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Sophie

nichts ist für immer

von Inga Voigt (Autor:in)
30 Seiten

Zusammenfassung

Du bist ein ehrlicher und aufrichtiger Mensch, richtig? Sag mir, daß Du noch nie gelogen hast, sag mir, daß Du noch nie betrogen hast und ICH sage Dir - Du lügst! Jeder auf dieser Welt behauptet von sich ein Gutmensch zu sein. Aber das wahre Leben sieht anders aus, ganz anders. Bei manchen beginnt es bereits in der Wiege. Babys sind satt, haben eine saubere Windel an und trotzdem brüllen sie. Eigentlich sollten sie zufrieden sein. Sind sie aber nicht. Später macht so manch einer Komplimente - gut siehst du aus. In Wirklichkeit denkt er/sie: ist ihr Fön explodiert? Siehst Du, das kennt jeder, oder?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1 Kindheit

Sophie lag in ihrem Bett, umgeben von hohen Gitterstäben, ihre Pampas war schon seit Stunden durchnäßt. Sie starrte an die Zimmerdecke und beobachte die Schatten, die sich dort formten, wann immer ein Auto auf der Straße vorüberfuhr. Stand dort jemand vor dem Fenster? Versuchte jemand ins Zimmer zu steigen?

Sophie hatte Angst, unvorstellbare Angst. Sie nahm ihren Teddy in den Arm und drückte ihre Tränen in sein Fell. Leise schluchzte sie, sie rief nach ihrer Mami – niemand hörte sie. Sie war allein, ganz allein. Sophie lebte mit ihrer Mutter in einer 2 Zimmerwohnung, einen Vater gab es nicht.

Sie hörte aus dem Nebenzimmer Geräusche, heftige Atemstöße, Stöhnen und dann einen unterdrückten Schrei. Nicht ängstlich aber was war es dann? Mami war nicht allein. Sophie starrte zur Tür, sie stand einen Spalt offen und dort sah sie, daß jemand mit ihrer Mami zusammen im Bett lag. Er lag auf Mami aber was machte er da? Er bewegte sich auf ihr und Mami stöhnte ein wenig.

Wie gerne hätte sie sich jetzt an sie gekuschelt, an ihren armen Körper und hätte sich trösten lassen. Stattdessen grapschte der fremde Mann an Mami herum. Am Ende würde er Mami wieder etwas Geld schenken und dann verschwinden, wie alle Männer, die Mami besuchten.

Sophie wurde älter und größer.

Sie machte eine Berufsausbildung zur Apothekenhelferin und fand eine gutbezahlte Stelle in Spandau. Ihr Leben verlief in ruhigen Bahnen.

Als sie 18 Jahre alt wurde, erklärte ihr ihr Frauenarzt, Dr. Rubens, daß sie Unterleibskrebs habe. Es folgten Operationen, Chemotherapien, Medikamente und Kuraufenthalte. Die Metastasen wurden zwar entfernt aber sie bekam auch nach den Kuren jede Menge Tabletten, die sie ein Leben lang nehmen mußte. Ihr waren nach der Chemo sämtliche Haare ausgegangen und auch die Wimpern und Augenbrauen. Na ja, zwei bis drei Wimpern hatte sie noch aber mehr nicht.

Alles ertrug sie, alles wurde gut. Nach 3 Jahren war sie wieder „gesund“, nur Kinder, die würde sie nie bekommen, sagte der Arzt. Aber das war nicht so wichtig, sie lebte und konnte das Leben in die Hand nehmen.

Nach ihrer Entlassung aus der Reha, kaufte sie sich eine schicke kastanienrote, kurze Echthaarperücke und klebte sich falsche lange Wimpern an. Die Augenbrauen ließ sie sich als Permanent Make-up stechen. Noch etwas Make-up ins Gesicht, Lippenstift und Glos drauf – fertig. Sie war wieder eine hübsche junge Frau, der man die Qualen der letzten Jahre nicht ansah.

Dann kam Jens. Er überragte Sophie um einen Kopf, hatte dunkelblonde Haare und blaue Augen, mit dichten Wimpern und schönen schlanken Hände. Jens ging 3 x die Woche in ein Fitneßstudio und hatte eine tolle Figur. Jeden Abend holte er sie von der Apotheke ab, dann fuhren sie über die Havelchaussee zur Spinnerbrücke, DEM Motorradtreff in Berlin. Das Leben konnte so schön sein.

