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Neustadtzauber

Eine Geschichte voller Magie

von Vanessa Carduie (Autor:in)
490 Seiten
Reihe: Schattenseiten-Trilogie, Band 2

Zusammenfassung

Bis zu dieser einen, schrecklichen Nacht wusste sie nicht, dass es sie gibt: Vampire. Die junge Hexe Valeria hat Schreckliches überlebt, wenn auch nur knapp. Niemals hätte sie gedacht, dass sie die nächste Begegnung mit einem dieser Monster heil überstehen würde ... Doch ihre neuen Freunde Fabian und Erika geben ihr Bestes, um Valeria die Angst zu nehmen. Alles könnte schön sein, doch noch immer wird Valeria von Albträumen gepeinigt, die sie einfach nicht loslassen wollen. Es bleiben noch viele offene Fragen und die Bestrafung ihrer Peiniger steht bevor. Zu ihrem Schrecken löst Konstantin, der düstere Vollstrecker, totgeglaubte Gefühle in ihr aus. Wird Valeria jemals in der Lage sein, die Schatten der Vergangenheit zu überwinden und einem Vampir zu vertrauen? Nur ist dieser nicht der Einzige, der Valeria näher kommen will ...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


DAS BUCH

Bis zu dieser einen, schrecklichen Nacht wusste sie nicht, dass es sie gibt: Vampire. Die junge Hexe Valeria hat Schreckliches überlebt, wenn auch nur knapp. Niemals hätte sie gedacht, dass sie die nächste Begegnung mit einem dieser Monster heil überstehen würde ...

Ihre neuen Freunde Fabian und Erika geben ihr Bestes, um Valeria die Angst zu nehmen. Alles könnte schön sein, aber noch immer wird Valeria von Albträumen gepeinigt, die sie einfach nicht loslassen wollen. Es bleiben noch viele offene Fragen und die Bestrafung ihrer Peiniger steht bevor.

Zu ihrem Schrecken löst Konstantin, der düstere Vollstrecker, totgeglaubte Gefühle in ihr aus. Wird Valeria jemals in der Lage sein, die Schatten der Vergangenheit zu überwinden und einem Vampir zu vertrauen?

Nur ist dieser nicht der Einzige, der Valeria näher kommen will ...

 

DIE AUTORIN

Vanessa Carduie erblickte an einem grauen Herbstmorgen 1988 in Dresden das Licht der Welt. Geschichten faszinierten sie von klein auf und bald folgten die ersten eigenen Erzählungen. Mittlerweile hat sie einen Masterabschluss in Biologie und einige ihrer Geschichten fertig gestellt. Derzeit arbeitet sie am dritten Teil der Schattenseiten-Trilogie.

Ihre Geschichten sind eine Mischung aus Liebesroman, Krimi und Fantasy, je nachdem, an welchem Projekt sie gerade arbeitet. Mit ihren Büchern möchte sie ihre Leserinnen und Leser zum Lachen, Weinen und manchmal auch zum Nachdenken bringen. Dafür beschreitet sie auch gern ungewöhnliche Wege.

 

http://www.vanessa-carduie.com/

https://www.facebook.com/VanessaCarduieAutorin


 1. Vorwort

  

 

„Ich bin davon überzeugt,

dass uns erst die Begegnung mit der vollständigen Wahrheit

- dem gleißenden Licht und der schwärzesten Dunkelheit -

wirkliche Freiheit und Stärke schenkt.“

„Manchmal erscheint es einfacher,

sich nach dem Tod zu sehnen,

als sich wirklich auf das Leben einzulassen.“

Aus „SeelenGevögelt“ von Veit Lindau

 


 2. Vorwort

Was ist Leben?

Nicht nur Sonnenschein und Freude.

Auch wenn wir es nicht bemerken, die Schatten lauern überall.

Einen von uns werden sie finden und fangen.

Was wirst du tun, wenn es dich erwischt?

Kämpfen oder untergehen?

Was aber, wenn du die Dunkelheit umarmst?

Nicht alles, was in den Schatten lebt, ist böse.

Nicht alles, was unter der Sonne wandelt, ist gut.

Schwarz und Weiß gibt es nicht.

Manchmal entsteht aus der größten Finsternis

etwas Wunderbares.

Wenn du den Mut dazu hast.


Der Traum

Ich liege in meinem Bett und schlafe. Unruhig wälze ich mich hin und her. Was habe ich nicht alles versucht, um ihm zu entkommen? Ich bin nicht schwach und doch bin ich ihm hilflos ausgeliefert. Immer und immer wieder schleicht er sich an und dringt in mich ein, zerreißt mich innerlich und hinterlässt tiefe Spuren. Auch äußerlich bin ich gezeichnet - vielleicht für immer. Jeder Blick in den Spiegel oder einfach nur an meinem Körper entlang bringt die Erinnerungen an diese eine Nacht zurück. Wach ist das schlimm genug, aber im Schlaf bin ich dem Grauen hilflos ausgeliefert. Schweiß bildet sich auf meiner Haut, während ich gegen den Sog der Finsternis ankämpfe, die mich zu verschlingen droht. Doch es nützt nichts. Wieder muss ich diese schrecklichen Momente durchleben …

 

Acht Wochen zuvor …

 

Die Nacht ist gerade hereingebrochen. Mein Tag war anstrengend und ich will einfach niemanden mehr sehen. Innerlich bin ich aufgewühlt. Ich fühle mich so zerschlagen und falsch an. Seit ich mit Alex zusammen bin, erkenne ich mich selbst nicht mehr.

Wenn ich alleine bin, sehe ich vieles klar und nicht selten erschrecke ich.

War ich das wirklich? Habe ich das tatsächlich getan? Warum?

Langsam habe ich das Gefühl, die Kontrolle über meinen Verstand, meinen Körper und mein Leben zu verlieren. Oft genug wollte ich Alex deswegen zur Rede stellen … aber sobald er vor mir steht, kann ich nichts tun. Wie von Zauberhand verschwindet meine Wut und ich bin ihm zu Diensten.

Ich fluche ausgiebig und kann das ungute Gefühl nicht abschütteln, dass hier etwas läuft, von dem ich keine Ahnung habe. Aus diesem Grund habe ich Alex gesagt, dass ich eine Auszeit brauche und ihn nicht sehen möchte. Wie gern würde ich darüber mit jemandem sprechen. Aber ich kann es nicht. Ich bin nicht normal und dieses Problem auch nicht. Nicht zum ersten Mal in meinem Leben verfluche ich den Umstand, dass ich eine Hexe bin. Ständig muss ich aufpassen, mich und meine Kräfte verstecken. Im Prinzip bin ich gezwungen, zwei Leben zu leben: das der esoterisch angehauchten Ladenbesitzerin Frau König und das von Valeria, der Hexe. Es ist schwer, meine Kräfte immer unter Verschluss zu halten, aber die Menschheit ist nicht bereit für Leute wie mich.

Ich komme einfach nicht weiter. Alex bringt alles ins Wanken, auf eine schlechte Art und Weise. Die meiste Zeit fühle ich mich wie eine Marionette, die an unsichtbaren Fäden hängt.

Gibt es denn niemanden, mit dem ich reden kann?

Ich schlage die Hände vors Gesicht und sinke auf den Boden meiner Küche. Meine Kräfte habe ich von meiner Großmutter geerbt. Sie war es, die mir alles beigebracht hat, was ich weiß. Doch sie ist alt und tief in mir spüre ich, dass auch sie mich bald verlassen wird.

Dann bin ich endgültig allein.

Als ich Alex kennenlernte, hoffte ich, diese Zeit wäre vorbei. Ich erkannte, dass er kein normaler Mensch ist. Doch was genau er ist, kann ich nicht sagen. Alles verschwimmt, wenn er in meiner Nähe ist, und meine sonst so verlässliche Sicht auf die Aura meines Gegenübers scheint bei ihm zu versagen.

Irgendetwas stimmt hier nicht. Dieser Gedanke verursacht mir Gänsehaut. Anfangs dachte ich, dass ich in Alex verliebt sei. Es ist ja bekannt, dass man da eine rosarote Brille trägt. Mittlerweile schrillen meine inneren Alarmglocken. So vieles ist passiert, was ich nicht verstehe und das macht mir große Angst.

Ich zucke zusammen, als mein Handy vibriert. So weit ist es schon mit mir gekommen. Kurzzeitig überlege ich, den Anruf einfach zu ignorieren, aber es könnte sein, dass jemand meine Hilfe braucht. Zittrig stehe ich auf und ergreife mein Handy. Ich entspanne mich etwas, als ich sehe, wer anruft.

„Hallo Harry“, sage ich und fluche leise, weil meine Stimme nicht sicherer ist als meine Beine.

„Valeria? Geht es dir nicht gut? Brauchst du Hilfe?“

Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Das ist so typisch für Harry. Ich will schon verneinen, als mir bewusst wird, dass ich gerade mit dem einzigen Menschen spreche, der mir vielleicht helfen könnte.

„Ich weiß nicht, Harry. Irgendwie habe ich das Gefühl, langsam die Kontrolle über mein Leben zu verlieren.“

„Wie kommst du darauf?“ Harry klingt erstaunt. „Was ist passiert?“

Es kostet mich einiges an Überwindung, aber ich schildere ihm meine Situation in groben Zügen.

„Oh verdammt! Valeria, das ist nicht gut, überhaupt nicht gut.“

„Was meinst du damit?“, frage ich.

Einen Moment herrscht Stille am anderen Ende der Leitung. Dann seufzt mein Bekannter.

„Wenn ich mich nicht stark irre, dann hast du ein Problem. Ein Vampir-Problem, um genau zu sein.“

„Vampir? Wie kommst du denn auf diese Idee?“ Gern würde ich lachen. Vampire gibt es nicht, das weiß doch jedes Kind! Doch leise Zweifel schleichen sich in meine Gedanken. Hexen gibt es doch auch …

„Ja, Vampire. Halte mich bitte nicht für verrückt. Ich lehne mich gerade ziemlich weit aus dem Fenster. Wenn sie mitbekommen, dass ich dir davon erzählt habe, könnte es Ärger geben.“ Harry klingt ehrlich besorgt.

Das macht mir Angst. „Was hat es damit auf sich und wen meinst du?“

Ein Seufzer. „Die Vampire. Sie mögen es nicht, wenn Sterbliche von ihnen wissen.“

„Aber …“ Mir fehlen die Worte. Noch ist mir nicht ganz klar, was Vampire mit meinem Problem zu tun haben.

„Glaub mir, es gibt sie und sie sind zu einigen Dingen fähig, die du dir nicht vorstellen kannst.“

„Was hat das mit mir zu tun?“, bringe ich gerade noch so heraus.

„Dein Freund. Ich denke, dass er ein Vampir ist. Aber ich kann das schlecht am Telefon erklären. Kann ich zu dir kommen? Dann erzähle ich dir alles, was ich über sie weiß. Vielleicht finden wir ja eine Lösung.“

Ich bin geschockt. Zu gern würde ich Harry für verrückt erklären und mit meinem alten Leben weitermachen.

Doch …

„Was auch immer Alex ist, er hat eine sonderbare Macht über mich.“

„Halte dich von ihm fern, Valeria. Bei dem, was du mir erzählt hast, würde ich vermuten, dass er nichts Gutes im Schilde führt. Ich mache mich sofort auf den Weg zu dir. Wenn ich da bin, erkläre ich dir alles. In Ordnung?“

Wie in Trance antworte ich: „Ja. Bis gleich, Harry.“

Ich beende den Anruf und das Telefon gleitet aus meiner zitternden Hand. Mein Herz rast, in meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Ich will mich nach meinem Handy bücken und erstarre, als ich einen leichten Lufthauch bemerke. Meine Nackenhaare stellen sich auf und meine Sinne schlagen Alarm. Ich versuche, mich zu beruhigen, und meine Kräfte zu rufen. Ich bin alles andere als wehrlos, aber die Panik vernebelt meinen Blick. Ich kann die Gefahr spüren, doch ich habe keine Ahnung, was auf mich zukommt. Kalte Finger streichen über meinen Hals. Ich wirble herum und traue meinen Augen kaum.

„A-alex, was machst du denn hier?“

Alex lächelt. Er hat ein schönes Gesicht, und auch sein Körper ist nicht zu verachten, doch mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken. Zum ersten Mal, seit ich ihn kenne, sehe ich seine Aura. Sie ist tiefschwarz.

„Valeria, Süße. Freust du dich denn nicht, mich zu sehen?“ Seine Stimme klingt fast liebevoll, doch alles ist falsch, eine Farce.

„Wie bist du hereingekommen?“

„Durch dein Schlafzimmerfenster. Du hast vergessen, es zu schließen.“

Ich bin fassungslos. Meine Wohnung liegt im zweiten Stock und es gibt nichts, woran man hochklettern könnte.

„Aber …“

Alex‘ Lächeln wird breiter. Es ist äußerst beunruhigend, so raubtierhaft. Ich komme mir wie das sprichwörtliche Lamm vor, das zur Schlachtbank geführt wird. Dann geschieht etwas, das ich zuerst nicht deuten kann. Während ich Alex anstarre, beginnt er, sich zu verändern. Erst subtil und dann wird es ganz deutlich. Vor meinen Augen verlängern sich seine Zähne. Sie werden zu langen, tödlichen Fängen. Entsetzt blicke ich auf und stolpere zurück.

„Oh Gott!“

„Der kann dir nicht helfen“, meint Alex hämisch und zeigt endlich sein wahres Gesicht. Seine Iriden sind blutrot. Zusammen mit den Eckzähnen ist das ein furchterregender Anblick.

„Was, was willst du von mir?“, frage ich mit zitternder Stimme.

Meine Füße sind wie angewurzelt, obwohl ich zurückweichen will. Es fühlt sich an, als hätte ich die Kontrolle über meinen Körper verloren. Panisch beobachte ich, wie Alex sich mir nähert. Mit seinen kalten Fingern streicht er über mein Gesicht, den Hals entlang und betatscht schließlich meine Brust.

„Was denkst du, kleine Hexe? Ich will meinen Spaß haben.“ Er entblößt seine Fänge und das Blut gefriert in meinen Adern. Sein Blick liegt auf meinem Hals und er leckt sich die Lippen. „Außerdem habe ich Hunger.“

Alles in mir schreit mich an, wegzulaufen, aber ich kann nicht. Ich verschließe meine Augen vor dem grauenvollen Anblick und versuche, meine Magie zu kanalisieren. Wie ein Feuer lodert sie in mir und ich mache mich bereit.

„Na, na. Wer wird denn hier so ungehorsam sein?“, tadelt mich Alex.

Ich schlage die Augen auf. Alex greift nach mir.

„Was zur Hölle?“, flucht er, als er mit Macht zurückgestoßen wird. Vor Wut kneift er die Augen zusammen und bleckt die Fänge. Gerade hat er überhaupt nichts Menschliches mehr an sich.

„Du willst also spielen?“, knurrt er. Dann lächelt er unheilvoll. „Das kannst du haben.“

Seine Selbstsicherheit verstärkt mein ungutes Gefühl. Einen Augenblick später weiß ich auch, warum. Kräftige Hände packen mich und ich spüre, wie mein Widerstand gegen meinen Willen erlahmt.

„Darf ich dir meine Freunde vorstellen? Das sind Klaas und Pit“, sagt Alex und ergreift mein Kinn. Er dreht meinen Kopf so, dass ich einen Blick auf die beiden Vampire hinter mir werfen kann. Ich muss kein Genie sein, um zu wissen, dass ich bis zum Hals in der Scheiße stecke.

„Die Kleine hat Feuer im Blut“, witzelt einer seiner Kumpane. Mir gefallen die Blicke der Männer nicht, ganz und gar nicht. Viel beängstigender ist aber, was ich deutlich an meinem Rücken spüre: einen erregten männlichen Körper.

Der andere streicht sich über seinen Bart und betrachtet mich hungrig. Ein Zittern läuft durch meinen Körper. Bitte lass das einen Albtraum sein, aus dem ich gleich erwache!

„Du hast nicht zu viel versprochen, Alex. Sie dürfte ein besonderer Leckerbissen und eine unterhaltsame Abwechslung sein.“

Meine Gedanken rasen, aber das ist leider das Einzige, was sich bewegt. Mittlerweile kann ich nicht einmal mehr sprechen. Wie auch immer sie es anstellen, sie kontrollieren meinen Körper.

„Du kennst mich doch. Ich bevorzuge exquisite Ware“, meint Alex und streicht über meinen Hals.

Seine linke Hand greift in meine Haare und reißt meinen Kopf zur Seite. Hilflos muss ich mit ansehen, wie er immer näher kommt und seine Fänge entblößt. Panisch versuche ich, der drohenden Gefahr zu entkommen, aber nicht mal ein kleines Zucken geht durch meinen Körper. Einen Herzschlag später spüre ich seine Zähne in meinem Hals. Ein stechender Schmerz lässt mich innerlich zusammenzucken und dann überflutet mich eine Welle ungewollter Lust. Es ist, als wäre ich nicht da und würde eine Fremde beobachten. Mein Verstand registriert, dass Alex mein Blut trinkt, und ich höre das Reißen meiner Kleidung, spüre ihre gierigen Finger. Doch ich kann nichts dagegen unternehmen.

Hände greifen nach mir, erobern, verletzen und unterwerfen, wo sie nur können. Ein neuer Schmerz dringt in mein vernebeltes Hirn und ich weiß, dass sich ein weiterer Vampir an mir labt. Sie zerren mich zu Boden und immer neue Schmerzen strömen auf mich ein. Immer und immer wieder beißen sie mich, überall, wo ihre hungrigen Münder Halt finden. Was ihnen mein Blut nicht geben kann, nehmen sie sich an anderer Stelle.

Mein Zeitgefühl geht verloren. Überall ist dieser Schmerz und die Verzweiflung droht, mich zu ersticken. Eine kleine Ecke meines Verstandes bemerkt alles, aber der Rest versinkt langsam aber sicher in der Dunkelheit. Ich bin in meinem eigenen Körper gefangen und kann nichts tun, nicht schreien, nicht um mich treten oder meine Magie gegen sie einsetzen. Ich fühle mich so hilflos wie noch nie in meinem Leben. Irgendwann will ich einfach nur noch, dass es endlich vorbei ist.

Als der Hunger der drei gestillt ist, lassen sie von mir ab. Blut klebt an meiner Haut, auf dem Fußboden und an den Mündern der Vampire, die lachend auf mich herabschauen.

Alex wirft mir eine Kusshand zu. „Du warst exquisit, meine Süße. Wir müssen jetzt leider gehen, aber ich denke, du wirst nicht lange genug leben, um das zu bedauern. Es ist Zeit, sich neuen Aufgaben zu widmen.“

Die drei Vampire lachen und verlassen in bester Feierlaune meine Wohnung durch die Tür, während ich wie ein zerbrochenes Püppchen auf dem Fußboden verblute. Ich kann spüren, wie die letzten, kostbaren Tropfen meines Blutes aus mir herausfließen. Alles tut furchtbar weh. Ich bin halb wahnsinnig und halb betäubt davon. Nur langsam dringt in meinen Verstand, dass ich mich wieder bewegen kann. Doch mir fehlt die Kraft. Resigniert schließe ich die Augen und will einfach nur noch sterben. Selbst, wenn mich jemand fände, so stehen die Chancen schlecht, dass sie mich retten können. Die Schwärze kommt auf mich zu und ich will sie willkommen heißen. Ich sehne mich nach dem Ende meiner Schmerzen, will vergessen, was gerade passiert ist.

Du kannst doch nicht einfach aufgeben!, schreit eine widerspenstige Stimme in mir. Willst du, dass sie gewinnen?

„Valeria!“

Immer wieder höre ich meinen Namen, aber ich kann nicht zuordnen, was es zu bedeuten hat. Doch es scheint, den Funken Lebenskraft anzufachen, der noch übrig ist. Ich spüre, wie ich gewaltsam aus der Schwärze gerissen werde und der Schmerz trifft mich mit aller Macht.

„Valeria! Kannst du mich hören?“

Warme Hände gleiten über mein Gesicht und ich nehme einen bekannten Geruch wahr.

„Oh mein Gott! Was soll ich nur tun?“

Irgendwie kommt mir die Stimme bekannt vor. Nur woher?

„Valeria! Komm schon! Du kannst jetzt nicht einfach aufgeben!“

Warum denn nicht?

„Der Krankenwagen ist unterwegs. Du musst durchhalten! Lass einen alten Mann wie mich nicht die Bürde tragen, schuld an deinem Tod zu sein.“

Harry. Seine Stimme klingt rau und verzweifelt. Ich frage mich, wie viel Zeit vergangen ist.

„Komm schon, Mädchen. Du bist viel zu jung zum Sterben. Mach es ihnen nicht so einfach. Wer soll sie denn aufhalten, wenn du stirbst? Valeria, bitte!“

 

 

Schweißgebadet schrecke ich hoch. Mein Bett ist zerwühlt und ich befühle panisch meinen Hals und meine Arme. Einen schrecklichen Moment lang sehe ich Blut, aber dann fühle ich die Narben. Übelkeit befällt mich und ich schleppe mich ins Bad. Ich schaffe es gerade so bis zur Toilette, bevor ich meinen kompletten Mageninhalt von mir gebe.

Zitternd sacke ich auf den Fliesen zusammen und lasse meinen Tränen freien Lauf.

Wann hört das endlich auf?!


Ein neuer Tag

Sonne.

Seit dieser schrecklichen Nacht bin ich süchtig nach ihr, denn im Sonnenlicht bin ich sicher. Es hat lange gedauert, bis ich mich nachts überhaupt wieder aus meiner Wohnung getraut habe. Ich weiß, es ist gerade einmal zwei Monate her, aber ich will mich nicht länger verstecken. Vielleicht ist es pure Sturheit, die mich zu meinen Handlungen veranlasst. Was auch immer es ist, nur deswegen bin ich noch am Leben. Erstaunlicherweise hat es mir Kraft gegeben, dass ich Alex und seine schrecklichen Freunde in Ratten verwandelt habe. Würmer wären passender gewesen, aber so weit habe ich nicht gedacht. Das wären wohl Albtraumwürmer oder Blutegel geworden.

Igitt.

Die Ratten sind nicht ohne, aber in dieser Gestalt haben sie keine Macht über mich.

Mit einer Tasse heißen Tees setze ich mich an mein Küchenfenster und blicke auf die hell erleuchtete Straße. Ich habe noch Mühe, die Ereignisse der letzten beiden Wochen zu verarbeiten. Niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal mit einer Werwölfin und einem Vampir befreundet sein könnte. Erika zu mögen, ist leicht. Sie ist so voller Lebensfreude und Energie. Ihr Mitgefühl hat mich im ersten Moment abgeschreckt. Doch sie bemitleidet mich nicht, sie leidet mit mir. Das ist ein großer Unterschied. Ich kann kaum fassen, dass sie mich gebeten hat, Patentante für ihr Kind zu werden. Ein Kind, das vielleicht zur Hälfte Vampir sein wird. Es grenzt an ein Wunder, dass ich nicht schreiend im Kreis renne. Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass ich endlich über das reden kann, was mir widerfahren ist. Nach dem Vorfall wusste ich nicht, wo ich mir Hilfe holen sollte. Es gibt zwar den einen oder anderen Verein, der Opfern von Gewaltverbrechen hilft, aber ich bin nicht normal und meine Angreifer waren es auch nicht. Vielleicht wissen meine neuen Freunde von einer Selbsthilfegruppe für übernatürliche Wesen.

Ein kleines Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Der Gedanke ist ziemlich absurd, aber ich hatte in der Vergangenheit kaum etwas zum Lachen. Seit meiner Begegnung mit Erika und Fabian keimt Hoffnung in meinem Herzen.

Es ist erstaunlich, wie ein einziger Anruf mein Leben so verändern kann.

