirklich darauf, dass er seinen Spendern nicht schadet“, versuche ich, sie zu beruhigen.

„Wie können Sie sich da so sicher sein? Sie sind doch nicht dabei.“

Und ich habe auch viel Wert darauf gelegt, dass es so bleibt. „Das stimmt, ich bin nicht dabei, aber ich kenne Fabian.“

„Das habe ich von meinem Ex-Freund auch gedacht“, gibt sie mit schmerzverzogener Miene zu. „Er hat mich jedoch eines Besseren belehrt.“

Ein Blick auf ihren vernarbten Hals reicht aus, damit mir ein wenig übel wird. So viel Brutalität ist schwer zu ertragen. „Von klein auf wurde mir eingetrichtert, was für hinterhältige und egoistische Wesen Vampire sind, aber als ich Fabian kennenlernte, erkannte ich, dass er anders ist.“ Ich ergreife sanft ihre Hände. Es tut mir weh, sie so zu sehen, und es bestärkt auch meine Zweifel, die ich an einer Beziehung mit Fabian habe.

„Im Gegensatz zu Ihnen wusste ich jedoch, dass es sie gibt, außerdem stehe ich sozusagen nicht auf der Speisekarte. Die viel beschworene Feindschaft zwischen Vampiren und Werwölfen ist schon seit vielen Jahrzehnten nichts weiter als ein Überbleibsel aus grauer Vorzeit. Die Vorurteile haben sich jedoch gehalten. Daher war ich sehr skeptisch, als ich ihm begegnete und bemerkte, was er ist.“

„Wie sind Sie sich denn begegnet und wie konnten Sie damals erkennen, was er ist?“, fragt Valeria. Ihr Gesicht zeigt eine Mischung aus Neugier und Furcht. Mir wird klar, dass sie eigentlich nichts über uns weiß.

„Ich kann spüren, ob jemand menschlich ist oder nicht. Bei Vampiren ist es ähnlich.“ Es ist nur schwierig, es anderen zu erklären. „Mhm, man könnte es als siebten Sinn bezeichnen. Jede magische Art hat quasi ihren eigenen Geruch, wenn Sie so wollen. Sie riechen wie ein Mensch, weil Sie ja auch einer sind, aber Ihre Magie sendet deutliche Schwingungen aus.“

Valeria nickt und ich bin erleichtert. „Vampire riechen also anders?“

„Ja, aber der Geruch ist schwer zu beschreiben und hat natürlich individuelle Noten. Es hat aber nichts mit Leichen oder Erde zu tun. Sonst wäre es auch ziemlich ekelig.“ Ich muss einen Moment überlegen. „Sie riechen angenehm. Fabian hat mir erklärt, dass Vampire Pheromone ausstoßen können, um Menschen anzulocken und in ihren Bann zu schlagen. Bei Wölfen scheint das aber nicht zu funktionieren und generell versuchen wir, einander zu meiden.“

„Wie kommt es dann, dass Sie mit einem zusammenziehen wollen?“

Tja, wenn ich das so genau wüsste …

„Wir kennen uns schon seit einigen Jahren und in dieser Zeit ist er von der unverhofften Bekanntschaft zu einem meiner engsten Freunde geworden. Wir verstehen uns trotz unserer Unterschiede gut und können uns über alles unterhalten. Keiner muss sich verstellen und so tun als wäre er ein normaler Mensch. Das ist schön. Im Rudel oder bei meinen Eltern muss ich mich auch nicht verstellen, aber Fabian ist anders. Er erwartet nichts von mir und möchte mich auch in keine Form pressen. Im Gegenzug dazu akzeptiere ich ihn, wie er ist.“

„Es muss schön sein, so jemanden zu haben“, meint sie und ihre Stimme klingt sehnsüchtig.

„Gibt es denn wirklich niemanden, bei dem Sie sie selbst sein können?“ Die Vorstellung ist schrecklich. Wenn man anders ist, dann hilft es sehr, dass man mit jemandem darüber reden kann und trotzdem geliebt wird.

