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TRACE

Eine unheimliche Wirklichkeit

von Thomas Vollmann (Autor:in)
251 Seiten

Zusammenfassung

Im Jahr 2008 haben die USA zusammen mit Physikern in der Schweiz eine Möglichkeit gefunden, leblose Objekte in die Vergangenheit zu schicken. Das Projekt "TRACE"! Die katastrophale, wirtschaftliche Lage in den USA und der EU lässt hochrangige Militärs auf die absurde Idee kommen, Deutschland rückwirkend den 2. Weltkrieg gewinnen zu lassen, um damit eventuell die komplette geopolitische und wirtschaftliche Lage zu verändern. Der Generalsekretär einer kleinen rechtsradikalen deutschen Partei wittert seine Chance. Mitarbeiter des BND und der CIA liefern sich einen vergeblichen Kampf gegen die Zeit. Zu spät - Deutschland hat den 2. Weltkrieg gewonnen. Versinkt die Welt nun im Chaos oder ist alles nur eine Illusion?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

Prolog

 

 

Montag, 25. November 1940 – Berlin

 

Vor dem Reichstag in Berlin hielt Reichskanzler Erich Raeder seine letzte Rede und dankte gleichzeitig auch, schon nach nur dreimonatiger Amtszeit, ab. Er übergab das höchste Amt in Deutschland an Konteradmiral Karl Dönitz. Raeder war gesundheitlich schwer angeschlagen und wollte oder konnte die Verantwortung nicht tragen, die auf seinen Schultern lastete. Die Vollversammlung der NSDAP hatte den gerade 49 Jahre alt gewordenen, ehemaligen Befehlshaber der U-Boote (BDU), Karl Dönitz, zum Nachfolger gewählt oder besser gesagt ernannt.

Nachdem Deutschland den Krieg gewonnen und Hitler durch das Attentat am 23. Juni 1940 in Paris ums Leben gekommen war, standen die Zeichen in Deutschland auf Umbruch.

Erich Raeder hielt jene denkwürdige Rede vor dem Reichstag, die das Glück und Geschick von Deutschland in den kommenden Jahren bestimmen sollte.

Er rekapitulierte den knapp einjährigen Krieg, beginnend mit dem Überfall auf Polen am 01. September 1939 und seinem Ende mit der Kapitulation Englands am 31. August 1940.

Nun hatten auch die letzten kleinen Kampfhandlungen ein Ende gefunden, die ersten Truppen wurden aus Norwegen zurückgebracht und es kehrte so etwas wie Normalität in ein.

Deutschland hatte einen gewaltigen Sieg errungen und stand nun vor der ebenso schwierigen wie faszinierenden Aufgabe, sich der neuen geschichtlichen Bedeutung zu stellen.

Durch den Tod Hitlers waren alle weiteren Kriegspläne verworfen worden. Die Sowjetunion mit Stalin stand, durch den Nichtangriffspakt vom 24. August 1939, still im Osten. Churchill hatte im August 1940 beim Einsturz eines Hauses den Tod gefunden und England selbst wurde geduldet, solange es nach den Wünschen der NSDAP handelte. Von den USA im Westen war keinerlei Feindseligkeit mehr zu befürchten und mit Italien war ein weiterer verlässlicher Partner zur Stelle.

 

Raeder sprach abermals von den unglaublichen Glücksfällen, die schließlich zur Kapitulation Englands und damit zum Ende des Krieges geführt hatten. Er verschwieg jedoch, wie schon so oft, Einzelheiten der Vorfälle und zu dieser Zeit konnte auch noch niemand genau wissen, was sich eigentlich genau zugetragen hatte.

 

Sonntag, 21. September 2008 - Miami – Florida

 

Es war schwülheiß in Miami an diesem Tag, wie eigentlich immer im September. Miami, aus der Indianersprache übernommen, abgeleitet von Mayaimi, was so viel bedeutet wie großes Wasser. Das Thermometer fiel selten unter achtundzwanzig Grad im Spätsommer, fünfunddreißig waren keine Seltenheit.

Pat Malone schwitzte und freute sich bereits auf den Feierabend, wenn er endlich nach Hause zu seiner Frau und seiner kleinen Tochter kommen konnte.

Nancy Malone hatte vor sechs Monaten die kleine Sly zur Welt gebracht, und seitdem konnte es Pat keinen Tag erwarten, nach Hause zu kommen. Pat war Logistikleiter im Container Hafen von Miami (25°46’15.77 N - 80°10’05.34 W) und machte diesen Job schon seit fast 10 Jahren.

Pat, eigentlich Patrick, war inzwischen 36 Jahre alt, aber außer der Geburt seiner Tochter hatte das Leben bis jetzt nicht viel für ihn bereitgehalten, sollte man meinen.

Pat brachte knappe 80 Kilo auf die Waage, bei einer Größe von rund einem Meter und achtzig war er ein durchtrainierter Mann mit dunkelblonden Haaren und grünblauen Augen.

 

Sein Gehalt vom Container Hafen Betreiber TransCat war nicht eben üppig und Miami war nicht gerade die billigste Gegend zum Leben. Eines Tages würde er in der Lotterie gewinnen oder sonst einen großen Coup landen. Davon war er mehr als überzeugt. Pat war einfach ein Berufsoptimist.

Heute hatte er gleich doppelten Grund, sich auf den Feierabend zu freuen, denn zum einen hatte ihm Nancy geräucherte Spareribs versprochen und zum anderen würde er sich am Abend mit Steven Hatchinsen im Football Stadion treffen.

Die Miami Dolphins waren seine große Leidenschaft und er verpasste nur selten ein Heimspiel, auch wenn er es sich eigentlich nicht leisten konnte, aber ein paar Freuden musste ein Mann ja haben. Nancy sah geflissentlich über diese Ausgaben hinweg, denn sie liebte Pat nun mal, so wie er war, und daran änderte auch das, aus ihrer Sicht rausgeschmissene Geld für die Football-Tickets, nichts.

 

Nancy hatte keine Ahnung vom Nebenjob ihres Mannes. Pat arbeitete als Außendienstagent für die NSA, die National Security Agency, mit Sitz in Fort Maede – Virginia.

 

Als Leiter der Logistik im Container Hafen hatte Pat dafür zu sorgen, dass die entladenen Container sich auf den richtigen Stellflächen befanden, sodass Zoll und Speditionen ihre Arbeit zügig machen konnten und dass alles reibungslos über die Bühne ging, auch wenn ein großes Containerschiff entladen worden war, so wie heute Vormittag die NYK Vega, eines der richtig großen Schiffe, mit fast 9500 Containern beladen.

Mit einer Länge von fast 340 Metern und gut 45 Meter Breite war die NYK Vega einer der richtig großen Pötte und man kann sich vorstellen, dass es schon eine anspruchsvolle Aufgabe ist, beim Entladen eines solchen Monstrums die Übersicht zu behalten.

Pat hatte sie und gegen 13:00 Uhr an diesem Sonntagmittag war seine Schicht beendet.

Montag früh um 05.00 Uhr würde er schon wieder im Hafen sein und dann würde sich das Container-Chaos schon weitgehend erledigt haben. Der Umschlag der 40 Fuß Container musste schnell vonstattengehen, damit das Schiff wieder beladen und die Firmen im Süden der USA ihre Waren bekommen würden.

Pat hatte so etwas wie geregelten Schichtdienst, was bedeutete, dass er im Normalfall drei Wochen Dauerdienst und dann acht bis zehn Tage freihatte.

Die Eltern seiner Frau lebten gute 2 Autostunden entfernt von Miami in Cape Coral, an der Golfküste von Florida, und vielfach verbrachten Pat und Nancy, seit Neuestem mit der kleinen Sly, die arbeitsfreien Tage dort, wenn er nicht gerade für seinen zweiten Arbeitgeber unterwegs war.

Zum einen liebte Pat die beschauliche Ruhe am Golf von Mexiko und zum anderen jobbte er dort ein wenig, indem er für einige Agenturen Ferienhäuser und Sportboote bewachte, pflegte und sie neuen Mietern erklärte und die Schlüssel übergab.

Pat liebte diesen Nebenjob und freute sich jedes Mal, wenn sie dort waren.

Am kommenden Donnerstag würden sie abermals hinüberfahren, durch die Everglades, die sogenannte Alligator Alley entlang, jene Straße, die er auch im Schlaf fahren konnte, weil sie bis auf zwei oder drei Kurven schnurgerade verlief.

 

Gut einhundert Kilometer nördlich, in Cape Canaveral, auf der dortigen Air Force Station (28°23’18.13 N - 80°36’12.22 W) arbeiteten etliche Physiker weiter an einem streng geheimen Projekt, was sich mit der Möglichkeit befasste, feste Materie auf eine Zeitreise zu schicken.

Das Unternehmen TRACE war in den Jahren der republikanischen Amtszeit von Präsident Bush ins Leben gerufen worden und stand nun kurz vor dem Abschluss.

Trotz intensiver Forschung und Aufbringung von immensen finanziellen Mitteln war es den Forschern nicht gelungen, lebende Materie auf eine Zeitreise zu schicken, beziehungsweise zerplatzte das Versuchstier jedes Mal, just in dem Moment, als das Experiment anlief. Der Grund dafür konnte noch nicht gefunden werden.

Auch war es noch nicht gelungen, einen Zeitsprung in die Zukunft zu realisieren. Feste Materie konnte jedoch nunmehr zumindest in die Vergangenheit verbracht werden, was schon einen beachtlichen Erfolg darstellte und die Physiker in Florida vollkommen aus dem Häuschen geraten ließ.

In enger Zusammenarbeit mit den Forschern des neuen Teilchenbeschleunigers in Cern bei Genf, dem LHC – Large Hydron Collider (46°13’56.29 N - 06°03’18.84 E), war es gelungen, Schwarze Löcher einer bestimmten Größe zu erzeugen, die dann begannen, Materie in sich aufzusaugen. Diese Materie konnte dann an einen beliebigen Punkt in der Vergangenheit transportiert werden.

Der LHC war direkt nach seiner Inbetriebnahme wegen angeblicher technischer Probleme wieder abgeschaltet worden.

 

Dies war zumindest die offizielle Version. Der Öffentlichkeit in Europa musste man natürlich in irgendeiner Art verkaufen, warum das fast drei Milliarden Euro teure Projekt, finanziert aus EU Steuergeldern, stillstand.

