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Stürmische Zeiten

von Janna Ruth (Autor:in)
350 Seiten
Reihe: Ashuan Staffel 2, Band 2

Zusammenfassung

Wenn Familien sich streiten, kann das schon mal böse enden. Wenn dämonische Familien im Zwist liegen, ist Mord und Totschlag vorprogrammiert. Melaney, die Erzdämonin der Wollust, muss abdanken und einen Nachfolger bestimmen. Ihr Favorit ist ausgerecht ihr jüngster Sohn Matt. Während der sich nicht einmal sicher ist, ob er dieses Erbe überhaupt annehmen will, setzen seine Brüder bereits alles daran, ihren Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Caspar vertraut dabei auf rohe Gewalt. Balthasar wendet perfidere Methoden an: Er schleicht sich in Grünthal ein. Im zweiten Band der zweiten Staffel dreht sich alles um den Machtkampf der Söhne der Wollust. Mit Chaosteufeln, Gorgonen und Windsbräuten sollen die Sechs in die Knie gezwungen werden. Aber nicht nur dämonische Familien können teuflisch sein. *** Enthält: 2x05 – Der Feind in meinem Haus Rachel ist einiges von ihrer Mutter gewohnt. Dass die sich aber ausgerechnet Balthasar als neuen Liebhaber ins Haus holt, stellt sie vor ganz neue Herausforderungen. Unterdessen kämpft Fabian mit ganz anderen Problemen. Seine Mutter erleidet einen Burnout und es ist an ihm, das große Sommerfest für das Hexenstübchen zu organisieren. Zu allem Überfluss haben sich dort Chaosteufel eingenistet. 2x06 – Besuch aus der Antike Matt staunt nicht schlecht, als eine echte Gorgone vor seiner Tür steht, um ihn zurück zu seiner Mutter in die Hölle zu bringen. Er denkt nicht einmal daran, mit ihr zu gehen. Für die Gorgone ist der Grund klar– Matts schwache menschliche Seite. Um seine dämonische Seite zu wecken, greift sie daher zu drastischen Maßnahmen: Ein Blutbad in der Jugendherberge. 2x07 – Stürmische Zeiten (Teil 1) Fürs Abibuch recherchieren die Sechs ihre Familiengeschichten und enthüllen dabei Dinge, die für einige vielleicht besser im Verborgenen geblieben wären. Doch dann beschwört eine Windsbraut einen Jahrhundersturm über der Stadt herauf. Während Matt und Fabian versuchen, die Windsbraut aufzuhalten, stößt Samantha in ihrer Familiengeschichte auf einen Hinweis: Ihr Großvater hat schon einmal eine Windsbraut besiegt und ist dabei gestorben. 2x08 – Stürmische Zeiten (Teil 2) Der einzige, der weiß, wie man eine Windsbraut besiegen kann, ist Samanthas Vater. Doch der weigert sich, ihnen zu helfen, damit die Vergangenheit sich nicht wiederholt. Als er Samantha auch noch jegliche Magie verbietet, bleibt ihr keine andere Wahl, als auf eigene Faust loszuziehen, bevor der Sturm die ganze Stadt zerstört.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Table of Contents

Inhalt

Band 2 - Stürmische Zeiten

Stürmische Zeiten

Ashuan 2.2

Janna Ruth

© Dezember 2019 Janna Ruth

www.janna-ruth.com

Jana Mittelstädt

67 Montgomery Avenue

Karori, Wellington 6012

NZ - New Zealand

Lektorat: Sabrina Weisensee

Covergestaltung: Marie Graßhoff

Ashuan Band 2.2

Stürmische Zeiten

Staffel 02 – Episode 05

Der Feind in meinem Haus

Szene 1 – Hexenstübchen, Hinterzimmer

Lucille und Fabian sitzen beieinander und turteln leise miteinander, während Rachel liest, Samantha Lernkarten zusammenschreibt und Matt nervös auf seinem Stuhl herumwippt. Er sieht auf seine Uhr, als sich bereits Schritte nähern und Jan den Raum betritt.

Jan: Hallo.

Matt: Du bist zu spät.

Jan: Ich weiß. Einer der Drittklässler hat die Teezapfanlage im Flur umgeschmissen und ich durfte die Sauerei beseitigen.

Fabian: Ihr habt eine Teezapfanlage?

