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Berlin um die Jahrtausendwende: Der Neujahrsmorgen

von Tscharlie Häusler (Autor:in)
15 Seiten

Zusammenfassung

Die dreizehnte von vierzehn Geschichten der Irrungen, Wirrungen und Amouren eines Singles namens Rothe. Es beschreibt in unterhaltsamer, humorvoller Form eine typische Berliner Existenz als Randfigur diverser Subkulturen. Authentisch werden bekannte und unbekannte Örtlichkeiten, Szenekneipen, aber auch skurrile, witzige und einfache Personen aus dem Umfeld des Protagonisten beschrieben. Die Geschichten können einzeln oder im Gesamtkontext verstanden und genossen werden. Aufgrund der milieugetreuen Schilderung Berliner Verhältnisse sind die Geschichten sowohl für Berliner aber auch für Besucher der Stadt mit einem großen Wiedererkennungswert verbunden. Sie werden bei der Lektüre mindestens schmunzeln, wenn nicht auch manchmal lauthals lachen. Natürlich werden Sie sich in diesen Figuren auf keinen Fall wieder erkennen, oder etwa doch?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2001

Der Neujahrsmorgen



Doreen war nicht der Typus Frau, die ihr Elend laut herausschrie und ihren Kummer wie eine Monstranz öffentlich vor sich hertrug, um sich dann von allen bedauern zu lassen. Doreen litt still, heimlich und alleine. Ihr Kummer war deswegen aber nicht weniger schlimm.

Rothe war weg! Einfach so. Mistkerl!

Zuerst hatte sie gedacht, es wäre einer seiner amüsanten Einfälle gewesen. Sie glaubte, er wäre einfach verschwunden, um sie dann mit einer seiner Überraschungen zu verblüffen. Zum Beispiel mit einem Anruf von irgendeinem Event oder aus einem originellen Restaurant, wo sie dann schnell hinkommen sollte, um gemeinsam einen spontanen Abend genießen konnten. Das hatte er schon öfter getan. Eine andere Möglichkeit wäre auch gewesen, dass er ein schönes Grundstück im Grünen aufgetan und sie genau dort erwartet hätte.

Nun ja, das hatte er noch nie getan. Da war eher ihr Wunsch Vater des Gedanken. Aber damals hatte sie genau dies insgeheim gehofft.

Gut, die Spontaneität war ihnen ohnehin ein klein wenig abhanden gekommen. War ja auch kein Wunder. Doreen musste früh zur Arbeit in den Bundestag und er hatte es sich nach seinem Rauswurf leisten können, einfach in den Tag hinein zu leben. Das fand sie ja auch irgendwie gut, eine Zeitlang zumindest. Jedenfalls wollte er sie immer und stets. Ständig! Kam sie aus dem Büro, lag er schon im Bett und wartete in Vorfreude. Und es war ja auch immer wunderbar. Eigentlich. Leider hatte er sonst keine Beschäftigung außer dieser und da war ihr die nicht ganz so glorreiche Idee mit dem Haus im Grünen gekommen.

Ziemlich einfach hatte Doreen sich das in ihrer Einfalt vorgestellt.

Das ist doch prima! Er kann sich um den Garten kümmern, einkaufen gehen und das Haus in Ordnung halten. Letzteres vielleicht nicht unbedingt, denn ihre Definitionen von Ordnung wichen möglicherweise zu weit voneinander ab. Aber ein guter Gärtner, das war er. Da war sie sich sicher. Das hatte sie gleich an seinem üppig begrünten Balkon gesehen. Und als Hausmann wäre er sich – nach eigenem Bekunden – nicht zu schade gewesen. Ein Feierabend im gemeinsamen Häuschen im Grünen, worauf sie sich schon den ganzen Tag im Büro freuen konnte.

Er hatte schon irritiert geschaut, als sie ihm davon erzählte. Ein gehetzter Ausdruck lag in seinen Augen, als sie ihm freudestrahlend ihre Eingebung verkündete.

Doreen war damals aber viel zu berauscht von ihrem – wie sie meinte – grandiosen Entwurf, um Rothes eher panikartigen Abgang als das zu begreifen, was es war, ein Abschied. Ein Abschied für immer.

„Muss noch Wäsche machen gehen!“ So, oder so etwas Ähnliches hatte er gemurmelt. Und nun war er weg. Kein Lebenszeichen. Nichts, außer dieser lächerlichen Postkarte, in der er um Verständnis gewinselt und irgendetwas von Freiheit gefaselt hatte. Und das war nun schon über sieben Monate her. Vergessen konnte sie ihn nicht. Nur sich trösten. Ein bisschen zumindest. So wie gestern mit Harry. Der lag jetzt neben ihr.

„War das ein wunderbarer Abend gestern! Stimmt`s, Süße?“, murmelte er verträumt, während seine Hand unter der Decke nach ihr suchte.

„Du sollst mich nicht Süße nennen! Merk dir das doch endlich mal!“

Sie hasste es, so von ihm genannt zu werden.

„Und nimm deine Hand da weg!“

Doreen rückte merklich von ihm ab.

„Süße“ hatte Rothe immer zu ihr gesagt. Sie mochte es, wenn er sie so nannte. Es hörte sich jedes Mal wundervoll an. Bei Harry klang das überhaupt nicht so. Bei ihm klang es irgendwie immer vollkommen deplatziert. Es hörte sich einfach nicht richtig an. Eher schleimig, würdelos und doof.

Harry war zwar nett, aber eben nur nett und nützlich – so wie gestern Abend. Mehr wollte sie nicht von ihm. Er war ihr total egal. Aber wer wollte Silvester schon allein sein?

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Doreen jedenfalls wollte oder konnte das nicht. Darüber war sie sich selbst noch nicht ganz im Klaren.

„Ick brauche `nen Kerl heut Nacht“, hatte sie schon auf dem Weg zur Party gedacht.



Und Harry war dankbar und ziemlich überrascht, als sie nach der eher etwas lahmen Fete mit zu ihm nach Hause gegangen war. Mit einem flapsigen „Willst du mir vielleicht mal deine Briefmarkensammlung zeigen?“, hatte sie ihn sichtlich verblüfft. Er stotterte etwas von „Ja, gerne!“ und lief willenlos wie ein Zombie mit ihr mit, ohne noch viele Worte zu verlieren. Für eine vernünftige Konversation war er zu diesem Zeitpunkt viel zu aufgeregt. Immerhin hatte er sein Glück schon länger bei Doreen versucht, war aber bislang auch immer gänzlich erfolglos.

Nun, am Morgen danach, schwelgte er in Glückseligkeit. Hatte er doch endlich erreicht, was er sehnlichst erhofft hatte. Eigentlich hatte er es sich kaum noch zu erträumen gewagt. Nach langen Jahren endlich wieder mal eine Frau, mit der er sich ein länger anhaltendes Glück vorstellen könnte. Harry war im Moment sehr verliebt und nicht mehr Herr seines Verstandes. Das war wohl so bei Männern, die gerade nach längerer Enthaltsamkeit wieder mal einen Koitus erleben durften.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739441009
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Single Berlin Bundestag Chef Sex Kurzgeschichten Affäre Neujahr Szene Kreuzberg

Autor

  • Tscharlie Häusler (Autor:in)

Tscharlie Häusler, geboren in Franken. Studium der Rechtswissenschaften. Promotion. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität und im Bundestag beschäftigt. Lebt als Autor in Berlin.
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Titel: Berlin um die Jahrtausendwende: Der Neujahrsmorgen