Die Presse ging mit dem Thema sehr zurückhaltend um. Viele Schlagzeilen lauteten mehr oder weniger banal:

Stillstand der Supermaschine

Der Teilchenbeschleuniger rührt sich nicht

Warten statt Daten: Mit dem Teilchenbeschleuniger LHC in Genf wollten Wissenschaftler wichtige Fragen über die Entstehung des Universums beantworten. Doch das drei Milliarden Euro teure Instrument ging nach nur neun Tagen kaputt.

 

In Wahrheit war über ein Jahr am Projekt TRACE geforscht worden und nun war es, zumindest teilweise, abgeschlossen.

Das erzeugte Schwarze Loch, was man weder sehen noch riechen oder fühlen konnte, musste unter Vakuum und tiefgekühlt, in einem Behältnis an den Ort verbracht werden, wo sich die Materie befand, die durch die Zeit geschickt werden sollte.

Man konnte natürlich auch die Materie zum Schwarzen Loch bringen, was aber bei größeren Objekten schwierig werden konnte.

Um zum Beispiel ein Objekt von der Größe eines Fußballs durch die Zeit zu schicken, musste das Schwarze Loch nicht größer sein, als eine Stecknadelspitze, für ein Objekt von der Größe einer Lokomotive bedurfte es der Größe eines Streichholzkopfes. Es spielte dabei keine Rolle, wie groß das zu transportierende Objekt war.

Es wurde einfach vom Schwarzen Loch mehr oder weniger aufgesaugt und verschwand von der Bildfläche, um zeitgleich im vorbestimmten und berechneten Zeitabschnitt, in der Vergangenheit wiederaufzutauchen.

Wichtig dabei war nur, dass man den Bestimmungsort genau kennen musste.

Hätte man die Lokomotive zum Beispiel an einen Ort verbracht, wo in der Vergangenheit beispielsweise ein See gewesen wäre, so wäre die Maschine zwangsläufig dort versunken.

Das war auch einer der Gründe dafür, warum zumindest bis jetzt Verbringungen in die Zukunft nicht möglich waren, denn wer konnte schon vorhersagen, ob in einhundert oder zweihundert Jahren ein Atoll der Malediven überhaupt noch durch die Meeresoberfläche ragen würde. Des Weiteren tüftelte man noch an einer Methode, die es erlaubte, sicher zu verifizieren, dass ein solches Experiment auch wirklich erfolgreich stattgefunden hatte.

 

Wie dem auch sei, Captain Kirk auf dem Raumschiff Enterprise, wäre stolz gewesen. Eine Art beamen war möglich, wenn auch nur in die Vergangenheit und auch nur mit lebloser Materie, aber immerhin möglich.

 

Die Physiker in Florida arbeiteten nunmehr daran, das vom Teilchenbeschleuniger produzierte Schwarze Loch auch stabil halten und transportieren zu können. Es musste unter Vakuum gehalten werden, um nicht in sich zu kollabieren, was jedoch kein Problem darstellte.

Schwieriger war schon, die Reaktion zu kontrollieren und auf Knopfdruck, also zeitlich abgestimmt, auszulösen. Dr. Mathew Brawn und sein Team in Florida waren der Sache jedoch auf der Spur, aber es sollten noch einige Jahre vergehen, bis es möglich sein sollte, die Zeitmaschine steuern und transportieren zu können.

In vielen Filmen aus Hollywood wurde eine Zeitmaschine immer als eine Apparatur, in der einen oder anderen Form dargestellt. In Wirklichkeit konnte man im Inneren des Vakuums das Schwarze Loch weder sehen, geschweige denn anfassen oder wahrnehmen.

In Genf hatte man inzwischen mehrere, verschieden große Schwarze Löcher produziert und in mehr oder weniger großen Vakuum Behältnissen tiefgekühlt nach Florida geschickt.

Die kleinsten hatten die Größe einer Kühlbox, die größeren die einer Gefriertruhe. Per Flugzeug oder Schiff wurden die Behältnisse über den Atlantik befördert und zur weiteren Forschung in Florida aufbewahrt.

 

Dienstag, 12. Juli 2011 – Leverkusen - Deutschland

 

Jochen Kranert war in diesen Tagen zum Vorsitzenden und damit zum Generalsekretär der Partei Pro Deutschland gewählt worden und saß an diesem verregneten Dienstag in seinem Büro in Leverkusen, (51°01’50.60 - N 06°58’14.52 E), jener Industriestadt im Schatten des Kölner Doms.

Er konnte direkt auf den Rhein blicken und die Schiffe beobachten.

Pro Deutschland war sehr weit rechts angesiedelt, nicht unbedingt radikal, aber doch so, dass Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst (BND) ein Auge darauf warfen.

Die Partei hatte geschickt mit den Ängsten der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland gespielt.

Zunächst auf Köln beschränkt und bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2010 erstmals auf Landesebene angetreten, war nun der Zeitpunkt gekommen, bundesweit zu agieren.

Regional konnte man sich mehr und mehr etablieren. Die Probleme innerhalb der Europäischen Union, der zunehmende Verfall der Gemeinschaftswährung Euro und die allgemein schlechte Wirtschaftslage bescherten der Partei einen kleinen Höhenflug.

Die EU dachte schon darüber nach, Griechenland den Euro als Zahlungsmittel zu entziehen, nachdem die milliardenschweren Hilfsprogramme nicht, wie erhofft, gegriffen hatten.

Die nächsten Wackelkandidaten waren Spanien, Portugal und Irland. In England sollte es in Zukunft einen Volksentscheid darüber geben, ob die Briten in der EU bleiben sollten oder nicht.

 

Der Euro näherte sich langsam der Parität zum US Dollar, also der 1:1 Marke. Gold und Rohöl waren so teuer wie noch nie. Der Deutsche Aktienindex DAX war wieder mal unter 6000 Punkte gefallen, der Dow Jones verlor über 500 Punkte und schloss unter 11000.

 

Jochen Kranert war am 07.08.1965 in Köln als Sohn eines Verlegers geboren worden, hatte Abitur gemacht, danach Germanistik und Jura studiert und war im Alter von 22 Jahren erstmals mit der Politik in Berührung gekommen.

Er beobachtete nach dem Mauerfall die politischen Bewegungen in Ostdeutschland genau und hatte ein Faible für das rechte Gedankengut, ohne wirklich ein Neonazi zu sein.

Jochen Kranert dachte über die Zukunft nach. Er war an diesem Tag für seine Verhältnisse früh aufgestanden und war müde. Der Regen prasselte gegen die Scheiben und so beschloss er, am frühen Nachmittag für eine halbe Stunde die Augen zu schließen. In seinem Büro gab es eine Couch, die er nun zum Ausruhen nutzte. Es dauerte keine fünf Minuten und er war tief eingeschlafen und begann zu träumen ...

 

KAPITEL I

 

Gegen 18:00 Uhr fuhr der schwarze Lincoln Towncar am Pier von Fort Myers Beach am Golf von Mexiko, gefolgt von zwei weiteren Fahrzeugen, vor.

Es handelte sich um keinen geringeren als Konteradmiral Edwin, genannt Ted, Bawkin, Direktor der NSA, dem Auslandsgeheimdienst für technische Informationsbeschaffung der USA, der dort dem Lincoln entstieg.

Sein Fahrer parkte das Fahrzeug auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor einem der vielen Souvenirläden, die es hier zu Hauf gab.

Die beiden Begleitfahrzeuge mit den Leuten der Security hielten in unmittelbarer Nähe und zwei Bodyguards waren bereits vorausgegangen, um die Lage beurteilen zu können.

Ted Bawkin war mit dem Oberbefehlshaber der Atlantikflotte Admiral Frank Corran zum Abendessen verabredet. Da es sich nicht um ein offizielles Treffen handelte und Ted Bawkin seinen Urlaub am Golf verbrachte, war die Gelegenheit günstig. Admiral Corran war mit einer Gulfstream vom Stützpunkt Mayport / Jacksonville (30°23’46.88 N - 81°25’14.32 W) von der Atlantikseite Floridas gekommen, was ihn nur eine knappe Stunde gekostet hatte.

Die beiden Admirale hatten sich am reservierten Tisch des Beach Pierside niedergelassen. (26°27’09.85 N - 81°57’22.84 W), einer guten Adresse, wenn man einerseits ungestört sein wollte, und andererseits nichts gegen ein gutes Steak einzuwenden hatte.

Sie hatten einen Tisch direkt waterfront und zwei Tische dahinter wurden vom Sicherheitspersonal belegt, sodass die beiden Männer in Ruhe und ungestört reden konnten. Die beiden Admirale kannten sich bereits sehr lange und gingen wie Freunde miteinander um.

«Hallo Frank!», begrüßte Ted Bawkin seinen Kollegen. «Na Hunger auf ein großes Steak?» Admiral Corran konnte niemals Nein sagen zu einem ordentlichen Stück Tier, wie er es nannte, und setzte sich an den Tisch. Die beiden genossen die warme Abendluft und den Blick auf den Golf von Mexico.

Auf dem Pier rechts von ihnen waren einige Touristen unterwegs und, wenn man über den großen Holzsteg hinaussah, konnte man die herrlichen Inseln Sanibel und Captiva sehen.

«Ist die Fracht unterwegs?», gluckste Frank Corran, während er einen Schluck seines gut gekühlten kalifornischen Sauvignon blanc zu sich nahm.

«Alles wie geplant. Am Dienstag wird der Container direkt in die Spedition gebracht», entgegnete Admiral Bawkin, nicht ohne innerlich zu grinsen, denn die Bereitstellung des besagten Containers, beziehungsweise das Experiment mit dessen Inhalt, gut zweihundert Kilometer entfernt von hier, würde ihn und auch Admiral Corran zu reichen Männern machen, obwohl es beiden nicht vorrangig um Geld ging, war es doch ein sehr angenehmer Nebeneffekt und die Summe von rund 400 Millionen Dollar war auch für zwei Admirale der USA ein Betrag, den sie sich nur sehr schwer vorstellen konnten.

«Hat sich unser Freund gemeldet? Ist er on time?», wollte Bawkin wissen. Frank Corran nickte nur, ebenfalls mit einem Grinsen.