Fabian. Nie hätte ich gedacht, dass ich nach den Erlebnissen mit Alex mit einem Vampir per Du sein könnte. Er macht es mir leicht, ihn nicht zu fürchten. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich ihn einfach für einen netten, jungen Mann halten. Sein Witz und seine Ehrlichkeit sind erfrischend anders. Seine Liebe zu Erika ist so stark, dass sogar ein Blinder im Bilde wäre. Es erstaunt mich, dass ihre Bindung zueinander so intensiv, so tiefgreifend ist. Ich log nicht, als ich ihnen sagte, dass ihre Auren miteinander verwoben sind. So wie es aussieht, sind sie auf mehreren Ebenen miteinander verbunden.

Wahre Gefährten hatte Erika es genannt. Diese Idee ist schön, wenn auch die Erfolgsaussichten beim Lotto größer wären. Mich erstaunt, dass die beiden trotz ihrer vielen Unterschiede so gut miteinander harmonieren. Sie sagen zwar, dass es keine Feindschaft zwischen Wölfen und Vampiren gibt, aber in der letzten Nacht waren die Zweifel der Wölfe deutlich zu spüren. Doch es hat alles geklappt. Trotz aller Differenzen haben wir gut zusammengearbeitet und einen wichtigen Erfolg errungen.

Ein kalter Schauer läuft über meinen Rücken bei dem Gedanken an das Leid, das Alex und seine zwei schrecklichen Freunde verursacht haben. Vier Frauen. Vier Leben, die viel zu früh und auf grausamste Weise beendet wurden. Nur zum Vergnügen. Diese kranken Schweine!

Wenn es nicht so vollkommen gegen mein Wesen verstieße, dann würde es mir große Genugtuung verschaffen, sie langsam über dem Feuer zu rösten. Es wäre ein Triumph, wenn Alex‘ großspuriges Lächeln durch Todesangst vertrieben würde. Aber ich kann und will mich nicht auf ihr Niveau herablassen.

Unweigerlich taucht vor meinem geistigen Auge ein neues Gesicht auf.

Konstantin. Ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll. Er ist mächtig, sehr mächtig und nichts anderes als ein moderner Henker. Dennoch …

Dennoch ist es nicht die ganze Wahrheit. Ich bin sehr, sehr froh, dass ich ihm erst begegnete, nachdem ich mich mit Fabian angefreundet habe. Der Vollstrecker macht mir Angst. Im Gegensatz zu Fabian erscheint er so kalt und gefasst. Seine Züge könnten aus Stein gemeißelt sein und sein Körper dürfte seiner harten Arbeit entsprechend aussehen.

Da dürften einige antike Statuen ziemlich neidisch werden. Ich erschrecke über meine eigenen Gedanken. Seit dem Vorfall sind Männer und körperliche Nähe ein Problem für mich. Vor allem in Kombination. Ist es nicht ironisch, dass der erste Mann, den ich nach dem Vorfall freiwillig berührt habe, ein Vampir ist? Fabian könnte locker der Bruder sein, den ich nie hatte. Seine Verliebtheit in Erika lässt ihn harmlos erscheinen. Doch mir ist bewusst, dass er anders sein kann. Ein guter Beweis dafür ist sein Umgang mit Ralf, Erikas Ex-Mitbewohner. Ich habe keine Ahnung, was Fabian getan hat, um ihn so zu verängstigen. Es hat auf jeden Fall tiefe Spuren hinterlassen. Dabei sah Fabian nicht so aus, als hätte er ein schlechtes Gewissen. Vergangene Nacht war ich erschrocken über die Leichtigkeit, mit der Fabian und Konstantin in den Verstand eines Menschen eindringen können. Das hat viele, unangenehme Erinnerungen hervorgezerrt. So beängstigend es auch ist, mir ist klar, dass dies ein Teil ihres Wesens als Vampir ist. Trotzdem habe ich heute nicht mehr Angst vor Fabian als gestern.

Das verstehe, wer will … Vielleicht liegt es daran, dass beide Vampire jederzeit in meine Gedanken eindringen konnten und es nicht getan haben.

Bis auf das eine Mal … Bei der Erinnerung an meine erste Begegnung mit Konstantin kann ich ein leichtes Zittern nicht unterdrücken. Er war so kalt und gnadenlos und damit das genaue Gegenteil von Fabian. Trotzdem war es nicht dasselbe wie bei Alex. Konstantins Aura ist keinesfalls so strahlend wie Erikas, aber weit entfernt von dunkel. Ausschlaggebend für meine Entscheidung war jedoch, wie sich Fabian ihm gegenüber verhielt. Er war weder eingeschüchtert noch extrem besorgt und versuchte, mich auf den Kontakt vorzubereiten.

Ich lächle bei dem Gedanken an Erikas Entsetzen und ihre Sorge um mich. Es ist lange her, dass sich jemand so sehr für mich eingesetzt hat. Fabian verstand, warum er mich nicht zurückhalten durfte. Ich musste mir beweisen, dass ich es kann. Ich musste mich dem Vollstrecker und damit auch dem Schrecken meiner Erinnerungen stellen.

Scham brandet auf und färbt meine Wangen rot. Beide Vampire wissen, was mir angetan wurde. Ich bin froh, dass Erika diese Dinge nicht gesehen hat. Sie ist meine Freundin und ich möchte einfach nicht, dass sie von den Bildern meiner Misshandlung verfolgt wird. Ich versuche, dieses Gefühl zu bekämpfen. Fabians Worte treiben mich an.

„Wir werden für dich da sein, wenn du uns brauchst. Du darfst dich nicht dafür zu schämen, dass du weinst. Vor allem musst du aufhören, dir die Schuld an dem Ganzen zu geben. Die liegt allein bei den miesen kleinen Ratten. Nur weil ich weiß, was sie dir angetan haben, bist du nicht in meiner Achtung gesunken, ganz im Gegenteil!“

Ich kann noch immer nicht fassen, dass ich Fabian freiwillig umarmt habe. Es ist ein Fortschritt und es hilft zu wissen, dass er in der Hinsicht genauso verkrampft ist wie ich. Durch seine Bindung an Erika brauche ich mir keine Sorgen um etwaige Hintergedanken machen.

Ich nehme einen Schluck Tee und genieße das kräftige Aroma der Kräutermischung. Die Sonne auf meiner Haut hilft mir, die Schrecken der Nacht zu vergessen. Seufzend sehe ich auf die Menschen unter mir, die die Straße entlang laufen. Mir fällt ein Pärchen ins Auge, das offensichtlich frisch verliebt ist. Sie turteln ununterbrochen und die junge Frau hat ein Lächeln auf den Lippen, das mit der Sonne um die Wette strahlt. Dazu passend trägt sie ein leichtes Sommerkleid und sie scheint untrennbar mit ihrem Freund verbunden zu sein.

Wie ich sie darum beneide … Nicht nur um das Glück der Liebe, sondern auch um die Freiheit, so viel Haut zu zeigen. Ich werfe einen scheuen Blick auf meine Arme. Die Wunden sind geschlossen, doch die Narben bleiben. Ich bezweifle, dass ich mich jemals wieder in einem Top oder auch nur einem kurzen Rock außerhalb meiner Wohnung zeigen werde. Zu Halloween könnte ich so rausgehen, aber so viel Selbstironie besitze ich nicht. Was auch immer ich an Selbstbewusstsein hatte, es ist in dieser einen Nacht ebenso zerstört worden wie meine Haut und mein Seelenheil. Seitdem trage ich nur noch lange Kleidung und das ist jetzt im Sommer eine echte Herausforderung.

Das Entsetzen auf den Gesichtern meiner Freunde dürfte nichts im Vergleich zu dem unverhohlenen Starren Fremder sein, wenn ich meine Narben zeigte. Selbst der Vollstrecker konnte seine Reaktion nicht verbergen. Den Kopf gegen den Fensterrahmen gelehnt, ringe ich um Fassung. In den ersten Tagen nach der Vergewaltigung habe ich mir oft gewünscht, einfach gestorben zu sein. Aber meine Sturheit, meine Großmutter und auch Harrys Sorge um mich haben mich daran gehindert.

Als wäre das nicht schon genug, tauchten Alex und seine zwei Freunde eines Nachts wieder vor meiner Tür auf. Ihre Begeisterung, mich lebend vorzufinden, war grenzenlos. Doch diesmal hatten sie sich verrechnet. Ich habe einmal unter ihnen gelitten und ein zweites Mal konnte und wollte ich das nicht zulassen. Ihre Dreistigkeit entfachte meine Wut und das rettete mich. Noch immer bin ich erstaunt, dass in dieser Nacht nicht das ganze Haus abgebrannt ist. Mein Zorn war so übermächtig, dass ich kaum kontrollieren konnte, was ich tat. Es ist gut, dass ich mehr zur Heilerin tauge. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ich die Art Sprüche kennen würde, die großen Schaden anrichten. So sitzen seit vier Wochen drei Vampirratten in einem verzauberten Käfig in meinem Keller. Ich bin froh, dass ich sie bald abgeben kann. Bis dahin muss aber noch einiges getan werden. Es ist erschreckend, wie viel Leid Alex und seine Kumpane ausgelöst haben. Vier Frauen sind wegen ihnen tot und das war Anlass genug für einige Menschen, Jagd auf Werwölfe zu machen. Das Leben ist schon eine eigenartige Sache. So viele unglückliche Umstände haben zu diesem Unheil geführt, aber nun endlich auch zur Lösung des Problems.

Ich verdränge das Wissen, was mit ihnen passieren wird, wenn wir die letzten Beweise für die Menschen erbracht haben und damit den Fall abschließen können. Es widerstrebt meinem Charakter zutiefst, anderen Lebewesen Schmerz zuzufügen. Dennoch weiß ich, dass es in diesem Fall keine andere Lösung gibt. Konstantin hat verdeutlicht, dass weder Gefängnis noch Reha für mörderische Vampire existieren. Bei ihrer beinahe unendlichen Lebensdauer und ihren außergewöhnlichen Kräften wäre es ein Ding der Unmöglichkeit, Vampire für immer einzusperren. Einmauern würde gehen, aber das löst das Problem nicht.

Meine Gedanken kreisen um den Vollstrecker. Ich bin weit davon entfernt, mich in seiner Gegenwart auch nur ansatzweise wohlzufühlen, aber meine Angst hat nachgelassen. Konstantin ist ein Rätsel. Er war so kalt zu mir, bis er meine Narben sah. Als er mich nach den anderen Stellen fragte, setzte mein Herz einen Moment lang aus. Mir ist sein Zögern nicht entgangen, als ich ihn fragte, ob ich mich vor ihm ausziehen muss. Ein kleiner Teil von mir ist neugierig auf den Grund, aber ein anderer will lieber nichts davon wissen. Es wird einige Zeit ins Land gehen, bevor ich wieder mit dem Interesse eines Mannes umgehen kann. Von Vampiren reden wir lieber nicht. Ich habe meine Erfahrungen gemacht.

Es erforderte vor zwei Wochen sehr viel Überwindung, Erikas Bitte zu folgen, und meine erste Konfrontation mit Fabian kostete mich viel Kraft. Ich möchte nicht darüber nachdenken, was passiert wäre, wenn ich stattdessen Konstantin in die Arme gelaufen wäre. Es ist faszinierend, wie unterschiedlich die beiden Vampire doch sind. Allerdings geht von keinem der beiden eine Gefahr für mich aus. Konstantin war zwar in meinem Kopf, aber er hat mich nicht besessen, nicht kontrolliert. Ich bin unendlich dankbar für die Unterstützung von Erika und Fabian. Ohne sie hätte die ganze Sache fürchterlich schief gehen können. Erikas Beistand half mir mehr als alles andere, die Panik zu unterdrücken, die mich ergriffen hatte, als ich den Vollstrecker berühren musste.

Und Konstantin …

Ich kann ihn nicht wirklich einschätzen. Als er meine Hand berührte, erfüllte mich eine seltsame Ruhe. Mein Trauma sitzt immer dicht unter der Oberfläche und allein die Nähe eines Vampirs bringt es gewaltsam zum Vorschein. Zu oft habe ich diese Erinnerungen durchlebt, aber dieses Mal war es nicht ganz so schlimm. Ich konnte ihn und Erika spüren und wusste, dass ich nicht allein war. Konstantin zeigte mir gegenüber überraschenderweise Gnade, als er mir durch den Schlaf eine kurze Ruhepause ermöglichte. Ohne diese wäre wahrscheinlich das Gleiche passiert wie nach dem Ritual, als ich Fabian aus Versehen gegen die Wand schmetterte. Nach meiner Befragung war Konstantin plötzlich viel netter zu mir. So wie Fabian mit ihm umgeht, scheint er mehr als nur der berüchtigte Vollstrecker zu sein. Die beiden Vampire haben sich angefreundet und vereinzelt konnte ich sogar den Ansatz eines Lächelns bei ihm entdecken. Konstantin hat Gefühle, er versteckt sie nur gut. Bei der Erinnerung an sein Lob werden meine Wangen wieder rot. Dieser Mann verwirrt mich und ich weiß nicht, ob ich seine Anerkennung wirklich verdient habe. Als er mich vor zwei Nächten nach Hause brachte, war er die Höflichkeit in Person. Nachdem ich mich mit dem Gedanken angefreundet hatte, war er eigentlich keine unangenehme Begleitung. Viel gesprochen hatten wir nicht, aber das störte mich nicht. Ich weiß es zu schätzen, dass Leute nur reden, wenn sie etwas zu sagen haben. Sinnfreien Small Talk darf ich jeden Tag in meinem Laden führen.

Apropos. Ich muss mich langsam fertig machen. Das Geschäft führt sich nicht von alleine und ein bisschen Ablenkung würde mir gerade guttun. Sobald die Sonne untergegangen ist, werden wir den nächsten Schritt in unserem Plan ausführen. Die Ratten werden zu Hunden und wir schießen die Beweisfotos. Ich kann nicht sagen, dass ich mich darauf freue. Die Ratten sind ziemliche Mistviecher und als Hunde können sie wesentlich mehr Schaden anrichten. Aber ich vertraue darauf, dass Konstantin und Fabian einen guten Plan haben. Tauschen möchte ich mit ihnen jedenfalls nicht. Nachdem sie sich gestern um die Erinnerungen der selbsternannten Werwolfjäger gekümmert hatten, sahen sie ziemlich fertig aus. Erika überraschte mich mit ihrer Idee, aber das ist ja nichts Neues. Ich habe zwar ein paar kleine Gewissensbisse, es war mir jedoch allemal lieber, ihnen ein paar Blutkonserven zu besorgen, als dass sie sich an Menschen nähren. Seit meiner Erfahrung mit Alex kommt der Gedanke einem Albtraum gleich.

Allerdings scheint das nicht für Erika zu gelten. Kopfschüttelnd erinnere ich mich an ihre Beichte, dass sie sich von Fabian beißen lassen wollte.

Ich verlasse meinen Fensterplatz und stelle die leere Tasse in die Spüle. Es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, dass jemand gebissen werden möchte. Zwar kann ich mich an die Lust erinnern, die der Biss auslösen kann, aber ich habe das nie gewollt. Ich war geschockt, als wir vor zwei Nächten hereinplatzten, während Fabian an ihrem Hals zu saugen schien. Erika war peinlich berührt, aber offensichtlich gefiel es ihr. Wahrscheinlich ist es eine interessante Erfahrung, wenn es in gegenseitigem Einverständnis geschieht …

Schnell vertreibe ich diesen Gedanken. Ich möchte nicht gebissen werden. Nie wieder. Mein ganzer Körper ist von den Spuren des Bluthungers gezeichnet. Frustriert ziehe ich mir eine langärmlige Bluse über und binde ein dünnes Tuch um meinen Hals. Es ist schwierig, die Narben zu verdecken, doch ich kann mich unmöglich mit ihnen in der Öffentlichkeit zeigen.

Es gibt eine Möglichkeit, die Narben zu heilen, erinnert mich eine kleine Stimme ungebeten. Ich habe Fabians Angebot nicht vergessen. Doch ich weiß nicht, ob ich mich jemals dazu überwinden könnte. Außerdem hat er Recht, er wäre der Falsche für diese Aufgabe. Es ist zu intim. Außer ihm kenne ich keinen anderen Vampir und ich werde mich garantiert nicht freiwillig auf die Suche nach einem geeigneten Kandidaten begeben.

Du kennst Konstantin, murmelt die Stimme wieder. Er ist der Vollstrecker. Es ist seine Aufgabe, die Sache geradezubiegen.

Ich bin versucht, meinen Kopf gegen die nächstbeste Wand zu schlagen. Der Blutverlust und das Trauma haben anscheinend meinem Verstand geschadet. Anders kann ich mir das Teufelchen auf meiner Schulter nicht erklären, welches mich zu einer solch absurden Idee überreden will.

Komm schon, du hilfst ihnen die ganze Zeit. Irgendwas sollte dabei doch auch für dich herausspringen. Ohne die Narben könntest du endlich wieder anfangen zu leben.

„Verdammt nochmal!“ Ich raufe mir die Haare. Anscheinend werde ich langsam verrückt. „Ich kann mir Besseres vorstellen, als mich noch einmal einem Vampir zu unterwerfen!“

Lügnerin! Du bist neugierig, wie es sich anfühlt. Du willst wissen, was Erika erröten lässt, wenn sie darüber redet und warum sie sich nach Fabians Biss sehnt. Es muss keine Unterwerfung sein …

Ich flüchte aus meiner Wohnung und vor meinen Gedanken. Im Laden gibt es mehr als genug zu tun und ich stürze mich in die Arbeit. Mein kleines Geschäft ‚Kristallzauber‘ ist mein ganzer Stolz. Dort verkaufe ich nicht nur diverse Edelsteine, sondern auch eine Auswahl an Kräutermischungen und Tees. Alles, was man braucht, um sich etwas Entspannung zu gönnen. Die Steine haben sowohl dekorative als auch praktische Funktionen. Von Schmuck über Lampen oder Schalen ist alles dabei. Ich verwende sie auch für meine Rituale, aber ohne die nötige Magie sind es einfach nur Steine. Erst durch mich werden sie zu sinnvollen Hilfsmitteln und Talismanen. Kräuter haben ihre eigene Heilwirkung. Das weiß jeder Laie, wenn er sich einen Kamillentee aufbrüht. Mit ein wenig Magie kann auch dieser Effekt verstärkt werden. Doch im Geschäft verwende ich sie so wenig wie möglich. Meine Kräfte sind alt und sollten immer mit Bedacht und nie zum Eigennutz eingesetzt werden. Ich bin eine weiße Hexe. Das heißt, ich habe geschworen, zu heilen und zu helfen. Wie bei allen Dingen des Lebens gibt es natürlich auch jene, die ihre Macht missbrauchen. Doch soweit ich weiß, gibt es bei uns keine Kontrollinstanz. Es gibt nur noch wenige praktizierende Hexen. Die Magie ist selten geworden in einer Welt, die so technisiert ist und in der die Natur so wenig Wert besitzt. Meine Kraft kommt von den Elementen, aus der Umwelt. Ich schätze jedes Lebewesen und versuche, so bewusst wie möglich zu leben.

„Wow. Was ist denn in dich gefahren?“

Ich schrecke aus meinen Gedanken auf und sehe meine Angestellte und mittlerweile gute Freundin Conny an.

„Hallo. Ich hatte Lust, die Auslage neu zu gestalten“, meine ich schulterzuckend.

Conny betrachtet erst das Schaufenster und dann mich. „Das kann ich sehen. Geht es dir gut? Du bist ein bisschen blass um die Nase.“

„Ja, alles in Ordnung. Ich habe nur schlecht geschlafen.“ Das ist zumindest ein Teil der Wahrheit.

„Wieder diese Albträume?“ Conny weiß von meinen Narben, aber sie ist ein Mensch und kennt den Grund dafür nicht. Sie arbeitet schon eine Weile bei mir. Als ich im Krankenhaus lag, hat sie den Laden für mich geschmissen, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Die offizielle Begründung für meine Abwesenheit war, dass ich einen Unfall in der Küche hatte - Verbrennungen dritten Grades. Das Gute an den Menschen ist, dass sie nur sehen, was sie sehen wollen. Natürlich ist das oftmals auch hinderlich, aber in dieser Hinsicht schützt es mich. Ich gelte als Esoterikerin und habe einen kleinen Kundenstamm, den ich mit meinen Heilkräften unterstütze. Einfache Erklärungen für offensichtliche Widersprüche sind immer das beste Mittel gegen misstrauische Blicke. Es ist sicherer für mich, als leicht durchgeknallte Wunderheilerin zu gelten, statt meine wahre Natur zu zeigen. In der Neustadt falle ich also nicht weiter auf. Das dürfte auch der Gedanke von Erika und anderen fantastischen Wesen sein.

„Ja, aber es wird besser. Ich habe jemanden gefunden, der mir dabei helfen kann“, meine ich zu meiner Angestellten.

„Na gut. Ich hoffe, du bist sie bald los. Vor dem Unfall warst du fröhlicher. Ich wünsche dir diese Unbeschwertheit zurück.“

„Danke.“ Ich umarme sie kurz und gemeinsam machen wir uns an die weitere Gestaltung des Schaufensters.

Der Tag vergeht gemächlich und immer wieder betreten Kunden den Laden. Es ist weder zu leer noch zu hektisch und so komme ich trotz Schlafmangels gut zurecht. Ich berate eine Stammkundin bei der Auswahl eines neuen Kräutertees. Ein nicht mehr ganz so junges Paar verlässt meinen Laden mit einer wunderschönen Amethyst-Kette im Gepäck. Wenn gerade nichts los ist, plaudere ich mit Conny oder erledige den Papierkram. Ich werde von meinem Laden nicht reich, aber er ist auch kein Verlustgeschäft. Meine Fähigkeiten als Heilerin sowie andere magische Dienstleistungen tragen ihren Teil dazu bei. Ich habe eine kaufmännische Ausbildung gemacht und einen guten Sinn fürs Geschäft. Einige Jahre arbeitete ich in einem Geschenkeladen. Nach dem Tod meiner Eltern verwirklichte ich dann meinen Traum vom eigenen Geschäft. Ich verstehe einiges von Kräutern und Steinen. Daher lag es nahe, dass ich so etwas verkaufe. Natürlich ist der Bedarf dafür nicht so hoch wie für Lebensmittel, aber die Leute kaufen gern schöne Sachen. Ich habe eine Auswahl an handgearbeiteten Schmuckstücken, Halbedelsteine in so ziemlich jeder Variante und Größe und natürlich solche Dinge wie Teelichthalter, Schalen, Figuren und so weiter. Die Kräuter haben eher heilende Aspekte. Verschiedene Mischungen helfen bei den üblichen Krankheiten oder fördern einfach Wohlbefinden und Entspannung. Meine Tränke und Zauber verkaufe ich quasi unter der Hand. Nur Eingeweihte wissen davon, doch ich kann mich nicht über einen Mangel an Kundschaft beklagen.

Nachdenklich betrachte ich mein Sortiment. Es schadet nicht, von Zeit zu Zeit neue Produktgruppen auszuprobieren.

„Conny, sag mal, wie fändest du es, wenn wir demnächst noch Duftkerzen oder Badezusätze ins Sortiment aufnähmen?“, frage ich kurz vor Ladenschluss.

„Mhm.“ Einen Moment lang überlegt sie und nickt schließlich. „Theoretisch könnte man eine kleine Ecke dafür einrichten. Es gibt ja diverse Kräuterbäder oder Salze, die ganz gut reinpassen würden. Bei den Kerzen bin ich mir unsicher. Viele davon riechen einfach nur grauenhaft chemisch.“

Über die letzte Bemerkung muss ich lachen, denn Conny zieht die Nase kraus und schneidet eine Grimasse. „In Ordnung. Ich werde keine stinkenden Kerzen ordern. Die Bäder könnte ich theoretisch selbst herstellen. Dann wissen wir auch, was wir den Leuten verkaufen.“

„Du hast ein gutes Händchen mit Kräutern“, meint sie. „Dein Erkältungstee bewirkt wahre Wunder und er schmeckt bei weitem nicht so grauenhaft wie andere Tees, die man sonst bekommt.“

„Tja, Medizin muss nicht immer bitter schmecken. Ich versuche, die Kräuter so zu mischen, dass sie heilsam und lecker zugleich sind. Alles andere macht ja auch keinen Sinn.“

„Wenn das mal mehr Leute so sehen würden … Ich habe echt schon ekelhaftes Zeug probiert.“

„Jetzt hast du ja mich“, witzele ich.