An Sophie’s 25. Geburtstag fragte Jens, ob sie seine Frau werden wolle. „Ja, ich will.“, mehr konnte sie nicht hervorbringen, ihr Glück war vollkommen. Von seinem Gehalt als KFZ-Mechaniker konnten sie gut leben, er verdiente sich noch nebenbei ein paar Scheine, indem er die Fahrzeuge seiner Freunde und Bekannten reparierte.

Die Hochzeit fand im engsten Familienkreis statt. Sophie’s Mutter war nicht eingeladen. Für eine Hochzeitsreise reichte es jedoch leider nicht.

Sie richteten sich in der Miraustr.47, in Berlin Reinickendorf eine kleine 2 1/2-Zimmer-Wohnung ein und hatten auch einen kleinen Balkon, auf dem sie am Wochenende gemütlich frühstücken konnten. Jens konnte mit dem Motorrad zur Arbeit fahren uns Sophie hatte noch einen kleinen Peugeot. Zur Not konnten sie auch die BVG nutzen, die Haltestellen waren gut zu fuß erreichbar.

Sophie und Jens waren nun schon 2 Jahre verheiratet und immer noch hing der Himmel voller Geigen. Sophie stand immer als Erste auf und machte das Frühstück. So auch heute. Aber was war das? Ihr war schwindelig. War das letzte Glas Rotwein gestern zuviel? Wieviel hatte sie eigentlich getrunken? Egal, sie rannte ins Bad und übergab sich. Sie schwor sich, nie wieder 4 Gläser Rotwein zu trinken und schon gar keinen Grappa dazwischen.

Auch am Montag ging es ihr nicht besser und auch nicht am Dienstag. Vielleicht doch auch eine kleine Magen-Darmverstimmung? Jedenfalls am Mittwoch war alles wieder vorbei.

Der Sommer neigte sich seinem Ende zu und läutete bereits den Herbst ein. Sophie schlüpfte in ihre lange Hose – oh nein - die Hose ließ sich nicht mehr schließen, der Reißverschluß sperrte um 10 cm.

Sie ging zum Spiegel. Hatte sie zugenommen? Sie stellte sich auf die Waage. Tatsache. Sie wog 7 kg mehr. Im Sommer war es ihr nicht aufgefallen, die Sommerkleider waren alle weit geschnitten, aber die Hosen nicht. Sie nahm sich vor, zwei oder drei Kilo abzunehmen, dann ginge es auch wieder.

Aber die Kilos wurden nicht weniger, eher mehr.

„Geh‘ doch mal zum doc.“ Riet ihr Jens. „Heute ist aber Mittwoch und da brauche ich erst gar nicht anrufen. Ist sowieso zu.“ Jens gab sich geschlagen und trollte sich.

Am Donnerstag erreichte sie jemanden in der Praxis und bekam tatsächlich noch am Freitag einen Termin um 17 Uhr.

„Tja, Frau Claasen, da muß ich sie wohl zu einem Gynäkologen überweisen. Ich bin mir zwar nicht sicher, aber ich vermute, sie sind schwanger.“

„Das ist ganz unmöglich. Das geht gar nicht.“ Sophie geriet in Panik. Hatte ihr nicht damals Dr. Rubens erklärt, daß sie nie Kinder haben kann? Deshalb verhütete sie natürlich auch nicht.

Drei Tage später saß sie beim Frauenarzt. „Herzlichen Glückwunsch, ja, es besteht eine Schwangerschaft. Sie sind im 3. Monat.“ Dr. Sonntag stich sich einige Haarsträhnen, die schon an den Spitzen leicht grau wurden, aus der Stirn und strahlte Sophie an. Sophie war im siebenten Himmel, damit hatte sie nie im Leben gerechnet.

Jens war außer sich vor Freude, nun werden sie doch noch eine richtige Familie sein. Sie begannen die Babyausstattung zusammenzustellen und besorgten eine Kinderwiege, einen Wickeltisch und einen kleinen Teddybären. Die Wohnung wäre für die ersten zwei bis drei Jahre groß genug und später würden sie sich eben eine Größere suchen.

Ihr Glück sollte noch bis zum Dezember anhalten. Zwei Tage vor Weihnachten bekam Sophie Bauchschmerzen, sie war jetzt im 5. Monat schwanger. Also, Wehen konnten es keine sein. Sie schleppte sich ins Bad und sah, wie sich unter ihr eine große Blutlache ergoß. Ihr wurde schwarz vor Augen und sie brach bewußtlos zusammen. Wie lange sie dort gelegen hatte, vermochte sie später nicht mehr zu sagen.