Valeria schüttelt den Kopf. „Nicht so, wie Sie das mit Ihrem Vampir oder Ihren Rudelmitgliedern sein können. Meine Familie besteht nur noch aus meiner Großmutter und sie ist auch diejenige, von der ich die Kräfte geerbt habe. Wir sprechen nicht oft darüber. Meine Großmutter ist toll, aber eben nicht mehr die jüngste. Nach der Erfahrung mit Alex hatte ich auch kein Bedürfnis, mich an andere magische Wesen zu wenden.“

Valeria erscheint in diesem Augenblick sehr einsam und verletzlich.

Mir wird einiges klar. „Sie haben mit niemandem über Ihre Probleme mit diesem langzahnigen Arschloch geredet.“ Es ist keine Frage, das wissen wir beide. Ich drücke aufmunternd ihre Hände. „Wenn Sie mal mit jemandem sprechen wollen, ich bin gut im Zuhören.“

Sie ringt sich ein tapferes Lächeln ab. „Danke, das bedeutet mir wirklich sehr viel. Ihr Vampir hat mir vorhin schon ziemlich deutlich gezeigt, dass Alex‘ Verhalten auch unter ihresgleichen geächtet ist. Ich habe wirklich erwartet, dass sie alle so sind …“

„Machen Sie sich deswegen keine Vorwürfe. Sie konnten es nicht besser wissen und bei Ihren Erlebnissen ist es verständlicherweise schwer, nicht alle über einen Kamm zu scheren. Wenn Sie mögen, dann kann Ihnen Fabian sicher helfen, einige Dinge besser zu verstehen.“

Eine ihrer Hände geht unbewusst zu ihrem Hals. „Ich glaube, es wird eine Weile dauern, bis ich mich einem Vampir nähern kann. Das hier ist gerade schon ein ziemlicher Schock für mich.“ Sie wird ein wenig rot und blickt auf den Fußboden.

„Vorhin hatte ich ziemliche Angst“, gibt sie leise zu. „Als ich ihren Vampir das erste Mal sah, dachte ich kurzzeitig, Alex stünde vor mir, obwohl sie sich nicht ähneln.“ Valeria sieht auf und in ihrem Blick stehen Angst und Unsicherheit. „Ich musste mich sehr beherrschen, nicht wieder raus zu rennen, aber ich wollte mir beweisen, dass ich eine Konfrontation überleben kann. Den Unterschied hat seine Reaktion auf meinen Hals gemacht. Ich hätte nicht erwartet, dass ein Vampir so entsetzt und wütend deswegen sein würde.“

Ich kann nur ansatzweise erahnen, was alles in ihr vorgeht, doch ihr Schmerz ist so deutlich, dass ich sie einfach umarmen muss. So etwas sollte niemand erleben und auch nicht allein verarbeiten müssen. Für einen Herzschlag versteift sie sich, aber dann erwidert sie meine Umarmung. Für mich als Wolf ist körperliche Nähe zu meinen Lieben so notwendig wie für Fabian das Blut. Ohne würde ich irgendwann jämmerlich zu Grunde gehen. Ich kann es daher nicht mitansehen, wenn andere leiden.

„Alles wird gut, Valeria. Sie brauchen nur Zeit, um über die Schrecken hinweg zu kommen. Wenn Sie wollen, dann helfen wir Ihnen gern dabei.“

„Danke. Vielleicht werde ich das Angebot annehmen“, antwortet sie und löst sich von mir.

„Tun Sie das. Manchmal sind die ungewöhnlichsten auch die besten Freunde“, meine ich und zwinkere ihr zu.

Ein kleines Lächeln legt sich auf ihre Lippen. „Ich merke schon. Aber nun erzählen Sie mir doch bitte, wie Sie den Vampir kennen gelernt haben.“

„Er hat einen Namen, Valeria. Ich traf Fabian vor vier Jahren bei einer nächtlichen Tour durch die Altstadt. Er arbeitet ab und zu als Stadtführer und läuft mit den Touristengruppen durch die Gegend. Da er ja schon so lange hier lebt, sind seine Erzählungen über das alte Dresden so lebendig, dass ich davon fasziniert war. Ich beobachtete eine ganze Weile, wie er auf die vielfältigen Fragen antwortete und mit den Touristen umging. Fabian hat eine angenehme Stimme und ist ein guter Erzähler. Ich hätte ihm an dem Abend noch ewig zuhören können. Allerdings war die Führung recht bald zu Ende und ich furchtbar neugierig. Daher ging ich zu ihm, um mich über die nächtliche Runde zu erkundigen. Ich habe weiß Gott genug Stadtführungen miterlebt, aber keine hat mich so gefesselt wie diese.“