Jan: Der Hit für Groß und Klein. (Setzt sich und sieht Matt an.) Also los, spuck schon aus. Welche teuflischen Probleme hast du diesmal mitgebracht?

Matt: (Sieht sich wenig begeistert um.) Meine Mutter soll abdanken.

Fabian: Abdanken?

Matt: Als Erzdämon der Wollust. Der Rat unterstellt ihr Unfruchtbarkeit, weil sie seit neunzehn Jahren kein Kind mehr zur Welt gebracht hat. Als Erzdämon der Wollust ist sie damit untragbar. Melaney hat nun ein Jahr Zeit, einen Nachfolger zu bestimmen, sonst wird der Rat einen wählen.

Samantha: Kommt das nur mir so vor, oder ist das sexistisch? Würde man einen männlichen Erzdämonen auch so überprüfen?

Lucille: Genau. Was spielt es überhaupt für eine Rolle, ob sie Kinder kriegt oder nicht? Sie ist ja Erzdämon der Wollust und nicht der Fruchtbarkeit, oder?

Matt: Ich weiß doch auch nicht, was in den Köpfen des Siebener Rates vorgeht. Vielleicht wollen sie sie einfach nur loswerden.

Jan: Moment mal, Auszeit. Was ist das überhaupt für ein komischer Rat?

Matt: Die sieben mächtigsten Dämonen der Hölle. Sie verkörpern die Todsünden. Malcolm war einer davon.

Lucille: Aber Malcolm ist tot. (Etwas zweifelnd.) Oder?

Matt: O ja, das ist er. Gab einen ziemlichen Aufruhr in der Hölle. Die Gerüchte haben sich halb überschlagen. Aber seine Kräfte sind auf jemand anderen übergegangen.

Jan: (Runzelt die Stirn.) Heißt?

Matt: (Seufzt.) Dämonische Kräfte übertragen sich auf … nun, den Dämon, der den anderen besiegt. Hätte Rachel dämonisches Blut besessen, wären die Kräfte wohl auf sie übergegangen und Rachel wäre die neue Erzdämonin der Habgier geworden.

Rachel: Oh. Das heißt ja, dass es auch etwas Gutes hatte, dass du vorzeitig abgehauen bist.

Matt: (Verzieht das Gesicht.) Wahrscheinlich.

Samantha: Nur wahrscheinlich? Willst du etwa Erzdämon werden?

Matt: Nein! Auch wenn Caspar und Balthasar was anderes glauben.

Samantha: Du meinst, deine Brüder glauben, du würdest der Nachfolger eurer Mutter werden wollen?

Matt: (Fast verzweifelt.) Sie hat gesagt, sie würde sich für einen von uns dreien entscheiden.

Jan: (Etwas gedehnt.) Na ja, sieh's so. So hast du gleich einen Job nach dem Abi und ich kenne keinen, der sich besser darauf vorbereitet hätte. (Matt wirft ihm einen tödlichen Blick zu.) Das mit den Kindern kriegst du schon hin.

Samantha: (Murmelt.) Wenn nicht schon längst welche existieren.

Fabian: Matt will doch kein Erzdämon werden. Oder jetzt doch?

Matt: Darüber versuche ich, mir im Moment klarzuwerden.

Lucille: Du ziehst es ernsthaft in Erwägung, obwohl deine Brüder dich umbringen wollen?

Matt: In der Hinsicht lassen sie mir sowieso kaum eine Wahl. Mein Todesurteil haben sie ohnehin schon gefällt. (Zuckt mit den Schultern.) Deshalb denke ich eben, dass es nicht so viel schlimmer wäre, wenn ich es durchziehe. Falls ich überleben sollte.

Samantha: (Nachbohrend.) Aber?

Matt: (Seufzt schwer.) Es würde bedeuten, dass ich meine menschliche Seite aufgeben muss.

Wie zum Schutz verschränkt Samantha die Arme vor der Brust und sieht angespannt zur Seite.

Fabian: Musst du?

Matt: Scherzkeks. Schon mal von einem Erzhalbdämon gehört?

Fabian: Bis vor einem Jahr wusste ich noch nicht einmal, dass die Hölle wirklich existiert. Warum sollte es also keine Erzhalbdämonen geben?

Matt: Ihr versteht das nicht. Wenn ich Erzdämon der Wollust werde, muss ich Ashuan verlassen. Meinen Vater, euch, die Schule … Ich müsste alles aufgeben, was mein aktuelles Leben ausmacht. Ich weiß nicht, ob ich dafür bereit bin.