 

Air Berlin Flug AB7009 aus Düsseldorf landete pünktlich auf dem RSW, dem Regional South West International Airport von Fort Myers in Florida, und Jochen Kranert war trotz seines First Comfort Platzes froh, endlich aus der Maschine raus zu kommen. Neun Stunden Flug ohne geregelten Zigarettenkonsum war mehr, als er jeden Tag haben musste.

Jochen Kranert war Generalsekretär der äußerst rechts angesiedelten Partei Pro Deutschland, die bei den Wahlen zum achtzehnten Deutschen Bundestag immerhin fast drei Prozent der Stimmen erhalten hatte.

Er verabschiedete sich von einer außerordentlich hübschen Stewardess der Air Berlin mit einem großzügigen Trinkgeld, was sie sich unter anderem damit verdient hatte, dass sie den Rauchmelder auf der Toilette der Businessclass mehrmals ausgeschaltet hatte, sodass Kranert dort in den zweifelhaften Genuss einer Zigarette kommen konnte.

Die Passagiere der Businessclass durften das Flugzeug, wie üblich als Erste verlassen, und kamen so auch als Erste an den Einreiseschaltern am Flughafen an, was ihnen unnötig lange Wartezeiten ersparte.

Kranert brauchte an diesem Tag keine halbe Stunde, um aus dem Flughafen Gebäude herauszukommen. Die Alamo Autovermietung befand sich direkt gegenüber dem Ausgang und so saß der Generalsekretär der Pro Deutschland schon um 18:40 Uhr Ortszeit in seinem vorab reservierten Lincoln Navigator auf dem Weg nach Fort Myers Beach.

Er bog links auf den Tamiami Trail, die US 41, in Richtung Süden ab und gegen 19:20 Uhr parkte er das große SUV in unmittelbarer Nähe jenes Souvenir Ladens, wo der Fahrer von Admiral Bawkin im Wagen wartete.

Kranert wartete einige Minuten und stieg dann aus. Die warme Abendluft schlug ihm wie schon am Flughafen entgegen, was er jedoch keinesfalls als unangenehm empfand, im Gegenteil: Er schlenderte an der Diary Queen Eisbar vorbei und betrat das Restaurant am Pier.

Der Politiker brauchte nicht lange zu suchen und erkannte die beiden Admirale sofort am vordersten Tisch sitzend, abgeschirmt durch die Bodyguards.

Nachdem diese ihm einen grimmigen Blick zugeworfen hatten, Bawkin ihnen jedoch zunickte, ließen sie Kranert passieren.

«Guten Abend meine Herren, schön Sie zu sehen», begrüßte Kranert seine beiden Gesprächspartner.

«Herr Kranert, ganz unsererseits», entgegnete Admiral Bawkin und bot ihm den letzten freien Stuhl am Tisch an.

«Wie war Ihr Flug?», erkundigte sich Frank Corran, ohne dass es ihn wirklich interessiert hätte, aber die Höflichkeit gegenüber ihrem Geldbringer ging nun mal vor.

«Es ist schon bemerkenswert, dass wir hier und heute zusammenkommen. Vor zwei Jahren hätte ich davon nicht zu träumen gewagt und ja, danke der Nachfrage, der Flug war in Ordnung.»

Kranert war nervös und aufgekratzt. Während des Essens und den ganzen Abend hindurch plauderten die Männer zwanglos über den erfolgreichen Abschluss ihrer Zusammenarbeit. Jochen Kranert strotze vor Selbstbewusstsein.

Er war inzwischen jemand in Deutschland. Bevor sich die Männer gegen 22:30 Uhr voneinander verabschiedeten, übergab Kranert noch einen USB-Stick mit einer einzigen Textdatei darauf.

Enthalten waren nur vier Millionen kryptische Zahlenfolgen sowie eine Adresse und Zugangsdaten für sein Bitcoin-Konto. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nachdem Frank Corran das Konto auf seinem Laptop aufgerufen, die Zugangsdaten geändert und die Zahlenfolgen importiert hatte, war der Deal abgeschlossen. Er löschte die Daten auf dem USB-Stick und steckte ihn in die Tasche seines Hemdes.

 

Montag, 08. August 2011 – Tampa - Florida

 

Kathleen Thomas und ihr Mann Ronald aus Detroit verbrachten ihren Urlaub am Golf von Mexiko in Tampa, im immer sonnigen Florida.

Leider wurde die gemeinsame Urlaubsfreude etwas durch heftige Zahnschmerzen getrübt, die Kathleen seit einigen Tagen hatte. Am Wochenende waren die Schmerzen dann so heftig, dass ihr Mann am Montagvormittag einen Zahnarzt anrief, um einen Termin zu machen, den er auch sofort für 11:00 Uhr bekam, weil nicht viel zu tun war, außerdem hatten akute Notfälle immer Vorrang.

In der Madison Street, 11, der Praxis von Dr. Patrick Malone, war dieser gerade damit beschäftigt, einige Rechnungen zu sortieren, als das Ehepaar Thomas dort eintraf.

Dr. Malone kam persönlich aus seinem Büro zum Empfang und bat die beiden noch einige Minuten im Wartezimmer Platz zu nehmen.

«Ich bin in wenigen Minuten für Sie da», sagte er lächelnd.

In dem Moment betrat eine weitere Patientin die Praxis und meldete sich am Empfang.

Lucy Parker, die Sprechstundenhilfe von Dr. Malone sagte ihr, sie müsse ein wenig warten, weil noch eine Patientin vor ihr behandelt würde, was für sie jedoch kein Problem darstellte.

Sie betrat ebenfalls das Wartezimmer und setzte sich gegenüber dem Ehepaar Thomas auf einen Stuhl, nahm sich eine Zeitschrift vom Tisch und wartete.

«Mrs. Thomas bitte», rief Lucy vom Empfang freundlich.

Kathleen ging vor, ihren Mann Ronald im Schlepptau, auf Lucy zu, die sie an einem offenen Büro vorbei in Richtung Behandlungszimmer begleitete, um dann wieder an ihrem Arbeitsplatz am Empfang Platz zu nehmen.

Kathleen schilderte im Behandlungsraum dem Arzt ihre Beschwerden, während sie schon auf dem Behandlungsstuhl saß und Rebecca Martinez, die zweite Sprechstundenhilfe, ihr ein weißes Schutzlätzchen um den Hals hing.

Dr. Malone schaute sich die Zähne an und fand eine kleine kariöse Stelle am Backenzahn Nummer sechs oben rechts, die augenscheinlich die geschilderten heftigen Schmerzen verursachte.

«Das haben wir gleich, nur eine Kleinigkeit», lächelte Dr. Malone seine Patientin an und begann mit der Behandlung.

Ronald Thomas drückte in seiner Hosentasche auf eine Taste seines Mobiltelefons, um damit eine Nachricht an die noch im Wartezimmer sitzende Frau zu verschicken, deren Telefon in der Handtasche sich sogleich per Vibrationsalarm meldete.

Sie stand auf, bestätigte den Erhalt der Nachricht, in dem sie darauf antwortete und ging zu Lucy Parker an den Empfang.

Zeitgleich ging die Antwort bei Ronald Thomas ein und sein Telefon gab deutlich hörbare Signale von sich.

«Entschuldigung, Telefon», sagte er, stand auf und verließ den Behandlungsraum.

Etwas lauter als nötig stand er im Flur, um zu telefonieren, während die Frau aus dem Wartezimmer Lucy am Empfang in ein Gespräch verwickelte.

Ronald Thomas huschte durch den Flur und betrat das offene Büro rechts. Über dem Stuhl hinter dem Schreibtisch hing das Jackett von Dr. Malone, der gerade mit dem Bohrer am Backenzahn von Frau Thomas beschäftigt war.

Ronald Thomas hörte, wie Lucy und die Frau aus dem Wartezimmer am Empfang miteinander sprachen, griff in das Jackett, holte die Brieftasche von Dr. Malone hervor, öffnete sie und fotografierte mit seinem Mobiltelefon die beiden darin befindlichen Kreditkarten von beiden Seiten sowie den Ausweis des Zahnarztes. Vom Tisch nahm er eine Visitenkarte und steckte sie zusammen mit seinem Telefon wieder in die Hosentasche.

Das Ganze dauerte nicht mehr als zwei Minuten, in denen Ronald Thomas laufend das imaginäre Telefonat fortsetzte.

«Wir sehen uns, pass auf Dich auf Ben», sprach er, wieder im Flur stehend lauter als nötig, für die Frau am Empfang ein Zeichen, dass sie ihr Gespräch mit Lucy beenden konnte.

Ronald Thomas hatte alles, was er brauchte, und betrat leise wieder das Behandlungszimmer, wo Dr. Malone schon fast seine Arbeit am Backenzahn Nummer sechs beendet hatte.

Einige Minuten später standen Kathleen und Ronald Thomas schon bei Lucy am Empfang, die ihrem Chef mitteilte, dass die andere Patientin bereits wieder weg sei, weil sie noch einen wichtigen Termin hätte, der sich nicht verschieben ließ.

Lucy schrieb die Rechnung für die Behandlung und fragte Kathleen Thomas nach deren Versicherungskarte.

«So ein Mist, die habe ich vergessen. Kann ich Ihnen die später per E-Mail schicken, dann können Sie mir die Rechnung zurücksenden?», fragte sie.

Lucy Parker lächelte und erwiderte: «Sicher, Mrs. Thomas, das ist kein Problem. Nur nicht vergessen, sonst bekommen Sie von Ihrer Versicherung die Behandlung nicht erstattet. Das macht dann 238 Dollar. Zahlen Sie mit Karte?»

«Nein, in bar», mischte sich Ronald Thomas in das Gespräch ein, zog 250 Dollar aus seiner Brieftasche und verzichtete auf das Wechselgeld.

«Vielen Dank, alles Gute und denken Sie an die E-Mail mit Ihrer Versicherungskarte», verabschiedete Lucy das Ehepaar Thomas.

Nach der Mittagspause kam die versprochene E-Mail und Lucy Parker öffnete den Anhang dentcard-k.thomas.zip, der jedoch nur einige Zahlenfolgen enthielt, die ihren Bildschirm einige Male zum Flackern veranlassten, aber kein Foto einer Versicherungskarte.

«Nicht mein Problem, wenn die Dame das Geld nicht von ihrer Versicherung zurückhaben möchte. Sie wird sich schon melden», dachte Lucy und rief aus dem Wartezimmer den nächsten Patienten zur Behandlung auf.

