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Wenn Drachen abstürzen und Zwerge hoch hinaus wollen

Kurzgeschichten von Manuela P. Forst

von Manuela P. Forst (Autor:in)
73 Seiten
Reihe: An Elf's Storybook, Band 1

Zusammenfassung

Ein Drache, dem der Appetit auf Jungfrauen vergangen ist. Ein Zwerg, der etwas findet, das ihm wichtiger ist, als Gold. Orks, die eine große Party schmeißen. Und kleine Wesen, die dafür verantwortlich sind, dass Künstler erfolgreich sind oder verzweifeln. Alles scheint möglich! Diese humorvolle Kurzgeschichtensammlung beinhaltet 6 Erzählungen aus der Feder der Autorin Manuela P. Forst. - Von Spitzohren und Spezialisten - Gabriel und die Jungfrau - Cestarius – ein Drache auf Abwegen - Romantasy - Das Zauberbuch - Woodstock

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


An Elfs’ Storybook 1

Kurzgeschichten von Manuela P. Forst

Wenn Drachen abstürzen und Zwerge hoch hinaus wollen

 

Von Spitzohren und Spezialisten

Eine belebende Brise strich über Rismar hinweg. Sie trug die Botschaft des Frühlings in das Land. Falken glitten auf ihrer Strömung über die niedrigen Behausungen des Städtchens und schwangen sich die Flanken des Granatzinnengebirges empor. Im Osten erhob sich die Sonne als feuriger Ball und entflammte die felsigen Gipfel. Die schroffen Steilwände glühten in dunklem Rot, ähnlich der Halbedelsteine, welche diesem Landstrich seinen Namen verliehen. Kleine, bauschige Schäfchenwolken jagten über den Himmel, von den ersten Strahlen des Lichts in leuchtendes Rosa und tiefes Violett getaucht.

Doch all die wilde Romantik ist für diese Geschichte unerheblich. Denn diese Geschichte handelt von Coril Steinaxt. Und Coril hätte für die unbändige Schönheit der Natur nur einen flüchtigen Blick übrig gehabt, wenn er sie in jenem Moment hätte sehen können.

Coril war ein Zwerg. Wie ein Großteil der Angehörigen seiner Rasse, arbeitete auch er meist lange und hart unter dem Dach der Welt. In den dunklen Stollen und Schächten der landesweit größten Kupfermine, die sich tief in das Gebirge grub, gab es keinen Frühlingswind und die Sonne ging hier weder auf, noch ging sie unter. Es zwitscherten keine Meisen und zirpten keine Grillen. Hier rollte Jahr und Tag der Donner der Sprengungen und pochte der rhythmische Pulsschlag der Welt im Fels, wenn die Picken der Arbeiter unentwegt nach Erzen gruben.

Hier, unter Tonnen von Gestein, war Corils Reich. Und es gab nichts, was zu seinem Glück gefehlt hätte. Er war ein Gewohnheitstier und verstand sich als ein Profi auf seinem Gebiet. Sogar nach zwergischen Maßstäben wusste er enorm viel über Mineralien und kannte das Innenleben des Gebirges so gut wie kaum ein anderer. Die tagtägliche Arbeit in der Mine füllte ihn völlig aus. Harter Fels, glitzernde Erzadern – was konnte Corils Zwergenherz mehr vom Leben verlangen?

* * *

Coril drosch seine Picke unermüdlich gegen den Fels. Den Blick auf die Stollenwand vor sich gerichtet, glaubte er, die schimmernden Kupferadern beinahe sehen zu können, die sich irgendwo durch die Tiefe des Gesteins zogen.

»Ach, hast du schon das Neueste gehört?« Hinter ihm versuchte Tiols Stimme, sich verzweifelt über das Krachen einer Sprengung zu erheben. Coril senkte seine Picke und lehnte sich gelassen gegen den Holzstiel. Mit betont desinteressierter Miene musterte er seinen Kollegen. Der stämmige Zwerg, der selbst für seine Rasse fast schon ein wenig zu klein war, und breiter zu sein schien als hoch, lugte über den Rand der Lore hinweg, die er durch den Stollen schob.