Samantha: (Versucht emotionslos zu bleiben.) Und dazu kommt, dass du deine Mutter töten müsstest.

Fabian: (Entsetzt.) Was? Das ist doch bescheuert. Sowas würde Matt nie tun.

Jan: Sicher?

Rachel: Er müsste es aber, wenn ihre Kräfte auf ihn übergehen sollen. Ist doch so, oder?

Matt sieht wahrlich elend aus.

Matt: Ja. Das ist das Schlimmste von allem.

Szene 2 – Hexenstübchen

Während die Sechs sich hinten treffen, räumt Karoline vorne um. An der Scheibe kleben Poster über ein Jubiläumsfest zum zwanzigjährigen Bestehen des Hexenstübchens. Wie es aussieht, soll das Hexenstübchen dafür ein winziges Café erhalten. In einer Ecke warten zusammengeklappte Tische und Stühle auf Platz. Karoline trägt nun eine Kiste mit handgefertigten Tassen und Untersetzern hinüber, als sich der Boden unter ihrem nächsten Schritt mit einem Mal in Gummi verwandelt. Die unerwartete Bodenbeschaffenheit lässt ihren Fuß wegknicken, so dass sie der Länge nach hinfällt. Das Geschirr in der Kiste zerbricht teilweise und verteilt sich über den Boden. Karoline sieht das Durcheinander hilflos an und mit einem Mal kommen ihr die Tränen.

Fabian: Was ist passiert?

Er hat die Tür aufgerissen und sieht sich suchend um. Dann entdeckt er seine Mutter und eilt erschrocken auf sie zu. Die anderen folgen nur wenig später. Samantha geht gleich los, Handfeger und Schippe zu holen.

Fabian: Mama, ist alles okay? Hast du dir was getan?

Tatsächlich hat Karoline sich geschnitten, aber es gelingt ihr nicht mal, den Kopf zu schütteln. Stattdessen weint sie nur immer heftiger. Irritiert und verstört weicht Fabian etwas zurück.

Lucille: Karoline, hast du dir wehgetan?

Sie nimmt Karolines Hände vorsichtig und zieht sie zum Sitzen hoch. Noch immer kann Fabians Mutter nicht aufhören zu weinen. Fabian zieht sich immer weiter zurück, während Samantha zu seinen Füßen in die Knie geht und die Scherben zusammenfegt.

Samantha: Es ist nicht so schlimm, Karo. Nur Geschirr. Das kann man ersetzen.

Lucille und Rachel helfen Karoline, sich hinzusetzen. Jan tritt hinzu, um sich ihre Wunde anzusehen. Er heilt behutsam den einen Schnitt. Als er auch die blauen Flecken heilen will, die der Sturz ihr eingebracht hat, wehrt sie ihn jedoch schluchzend ab. Lucille hockt sich zu ihr und legt den Arm um sie, während Jan zu Fabian geht.

Jan: (Flüstert ihm zu.) Ihr fehlt nichts. Nur ein paar blaue Flecken.

Es wirkt nicht so, als hätte Fabian ihn gehört. Der Anblick seiner weinenden Mutter scheint ihn vollkommen zu überfordern.

Szene 3 – Bendtfeld Haus

Samantha kocht, während Fabian nervös in der Küche herumtigert.

Fabian: Das macht sie sonst nie.

Samantha: (Ruhig.) Sie ist ein Mensch, Fabi.

Fabian: Ja, aber das ist doch nicht normal, dass sie wegen ein paar Tassen heult.

Samantha: Vielleicht steht sie unter Stress. Sie macht immer noch den Bürokram für die Werkstatt und das Hexenstübchen. Dazu die Geldsorgen. Meine Eltern streiten. Deine Mutter bricht in Tränen aus.

Fabian: Was soll ich denn jetzt tun? Ich kann schlecht die Schule schmeißen und im Laden aushelfen.

Samantha: Du könntest nachmittags aushelfen. (Schiebt den vorbereiteten Auflauf in den Ofen.) Im Haushalt helfen, Kleinigkeiten eben. (Hört die Tür.) Sie kommen.

Zusammen gehen sie Joachim und Karoline entgegen. Joachim nimmt ihr gerade die Tasche ab. Karoline lächelt schwach.