„Sophie, ich bin wieder daaahaa.“ Jens kam nach Hause und fand seine Frau zusammengekrümmt im Bad. Er rief sofort die Feuerwehr an und Sophie kam umgehend in die Charité. Sophie lag in einem 3-Bett-Zimmer, hatte aber nur eine Zimmernachbarin. Ihr wäre es lieber gewesen, ganz alleine zu sein, denn die Mutter von bereits 3 Kinder, redete ununterbrochen und ging hier tierisch auf die Ketten.

Am nächsten Morgen, bei der Visite erklärte ihr Chefarzt Dr. Martin, daß sie ihr Kind verloren hat, es war bereits tot, als sie es im Bad verloren hatte. Aus medizinischen Gründen mußte man leider auch ihre Gebärmutter entfernen und somit könne sie nunmehr tatsächlich keine Kinder mehr bekommen.

Für Sophie brach eine Welt zusammen, sollte ihr soviel Glück doch nicht zustehen? Hatte sie ihr Glück überzogen? Wieviel Glück steht einem denn überhaupt zu? Sophie bekam Manische Depressionen, hatte Selbstmordgedanken und sollte in eine geschlossene Psychiatrie überwiesen werden. Sie flehte Jens an: „Ich reiße mich zusammen, nein, ich nehme die Medikamente. Ich will nur bei dir bleiben.“ So kam es, daß Sophie nicht in eine Klinik eingewiesen, sondern nach Hause entlassen wurde. Noch war ja nichts geschehen, sie hatte sich noch nicht selbst verletzt.

Kapitel 2 LKA Berlin

Kriminalhauptkommissarin Nele Horst saß im 3. Mordkommissariat am Schreibtisch und durchforstete die eingegangenen Mord- und Totschlagsmeldungen der vergangenen Nacht. Vor ihr stand ein großer Pott Kaffee, schwarz und ohne Zucker. Sie nahm einen Schluck, verbrannte sich prompt die Lippen und fluchte „Mist.“ Sie blickte über den Tassenrand und sah daß ihr Mitstreiter, KHK Justus von Kleist, das Büro betrat. „Wie siehst du denn aus? Ist bei euch der Fön explodiert oder ist die Gartenlaube abgebrannt?“ Justus von Kleist war heute früh schon mit seiner Tochter Pia zusammengerasselt und hatte absolut keine Lust auf Streit. „Nee, Pia, war heute wieder mal ausgesprochen liebenswürdig. Was steht auf ‚Tochtermord im Affekt‘?“. Nele grinste, das war es also. „Wie lange will sie eigentlich immer noch bei euch wohnen?“

„Die Chancen stehen gut, daß sie bald auszieht“ meinte Justus v. Kleist. „Sie sucht schon nach einer Wohnung. Und bei dir – gibt es neue Tote oder ‚Totgeglaubte‘?“ Justus v. Kleist versuchte ein schelmisches Grinsen, was aber kläglich scheiterte. Nichts Neues für uns dabei. „Wollen wir frühstücken gehen?“ Nele zögerte aber warum nicht? „OK, laß uns zu Marie gehen, dort gibt es so herrliche Croissants.“ Und so zogen sie los.

Marie hatte ein kleines Bistro an der Ecke und ihre Kunden kamen überwiegend vom Polizeidezernat. Man kannte sich eben. „Na, ihr 2. Wie immer, Justus?“ Sie bestellten sich jeder einen Croissant und Milchkaffee dazu. Justus v. Kleist biß herzhaft in sein 2. Frühstück, Nele nippte am Kaffee. „Ich weiß nicht, was mit Pia los ist. Neuerdings ist sie schnippisch und gegen ihr Outfit darf man schon gar nichts sagen.“ „Wieso?“ Nele runzelte die Stirn. „Na ja, ich bin ja nur der Vater aber so wie sie rumläuft - die Röcke werden immer kürzer und die Bluse zeigt mehr, als sie versteckt.“ „Kann es sein, daß du alt wirst? Seit wann stört dich so was?“ Nele grinste. Justus von Kleist fühlte sich ertappt, er war zwar erst knapp über 50 Jahre alt aber gemessen an seiner Kollegin, die rund 15 Jahre jünger war, war er vielleicht doch schon ein wenig verknöchert. Mitten in ihrem Gespräch klingelte Justus von Kleists Handy. „Wie war die Adresse, wiederhol‘ noch mal – Hubertusstr. 10, in Waidmannslust. Bei Sabine Lorenz. Ok, wir fahren hin.“ „Los, Nele – Einsatz.“

Sie ließen den halben Milchkaffee stehen, stopften sich die restlichen Croissants in den Mund und warfen das Geld auf den Tisch.