»Alles nur Klatsch.« Corils Stimme grollte, als würden Steine zermalmt. »Zu Zeiten kommt man sich hier vor, wie bei den Waschweibern!«

Tiol lief aufgeregt um die Lore herum und reckte sich vor seinem Kollegen zur vollen Größe. »Oh, ich versichere dir, das wird selbst einen Muffel wie dich interessieren. Ja, ganz gewiss!«

Coril sah gelangweilt zu ihm herab. Seine Erfahrung mit Tiol sagte ihm, dass es überflüssig war, eine Reaktion zu zeigen. Er würde die Geschichte zu hören bekommen, egal was er tat. Widerstand würde es nur hinauszögern.

»Also«, begann Tiol und machte eine gewichtige Pause. Sein Bart wippte, als er aufgeregt auf und ab trippelte, wobei seine schweren Stiefel hart auf den Boden schlugen und einen Klang verursachten, als würde eine Kriegstrommel geschlagen. »Also, ich weiß aus sicherer Quelle ...«

Coril verdrehte die Augen. »Du hast mit Breor gesprochen, diesem alten Säufer!«

Doch Tiol ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Wir bekommen einen neuen Chef«, platzte er heraus. »So ein Ausländer aus Ascaria hat die Mine gekauft! Na, was sagst du jetzt?«

Coril kratzte sich das Kinn. »Aus Ascaria? Aus dem Land der Elfen! Na, das kann man wirklich keinem Zwerg verübeln, von dort auszuwandern! Da würde ich auch die Flucht ergreifen! Hat ein gutes Gespür, der Knabe, wenn er sich hier niederlassen will. Es gibt keinen besseren Fels, um nach Erzen und Reichtümern zu schürfen. Wie heißt der Kerl?«

Tiol wippte auf den Zehenspitzen. »Wie der heißt? Wie der heißt? Lass mich mal überlegen ... Ja, wie heißt er denn bloß? Ah! Jetzt hab ich’s!« Er baute sich vor seinem Kollegen auf und posaunte den Namen heraus, als spräche er eine Ankündigung vor einer Festversammlung. »Aleris Sonnenfalter.«

Coril grunzte belustigt. »Alergis was? Dessen Eltern sollte man an den Bärten aufhängen! Welch ein Verbrechen, ihm solch einen Namen zu geben! Das ist ja schon fast eine Schande für das Zwergenvolk. Alergis Sonnenfalter, ha!«

»Aleris! Mein Name ist Aleris Sonnenfalter«, erklärte eine Stimme in unmittelbarer Nähe.

Coril fuhr aufgeschreckt herum. Irritiert starrte er auf zwei dünne Säulen, die plötzlich vor ihm emporragten. Es verging ein langer Moment, bis er begriff, dass es Beine waren. Eine unangenehme Ahnung beschlich ihn und er warf den Kopf in den Nacken. Oh, wie er es hasste, wenn sich Befürchtungen auf solch dramatische Weise bestätigten! »Was willst du denn hier, spitzohrige Bohnenstange?« Corils Finger schlossen sich energisch um den Stiel seiner Picke.

Über ihm hing ein blasses, knochiges Gesicht. Die grünen Augen blitzten, als schmale Lippen erklärten: »Ich kann nicht nachvollziehen, welche Schwierigkeiten Euch mein Name bereitet, doch Ihr solltet ihn Euch besser gut einprägen, denn ich bin ab dem heutigen Tag Euer neuer Chef. Diese Mine befindet sich in meinem Besitz.«

Coril rutschte vor Entsetzen die Picke aus der Hand und knallte ihm auf die Zehen. Doch er schien es überhaupt nicht zu bemerken, sondern starrte unverwandt den rankenschlanken Elf an. »Aber das ist eine Zwergenmine«, stammelte er. »Einer wie du kann hier doch gar nicht aufrecht stehen.« Coril war mit einem Male ganz und gar nicht wohl in seiner Haut. Er kam sich plötzlich um gute achtzig Zentimeter zu klein vor. Ja, er fühlte sich wie ein trotziger Junge, der sich vergebens aufzulehnen versuchte. Die Offenbarung des Elfen hatte ihn völlig aus dem Konzept gebraucht. Dieses spindeldürre Spitzohr! Sein neuer Chef? Oh, welche Erniedrigung!

»Ihr werdet merken, dass sich hier in nächster Zeit einiges ändern wird, Zwerg. Ich versichere Euch, dass ab dem heutigen Tage ein frischer Wind durch diese Stollen wehen wird.«

»Unser Entlüftungssystem hat immer sehr gut funktioniert.« Wie um Bestätigung heischend blickte Tiol sich nach dem nächstliegenden Luftschacht um.