Karoline: Alles gut. Der Arzt sagt, es ist nichts gebrochen. Nur ein wenig gestaucht.

Samantha: Da bin ich froh. Ich lasse euch auch gleich alleine. (Fabian gibt einen wimmernden Laut von sich.) Im Ofen ist Kartoffelgratin.

Joachim: Du bist ein Engel, Sam. Gibst du deinen Eltern Bescheid? Ben hat sich schon Sorgen gemacht.

Samantha: Aber natürlich. Gute Nacht!

Sie nimmt ihren Rucksack und verlässt das Haus. Dann sind die Bendtfelds alleine. Sowohl Karoline als auch Fabian schweigen und so übernimmt Joachim die Initiative und treibt alle ins Wohnzimmer.

Joachim: (Als alle sitzen.) Der Arzt hat gesagt, dass deine Mutter sich etwas ausruhen und ein paar Tage Urlaub nehmen soll. Wir werden das Hexenstübchen solange schließen.

Fabian: Aber am Samstag ist doch das Fest. Das können wir jetzt nicht mehr absagen, oder?

Joachim: Wir werden es verschieben müssen.

Karoline: (Tonlos.) Es ist noch viel zu viel zu tun.

Joachim reibt ihr über den Rücken.

Fabian: Ich könnte es übernehmen.

Karoline: (Flehend.) Fabian.

Fabian: Ich meine es ernst. Der Laden kann von mir geschlossen bleiben, aber das Fest kann doch trotzdem stattfinden. Es freuen sich schon alle so drauf.

Karoline: Wer denn?

Fabian: Na, ich zum Beispiel. Zwanzig Jahre ist 'ne verdammt lange Zeit.

Joachim: Das ist wahr. (Zu Fabian.) Traust du dir das zu? Ich kann dir leider nicht helfen. Ich habe die Woche alle Hände voll mit der Werkstatt zu tun.

Fabian: Klar. Sam hilft mir und Samstag gehen wir dann alle zusammen zum Fest.

Joachim: (Zu Karoline.) Was meinst du?

Karoline: (Seufzend.) Von mir aus.

Joachim: Alles klar, damit bist du für die Feier verantwortlich, Fabian.

Fabian: (Voller Adrenalin.) Verlasst euch auf mich.

Szene 4 – Hadden Haus

Rachel kommt nach Hause und schließt die Tür auf. Aus dem Wohnzimmer hört man leises Getuschel und hin und wieder ein Stöhnen von Annette. Rachel verzieht das Gesicht, lässt die Tür ins Schloss fallen und will nach oben verschwinden.

Annette: Rachel? Bist du das?

Rachel: (Atmet tief durch.) Wer sonst?

Annette: Warte mal!

Rachel hält auf halber Treppe inne und sieht etwas genervt nach unten, als ihre Mutter auftaucht. Sie strahlt Rachel regelrecht an, doch diese bemerkt nur das verrutschte Oberteil ihrer Mutter.

Annette: Ich möchte dir jemanden vorstellen.

Rachel: Nein, danke. Ich muss deine Liebhaber nicht kennen.

Annette: (Kichert.) Liebhaber. So ein altes Wort. Aber irgendwie passend. (Rachel will weiter hochgehen.) Das hier ist anders. Er wird hier einziehen.

Rachel: (Entgeistert.) Was?

Annette: (Lächelt kokett.) Ich weiß, es ist etwas überraschend, aber ich glaube, ich bin seit langem mal wieder so richtig verliebt.

Rachel: (Kommt die Treppen hinunter.) Mum, du kannst das nicht einfach so entscheiden. Es ist auch mein Haus und …

Annette: Rachel. Nun lern ihn doch erst mal kennen. Vielleicht magst du ihn ja sogar.

Rachel zweifelt offensichtlich daran, geht jedoch nach unten ins Wohnzimmer und bleibt wie angewurzelt stehen. Der Mann, der dort mit einem süffisanten Lächeln auf sie wartet, ist niemand anderes als Balthasar.

Balthasar: Hallo, Rachel.

Szene 5 – Hadden Haus, Annettes Zimmer/Rachels Zimmer

Rachel hat sich mit ihrer Mutter in deren Schlafzimmer zurückgezogen und sieht Annette an, als wäre sie wahnsinnig.

Rachel: Auf gar keinen Fall. Nein. Du kennst ihn doch noch nicht einmal.