 

Donnerstag, 18. August 2011 – Leverkusen – Deutschland

 

Das Telefon klingelte im Büro von Jochen Kranert in Leverkusen bei Köln. Er musste das Gespräch selbst entgegennehmen oder auch nicht, denn er war alleine im Büro.

Im Display konnte er die Nummer des Anrufers nicht sehen. «Pro Deutschland, Jochen Kranert», meldete er sich.

«Guten Tag Herr Kranert, mein Name ist Malone, Patrick Malone. Ich rufe aus Florida, USA, an und möchte Sie einfach nur bitten, mir zwei Minuten ihrer wertvollen Zeit zu schenken», entgegnete die Stimme am Telefon.

Das Deutsch des Anrufers war sehr gut und Jochen Kranert wollte schon antworten, dass mit dem Ferienhaus für nächste Woche alles in Ordnung sei. Er hatte zwei Wochen Urlaub in Florida geplant ab nächster Woche. Der Anrufer sprach jedoch sofort weiter.

«Sie sind doch Jochen Kranert von Pro Deutschland?», wollte der Anrufer wissen, was jedoch mehr wie eine Feststellung, als eine Frage klang.

«Wir sollten uns während ihres Urlaubs hier treffen, es geht um wichtige Dinge, die ihre politische Zukunft betreffen könnten», fuhr der Anrufer fort.

«Woher haben Sie diese Rufnummer?», wollte Kranert wissen.

Für den ersten Kontakt beabsichtigte Pat Malone seinen Gesprächspartner nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig wissen zu lassen.

«Wir haben so unsere Möglichkeiten», gab er zurück.

«Ich werde Sie nächste Woche kontaktieren und wünsche Ihnen schon jetzt einen guten Flug – Sie hören von mir, Herr Kranert.» Patrick Malone legte auf.

Merkwürdiger Kerl dachte Jochen Kranert und packte seine Sachen zusammen. Er fuhr sein Notebook herunter, packte es ein und in dem Moment meldete sich, mit einem akustischen Signal, sein Mobiltelefon, das er eine neue private E-Mail bekommen hatte. Die Nachricht öffnend, war er abermals überrascht, woher der Absender seine private E-Mail-Adresse kannte.

 

Hallo Herr Kranert – vielen Dank für das nette Telefonat – wir sehen uns schon bald hier in Florida – Denken sie mal darüber nach, was wäre, wenn Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte – freundliche Grüße – Patrick Malone.

 

Er schloss die Nachricht, löschte sie aus seinem Postfach und machte Feierabend. Morgen sollte noch mal ein langer Arbeitstag werden und am Samstag gegen Mittag würde er, mit seiner langjährigen Freundin Natalie, im Flieger nach Florida sitzen.

 

Den ganzen Abend und auch den darauffolgenden Tag ging ihm der Satz nicht mehr aus dem Kopf, er solle mal darüber nachdenken, was wäre, wenn Deutschland den Krieg gewonnen hätte.

Eine Vorstellung, die ihn mehr und mehr beschäftigte. Ja, was wäre dann? Wie wäre die politische Situation in Europa heute? Würde er heute ganz woanders stehen? Wer wäre in Deutschland politisch an der Macht?

Wie hätte sich die Wirtschaft in Deutschland und in Europa allgemein entwickelt? Gäbe es überhaupt eine Europäische Union? Würde in Deutschland immer noch mit Reichsmark bezahlt? Fragen über Fragen, die Jochen Kranert immer mehr beschäftigten.

 

Der Airbus A330 jagte über die Wolken und schon seit Stunden hatte die Maschine den europäischen Kontinent hinter sich gelassen und war nun im Anflug auf die Ostküste der Vereinigten Staaten, um dieselbe dann Steuerbord liegen zu lassen, und in Richtung Süden zu fliegen.

«Freust du dich auch so auf unseren Urlaub wie ich?», fragte Natalie Wegner ihren Freund Jochen. Natürlich freute er sich auf den Urlaub und sie sicher nicht minder.

Er war darüber hinaus gespannt, ob der mysteriöse Anrufer und E-Mail-Schreiber, wie hieß er doch gleich, ach richtig, Malone, sich wieder bei ihm melden würde. Über E-Mail würde es nicht schwerfallen, Kontakt mit ihm aufzunehmen.

«Aber sicher, Natalie, Schatz, freue ich mich. Noch gute drei Stunden, dann sind wir da», entgegnete er auf die Frage seiner langjährigen Freundin.

Sie saßen auf den Plätzen 1A, sowie 1C vorne links in der Maschine und noch mehr als auf die Sonne, freute sich Jochen Kranert auf eine Zigarette.

Es war immer so bei ihm. Es machte ihm grundsätzlich nichts aus, für ein paar Stunden auf das Rauchen zu verzichten, nur hatte er hier und jetzt das Bewusstsein, dass er nicht rauchen durfte. Er wollte immer das haben, was er gerade nicht bekommen konnte.

Gegen 17:10 Uhr Ortszeit setzte der große Airbus auf dem Flughafen von Fort Myers (RSW) auf, rollte aus und kam am Terminal zum Stillstand. Die Zollformalitäten waren schnell erledigt, an der Immigration, der Einreisekontrolle, war nichts los, weil der Airbus aus Düsseldorf die einzige Maschine war, die gerade abgefertigt wurde.

Schon kurz nach 18:00 Uhr standen Jochen Kranert und Natalie Wegner an der Autovermietung und nahmen die Papiere entgegen.

«Einen angenehmen Aufenthalt im Sunshine State», wünschte den beiden die freundliche Blondine am Schalter und schon waren die beiden unterwegs.

Laut Karte mussten sie rechts abbiegen und dann gleich wieder links auf den Cape Coral Parkway, über die Brücke und dann gleich die zweite Möglichkeit wieder links auf den Del Prado Boulevard. Ihr Ferienhaus war nach 400 Metern auf der linken Seite. (26°33’28.85 N - 81°56’42.71 W) Ein Paradies und ein Katzensprung vom Flughafen.

Beide waren das erste Mal in Florida und waren schon jetzt begeistert. Den Schlüssel fanden sie vereinbarungsgemäß im Briefkasten vor. Das Haus war genau wie im Internet dargestellt, groß, hell und freundlich eingerichtet.

Der Pool war direkt an der Terrasse und unmittelbar davor lag das Sportboot, welches zum Haus gehörte. Besser gesagt hing es in einem Bootslift.

Morgen würde der Verwalter kommen und ihnen alles zeigen. Die beiden Urlauber waren müde und nach einem kleinen Abendessen gingen sie zu Bett.

 

Pat Malone kam gegen 09:30 Uhr am Sonntagmorgen. Bedingt durch den Jetlag waren Jochen Kranert und seine Begleitung schon früh wach und saßen auf der Terrasse beim Frühstück. Wie üblich ging er hintenrum, statt vorne zu schellen, und grüßte die beiden Urlauber freundlich: «Guten Morgen, mein Name ist Pat – herzlich willkommen in Florida!»

Der Politiker und seine Begleitung erwiderten das freundliche «Guten Morgen» und boten einen Kaffee an, den Patrick gerne annahm.

«Das erste Mal in Cape Coral?», wollte Pat wissen und Natalie Wegner bejahte, was Patrick zu einer Fülle von Tipps und Empfehlungen veranlasste.

Nachdem sie ihren Kaffee ausgetrunken hatten, erklärte er den beiden das Haus, und während Natalie die restlichen Sachen in die Schränke verstaute, gingen Patrick und Jochen Kranert die drei Schritte zum Boot.

Der Bootslift surrte gleichmäßig, die Maxxum 2010 glitt langsam ins Wasser und schwamm auf. Die beiden Männer gingen an Bord und Patrick erklärte dem Deutschen das Boot sowie natürlich den Lift.

Er drehte den Zündschlüssel, gab ein wenig Gas und der 5.0 Liter Volvo V8 Motor erwachte zum Leben. Sie mussten nur einmal links abbiegen und gleich wieder rechts und schon waren sie im Endstück des Caloosahatchee River in Richtung Golf von Mexiko. Hatte Jochen Kranert gestern nur die Landseite gesehen, war er nun mehr oder weniger überwältigt von der Schönheit der Lagunenstadt Cape Coral, von der Wasserseite aus gesehen.

Pat nahm den Leistungshebel zurück und übergab das Boot im Leerlauf. Jochen Kranert hatte einen Sportbootführerschein und kannte sich recht gut mit Booten dieser Größe aus, sodass ihm die Maxxum keinerlei Schwierigkeiten bereitete.

Pat ermunterte ihn, ein wenig Gas zu geben, und wies ihn an, im ausgetonnten Fahrwasser zu bleiben, bis es gleich Steuerbord querab gehen würde, zur Marina, wo sich auch eine Tankstelle befand.

Die übliche Prozedur, die Pat mit neuen Mietern machte. Er erklärte das Boot, fuhr mit ihnen das Stück bis zur Marina und dann wieder zurück zum jeweiligen Haus.

Manche stellten sich an wie die ersten Menschen, zumal man in Florida zum Führen eines Sportboots keinen Führerschein benötigt, aber Jochen Kranert machte einen guten Eindruck und hatte das Boot unter Kontrolle.

Nachdem sie einige Gallonen Benzin aufgefüllt hatten, fuhren sie von der Marina zurück ins Fahrwasser.

«Und, Herr Kranert, mal darüber nachgedacht, was wäre, wenn Deutschland den Krieg gewonnen hätte?», fragte Patrick Malone unvermittelt und zuerst schien es so, als hätte Jochen Kranert entweder nicht zugehört oder nicht verstanden, was sein Gegenüber gerade gesagt hatte.

Es dauerte einige Sekunden, bis er realisierte, wer mit ihm hier gerade einen kleinen Ausflug machte.

«Wer, zum Teufel, sind Sie?», entfuhr es ihm.

Es war allerdings neugierig freundlich formuliert.

 

Zur gleichen Zeit, jedoch ungefähr 8000 Kilometer entfernt, es war dort gerade 16:30 Uhr, wollte Sven Baumann gerade Schluss machen für Sonntagnachmittag, er war eigentlich schon wieder viel zu lange im Büro und seine Verlobte würde garantiert wieder toben.

Sven Baumann war beim Bundesnachrichtendienst (BND) in Pullach beschäftigt. (48°03’45.90 N - 11°31’57.26 E) Einige Teile der Behörde waren schon nach Berlin umgezogen, andere noch hier im alten Komplex nahe München zu Hause.