Doch Coril, der wusste, worauf der Elf hinauswollte, knurrte: »Hüte dich, Spitzohr! Die Zwerge werden einem Orkan trotzen, während deine ausgehungerte Gestalt wie ein Schilfhalm knickt.«

Aleris warf ihm einen Blick zu, der so scharf war, wie die Spitze eines Dolches, wandte sich abrupt um und ging mit geschmeidigen Bewegungen, in denen die ganze Würde seines Volkes zu liegen schien, geduckt und in dem Tunnel erheblich in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, davon.

Coril blickte ihm missmutig hinterdrein. Womit hatte er das nur verdient? Dies war das Land der Zwerge. Diese Mine befand sich von jeher in der Hand seines Volkes. Nun sollte er vor einem Elfen buckeln und zusehen, wie dieser die Reichtümer des Gebirges außer Landes schaffte? Wer geglaubt hatte, Coril Steinaxt wäre ein mürrischer Zwerg, der stets schlechte Laune hatte, der hätte ihn in diesem Moment sehen müssen. Kein Zwergenblick war je zorniger, kein Zwergengesicht je griesgrämiger gewesen, als das von Coril. Es gab wirklich nur noch eines, das seine Stimmung jetzt noch zu heben vermochte!

Kurzentschlossen wandte er sich zu seinem Kollegen um. »Tiol, kommst du mit? Ich gehe in die Kantine auf ein kühles Bier und ein ordentliches Mittagsmahl«

»Jetzt schon?« Tiol legte zweifelnd die Stirn in Falten. Immerhin war es noch nicht einmal später Vormittag.

»Ärger macht mich immer so hungrig«, brummte Coril und trottete davon.

* * *

In der weitläufigen Höhle, welche den Arbeitern als Speisesaal diente, war um diese Zeit so gut wie nichts los. Coril steuerte zielstrebig zur Essensausgabe. Ein einzelner Zwerg lehnte dort gelangweilt und schnitzte mit einem Messer an der Ecke des Tresens.

»Eine von den größeren Portionen, bitte!«, rief Coril ihm schon von weitem zu. »Und ordentlich etwas zum Runterspülen! Ich habe die Begegnung mit einem Spitzohr zu verdauen.«

Der Zwerg nickte stumm, packte einen Teller und einen Krug auf ein Tablett und schob es ihm hin.

Coril zog irritiert die Augenbrauen hoch und griff mit spitzen Fingern nach dem grünen Stab, der einsam auf dem Teller lag. »Was ist das?«, fragte er und hielt seinem Gegenüber das sonderbare Objekt hin.

»Stangensellerie«, antwortete dieser trocken.

»WAS?!? Willst du mich vergiften? Was bin ich? Ein bärtiges Karnickel?«

Der Zwerg schüttelte den Kopf. »Dieses Essen entspricht den genauen Anweisungen von Aleris Sonnenfalter. Er hat das Kantinenessen einer, wie es sagt, längst fälligen Reformierung unterzogen. Ab dem heutigen Tag gibt es nur noch Rohkost und Quellwasser, gemäß den Verordnungen der Chefetage.« Ein Hauch von Verbitterung schwang in seiner Stimme mit.

»Rohkost? Ja gerne! Bring mir eine halbe Sau, roh!« Coril donnerte wütend die Faust auf den Tresen.

»Nimm das Grünfutter, oder lass es. Etwas anderes gibt es nicht«, erwiderte der Zwerg zerknirscht.

Coril schmetterte in einer zornigen Geste die Stangensellerie zurück auf das Tablett, wandte sich ab und stapfte schnaubend und fluchend davon.

* * *

In den folgenden Tagen und Wochen wurden die Reformierungen des neuen Chefs überall spürbar. Aleris Sonnenfalter teilte Stempelkarten aus, um die Arbeitszeit seiner Angestellten überwachen zu können. Er ließ die Hauptgänge so weit ausbauen, dass er selbst aufrecht darin gehen konnte, und man errichtete ihm ein geräumiges Büro. Und schon bald war er nicht mehr der einzige Elf, der sich in der Kupfermine herumtrieb. Wenn Coril durch die Stollen ging, traf er immer öfter auf Elfen aus Ascaria, die sich in die Arbeit der Zwerge einmischten.