Annette: (Seufzend.) Balthasar und ich gehen schon seit ein paar Wochen miteinander aus. Ist es, weil er jünger ist als ich?

Rachel: Er ist was?

Sie schluckt die Berichtigung dieser Annahme herunter.

Annette: Irritiert es dich, dass ein jüngerer Mann auf deine alte Mutter steht?

Rachel: (Ergreift den Faden enthusiastisch.) Ja! Er sieht aus, als könnte er locker dein Sohn sein.

Annette: So alt bin ich nun auch wieder nicht. Er ist dreißig. (Schüttelt den Kopf.) Ich mag jüngere Männer, die machen mehr Spaß. Dein Vater war auch acht Jahre jünger als ich.

Rachel: Balthasar ist nicht mein Vater.

Annette: (Rollt die Augen.) Spielt das eine Rolle? Ich darf daten, weißt du.

Rachel: Natürlich darfst du daten. Das tust du doch schon, seit wir hier wohnen, aber das heißt nicht, dass er hier einziehen kann.

Annette: O Rachel, du bist doch nicht etwa eifersüchtig?

Rachel: Auf was sollte ich denn eifersüchtig sein?

Annette: Du hast Angst, dass er zwischen uns kommen könnte.

Rachel: Der Raum zwischen uns ist so groß, dass da auch eine Wagenladung Männer dazwischenkommen könnte und es mich nicht stören würde.

Annette: (Verschränkt die Arme.) Jetzt bist du gemein.

Rachel: Ich bin nicht gemein. Ich versuche nur, dich vor einem Fehler zu bewahren. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass er dir treu bleibt? Typen wie er, die sind morgen schon woanders.

Annette: Es reicht. Du hast deinen Teil gesagt und damit ist jetzt genug. Ich habe bei deinen Regeln mitgespielt, aber das Haus gehört immer noch mir und ich entscheide, wer hier einzieht. Wenn du ein Problem damit hast, dass ich glücklich bin, darfst du gerne ausziehen.

Wortlos dreht sich Rachel um und verlässt das Zimmer. Wütend geht sie in ihr Zimmer und erstarrt erneut. Balthasar steht neben ihrem Bett, den Traumfänger aus dem Alten Orenja zwischen seinen Händen.

Rachel: Das gehört mir.

Balthasar: Wirklich?

Man sieht ihr an, dass sie es ihm am liebsten aus den Händen reißen würde, sich aber nicht traut.

Rachel: Gib ihn wieder zurück.

Er wirft ihr den Traumfänger zu und sie fängt ihn ungelenk. Dann schlendert er auf eine Art und Weise auf sie zu, die Rachel schlucken lässt.

Rachel: Wa-Was willst du hier?

Er bleibt vor ihr stehen, viel zu nah, aber Rachel weigert sich nachzugeben.

Balthasar: Deiner Mutter etwas Spaß bereiten. (Mit dem Daumen streicht er ihr sanft übers Kinn.) Ich könnte auch dir Spaß bereiten.

Rachel: (Wird langsam rot.) Ganz sicher nicht.

Balthasar lacht und geht an ihr vorbei.

Balthasar: Sag Matt, dass er sich einen langweiligen Hofstaat ausgesucht hat.

Rachel: Wir sind nicht … Wir …

Sie quiekt erschrocken, als er ihr einmal an den Hintern packt, bevor er hinüber zum Nebenzimmer schlendert. Hastig schließt Rachel die Tür und lehnt sich dagegen. Nur kurze Zeit später sind im Zimmer ihrer Mutter wieder eindeutige Geräusche zu hören. Rachel sieht aus, als müsse sie sich gleich übergeben.

Szene 6 – Grünthaler Gymnasium

Samantha und Cian stehen bei ihrem Schließfach und küssen sich. Als Samantha aus dem Augenwinkel Rachel sieht, geht sie hastig zur Seite und räumt die Bücher in ihrem Schließfach von der einen zur anderen Seite. Cian schlendert lässig davon, als hätte er nie da gestanden. Rachel hakt sich bei Samantha ein und zieht sie wortlos mit sich mit. Samantha kann gerade noch die Tür ihres Schließfaches schließen und den Schlüssel abziehen.

Samantha: Was ist los?

Rachel: Balthasar ist bei mir zu Hause eingezogen.

Samantha: Sag das noch mal.