Die Pflicht rief. Sie sprangen in ihren Dienstwagen und schleusten sich durch den morgendlichen Berufsverkehr. Nach 25 Minuten hatten sie den Einsatzort erreicht, was genau sie erwartete hatte die Leitstelle nicht mitgeteilt. So wußten sie lediglich, daß es ein Frauenmord ist.

Das Opfer, Sabine Lorenz, wohnte in einen typischen berliner Altbau, vier Etagen, ohne Aufzug.

Die Wohnung von Sabine Lorenz lag im Hochparterre, rechts. Zwei Zimmer, eine Küche und ein kleines Bad. Nele Horst und Justus v. Kleist bot das Wohnzimmer einen chaotischen Anblick. Sämtliche Schubladen waren herausgerissen und deren Inhalt auf dem Boden verstreut. Die Tote war nur sehr spärlich bekleidet mit einem schwarzen Spitzen-BH, einem schwarzen Tanga und darüber ebenso schwarzen Strapsen. Sabine Lorenz lag rücklings auf dem Bett, die Arme und Beine weit vom Körper ausgestreckt. Unter ihrem Kopf und Oberkörper breitete sich eine riesige Blutlache aus, die aus zwei Halswunden ausgetreten war. Dazu kamen diverse Stichverletzungen von einer Brust zur anderen und 2 Linien, die sich in ihrem Intimbereich trafen. „Wenn man davon ausgeht, daß bei Frauen 4 bis 5 Liter Blut in den Adern fließen, so hat sie die wohl gerade verbraucht.“ Nele warf v. Kleist einen strafenden Blick zu. Dann wandte sich Nele Horst der Spurensicherung zu. „Also, Jungs, was haben wir?“ Der Leiter der „Spusi“ drehte sich zu den Ermittlern um. „Sabine Lorenz, 25 Jahre alt, so wie es ausschaut keine Vergewaltigung, muß aber in der Rechtsmedizin geprüft werden. Die Leichenstarre ist noch nicht völlig zurückgegangen, somit tippe ich darauf, daß der Tod vor ca. 4 Stunden eingetreten ist.

„Und was noch?“ Hakte Justus v. Kleist nach, als der Leiter der Spurensicherung nicht weitersprach. „Geld scheint keines gestohlen zu sein, hier liegen 1.000 Euro und etwas Billigschmuck. Wenn ihr mich fragt: haben wir hier einen Prostituiertenmord vor uns. Die Wohnung diente wohl ausschließlich dem horizontalen Gewerbe. Denn es gibt hier wenig Persönliches, keine Fotos, keine normale Bekleidung, nur erotische Fummel.“ Der Notarzt war bereits unterwegs und konnte nicht mehr abbestellt werden, so konnte er nach seinem Eintreffen nur noch „Todesursache nicht natürlich“ auf dem Totenschein eintragen. Damit wurde es ein Fall für die Rechtsmedizin.

„Habt Ihr schon einen Nachbarn gesehen?“ wollte Nele wissen aber die Antwort war negativ. Nele zog los, die Nachbarn zu befragen, ob sie eventuell einen Streit oder andere ungewöhnliche Beobachtungen gemacht hätten und Justus leitete die Überstellung der Leiche in die Gerichtsmedizin ein.