»Spezialisten!«, grollte der Zwerg oft. »Pah! Sie nennen sich doch tatsächlich Spezialisten! Unser Volk hat seit Alters in diesem Gebirge geschürft und nun kommen diese Ausländer und wollen uns Vorschriften machen? Sie wollen mir Vorschriften machen? Ach, was ist bloß aus dem heimeligen Rismar geworden, wo Zwerge noch unter sich waren, unberührt von Tourismus und Gastarbeitern?«

* * *

Doch Coril sollte schon bald erfahren, dass es tatsächlich noch schlimmer kommen konnte. Als er eines Morgens an seiner Arbeitsstätte erschien, rief ihm Tiol bereits von weitem anstelle einer Begrüßung entgegen: »Coril! Hast du schon den neuen Dienstplan gesehen?«

Murrend trat Coril auf ihn zu und riss ihm das Papier aus der Hand, mit dem Tiol die ganze Zeit nervös in der Luft wedelte. Ungläubig starrte er darauf. »Da muss ein Missverständnis vorliegen! Dieser Sonnenflattermann hat sich verschrieben!«

Tiol schüttelte heftig den Kopf, sodass sein Bart um sein Gesicht flog. »Nein! Weißt du, ich hab es zuerst ja auch nicht geglaubt. Aber dann ... Ich habe es nachgeprüft. Ob du es glaubst, oder nicht, aber es stimmt! Es stimmt tatsächlich! Alle Arbeiter für den Erzabbau sind zur Frühschicht und alle für den Abtransport zur Spätschicht eingeteilt, um die Logistik transparenter zu machen, wie der Chef behauptet.«

»Diese Idee konnte auch nur den verdrehten Gehirnwindungen eines Elfen entspringen«, keifte Coril. »Selbst ein geköpfter Ork besitzt mehr Verstand! Wie soll ich das Erz abbauen, wenn derjenige, der es mit der Lore abtransportiert, in einer anderen Schicht arbeitet? Ich werde innerhalb weniger Stunden bis zum Bart in Schutt eingegraben sein.«

»Ganz zu schweigen von dem Stau, der entstehen wird. Stell dir vor! Alle Loren gleichzeitig im Haupttunnel!« Tiol erschauderte.

Coril knüllte mit einer fahrigen Bewegung das Papier in seinen Händen zusammen »Es wird Zeit, dass dieser Motte die Flügel gestutzt werden.« Er feuerte den Dienstplan auf den Boden und eilte mit Schritten davon, die das Gestein erzittern ließen.

* * *

Aleris Sonnenfalter sah in gespielter Überraschung von seinem Schreibtisch auf, als Coril Steinaxt in sein Büro gestürmt kam. Er hatte erwartet, dass dieser teamunfähige Zwerg, der so ganz und gar nicht mit Führungspersönlichkeiten zurande kam, sich einmal mehr gegen seine Anweisungen auflehnen würde, doch er wollte seinem Angestellten nicht das Gefühl vermitteln, dass er seine Wutausbrüche durchaus berechnen konnte.

»Ich grüße Euch, Coril«, sagte er gelassen. »Solltet Ihr dies wünschen, so werde ich Euch die Funktionen einer Türe und die Kunst des Anklopfens gerne genau erörtern.«

Corils Augen verengten sich drohend zu Schlitzen. »Oh, ich bin mir ihres Zweckes durchaus bewusst!« Er verpasste der Tür einen Tritt, dass sie mit einem ohrenbetäubenden Krachen ins Schloss fiel.

»Ihr scheint mir überaus erregt! Welche Gründe das nur haben mag?« Aleris kramte betont desinteressiert in einem Stapel Papier, der fein säuberlich auf dem Tisch vor ihm aufgeschichtet lag.

»Der neue Dienstplan!« Coril ballte die Hände an den Seiten.

»Tatsächlich?«

»Die Einteilung ist total vertrottelt! Es muss für jeden Zwerg, der für den Abbau zuständig ist, jemand da sein, der das Erz abtransportiert. Du provozierst ein Chaos, Spitzohr, wie es dieses Land nur zur Saisoneröffnung der Biergärten kennt.« Coril hatte sich wirklich bemüht, seine Anliegen sachlich vorzubringen, und für seine Verhältnisse und unter der Berücksichtigung, dass er sich mit einem Elf konfrontiert sah, war er sozusagen ein Musterbeispiel zwergischer Gelassenheit. Immerhin war noch nicht die gesamte Belegschaft der Mine aufgrund seines Gebrülls zusammengelaufen.