Rachel: Du hast mich verstanden. Er gibt sich als ihr Freund aus. Wenn du meine Mutter fragst, ist es die große Liebe.

Samantha: Jedes Wort, das du sagst, klingt absurder als das vorherige.

Rachel: Ich weiß!

Sie zieht Samantha in die Aula, wo sie an einem Tisch Lucille, Fabian und Matt ausmachen. Gemeinsam sitzen sie über den Plänen für das Fest im Hexenstübchen.

Matt: Kriegen wir denn das Café fertig bis dahin?

Fabian: Meine Mutter wollte es am Samstag eröffnen. Sie hat zwei Jahre an dem Konzept gearbeitet.

Lucille: Das kriegen wir schon hin. Notfalls nehme ich etwas Geld in die Hand.

Rachel: Matt!

Erschrocken sieht Matt hoch. Auch die anderen sehen verwirrt bei Rachels forschem Tonfall auf.

Fabian: (Leise.) Hast du mit Rachel geschlafen?

Matt: Was? Nein!

Rachel: (Baut sich vor Matt auf.) Sag deinem Bruder, dass er verschwinden soll.

Matt: Verschwinden? Welchen meinst du überhaupt?

Samantha: Balthasar ist Annettes neuer Freund und wohnt bei ihr.

Fabian: (Perplex.) Annette und Balthasar. Weiß sie …

Rachel: (Blafft.) Natürlich weiß sie das nicht. Sie hält sich für eine Cougar und ihn für ihren Toyboy.

Matt: Was ist ein Toyboy und …?

Lucille: Wenn eine ältere Frau mit einem deutlichen jüngeren Mann zusammen ist.

Matt: Aber Balthasar ist garantiert nicht jünger als deine Mutter.

Rachel: (Einzeln betont.) Sag ich doch.

Samantha: Nun beruhige dich doch erst mal. Hat er ihr was getan?

Sie und Rachel setzen sich.

Rachel: Noch nicht. Aber die beiden treiben es so wild, dass mir davon schlecht wird.

Matt: Vielleicht hat sie ihn beschworen?

Rachel: Meine Mutter macht zwar viel Scheiße, aber Dämonenbeschwörung war noch nicht dabei.

Samantha: Außerdem wäre das ein viel zu großer Zufall. Nein, Matt, wenn dann ist er wegen dir hier.

Rachel: Also geh zu ihm und sag ihm, dass er gefälligst die Finger von meiner Mutter lassen und verschwinden soll.

Matt: Ich glaube nicht, dass er auf mich hört.

Rachel: Dann sorg dafür, dass er auf dich hört. Wenn er unbedingt in deiner Nähe sein will, soll er doch bei dir einziehen.

Matt: (Völlig überfordert.) Okay. Reicht nach der Schule?

Rachel: (Deutlich ruhiger.) Ja, natürlich.

Fabian: Können wir Balthasar nicht auch bannen? Dann hätte Matt zumindest hier seine Ruhe. Und wir auch.

Rachel: O ja, wir gehören nämlich zu Matts Hofstaat.

Matt: Freunde sind ein ziemlich abstraktes Konzept in der Hölle.

Samantha: Man müsste Balthasar hineinlocken.

Matt: Er ist viel zu schlau für solche Tricks. Caspar in seiner Wut, ja, aber Balthasar? Niemals. Den erwischen wir nie.

Rachel: Nun, überleg dir was. Er kann dort nicht bleiben.

Matt: Ja doch.

Rachel: (Verstimmt dreht sie sich um.) Und was macht ihr da Schönes?

Lucille: Wir helfen Karoline, das Hexenfest fürs Hexenstübchen vorzubereiten.

Fabian: Und wir brauchen dringend eure Hilfe.

Szene 7 – »Aster-Garten«

Samantha schneidet gerade frische Schnittblumen zu und arrangiert sie in ihren Eimern, während Fabian ihr hinterherläuft und wild gestikuliert.

Fabian: Ich dachte, das Fest ist so gut wie fertig und wir müssten nur etwas dekorieren, aber der Bratwurstmann hat angerufen und will wissen, wo seine Anzahlung bleibt, die Flyer sind weder gedruckt, noch verteilt und irgendwas ist noch mit den Genehmigungen von der Stadt. Ich verstehe ehrlich gesagt nur Bahnhof.

Samantha: Warum fragst du nicht deine Mutter?