Nele klingelte an der gegenüberliegenden Wohnung. Ein kleiner glatzköpfiger, untersetzter Mann, ca. 50 Jahre alt, öffnete die Tür, graue labbrige Jogginghose und ein ärmelloses, geripptes Unterhemd ließen Nele auf Hartz IV tippen. Sie zückte ihren roten Dienstausweis „Nele Horst, Mordkommission…“ weiter kam sie nicht. „Ach, kümmert sich nu och mal endlich eener um de Zustände von da drüb’n?“ Herzlich willkommen in Berlin. „Den janzen tach dit jeloofe uff’n Flur, eener kommt, eener jeht. Zustände wie im alten Rom. Nur Sodom und Jemorra.“ Nele straffte die Schultern. „Haben Sie heute etwas Ungewöhnliches beobachtet, war etwas anders als sonst?“ Herr Schulz griente über beide Ohren. So, würde er es nicht bezeichnen, es war nur etwas weniger los, als sonst. Peng, die Tür war zu. Das fing ja gut an. Auch in den darüber liegenden Wohnungen waren die Aussagen nicht aufschlußreicher. In der Arztpraxis brauchte sie gar nicht er nachfragen, das war sinnlos. Hier gingen die Patienten rein und raus, wie in der U-Bahn, zur Rushhour. Niemandem würde eine Person auffallen, denn es ist ganz normal hier auf fremde Personen zu treffen. Somit war nichts von den Nachbarn zu erfahren und sie mußten die Ergebnisse der Obduktion abwarten.

In der Charité wartete bereits der Gerichtsmediziner Prof. Dr. Kostos, der von Justus v. Kleist bereits informiert wurde und sofort mit der Arbeit begann. Prof. Kostos war zwar in Berlin geboren, seine Eltern aber stammten ursprünglich aus Griechenland. Er hatte in Berlin studiert und heute leitet er das Institut für Rechtsmedizin in Berlin. In Fachkreisen gilt er als Koryphäe auf seinem Fachgebiet und wurde bereits mehrfach an zahlreichen Identifizierungsfällen hinzugezogen und für seine Arbeit ausgezeichnet.

Wie bei jeder ungeklärten Todesursache waren bei der Obduktion der diensthabende Staatsanwalt, die ermittelnden Kriminalbeamten, ein weiterer Rechtsmediziner und zwei Medizinstudenten anwesend. Prof. Kostos begann mit der äußeren Leichenschau. „Sabine Lorenz, 25 Jahre alt, Größe 1,68cm, Gewicht 59 kg. Zwei weitklaffende Schnittwunden unterhalb der Kehle, Schnittverlauf von links nach rechts, mit einem zweischneidigen Messer. Das daß Messer zweischneidig war, ergibt sich aus den ausgefranzten Einstichstellen, die von der linken zur rechten Brust geführt wurden und den beiden geraden Verbindungslinien, die sich im Intimbereich treffen. Diese Einstiche zeigen eindeutig eine doppelseitige Klinge. Wellenschliff. Alle Einstiche sind ca. 20 cm tief und wurden mit einer außerordentlichen Wucht oder Wut ausgeführt. Todesursächlich sind die Kehlkopfschnitte. Ob das Opfer vorher betäubt war oder unter Drogen bzw. Alkoholeinfluß stand, wird die innere Leichenschau zeigen.“ Prof. Kostos konnte aufgrund der Stichverletzungen weder einen sogenannten „Y“ - , noch „U“-Schnitt ausführen, da sich die Schnitte mit denen des Täters teilweise überlagert hätten. Somit blieb nur noch ein Schnitt vom Hals senkrecht zur Scham übrig. „Ich öffne nun den Oberkörper und entnehme Lunge, Herz, Magen und Nieren. Die Ergebnisse der Toxikologischen Untersuchungen werden nachgereicht.“

Im Sektionssaal herrschte absolute Stille, nur die ruhige Stimme des Rechtsmediziners und das Klappern der Sektionsgeräte war zu hören. Einer der Medizinstudenten war kreidebleich im Gesicht, er ging langsam rückwärts zur Tür, öffnete diese und verschwand Richtung Herrentoilette.

Da im Moment keine weiteren Ergebnisse zu erwarten waren, fuhren Nele Horst und Justus v. Kleist wieder zurück ins Kommissariat. Nele trug die ersten Ermittlungen in einem Bericht zusammen. Wie immer blieb der Schreibkram an ihr hängen. Während Nele schrieb, rief bereits Prof. Kostos an. „Ich habe im Magen der Toten Spuren von K.O.-Tropfen nachweisen können. Also wurde sie erst betäubt, dann der Kehlkopf durchgeschnitten und anschließend kam es zur Übertötung.“ Unter Übertötung versteht man, daß nach Eintritt des Todes weitere totbringende Handlungen ausgeführt werden, die aber keine Auswirkungen mehr haben, mit anderen Worten, die eigentlich schon überflüssig waren. Nele schüttelte den Kopf „Wie sinnlos.“

Kapitel 3 Die neue Wohnung

Der Umzugswagen hielt vor der Hausnummer 64, in der Belziger Str., in Schöneberg. Aus dem Mini Cooper davor sprang eine junge Frau heraus. „Die Wohnung ist im ersten Stock, ich schließe schon mal die Wohnung auf.“ Die junge Frau schnappte sich einen Umzugskarton und den Gummibaum aus dem Mini und ging voraus. Die drei jungen Männer kletterten vom LKW, einer öffnete die hintere Plane und schon begannen sie die beiden Sessel, die kleine Couch und die ersten Schrankteile in die Wohnung zu tragen.