»Überlasst diese Überlegungen Männern, die etwas von ihrer Arbeit verstehen«, erwiderte Aleris in einem Ton, der das absolute Gegenteil zu den hitzköpfigen Vorwürfen des Zwerges darstellte.

»Ich sehe hier nur einen Mann, bartloses Geschöpf«, fauchte Coril.

Der Elf ging gelassen über die Bemerkung hinweg. Er beugte sich ein wenig über den Tisch und legte die Kuppen seiner Finger gegeneinander. »Bei allem ungebührenden Respekt: Ihr seid nicht qualifiziert, in Personalfragen zu entscheiden. Euere Qualifikation beläuft sich auf den Abbau von Gestein und Metall. Ich bezweifle, dass mein Büro der geeignete Ort dafür ist.«

»Oh doch, dies ist der richtige Ort!«, fuhr Coril ihn an. »Ich bin nämlich soeben auf ein großes Bimssteinvorkommen gestoßen. Und wie gewöhnlich, bei diesem Gestein, mit der Struktur eines Nudelsiebes, liegt es in luftigen Höhen, wo der Wind durch seine Hohlräume pfeift.« Er stemmte die Arme in die Seiten und musterte betont interessiert den Kopf des Elfen.

Doch Aleris überhörte auch diese Beleidigung dezent. Mit einer beinahe bedrohlichen Ruhe stand er auf und ging um den Schreibtisch herum auf seinen Angestellten zu. Coril mutmaßte, dass er es aus zwei Gründen tat: Erstens, damit seine Körpergröße seine höhere Stellung verdeutlichte, und zweitens, damit sich das Langschwert, das an seiner Hüfte hing, genau in Corils Augenhöhe befand. Eine unausgesprochene Drohung. Doch Aleris hätte wissen müssen, dass sie bei einem Zwerg keine Wirkung zeigte.

»Ihr habt keine Referenzen, die es rechtfertigen würden, dass Ihr Euch in Fragen der Diensteinteilung einmischt. Ich versichere Euch, ich weiß, was ich tue. Immerhin habe ich Personalmanagement und Kreaturenführung am Weißen Weiher des Wissens studiert«, erklärte Aleris stolz mit geblähter Brust, was ihr mindestens den Umfang derer eines schmächtigen Menschenjünglings verlieh.

»W...? W...? W...? Wo?«, fragte Coril.

Aleris zog irritiert eine Augenbraue hoch, ein dünner Strich aus Härchen unter einer Stirn, die selbst unter diesen widrigen Umständen noch den Gesetzgebungen der Natur trotzte und keine Anstalten machte, sich in Falten zu legen. »Weißer Weiher des Wissens«, wiederholte er mit Nachdruck, als hätte die Frage des Zwerges aus schlechten akustischen Verhältnissen resultiert. »Die größte Universität westlich des Meeres. Ich habe dort meine psychologische Studie über den Jähzorn des Kleinen Volkes verfasst.«

»Wen nennst du hier klein?«, brauste Coril auf und machte einen Satz auf den Elfen zu.

Aleris fuhr zurück und starrte tadelnd auf ihn nieder. »Dass Ihr auch immer alles auf Eure Person beziehen müsst! Nun gut, dann werdet Ihr gewiss auch ahnen, wen es betrifft, wenn ich nun sage, dass ein gewisses Gartendekorationsstück sich eiligst entfernen sollte, wenn es bei der nächsten Lohnabrechnung nicht übergangen werden möchte.«

Corils Gesicht lief vor Zorn kirschrot an. Einen langen Augenblick stand er nur da und starrte seinen Chef um Fassung ringend an.