Sie lächelt. „Das stimmt und du hast mich, damit du dich nicht überarbeitest.“ Dann wirft sie mir einen verschwörerischen Blick zu. „Wie sieht es denn eigentlich an der Liebesfront aus? Du bist jung und hübsch. Da wird doch ein interessanter Mann zu finden sein.“

Conny ist vierunddreißig, Mutter von zwei kleinen Kindern und glücklich verheiratet. Ich weiß, dass sie es nur gut meint, aber ich bezweifle, dass ich in naher Zukunft eine Beziehung eingehen könnte. Die Narben sind zu frisch, alle.

„Ich weiß nicht“, antworte ich deshalb. „Bis jetzt war niemand dabei, den ich wirklich gut fand. Mit meinen Narben bin ich sowieso nicht der Traum eines jeden Mannes.“

„Ach Valeria! Mach dir doch deswegen keinen Kopf. Du bist schön, ob mit oder ohne Narben. Wenn dich jemand liebt, dann sollten sie ihm egal sein. Außerdem nützt einem eine hübsche Hülle nichts, wenn das Innere hässlich ist. Du bist eine tolle Frau und ich habe dich sehr gern.“

Ich lächle sie an, auch wenn es Kraft kostet. Conny hat keine Ahnung, wie richtig sie mit ihrer Aussage liegt.

„Danke, aber ich werde noch eine Weile brauchen, um mich damit abzufinden. Derzeit bin ich einfach nicht bereit für eine Beziehung.“

Sie drückt meine Hand. „Das wird schon. Lass dir einfach Zeit. Ich kann dir aber aus Erfahrung sagen, dass man den richtigen Mann immer dann findet, wenn man ihn nicht gebrauchen kann.“

„Wann kann man Männer denn schon gebrauchen?“, antworte ich scherzhaft.

Conny bekommt einen verträumten Gesichtsausdruck. „Oh, da fallen mir ein paar Sachen ein. Unabhängig davon ist es schön, wenn man jemanden hat, an den man sich anlehnen kann und der für einen da ist. Es gibt einige Dinge, die nur zu zweit Spaß machen.“

Ich brauche nicht überlegen, um zu wissen, was sie meint. Allerdings ist Sex nichts, woran ich in nächster Zeit denken möchte. Falls ich jemals wieder welchen haben werde - was ich hoffe, denn ich mag ihn eigentlich - dann wird das wohl erst in einigen Jahren sein. Wut steigt in mir auf. Ich hasse Alex für alles, was er mir angetan hat. Ich kann und will nicht zulassen, dass er mein Leben auch weiterhin zerstört und beeinflusst.

„Hab ich etwas Falsches gesagt?“, erkundigt sich Conny.

Ich schrecke aus meinen Gedanken. „Was?“

Sie schüttelt den Kopf. „Ich habe gefragt, ob ich etwas Falsches gesagt habe. Du hattest gerade einen Blick drauf, der töten könnte. Ist alles gut bei dir?“

Innerlich seufze ich. Wenn ich so weitermache, dann muss ich Erklärungen liefern, die zu viel verraten würden. Das kann und will ich nicht.

„Nein, alles in Ordnung. Ich bin nur ziemlich erledigt“, sage ich deshalb nur.

Conny mustert mich einen Augenblick und gibt sich schließlich mit dieser Erklärung zufrieden. „Na gut. Wie du meinst. Du kannst mir aber auch gern sagen, wenn dich etwas bedrückt.“

Ich schenke ihr ein kleines Lächeln. „Danke, das ist lieb gemeint, aber es gibt Dinge, mit denen ich alleine klarkommen muss.“

Ein neuer Kunde betritt das Geschäft und so kann ich mich geschickt aus der Affäre ziehen. Die Ablenkung habe ich auch dringend nötig. Das Gespräch mit Conny hat so viel aufgewühlt. Für den Rest des Tages vermeide ich derartige Themen und konzentriere mich ganz auf meine Arbeit. Kurz vor Ladenschluss betritt jemand den Laden, mit dem ich nie gerechnet hätte.

„Erika!“

Die junge Werwölfin lächelt mich an. „Hallo Valeria, ich wollte sehen, was du machst, wenn du uns mal nicht helfen musst.“

Sie kommt zu mir und umarmt mich. Es fühlt sich ungewohnt, aber auch sehr gut an.

„Ich helfe doch gern. Ihr habt die Nacht gut überstanden?“, frage ich zurück.

„Ja, das könnte man so sagen“, meint Erika nur. Dann entdeckt sie Conny und begrüßt auch diese.

„Hallo.“

Conny sieht erstaunt von der jungen Wölfin zu mir. Da sie schon seit einiger Zeit für mich arbeitet, weiß sie, dass ich nicht so schnell engen Kontakt zu anderen Leuten suche.

„Hallo.“

Ich gebe eine kurze Erklärung ab. „Erika, das ist meine wunderbare Freundin Conny. Sie arbeitet für mich und war mehr als einmal mein rettender Engel. Conny, das ist Erika, eine gute Freundin von mir.“

„Schön, Sie kennenzulernen“, meint Erika. „Valeria ist eine Seele von Mensch und ich finde es toll, wenn ihr jemand zur Seite steht.“

„Danke. Sie macht es einem nicht immer leicht.“ Conny wirft mir einen strengen Blick zu. „Valeria denkt immer, dass sie alles alleine durchstehen muss.“

Ich erröte ein wenig. Mir ist bewusst, dass sie Recht hat, aber ich kann in dieser Hinsicht nun mal nicht über meinen Schatten springen.

Erika lacht. „Das kann ich mir gut vorstellen. Ich bin manchmal aber auch nicht besser.“

Schnell wechsle ich das Thema. „Wie kommt es, dass du jetzt schon unterwegs bist? Ich hatte erst heute Abend mit einem Anruf gerechnet.“

„Oh, wahrscheinlich war es auch so geplant, aber uns ist etwas dazwischen gekommen“, sagt Erika vieldeutig.

Oho, das klingt ja interessant, denke ich. „Wie wäre es, wenn ich dir den Laden zeige? Wir schließen sowieso gleich.“

Erika versteht meinen Wink. Im Beisein von Conny können wir einfach nicht offen reden. „Klar, gern. Wenn du magst, können wir ja hinterher noch einen Kaffee trinken. Es dauert noch eine Weile, bis Fabian nach Hause kommt.“

Bis er sich frei draußen bewegen kann. „Gern“, stimme ich zu und mache eine Mini-Führung durch mein kleines Reich.

„Du hast wirklich schöne Stücke“, sagt Erika, als wir vor der Schmuckvitrine stehen.

Ich lächle. „Ja, ich habe eine Designerin gefunden, die genau weiß, wie sie die Steine perfekt arrangieren kann. Es sind alles Einzelstücke.“

Erika betrachtet einen fein geschliffenen Anhänger aus Rosenquarz. Er hat die Form eines kleinen Wolfes. „Der ist ja hübsch!“

„Magst du Wölfe?“, frage ich grinsend.

„Manche mehr, manche weniger“, gibt sie ebenfalls lächelnd zurück. „Du weißt doch, dass ich eher auf reifere Männer stehe.“

Ich denke, ein Vampir von zweihundert Jahren passt ganz gut auf diese Beschreibung.

„Solange man ihnen das Alter nicht ansieht …“ Ich zwinkere ihr zu. „Möchtest du den Anhänger kaufen?“

„Mhm, meine Mutter hat bald Geburtstag“, überlegt sie laut. „Er würde ihr bestimmt gefallen.“

Sofort ist mein Geschäftssinn geweckt. „Er ist aus hochwertigem Rosenquarz gefertigt, der keine Einschlüsse oder Verunreinigungen aufweist. Die Fassung ist aus Sterlingsilber. Möchtest du noch eine passende Kette dazu?“

Die junge Wölfin lacht. „Ich sehe schon, du bist eine begnadete Verkäuferin.“ Dann überlegt sie einen Moment. „Den Anhänger nehme ich, aber Ketten hat meine Mutter genug.“

Ich schließe die Vitrine auf und gebe Erika den Anhänger. „Hier, du kannst ihn dir gern genauer ansehen, bevor du dich entscheidest.“

„Wow. Der ist echt sehr detailreich gearbeitet“, meint sie begeistert. „Der ist gekauft.“

„Eine ausgezeichnete Wahl, meine Liebe. Soll ich ihn dir gleich als Geschenk einpacken?“

Erika nickt. „Ja, bitte. Ich bin jetzt nicht die große Geschenkeverpackerin. Wahrscheinlich habe ich einfach zu wenig Geduld dafür.“

„Da bist du nicht die Einzige.“ Ich lege den Anhänger in eine kleine Schmuckdose und mit einigen geübten Handgriffen entsteht ein kleines Geschenk.

„Du kannst das echt gut und verdammt schnell“, staunt Erika.

Ich zucke mit den Schultern. „Jahrelange Übung, außerdem mag ich das Einpacken. Ich finde es schön, anderen eine Freude zu bereiten.“

Sie schüttelt den Kopf. „Gibt es eigentlich auch etwas, was du nicht kannst?“

„Vieles“, gebe ich lachend zurück. „Deswegen versuche ich, besonders gut in den Dingen zu sein, die ich kann und mag.“

„Mhm, ich glaube, du unterschätzt deine Leistungen“, sagt Erika. Sie bezahlt den Anhänger und wartet, bis Conny und ich den Laden geschlossen haben. Wir verabschieden uns von meiner Angestellten und stehen einen Moment lang vor dem Geschäft.

„Hast du jetzt Feierabend?“

„Ja, zum Glück“, meine ich.

Erika sieht mich fragend an. „Harte Nacht gehabt? Davon mal abgesehen, dass sie kurz und ereignisreich war.“

Zögerlich nicke ich. „Ja, ich hatte wieder meinen Albtraum und damit ist der ganze Tag im Eimer.“

Sie umarmt mich. „Das tut mir leid. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen, weil wir dich so stark belasten. Wenn du magst, kann ich den Männern sagen, dass du eine Pause brauchst?“

Ich atme tief durch und straffe die Schultern. „Nein, lass mal. Ich will es auch endlich hinter mir haben. Wenn die Ratten aus meinem Keller verschwinden, bin ich mehr als froh.“

„Das kann ich gut verstehen. Willst du mir von deinem Traum erzählen?“

Warum eigentlich nicht?, denke ich. Fabian und Konstantin wissen, was passiert ist. Vielleicht hilft es mir, wenn ich endlich mit jemandem darüber reden kann.

„Na gut, wenn du es wirklich willst.“

Erika sieht mich mit erhobener Augenbraue an. „Ich frage nicht aus Spaß. Außerdem wird Fabian es mir nicht erzählen. Er sagt, es ist deine Sache, wem du davon berichtest.“

Mein Respekt vor dem Vampir wächst. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass er meine dunkelsten Geheimnisse hütet.

„In Ordnung. Unter normalen Umständen würde ich dich ins émoi oder so einladen, aber die Geschichte ist nicht für andere Ohren bestimmt.“

„Eigentlich wollte ich dich einladen“, meint Erika. „Na gut, dann machen wir das ein andermal. Wollen wir zu mir gehen?“

„Wenn das für dich okay ist, würde ich lieber erstmal nach Hause. Du kannst Fabian Bescheid geben, wo du bist.“ Während ich dies sage, fällt mir etwas auf: „Woher wusstest du eigentlich, wo mein Laden ist?“

Die Werwölfin wird rot. „Fabian kann so ziemlich alles herausfinden, was er möchte. Allerdings weiß er es von Konstantin.“

Kurzzeitig bin ich überrascht, aber dann fällt mir ein, dass sie auch den Komplizen von Ralf ausfindig gemacht haben. „Okay … Daran muss ich mich wirklich gewöhnen. Gibt es einen Grund dafür?“

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Vielleicht wollten sie sich absichern, falls dir irgendetwas passiert. Konstantin wirkt auf mich wie jemand, der immer gut vorbereitet sein will. Im Gegensatz zu uns kennt er dich nicht. Bei seinem Job wundert es mich nicht, dass er alle verfügbaren Informationen sammelt.“

„Möglich. Warum bist du heute vorbeigekommen? Das mit dem Geschenk war ein glücklicher Zufall“, frage ich. Wir laufen gemütlich durch die belebten Straßen zu meiner Wohnung. Ich muss noch verarbeiten, dass der Vollstrecker mehr weiß, als mir lieb ist.

„Ich wollte sehen, wie es dir geht. Meine Eltern haben uns vor ein paar Stunden aus dem Bett geklingelt und ich konnte danach nicht mehr einschlafen.“

Meine Augen werden groß. „Oh, das war bestimmt ein ziemlicher Schock.“

„Das kannst du laut sagen. Aber glücklicherweise leben alle noch.“ Erika seufzt. „Manchmal wäre es wirklich einfacher, ein Mensch zu sein. Es ist peinlich, wenn die Eltern nur einmal tief Luft holen müssen, um zu wissen, wie intensiv meine Beziehung ist.“

Ich kann mir ein kleines Lachen nicht verkneifen. „Oh ja! Darum beneide ich dich wirklich nicht. Wie ist es gelaufen?“

„Eigentlich ganz gut. Mein Vater ist noch ein bisschen vergnatzt, aber Fabian hat meine Mutter schon um den Finger gewickelt.“ Erika grinst. „Er hat das Treffen würdevoll gemeistert. Wenn wir meinen Eltern irgendwann von der Schwangerschaft erzählen, werden sie Ruhe geben.“

Mich stimmt die Aussage ein bisschen wehmütig. Klar, von den Eltern überrascht zu werden, wenn man mit dem neuen Partner im Bett liegt, ist alles andere als schön. Aber immerhin hat Erika noch Eltern.

„Was ist?“, fragt sie, als sie meine trübe Stimmung bemerkt.

„Nichts. Ich vermisse meine Eltern nur. Deine Geschichte hat mich an sie erinnert.“

„Das tut mir leid“, sagt Erika und berührt meinen Arm. „Wie sind sie denn gestorben?“

„Autounfall, vor vier Jahren“, antworte ich knapp. „Es war der totale Schock für mich. Irgendein betrunkener Idiot musste unbedingt Auto fahren und hat die Kontrolle über seinen Wagen verloren. Leider hat er dabei das Fahrzeug meiner Eltern gerammt. Sie waren sofort tot.“

Mir fällt es noch immer schwer, darüber zu reden. Warum nur müssen immer die guten Menschen sterben?

„Das ist ja schrecklich! Hat man den Verursacher geschnappt?“

„Sowas in der Art. Die Feuerwehr hat ihn aus dem Auto geschnitten. Er ist jedoch ein paar Tage später im Krankenhaus gestorben.“

Erika seufzt. „Das ist bitter. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es gibt einfach keine passenden Worte, um das Leid zu lindern, was durch den Verlust von geliebten Menschen ausgelöst wird.“

„Leider. Sie waren mir immer eine große Hilfe. Oft merkt man zu spät, wie wertvoll die Zeit mit seinen Lieben ist.“

Mittlerweile sind wir vor meinem Wohnhaus angekommen. Ich schließe die Haustür auf und wir steigen die Treppen zum zweiten Stock hinauf.

 

„Du hast eine schöne Wohnung“, meint Erika, als wir am Ziel angekommen sind und ich mit ihr eine kurze Führung gemacht habe. Wir gehen zurück in meine Küche und machen es uns dort gemütlich.

„Danke. Möchtest du einen Tee oder Kaffee haben?“

„Einen Kaffee bitte, wenn es dir keine Umstände bereitet. Sonst trinke ich auch einen Tee mit“, antwortet Erika.

Ich winke ab. „Ach, das geht schon. Ich habe hier so eine tolle Maschine. Da muss ich nur Wasser und Kaffeepulver einfüllen und schon ist alles erledigt.“ Ich bestücke die Maschine und werfe meinen Wasserkocher an. Dann suche ich mir einen Tee aus.

Erika staunt. „Du hast einen beeindruckenden Teevorrat.“

„Tja, ich trinke viel Tee. Außerdem brauche ich dauernd irgendwelche Kräuter und da mische ich mir immer gleich ein paar Tees zusammen.“

Ich drehe mich zu ihr um. Die hübsche Wölfin lehnt nur mit einem luftigen Top und einer Leggins bekleidet an meinem Küchentisch. Oh, wie gern ich es ihr gleichtun würde … Mit meiner langärmligen Bluse und dem langen Rock bin ich das komplette Gegenteil und komme fast um vor Hitze.

„Du kannst dir gern etwas anderes anziehen, Valeria. Ich weiß wirklich nicht, wie du es in den langen Sachen aushältst“, meint Erika, als sie meinen Blick bemerkt.

Meine Wangen färben sich rot. „Ich weiß nicht.“

„Du brauchst dich vor mir nicht zu verstecken. Schließlich ist das hier dein Zuhause und da kannst du herumlaufen, wie du magst.“

Erika hat recht, aber: „Ich habe mich seit dem Vorfall noch niemandem mit meinen Narben gezeigt …“

Sie kommt zu mir und umarmt mich. Ich lasse es geschehen und spüre, wie meine Anspannung nachlässt. Erikas Nähe hat eine sonderbare Wirkung auf mich.

„Ich werde dich zu nichts drängen, Valeria. Wenn du dich unwohl fühlst, dann bleib so, wie du bist. Aber du musst dich nicht vor mir schämen. Einen Teil der Narben habe ich schon gesehen.“

Ich seufze. „Es ist nicht so einfach. Zwar versuche ich, mir immer wieder zu sagen, dass ich mich nicht ewig verstecken kann, aber ich erschrecke teils selbst noch.“

„Es tut mir so leid. Aber du darfst sie nicht gewinnen lassen!“ Sie tritt einen Schritt zurück und sieht mich ernst an. „Du bist immer noch wunderschön, Valeria. Daran können die Narben auch nichts ändern. Wahre Schönheit kommt von innen, so blöd der Spruch auch ist. Wer nicht über deine Verletzungen hinwegsehen kann, der ist in meinen Augen ein verdammter Idiot!“

Gerührt lächle ich sie an. „Danke. Du bist lieb.“

Erika stemmt die Hände in die Hüften. „Mit ‚lieb‘ hat das nichts zu tun. Das ist die Wahrheit.“ Sie überlegt einen Moment. „Es muss doch einen Weg geben, damit du dich nicht so verhüllen musst und trotzdem nicht allen deine Narben präsentierst …“

Ratlos zucke ich mit den Schultern. „Ich bin für Vorschläge offen. Bisher ist mir nichts Besseres eingefallen.“

„Mhm, ich überlege mir etwas. Wenn du dich umziehen möchtest, dann lass dich von mir nicht aufhalten.“

„Na gut. Ich bin gleich wieder da.“

Schnellen Schrittes gehe ich in mein Schlafzimmer. Automatisch schalte ich das Licht an, obwohl es noch hell ist, und schaue mich aufmerksam um. Seit dem Vorfall mit Alex bin ich übervorsichtig. Doch alles sieht aus wie immer. Mein Doppelbett ist ordentlich gemacht, Schrank und Kommode sind verschlossen und mein kleiner Nachttisch steht auch an seinem Platz. Ich mag das helle Holz meiner Möbel. Sie lassen den kleinen Raum nicht so voll wirken. Langsam drehe ich mich zu meinem Kleiderschrank um. Früher habe ich gern in den bodenlangen Spiegel geschaut und verschiedene Outfits ausprobiert …

Zögerlich streife ich meine Bluse ab und lege sie auf den Stuhl neben dem Bett. Der lange Rock folgt. Ich bin froh, die vielen Stofflagen los zu sein, aber nun stehe ich vor einem viel größeren Problem. Was soll ich jetzt anziehen?

Ich öffne meinen Schrank und starre blicklos auf die Kleiderstapel vor mir. Es ist nicht so, dass ich nichts anzuziehen hätte, aber ich schwanke zwischen dem Wunsch, den Temperaturen entsprechend wenig anzuhaben oder meine verunzierte Haut zu verstecken. Keine Ahnung, wie lange ich schon dort stehe, als es plötzlich an der Tür klopft. Ich zucke zusammen.

„Valeria, ist alles okay bei dir?“, fragt Erika von draußen.

„Ja, ich kann mich nur nicht entscheiden“, rufe ich zurück.

Schweigen. Dann unsicher: „Brauchst du Hilfe?“

„Schon, aber …“ Ich sehe an mir herunter. Mein Körper besitzt nicht gerade die Maße eines Models. Nett formuliert könnte man sagen, ich sei kurvig. Zwar bin ich keineswegs fett, aber so richtig schlank eben auch nicht. Ohne die Narben hatte ich mich damit abgefunden und das Beste draus gemacht. Nun aber …

Der Anblick ist schrecklich. Ganz einfach. Entlang der größeren Blutgefäße gibt es eigentlich keine Stelle, die nicht von den hässlichen Bissspuren gezeichnet ist. Vor allem die Innenseiten von Armen und Oberschenkeln hat es erwischt. Dort hört es aber nicht auf. Meine drei Foltermeister haben einfach in jede verfügbare Stelle gebissen.

„Valeria?“

Ich kratze meinen ganzen Mut zusammen und gehe langsam zur Tür. „Nicht erschrecken“, warne ich Erika und öffne die Tür.

„Ach du heilige Scheiße …“, stößt Erika aus und hält sich eine Hand vor den Mund. Schnell verändert sich jedoch ihr Gesichtsausdruck. Ich bemerke, dass ihre Augenfarbe flackert. Als sie mir ins Gesicht sieht, sind ihre Augen golden statt braun.

„Dafür werden sie bezahlen. Das schwöre ich dir“, sagt sie in einem Tonfall, der keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Drohung lässt. Entschlossen geht sie auf meinen Kleiderschrank zu.

„Hast du eine dünne Leggins?“, fragt sie mich.

„Ja, ich glaube schon.“ Verunsichert gehe ich zu meiner Kommode und suche danach. „Hier.“ Ich zeige sie der jungen Wölfin.

Erika nickt. „Gut. Dazu würde ein kurzer Rock passen und vielleicht ein lockeres T-Shirt oder ein Top.“

Sie fragt mich noch dies und das und zusammen suchen wir nach geeigneten Kleidungsstücken. Nach etwa einer halben Stunde sind wir fertig. Verblüfft betrachte ich mein Spiegelbild. Die dünne, schwarze Leggins verdeckt meine Beine bis zu den Knöcheln. Darüber trage ich einen leichten grünen Rock, der oberhalb der Knie endet. Farblich passend habe ich ein Baumwollshirt an. Nur der Hals und meine Unterarme sind noch frei. Zu Hause ist das nicht schlimm, aber für draußen muss ich mir etwas einfallen lassen.

„Wie findest du es?“, erkundigt sich Erika vorsichtig.

„Erstaunlich gut“, gebe ich zu.

Erika lächelt. „Schön. Wenn du rausgehst, solltest du dir wahrscheinlich ein leichtes Tuch umbinden. Für die Arme könntest du Stulpen verwenden oder einfach eine leichte Bluse oder Strickjacke überziehen. Was dir lieber ist.“

Ich drehe mich zu ihr um und umarme sie so fest, wie ich kann. „Danke!“

Sie erwidert die Umarmung und lächelt dann. „Keine Ursache. Es gibt noch ein paar andere Outfits. Wenn du dir eine blickdichte, hautfarbene Strumpfhose besorgst, wäre das Tragen von Röcken oder Kleidern ebenfalls möglich. Natürlich kannst du weiterhin lange Sachen tragen. Es ist nur, damit du etwas Abwechslung hast. Du musst dich wirklich nicht verstecken.“

„In Ordnung. Diese Dinge kann ich mir ja noch kaufen.“

„Wollen wir jetzt unseren Tee trinken?“, fragt Erika. Mittlerweile haben ihre Augen wieder ihre normale Farbe.