Die Abteilung für technische Aufklärung, kurz TA, für die Sven Baumann arbeitete, befand sich zumindest teilweise noch in Pullach, worüber er auch ganz dankbar war, denn ein Umzug nach Berlin würde nur wieder Ärger mit Rebecca, seiner Freundin, mit sich bringen.

Die Abteilung TA beschäftigte sich von jeher unter anderem mit der Fernmeldeaufklärung SIGINT oder ausgesprochen, der Signale erfassenden Aufklärung und Auswertung.

Sven Baumann war zuständig für die Überwachung der deutschen Parteien und deren Auslandsverbindungen. Die E-Mail, die seine Aufmerksamkeit erregte, war zwar schon drei Tage in seinem Posteingang, aber er war erst heute dazu gekommen, die weniger wichtigen Sachen vom Donnerstag zu erledigen.

Ein Absender, mit nicht näher spezifizierter Adresse, erzählte jemandem in Leverkusen bei Köln, er möge sich mal mit dem Gedanken anfreunden, dass Deutschland den Krieg nicht verloren hätte und die beiden würden sich schon bald treffen.

Grundsätzlich weder verwerflich noch sonderlich interessant, wäre nicht der Empfänger dieser Nachricht ein gewisser Jochen Kranert, von einer rechts gerichteten Partei in Deutschland gewesen. Er las die E-Mail nochmals und ein drittes Mal, beschloss aber, sich erst am Montag damit zu befassen.

Für heute hatte er seiner Rebecca Kino versprochen und er wusste nur zu gut, wie sie es liebte, wenn er zu spät kam.

Er schaltete seinen Monitor aus und verließ sein Büro gegen 17:00 Uhr an diesem Nachmittag.

 

Patrick Malone grinste: «Wer ich bin, ist nicht wirklich wichtig, Herr Kranert. Ich bin einfach nur der gute alte Pat, dabei können wir es belassen. Aber was meine Vorgesetzten möglicherweise für Sie arrangieren können, das ist der springende Punkt.»

Er hatte auf jeden Fall die Aufmerksamkeit von Jochen Kranert geweckt. Patrick Malone konnte das natürlich erst jetzt bemerken. Der Politiker konnte seit Tagen an nichts anderes mehr denken, seit er vergangenen Donnerstag diese E-Mail bekommen hatte.

Bewusst wollte er etwas Desinteresse vortäuschen, was ihm jedoch nicht wirklich gelang.

«Na, dann schießen Sie mal los!», war seine lapidare Antwort.

«Wir beobachten Sie schon sehr lange, müssen Sie wissen, und kennen sowohl Ihre politischen Ansichten als auch Ihre Gepflogenheiten. Wie es politisch und wirtschaftlich in den USA und auch in Europa aussieht, darüber brauche ich Ihnen ja nichts zu erzählen und es wird immer schlimmer, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Vielleicht haben Sie Interesse zu erfahren, wie man das ändern könnte?», schloss Pat seine Eröffnung.

Jochen Kranert kam sich vor wie in einem falschen Film. War das real, was sich hier gerade abspielte?

Nein, er war klar bei Verstand und dieser Typ im Boot hier war vollkommen real.

«Ich bin immer an neuen Ideen interessiert», entgegnete er.

Eine weitere Zigarette half ihm, die Nervosität in den Griff zu bekommen.

«Sie rauchen zu viel. Im Übrigen ist das auf einem so kleinen Boot nicht die beste Idee, es sei denn Sie wollen schnell in ein nasses Grab!», war Pats Antwort.

«Nehmen wir einmal an, es gäbe die technische Möglichkeit ein Flugzeug oder ein Schiff in die Vergangenheit zu schicken und nehmen wir weiter an, wir hätten ein solches zur Verfügung. Was glauben Sie, würden heutige militärische Möglichkeiten, sagen wir vor gut siebzig Jahren, bewirken?», fragte Pat mit einer Gleichgültigkeit, als würde er von der Möglichkeit sprechen, einen Fernseher in Gang zu setzen.

Jochen Kranert hatte sich zwar intensiv mit der E-Mail auseinandergesetzt, aber die Frage traf ihn eindeutig auf dem falschen Fuß.

Er war Politiker und hatte von militärischen Dingen nicht allzu viel Ahnung.

«Nun, da ich Ihre Mail gelesen und mir sehr viele Gedanken darübergemacht habe, denke ich, dass Sie mir gleich sagen werden, wie sich das auswirken könnte?», druckste er herum.

«Genau deshalb sind wir hier und passen Sie bitte auf, dass Sie im Fahrwasser bleiben, wir kommen vom Kurs ab, außerdem müssen wir gleich hier hart Backbord. Ich mache es für heute kurz, aber wir können unser Gespräch im Laufe der Woche fortsetzen. Mit heutigen militärischen Möglichkeiten wäre es denkbar, Deutschland im Jahr 1940 den Krieg gewinnen zu lassen. Nichts mehr wäre, wie es ist, alles würde sich ändern. Denken Sie mal darüber nach und denken Sie genau nach», entgegnete ein immer noch ruhiger Patrick Malone.

Sie waren inzwischen wieder beim Ferienhaus angekommen, Pat übernahm das Ruder wieder und schwenkte die Maxxum in den Bootslift.

«Hallo Schatz, da seid Ihr ja wieder», rief Natalie Wegner von der Terrasse aus.

Ihr Freund war allerdings komplett in Gedanken und nahm sie gar nicht wahr.

Pat half aus: «Wir waren bis zur Marina, das Boot tanken. Ihr Freund ist ein toller Skipper und ich habe ihn überredet, nächste Woche mal mit mir zum Angeln raus zu fahren. Das ist hier so eine Art männlicher Nationalsport», rief er lächelnd zurück.

Pat erklärte noch einmal den Bootslift und ließ einen immer noch nachdenklichen Jochen Kranert den Lift betätigen.

Die beiden Wellen surrten und langsam hob sich die Maxxum aus dem Wasser, bis sie im Lift schwebte.

«Perfekt gemacht. Dann sehen wir uns, wie besprochen am Dienstag zum Angeln. Ich komme Sie hier um 09:00 Uhr abholen. Oder ist das zu früh?»

Jochen Kranert begriff und entgegnete: «09:00 Uhr ist prima.»

Pat ließ sich noch die Bootsübergabe quittieren und verabschiedete sich mit einem vielsagenden Lächeln.

«Ein netter Kerl», schmunzelte Natalie Wegner.

Sie war nicht unbedingt eine Schönheit, hatte aber mit ihren zweiunddreißig Jahren eine tolle Figur, lange blonde Haare und eine kess frivole Art, die Männer verrückt machte.

Sie bückte sich gerne tiefer als nötig, wackelte hier und da ein wenig zu ungestüm mit ihrem Hintern und wusste genau, wie sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte.

Eine Art, die Jochen Kranert regelmäßig austicken ließ. Er hatte ganz klar zwei Probleme. Er rauchte fünfzig bis sechzig Zigaretten am Tag und er war rasend eifersüchtig.

Im Normalfall hätte ihn der Satz «ein netter Kerl» wieder auf die Palme gebracht, aber er entgegnete nur: «Ja, ja, ganz nett.»

Das fiel natürlich auch Natalie Wegner auf, aber sie dachte sich für den Moment nicht viel dabei, ging ins Haus und machte sich einen Drink.

Auf der Terrasse am Pool saß ein sehr nachdenklicher Jochen Kranert, der mehrere Stunden brauchte, um wieder zu sich zu finden.

Die Ausfahrt mit dem Boot und das Gespräch mit Pat Malone hatten ihn in eine andere Welt versetzt.

«Wollen wir den Ratschlag von Patrick annehmen und heute Abend bei diesem Bubba’s Steakhaus ein Stück Fleisch essen?», fragte Natalie Wegner ihren Freund gegen Abend.

«Das ist eine wundervolle Idee, Schatz», entgegnete Jochen Kranert und kurz vor 20:00 Uhr waren beide unterwegs auf der Pine Island Road in westlicher Richtung.

Direkt neben dem German American Social Club liegt das Restaurant, welches für tolle Steaks bekannt ist, und die beiden verbrachten einen netten Abend mit einem großen T-Bone Steak, einem Pitcher Bier für Natalie Wegner und einem großen Eistee für Jochen Kranert, der ja noch fahren musste.

Der nächste Tag verging schnell und am Dienstag, morgens gegen kurz vor 09:00 Uhr, fuhr Pat Malone mit seiner Trophy 2803 am Kanal vor dem Haus vor.

Ein typisches Boot zum Fischen, wie man es in Florida sehr häufig antrifft. Viel Platz, wenig Tiefgang, zwei große Außenborder und einfach ideal zum Angeln.

Jochen Kranert stand auf der Terrasse und schlürfte seinen Kaffee, war aber fertig zum Aufbruch und freute sich auf den Tag.

Er hatte zwar überhaupt keine Ahnung vom Angeln, aber darum ging es ja auch heute nicht. Natalie Wegner winkte den beiden hinterher, als sie langsam den Kanal entlang tuckerten. No Wake war in den Kanälen vorgeschrieben, was so viel bedeutet, wie minimale Geschwindigkeit, also gerade Mal eingekuppelt im Standgas.

Knapp eine halbe Stunde später warf Pat den Anker der Trophy ins Wasser. Sie lagen vor einer kleinen Insel (26°29’22.84 N - 82°02’58.18 W), auf der ein Schild mit der Aufschrift Picnic Island stand. In der Woche war hier nicht viel los und morgens gegen 10:00 Uhr schon gar nicht.

Also ideale Voraussetzungen für ein ungestörtes Gespräch, was Patrick Malone eröffnete: «Ich denke, Sie haben viel nachgedacht und heute sollen Sie mehr erfahren», begann er.

«Die Welt, wie sie heute ist, wird vor die Hunde gehen, wenn wir nicht etwas ändern. Waren es früher kleine Änderungen in der Wirtschaft, so konnte man schon etwas erreichen oder verändern. Heute stehen wir jedoch vor einem globalen Problem, was sich nicht mit zwei oder drei kleinen Eingriffen beheben lässt», fuhr Patrick fort.