In meinen Gedanken taucht diese Nacht wieder vor mir auf und ich muss grinsen. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie überrascht ich war, als ich ihn ansprach und er sich zu mir umdrehte. Bis dahin bin ich Vampiren immer aus dem Weg gegangen und so viele treiben sich in Dresden auch nicht herum. Ich glaube, wir waren beide ziemlich erstaunt, als wir erkannten, was der jeweils Andere war. Fabians Gesichtsausdruck war auch zu herrlich“, meine ich und muss kurz lachen.

„Allerdings wird meiner nicht besser gewesen sein. Er fing sich recht schnell und fragte in seiner so eigenen Art, was er denn für mich tun könnte. Ich sehe ihn noch genau vor mir, wie er diese Frage mit erhobener Augenbraue und einem belustigten Funkeln in den Augen stellte. Eigentlich hätte ich zu diesem Zeitpunkt einen Rückzieher gemacht, weil ich mich sehr gut an die schaurigen Geschichten erinnern konnte, die bei uns erzählt werden. Doch Fabian schien einfach nicht in das Bild zu passen, was ich von einem Vampir hatte.“

Ich zucke mit den Schultern. „Wir kamen ins Gespräch und als wir uns immer tiefgreifender unterhielten, lud er mich in eine der Bars ein. Trotz unserer gegenseitigen Vorurteile waren wir uns sympathisch. Natürlich hätte sich Fabian verstellen können, aber im Laufe der Nacht konnte ich nichts Derartiges feststellen. Ich habe noch nie so eine intensive Diskussion über Dresden geführt und dabei auch noch so viel gelernt. Danach verabschiedeten wir uns und dachten eigentlich, dass es sich damit erledigt hätte. Aber irgendwie liefen wir uns immer wieder über den Weg. Die Sympathie des ersten Abends hielt an und so wurde schließlich eine enge Freundschaft daraus.“

„Sie sind in ihn verliebt“, stellt die Hexe sachlich fest.

„Wie bitte?“, frage ich erschrocken und laufe rot an.

„Sie haben sich in ihn verliebt“, wiederholt Valeria und mustert mich.

Es ist verlockend, diese Sache abzustreiten, aber ich habe vor Kurzem eingesehen, dass Selbstbetrug mich nicht weiterbringt.

„Ja“, gebe ich seufzend zu, „und das ist ein bisschen kompliziert.“

„Das kann ich mir gut vorstellen.“ Sie schenkt mir ein verständnisvolles Lächeln. „Haben Sie es ihm gesagt?“

„Nein, aber er hat gemerkt, dass ich mich anders verhalte. Kurz bevor Sie kamen, wollten wir endlich darüber reden …“

„Oh, perfektes Timing also.“

„Genau. Allerdings weiß ich nicht, was ich ihm sagen soll. Es ist so schwer, wenn man keine Ahnung hat, was in dem Anderen vorgeht.“

Valeria mustert mich einen Augenblick. „Ich denke, er ist Ihnen zugeneigt. Sie gehen sehr vertraut miteinander um.“

„Das schon“, meine ich. „Aber ich habe gerade so viele Probleme und brauche ihn einfach als verlässlichen Freund an meiner Seite, der mich unterstützt. Ich will mir das nicht zerstören.“

„Ich verstehe das Dilemma, jedoch werden Sie Ihre Gefühle vor ihm nicht verheimlichen können, wenn Sie zusammen wohnen“, gibt Valeria zu bedenken.