„Ja, gern. Verzeih, dass ich so lange gebraucht habe.“

„Hör bloß auf, dich zu entschuldigen!“ Wieder taucht das Flackern in ihren Augen auf.

Erstaunt sehe ich sie an. „Na gut. Ich halte ja schon den Mund. Ist es normal, dass sich deine Augenfarbe ändert?“

Erika seufzt. „Ja und nein. Meine Beherrschung hängt gerade am seidenen Faden. Was sie dir angetan haben …“ Sie gerät ins Stocken. „Ich würde diese Mistkerle liebend gern in der Luft zerreißen und hoffe, dass Konstantin sie möglichst lange leiden lässt, bevor er ihnen den Garaus macht.“ Mehrmals atmet sie tief ein und aus. „Meine Unbeherrschtheit hat mir den Ärger mir Ralf eingebracht. Das Flackern meiner Augenfarbe bedeutet, dass meine Wölfin sich in den Vordergrund drängt.“

Okay, denke ich. Mir wird bewusst, wie wenig ich eigentlich weiß und meine Neugier ist geweckt. „Wie muss ich mir das vorstellen?“

„Das mit der Wölfin?“ Erika zuckt mit den Schultern. „Schwer zu erklären. Man könnte sagen, es gibt zwei verschiedene Teile meiner Persönlichkeit. Meine menschliche Seite und die wölfische. Zusammen ergeben sie Erika. Als Mensch bin ich wesentlich bedachter, moralischer und komme gut mit den technischen Errungenschaften klar. Bei Neumond ist diese Seite am stärksten und es fällt mir leicht, mich zu tarnen. Meine Wölfin ist sehr leidenschaftlich. Sie will sich austoben, im Wald herumrennen und jagen. Sie tut nichts, was sie nicht will.“

„Muss kompliziert sein, zwei so verschiedene Seiten zusammenzuhalten“, meine ich.

„Manchmal. Sie ist ich und ich bin sie. Daran kann ich nichts ändern. Wir müssen nur zusehen, dass wir die Balance halten. Ich könnte mich niemals von ihr abwenden und sie dürfte nie dominieren. Beides hätte verheerende Folgen.“ Erika sieht mich an. „Aber eigentlich bin ich nicht gekommen, um über mich zu reden.“

„Ich weiß“, gebe ich seufzend zu. „Mittlerweile bin ich gut darin, Dinge von mir wegzuschieben. Nur ungern erinnere ich mich daran, aber Verdrängen hilft mir nicht weiter.“

„Lass uns einen Tee trinken und dann erzählst du mir, was du möchtest und kannst.“ Erika ergreift meine Hand und drückt sie leicht. „Wir lassen es langsam angehen. Ich will dich zu nichts zwingen.“

„In Ordnung.“ Ich werfe einen Blick auf die Uhr. In drei Stunden geht die Sonne unter und dann werden die Vampire nicht lange auf sich warten lassen. Normalerweise würde mich dieser Gedanke in Panik versetzen, aber mit Fabian habe ich kein Problem mehr. Konstantin hingegen ist eine ganz andere Sache.

Wir setzen uns in meine gemütliche Küche und trinken schweigend unseren Tee oder Kaffee. Innerlich sammle ich Kraft, um meine Geschichte erzählen zu können. Schließlich atme ich einmal tief durch und stelle die Tasse ab.

„Wie ich Alex kennengelernt habe, weißt du ja schon. Im Nachhinein erkenne ich, dass er mich von Beginn an manipuliert haben muss. Oftmals fragte ich mich am Tag danach, warum ich bestimmte Dinge getan hatte. Vieles ergab keinen Sinn und widersprach meinem Wesen. Ich denke, dass er mich oft gebissen hat.“ Bei dem Gedanken an die Situationen, in die Alex mich gebracht hat, erröte ich.

„Er hat dich Sachen tun lassen, die du freiwillig nicht machen würdest?“ Erika mustert mich. „Du meinst beim Sex, oder?“

Peinlich berührt, nicke ich. Meine Wangen glühen, aber es hilft nichts. „Auch. Es gibt bestimmte Praktiken, die ich weder mag noch ausprobieren wollte. Allerdings stellte ich mehr als einmal tagsüber fest, dass ich mit einigen Tabus gebrochen hatte. Ich konnte es mir einfach nicht erklären.“

„Niemand sollte dazu gezwungen werden, Handlungen auszuführen, die er oder sie nicht mag.“ Erika nimmt meine Hand. Ihre Wut ist deutlich sichtbar und passt so gar nicht zu der sonst so liebenswerten Wölfin. Sie wirkt gerade ziemlich blutrünstig. „Nur zu gern würde ich diesem miesen Schwein seinen kümmerlichen, kleinen Schwanz abschneiden …“

Ich bin einigermaßen entsetzt über ihre harten Worte. Nicht, weil mich das Bild so schockiert, sondern weil ich derlei Gewaltfantasien nicht gewöhnt bin.

Erika bemerkt es. „Tut mir leid. Meine Wut geht gerade mit mir durch.“

„Ist schon in Ordnung. Ehrlich gesagt, ist mir mittlerweile egal, was genau mit ihm und seinen zwei Spießgesellen passiert. Ich will nur, dass es endlich vorbei ist und sie keinen Schaden mehr anrichten können.“

„Konstantin wird schon dafür sorgen, dass die drei Mistkerle vom Wind verweht werden. Da bin ich mir ganz sicher.“

Interessiert sehe ich sie an. „Aber bei dem Rest nicht?“

Die junge Wölfin zuckt mit den Schultern. „Er wird jetzt nicht mein Busenfreund werden, aber ich denke, er ist ganz in Ordnung. Zwar wirkt er auf den ersten Blick kalt und gnadenlos, doch er scheint nicht voreilig zu handeln. Bei unserer ersten Begegnung vor zwei Tagen hätte er uns wesentlich mehr Probleme bereiten können. Außerdem mag Fabian ihn irgendwie. Wer weiß? Vielleicht steckt unter der harten Schale ein weicher Kern.“

„Mhm“, meine ich nachdenklich.

Jetzt ist Erika neugierig. „Warum fragst du?“

Es hat Vorteile, wenn die Wangen schon rot sind, denke ich, bevor ich antworte. „Nur so. Mir fiel auf, dass er nach meiner Befragung verändert war.“

„Aha.“ Sie zieht eine Augenbraue hoch. „Ich hoffe, er hat sich anständig verhalten, als er dich vor zwei Nächten nach Hause begleitete.“

„Ja, natürlich“, sage ich schnell. Vielleicht ein bisschen zu schnell.

Erika legt den Kopf schief und mustert mich. „Was hältst du denn von unserem mysteriösen Vollstrecker?“

Seufzend gestehe ich: „Ich weiß es nicht. Konstantin macht mir keine Angst mehr, aber er lässt mich eben auch nicht kalt.“

„Mhm.“

Es ist deutlich erkennbar, dass Erika sich ihre Gedanken macht. Ihre Stille verunsichert mich.

„Ich weiß, das Ganze ist total verrückt, aber …“, plappere ich los.

„Halt, halt, Valeria“, unterbricht sie mich. Sprachlos sehe ich sie an.

Erika schüttelt den Kopf. „Du musst unbedingt aufhören, dich für alles zu rechtfertigen. Niemand hat das Recht, dich für deine Wünsche zu verurteilen. Wenn dir Konstantin gefällt, dann ist das in Ordnung. Hässlich ist er ja nicht gerade.“

Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. „Er ist ein Vampir! Nach allem, was ich erlebt habe, wäre es Wahnsinn, wenn ich Interesse an ihm hätte.“

„Oder auch nicht.“ Sie zieht eine meiner Hände sanft weg, damit sie mich ansehen kann. „Vielleicht ist es genau das, was du brauchst. Durch Alex hast du nur das Schlechte erfahren, aber Vampire sind auch zu ganz anderen, schönen Dingen fähig.“ Jetzt wird Erika rot.

In mir herrscht ein heilloses Durcheinander. Meine Angst vor einem neuen Missbrauch, die schrecklichen Erinnerungen, sie schimpfen mich eine Närrin, weil ich es wage, auch nur an Konstantin zu denken. Auf der anderen Seite steht die kleine Stimme, die meint, dass ich nicht einfach alle über einen Kamm scheren kann. Außerdem könnte er mir wenigstens mit den Narben helfen … und so schlecht sieht er wirklich nicht aus ... Hin- und hergerissen zwischen diesen beiden Extremen, raufe ich mir die Haare. „Ach verdammt!“

„Entschuldige. Ich wollte dich nicht in diesen Zwiespalt bringen“, meint Erika besorgt. „Du sollst nur wissen, dass es kein Verbrechen ist, wenn du Gefallen an einem Vampir findest. Wichtig ist, dass du dich mit deiner Entscheidung wohlfühlst. Ich verspreche dir, nichts zu tun oder zu sagen, was du nicht möchtest. Keiner erfährt, was du mir erzählst, Fabian nicht und garantiert nicht Konstantin.“

Ich seufze und lasse die Hände kraftlos auf den Tisch fallen. „Du hast den Zwiespalt nicht ausgelöst. Letzte Nacht habe ich im Traum wieder durchlebt, was Alex und seine Konsorten mir angetan haben …“

Erika ist ganz Ohr und ich erzähle ihr, was vorgefallen ist. Immer wieder gerate ich ins Stocken. Irgendwann steht sie auf, setzt sich zu mir und nimmt mich in den Arm. Erst da fällt mir auf, dass ich weine. In letzter Zeit mache ich das oft, aber Erikas Anwesenheit ist Balsam für meine geschundene Seele. Wort für Wort sprudelt diese schreckliche Nacht aus mir heraus. Die junge Wölfin hört mir stumm zu und tröstet mich gleichzeitig. Als alles erzählt ist, fühle ich mich ausgelaugt, aber irgendwie auch seltsam erleichtert. Erikas Umarmung hält mich in der Gegenwart, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Ich kann ihre unbändige Energie spüren und weiß, dass sie zutiefst erschüttert und stinksauer ist.

Ich richte mich auf. Erika drückt mir ein frisches Taschentuch in die Hand. Nicht das erste an diesem Abend aber hoffentlich das letzte.

„Danke“, sage ich und putze meine Nase. „Jetzt bin ich bestimmt total rot gefleckt.“

„Ein bisschen“, gibt Erika zu und das dürfte die Untertreibung des Monats sein. „Wie geht es dir?“

„Besser“, antworte ich und meine es tatsächlich so. „Es hilft, endlich darüber zu reden.“

Sie lächelt mich an. „Das freut mich. Du kannst mich immer anrufen, wenn du Hilfe brauchst oder einfach nicht alleine sein willst.“

„Danke! Du weißt gar nicht, wie viel mir das bedeutet.“

„Ich bin froh, dass du dich mir anvertraut hast“, sagt Erika nur. „Nimm das Angebot aber auch wirklich an. Ich durfte mir neulich erst Gardinenpredigten anhören, weil ich mich nicht an meine Freunde gewandt habe, als es nötig gewesen wäre.“

„Na gut. Ich werde es versuchen.“

„Mach dir keine Vorwürfe, weil du Konstantin attraktiv findest. Was du erlebt hast, ist schrecklich. Aber ich denke, dass du deinem Herzen folgen solltest.“ Sie schenkt mir ein wölfisches Grinsen. „Wenn er Ärger macht, dann grille ich ihn.“

Erika meint das ernst. Ich bin schockiert und erheitert zugleich.

„Wie willst du das machen?“

„UV-Lampen.“

„Mhm, das könnte klappen“, überlege ich laut.

„Vielleicht ist es Zeit, drei Vampire ins Solarium zu schicken.“

Ich möchte gerade etwas erwidern, als Erikas Mobiltelefon klingelt. Sie sieht auf das Display. „Fabian“, sagt sie zu mir und geht dann ran.

„Hallo, bist du endlich aus dem Bett gekrochen?“, begrüßt die Wölfin ihren Freund.

Ich muss lächeln. Diese kleinen Seitenhiebe zwischen den beiden sind irgendwie niedlich. Erika unterhält sich kurz mit Fabian. Dann sieht sie mich an. „Wäre es in Ordnung für dich, wenn die Männer herkommen? Sie würden gern die Sache mit den Hunden klären.“

Einen kurzen Moment lang erfüllt mich Panik bei dem Gedanken, dass Vampire meine Wohnung betreten. Energisch schiebe ich sie weg. Fabian und Konstantin sind meine Freunde, sage ich mir. „Ist in Ordnung.“

Ich kann die Zweifel in Erikas Augen sehen und bekräftige meine Aussage noch einmal. „Sie können gern herkommen. Die Ratten sind schließlich in meinem Keller.“

„Na gut.“ Erika wendet sich wieder an Fabian. „Valeria hat zugestimmt. Wann denkst du, dass ihr hier seid?“

Sie lauscht auf die Antwort. „Gut, bis gleich.“

„Konstantin und Fabian sind in ungefähr einer halben Stunde hier“, verkündet die Wölfin. „Vielleicht möchtest du die Zeit nutzen, um dich ein wenig zu erholen?“

Kurz bin ich verwirrt, bis mir einfällt, wie verheult ich aussehen muss. „Mist! Das hatte ich völlig vergessen.“

Erika wirft mir einen mitfühlenden Blick zu. „Ich will dich nicht entmutigen, aber den beiden wird nicht entgehen, dass du geweint hast. Vampire haben scharfe Augen. Eine kalte Kompresse oder so dürfte aber nicht schaden.“

„Wenn das mal kein toller Weg ist, um das Interesse eines Mannes zu wecken“, murmle ich ironisch.

„Den Beschützerinstinkt weckst du damit bestimmt.“

Ich zeige ihr den Vogel. „Na prima. Dann gelte ich nur noch als das zarte Blümchen. Mein Bedürfnis, mich bevormunden und in Watte packen zu lassen, ist gleich Null.“

Die Wölfin lacht. „Das kann ich verstehen. Konstantin ist auch nicht gerade das Bild eines Ritters in strahlender Rüstung.“

„Wohl eher nicht“, stimme ich zu. „Na gut. Ich gehe mal kurz ins Bad.“

„Tu das.“ Sie zwinkert mir zu. „Hast du eine magische Creme gegen geschwollene Augen?“

„Nein, leider nicht. Die wäre bestimmt ein Verkaufsschlager.“

Nachdenklich betrete ich mein Badezimmer. Es ist nicht sonderlich groß, aber für mich reicht es. Das Beste daran ist jedoch die Badewanne. Ich bade für mein Leben gern. Außerdem kann man in einer Wanne duschen, andersherum wird es schwierig. Der Raum ist hell und besitzt praktischerweise sogar ein Fenster. Cremefarbene Fliesen bedecken Boden und Wände. Damit es nicht zu farblos erscheint, liegt ein roter Vorleger auf dem Fußboden und auch andere Einrichtungsgegenstände sind rot. Das ist mir jetzt allerdings egal. Ich öffne meinen Spiegelschrank und suche nach meiner Feuchtigkeitscreme. Als ich sie gefunden habe, stelle ich die Dose neben das Waschbecken. Im geschlossenen Spiegelschrank betrachte ich das Ausmaß meines Weinkrampfes: Meine Augen sind gerötet und leicht geschwollen und überall im Gesicht habe ich rote Flecken.

„Von wegen Beschützerinstinkt wecken. Jeder Mann würde schreiend wegrennen, wenn er mich so sähe“, murmle ich frustriert.

Dann drehe ich den Wasserhahn auf. Eisiges Wasser läuft in meine Hände und ich wasche mein Gesicht. Die Kälte hilft gegen die Schwellung. Mit ein bisschen Magie bewirkt es wahre Wunder. Innerlich rüge ich mich für meine Eitelkeit. Ich greife mir ein Handtuch und trockne mich ab. Als ich mein Spiegelbild erneut betrachte, ist es schon viel besser. Mit kreisenden Bewegungen massiere ich die Creme ein. Zum Glück habe ich heute auf das Make-up verzichtet, sonst hätte ich ausgesehen wie Alice Cooper, denke ich. Noch weiß ich nicht, was mich erwartet. Allerdings werden die beiden Männer wohl einen Plan machen wollen, wie wir weiter mit den Ratten verfahren. Mir graut vor der Verwandlung, aber mit zwei Vampiren und einer Werwölfin an meiner Seite sollte nichts Schlimmes passieren. Das mit den Fotos für die Akten ist schon klar. Ich frage mich nur, was sie dann mit Alex und seinen zwei Freunden vorhaben. Konstantin hat deutlich gemacht, dass sie sprichwörtlich vom Winde verweht werden. Mich schaudert es bei dem Gedanken daran. Ich habe kein Mitleid mit ihnen, aber ich kann das Töten auch nicht gutheißen. Nur ist es in diesem Fall die einzig sinnvolle Lösung. Alex und seine Kumpane haben bereits mehr als genug Schaden angerichtet. Ich atme noch einmal tief durch und gehe zurück zu Erika. Diese sieht mich erstaunt an.

„Dein Talent hätte ich auch gern. Du siehst verdammt gut aus.“

„Danke“, meine ich lächelnd. „Eigentlich darf ich meine Kräfte nicht für mich selbst verwenden, aber so kleine Zauber sind in Ordnung.“

Erika macht ein betrübtes Gesicht. „War ja klar, dass irgendwo ein Haken sein musste. Es wäre auch zu schön, wenn man sich die Dinge etwas vereinfachen könnte …“

„Tja, mit der Macht kommt eben auch die Verantwortung, wenn du auf der richtigen Seite stehen willst.“

„Warum müssen eigentlich immer nur die Guten nach den Regeln spielen? Das macht es den bösen Buben nicht unbedingt schwerer.“

Ich zucke mit den Schultern. „Wenn wir uns schon nicht daran hielten, könnten wir das wohl kaum von anderen erwarten. Es hat niemand behauptet, dass es einfach ist, das Richtige zu tun.“

„Du hast ja recht“, gibt Erika zu. „Es ist manchmal nur frustrierend.“

„Wem sagst du das?“ Ich werfe einen Blick auf meine Narben. „Ich wünschte, es gäbe dafür einen einfachen Weg.“

„Mhm.“ Erika sieht mich unsicher an. „Wenn Fabian Recht hat, dann gibt es eine Lösung ... Einfach dürfte das für dich jedoch nicht sein.“

Ich seufze. „Nein. Außerdem wäre Fabian dafür auch nicht der Richtige. Es reicht, wenn er ahnt, wo ich verletzt wurde. Ich möchte es ihm wirklich nicht demonstrieren. Ehrlich gesagt, denke ich nicht, dass er oder ich das könnten.“

„Ist es sehr mies und eigennützig von mir, wenn ich darüber erleichtert bin, dass er es nicht tun muss?“, fragt sie.

Ich kann sie verstehen und daher gelingt mir sogar ein kleines Lächeln. „Ist schon in Ordnung. Mir wäre es auch nicht Recht, wenn mein Freund einer anderen Frau so nahe käme. Beißen und gebissen zu werden, ist nun einmal sehr intim.“

Erika errötet. „Du musst mich für total bescheuert halten, nach dem, was dir angetan wurde.“

„Ich weiß nicht. Zwar wurde ich gebissen, aber nichts davon war freiwillig. Ich konnte die Lust spüren, die Alex empfand, das hat es für mich jedoch noch viel schlimmer gemacht.“

„Fabian meinte, dass sie die Spender entweder in Verzückung versetzen oder diese eben die Schmerzen spüren lassen.“ Sie stockt. „Was wir miteinander teilen, ist etwas anderes. Es geht ihm nicht um die Nahrungsaufnahme, dafür trinkt er auch zu wenig. Er sagt, dass er mich einfach beißen und in sich spüren muss.“

Einen Moment lang bin ich sprachlos. Was Erika beschreibt, ist so intim - eine vollkommene Vereinigung. Mir ist klar, wann der Biss stattfand. Unweigerlich taucht so eine Szene vor meinem geistigen Auge auf. Allerdings nicht mit Erika und Fabian. Nein, mein verkorkster Verstand hat nichts Besseres zu tun, als mich selbst mit einem gewissen Vollstrecker in inniger Umarmung darzustellen.

„Valeria?“

Ich zucke zusammen, als die Wölfin meine Hand ergreift.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“

Meine Wangen glühen. „Ich bekomme langsam Zweifel an meiner geistigen Gesundheit.“

„An deiner?“ Es ist klar, dass sie etwas anderes erwartet hatte.

„Ja, an meiner. Warum sonst sollte ich erotische Fantasien von einem wildfremden Mann haben, der ein Vampir ist und nicht sonderlich zugänglich wirkt?“ Das ist ausgesprochen, bevor mir bewusst ist, was ich gerade verrate.

Erika macht große Augen. „Du fantasierst über Konstantin?“ Sie ist ehrlich erstaunt, aber dann zuckt sie mit den Schultern. „Okay. Warum auch nicht? Soweit ich weiß, seid ihr beide Single und erwachsen. Somit dürft ihr tun, was ihr wollt … zum Beispiel heißen Sex haben.“

„Du bist unmöglich!“, beschwere ich mich halbherzig.

Doch Erika grinst mich an. „Wer hat denn hier versaute Gedanken?“

Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen. „Womit habe ich das nur verdient?“

„Das kann ich dir nicht beantworten. Außerdem musst du mit Konstantin ja keine ewige Bindung eingehen. Lass ihn doch einfach die Schatten der Vergangenheit vertreiben.“

Meine Finger landen geräuschvoll auf dem Tisch. „Du willst, dass ich eine Affäre mit Konstantin beginne, um mich selbst zu therapieren?!"

Gelassen zuckt Erika mit den Schultern. „Warum nicht? Männer machen das doch ständig. Ich habe noch nie gehört, dass sich einer für seine Bettgeschichten gerechtfertigt hätte. Bestimmt nicht, wenn er Single ist.“

„Weißt du, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, du wärst der Teufel, der mich zum Sündenfall überreden will.“

„Der Teufel bin ich nicht, das kann ich dir garantieren. Ich bin eine Werwölfin und wir lassen uns nicht vorschreiben, mit wem wir ins Bett gehen oder eben nicht.“

„Dein Selbstbewusstsein hätte ich gern.“

Erika sieht mich an. „Du brauchst dich nun wirklich nicht zu verstecken, Valeria. Auch die Narben können nicht überdecken, dass du eine schöne Frau bist. Konstantin stören sie bestimmt nicht.“

„Wie kommst du auf diese Idee?“, frage ich.

Die junge Wölfin beißt sich auf die Lippe. Einen Augenblick schaut sie mich unschlüssig an und seufzt schließlich: „Also gut. Ich habe mich sowieso schon verplappert. Aber nicht ausflippen oder so?“

Ich schüttle den Kopf und bin gespannt, was sie mir gleich eröffnen wird.

„Fabian wird mir dafür den Hintern versohlen …“, murmelt sie. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass der ‚ach so kalte‘ Herr Vollstrecker vielleicht etwas mehr als ein rein berufliches Interesse an dir haben könnte …“

Als ich nichts erwidere, fährt sie schnell fort. „Er wird sich dir nicht nähern, wenn du ihm kein Zeichen gibst. Sowohl Fabian als auch ich haben Konstantin deutlich gemacht, dass wir dich beschützen werden - auch vor ihm.“

„Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll“, flüstere ich und bin überrascht, dass ich überhaupt einen Ton herausbekomme. In mir schwirren so viele Gedanken und Gefühle herum, dass ich überhaupt nicht beschreiben kann, was ich fühle. Angst ist definitiv auch dabei. Wenn ich mich entscheiden sollte, wieder mit einem Mann zusammen zu sein, dann ist das Herausforderung genug. Konstantin ist ein Vampir, ein ungewöhnlicher und mächtiger dazu. Ich kann nicht ermessen, wie sich das auf mich und eine Beziehung auswirkt.