«Es gibt hier in meinem Land einige Leute, bedeutende Personen aus Politik und vonseiten des Militärs, die das ändern möchten. Natürlich nicht ganz uneigennützig, aber dazu kommen wir später!», führte er weiter aus.

Kranert wollte schon unterbrechen, verkniff es sich aber schnell. «Es gibt seit Kurzem die Möglichkeit, Objekte in die Vergangenheit zu schicken. Ist technisch hochkomplex, und wir müssen uns jetzt nicht mit Einzelheiten abgeben.

Die Möglichkeit besteht. Sie wurde übrigens ganz in Ihrer Nähe, in Genf, realisiert.

Dort steht der größte Teilchenbeschleuniger der Welt. Eine, knapp siebenundzwanzig Kilometer, lange Röhre für physikalische Forschung. Ist Ihnen sicher bekannt?»

Pat ließ seine Worte ein wenig sacken und fuhr dann fort: «Der Zweite Weltkrieg hatte zwei große Probleme. Erstens, dass Deutschland ihn nicht gewonnen hat, und zweitens, die Person Adolf Hitler. Beide Probleme werden wir rückwirkend lösen.»

Jochen Kranert saß mit großen Augen und offenem Mund im Heck des Bootes neben den beiden MerCruiser Außenbordmotoren und zündete sich eine Zigarette an.

«Ich habe Ihnen schon mal gesagt, dass Sie zu viel rauchen, und kommen Sie, wenn es schon sein muss, um Gottes willen von den Motoren weg. Setzen Sie sich meinethalben im Bug irgendwohin», raunte Pat ihn an.

Der Politiker aus Deutschland stand auf, ging am Steuerstand vorbei, der sich bei der Trophy in der Mitte befindet, und setzte sich im Bug auf einen Fender.

«Wir werden mit Ihrer Hilfe zwei Schiffe ins Jahr 1940 zurückschicken und mit deren Feuerkraft den Krieg beenden. Hitler wird zur gleichen Zeit liquidiert und alles wird gut!»

Pat war in seinem Element.

«Warum ich und was ist, wenn ich mich weigere und jemand von unserem Treffen und Ihren Ideen berichte?», wollte Jochen Kranert wissen.

«Nun, mein Lieber, ich fange mit dem zweiten Teil an, weil er schneller abgehandelt ist. Wenn Sie jemandem davon berichten, dann haben Sie ein Problem, was sich Bundesnachrichtendienst (BND) nennt. Warum glauben Sie, habe ich Sie in ihrem Büro angerufen und Ihnen auch noch eine E-Mail geschickt? Die E-Mail ist ganz sicher mitgelesen worden. Sie war von mir so formuliert, dass sie Aufmerksamkeit erwecken sollte, aber nicht als wirklich wichtig eingestuft würde. Ich bin nur der Haus- und Bootsverwalter, mehr nicht. Sollten Sie also auf die dumme Idee kommen, in Deutschland über unser Treffen zu sprechen, so bekommen Sie sehr schnell Besuch aus Berlin und Ihre politische Karriere ist beendet, noch bevor sie richtig angefangen hat!»

Pat lächelte, als er den Satz zu Ende gesprochen hatte.

So unterhielten sich die beiden Männer bis zum Mittag über dieses und jenes. Jochen Kranert hatte tausend Fragen, von denen jedoch viele noch unbeantwortet blieben.

Gegen 12:00 Uhr zog Pat den Anker ein und startete die beiden Außenborder. Er fuhr langsam rückwärts von dem Inselchen weg ins Fahrwasser.

«Haben Sie Hunger, Herr Kranert, hier in der Nähe ist ein netter Laden, bei dem man direkt vor der Tür anlegen kann. Die servieren perfekte Shrimps. Mögen Sie Shrimps?», wollte Pat wissen.

Da es für Kranert seit dem Frühstück nur an die zwanzig Zigaretten gegeben hatte, nickte er. Etwas zu essen war jetzt genau richtig. Sie fuhren nur beinahe fünf Minuten, als Pat auch schon nach Steuerbord abdrehte. Nach weiteren zehn Minuten saßen beide auf der Veranda des Waterfront Restaurant und ließen sich jeder ein Körbchen frische Shrimps schmecken. Auch hier war in der Woche nicht viel los, sodass sie wieder ungestört reden konnten.

«Warum ich, haben Sie vorhin gefragt? Nun, diese Frage ist auch recht einfach beantwortet. Sie haben in ihrer jetzigen Situation die Mittel und das Interesse, eine solche Sache mit uns gemeinsam durchzuziehen. Wir haben ihren Weg die letzten Jahre ziemlich genau verfolgt. Sicher gäbe es noch einige andere Kandidaten, aber warum B-Ware nehmen, wenn man A haben kann?», grinste Pat und verdrückte einen weiteren seiner Shrimps.

«Glauben Sie tatsächlich, dass ich vom BND überwacht werde, ich meine, dass die meine Telefonate abhören und meine E-Mails lesen können?», wollte Jochen Kranert wissen.

Pat schüttelte den Kopf und sagte: «Sie sind wirklich naiv, mein Freund. Selbstverständlich werden Sie überwacht. Es gibt eine Abteilung beim BND, die nichts anderes macht, als Parteifunktionäre zu beobachten, zu observieren und abzuhören. Vielleicht haben Sie dort schon einen persönlichen Mitarbeiter, der sich ausschließlich mit Ihnen beschäftigt», prustete Pat, der sich beinahe an seiner Diet Coke verschluckt hätte.

«Für heute sollten wir es gut sein lassen. Sie überlegen sich die nächsten Tage genau, ob Sie glauben, der richtige Mann für uns zu sein. Wenn Sie zu dem Schluss kommen, dass dem so ist, dann geben Sie mir bei der Bootrückgabe Ende nächster Woche einfach ein Trinkgeld in Form einer zwanzig Dollar Note und alles Weitere wird sich zeigen. Wenn nicht, vergessen Sie unsere Gespräche einfach und wir sehen uns nie wieder!», führte Pat Malone weiter aus.

Nach dem Essen bezahlten sie und fuhren zurück zum Haus. Pat hatte im Bug seines Bootes eine Kiste mit Eis stehen, aus der er jetzt fünf taufrische Fische zog und in einen Eimer schmiss.

«Schließlich waren wir doch Angeln, und da sollten wir auch etwas gefangen haben, damit ihre Freundin glaubt, dass unser Ausflug diesen Zweck hatte», witzelte Pat.

«Der Kerl denkt auch an alles», ging es Jochen Kranert durch den Kopf.

Gegen 14:00 Uhr waren beide am Haus zurück und wurden von Natalie Wegner begrüßt. Den Kaffee, den sie Pat anbot, lehnte er dankend ab. Er verabschiedete sich, wünschte einen schönen Resturlaub und, wenn etwas mit Haus oder Boot sei, sollten die beiden ihn einfach anrufen. Seine Mobilfunknummer hatten sie auf der Visitenkarte, die mit einem Magneten am Kühlschrank haftete.

Pat Malone ging zum Bootssteg zurück, sprang mit einem eleganten Satz in die Trophy und kurz darauf tuckerte er gemütlich im Kanal vom Haus weg.

 

In Pullach bei München, es war kurz vor 08:00 Uhr, grübelte Jens Baumann mal wieder über diversen Nachrichten und E-Mails. Wollte er gestern schon die restlichen Mails der vergangenen Woche erledigt haben, so kam ihm doch immer wieder etwas dazwischen.

Die Behörde war einfach hoffnungslos unterbesetzt und die momentane Teilung zwischen Berlin und Pullach tat ihr Übriges, um das Chaos komplett zu machen.

«Verdammte Idioten, ich soll Überstunden machen, nur weil ihr die Bude hier nicht auf Vordermann bekommt», grummelte er sich selbst zu, nicht ohne dabei zu lächeln.

Er scrollte zurück zu den E-Mails vom Donnerstag und Freitag und löschte die ein oder andere. Drei markierte er als weniger wichtig und dann hatte er wieder die merkwürdige E-Mail vom Donnerstag auf dem Schirm.

 

Hallo Herr Kranert – vielen Dank für das nette Telefonat – wir sehen uns schon bald hier in Florida – Denken sie mal darüber nach, was wäre, wenn Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte – freundliche Grüße – Patrick Malone

 

Sein Spezi, Jochen Kranert, dieses rechtsradikale Arschloch, hatte also mit einem Ami namens Malone telefoniert und die beiden wollten sich treffen. Kranert sollte sich damit befassen, was wäre, wenn Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte. Interessanter Gedanke, ging es Jens Baumann durch den Kopf, und er musste sofort an einen seiner Lieblingsfilme aus Jugendtagen denken.

Der letzte Countdown. Er konnte vor seinem geistigen Auge Kirk Douglas auf der Brücke des Flugzeugträgers stehen sehen, als die japanische Flotte auf Hawaii vorrückte und dann jedes Mal die Frustration, wenn der blöde Sturm das Schiff wieder aus der Vergangenheit herausholte.

Jeder hätte gerne gesehen, was passiert wäre, wenn die F15 Tomcat Jagdbomber sich auf die Japaner geworfen hätten. Jens Baumann hatte diesen Film mindestens ein dutzend Mal gesehen, doch wie nahe er der Bedeutung der E-Mail kam, konnte er natürlich nicht wissen.

«Zeitmaschinen müsste es geben, dann würde ich mich mal nur eine Woche in die Zukunft beamen, die Lottozahlen vom kommenden Samstag aufschreiben, wieder zurückkommen und alles wäre klasse. Dann bekäme Thomas in Berlin sofort meine Kündigung, aber diese verdammten Dinger gibt es eben nicht, Bob!»

Bob nannte er immer seinen Computerbildschirm und mit Bob konnte er über alles sprechen. Ohne Widerworte.

Mit Thomas war Herr Thomas von Gaelen gemeint, sein direkter Vorgesetzter und Chef der Abteilung TA, der schon sein Büro in der neuen Zentrale des BND in Berlin bezogen hatte.

Wäre diese E-Mail nicht an die rechtsradikale Partei Pro Deutschland beziehungsweise an dessen Vorsitzenden gegangen und wäre in der E-Mail nicht vom Zweiten Weltkrieg die Rede gewesen, dann hätte Jens Baumann ihr überhaupt keine Bedeutung zugemessen.

So aber lag der Fall etwas anders. Er verfasste ein kurzes Memo an seinen Chef in Berlin, hängte die E-Mail in Kopie als Anlage dazu und damit war der Fall für ihn erledigt, zumindest für den Moment.

