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Berlin um die Jahrtausendwende: Silvester

von Tscharlie Häusler (Autor:in)
15 Seiten

Zusammenfassung

Die zwölfte von vierzehn Geschichten der Irrungen, Wirrungen und Amouren eines Singles namens Rothe. Es beschreibt in unterhaltsamer, humorvoller Form eine typische Berliner Existenz als Randfigur diverser Subkulturen. Authentisch werden bekannte und unbekannte Örtlichkeiten, Szenekneipen, aber auch skurrile, witzige und einfache Personen aus dem Umfeld des Protagonisten beschrieben. Die Geschichten können einzeln oder im Gesamtkontext verstanden und genossen werden. Aufgrund der milieugetreuen Schilderung Berliner Verhältnisse sind die Geschichten sowohl für Berliner aber auch für Besucher der Stadt mit einem großen Wiedererkennungswert verbunden. Sie werden bei der Lektüre mindestens schmunzeln, wenn nicht auch manchmal lauthals lachen. Natürlich werden Sie sich in diesen Figuren auf keinen Fall wieder erkennen, oder etwa doch?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Dezember

Silvester





Sie waren alle gekommen! Alle!

Zumindest all die, die Rothe zugesagt hatten, sich wieder mal am Jahresende gemeinsam der gepflegten Langeweile hinzugeben. Diesmal wollten sie sich – recht herkömmlich - am 31. Dezember treffen, trotz ihrer Vorbehalte gegen die gebräuchlichen Konventionen.

Aus dem illustren Kreis fehlte, wie üblich, Noko, der Nonkonformistischste der nonkonformistischen Runde. Er behauptete, zur Jahresendmedititation in einem buddhistischen Kloster zu sein. Rothe, der sich wunderte, woher Noko schon wieder das Geld für eine Reise hernahm, wusste ja inzwischen, wo sich dessen angebliches Kloster befand, seitdem er ihn im November knutschenderweise am Flughafen von Havanna gesehen hatte.

„Rembrandt mit dt“ – also eigentlich ja Reinhardt mit dt“ hieß – wäre fast gekommen. Rothe hatte ihn zwangsläufig einladen müssen, als dieser sich überraschenderweise kurz vor Silvester telefonisch bei ihm meldete. Rembrandt lehnte zum Glück die Einladung jedoch recht einsilbig ab, nachdem er erfuhr, wer noch alles kommen würde. Er wolle lieber wieder in die „Muppetshow“, wie er sich auszudrücken pflegte. Von Jahr zu Jahr wurden sie ihren großen Vorbildern immer ähnlicher.

„Silvester läuft immer was. Auf, Waldorf!! Komm mal raus aus Deinem Loch!!!“, hatte Rembrandt mit lauter, sehr überzeugend klingender Stimme verkündet.

„Self-Fulfilling Prophecies - die erfüllen sich anscheinend auch nicht immer“, wähnte Rothe, der überglücklich war, dass er sich diesmal einfach so rausreden konnte. Schließlich hatten die anderen Gäste schon zugesagt.

„Sorry Statler“, meinte Rothe. „Diesmal wird es wirklich nichts mit der Muppetshow!“

Rembrandt gab – für seine Verhältnisse – erstaunlicherweise schnell auf mit seinen Überredungsversuchen.

„Schönen Gruß an die anderen“, meinte er mit belegter Stimme und legte auf.

Rothe wunderte sich ein bisschen. Sonst war Rembrandt derartigen Festivitäten gegenüber ja recht aufgeschlossen, soweit zahlreiche kostenfreie Alkoholika vorhanden waren. Man hatte im Sommer gemunkelt, dass Rembrandt eine Affäre mit Sieglinde habe. Angeblich hatte man die beiden händchenhaltend in der Oranienstraße gesehen. „Ob es wohl daran lag?“, grübelte Rothe. Nichts Genaues wusste man allerdings nicht.

Dennoch, ein erleichtertes, kurzes Ausatmen und ein versonnenes Lächeln konnte er sich nicht verkneifen, als er an die möglichen Folgen des Anrufes dachte. Besonders im Winter konnten die Muppetshowbesuche mit Statler lebensbedrohlich werden. Er erinnerte sich noch recht plastisch an die fürchterliche Eiseskälte, als er vor einigen Jahren nach einem derartigen Ausflug auf einer Parkbank erwachte.

Rothe fröstelte bei dieser doch recht unangenehmen Erinnerung. Diesmal konnte er sich allerdings absolut sicher sein, dass dies nicht geschehen würde. Er wusste, dass er in seinem warmen Schlafzimmer einschlafen würde. Das war ohne seinen Kumpel Rembrandt hundertprozentig gewährleistet.

Sieglinde kam, wie üblich, zusammen mit Elmar, ihrem „Bruder ehrenhalber“. Der jedes Mal bereit stand, wenn Sieglinde gerade wieder mal solo war. Laut eigenem Bekunden hatte sie sich von ihrer „Sommeraffäre“ – so nannte sie das – aufgrund elementarer Meinungsunterschiede getrennt. Elmar blickte zu Sieglinde, wie eh und je, mit glänzenden Augen auf.