Gott, war sie froh, endlich eine eigene Wohnung, niemandem sagen zu müssen, wann man nach Hause kommt oder warum man sich noch mal mit Peter oder doch wieder mit Jörg treffen wollte, obwohl die Beziehung schon beendet ist. Eigenständig - ein tolles Wort. Sie freute ich sich auf ihr neues Leben. Am Abend waren alle Möbel in der Wohnung, sie hatte die Umzugsfirma bezahlt und saß nun zufrieden mit einem Bier auf ihrer Couch, hatte die Füße auf den Tisch gelegt und entspannte sich. Bevor sie ganz in die Müdigkeit abdriftet, wollte sie sich noch schnell bei den Nachbarn vorstellen, das hatte sie sich noch vorgenommen. So klingelte sie gleich gegenüber. „Guten Abend, ich bin ihre neue Nachbarin, ich bin gerade eingezogen. Ich heiße Pia von Kleist.“

Eine ältere Frau, schätzungsweise um die 80 Jahre alt, schaute sie mißtrauisch an. Dann lächelte sie „Freut mich, endlich kommt Leben in die Wohnung da drüben. Das ist gut so. Aber jetzt müssen sie mich entschuldigen, mein Mann ruft nach mir, er ist bettlägerig und kann nicht so lange alleine sein. Gute Nacht.“ Sie schloß die Tür und Pia hörte sie durch den Flur rufen: „Ich komme ja schon.“ Pia schmunzelte, so ist das, wenn man alt wird. In der mittleren Wohnung öffnete niemand, so beschloß Pia, morgen dort noch einmal zu klingeln. Sie bestellte sich eine Pizza Funghi beim Pizza Service und ging unter die Dusche. Sie hatte gerade eine Leggings und ein T-Shirt angezogen und sich ein Handtuch um die Haare gewickelt, da kam schon ihr Abendessen. Das klappte ja alles hervorragend. Ihre Mutter hatte ihr für den ersten Abend, den sie allein verbringen wollte, eine Flasche Rotwein geschenkt und den trank sie nun dazu. Morgen würde sie noch ein paar Bilder aufhängen, die letzten Kartons auspacken und den Kühlschrank befüllen. Sie hatte sich ein paar Tage Urlaub genommen und konnte somit alles in aller Ruhe erledigen. Am Samstag plante sie ihre Eltern einzuladen. Mann, würde ihr Vater staunen. Ihre Mutter hatte sie zum Schweigen verpflichtet und offensichtlich hatte sie „dicht“ gehalten. Pia war jetzt 29 Jahre alt, da waren andere schon verheiratet und hatten Kinder. Oder waren schon wieder geschieden. Also, war es nur normal endlich eine eigene Wohnung zu haben, es wurde wirklich langsam Zeit. Außerdem ist „Hotel Mama“ zwar gut und schön aber keine Dauereinrichtung. Bis sie eine eigene Waschmaschine hat, kann sie ja in ein Waschcenter gehen. Morgen wollte sie die Umgebung erkunden, sie hatte auf dem Stadtplan gesehen, daß der Heinrich-Lassen-Park genau gegenüber ist und den würde sie sich morgen mal ansehen und ein wenig spazieren gehen. Sie hatte ja schließlich Urlaub. Es war mittlerweile Mitternacht geworden und die Müdigkeit überfiel sie, es war ja auch ein anstrengender Tag. Sie löschte den Deckenfluter und ging zu Bett.