 

In Berlin, in der neuen Zentrale des BND, bekam Thomas von Gaelen das Memo seines Mitarbeiters aus Pullach erst am nächsten Tag zu Gesicht, weil er den ganzen Dienstag in Besprechungen zugebracht hatte und sich mal wieder um alles kümmern musste. Seine eigentliche Arbeit blieb jedoch liegen.

Auch hier in Berlin konnte man den Personalmangel an allen Ecken und Enden spüren, besonders an der Ablage auf seinem Schreibtisch.

Für alles wurde Geld zum Fenster rausgeschmissen, nur die Sachen, die wirklich wichtig waren, die mussten leiden.

 

Der Etat des BND war mal wieder gekürzt worden in diesem Jahr. Der Neubau am Gardeschützenweg (52°26’41.54 N -13°18’18.49 E) war um gut vierzig Prozent teurer geworden als veranschlagt.

Gegen 14:30 Uhr an diesem Mittwoch las er das Memo und horchte auf. Er drückte auf die Ruftaste seines Telefons und wurde mit seinem Vorzimmer verbunden.

«Frau Klein – stellen Sie mir eine Verbindung mit Jeff Litterer in Langley her», bellte er knapp.

Frau Klein war seinen direkten, aber nicht sonderlich unfreundlichen Umgangston gewöhnt.

 

 

Am Dolley Madison Boulevard in Virginia, Hauptsitz der CIA (38°57’07:36 N - 77°08’42.52 W) war es gerade 08:30 Uhr und Jeff Litterer kam mit einem Kaffee vom Automaten, zurück in sein Büro, um das Telefon abzunehmen.

«Hallo, Mr. Litterer, hier ist Simone Klein aus Berlin, BND. Herr Thomas von Gaelen möchte Sie gerne sprechen», meldete sich die Sekretärin und Jeff Litterer ließ bitten.

«Hallo Tom, altes Haus, wie geht es dir? Lange nichts gehört. In Good old Germany alles in Ordnung?», erkundigte er sich freudig überrascht.

BND und CIA arbeiteten in gemeinsamen Dingen stets eng zusammen und die beiden Männer hatten vergleichbare Positionen inne, auch wenn BND und CIA komplett unterschiedlich strukturiert sind.

Sie hatten sich bereits viele Male persönlich gesehen, daraus resultierend ein gutes, ja fast freundschaftliches Verhältnis miteinander.

Thomas von Gaelen mochte die lockere Art seines Gegenübers, war es doch eine stets willkommene Abwechslung zum meist eintönig und langweiligen Umgangston innerhalb des BND.

Von Gaelen sagte: «Hier ist alles Scheiße, alter Freund. Viel Arbeit, wenig Brot. Ich könnte gut und gerne fünf Leute mehr für meine Abteilung hier gebrauchen und bekomme nicht mal einen einzigen Mitarbeiter zusätzlich bewilligt. Verdammte Erbsenzähler hier die Ecke herum!»

Mit «die Ecke herum» meinte er das Bundeskanzleramt und die Erbsenzähler waren bei ihm die Bediensteten jener Behörde an der Adenauerallee, die tatsächlich nicht weit von ihm entfernt war.

«Aber sonst, Jeff, ja, alles im Lot. Mir geht es so weit ganz gut, klagen hilft sowieso nicht. Wie stets bei dir?», erkundigte er sich. Jeff Litterer nippte an seinem Kaffee und entgegnete: «Hier geht alles seinen Gang in der Fabrik und zu Hause ist auch alles prima. Wusstest du eigentlich, dass ich zum zweiten Mal Vater geworden bin? Dave wird mal ein Football Ass. Er kann jetzt schon Nuckel-Flaschen werfen wie ein Profi!»

Jeff Litterer musste über seinen eigenen Witz lachen und hätte sich beinahe an seinem Kaffee verschluckt.

«Du hast sicher nicht angerufen, um mir einen schönen guten Morgen zu wünschen?», fragte er immer noch schmunzelnd.

Thomas von Gaelen ließ sich von der guten Laune seines Gesprächspartners anstecken und erwiderte: «Nicht direkt, aber es ist immer nett, mit dir zu telefonieren. Ihr Amis habt so eine unkompliziert nette Art an Euch, man bekommt direkt gute Laune. Ich habe eine abgefangene E-Mail, die mich beschäftigt. Bei der brauche ich möglicherweise deine Hilfe.»

Von Gaelen las ihm die E-Mail vor und umriss knapp, was er bereits wusste. Es dauerte einige Sekunden, bis Jeff Litterer antwortete: «Malone sagt mir nichts!»

«Das muss natürlich nicht viel heißen. Ich werde mal die Fühler ausstrecken, um wen es sich da handeln könnte, denn sein richtiger Name wird das wohl kaum sein. Kann mir gerade keinen Reim darauf machen. Wenn es sich um etwas Wichtiges handeln würde, müsste der Kerl doch wissen, dass Ihr den E-Mail-Verkehr möglicherweise mitlesen könnt, beziehungsweise diesen Kranert überwachen lasst. Wie gesagt, ich werde mal ein wenig stöbern und schauen, was ich für Dich tun kann.»

Die beiden Geheimdienstleute plauderten noch ein wenig, über mehr oder weniger Belangloses und kamen überein, dass Jeff Litterer sich melden würde, wenn er etwas über einen Patrick Malone aus Florida herausgefunden hätte.

Thomas von Gaelen verfasste noch eine E-Mail mit dem Gesprächsinhalt für Jeff in den USA und schickte diese in Kopie auch an seinen Mitarbeiter in Pullach.

In diesem Moment summte auch schon wieder sein Telefon auf dem Schreibtisch und seine Sekretärin erinnerte ihn an das Meeting um 15:30 Uhr.

Wie er es hasste, von einer Besprechung in die nächste zu laufen. So konnte Geheimdienstarbeit einfach nicht laufen, jedenfalls nicht nach seinem Verständnis.

 

Samstag, 3. September 2011 – Cape Coral – Florida

 

Pat Malone fuhr etwas lauter als nötig vor dem Ferienhaus am Del Prado Boulevard vor und stieg aus dem Pick-up, den er sich von seinen Schwiegereltern geborgt hatte, da sein Chevy mal wieder in der Werkstatt war.

Er ging, wie immer um das Haus herum zur Rückseite mit Terrasse und Pool, wo Natalie Wegner und Jochen Kranert gerade bei einem Kaffee zusammensaßen.

«Hallo, Urlauber, alles in Ordnung?», fragte er freundlich grinsend.

Die beiden standen auf und begrüßten Pat, als wäre es ein langjähriger Freund. Viele US-Amerikaner haben einfach eine unverbindlich nette Art an sich, die es schwerfallen lässt, sich zu distanziert zu benehmen.

Pat Malone hatte noch dazu Charme und sah gut aus, was Natalie Wegner einmal mehr feststellen musste. Am Tisch beim Pool sitzend, tranken sie gemeinsam einen Kaffee und Pat erkundigte sich, was die beiden die letzten 10 Tage so angestellt hatten.

Natalie Wegner erzählte, dass sie in Orlando im Epcot Center und in Seaworld gewesen seien und wie wundervoll alles war, darüber hinaus hätte sie mindestens drei Kilo zugenommen von dem leckeren und reichhaltigen Essen der letzten zwei Wochen. Patrick scherzte, wo er denn besagte drei Kilo suchen solle und alle drei lachten.

Eine halbe Stunde später standen sie unten beim Boot und Jochen Kranert erklärte, dass alles in Ordnung sei mit der Maxxum und sie hätten viel Spaß damit gehabt. Er zog eine zwanzig Dollar Note aus der Brusttasche seines Hemdes und drückte sie Pat Malone in die Hand, der sich herzlich für das Trinkgeld bedankte, den Übergabeschein für das Boot wieder gegenzeichnete und den beiden eine gute Heimreise wünschte. Als er wieder in Richtung Auto unterwegs war, drehte er sich nochmals um und rief: «Guten Flug, und vielleicht sieht man sich ja mal wieder.»

 

Zehn Tage später hatte Jochen Kranert seinen Urlaub schon beinahe wieder vergessen, so sehr nahm ihn die Parteiarbeit in Anspruch. Bei kleinen Parteien, wie der Pro Deutschland, war der Generalsekretär meist das Mädchen für alles, so wie Jochen Kranert dieser Tage in seinem Büro in Leverkusen.

Er hatte gerade eine Plakatkampagne abgesegnet, bei der ein kleiner Junge mit deutlich sichtbarem Migrationshintergrund einer alten Dame in die Handtasche greift.

Darunter war zu lesen: Wie lange lassen wir es uns gefallen?; Pro Deutschland für Deutschland!Jochen Kranert konnte es nicht lassen, zu provozieren, und bis jetzt waren er und seine Partei gut damit gefahren.

Seine Sekretärin brachte ihm die Tagespost herein, die heute mal wieder recht üppig war. Drohbriefe von verschiedenster Seite gegen die Partei und gegen seine Person, Rechnungen, Schecks mit Spenden, Werbepost und dann noch ein Luftpost-Brief ohne Absender aus den USA. Jochen Kranert machte sich die nächste Zigarette an, nahm einen Brieföffner und öffnete den Umschlag.

 

«Hallo Herr Kranert,

vielen Dank nochmals für das nette Trinkgeld. Sie sind hoffentlich wohlbehalten wieder in Deutschland. Wir sind gerade dabei, die nächsten Schritte zu planen. Ich werde Sie in den nächsten Tagen wieder kontaktieren. Im Moment gibt es für Sie nicht viel zu tun. Das wird sich nächstes Jahr ändern, aber darüber sprechen wir noch früh genug. Ich wünsche Ihnen zunächst eine gute Zeit und passen Sie auf sich auf.

Freundliche Grüße, Pat Malone.»

 

Es verging eigentlich kein Tag mehr, an dem Jochen Kranert nicht an Patrick Malone und die Gespräche auf dem Boot in Florida dachte. «Was zum Teufel haben die eigentlich vor und wie soll das ablaufen?», fragte er sich des Öfteren.

Er war schon drauf und dran gewesen, sich mit seiner Freundin darüber zu unterhalten, erinnerte sich aber an die Worte und vor allen Dingen an den Gesichtsausdruck von Patrick Malone, dieses Thema betreffend.