Fabian: Weil ich gesagt habe, dass ich das alleine schaffe. Sie soll sich ja ausruhen und wenn ich sie etwas frage, macht sie es gleich selbst.

Samantha: Okay.

Fabian: Okay, du machst es oder okay …

Samantha: (Sieht erschrocken auf.) Ich?

Fabian: Ja, du kannst das. Mit offiziellen Leuten reden und so ein Zeug. Ich habe nur Ideen, aber du kannst sie verwirklichen.

Samantha: Fabian, ich habe keine Zeit.

Fabian: So lange dauert es doch gar nicht.

Samantha: Natürlich tut es das. Ich muss mich einarbeiten und dann rumtelefonieren und glaub nicht, dass es mit einem Telefonat getan ist. (Seufzt.) Es geht wirklich nicht, ich muss hier arbeiten, die Abikomitees organisieren, den neuen Schülerrat einweisen und irgendwann noch meine Hausaufgaben machen und fürs Abitur lernen. Ich wollte eigentlich noch hier und da etwas Freizeit haben.

Fabian: Es ist doch nur diese Woche. Die Abikomitees können auch noch warten. Da passiert eh nichts so bald und das Abitur bestehst du mit 1,0, ob du nun diese Woche schon mit dem Lernen anfängst oder nächste.

Samantha: Ich muss trotzdem noch bis sechs arbeiten und morgen und Freitag auch.

Fabian: Bleiben Mittwoch und Donnerstag.

Samantha: Das ist viel zu knapp. Warum ist überhaupt so vieles noch offen?

Fabian: Woher soll ich das wissen? Bitte, bitte, bitte.

Samantha: (Bedauernd.) Ich kann nicht.

Fabian: Es geht ums Hexenstübchen.

Samantha: (Seufzt schwer.) Fein. Ich mach's.

Überschwänglich umarmt Fabian sie.

Fabian: Du bist die Beste!

Die Türklingel verkündet, dass jemand den Laden betritt und Fabian lässt Samantha los. Es sind Alan, Cian, Anni und Shayna. Alan nickt Samantha nur kurz zu und verschwindet dann im hinteren Teil des Ladens, wo sich seine Mutter aufhält. Anni und Shayna tuscheln den Blicken nach zu urteilen über Samantha, während sie an der Tür warten.

Fabian: Lass dich nicht ärgern! Danke noch mal.

Er verlässt den Laden. Cian wählt eine Rose aus und bringt sie hinüber zu Samantha, die zum Tresen zurückgekehrt ist.

Samantha: Die kostet zwei Euro. Soll ich sie einpacken?

Cian: Wie du magst. (Legt einen Fünf-Euro-Schein hin.) Der Rest ist Trinkgeld.

Samantha: (Gluckst.) Es ist ein Blumenladen, kein Café. (Sie beginnt, die Rose in Packpapier einzuschlagen.) Aber apropos Café. Das Hexenstübchen eröffnet am Wochenende eines und feiert groß. Vielleicht willst du ja vorbeikommen.

Cian: (Lehnt sich auf die Theke.) Ist das ein Date?

Samantha: Eher eine ungelenke Marketingoffensive und ein Ausgleich dafür, dass ich für heute Abend absagen muss.

Cian: (Richtet sich stöhnend wieder auf.) Schon wieder Monster?

Samantha: Eher die Tatsache, dass ich mit der Feier zu viel zu tun habe.

Cian: Okay, wenn das die einzige Möglichkeit ist, dich zu sehen, komme ich. Und helfe dir in der Zwischenzeit mit deiner Marketingoffensive. (Nimmt die Rose und reicht sie ihr dann.) Die war eigentlich für heute Abend gedacht. Bis zum Wochenende hält sie sich nicht. Von daher …

Samantha: (Wird leicht rot.) Dankeschön.

Anni stößt Shayna mit dem Ellenbogen an.

Anni: Was läuft denn da?

Shayna: Hmm? Ach, das ist doch nicht mehr aktuell.

Anni: Weiß Cheryl davon?

Shayna: Die halbe Schule weiß, dass Cian Samantha den Hof macht. Woher soll ich wissen, ob Cheryl darunter ist?

Anni: Bitte? (Alan kommt wieder nach vorne.) Hey, Alan. Ist Cian etwa mit Samantha zusammen?