Erika drückt meine Hand. „Du musst mir nichts sagen oder dich entscheiden. Es liegt allein an dir, ob und was passiert. Sei dir nur bewusst, dass wir immer hinter dir stehen. Manchmal muss man tun, was das Herz verlangt, egal wie absurd es erscheint.“

„Okay. Ich werde darüber nachdenken. Allerdings glaube ich nicht, dass aus Konstantin und mir etwas wird. Wir sind zu unterschiedlich und ich möchte keinen Vampir in meinem Bett haben.“

Das Funkeln in Erikas Augen zeigt deutlich, was sie von meiner Aussage hält. Ich kann ja selbst nicht hundertprozentig daran glauben. Taktvoll erspart sie mir einen passenden Kommentar.

Anscheinend ist einige Zeit vergangen, denn wenig später klingelt es. Ich zucke zusammen und mein Herzschlag beschleunigt sich. Das letzte Mal, als Vampire in meiner Wohnung waren, endete es in einer Katastrophe für mich. Ein Zittern geht durch meinen Körper.

„Geht es dir nicht gut?“, erkundigt sich Erika. „Du bist plötzlich so blass geworden.“

Ich nicke und kämpfe gegen meine Panikattacke an.

Erika begreift, was das Problem ist. Sie schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.

„Tut mir leid! Wir hätten das Treffen doch lieber bei uns machen sollen. Wenn es besser für dich ist, dann sage ich ihnen Bescheid und wir gehen zu uns.“

„Nein, lass.“ Ich atme langsam ein und aus, dann straffe ich die Schultern. „Irgendwann muss ich mich der ganzen Sache stellen. Außerdem sind die Ratten in meinem Keller. Zum Glück bin ich nicht alleine.“

„Du bist nie alleine“, meint Erika nur und zusammen gehen wir zur Tür.


Neue Herausforderungen

Mein Herz schlägt schneller, als ich die Tür öffne. Ganz entgegen meiner Erwartung stehen die beiden Männer nicht ungeduldig vor meiner Wohnung. In ein Gespräch vertieft, erklimmen sie gerade die letzten Stufen. Ein Blick in Fabians Gesicht sagt mir, dass sie absichtlich gebummelt haben.

„Guten Abend, Valeria“, begrüßt er mich. Konstantin nickt mir höflich zu. Jedoch bleiben beide auf Abstand.

„Dürfen wir hereinkommen?“, erkundigt sich Fabian.

Diese Frage scheint überflüssig und doch ist sie sehr bedeutend. Langsam trete ich von der Tür zurück und öffne sie weiter.

„Hallo. Ja, natürlich.“

Von außen betrachtet muss die Szene komisch anmuten. Fast in Zeitlupe, zumindest für vampirische Verhältnisse, betreten die beiden Männer meine Wohnung. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, obwohl ich weiß, dass mir von ihnen keine Gefahr droht. Erika bricht die Spannung, indem sie Fabian umarmt.

„Hallo Fangzahn, habt ihr denn schon einen Masterplan gemacht?“, fragt sie und entschärft ihre Worte durch einen Kuss.

Wie immer bleibt es nicht bei einem kurzen Aufeinandertreffen der Lippen. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie leidenschaftlich sie auch andere Dinge tun. Peinlich berührt, wende ich meinen Blick ab. Ein Teil von mir ist eifersüchtig auf ihr Glück und ihre Vertrautheit.

Als ich aufsehe, bemerke ich, dass Konstantin mich mustert. Ein Schauer, der nicht nur von meiner Angst herrührt, läuft über meinen Rücken. Seine Augen wirken heute rauchgrau und warm. Der Vollstrecker ist alles andere als hässlich. Groß gewachsen mit welligen, rabenschwarzen Haaren und einem durchtrainierten Körper, dürfte er auf viele Frauen anziehend wirken. Der Kontrast zu seiner hellen Haut könnte nicht größer sein. Nicht nur die schwarze Kleidung bewirkt, dass ihn ein Hauch von Gefahr umgibt. Konstantin kann nicht gänzlich verbergen, dass er mehr als ein normaler Mann ist. Allerdings dürfte das den Reiz auf das andere Geschlecht nur noch erhöhen. Seine dunklen Brauen wandern nach oben und ich beobachte, wie sich ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitet. In diesem Moment wird mir bewusst, dass ich ihn anstarre.

„Haben Sie etwas gefunden, das Ihnen gefällt?“, fragt er mich leise.

Meine Wangen brennen und ich wende schnell den Blick ab. „Ich … ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, flüstere ich zurück.

„Mhm, also ich werde mich bestimmt nicht über Ihr neues Outfit beschweren. Es steht Ihnen sehr gut.“

Ich reiße die Augen auf und sehe an mir herunter. Bisher war mir nicht bewusst, dass ich viel mehr zeige als sonst. Die lange Kleidung verdeckte nicht nur meine Narben, sondern auch meine Kurven.

„Ich … ähm“, stottere ich. Sein kaum verhohlenes Interesse schmeichelt mir und ängstigt mich zugleich. Noch immer steht er einige Schritte von mir entfernt im Flur, doch es kommt mir viel näher vor. Ich kann seinen Blick förmlich auf meiner Haut spüren. Mein Körper reagiert darauf, aber gleichzeitig schrillen meine Alarmglocken. Schnell weiche ich noch weiter zurück. Meine Reaktion entgeht ihm nicht.

„Verzeihung“, sagt er leise und wendet sich ab. Sogleich fällt mir das Atmen leichter.

Zum Glück wählen Erika und Fabian diesen Moment, um wieder auf unserer Welt zu landen. Leider entgeht ihnen trotzdem nichts.

„Alles in Ordnung?“, fragt Erika mich und sieht Konstantin böse an.

„Ja, alles gut“, antworte ich.

„Lasst uns am besten das weitere Vorgehen besprechen. Wir hatten die Hoffnung, dass wir das Problem noch heute Nacht lösen können“, meint Fabian und lenkt so unser aller Aufmerksamkeit auf sich.

„Was habt ihr vor?“, fragt Erika.

Konstantin antwortet: „Wir würden gern die Bilder von den Hunden machen und dann in die Unterlagen der Polizei einfügen. Der Bericht ist so gut wie fertig, aber uns fehlen die Beweisfotos.“ Er sieht mich an, doch diesmal ist sein Blick ohne ein Fünkchen Gefühl. Es ist klar, dass er nun vollkommen auf seine Aufgabe als Vollstrecker konzentriert ist. Der schnelle Umschwung erleichtert und irritiert mich zugleich.

„Fühlen Sie sich in der Lage, die Ratten in Hunde zu verwandeln?“

„Ich denke schon“, meine ich. „Allerdings sollten wir sie vorher in einem anderen Käfig unterbringen. Der jetzige wird ihnen nicht standhalten und das Gebell dürfte die Nachbarn alarmieren.“

„Mhm, wir könnten sie in den Käfig sperren, den wir gestern von den Menschen erbeutet haben“, wirft Fabian ein. „Das wäre auch für unser weiteres Vorgehen sinnvoll.“ Er sieht zu Konstantin.

Dieser nickt. „Das stimmt.“ Seine Augen ruhen wieder auf mir. „Wirkt der Schlaftrank auch auf Vampire? Wenn ja, dann könnten Sie ihn vielleicht in die Blutration für die Ratten mischen. So dürfte gewährleistet sein, dass sie keinen Unfug anstellen.“

Ich überlege einen Augenblick. „Ja, das sollte möglich sein. Ich weiß nur nicht, wie gut der Trank bei ihnen wirkt. Spätestens bei Sonnenaufgang verliert er seine Wirkung.“

Konstantins Lächeln jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken. „Das passt perfekt. Wir wollen doch nicht, dass ihnen der schöne Sonnenaufgang entgeht.“

„Heute Nacht?“, japse ich.

Er legt den Kopf leicht schräg. „Wenn alles klappt, dann ja. Damit ist Ihr Keller dann wieder rattenfrei und meine Aufgabe hier erfüllt.“

Seine Worte beunruhigen mich, jedoch nicht nur wegen des Plans für die Ratten. Wird Konstantin dann auf Nimmerwiedersehen verschwinden?

„Natürlich helfe ich gern, aber …“

„Sie wollen nicht für den Tod anderer verantwortlich sein“, vollendet er meinen Satz. „Das sind Sie auch nicht, sondern ich. Egal, ob Sie mir helfen oder nicht, Alexander und seine zwei Freunde werden sterben, entweder durch die Sonne oder mein Schwert. So ist das Gesetz.“

Erika legt ihre Hand auf meinen Arm. „Es gibt keine andere Lösung.“

„Ich weiß“, gebe ich seufzend zu. „Aber ich kann es mir unmöglich ansehen.“

„Niemand wird Sie dazu zwingen. Wir brauchen jedoch Ihre Hilfe für die Zauber“, sagt Konstantin.

Ich schaue ihm in die Augen. Das kostet mich einiges an Überwindung, aber ich muss es mir beweisen. „Meine Hilfe werden Sie bekommen.“

Konstantin versteht den Wink und nickt. „Vielen Dank.“

Wir setzen uns zusammen und planen das weitere Vorgehen. Auf mich kommt viel Arbeit zu, aber es ist gleichzeitig ein Befreiungsschlag. Mir gefällt das Todesurteil nicht, aber Mitleid empfinde ich auch nicht. Gemeinsam mit Erika treffe ich die Vorbereitungen. Wir brauen den Schlaftrank und mischen ihn unter das Schweineblut. Erika verzieht das Gesicht.

„Mir ist es wirklich ein Rätsel, wie man sich davon ernähren kann.“

„Da bin ich überfragt“, gebe ich zu.

„Lästert ihr schon wieder über uns?“, mischt sich Fabian ein.

„Das würden wir doch nie tun“, meint die Wölfin.

„Ja, ja, wer’s glaubt.“ Fabian wirft selbst einen Blick auf unsere Suppe. „Mhm, appetitlich sieht das wirklich nicht aus und es riecht auch komisch.“

„Dürfte daran liegen, dass wir den Schlaftrank reingemischt haben“, erkläre ich.

„Vielleicht“, sagt Konstantin, der nun auch zu uns in die Küche gestoßen ist. Mein Herzschlag beschleunigt sich.

„Allerdings hat es auch damit zu tun, dass wir normalerweise kein Tierblut zu uns nehmen. Zudem schmeckt Blut anders, wenn es direkt aus der Quelle getrunken wird.“

Seine Worte verursachen mir eine Gänsehaut.

„Wir ernähren uns von menschlichem Blut, weil wir menschlich sind. Es ist einfacher zu verarbeiten und versorgt uns mit allem, was wir brauchen. Das hohe Alter, das wir erreichen, und unsere schnelle Heilung haben nun einmal ihren Preis.“

Erika macht ein nachdenkliches Gesicht. „Mhm. Fast könnte ich glauben, dass ihr euch biologisch so entwickelt hättet, aber ihr könnt euch doch nicht fortpflanzen. Das mit dem Herzschlag finde ich auch mysteriös.“

„Untot nennt man das“, zieht Fabian sie auf.

„Das mit der Fortpflanzung scheint trotzdem zu klappen“, wirft Konstantin ein.

Erika wird rot und Fabian nimmt sie in seine Arme. „Offensichtlich, aber es kommt einem Wunder gleich.“

Konstantin fährt sich mit einer Hand über das Kinn. „Wundersam ist es schon, aber vielleicht wissen wir einfach nicht genug. Die letzten Jahrhunderte haben wir mehr oder minder unter unseresgleichen verbracht. Es ist durchaus möglich, dass wir nur mit anderen übernatürlichen Wesen Nachkommen zeugen können.“

Ich möchte mich wirklich nicht genauer damit auseinandersetzen. Die Themen Schwangerschaft und Kinder sind in unbestimmte Zukunft verschoben worden. Dazu müsste ich erst einmal meine Angst vor Männern überwinden und dann auch noch einen finden, dem meine Narben egal sind, denke ich. Wie von selbst fällt mein Blick auf den Vollstrecker.

Ihm sind deine Narben anscheinend egal, flüstert diese fiese kleine Stimme in meinem Kopf. Er sah vorhin alles andere als abgeschreckt aus.

Meine Wangen werden rot. Ich will nicht über solche Sachen nachdenken! Nach allem, was ich weiß, verschwindet er aus meinem Leben, sobald Alex nur noch ein Häufchen Asche ist.

Das wird er nicht, wenn du ihm einen Grund gibst, wiederzukommen oder gar nicht erst zu gehen …

Nur zu gern würde ich meinen Kopf gegen die nächstbeste Wand schlagen, aber das dürfte die anderen drei Leute in meiner Küche ein wenig erschrecken. Ich zucke zusammen, als mich jemand am Arm berührt.

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragt Erika.

„Ja, wieso?“

„Na ja, du hattest gerade einen ganz komischen Gesichtsausdruck und warst sehr ruhig.“

Ich merke, wie sich die Röte meiner Wangen noch weiter vertieft. Alle drei mustern mich besorgt.

„Wenn es zu viel für Sie ist, können wir das auch an einem anderen Tag machen“, bietet Konstantin an. „Schließlich ist die letzte Aktion erst gestern Nacht gewesen und Sie waren den ganzen Tag arbeiten.“

Gern würde ich im Boden versinken, aber das bringt mich auch nicht weiter. „Nein, es ist schon in Ordnung. Ich bin nur etwas müde. Wenn wir heute alles erledigen können, sollte ich mich bald wieder erholen.“

Etwas an Konstantins Blick beunruhigt mich. Ich habe das ungute Gefühl, dass er mehr über den wahren Grund meiner Verwirrung weiß, als mir lieb ist. Allerdings sagt er nur: „Gut, dann lassen Sie uns am besten gleich anfangen.“

Gesagt, getan. Wir nehmen das präparierte Schweineblut und gehen hinunter in meinen Keller. Ich bin diesen Weg schon oft gegangen, aber diesmal fühlt es sich ganz anders an.

Heute ist die letzte Raubtierfütterung, geht es mir durch den Kopf. Sozusagen ihre Henkersmahlzeit. Ich vertreibe den letzten Gedanken schnell wieder. So dringend, wie ich Alex und Co endgültig loswerden will, über die Art und Weise denke ich lieber nicht nach. Es ist sonderbar, mit zwei Vampiren und einer Werwölfin in meinem kleinen Keller zu stehen. Ich schalte das Licht ein, was wahrscheinlich nur für mich einen Unterschied macht, und wir gehen zum Käfig. Er steht ganz hinten in einer Ecke und ist vor jeglichem Sonnenlicht abgeschottet. In der Hinsicht ist es praktisch, wenn man kein Fenster im Keller hat. Drei blutrote Augenpaare mustern uns.

„Mann, sind die gruselig“, murmelt Erika und sieht leicht angewidert auf die dreckig grauen Ratten.

„Können sie wahrnehmen, was ihr seid?“, frage ich.

Konstantin zuckt mit den Schultern. „Möglich. Am besten halten uns Fabian und ich im Hintergrund. Wir wollen ihnen doch keinen Anlass geben, ihr gutes Futter zu verachten.“

„Was, wenn sie es doch verweigern?“

„Das werden sie nicht.“ Konstantin klingt überzeugt. „Sie brauchen das Blut. Ich kann ihren Hunger spüren. Seien Sie also vorsichtig, wenn Sie es ihnen geben.“

Diese Warnung hätte ich nicht gebraucht. Schließlich füttere ich diese Biester seit Wochen. Heute ist alles anders. Ich schließe die Augen und überprüfe den Bann, der auf dem Käfig liegt. Niemand könnte es gebrauchen, wenn die Mistviecher ausbrechen würden. Aber alles scheint in Ordnung zu sein. Vorsichtig nähere ich mich dem Käfig und öffne die obere Klappe. So schnell ich kann, stelle ich die Schale mit dem Blut hinein und ziehe meine Hand heraus, gerade noch rechtzeitig. Bevor sie sich auf mich stürzen können, verriegle ich das Gitter.

„Das werde ich sicherlich nicht vermissen“, murmle ich mehr zu mir selbst.

„Ich kann es dir nicht verdenken“, meint Erika.

„Erstaunlich, dass Sie so lange durchgehalten haben, obwohl die Drei Ihre Fürsorge weder zu schätzen wissen noch verdient haben.“ Konstantins tiefe Stimme hat eine seltsame Wirkung auf mich. Sein Lob verunsichert mich zusätzlich. Er scheint einfach nicht der Typ für nette Sachen zu sein.

„Ich hatte keine Wahl. Entweder kümmere ich mich um sie oder sie würden in meiner Gefangenschaft sterben. Trotz allem, was sie getan haben, möchte ich nicht für ihren Tod verantwortlich sein. Ich kann sie schlecht frei herumlaufen lassen.“

„Sie halten an Ihren Grundsätzen fest“, sagt er und sieht mich seltsam an. Für ihn muss das alles lächerlich klingen. Konstantin besitzt bestimmt keine derartigen Skrupel. Abwehrend verschränke ich die Arme vor meiner Brust.

„Na und? Ich habe geschworen, dass ich willentlich keinem Lebewesen schade. Daran ist nichts Verwerfliches.“

Der Vollstrecker lächelt. Das hilft mir nicht gerade meine aufgepeitschten Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Mal ganz davon abgesehen, dass es nicht zu seiner sonst so finsteren Stimmung passt, ist dieses Lächeln regelrecht gefährlich.

„Ich meinte das wirklich nicht böse. Es würde mir viel Arbeit und anderen Leid ersparen, wenn mehr so handelten wie Sie, Valeria.“

Natürlich werde ich wieder rot. „Entschuldigung“, sage ich kleinlaut.

Konstantin möchte etwas erwidern, aber da tippt Erika mir auf die Schulter.

„Ich glaube, dein Trank zeigt Wirkung.“ Sie deutet auf den Käfig. Meine Ratte von einem Ex-Freund und seine zwei Mithäftlinge schauen uns aus müden Augen an. Erleichtert atme ich auf. Die erste Hürde ist geschafft.

„Gut. Dann kann ich bald mit dem Verwandlungszauber beginnen.“

Ich drehe mich zu Konstantin um und stelle fest, dass er erschreckend dicht hinter mir steht. Wärme geht von ihm aus und ich kann seine Macht deutlich spüren. Er hat eine eigenartige Wirkung auf meinen Körper. Wortlos starre ich auf seine breite Brust. Das entspricht meiner Augenhöhe und ist wahrlich kein übler Anblick. Unter seinem schwarzen T-Shirt zeichnen sich Muskeln ab, nicht übermäßig wie bei Bodybuildern, sondern äußerst reizvoll. Statt in Panik zu geraten, atme ich seinen Geruch ein. Überrascht stelle ich fest, dass ich ihn angenehm finde. Konstantin riecht sauber und männlich zugleich, irgendwie würzig auf eine gute Art und Weise.

„Valeria? Wollten Sie mir etwas sagen?“, reißt er mich aus meiner Starre.

Scheiße, ist das peinlich! Meine Wangen brennen und ich vermeide es, ihm in die Augen zu sehen. „Ähm, ja. Ich war ganz in Gedanken versunken, wie ich am besten vorgehen sollte. Soll ich die Ratten erst verwandeln, damit ihr die Fotos machen könnt, oder wollen wir sie vor der Verwandlung in den großen Käfig stopfen?“

Ich kann seinen Blick auf meiner Haut spüren und zittere leicht, nicht nur vor Angst.

„Mhm, wenn sie vollständig eingeschlafen sind, können Sie sie wandeln. Dann machen wir die Fotos und transportieren sie in Hundegestalt zu Karl und dem Käfig. Erst wenn dort alles vorbereitet ist, sollte der letzte Zauber gesprochen werden.“

„Ich rufe Karl an und sage ihm Bescheid, dass wir bald kommen“, meldet sich Erika zu Wort und verlässt den Keller. Plötzlich bin ich alleine mit zwei Vampiren. Ein leichtes Unwohlsein ergreift Besitz von mir.

„Geht es dir gut?“, fragt Fabian.

Es ist unheimlich, wenn die Leute in meiner Umgebung einfach alles mitbekommen. Wahrscheinlich kann ein Vampir Blutdruck und Puls besser messen als die handelsüblichen Geräte. Von Erika weiß ich, dass sie Angst oder Erregung ebenfalls spüren können.

So ein verdammter Mist, fluche ich gedanklich.

„Ja, alles gut.“

Fabian sieht Konstantin an. „Vielleicht sollten wir draußen warten, während Valeria den Zauber spricht. Wir wollen doch nicht, dass ihre Konzentration durch irgendetwas gestört wird.“

„Natürlich …“, meint der Vollstrecker vieldeutig und zusammen verlassen sie den engen Raum.

Ich lasse die Luft raus, von der ich nicht einmal wusste, dass ich sie angehalten hatte. Aufgewühlt fahre ich mir übers Gesicht. Offensichtlich hat Fabian bemerkt, dass Konstantin mich durcheinanderbringt. Der Vollstrecker muss mich für total bescheuert halten …

„Das hast du ja prima hinbekommen!“, schimpfe ich leise mit mir.

Aber es hilft alles nichts. Seufzend betrachte ich die schlafenden Ratten und mache mich an die Arbeit. Vorsichtig stupse ich eine an, um sicherzustellen, dass sie auch wirklich im Traumland sind. Erleichterung macht sich breit, als sie sich nicht mehr rühren. Ich nehme sie aus dem Käfig und lege sie im Bannkreis ab. Sicher ist sicher. Weil Hunde wesentlich größer sind als Ratten, entferne ich den Käfig aus dem Kreis. Dann schließe ich die Augen und konzentriere mich. Jahrelange Übung erleichtert es mir, meine innere Mitte zu finden und meine aufgewühlten Gefühle in den Hintergrund zu drängen. Im Geist visualisiere ich die Verwandlung der Ratten in Hunde. Ich spüre, wie meine Magie in mir pulsiert, und spreche die Worte, die meine Großmutter mir beigebracht hat. Die Magie fließt aus mir heraus und umschließt die drei schlafenden Ratten. Wie in einen leichten Schimmer gehüllt, verändert sich langsam ihre Gestalt, bis schließlich drei räudige Köter schnarchend auf dem Kellerboden liegen. Mit tiefen Atemzügen verberge ich meine Kräfte wieder.

Keine Minute später spüre ich die starke Präsenz des Vollstreckers hinter mir. Erschrocken fahre ich herum. Konstantin hat die Hände in einer Geste des Friedens erhoben.

„Ganz ruhig, Valeria.“ Tatsächlich nimmt mir seine tiefe Stimme etwas von meiner Panik.

Ich schließe die Augen und atme mehrmals tief durch. Dann sehe ich den Vollstrecker mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

„Machen Sie das nicht noch einmal!“, herrsche ich ihn an. „Sonst könnte es passieren, dass Sie Ihre letzte Nacht in menschlicher Gestalt verbracht haben.“

Er wagt es doch tatsächlich, zu grinsen. „Interessante Drohung. In was würden Sie mich denn verwandeln?“

Ich verschränke meine Arme vor der Brust und betrachte ihn geringschätzig, zumindest versuche ich es. Konstantin ist alles andere als hässlich und sein Körper … Reden wir lieber nicht drüber. Mich überkommt das ungute Gefühl, dass der Kerl genau weiß, was er mit seiner Aufforderung bewirkt.

„Vielleicht in einen Frosch?“, schlage ich vor.

„Aha, würde ich durch den Kuss der wahren Liebe dann zu einem Prinzen?“, scherzt Konstantin.

Ich erröte und korrigiere mich schnell. „Dann doch lieber in eine Schnecke.“

Das bringt den Vollstrecker zum Lachen. Verblüfft lausche ich diesem Geräusch, was so gar nicht zu dem ernsten und gefühlskalten Mann passen will. Es ist angenehm und ansteckend. Daher kann ich mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Noch mehr fasziniert mich jedoch die Wandlung, die in Konstantins Gesicht vor sich geht. Die grauen Augen leuchten förmlich und er wirkt jünger, unbeschwerter. Gegen meinen Willen beginne ich, mich für den Mann hinter dem Vollstrecker-Mantel zu interessieren.