 

KAPITEL II

 

Montag, 05. September 2011

 

Sven Baumann saß mit seinem Chef Thomas von Gaelen in Berlin im Büro zum monatlichen Meeting.

Jeweils zum Monatsanfang trafen sie sich, meist in der neuen BND Zentrale in Berlin, um den letzten Monat Revue passieren zu lassen und die Aktivitäten für den neuen Monat abzustimmen. Baumann hatte einen Lufthansa Flug von München nach Berlin genommen und war schon um 09:00 Uhr in Tegel gelandet.

Das hatte den Vorteil, dass er meist auch schon am frühen Nachmittag wieder auf dem Rückweg nach München war.

Im August hatte Baumann zwar viel zu tun gehabt, aber nichts, was wirklich relevant gewesen wäre.

Einige Mitglieder der NPD waren mal wieder negativ aufgefallen und standen unter seiner Beobachtung.

Sie hatten, wie schon so oft, auf sich aufmerksam gemacht, indem sie Symbole der NSDAP verbreiteten. In E-Mails wurde mit rechtem Gedankengut versucht, neue Mitglieder zu werben.

Der Zulauf, gerade in den neuen Bundesländern, war signifikant höher als zum Beispiel in NRW oder Bayern.

Mitglieder von Pro Deutschland hatten auf einer Veranstaltung im Norden von Köln rassistisch über Zuwanderung skandiert. Regelrechte Hetzgesänge. Die Polizei hatte die Veranstaltung schließlich aufgelöst.

Mitte August waren ihm mehrere Treffen von Pro Deutschland Leuten mit Mitgliedern der Hells-Angels im Raum Duisburg und Essen ins Auge gefallen.

Schließlich gegen Ende des Monats war sein Freund Jochen Kranert mal wieder in Erscheinung getreten mit jener ominösen E-Mail.

 

«Ich hatte ja schon ein Memo geschrieben und wir hatten über unseren Freund Jochen Kranert am Telefon gesprochen», berichtete Baumann seinem Vorgesetzten, räusperte sich und fuhr fort: «Was halten Sie davon, Thomas?»

«Sie wissen ja, dass ich mir auf diesen Typ keinen richtigen Reim machen kann. Ist er so dämlich, wie er sich anstellt, oder gerissen und berechnend. Keine Idee, muss ich sagen.»

«Wenn ich das so genau wüsste, wäre mir wohler. Ich würde ihn jedenfalls gerne eine Weile beobachten lassen. Vielleicht finden wir es heraus? Haben wir nicht bei den Kuttenträgern, einen V-Mann, den wir auf ihn ansetzen können?»

 

Mit Kuttenträgern meinte Jens Baumann die Mitglieder der Hells Angels, dem berühmt berüchtigten Motorrad- und Rockerklub, der 1948 in Fontana, Kalifornien, gegründet worden war. In Deutschland etablierte sich die Vereinigung ab 1973, als viele Mitglieder des damals größten Motorradklubs Bones zu den Hells Angels übertraten.

 

«Seit dem Verbot in Pforzheim, Baden-Württemberg, vor zwei Monaten ist leider alles etwas durcheinandergeraten, wie Sie wissen. Hätte der feine Herr Innenminister dort nicht vorschnell die Gruppierung der Hells Angels verboten, wären wir noch weiter mit wertvollen Informationen versorgt worden. So ist diese Quelle leider versiegt», fuhr Thomas von Gaelen fort.

«Wir haben jedoch jemanden im Raum Bonn, den wir auf Kranert ansetzen könnten.»

 

Die beiden Männer kamen zu dem Entschluss, Oliver Krämer aus Wesseling bei Bonn, V-Mann des BND und so genannter Prospect, also ein Anwärter auf eine Mitgliedschaft bei den Hells Angels, auf Jochen Kranert anzusetzen. Schon die räumliche Nähe zwischen Bonn und Leverkusen legte dies nahe. Zum anderen hatte Oliver Krämer im Moment keine feste Aufgabe für den BND zu erledigen, abgesehen von normaler Beobachtungstätigkeit.

Am frühen Nachmittag flog Jens Baumann zurück nach München.

 

In der CIA-Zentrale in den USA bekam Jeff Litterer an diesem Tag eine Antwort von seinem Außendienst, einen Mann namens Patrick Malone aus Florida betreffend. Die E-Mail war ausführlich und mit diversen Anlagen versehen.

Nach der üblichen Recherche seien in Florida achtzehn Personen mit dem Namen Patrick Malone ausfindig gemacht worden. Vier davon seien im Ruhestand und jenseits der siebzig Jahre alt. Zwei Ärzte in Fort Lauderdale und Tampa, ein Immobilien Kaufmann aus Daytona, ein Logistik Mitarbeiter im Hafen von Miami, ein Kurierfahrer aus der Nähe von Orlando, ein Prediger namens Phatnam Malone aus Sarasota, ein Angestellter einer Housekeeping-Firma aus Naples und so weiter. Alles in allem keine Auffälligkeiten bei allen betreffenden Personen, was politische Gesinnung, Vorstrafen oder sonstige Auffälligkeiten betraf.

Von einigen Personen waren Fotos als Anlage beigefügt. Unter anderem von dem Immobilien-Kaufmann aus Daytona, dem Logistik Mitarbeiter aus Miami, dem Prediger und dem Arzt aus Fort Lauderdale.

Der Außendienst in Florida fragte weiter an, ob alle oder bestimmte Personen der Liste näher in Augenschein genommen werden sollten, was, bis auf Weiteres, verneint wurde.

Jeff Litterer verfasste eine E-Mail nach Berlin und teilte Thomas von Gaelen seine Erkenntnisse mit.

 

Durch die Zeitverschiebung bekam dieser die Informationen erst am nächsten Morgen zu Gesicht, als er seine E-Mails abrief. Er überflog die Nachricht, konnte aber noch nichts Besonderes feststellen, sein Bauchgefühl riet ihm jedoch, am Ball zu bleiben. Einem Mitarbeiter trug er auf, die Passagierlisten der Fluggesellschaften zu überprüfen, für einen Jochen Kranert in die USA reisend und für einen Patrick Malone aus den USA in die EU kommend.

 

Gegen Nachmittag lagen ihm die Listen vor und tatsächlich war sein Freund Jochen Kranert darauf zu finden. Am Samstag, den 20. August war er mit Air Berlin von Düsseldorf nach Fort Myers geflogen, vierzehn Tage später wieder zurück.

Über einen Patrick Malone gab es keine Daten auf den Passagierlisten, die allerdings noch nicht vollständig vorlagen. Über EUDATNET konnte der BND nach den Anschlägen vom 11. September auf die Passagierlisten der Fluggesellschaften zugreifen, manchmal dauerte es allerdings einige Zeit, bis diese vollständig aktualisiert waren.

Von Gaelen schickte eine Nachricht mit dieser Information an seinen Kollegen in den USA, mit der Bitte, dies entsprechend zu überprüfen.

 

Die Heimatschutz- und Einreisebehörde brauchte nicht lange, um der CIA mitzuteilen, dass Jochen Kranert am 20. August um 17:34 Uhr Ortszeit am Flughafen Fort Myers in die Vereinigten Staaten eingereist war. Routinemäßig war sein Reisepass kontrolliert worden, Fingerabdrücke wurden wie üblich elektronisch gespeichert.

Innerhalb der vierzehn Tage, die er in den USA verbracht hatte, waren keine Daten über ihn erfasst worden, was zunächst so viel bedeutete, dass er sich nichts zuschulden kommen lassen hatte, was über einen Strafzettel für Falschparken hinausgegangen wäre.

 

Als Thomas von Gaelen in Berlin diese Informationen bekam, brauchte er nur eins und eins zusammenzuzählen.

Kranert war mit Air Berlin geflogen, einer typischen Ferienflug-Gesellschaft, hatte vierzehn Tage in den USA verbracht, einer wiederum typischen Urlaubsspanne und war nach Fort Myers (RSW) geflogen, einem ebenso typischen Flughafen für Urlaubsreisen.

Nach nochmaliger Rücksprache mit der CIA teilten die Jungs ihm mit, dass Jochen Kranert auf dem Einreiseformular als Grund seines Besuchs Urlaub angegeben und als Meldeadresse in den USA ein Privathaus in Cape Coral benannt hatte.

 

Jetzt brauchte er nur noch den passenden Patrick Malone von der Liste zu finden und den hatte er schnell. Der Mitarbeiter der Housekeeping-Firma aus Naples, gerade einmal vierzig Kilometer südlich von Cape Coral.

 

«Geht doch. So schnell haben wir dich alter Junge. Du meinst, du bist ein ganz schlaues Bürschchen. Du hast ein Haus am Golf von Mexiko gemietet und der Mitarbeiter der Verwaltung aus Naples will mit dir über merkwürdige Dinge sprechen», sagte er zu sich selbst.

Er fasste seine Gedanken und Erkenntnisse in einer E-Mail für Jeff Litterer zusammen und schickte sie mit der Bitte um Beurteilung, Recherche und Rücksprache ab.

 

Dieser las die Nachricht und telefonierte mit zwei Mitarbeitern in Tampa, Florida, rund einhundertachtzig Kilometer nördlich von Cape Coral. Die klare Anweisung war, jenen Patrick Malone in Naples ausfindig zu machen und ihm mal auf den Zahn zu fühlen, was seine Kontakte zum Chef der deutschen Partei betraf.

 

Sonntag, 18. September 2011 – Miami – Florida

 

Der richtige Patrick Malone saß zusammen mit Steven Hatchinson auf der Tribüne im Stadion, um einerseits Football zu schauen und sich dabei in Ruhe unterhalten zu können.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739441436
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Februar)
Schlagworte
Spionage Thriller Weltkrieg Hitler Paris Zeitreise Vergangenheit Science Fiction

Autor

  • Thomas Vollmann (Autor:in)

Thomas Vollmann – Jahrgang 1966 – verheiratet, geboren in Bergisch Gladbach lebt und arbeitet als Geschäftsführer einer Firma für Medizintechnik in Köln – Sein Debüt Roman „Trace – eine unheimliche Wirklichkeit“ spiegelt sein persönliches Interesse an komplexer Technik und maritimer Geschichte wider. Viele Gegebenheiten für seinen Roman recherchierte er an den Originalschauplätzen.
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Titel: TRACE