Da die Gardinen noch fehlten, wurde sie morgens von der Sonne geweckt und das war eigentlich ein schönes Gefühl, mit der warmen Sonne im Gesicht aufzuwachen, statt durch einen nervtötenden Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden. Pia besorgte sich frische Schrippen, beim Bäcker an der Ecke und etwas Marmelade. Richtig einkaufen konnte sie später immer noch. Sie setzte sich – eingehüllt in ihren Wintermantel und einer weiteren Decke - mit einem Klappstuhl und dem Tablett auf den Knien auf ihren kleinen Balkon und genoss den ersten Tag in ihrer kleinen Wohnung. Kaum hatte sie den letzten Schluck Kaffee getrunken, ging sie doch lieber wieder zurück ins Wohnzimmer. Sie wollte unbedingt auf dem Balkon frühstücken, egal, wie kühl es ist. Zu Hause hätte sie ihre Mutter wohl wieder mal davon abgehalten, aber die war ja nicht hier. Pia schmunzelte, wie schön es ist, nicht bevormundet zu werden.

Dann machte sie sich daran, die letzten drei Kartons auszupacken. Die Jungs hatten gestern den kompletten Schlafzimmerschrank noch aufgebaut und so waren ihre Sachen schnell eingeräumt. Aus ihrem Jugendzimmer hatte sie ein paar Poster mitgebracht, die sie im Wohnzimmer verteilte. Jetzt sah es schon richtig gemütlich aus. Mittlerweile war es 15 Uhr geworden und Zeit für den kleinen Spaziergang, den sie sich vorgenommen hatte. Der Heinrich-Lassen-Park war genau das Richtige für sie, ein paar schöne alte Bäume, ein paar Wiesen und Parkbänke. Nach einer halben Stunde kehrte sie in die Wohnung zurück und beschloß nun bei ihren Eltern anzurufen und sie für Samstag einzuladen. Pia war sehr erstaunt, als ihr Vater ans Telefon ging. „Hi, Paps. Ich weiß nicht, ob du heute schon in meinem Zimmer warst. Ich bin gestern ausgezogen und wollte euch für Samstag zum Kaffee in meine Wohnung einladen.“ Justus von Kleist glaubte seinen Ohren nicht zu trauen „Du bist bitte - was?“ Er war mit dem Mobiltelefon am Ohr in den ersten Stock des Einfamilienhauses gegangen und öffnete nun die Tür zum Zimmer seiner Tochter. Leer. „Das glaube ich jetzt nicht, warum weiß ich nichts davon?“ „Es sollte eine Überraschung werden.“ Justus konnte sich das Gesicht seiner Tochter richtig vorstellen. „Wo genau bist du jetzt?“ Pia gab die Adresse durch und die Uhrzeit, wann ihre Eltern zum Kaffee kommen sollen. „Ach Paps, könntest du bitte noch den Akkuschrauber mitbringen, die Tür vom Schlafzimmerschrank hängt noch nicht richtig.“ Wie Justus v. Kleist dieses „Paps“ haßt ! Aber das war wieder mal seine Tochter live. Sie ist und war nun mal seine Lieblingstochter.

Natürlich nahm er die Einladung an und versprach auch den Akkuschraubenzieher mitzubringen. Was blieb ihm auch Anderes übrig.

Kapitel 4 Alltag

Seit Sophie aus dem Krankenhaus entlassen und wieder zu Hause war, hatte sie sich sehr verändert. Sie ist sehr still, ihr vergnügtes Lachen von früher, wurde immer seltener und irgendwann schien sie gar nicht mehr zu lachen. Sie zog sich in sich zurück. Jens versuchte sie aufzuheitern „Wollen wir heute Abend etwas unternehmen? Vielleicht ins Kino gehen? In Tegel im CineStar gibt es ab heute neue Filme.“ „Keine Lust, laß uns zu Hause bleiben.“ Jens wußte, daß sie gerne bummeln ging und schlug deshalb einen Abstecher zum Kudamm vor. Das ist bei Berlinern DIE Flaniermeile. Es kamen nach dem Mauerfall zwar einige Prachtstraßen im ehemaligen Ostteil dazu aber für einen echten Berliner ging nichts über den Kurfürstendamm. Auch hier erhielt er einen Korb. So saßen sie dann vor der Flimmerkiste und tranken ein Glas Wein. Gegen 22 Uhr sagte Sophie, daß sie ins Bett ginge, sie sei müde.

„Was ist mit Liebe?“ Jens legte den Kopf schief und grinste, er streckte die Hand nach ihr aus aber sie wandte sich schnell ab. „Ich sagte doch, ich bin müde.“ Sophie zog die Lippen zusammen und verließ das Wohnzimmer.