„Sie haben Mumm und Talent. Ich bin beeindruckt.“

„Ich habe es satt, mich von arroganten Vampiren terrorisieren zu lassen“, gebe ich ohne nachzudenken zurück.

Die Heiterkeit verschwindet aus Konstantins Antlitz und ich bereue meine spontane Antwort. In seiner Gegenwart neige ich dazu, dumme Dinge zu sagen.

„Offensichtlich zählen Sie mich zu dieser Gruppe“, meint er und mustert mich aufmerksam.

Mir wird unter seinem Blick heiß und kalt. „Sie spielen mit mir“, behaupte ich.

Er runzelt die Stirn. „Warum denken Sie das?“

„Ihre Anwesenheit stellt eigenartige Dinge mit mir an …“

„Was für Dinge?“

Konstantin kommt näher und mein Körper reagiert wie automatisch auf ihn. Kleine Schauer laufen über meine Haut und mein Herz rast. Kurz vor mir bleibt er stehen. Das Luftholen fällt mir schwer. Mit jedem Atemzug nehme ich seinen betörenden Geruch wahr. Ein seltsames Gefühl breitet sich in mir aus und ich stelle erschrocken fest, dass mich dieser Vampir erregt.

„Hören Sie auf damit, bitte“, sage ich und weiche zurück.

Konstantin sieht mich fragend an. „Womit?“

Ich gehe einen weiteren Schritt nach hinten und stolpere über irgendetwas.

„Valeria, Vorsicht!“

Zu spät realisiere ich, dass hinter mir die Hunde liegen. Ich bereite mich innerlich auf einen unsanften Aufprall vor und hoffe inständig, dass die Hunde nicht erwachen und mich endgültig zerfleischen.

Es kommt jedoch nicht dazu. Starke Hände packen mich und im nächsten Moment werde ich gegen eine muskulöse Männerbrust gedrückt. Geschockt kralle ich mich an ihm fest. Es dauert eine Weile, bis ich mitbekomme, was ich da tue. Ich lockere meinen Griff um seine Arme und erröte. Wir berühren uns fast überall und Konstantins Wärme dringt in mich ein. Sein Körper an meinem fühlt sich viel zu gut an. Diese Anziehungskraft ist zu stark, um wahr zu sein. Ich bemerke, wie mir die Kontrolle entgleitet. Panik steigt in mir auf.

„Lassen Sie mich gehen, bitte“, flüstere ich.

Sofort gibt Konstantin mich frei. Ob er mich wirklich gehört oder einfach nur von sich aus gehandelt hat, kann ich nicht sagen.

„Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht verängstigen. Geht es Ihnen gut?“ Der Vollstrecker wirkt betroffen und ehrlich besorgt.

„Sie … ich …“, stammle ich und weiche zurück. Diesmal stoppt die Kellerwand meine Flucht. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn an. Ein Teil von mir erwartet, dass er sich auf mich stürzt und mich aussaugt. Dem anderen Teil ist das egal, der will Konstantin unbedingt wieder spüren, ganz nah, überall. Einen Herzschlag lang glaube ich, so etwas wie Schmerz auf Konstantins Gesicht zu sehen. Dann wendet er seinen Blick ab.

„Ich denke, es wäre besser, wenn Sie zurück in Ihre Wohnung gehen. Wir kümmern uns um die Hunde. Einzig für die Verwandlung in ihre menschliche Gestalt würden wir Ihre Hilfe benötigen. Aber eigentlich ist es egal, in welcher Form diese drei Verbrecher sterben.“

Ich stürze aus meinem Keller und pralle fast mit Fabian zusammen.

„Wow, Valeria. Was ist los?“

Reflexartig streckt er seine Hand aus, um mich zu stabilisieren. Im letzten Moment zieht er sie jedoch zurück. Offensichtlich wirke ich zu labil, um damit umgehen zu können.

„Ich … ich muss einfach hier raus“, keuche ich.

Fabian atmet tief ein und seine Miene verfinstert sich. „Dann geh. Erika ist oben.“

„Danke“, sage ich und wende mich ab.

„Valeria?“

Ich drehe meinen Kopf. „Ja?“

„Wenn er dir wehgetan hat, breche ich ihm jeden einzelnen Knochen.“

„Das hat er nicht, noch nicht“, flüstere ich. Dann renne ich die Stufen hoch, die aus dem Keller führen. Im Hausflur steht Erika und telefoniert. Sie wirft einen Blick auf mich und beendet ihr Telefonat.

„In Ordnung, ich rufe dich gleich zurück.“

Wie ein kleines Kind suche ich Schutz in ihrer Umarmung. Im Gegensatz zu Konstantin beruhigt mich ihre Nähe.

„Was ist passiert?“, fragt sie mich.

Ich schüttle nur mit dem Kopf und halte mich an ihr fest. Nur zufällig bemerke ich, dass Erika an mir schnuppert.

„Dieser Mistkerl!“, flucht sie.

Erschrocken zucke ich zusammen. Erika hält mich etwas von sich weg und sieht mich an. „Was hat er mit dir gemacht?“

„Wen meinst du?“

„Konstantin. Hat er sich an dich herangemacht, als wir draußen waren? Ich hätte dich niemals mit ihm alleine lassen sollen!“

Es dauert einen Moment, bis ich begreife, wovon sie redet. „Wie … wie kommst du darauf?“

„Ich kann ihn an dir riechen, ebenso wie deine Angst und deine …“ Ihre Augen weiten sich. „Wir gehen hoch in die Wohnung. Dann erzählst du mir haarklein, was passiert ist. Wenn er sich auch nur einen Fehltritt erlaubt hat, wird er es bereuen!“

Die Werwölfin ist wütend. Widerspruchslos folge ich ihr zu meiner Wohnung. Dort angekommen, stellt Erika den Wasserkocher an.

„Setz dich und sag mir, was genau gerade im Keller vorgefallen ist.“

Es fühlt sich komisch an, von ihr herumkommandiert zu werden, aber denken kann ich im Moment auch nicht. Erika bewegt sich zielsicher in meiner Küche und ich muss ihre Auffassungsgabe bewundern. Schließlich stellt sie mir eine Tasse dampfenden Kräutertees hin und setzt sich.

„Also, was ist passiert? Du riechst nach einigen Dingen, für die ich gerne eine Erklärung hätte.“

Ich umklammere meine Teetasse. Trotz der warmen Temperaturen sind meine Hände eiskalt.

„Ich …“, setze ich an.

„Ja?“

„Ich bin total bescheuert“, stoße ich hervor und lasse den Kopf hängen.

„Warum sagst du so etwas?“

„Weil es die Wahrheit ist. Konstantin kann das bestätigen.“

Erika sieht mich verwirrt an. „Wie wäre es, wenn du von vorn anfängst? Seit die Männer gekommen sind, verhältst du dich seltsam. Was läuft zwischen dir und Konstantin?“

Meine Wangen werden rot. „Ich glaube, er findet mich attraktiv. Zumindest hat er gemeint, dass ihm mein neues Outfit gefällt.“

„Hat er?“

„Ja, aber du und Fabian, ihr wart gerade anderweitig beschäftigt.“

Nun ist es an Erika, zu erröten. „Vergib mir. Wir geben uns Mühe, aber es fällt uns wirklich schwer, die Finger voneinander zu lassen.“

Ich winke schnell ab. „Ihr seid frisch verliebt. Da ist man immer eine Krankheit für alle anderen.“

„Mhm, mir gefällt nicht, dass mir dadurch so etwas Wichtiges entgangen ist.“ Sie schaut in ihre Teetasse und trinkt einen Schluck. „Was war das vorhin in der Küche? Da hat Fabian mich nicht abgelenkt.“

„Mein Kopf ist kaputt“, meine ich nur. „Sobald das Thema auf Sex oder Ähnliches zu sprechen kommt, tauchen ungewollte Bilder vor meinem geistigen Auge auf.“

Erikas Interesse ist geweckt. „Spielt Konstantin dabei eine Rolle?“

„Ja“, gebe ich zu. „Aller Wahrscheinlichkeit nach verschwindet das Problem jedoch, sobald Alex und Co dahin sind.“

„Möchtest du, dass Konstantin geht?“

„Ja und nein.“ Frustriert fahre ich mir mit den Fingern durch meine Haare. „Er hat eine sonderbare Wirkung auf mich. In seiner Nähe kann ich nicht richtig denken und meine Gefühle spielen verrückt.“

„Du fühlst dich zu ihm hingezogen?“

„Vielleicht. Ich hab heute mehr als einmal festgestellt, dass Konstantin auch anders sein kann, menschlicher.“

„Ihr kabbelt euch gern“, meint Erika.

„Na ja, ich weiß einfach nicht, wie ich mit seinen Aussagen umgehen soll. Wir sind so verschieden …“

„Du weißt, dass das nichts bedeuten muss. Fabian und ich könnten auch nicht unterschiedlicher sein. Trotzdem funktioniert es.“

Ich seufze. „Das ist mir bewusst. Konstantin hat eine beunruhigende Wirkung auf meinen Körper. Seine Wärme, seine Kraft und auch sein Geruch ziehen mich an.“

„Aber das Wissen, dass er ein Vampir ist, stößt dich ab?“, fragt Erika.

„Ich weiß es nicht. Wenn er mir nahe ist, habe ich das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.“

Die Wölfin sieht mich nachdenklich an. „Du befürchtest, dass er dich beherrschen könnte, wie es Alex getan hat?“

„Ein Teil von mir schon.“ Ich erröte. „Der andere Teil will ihn unbedingt spüren, trotz aller Risiken.“

„Mhm. Dein Trauma macht dir zu schaffen“, meint Erika. „Erzähl mir, wie sein Geruch auf dich gekommen ist.“

Um meinen trockenen Mund zu befeuchten, trinke ich einen Schluck Tee. Die Wärme tut gut und die Kräutermischung gehört zu meinen Lieblingssorten. Ein kleines bisschen Normalität in einer verrückten Situation.

„Konstantin tauchte plötzlich hinter mir auf, nachdem ich die Ratten in Hunde verwandelt hatte. Ich habe mich erschrocken und er entschuldigte sich. Eins führte zum anderen und ich habe wieder ein paar Dinge gesagt, ohne darüber nachzudenken. Du glaubst mir bestimmt nicht, wenn ich dir sage, dass Konstantin lachen kann.“

Erikas Augenbrauen wandern nach oben. „Du hast ihn zum Lachen gebracht?“

„Verrückt, oder?“ Das kleine Lächeln, was sich bei der Erinnerung daran gebildet hat, verschwindet so plötzlich, wie es gekommen ist. „Allerdings habe ich es versaut. Warum muss er auch so verdammt attraktiv sein? Ich mag nicht, dass es mich erregt, wenn ich nur auf seinen Körper starre. Das ist nicht normal.“

„Denkst du, dass er dich in seinen Bann gezogen hat?“ Die Wölfin sieht mich wachsam an. Mir ist klar, dass es nicht viel bedarf, damit sie dem Vollstrecker an den Hals springt.

„Ich weiß es nicht, aber wahrscheinlich braucht er es gar nicht. Es fühlte sich anders an als bei Alex.“

„Das möchte ich für ihn auch hoffen“, sagt Erika mit einem leichten Grollen in der Stimme.

Mir fällt ein, wie überrascht Konstantin war, als ich meinte, er sollte damit aufhören. „Ich denke nicht, dass er mich absichtlich beeinflusst. Als ich derartige Andeutungen machte, wusste er nicht, was ich meinte.“

Ich kann ihre Ungeduld spüren. Schnell erzähle ich Erika, was sich zugetragen hat.

„Mhm. Wenn Konstantin wirklich vorhätte, dich zu kontrollieren, was ich nicht glaube, dann wäre es Fabian sicherlich aufgefallen. Er erscheint mir nicht wie jemand, der sich einer unwilligen Frau bemächtigt. Wenn Konstantin das gewollt hätte, würden wir diese Unterhaltung nicht führen.“

Erikas Worte jagen mir einen kalten Schauer über den Rücken. Mir ist klar, was sie andeuten will. Der Vollstrecker hat gestern an Ralf eindrucksvoll bewiesen, wie mühelos er einen Menschen im Bruchteil einer Sekunde übermannen kann.

„Was will er bloß von mir?“, frage ich mich.

„Das musst du ihn schon selber fragen“, antwortet Erika. „Allerdings dürfte sein Interesse mindestens sexueller Natur sein.“

Erschrocken sehe ich sie an. „Wie kommst du darauf?“

„Sein Blick. Er kann nicht vollständig verstecken, dass er deinen Körper mag. Heute Nacht zeigst du, was du hast, und anscheinend gefällt ihm, was er sieht. Tut mir leid, ich hatte das nicht bedacht.“

„Ist schon in Ordnung. Ich hätte auch selbst darauf kommen können. Schließlich bin ich nicht das erste Mal unter Männern. Vampire werden sich da kaum unterscheiden.“

„Nicht wirklich“, bestätigt Erika grinsend. „Bis auf ihr Alter und die sonderbare Ernährung sind sie nicht viel besser als wir Sterblichen.“ Sie wird ernst. „Wenn sich Konstantin wirklich für dich interessiert, könntest du ihm doch eine Chance geben.“

„Ich weiß nicht“, wiegle ich ab.

„Mir ist bewusst, dass ich kein Recht habe, dir zu sagen, wer gut oder schlecht für dich ist“, meint Erika. „Aber du solltest ihm zumindest mitteilen, was er in dir auslöst. Er ist noch viel einsamer und einsiedlerischer als Fabian. Wenn er nur deine Angst spürt, dann wird er sich von dir fernhalten - für immer.“

Für immer? Ist es nicht das, was ich will? Keine manipulativen Vampire mehr, keine Gefühls-Achterbahn? Das alles stimmt und doch versetzt mir der Gedanke einen Stich, dass ich Konstantin nach der heutigen Nacht nie wieder sehen werde.

„Ich weiß nicht, ob ich das kann. Er hat bereits nach so wenigen Treffen eine ungeheure Macht über mich. Wenn ich ihn an mich heranlasse, habe ich Angst, mich zu verlieren.“

Erika ergreift meine Hand. „Starke Gefühle können erschreckend sein. Keiner weiß das besser als ich. Doch ist es nicht das, was uns leben lässt? Wenn du ihn nicht verlieren willst, dann versucht doch wenigstens, zu klären, was zwischen euch passiert. Vielleicht geht es ihm nicht anders als dir. Würdest du ihn denn in Betracht ziehen, wenn es Alex nicht gegeben hätte?“

Ich zucke mit den Schultern. „Möglich. Seine Anziehung ist so stark, dass ich ihn will, obwohl ich weiß, was er ist und was er mir antun könnte.“

„Dann rede mit ihm, Valeria. Keiner sollte besser verstehen, dass du Zeit brauchst, als er.“

Ich gebe mich geschlagen. „Na gut. Ich weiß zwar noch nicht, wie ich es anstellen soll, aber wir klären das. Ich werde den Hunden ihre ursprüngliche Gestalt wiedergeben. Damit ist die Sache dann hoffentlich erledigt.“

„Einige Wölfe aus meinem Rudel bewachen den Käfig, bis sich die Drei in Staub aufgelöst haben. Konstantin wäre zwar lieber dabei, aber das geht ja nicht.“

Ich bekomme Gänsehaut bei dem Gedanken an die Hinrichtung, denn nichts anderes ist es.

„Wirst du anwesend sein?“, frage ich Erika.

Diese nickt. „Ja, ich tue das nicht gern, aber ich will sicher sein, dass sie keinen Schaden mehr anrichten können.“

Ich seufze. „Hoffen wir, dass alles glattgeht.“

Sie lächelt mich an und drückt meine Hand. „Das wird es. Mit dem nächsten Sonnenaufgang bist du endlich frei.“


Knochenjob (Konstantin)

Fabian schaut mich erwartungsvoll an. Er hat die Hände in die Hüften gestützt und sieht alles andere als begeistert aus.

„Kannst du mir bitte mal erklären, warum ich beinahe von einer verängstigten Hexe über den Haufen gerannt wurde?!“

Schuldbewusst zucke ich zusammen. Es wurmt mich, dass Valeria so auf mich reagiert.

„Ist es wirklich so schlimm?“

Fabian seufzt und steckt die Hände in seine Hosentaschen. „Ja und nein. Sie hat Angst, aber nicht zwangsläufig vor dir.“

Ich fluche leise und sehe auf die drei schlafenden Hunde zu meinen Füßen. „Das wollte ich nicht.“

„Das möchte ich auch für dich hoffen.“

Überrascht sehe ich auf. Es gibt nur sehr wenige, die sich trauen würden, mir zu drohen.

„Dir ist schon klar, dass ich stärker bin als du?“

Lässig zuckt der jüngere Vampir mit den Schultern. „Ja und? Es gibt immer Mittel und Wege, um dir das Leben so unangenehm wie möglich zu machen. Ich kann dir garantieren, dass Erika sehr einfallsreich ist.“

Das kann ich mir gut vorstellen. Die junge Werwölfin dürfte nicht zu meinen größten Fans zählen. „Ihr seid wirklich ungewöhnlich“, meine ich kopfschüttelnd.

Er grinst. „Ich werte das als Kompliment. Du solltest dich schon einmal daran gewöhnen.“

„Warum? Nach eben bezweifle ich, dass ich Valeria wiedersehen werde, und deiner Wölfin möchte ich im Moment lieber nicht begegnen.“

„Was hast du eigentlich angestellt? Da lässt man dich ein paar Minuten alleine und schon gibt’s Ärger.“

Wenn mich diese Situation nicht selbst beträfe, würde ich über Fabians väterlichen Tadel bestimmt lachen. Frustriert sehe ich ihn an.

„Glaub mir, ich wollte Valeria bestimmt nicht verjagen. Eigentlich war die Stimmung in Ordnung, bis sie plötzlich meinte, dass ich aufhören soll.“

„Womit?“

Fabians Körper spannt sich an. Er verhält sich ganz wie ein großer Bruder, auch wenn es keine Blutsverwandtschaft zwischen ihm und Valeria gibt.

„Ich weiß es nicht. Wir haben uns eigentlich nur unterhalten und sie hat sogar Scherze gemacht.“ Zögerlich gestehe ich: „Sie hat behauptet, dass ich mit ihr spielen und meine Anwesenheit eigenartige Dinge mit ihr anstellen würde. Allerdings hat sie mir nicht verraten, warum sie das denkt.“

„Und? Spielst du mit ihr?“

Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Nein. Sowas habe ich nicht nötig. Ich bin nicht so verdorben wie diese drei“, sage ich und blicke auf die Hunde.

„Wie kommt dein Geruch auf ihre Kleidung und umgekehrt?“

Kurz verdrehe ich die Augen und stelle mich dem Verhör. „Als ich sie fragte, was genau meine Anwesenheit auslöst, ist sie vor mir zurückgewichen. Unglücklicherweise hatte sie vergessen, dass hinter ihr die Hunde lagen. Valeria stolperte und ich habe sie aufgefangen. Nichts weiter.“

„Mhm, das will ich dir mal glauben.“

„Äußerst großzügig“, meine ich sarkastisch.

Fabian grinst mich an. „Ich habe keine Angst vor dir und die Frauen ebenfalls nicht.“ Er bemerkt meinen zweifelnden Blick. „Auch Valeria nicht. Du weißt besser als jeder andere, was sie durchmachen musste. Jeglicher Kontakt zu Männern ist eine Herausforderung für sie und du bist nicht gerade ein Sonnenscheinchen.“

Diese Aufmunterung habe ich gebraucht … „Mir ist das durchaus bewusst. Nur ist es nicht so einfach, sich auch dementsprechend zu verhalten.“ Bei der Erinnerung an Valerias Erregung läuft ein leichter Schauer durch meinen Körper.

„Sie fühlt sich zu dir hingezogen“, stellt Fabian fest.

„Ach, erzähl mir etwas Neues. So viel habe ich mitbekommen. Es ist nicht genug, um ihre Angst zu vergessen.“

Er runzelt die Stirn. „Mhm. Ich weiß nicht. Vielleicht ist es nicht zu wenig, sondern zu viel.“

Jetzt bin ich verwirrt. „Wie meinst du das?“

„Na ja, wir wissen beide, was Valeria angetant wurde. Es kostet sie einiges an Überwindung, alleine mit uns in einem Raum zu sein. Was ist, wenn sie sich zu sehr zu dir hingezogen fühlt? Ihr habt euch erst ein paar Mal gesehen. Trotzdem reagiert sie eindeutig auf deine Nähe.“

Ich lasse mir diesen Gedanken durch den Kopf gehen. „Du könntest Recht haben. Solange wir uns kabbelten, war alles in Ordnung, aber als ich ihr ein Kompliment machte und wissen wollte, wie ich auf sie wirke, bekam sie Panik.“

Fabian schüttelt leicht den Kopf. „Valeria denkt bestimmt, dass sie verrückt geworden ist. Nach allem, was Alex ihr angetan hat, erscheint es surreal, dass sie sich aus eigenem Antrieb zu dir hingezogen fühlt.“ Er mustert mich aufmerksam. „Es ist doch ihr eigenes Verlangen, oder?“

Ich halte meine Wut über diese Beleidigung zurück. Jahrzehntelange Übung hilft mir dabei. „Es ist ihre eigene Entscheidung. Ich habe es nicht nötig, mir Frauen auf diese Weise gefügig zu machen. Sollte ich das bei ihr wagen, wäre ich ein noch viel größerer Verbrecher als diese drei.“

„Du weißt, dass ich dir glaube. Außerdem könnte ich es wahrnehmen. Nur Valeria kann es nicht, verstehst du?“

Langsam begreife ich, was er mir sagen will. Das macht meine Situation nicht unbedingt besser. „Wenn sie wirklich glaubt, dass ich sie in meinen Bann ziehe, dann hätten wir keine Chance …“

„Ihr solltet darüber reden, Konstantin. Es ist alles ein bisschen viel für sie. Wenn sie sich an die Situation gewöhnt hat, könnte es besser laufen. Gib ihr die Zeit, wenn du ehrliches Interesse an ihr hast.“

„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, sage ich. In meinem Inneren tobt ein erbitterter Ringkampf. „Meine Position als Vollstrecker birgt viele Gefahren, außerdem muss ich dahin gehen, wo mich der Rat haben will.“

„Schreib sie nicht gleich ab. Es findet sich immer eine Lösung. Niemand verlangt von euch, dass ihr auf ewig verbunden seid. Solange du mit offenen Karten spielst, sollte es kein Problem sein. Fernbeziehungen sind heutzutage keine Seltenheit.“

Einerseits hat Fabian recht, andererseits weiß ich nicht, ob ich das Risiko wagen möchte. Menschen sind so zerbrechlich. Valeria ist stark und gleichzeitig viel verletzlicher als andere Frauen. „Ich weiß nicht, ob ich meinem Verlangen nachgeben kann, oder darf.“

„Sprecht miteinander. Vielleicht ist jetzt einfach nicht der richtige Zeitpunkt für euch beide, vielleicht kommt er bald oder nie. Du wirst es nie herausfinden, wenn ihr diese Sache nicht klärt, bevor du auf Nimmerwiedersehen aus ihrem Leben verschwindest.“

„Ich muss verrückt sein, es auch nur in Erwägung zu ziehen“, murmle ich.

„Vielleicht bist du zum ersten Mal bereit zu leben“, gibt Fabian zurück. Sein Blick fällt auf die drei schlafenden Hunde. „Jetzt lass uns diese Sache zu Ende bringen. Die Nacht ist kurz und wir haben einiges zu tun, bevor sie ein Sonnenbad nehmen können.“

Es wurmt mich, dass Fabian derjenige ist, der den Blick fürs Wesentliche hat. Das ist eigentlich meine Aufgabe. Zwar bin ich für seine Hilfe sehr dankbar, aber das Kommando liegt bei mir. Zusammen positionieren wir die Köter und schießen einige Fotos. Ich nehme noch die Gebissabdrücke der drei und dann ist dieser Teil erledigt.