Aleris’ sehniger Körper spannte sich. Der Elf fürchtete, dass Coril ihn jeden Moment angreifen könnte. Er unterdrückte den Instinkt, sein Schwert zu packen. Er hatte den Zorn des Zwerges absichtlich geschürt, doch er wollte keinen offenen Kampf provozieren. Wenn er Coril niederschlagen müsste – selbstverständlich aus Notwehr – was ihm auch über alle Maße leidtäte, würden sich seine Angestellten gegen ihn verbünden. Zwerge waren über die Grenzen von Rismar hinweg für ihren Zusammenhalt bekannt, und Aleris wusste sehr wohl, dass er sich mit dem Erwerb dieser Mine auf dünnes Eis gewagt hatte. Coril konnte ihn zum Scheitern bringen, hier und jetzt. Doch zum Glück war diesem das nicht bewusst. Und er merkte auch nicht, wie der Elf erleichtert aufatmete, als er sich nun mit einem Ruck umwandte und zornig aus dem Büro stapfte.

Coril drosch die Tür so hart hinter sich zu, dass sich feine Risse in dem Holz bildeten.

Tiol brauchte seinem Kollegen nur ins Gesicht zu blicken, um zu wissen, wie das Gespräch – oder besser gesagt, das hitzige Kräftemessen – mit Aleris verlaufen war. Er zog es vor, Coril nicht darauf anzusprechen. Und Coril war es nur recht. So senkte sich Schweigen über sie, eine Stille, die beinahe schon drückend war. Eine Stille, die vor Spannungen zu knistern schien. Eine Stille, die ... Moment! Halt! Da stimmte doch etwas nicht! Stille? Stille in einer Zwergenmine?

Coril wurde aus seinen Grübeleien gerissen und lauschte irritiert. Er konnte das Schnaufen seines eigenen Atems hören und das gelegentliche Tröpfeln von Wasser, das zwischen Gesteinsschichten hindurch sickerte. Unweit unterhielten sich einige Arbeiter murmelnd. Alarmiert sprang Coril auf und rannte den Tunnel hinunter. Tiol sah ihm verständnislos hinterdrein.

Coril hielt den erstbesten sogenannten Spezialisten, auf den er traf, grob am Hemd zurück.

»Was soll das?«, rief der Elf aufgebracht und versuchte, sich aus dem Griff des Zwerges loszureißen.

»Sind die Sprengarbeiter krank?« Coril krallte seine Finger fest in den dünnen Leinenstoff.

Der Ausdruck auf dem Gesicht des Elfen zeigte deutlich, dass dieser weder die Frage noch die offensichtliche Beunruhigung des Arbeiters verstand.

»Die Sprengungen! Es ist so unnatürlich still! Was hat das zu bedeuten?« Coril riss herausfordernd am Hemdzipfel.

»Die Sprengungen wurden eingestellt«, erklärte der Spezialist in belehrendem Tonfall. »Ein Gutachten hat ergeben, dass der Lärm sich negativ auf die hier beheimatete Fauna auswirkt.«

»Wie bitte?«

»Das soll heißen, der Krach stört die Tiere des Gebirges!«

»Na und?« Coril zuckte die Schultern. »Mich stört die Anwesenheit von Spitzohren, doch über mich hat niemand ein Gutachten erstellt.«

Der Elf funkelte ihn angriffslustig an, fand aber sogleich wieder zu seiner herablassend ruhigen Art zurück. »Der Bestand der Purpurschnabeligen Gebirgsdrossel hat sich allein im letzten Winter drastisch verringert«, erklärte er ernst und mit einem Unterton, welcher seinen Worten etwas Apokalyptisches verlieh.

»Erzähl du mir nichts von einheimischen Vogelarten, Herr Spezialist! Das Viech ist ein Zugvogel, natürlich werden die im Winter weniger«, knurrte Coril. In Wahrheit wusste der Zwerg reichlich wenig von dem, was sich über der Erdoberfläche so abspielte. Ihm waren die Vögel gleichgültig, egal ob sie jetzt purpurne oder quietschgrüne Schnäbel haben mochten. Doch es war ihm gelungen, den Elfen zu verunsichern. Coril konnte regelrecht spüren, wie der Spezialist nach einer Antwort suchte, mit der er sich nicht blamieren konnte.

»Wir werden die Aktivitäten der Tiere weiter beobachten. Es versteht sich wohl von selbst, dass die Wirtschaftlichkeit der Mine nicht zu Lasten schutzloser Vögel gehen darf«, erklärte der Spezialist schließlich betont bestimmt.

Coril gab das Hemd des Elfen frei und ging kopfschüttelnd zurück an seine Arbeit. Seit das Zwergenvolk sich an den Hängen des Granatzinnengebirges niedergelassen hatte, schürfte es in seinen Tiefen nach Reichtümern. Und nun drohte ein kleiner, rotschnabeliger Piepmatz den Untergang der Mine zu besiegeln?