„Ja, ich weiß, aber er braucht wirklich eine neue Bleibe und“, mit der Hand deute ich in Richtung des Pentagramms auf dem Boden. „Nach der ganzen Geschichte möchte ich nicht alleine sein. Mir ist klar, dass es nicht einfach wird, da wir sehr verschieden sind, doch Fabian würde mir nie absichtlich schaden.“

„Sie scheinen sich da sehr sicher zu sein“, sagt Valeria und ich kann ihre Zweifel spüren.

„Das bin ich auch. Seitdem ich ihn kenne, hat er sich mir gegenüber immer freundlich und fair verhalten. Ich habe mit der Zeit quasi vergessen, dass er ein Vampir ist. Es war für unsere Freundschaft einfach nicht wichtig. Allerdings hat er mir heute eindrucksvoll bewiesen, dass er auch anders sein kann.“ Bei dem Gedanken daran bekomme ich jetzt noch eine Gänsehaut.

„Was hat er Ihnen angetan?“

Der entsetzte und wütende Ton ihrer Stimme reißt mich aus meinen Erinnerungen und ich sehe die Hexe überrascht an.

„Angetan? Fabian hat mir nichts angetan, Valeria.“

Sie schaut mich verwirrt an und ich beeile mich, es ihr zu erklären. „Er hat mich nur über die Risiken aufgeklärt, die es mit sich bringt, wenn man mit einem Vampir zusammen lebt. Gleich im Anschluss hat er mir vorgeschlagen, dass ich mir vielleicht lieber einen ‚normalen‘ Mitbewohner suchen sollte.“

Ich bemerke, wie meine Wangen heiß werden, denn im Nachhinein sehe ich deutlich, dass ich überreagiert habe.

„Na ja, nach der ganzen Aufregung mit dem Pfeil sowie dem Pentagramm hier habe ich etwas zu ungehalten darauf geantwortet. Der Gedanke, dass er sich für unwürdig hält, mit mir zusammenzuwohnen, hat mich ziemlich aufgeregt. Ich war so wütend, dass ich mich nicht mehr unter Kontrolle hatte und ihn in eine Ecke drängte.“

Valerias Augen werden groß. Ihr ist durchaus klar, dass es eine schlechte Idee ist, einen Vampir in diese Situation zu bringen. „Und, und dann?“, fragt sie und schaut auf meinen Hals.

„Dann hat Fabian mir gezeigt, dass er auch anders sein kann. Ohne mir wehzutun“, füge ich schnell hinzu. Es fällt mir schwer, die Situation zu beschreiben, denn dadurch verrate ich mehr über meine Gefühle, als mir lieb ist. Allerdings ist mir bewusst, dass ich mehr sagen muss, damit Valeria keine Panik vor oder noch schlimmer Wut auf meinen Vampir bekommt.

„Ich kenne die Schauergeschichten über Vampire nur zu gut, habe ihn aber nicht wirklich damit in Verbindung gebracht und auch noch nie erlebt, dass er seine vampirische Seite dominieren lässt. Fabian mit roten Augen und ausgefahrenen Fängen zu sehen, hat mich ziemlich erschüttert. Das war es auch, was er erreichen wollte.“

Die Farbe in meinen Wangen vertieft sich. „Ich kann nicht behaupten, dass ich keine Angst hatte, mit dem Rücken zur Wand vor einem transformierten Vampir zu stehen, der sein Bestes gibt, um mir zu verdeutlichen, worauf ich mich einlasse …“

„Hat er Sie etwa gebissen?“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739360010
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (August)
Schlagworte
Hexen Geheimnisse Freundschaft Fantasy Werwölfe Schattenseiten Liebe Wortstürmer Vampire Humor Urban Fantasy Erotik Erotischer Liebesroman Liebesroman

Autor

  • Vanessa Carduie (Autor:in)

Vanessa Carduie erblickte an einem grauen Herbstmorgen 1988 in Dresden das Licht der Welt. Geschichten faszinierten sie von klein auf und bald folgten die ersten eigenen Erzählungen. Ihre Geschichten sind eine Mischung aus Liebesroman, Krimi und Fantasy, je nachdem, an welchem Projekt sie gerade arbeitet. Mit ihren Büchern möchte sie ihre Leserinnen und Leser zum Lachen, Weinen und manchmal auch zum Nachdenken bringen.
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Titel: WG mit Biss