„Sagst du Karl Bescheid, dass sie die Hunde abholen können?“

Fabian nickt. „Ja, mach ich. Erika hat vorhin mit ihm telefoniert.“ Er wirft einen Blick auf seine Uhr. „Theoretisch sollten sie mittlerweile vorbereitet sein.“

Zum Telefonieren verlässt er den Keller. Ich hole Maulkörbe und Halsbänder heraus. Zwar schlafen die Hunde noch und die Wölfe sind bestimmt nicht wehrlos, aber sicher ist sicher. Alex und seine zwei Freunde, Klaas und Pit, haben genug Schaden angerichtet. Während ich die Köter transporttauglich mache, komme ich nicht umhin, Valerias Gabe zu bewundern. Es gibt nur noch sehr wenige talentierte Hexen und kaum eine dürfte eine derartige Verwandlung einfach so aus dem Ärmel schütteln. Zwar sind Rituale und Zaubersprüche wichtig, aber die entscheidende Komponente ist die Magie der Hexe selbst. Valerias Kräfte sind beeindruckend. Das und ihre unbestrittene Schönheit dürften ihr in Alex‘ Fall zum Verhängnis geworden sein. Der Rat führt gewissermaßen Personalakten von den Vampiren. Bei den meisten gibt es nicht viel zu berichten, da sie sich unauffällig verhalten. Fabians einzige Einträge betreffen sein Verhältnis zu Erika. Eine derartige Freundschaft erregt Aufmerksamkeit. Allerdings geht der Rat nicht so weit, die Vampire permanent auszuspionieren. Alex hingegen ist eine andere Geschichte. Er ist noch keine hundert Jahre alt und seine Mitstreiter sind einige Jahrzehnte jünger. Schon kurz nach ihrer Wandlung zeigten sie kleinere Auffälligkeiten. Nach allem, was ich über die drei herausgefunden habe, hätten sie niemals gewandelt werden dürfen. Schon als Menschen waren sie eher auf der dunklen Seite unterwegs. Leider waren sie weder damals noch in jüngerer Vergangenheit so offensichtlich am Werk, dass man ihnen ihre Taten nachweisen konnte.

Ich seufze. Manchmal bringt mich mein Beruf an die Grenzen meiner Belastbarkeit. Gerade die Taten von Alex und seinen Kumpanen werden mich noch eine Weile verfolgen. Ich kann einfach nicht verstehen, wie man Spaß daran haben kann, andere zu quälen und sie aus purem Vergnügen umzubringen. Die Leichen der anderen vier Opfer waren furchtbar zugerichtet und um sie herum war viel zu wenig Blut für die schiere Anzahl an Bissverletzungen. Es wundert mich nicht, dass Sigi den Tod seiner Tochter rächen wollte. Dennoch kann ich nicht gutheißen, dass er auf eigene Faust losgeht und sich an anderen vergreift. Fabian hatte Recht, als er sagte, dass der alte Mann einem leidtun könnte. Die Trauer um seine geliebte Tochter hat ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben. Anstatt Gewalt zu meiden, ging er dazu über, die vermeintlichen Mörder seiner Tochter zu jagen und zu quälen. Am Ende ist er nicht besser als die drei räudigen Köter zu meinen Füßen. Es ist ein passender Anblick. Ihr Fell ist dreckig grau oder schwarz und sie strahlen eine gewisse Gefahr aus. Zwar sehen sie nicht wie typische Kampfhunde aus, aber kein geistig gesunder Mensch würde mit ihnen kuscheln wollen.

Ungebeten taucht ein Bild vor meinem geistigen Auge auf. Eine junge Frau liegt scheinbar regungslos auf dem Fußboden. Drei Männer vergehen sich auf verschiedenste Art und Weise an ihr, bis sie gesättigt sind. Ihr Opfer ist dem Tode nahe, aber sie lachen sie nur aus und lassen sie zum Sterben zurück.

Valeria.

Ich schüttle meinen Kopf, um diese Bilder zu vertreiben. Meine Atmung geht schneller und ich spüre, dass ich transformiert bin. Schon seit knapp zwei Jahrhunderten mache ich diesen Job für den Rat. Glaubt mir, ich habe viele schreckliche Dinge gesehen. Dennoch hat mich nichts so sehr berührt wie das Schicksal der jungen Hexe. Es passt mir nicht, dass ich diesen Fall nicht so professionell angehen kann wie sonst üblich. Meine Isolation und die scheinbare Gefühllosigkeit sind mein Schutz. Ich habe eine Ewigkeit gebraucht, um die nötige Distanz aufzubauen und zu perfektionieren. In nur drei Tagen ist davon kaum etwas übrig geblieben und das frustriert mich unheimlich. Andererseits genieße ich die Gesellschaft von Fabian. Der junge Vampir ist außergewöhnlich. Ein unbedarfter Beobachter würde ihn anhand seines jugendlichen Aussehens wahrscheinlich für harmlos halten. Mir ist jedoch nicht entgangen, wie kaltblütig er mit Ralf umgegangen ist. Wer sich mit ihm anlegt, dürfte sein blaues Wunder erleben. Das bringt mich auf Fabians ungewöhnliche Beziehung zu Erika. Mir ist nicht bekannt, dass es eine derartige Verbindung schon einmal gegeben hat. Wenn, dann nur im Geheimen. Als ich gewandelt wurde, war der Umgang mit Werwölfen und Menschen verpönt. Es gab immer wieder kleinere Zwiste, aber in der Regel blieb man unter seinesgleichen und versuchte, allen anderen aus dem Weg zu gehen.

Diese Bindung zwischen den beiden ist etwas ganz Besonderes, denke ich. Die Sache mit dem wahren Gefährten klingt interessant, aber der Knackpunkt könnte bei der Blutsverbindung liegen. Möglich, dass dieses Zusammenspiel zur Schwangerschaft geführt hat. Als ich vor drei Tagen vor Erikas Tür stand, war ich nah dran, aus den Latschen zu kippen. Einer überraschten Werwölfin gegenüberzustehen, ist das eine, aber zu erkennen, dass sie schwanger ist, war dann doch etwas viel. Oftmals empfinde ich meine besondere Gabe als Fluch. Zwar ist sie hilfreich, um Verbrechen aufzuklären, aber andererseits hätte ich auf die eine oder andere Erfahrung gut verzichten können. Erikas Schwangerschaft hingegen ist das erste Mal, dass ich ein positives Erlebnis hatte. Das Kind ist in jedem Fall ein kleines Wunder. Noch kann ich nicht sagen, in welche Richtung es sich entwickeln wird, aber vielleicht ändert es sich noch mit der Zeit. Schließlich ist die Schwangerschaft erst ein paar Tage alt.

Ich hätte niemals gedacht, dass ich einmal jemanden beneiden würde. Allerdings ist es auch schwer, unbeteiligt daneben zu stehen, wenn Fabian und Erika zusammen sind. Ihre Liebe strahlt förmlich. Sie lassen ihren Gefühlen freien Lauf. Manchmal würde ihnen etwas mehr Diskretion guttun. Ein winziger, verkümmerter Teil von mir sehnt sich noch immer nach zwischenmenschlicher Nähe. Doch was sollte es mir bringen, mich zu verlieben, nur um diejenige dann zu verlieren? Ob an den Tod oder das Leben macht für mich keinen Unterschied. Dennoch nagen Fabians Worte an mir.

„Vampire sind geborene Einzelgänger? Nur, weil wir oftmals arrogante Idioten sind und uns vor dem Verlust fürchten, anstatt zu nehmen, was das Leben uns bietet. Wir existieren eine sehr lange Zeit, aber es ist unsere Entscheidung, ob wir es in Einsamkeit tun oder leben. Ohne Liebe ist unsere Existenz sinnlos, egal was wir uns einreden wollen.“

Dieser winzige Teil von mir wurde durch Fabians Worte wachgerüttelt und geht mir seitdem beständig auf die Nerven. Ja, ich bin beeindruckt von Valerias Stärke, aber das hat wenig mit der Anziehungskraft zu tun, die sie auf mich ausübt. Ich mag ihren Geruch: so weiblich mit einem Hauch Lavendel. Und ja, ich finde ihren Körper zum Anbeißen. Die Hexe ist weder zu dünn noch zu dick, sondern für meinen Geschmack genau richtig. Sexy Kurven, weiche Haut, ein hübsches Gesicht mit einem umwerfenden Lächeln, seidige, schwarze Haare und ein faszinierender Charakter, gepaart mit Intelligenz. Als ich sie heute Nacht in ihrem neuen Outfit sah, wäre mir fast die Kinnlade heruntergefallen. Wahrscheinlich hätte ich auch ein bisschen gesabbert. Valerias Augen fesseln mich allerdings am meisten. Dabei faszinieren mich nicht nur die seltene, dunkelblaue Farbe, sondern viel mehr die Gefühle, die sich in ihnen spiegeln. Mehrmals konnte ich heute beobachten, wie sie einen verhangenen Ausdruck bekamen, als sie mich betrachtete. Es schmeichelt mir ungemein, dass ihr offensichtlich gefällt, was sie sieht. Gleichzeitig macht diese Reaktion es mir unheimlich schwer, auf Abstand zu bleiben und sie nicht zu bedrängen. Der Geruch ihrer Erregung ist betörend und lässt mich zu leicht vergessen, was sie erleiden musste. Ich seufze, als ich an die panische Miene denke, den Valeria hatte, kurz bevor sie aus dem Keller floh.

Vielleicht hat Fabian tatsächlich Recht und sie hat mehr Angst vor ihren eigenen Gefühlen als vor mir. Ich würde es ihr wünschen. Natürlich ist das alles andere als uneigennützig. Mir selbst kann ich es ja eingestehen. Ja, ich will Valeria. So wie ein Mann eine attraktive Frau will. Leider hat auch ein anderer Teil von mir Interesse angemeldet und genau das macht es kompliziert. Wäre sie eine ganz normale Frau, dann würde ich mir bestimmt einen Schluck genehmigen. Bei dem, was sie durchgemacht hat, bezweifle ich allerdings, dass sie mich auch nur in die Nähe ihrer Adern lassen würde. Ein leichtes Zittern geht durch meinen Körper, als ich mich daran erinnere, wie weich und unglaublich gut Valeria sich in meinen Armen anfühlte. Ich kann es kaum erwarten, sie wieder dort zu haben und noch viel schönere Dinge mit ihr zu tun, Küssen zum Beispiel … Doch ich zwinge mich, die aufreizenden Bilder von Valeria in Unterwäsche zu verdrängen. Die Chancen, dass ich sie wirklich ungestraft berühren kann, sind geringer als ein Sechser im Lotto. Der feige Teil von mir will, dass ich meine Arbeit mache und schleunigst verschwinde.

Du bist ein Vampir und hast nichts mit Menschen und Werwölfen zu schaffen, flüstert er mir zu.

Seit wann laufen wir vor einer Herausforderung davon? Vielleicht braucht sie uns wirklich und wir brauchen sie definitiv, wenigstens für eine Nacht, widerspricht ein anderer Teil von mir.

Ich schüttle den Kopf und ringe meine Erregung nieder. Wenn es Valeria auch so ergeht, dann kann ich vollkommen verstehen, dass sie Angst vor ihren eigenen Gefühlen hat. Zum Glück kehrt Fabian kurz darauf zurück und lenkt meine Gedanken aufs Wesentliche.

„Karl ist in zehn Minuten da. Sie haben die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen getroffen.“

Ich nicke. „Gut. Überwachst du den Transport? Dann könnte ich mich in der Zwischenzeit um die zwei menschlichen Ermittler kümmern und den Fall zur Zufriedenheit aller abschließen.“

Er sieht mich misstrauisch an. „Nur, wenn du dich nicht heimlich aus dem Staub machst, um dem Gespräch mit Valeria zu entgehen. Ihr solltet es noch heute Nacht klären.“

„Weißt du, dass du einem mit deinen Ratschlägen ganz schön auf die Nerven gehst?“, meine ich mit einem leichten Knurren.

Fabian lacht nur. „So ist das Leben. Während du die Drecksarbeit machst, halte ich die Damen bei Laune.“

„Wollen wir hoffen, dass sich deine tröstenden Maßnahmen auf deine Frau beschränken.“

Fabians Blick ist nicht gerade freundlich. „Oh Mann. Ich hoffe, ihr beiden käst euch schnell aus, sonst wird meine Geduld mit dir arg strapaziert. Selbst wenn ich wollte, und das möchte ich wirklich nicht, dann könnte ich nicht mehr als eine Freundschaft mit Valeria haben. Das sollte auch endlich mal in deinen Dickschädel hineingehen! Außerdem kannst du dich nicht gleich mit gefletschten Fängen auf jeden Mann stürzen, der Valeria berührt oder auch nur ansieht. Eifersucht tut einer Beziehung nicht unbedingt gut.“

„Ja, ja. Ich hab’s kapiert“, sage ich. „Aber jetzt muss ich los, sonst schaffe ich nicht alles in dieser Nacht.“ Ich wende mich zum Gehen.

„Pass auf dich auf und lass dir nicht zu viel Zeit!“, ruft Fabian mir hinterher.

„Ja, Mutti. Ich bin rechtzeitig zum Essen wieder da.“

Mit schnellen Schritten verlasse ich das Haus und mache mich mit den Beweisfotos und meinem Notebook bewaffnet auf den Weg zu dem ersten Polizisten. Man kann über den Fortschritt meckern, wie man will, aber ich finde es durchaus praktisch, dass ich digital an alle nötigen Informationen komme. Mit dem nötigen Know-how und der technischen Ausstattung kann man so gut wie alles herausfinden. Das ist kein Geheimnis. Daher verwundert es mich immer wieder, was die Menschen alles ins Internet stellen, und von sich preisgeben. Ich will mich nicht beschweren, aber so ein gedankenloses Verhalten macht es nicht nur mir sehr einfach, an persönliche Daten heranzukommen.

Lautlos bewege ich mich durch die Dunkelheit. Über die Jahrhunderte habe ich vieles perfektionieren können. Das ist keine Eitelkeit, sondern purer Überlebenswille. Wer Vampire jagt, sollte auf alles vorbereitet sein. Dagegen mutet es schon fast einfach an, ein paar Menschen aufzuspüren und Akten zu manipulieren.

Kaum einer der Leute, an denen ich vorbeigleite, bemerkt etwas von meiner Anwesenheit. Für sie bin ich einfach nur ein schwarzer Schatten oder ein kalter Lufthauch, der die feinen Nackenhärchen aufstellt. Etwa eine halbe Stunde später bin ich an meinem ersten Ziel angelangt. Es ist ein glücklicher Umstand für mich, dass der Polizeiberuf kaum Zeit für ein Privatleben lässt. Beide Ermittler sind ledig und laut meinen Informationen allein zu Hause. Ich betrachte das Gebäude aufmerksam, in dem Kommissar Schneider wohnt. Keine schlechte Gegend und doch nichts Außergewöhnliches. Nur in vereinzelten Fenstern ist noch Licht zu sehen, unter anderem in der Wohnung meiner Zielperson. Ich überprüfe, dass mich keiner beobachtet, und zücke unauffällig mein Werkzeug. Mit wenigen Handgriffen ist die Tür offen und ich steige die Treppe zur Wohnung hinauf. Bevor ich mich mit meinen Dietrichen an der Wohnungstür zu schaffen mache, lausche ich auf Geräusche, die mir weiterhelfen könnten. Wäre doch blöd, wenn ich ausgerechnet in dem Moment die Tür knacke, wenn der Hausherr davor steht. Alles ist ruhig und so mache ich mich ans Werk. Natürlich könnte ich auch klingeln, aber mir ist es lieber, wenn die Begegnung nach meinen Vorstellungen verläuft. Ein leises Klicken signalisiert, dass die Tür offen ist. Ganz vorsichtig öffne ich sie einen Spalt und sehe hindurch. Als ich nichts Verdächtiges entdecken kann, schlüpfe ich lautlos in die Wohnung. Ein Großteil ist in Schatten getaucht, was mir sehr gelegen kommt. Ich schließe die Augen und taste mit meinen Sinnen die Räume ab. Meine Zielperson befindet sich im Wohnzimmer und sieht fern, allein. Auf leisen Sohlen nähere ich mich dem Raum. Die Anspannung steigt. Es ist wichtig, dass ich den Menschen so schnell wie möglich unter meine Kontrolle bringe. Wenn das funktioniert, ohne dass er mich bemerkt, wäre es ideal. Nur beiläufig nehme ich die Einrichtung zur Kenntnis. Der Mann ist ein waschechter Junggeselle und so ist die Wohnung nur mit dem Nötigsten ausgestattet und nicht blank geschrubbt.

Hätte ich noch einen Herzschlag, würde er sich jetzt beschleunigen und Adrenalin durch meinen Körper pumpen. Stattdessen erwacht mein Jagdtrieb und meine vampirischen Sinne drängen sich in den Vordergrund. So leise wie möglich drücke ich die Türklinke herunter und betrete den Raum. Allerdings scheint der Kommissar zu den wenigen Menschen zu gehören, die ein gutes Gespür für Gefahr haben, ist bei seinem Beruf wahrscheinlich besser, denn er fährt zu mir herum.

„Was zur Hölle?!“, stößt er entgeistert aus, als ich so unvermittelt vor ihm auftauche.

Mit einer Bewegung, die zu schnell für menschliche Augen ist, überbrücke ich den Abstand zwischen uns und ergreife ihn. Sobald der Körperkontakt hergestellt ist, erlahmt sein Widerstand. Ich dirigiere ihn zum Sofa und lasse mich ebenfalls darauf nieder. Der Kommissar ist in den Mittvierzigern und leger gekleidet. Ich muss nicht auf die Bierflasche sehen, um zu wissen, dass er leicht angetrunken ist. Wirklich eine Schande. Von ihm kann ich definitiv nicht trinken. Das ist jedoch nebensächlich. Ich bin ja nicht für einen Snack hergekommen, sondern um ein wichtiges Problem zu lösen. Der Blick des Mannes ist verhangen. Sorgsam durchstöbere ich seine Erinnerungen und manipuliere sie hier und da. Die Überfälle auf die vier jungen Frauen haben sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. So viel sinnlose Grausamkeit hatte er bis dato noch nicht gesehen. Ich zeige ihm die Fotos der Hunde und präge ihm die Lösung des Falles ein. Dann zücke ich mein Notebook und lasse mir von dem Menschen die Zugangsdaten für das Polizeisystem geben. Es ist etwas kniffliger, sich in deren internem System zu bewegen, aber das ist schließlich nicht mein erstes Mal. Schnell sind die richtigen Akten gefunden und ich füge unsere Beweise ein. Dabei achte ich penibel darauf, jegliche Spuren zu mir oder den Werwölfen zu verwischen. Die angeblichen Rohdaten der Bilder hinterlege ich ebenfalls im System. Einige Minuten vergehen, bis ich alles erledigt habe. Ich wende mich wieder dem Menschen zu und präge ihm noch einige Anweisungen ein, die er am nächsten Morgen befolgen soll. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es eine Erleichterung für alle sein wird, wenn der Fall abgeschlossen ist. Nichts ist schlimmer, als bei derartigen Verbrechen keinen Täter zu finden und ewig von Ungewissheit verfolgt zu werden. Als alles erledigt ist, versetze ich den Menschen in einen tiefen Schlaf und verlasse die Wohnung.

Den zweiten Polizisten finde ich schon schlafend vor, was die ganze Angelegenheit noch vereinfacht. Ich spule mehr oder minder das gleiche Programm wie bei seinem Kollegen ab, sehr bedacht darauf, keine Widersprüche entstehen zu lassen. Als das schließlich erledigt ist, verwische ich alle Spuren und verlasse das Haus. Auf der Straße angekommen, atme ich die warme Nachtluft ein. Ich lehne mich an eine im Schatten liegende Wand und langsam legt sich meine Anspannung. Mein Magen knurrt. Derartige Aufgaben sind anstrengend und verbrauchen viel Energie. Zwar habe ich getrunken, bevor wir uns bei Valeria trafen, aber mein Körper verlangt nach Nahrung. Seufzend stoße ich mich von der Wand ab und mache mich auf die Suche nach einem geeigneten Spender. Es dauert eine Weile, bis ich einen jungen Mann ausfindig mache, der eine anständige Mahlzeit abgeben würde. Ohne großes Federlesen schlage ich ihn in meinen Bann und er folgt mir lammfromm in eine dunkle Gasse. Ich ziehe ihn an mich und atme seinen Geruch ein. Gesund, nüchtern und auch sonst ganz fit, sollte er keine Probleme haben, wenn ich mir ein bisschen Blut abzapfe. Im Bruchteil einer Sekunde haben sich meine Fänge ausgefahren. Zielsicher durchbohren sie die empfindliche Haut seines Halses unter der frisches, warmes Blut fließt. Sorgfältig reguliere ich meine Schlucke. Zu schnelles Trinken könnte dem Menschen schaden und Gier hat hier nichts zu suchen. Als mein Hunger gestillt ist, versorge ich die Bisswunde und schicke meinen unfreiwilligen Helfer seines Weges. Ich schließe die Augen und spüre, wie das Blut seine Wunder wirkt. Nach fast vierhundert Jahren als Vampir habe ich mich an vieles gewöhnt. Menschen zu beißen, ist nichts Besonderes mehr, auch wenn ich sehr vorsichtig bin. Gerade wenn man sonst keinen engeren Kontakt zu Sterblichen pflegt, ist es manchmal schwer, sie nicht nur als Nahrungsquelle zu betrachten. Genau das ist der Grund, warum einige Vampire anfangen, wichtige Regeln zu brechen, und zu Mördern werden. Schlachten die Menschen denn nicht auch ihre Kühe? Was mit Valeria und den anderen Frauen passiert ist, verkörpert einfach nur die Grausamkeit, die aus derartigen Ansichten entsteht. Dabei heißt es doch, dass man nicht mit seinem Essen spielen soll …

Der Gedanke an die hübsche Hexe weckt einen lang vergessenen Hunger in mir. Zwar lebe ich nicht im Zölibat, dennoch ist es schon eine ganze Weile her, dass ich eine attraktive Frau in meinem Bett hatte. Mit Macht versuche ich, meine Lust zurückzudrängen. Selbst im unwahrscheinlichsten Fall, dass ich Valeria auf diese Weise besser kennenlerne, dürfte bis dahin noch einige Zeit ins Land gehen. Im Moment ist es für sie kaum erträglich, mit mir alleine in einem Raum zu sein. Sex setzt ein großes Maß an Vertrauen voraus und viel Körperkontakt, zumindest wenn es nach mir geht. Ich erschaudere leicht, als ich mir vorstelle, wie ich Valerias verführerischen Leib erkunde. Bevor ich zu sehr von meiner lüsternen Fantasie vereinnahmt werden kann, klingelt mein Handy. Ich atme einmal tief durch und nehme dann den Anruf entgegen.

„Was gibt’s?“, frage ich.

„Ich wollte nur wissen, wie weit du bist“, sagt Fabian. „Bei uns ist alles vorbereitet. Die drei Drecksäcke haben wieder ihre ursprüngliche Gestalt und schlummern in dem massiven Stahlkäfig, den uns die Wolfjäger freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben.“

Ein bisschen muss ich über Fabians Ausdrucksweise schmunzeln. „Gut zu wissen. Ich habe beiden Ermittlern einen Besuch abgestattet und wollte gerade zu euch kommen. Wo seid ihr?“

Fabian nennt mir die Adresse und ich mache mich auf den Weg. Zu Fuß dauert es zwar etwas länger, aber Bewegung tut gut. Ich gehöre zu den wenigen Vampiren, die einen Führerschein besitzen, kürzere Strecken lege ich jedoch lieber ohne Auto zurück. Natürlich unterscheidet sich mein kurz erheblich von den üblichen Maßstäben. Ich bin gern draußen unterwegs. Besonders im Sommer genieße ich die Zeit, in der ich mich ohne Einschränkungen bewegen kann. Außerdem habe ich so Gelegenheit, über verschiedene Dinge nachzudenken.