Gekommen waren auch Tine und Bert, das ewige Paar. Exilierte Schwaben mit Wohnsitz am Paul-Lincke-Ufer, in einer Fabriketage. Tine hatte wieder ihr berühmtes Zaziki dabei, das sie zu jeder Fete mitbrachte und dann doch immer allein aufaß, weil es ja laut ihrem eigenen Zeugnis so hervorragend schmeckte. Dabei hatten sie auch ihr „Baby“, eine riesenhafte, schwarze Dogge, die sie sich dieses Jahr nach einem heftigen Streit um ihre Familienplanung gekauft hatten. Die Bestie – Schnucki genannt – saß Rothe, der sich in seinem Sessel lümmelte, Auge in Auge gegenüber. Er fühlte sich merklich unwohl in seiner Haut, denn im Grunde seines Herzens war er durch und durch Hundehasser. Er fand dieses Ungetüm ziemlich beunruhigend.

Tine hatte am Telefon so lange auf ihn eingeredet und gesagt, dass ihr „Baby“ an Silvester unmöglich zu Hause bleiben könne, bis er trotz seiner erheblichen Vorbehalte selbst gegen kleine Hunde letztendlich nachgegeben hatte.

Wie man das Monster „Schnucki“ nennen konnte, war ihm absolut schleierhaft. Rothe, der das Ungeheuer noch nie zuvor gesehen hatte, hatte eigentlich angenommen, dass es sich bei dem angekündigten „Baby“ um ein kleines Hundewelpen handeln würde. Schon diese kläffenden, sabbernden Dinger waren ihm im Grunde ziemlich zuwider. Erst recht dieses hässlich globige Ungetüm. Jetzt habe ich den Scheiß. Der ziemlich blasse Rothe ärgerte sich darüber, dass er sich dazu überreden ließ und leerte sein erstes Bier fast auf Ex. Vielleicht half das ja.

Canophobie oder Kynophobie nannte man das, was Rothe im Augenblick plagte und ihn kreidebleich werden ließ. Angst vor Hunden soll - den Wölfen geschuldet - eine menschliche Urangst sein. Anscheinend wurden Rothes Urahnen heftig von Wölfen geplagt. Sein Blut war, nachdem er Schnucki ansichtig geworden war, innerhalb von Sekundenbruchteilen abgesackt. Offenbar wollte sein Körper die Blutversorgung der Beine um jeden Preis gewährleisten. Ein Fluchtreflex.

„Für eine Deutsche Dogge ist Schnucki übrigens gar nicht groß!“, flötete Tine mit treuherzigem Augenaufschlag

„Nicht wahr, Bert? Was sind wir froh, dass wir keine Kinder haben, denn was würden wir dann mit unserem Schnucki machen?“

Rothe nahm irritiert den letzten Schluck des Biers zu sich. Er erinnerte sich noch deutlich an den Ehekrach, der den unerfüllten Kinderwunsch Tines thematisiert hatte.

„Ach Schnuckilein“, seufzte Tine, während sie das Untier knuddelte und mit feuchten Küssen auf die Stirn erfreute. Bert stierte in sein Glas Rotwein. Sieglinde glotzte mit zusammen gekniffenen Lippen aus dem Fenster. Elmar blickte mit großen Augen fragend in die Runde. Schnucki knurrte vernehmlich.

Rothe machte sich erst mal ein neues Bier auf, bevor Sieglinde mit den üblichen Schimpftiraden gegen ihren Ex-Lover anfing. Irgendwie hatte Rothe das Gefühl, Ähnliches schon öfter aus Sieglindes Mund gehört zu haben. Déjà vu sagte man wohl dazu. Eigentlich regte sie sich immer über ihren gerade Verflossenen, auf, wenn man sie mal traf. Ihre Liebhaber waren sozusagen ein ganzjähriges Ärgernis.

Die anderen dachten anscheinend genauso und schauten leicht genervt. Wie man so hörte, schien „die Sommeraffäre“ eine ganz schöne Pfeife gewesen zu sein. Ein verkrachter Künstler, der nichts auf die Reihe brachte und unheimlich schlecht im Bett war. „Klingt verdächtig nach Rembrandt“, dachte Rothe, obwohl er nichts über dessen sexuelle Leistungsfähigkeiten wusste oder unbedingt wissen wollte.

„Hab ihn in den Wind geschossen, den Versager“, tönte Sieglinde, die verdächtigerweise nie den Namen ihres Ex-Lovers erwähnte. „Schenkt der mit doch wirklich ein Kochtopfset mit meinen zukünftigen Initialen – ich sollte seinen Namen annehmen, wohlgemerkt – und fragt mich auf den Knien, ob ich ihn heiraten will! Er meinte das nicht spaßig! Rausgeschmissen hab ich ihn, den Trottel!“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739441030
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Berlin Sex Kurzgeschichten Liebe Affäre Silvester Neujahr Humor Szene Kreuzberg

Autor

  • Tscharlie Häusler (Autor:in)

Tscharlie Häusler, geboren in Franken. Studium der Rechtswissenschaften. Promotion. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität und im Bundestag beschäftigt. Lebt als Autor in Berlin.
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Titel: Berlin um die Jahrtausendwende: Silvester