Jens saß schweigend vor dem Fernseher, bekam aber von der Sportübertragung nichts mit. Er grübelte. Sie hatten schon lange nicht mehr miteinander geschlafen. Seit wann eigentlich genau? Jens überlegte. Waren es 3 Wochen, oder 3 Monate? Genau genommen, seit sie aus dem Krankenhaus gekommen war, nachdem sie erfahren hatte, daß sie keine Kinder mehr bekommen konnte. Wozu also Liebe machen? Nur zum Spaß? Wenn es nach ihm gegangen wäre: ja. Das hat doch nichts mit einem Kinderwunsch zu tun, na ja, nicht immer halt. Sondern mit Liebe. Man macht es, weil man sich LIEBT. Das gehört doch zur Ehe dazu, oder? Er hatte schließlich auch Gefühle und die nicht nur im Herzen, sondern auch zwischen den Beinen. Er stand „im vollen Saft“, wie man so sagte. Wo sollte er mit seiner Manneskraft denn hin? Alles Grübeln half nichts, er fand keine Lösung. Also schlich er ebenfalls ins Schlafzimmer, wo Sophie bereits leise schnarchte und schlüpfte ins Bett. Tatsächlich, sie drehte sich von ihm weg.

Als Jens am nächsten Morgen in die Küche kam, saß Sophie schon am Frühstückstisch und schlürfte ihren Kaffee. Der Tisch war nett gedeckt, so, wie er es gerne hatte. Für ihn Wurst und Käse , eben ein Männerfrühstück. Sophie trank stets nur einen Kaffee. Sie war wie immer schon komplett angezogen, geschminkt und frisiert, wenn er in der Küche erschien. Und hübsch sah sie aus. Auch wie immer. Er machte ihr zaghaft ein Kompliment und sie lächelte. Trotzdem entging ihm nicht, wie unterkühlt die Stimmung war. Sophie stieg in ihren Peugeot, fuhr in die Apotheke und er setzte sich auf sein Motorrad und fuhr in die Werkstatt.

Der Chef, August Moltke, betrieb die Werkstatt schon sein ganzes Leben lang, er hatte sie nämlich von seinem Vater übernommen. Jens war sein einziger Mechaniker und beide kamen sehr gut miteinander aus. Jeder konnte sich auf den Anderen verlassen und auch ohne vieler Worte, wußte jeder, worin seine Arbeit bestand. Die anderen zwei Jungs waren noch in der Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechatroniker, früher hieß das einfach nur KFZ-Mechaniker.

In der Frühstückspause saß Jens allein auf einer Bank neben der Werkstatt und las Zeitung. Eigentlich las er nicht wirklich, er starrte auf die Schlagzeilen und seine Gedanken waren ganz woanders. Was sollte er nur machen? Sophie entzog sich ihm immer mehr. Sollte er sie zu einem Seelenklempner schleppen? Vielleicht brauchte sie nur ein wenig Zeit. Man sagt doch, Zeit heilt alle Wunden. Aber was war in der Zwischenzeit mit ihm? Er hatte gestern festgestellt, daß er nicht mehr wußte, wohin er mit seinem immer größer werdenden Sexwunsch sollte. Vielleicht sollte er zu einer Nutte gehen? Er hatte keine Erfahrung auf diesem Gebiet. Wie stellt man das am Besten an? In ein Bordell gehen? Geht ‚Mann‘ da einfach rein? Muß man bei der Puffmutter sagen was man genau will? Oder nur, wie die Frau aussehen soll, mit der man……? Mit wem verhandelt man über den Preis? Und was kostet wieviel? Nein, ein Bordell ist zu kompliziert. Eine von der Straße? Und dann? Im Auto? Und mit der Hygiene ist es dann auch nicht so weit her. Dann weiß man auch nicht, ob sie gesund ist. In einer billigen Absteige?

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739337760
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Februar)
Schlagworte
Untreue Krimi Spannung Rotlicht Milieu

Autor

  • Inga Voigt (Autor:in)

Mein kleiner Krimi spielt in Berlin West. Hier bin ich 1950 geboren und hier kenne ich mich aus. Nach meiner Ausbildung zur Apothekenhelferin, habe ich sehr bald den Beruf gewechselt und habe 40 Jahre im Öffentlichen Dienst gearbeitet. Die letzten 25 Jahre im gehobenen Dienst. Ich bin verheiratet, aber ich habe keine Kinder. Ich wünsche Dir viel Spaß beim Lesen und spannende Stunden.
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Titel: Sophie