Wenn Fabian wirklich Recht hat, dann sollte ich mit Valeria reden, bevor die Nacht zu Ende geht. Ein Blick auf meine Uhr sagt mir, dass ich noch circa zwei Stunden bis zum Sonnenaufgang habe. Ich habe nicht vor, so zu enden wie wir es für Alex und Co planen. Es bedeutet, dass ich nicht viel Zeit habe, um Valeria zu überzeugen, dass von mir keine Gefahr ausgeht. Noch immer fühle ich mich hin- und hergerissen.

Soll ich das Risiko eingehen und vielleicht eine Beziehung mit ihr beginnen oder wäre es besser, wenn jeder seiner eigenen Wege ginge?

Ich weiß keine Antwort darauf. Jedoch kann ich nicht leugnen, dass mich die Hexe magisch anzieht. Über dieses missglückte Wortspiel muss ich lachen.

Was auch immer heute Nacht zwischen uns geschehen mag, es dürfte für Komplikationen sorgen.

Wahrscheinlich ist es unprofessionell, dass ich mich derartig in einen Fall verwickeln lasse, aber ich kann nicht anders. Valeria ist eine schöne Frau, ohne Zweifel, aber ihre innere Stärke zieht mich an. Falls wir tatsächlich ein Liebespaar werden sollten, wird es sehr viel Geduld und Feingefühl meinerseits erfordern. Ich seufze niedergeschlagen.

„Ausgerechnet ich muss mir eine Frau aussuchen, die so vieles braucht, wovon ich keine Ahnung habe …“, murmle ich. Da fällt mir ein Spruch meiner Großmutter ein: Ohne Fleiß keinen Preis.

Mich beschleicht das ungute Gefühl, dass die Entscheidung schon lange getroffen wurde. Jetzt liegt es an uns, was wir daraus machen.



Asche zu Asche (Valeria)

„Konstantin dürfte bald hier sein“, bemerkt Erika und sieht mich aufmerksam an. „Ist alles gut bei dir? Du bist ein bisschen blass um die Nase.“

„Ja, alles okay. Es war nur ein langer Tag und so viele Zauber in einer Nacht kosten viel Kraft.“ Müde fahre ich mir mit der Hand über die Augen. „Sobald alles geklärt ist, werde ich mich auf den Heimweg machen. Ein bisschen Schlaf wäre nicht schlecht.“

Die junge Wölfin wirkt besorgt. „Es tut mir leid, dass wir dich derartig belasten. Gibt es etwas, das wir für dich tun können?“

Mein Blick wandert zum Käfig, in welchem die drei Vampire noch immer schlafend liegen. Mit dem ersten Sonnenstrahl erlischt nicht nur der Zauber, sondern auch ihr Leben. „Sagt mir einfach Bescheid, wenn es vorbei ist.“

Erika ergreift meine Hand und drückt sie aufmunternd. „Du wirst dich danach bestimmt besser fühlen. Auch wenn es barbarisch erscheint, es ist der richtige Weg.“

„Ich hoffe es. Weiß Fabian, ob alles geklappt hat?“

„Es klang zumindest danach. Die kommenden Tage werden zeigen, ob unser Plan aufgeht.“

Erleichterung macht sich in mir breit. „Das klingt doch ganz gut. Ich wäre nicht böse, wenn es ab jetzt etwas ruhiger wird.“

„Da sagst du etwas Wahres. In den letzten Wochen ist so viel passiert, dass mir alles so surreal vorkommt. Ich hätte nichts dagegen, wenn ich die Zeit mit Fabian einfach genießen und mich ohne Angst außerhalb meiner Wohnung bewegen könnte.“

Das würde ich mir auch wünschen, denke ich. Bei mir wird es jedoch noch eine ganze Weile dauern.

„Nach der heutigen Nacht sollten wir den Großteil unserer Probleme beseitigt haben. Die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen und dann können wir alle etwas ruhiger schlafen.“

„Ich hoffe wirklich, dass du Recht hast, Erika. Noch mehr Nächte wie diese und ich bin ein nervliches Wrack.“

Die Wölfin umarmt mich. „Kopf hoch. Es kommen auch mal wieder bessere Zeiten.“ Sie löst sich von mir und mustert mich. „Was belastet dich?“

„Vor dir kann man auch nichts verheimlichen“, beschwere ich mich halbherzig. „Ich weiß nicht, ob ich ihm gegenübertreten kann.“

„Konstantin? So schlimm wird es schon nicht werden.“

„Du hast gut reden, immerhin musst du ihm nicht gestehen, dass du einen an der Waffel hast.“

Erika verdreht die Augen. „Müssen musst du gar nichts. Außerdem bist du nicht verrückt, sondern traumatisiert. Wenn du ihn ohne nachzudenken einfach anspringen würdest, wäre es komisch.“ Sie stemmt die Hände in die Hüften. „Glaubst du, dass es für mich einfach war, Fabian meine Gefühle zu gestehen?“

Da ich mich noch sehr gut an ihre Unsicherheit erinnern kann, schlucke ich einen weiteren Einwand herunter.

„Okay, du hast Recht. Ich …“ Der Rest des Satzes bleibt mir im Hals stecken, denn der Gegenstand unserer Unterhaltung taucht aus der Dunkelheit auf. Ein Zittern geht durch meinen Körper. Konstantins vampirische Fähigkeiten sind erschreckend, aber seine Anziehungskraft als Mann überwiegt. Mein Herzschlag beschleunigt sich und ich beobachte gebannt, wie er sich uns nähert. Seine Bewegungen sind geschmeidig und erinnern mich an eine elegante Großkatze. So menschlich er auch aussehen mag, das Raubtier in ihm kann er nicht vollständig verbergen. Bevor er uns erreicht, wird er jedoch von Fabian und Karl abgefangen.

„Was ist?“, fragt Erika. Sie dreht den Kopf, um meinem Blick zu folgen. Dann grinst sie mich an. „Dich hat es anscheinend schwer erwischt.“

Das befürchte ich allmählich auch. Trotz des Gefühlschaos bemerke ich, dass Konstantin zu weit entfernt ist, um mich in seinen Bann zu ziehen.

„Sie können doch nur die Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung beeinflussen, oder?“

„Ja. Sie wollen ja schließlich nur einzelne Leute in ihren Bann schlagen, keine Massen. Du bist zwar sprichwörtlich unter Wölfen, aber im Prinzip sind wir auch nur Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Konstantin ist vielleicht mächtig, aber zaubern kannst nur du.“ Sie betrachtet mich nachdenklich. „Warum fragst du?“

Ich kann nicht vermeiden, dass ich erröte. „Na ja, wenn er mich nicht beeinflussen kann, dann muss ich selbst die Ursache für den Wirrwarr in meinem Körper sein …“

„Du solltest lernen, deinen Gefühlen wieder zu vertrauen, auch wenn es schwer ist. So lange du im Widerspruch mit ihnen stehst, wird es an dir zerren.“

„Ich weiß“, gebe ich zu. „Es ist nur so schwer.“

Erika drückt mich kurz an sich. „Vertrau auf dein Herz und denk daran: Wir sind immer für dich da.“

Ich weiß, dass sie die Worte auch so meint, und bin überglücklich, dass ich sie kennengelernt habe. „Danke. Das bedeutet mir sehr viel.“

Mein Aufschub ist vorbei, denn Fabian und Konstantin haben ihr Gespräch mit Karl beendet und kommen auf uns zu.

„Ist alles geklärt?“, erkundigt sich Erika bei ihnen.

Fabian nickt. „Ich denke schon. Karl hat uns versichert, dass sie den Käfig bewachen, bis es vorbei ist.“

„Werden sie denn gar kein Aufsehen erregen?“, frage ich mit Blick auf den massiven Käfig.

Konstantin schüttelt den Kopf. „Eigentlich nicht. Das Gebiet ist umzäunt und ziemlich abgeschieden. Wenn der Schlafzauber bis Tagesanbruch hält, werden die drei einen angenehmeren Tod bekommen, als sie verdient haben.“ Er zuckt mit den Schultern. „Selbst wenn sie irgendwelchen Krach machen sollten, wird von ihnen nichts als ein Häufchen Asche übrig sein, falls jemand gucken kommt.“

Der Vollstrecker schaut in den Himmel. „Es wird ein klarer, sonniger Tag. Das heißt, ungefähr eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang hat sich unser Problem in Luft aufgelöst. Um diese Uhrzeit sind kaum Menschen unterwegs.“

Ich erschaudere bei dem Gedanken daran. „Na gut. Dann wollen wir hoffen, dass alles ohne Probleme über die Bühne geht.“

Konstantin wendet sich mir zu und mir wird ganz anders. „Sie haben mir sehr geholfen, Valeria. Ihre Magie ist beeindruckend. Es ist unglaublich, wie gut Sie mit der ganzen Situation umgehen, trotz allem, was Sie erdulden mussten.“ Seine grauen Augen ziehen mich in ihren Bann. „Ich würde Ihnen Ihre Hilfe gern vergelten. Gibt es etwas, das ich für Sie tun kann?“

Warum nur tauchen bei dieser Frage erotische Bilder vor meinem geistigen Auge auf?! Meine Wangen glühen vor Scham. „Ich … ähm …“, stottere ich und reibe mir unbewusst über die Arme.

Konstantins Blick folgt meiner Bewegung. „Ihre Narben?“

Froh, eine Ausrede gefunden zu haben, antworte ich schnell: „Ja!“ Vielleicht ein wenig zu schnell, denn einen Herzschlag später wird mir klar, was das bedeutet. Scheiße …

Anscheinend hat der Vollstrecker meine Unsicherheit bemerkt. „Wenn das Ihr Wunsch ist, werde ich sehen, was ich tun kann. Aber Sie müssen sich nicht sofort entscheiden. Ich weiß, wie anstrengend die letzten Nächte waren.“ Er zückt eine Visitenkarte und hält sie mir hin. „Rufen Sie mich an, wenn Sie dazu bereit sind oder Hilfe brauchen.“

Mit zitternden Fingern nehme ich sie und berühre dabei aus Versehen seine Hand. Seine Wärme trifft mich wie ein Schlag. Schnell will ich sie wegziehen, aber Konstantin ist kein Mensch. Seine Hand umschließt meine, locker und doch wirksamer als jede Fessel. Mein Puls rast und ein leichtes Kribbeln breitet sich von der Stelle, an der wir uns berühren, weiter in meinem ganzen Körper aus. Konstantins Nasenflügel beben leicht, als er tief einatmet. Sein Blick scheint sich in meine Augen zu brennen.

„Versuchen Sie, nicht wegzurennen. Nichts animiert einen Jäger mehr als das.“ Das Lächeln auf seinem verführerischen Mund hat eindeutig etwas Raubtierhaftes. „Ich bin ein Jäger durch und durch. Vergessen Sie das niemals, Valeria.“

Wie könnte ich? Mir fehlen die Worte und so nicke ich nur. Meine Stimme ist auf unbestimmte Zeit an einen geheimen Ort verreist und das Schlucken fällt mir schwer. Konstantin überrascht mich, indem er meine Hand an seine Lippen führt und mir einen Handkuss gibt. Der Kontakt dauert nur den Bruchteil einer Sekunde und trotzdem fühlt es sich an, als hätte er mich auf ewig gezeichnet. Dann gibt er mich frei.

„Bis bald, Valeria. Passen Sie gut auf sich auf!“

Mit einer eleganten Verbeugung verabschiedet er sich von mir. Erika und Fabian winkt er kurz zu und wendet sich dann zum Gehen. Nur ein kurzer Stopp bei Karl am Käfig hält seinen Rückzug auf. Der Vollstrecker mustert die drei schlafenden Vampire. Ich habe keine Ahnung, was die beiden Männer besprechen, aber ich sehe, dass Konstantins Hände zu Fäusten geballt sind. Einige der Wölfe werden unruhig und weichen zurück. Erst ist mir nicht klar, warum, aber dann wirft Konstantin mir einen letzten Blick zu. Blutrote Augen starren mich an, die Augen eines Monsters. Abrupt wendet er sich ab und verschwindet in der Dunkelheit.

 

Geschockt sehe ich ihm hinterher. „Was … was war denn das?“, flüstere ich.

„Wut“, antwortet Fabian.

„Auf wen denn?“, frage ich.

„Die drei im Käfig und sich selbst, nehme ich an.“

Ich bin verwirrt. „Warum auf sich selbst?“

Fabian zuckt mit den Schultern. „Es ist seine Aufgabe, zu verhindern, dass solche Vorfälle passieren. Alex und seine zwei Freunde haben vier Menschenleben auf dem Gewissen, dazu noch deine Verletzungen und den Ärger mit den Wölfen. Jedes für sich wäre schon eine große Sache, aber alles zusammen? Ich denke nicht, dass es derartige Vorfälle oft gibt.“

„Aber warum macht er sich denn Vorwürfe? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nachlässig gearbeitet hat“, meine ich.

„Das mag sein, aber am Ende warst du es, die dem Morden Einhalt geboten hat.“

„Meinst du, dass er mir deswegen böse ist?“

Fabian lacht. „Ganz sicher nicht. Wie kommst du auf so eine absurde Idee?“

Meine Wangen färben sich rot. „Na ja, sein Blick eben war nicht gerade freundlich.“

„Du meinst, weil er transformiert war?“, erkundigt er sich. Ich nicke.

„Wir transformieren aus den verschiedensten Gründen, Valeria. Nicht immer sind Mordlust, Hunger oder Wut die Ursache dafür. Allerdings gehe ich davon aus, dass Konstantin diese drei nur zu gern eigenhändig in Staub verwandelt hätte.“

Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss, jemanden umbringen zu wollen. Selbst nach allem, was sie mir angetan haben, könnte ich Alex und Co nicht vernichten. Mir ist klar, dass es die einzige Lösung ist, aber ich bin nicht in der Lage, es mir anzusehen. Ich möchte nicht töten und auch nicht töten wollen. Dadurch wäre ich nicht besser als die drei abtrünnigen Vampire im Käfig. Doch was sagt es über Konstantin aus? Sein Job ist es nun einmal zu töten. Nicht, weil er es genießt so wie Alex, sondern um andere zu schützen.

Mein Kopf schwirrt vor lauter Fragen, auf die ich heute Nacht definitiv keine Antworten mehr finden werde. Unbewusst streiche ich mit den Fingern über die Visitenkarte, die Konstantin mir gegeben hat. Neugierig sehe ich sie mir genauer an. Sie ist schwarz und schlicht. Ich drehe sie hin und her. Es steht nicht viel drauf. In silbernen Lettern sind Konstantins Name und seine Telefonnummer auf die Rückseite geprägt.

Erika reißt mich aus meinen Gedanken. „Kommt, ich bringe euch nach Hause.“

Erschrocken schaue ich auf meine Uhr. „Verdammt! Schon kurz vor drei.“

„Deswegen müssen wir auch los“, meint Fabian. Sein Blick richtet sich gen Himmel. „Der Sonnenaufgang lässt nicht mehr so lange auf sich warten und Sonnenschutz für Vampire ist noch nicht erfunden worden.“

Ich sehe ebenfalls hinauf, kann jedoch nichts erkennen, was das Ende dieser Nacht ankündigen würde. Allerdings sind meine Augen nicht so gut wie seine.

„Dann los“, meine ich.

Die Autofahrt verläuft weitgehend in Schweigen. Es ist nicht so, als hätten wir uns nichts zu sagen, aber die kommenden Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. So richtig wie die Bestrafung von Alex und seinen zwei Freunden auch ist, keiner von uns kann es auf die leichte Schulter nehmen. Etwa zwanzig Minuten später setzt mich Erika vor meinem Haus ab.

„Vielen Dank für deine Hilfe, Valeria. Ohne dich hätten wir das nicht hinbekommen“, sagt Fabian.

„Ist schon in Ordnung. Letzten Endes habe ich nur getan, was erledigt werden musste“, antworte ich.

Er schaut mich ernst an. „Trotzdem. Wenn alles glatt läuft, dann solltest du deine Ruhe vor ungebetenen Störungen und ungehobelten Vampiren haben. Ein bisschen Erholung würde uns allen guttun, doch du hast die Hauptlast getragen.“

„Ihr habt genauso geschuftet“, widerspreche ich. „Aber du hast Recht, ein paar Nächte mit Schlaf wären schon schön.“

„Du bist ein Kind der Sonne wie meine kleine Wölfin.“ Fabian lächelt liebevoll. Sein Arm liegt um Erikas Schulter. Beide stehen eng aneinandergeschmiegt vor mir. Ich beneide sie um ihre Vertrautheit und ihre Liebe.

„Pass auf dich auf“, bittet Erika mich. „Melde dich, falls du Hilfe brauchst, egal um welche Uhrzeit.“

„Danke. Ich werde vorsichtig sein“, versichere ich ihr. Wir umarmen uns kurz. Eigentlich ist es Zeit zu gehen, aber ich zögere. Eine Sache lässt mir keine Ruhe.

„Was soll ich wegen Konstantin unternehmen?“

„Ruf ihn an, wenn du so weit bist“, antwortet Fabian. „Bis dahin wird er dich in Ruhe lassen.“

„Was, wenn ich das nicht will?“, frage ich.

Fabian zieht eine Augenbraue hoch. „Ihn anrufen oder, dass er dich in Ruhe lässt?“

Ich kann nicht vermeiden, dass ich erröte. „Beides?“

„Verstehe einer euch Frauen“, murmelt der Vampir und erntet dafür einen Ellenbogenhieb von Erika. „Aua!“, ruft er und reibt sich die schmerzende Stelle.

„Den hast du verdient“, sagt sie zu ihm und sieht mich dann an. „Melde dich bei ihm, Valeria. Der Impuls muss von dir ausgehen, immerhin hat Konstantin dir die Gelegenheit gegeben, in Ruhe über alles nachzudenken. Nutze die Zeit und folge dann deinem Herzen. Die letzten Tage und Wochen waren chaotisch. Wenn sich alles beruhigt hat, fällt es dir bestimmt leichter, eine Entscheidung zu treffen.“

Mir ist klar, dass sie recht hat, aber: „Was ist, wenn er dann außer Landes ist?“

„Bis diese Sache hier vollständig geklärt ist, wird er in der Nähe bleiben“, meint Fabian. Er zögert kurz und fügt schließlich hinzu: „Ich könnte mir vorstellen, dass Konstantin ein wachsames Auge auf dich wirft. Du hast in letzter Zeit so viel durchmachen müssen, dass er dich nicht ungeschützt herumlaufen lässt.“

Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Verwirrt runzele ich die Stirn. „Aber warum soll ich mich dann bei ihm melden, wenn er mich beobachtet?“

„Du wirst nicht wissen, ob er da ist, wenn er das nicht möchte. Es sind unsichere Zeiten und noch immer sind einige Fragen offen. Sieh es als reine Vorsichtsmaßnahme. Dein Anruf hingegen wäre eher privater Natur …“, meint Fabian.

„Na gut“, sage ich seufzend. „Heute Nacht treffe ich keine schwerwiegenden Entscheidungen mehr. Mein Körper verlangt nach Schlaf.“

Wir verabschieden uns voneinander und ich steige die Treppen zu meiner Wohnung hoch. Ich schließe meine Wohnungstür hinter mir ab und lehne mich erschöpft dagegen. Mit geschlossenen Augen lasse ich den Abend Revue passieren. Wir haben viel erreicht und doch kann ich Fabians Aussage, dass es noch immer gefährlich für mich sein könnte, nicht einfach abtun. Schließlich schleppe ich mich unter die Dusche. Diese Nacht hat viel Energie gekostet und gerade bekomme ich das deutlich zu spüren. Ein bisschen fühle ich mich an meine Kindheit erinnert, als meine Großmutter viele Stunden mit mir übte, um meine magischen Fähigkeiten zu schulen. Der Gedanke stimmt mich wehmütig. Damals war es zwar harte Arbeit, es erschien mir dennoch wie ein großes Abenteuer. Ich war jung, unschuldig und so voller Träume. Ein Teil dieses jungen Mädchens starb zusammen mit meinen Eltern. Durch Alex wurden meine Unschuld und mein Idealismus vollends zerstört. Noch immer bin ich damit beschäftigt, die Scherben meines alten Lebens aufzusammeln und zu einem neuen Bild zusammenzusetzen. Ich ziehe mich aus und steige in die Dusche. Dann drehe ich das heiße Wasser auf. Ich wasche meine Haare und seife mich mit langsamen Bewegungen ein. Zwangsläufig werde ich dadurch wieder mit meinen Narben konfrontiert. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann sie weder ausblenden noch akzeptieren. Mit geschlossenen Augen genieße ich das heiße Wasser. Dessen Wärme dringt in meinen Körper und vertreibt den eisigen Hauch meines Traumas, das immer direkt unter der Oberfläche lauert. Das beständige Plätschern des Wassers lullt mich ein und ich dämmere langsam weg.

Plötzlich spüre ich Hände auf meiner Haut. Ich zucke zurück. Statt der Duschwand pralle ich jedoch gegen einen warmen und eindeutig männlichen Körper.

„Hab keine Angst vor mir“, flüstert eine tiefe Stimme in mein Ohr. „Du bist so schön.“

„Konstantin!“, keuche ich erschrocken.

Ich fühle das leise Lachen mehr, als ich es höre. „Hast du jemand anderen erwartet?“

„Ich …“ Der Rest des Satzes bleibt in meinem Hals stecken. Konstantins Finger streichen über meine Haut und Erregung macht sich in mir breit. Ich bin nicht gerade wie ein Model gebaut, aber das scheint ihn nicht zu stören, wenn ich die Härte richtig deute, die sich gegen meinen Hintern presst. Noch ist ein winziger Teil meines Hirns in der Lage zu denken.

„Was machst du hier?“, frage ich keuchend.

„Du hast mich gerufen“, antwortet Konstantin.

Er dreht mich zu sich um, so dass ich ihn sehen und nicht nur spüren kann. Der Anblick lässt den letzten Rest meines Verstandes im Nebel der Lust verschwinden. Zwar war mir klar, dass Konstantin gut aussieht, aber dass er so umwerfend sein kann? Groß, muskulös und nackt wirkt er wie eine der römischen Marmorstatuen, die ich im Museum oft bewundert habe. Nur dass der Mann vor mir lebendig ist, sozusagen. Sein schwarzes Haar ringelt sich durch die Feuchtigkeit ein wenig. Die rauchgrauen Augen schauen warm und eindeutig hungrig auf mich hinab. Überrascht stelle ich fest, dass ich keine Angst vor ihm habe. Überall auf seinem Körper glänzen Wassertropfen. Neugierig lasse ich meinen Blick nach unten wandern und meine Augen werden groß.

Oh. Mein. Gott.

Hitze schießt in meinen Unterleib und ich erröte. Schnell blicke ich auf.

„Ich weiß nicht, ob ich mich geschmeichelt fühlen oder mich entschuldigen soll“, meint er mit einem anzüglichen Grinsen.

„Arroganter Schnösel“, gebe ich zurück.

Konstantin lacht. „Das Kätzchen hat also auch Krallen.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739362304
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (September)
Schlagworte
Hexen Magie Freundschaft Werwölfe Vorurteile Liebe Vampire Humor Romance Fantasy Erotik Erotischer Liebesroman Liebesroman

Autor

  • Vanessa Carduie (Autor:in)

Vanessa Carduie erblickte an einem grauen Herbstmorgen 1988 in Dresden das Licht der Welt. Geschichten faszinierten sie von klein auf und bald folgten die ersten eigenen Erzählungen. Mittlerweile hat sie einen Masterabschluss in Biologie. Ihre Geschichten sind eine Mischung aus Liebesroman, Krimi und Fantasy, je nachdem, an welchem Projekt sie gerade arbeitet. Mit ihren Büchern möchte sie ihre Leserinnen und Leser zum Lachen, Weinen und manchmal auch zum Nachdenken bringen.
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Titel: Neustadtzauber