»Was glauben diese Elfen nur, wie das hier läuft? Sie werden das Erz wohl kaum aus dem Fels herauszaubern können«, maulte Coril und hieb frustriert mit seiner Picke auf die Stollenwand ein. »Ich hoffe, ich wecke damit nicht einen Erdwurm oder störe gar seine sich windende Brut!«

* * *

Coril stapfte schlecht gelaunt hoch ins Gebirge zum Eingang der Mine. Die Zeiten, da er sich auf seine Arbeit gefreut hatte, schienen eine Ewigkeit zurückzuliegen. Dabei war es erst wenige Wochen her, seit Aleris Sonnenfalter die Kupfermine aufgekauft hatte.

Sein Magen krampfte sich vor unterdrückter Wut zusammen, als Coril den Elfen erblickte, der tagtäglich hier, vor dem Eingang der Mine, Wache hielt und ihn sogleich nach seiner Stempelkarte fragen würde. Er grüßte den Portier mit einem kurzen Brummen. Doch anstatt seinen allmorgendlichen Routinesatz zum Besten zu geben, drückte der Elf Coril schweigend einen himmelblauen Briefumschlag in die Hand.

»Post für mich?«, fragte der Zwerg. Die Miene seines Gegenübers blieb ausdruckslos.

»Eine schöne Farbe«, kommentierte Coril und zog das Schreiben aus dem Umschlag. Stammte dieser Brief vielleicht gar von seinem Vetter siebenden Grades aus dem hohen Norden, der ihn endlich wieder einmal besuchen wollte? Oder von seiner Großcousine?

Tiefe Falten bildeten sich auf Corils Stirn, als er den Text überflog, der in einer feinen, verschnörkelten Handschrift verfasst war. Nein, er kam nicht von einem zwergischen Verwandten. Er stammte von seinem Chef.

»Was soll das bedeuten?« Coril starrte entgeistert das himmelblaue Blatt an.

»Das bedeutet, dass du nach Hause gehen sollst, Zwerg«, erklärte der Elf kühl. »Aleris Sonnenfalter sieht keine Verwendung mehr für deine Arbeitskraft.«

Coril glitt der Brief aus den Fingern, seine Hände zitterten.

»Geh nach Hause, Zwerg«, wiederholte der Elf. »Du bist hier nicht mehr erwünscht.«

Hätte Coril über seine Unterhaltungen mit Aleris und die Aussage des Portiers nachgedacht, dann hätte er vielleicht Verdacht geschöpft, dass sein Chef persönliche Gründe für die Kündigung gehabt hatte. Doch die Worte des Elfen trafen ihn zu hart, als dass er einen klaren Gedanken fassen konnte. Man hatte keine Verwendung mehr für ihn. Einen Gutteil seines Lebens hatte Coril hier verbracht, in dieser Mine. Unermüdlich hatte er sich für das Unternehmen eingesetzt. Und nun hatte man keine Verwendung mehr für ihn! Er war überflüssig geworden! Man brauchte ihn nicht mehr und warf ihn weg, wie ein altes Werkzeug. Man stieß ihn vor die Tür wie einen räudigen Köter. Er war nicht mehr erwünscht. Unerwünscht! Das Wort brannte sich in Corils Seele, schnitt schmerzhaft in sein Herz.

Schweigend wandte sich Coril ab und trottete den Pfad zurück ins Tal.

* * *

Geistesabwesend starrte Coril auf die halbleere Whiskyflasche, die vor ihm auf der Theke stand. Auf seine Bitte hin hatte der Schankwirt sie ihm dagelassen. Der Alkohol tat inzwischen seine Wirkung, doch Coril fühlte sich um keinen Deut besser. Mittlerweile war er zu der Überzeugung gelangt, dass er sich besaufen würde, bis er bewusstlos vom Stuhl kippte.

»Sonnenfalter würde sich freuen, wenn er mich jetzt sehen könnte«, murmelte Coril in seinen Bart und schüttete ein weiteres Glas in sich hinein. Es war zermürbend, dass all seine Bemühungen, gegen Aleris anzukommen, letztendlich nur dazu geführt hatten, dass sein Chef erreicht hatte, was er wollte. Der Elf hatte Coril fertiggemacht.

»Na, dich scheint es ja schlimm erwischt zu haben, Kumpel!«

Am Rande seines Bewusstseins registrierte Coril, dass sich jemand neben ihn setzte. Er goss sich ein weiteres Glas ein und leerte es in einem Zug. Oh, konnte man sich denn nicht einmal mehr in Ruhe besaufen?

»Meine Freunde nennen mich Set!«

»Was willst du?« Coril ignorierte die Hand, die ihm zum Gruß entgegengestreckt wurde.

Sein Gegenüber schwieg einen kurzen Moment, als versuche er, sich an etwas Wichtiges zu erinnern, und musterte ihn eingehend. Plötzlich rief er unvermutet aus: »He! Sag, bist du nicht dieser ... dieser ...? Ich meine, du siehst aus wie dieser Minenspezialist!«

Der Ausdruck auf Corils Gesicht wurde watteweich. »Minenspezialist.« Er wiederholte das Wort Silbe für Silbe, ließ sich jeden einzelnen Buchstaben auf der Zunge zergehen. »Oh ja, das bin ich wohl.«

Set schien Schwierigkeiten zu haben, seine Begeisterung unter Kontrolle zu halten. »Mann, ich hab schon so viel von dir gehört! Also, wie du da damals diese gewaltige Kupferader aufgespürt hast! Davon hat man sich überall erzählt. Ehrlich! Du musst ja ein wahrer Fachmann sein!«

»Erzähl das meinem Chef ... Exchef.« Coril starrte verbittert in sein leeres Whiskyglas.

»Was ist dir denn widerfahren? Du siehst aus, als hättest du eine Begegnung mit ...« Weiter kam Set nicht, denn Coril fiel ihm ins Wort.

»Elfen«, brummte er, als würde das alles erklären. Als Set irritiert schwieg, fügte er hinzu: »Sie sind wie eine Erdwurmplage in die Mine eingefallen.« Coril griff nach der Whiskyflasche. Seine Finger schlossen sich krampfhaft um ihren Hals und in seiner Fantasie stellte er sich vor, es wäre Aleris’ Nacken. Der Gedanke an die Vorfälle in der Kupfermine ließ Corils Zorn wieder aufkochen und sein Gesicht lief dunkelrot an. Doch bevor das Glas der Flasche unter dem erbarmungslosen Griff des Zwerges zerbrach, besann sich Coril darauf, dass sein geliebter Whisky eine derartige Behandlung nicht verdient hatte. Erneut gurgelte die goldbraune Flüssigkeit in das Glas, verweilte dort jedoch nicht länger als wenige Sekunden.

»Was ist in der Mine passiert? Was haben die Elfen getan?«, bohrte Set.

Coril warf dem Zwerg einen finsteren Blick zu. »Sie haben mich gefeuert. Einfach so! Hat mir ’nen Zettel aushändigen lassen, dieser Sonnenfalter! Nicht ’mal Manns genug, einem ins Gesicht zu sehen, bevor sie einem einen Tritt verpassen, diese Elfen!«

Set horchte auf. In seinen Augen glitzerte es, wie bei einem Kind, das dem Anblick einer riesigen Schokoladetafel ausgesetzt war. Er hatte sich jedoch schnell wieder unter Kontrolle und bemühte sich um eine betont mitfühlende Miene. Coril war zu sehr damit beschäftigt, sich selbst zu bemitleiden, um die unterdrückte Begeisterung des Zwerges zu bemerken.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739488936
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (März)
Schlagworte
Drachen Kurzgeschichtensammlung Humor Anthologie Fantasy Erzählungen Kurzgeschichten

Autor

  • Manuela P. Forst (Autor:in)

Manuela P. Forst lebt in Wien und hat sich mit Schreibfeder und Zeichenstift dem Genre der Fantasy verschworen. Aktiv zu Schreiben begann sie 2004 und veröffentlichte seither zahlreiche Kurzgeschichten in Magazinen und Anthologien. Aktuell arbeitet sie vornehmlich als Selfpublisherin an Fantasy-Serien wie „Bardenlieder von Silbersee“ und „Der Adel von Ametar“. Ihre Romane sind stets mit selbst kreierten Covers und eigenen Illustrationen versehen.
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Titel: Wenn Drachen abstürzen und Zwerge hoch hinaus wollen