Alan: Nö, die vögeln nur. (Lauter.) Hey Cian, wir wollen los.

Shayna und Anni sehen neugierig zu Cian, der sich nun von Samantha verabschiedet und den Laden mit ihnen verlässt. Samantha bleibt mit einem Lächeln zurück.

Szene 8 – Hadden Haus

Rachel hat Matt mit nach Hause gebracht. Balthasar sitzt im Wohnzimmer und blättert im Grünthaler Kurier.

Balthasar: (Mit einem Schmunzeln.) Wie berechenbar. Hallo, Melchior.

Matt: Matt. Wenn du schon Mensch spielst, dann benutz' auch meinen menschlichen Namen.

Balthasar: Ist das deine Rücktrittserklärung?

Rachel: (Matt zögert einen Moment.) Ist es nicht. Er wäre schön bescheuert, als Favorit das Handtuch zu werfen.

Matt: Rachel? Das ist nicht hilfreich.

Balthasar: Was lässt dich annehmen, dass Me…tt hier der Favorit ist?

Rachel: Ist das nicht vollkommen logisch? Du und Caspar habt ihm viele Jahre und Titel voraus. Es gibt nur einen Grund einen Grünschnabel wie ihn in Erwägung zu ziehen. Wenn er eigentlich ihr Favorit ist.

Matt: Du hast doch einen Knall.

Balthasar: (Mit einem gönnerhaften Lächeln.) Zu demselben Schluss bin ich auch gekommen.

Matt: Wenn ich ihr Favorit bin, warum dann ihr beide?

Balthasar: Meine Meinung? Weil sie sich noch nicht sicher ist, dass du den Anforderungen gewachsen bist. (Betrachtet ihn von oben bis unten.) Und ich werde ihr beweisen, dass du das definitiv nicht bist.

Matt: Indem du mit Rachels Mutter rummachst?

Balthasar: Wann hattest du das letzte Mal Sex?

Rachel: (Wenig beeindruckt.) Ist das so eine Art Schwanzvergleich?

Balthasar: Deine Antwort?

Matt: Ich wüsste nicht, was dich das angeht.

Balthasar: Das wird ihr nicht gefallen.

Rachel: (Verwirrt.) Wie lange ist es denn her?

Matt: (Irritiert.) Ist doch egal. Was willst du hier? Sex gibt es auch genügend in Hescaryn.

Balthasar: Wie ich dir bereits das letzte Mal sagte, möchte ich dich und die Leute, mit denen du dich umgibst, besser kennenlernen. Rachel hier ist äußerst interessant.

Rachel: Bin ich?

Balthasar: Aber natürlich. Du …

Die Tür wird aufgeschlossen und Annette kommt mit einer Einkaufstüte auf dem Arm herein. Verdutzt betrachtet sie die drei und seufzt dann.

Annette: Rachel versuchst du gerade, meinen Freund rauszuekeln?

Rachel: Würde mir im Traum nicht einfallen.

Balthasar: Ganz im Gegenteil. Es hat sich herausgestellt, dass Rachel hier mit meinem kleinen Bruder Matt befreundet ist.

Er legt einen Arm um Matt, der sich vollkommen versteift.

Matt: Halb.

Balthasar wuschelt ihm durch die Haare und genießt Matts entsetzte Flucht aus seiner Umarmung.

Annette: Ach, ihr beide seid Brüder? Das ist ja ein schöner Zufall. Ich war gerade einkaufen und wollte gleich kochen. (Rachel sieht sie völlig entgeistert an.) Bleibst du zum Essen, Matt?

Matt: Äh, nein. Ich … Mein Vater wartet auf mich.

Rachel: Matt!

Balthasar: Warum bestellst du ihm nicht schöne Grüße?

Annette: Wie schade, vielleicht ein anderes Mal dann.

Matt nickt ruckartig und verschwindet aus dem Haus. Rachel sieht hilflos auf die geschlossene Tür.

Szene 9 – Hexenstübchen

Lucille und Fabian gehen am Abend Arm in Arm zum Hexenstübchen.

Lucille: Ich habe einen Zauber gefunden, mit dem wir abends etwas Stimmung aufkommen lassen können.

Fabian: Ist er sicher?

Lucille: Ich rede von Feenlichtern. Eine Ansammlung kleiner Lichtzauber. Die Leute werden denken, dass es sich dabei um Lichterketten handelt, nur dass sie irgendwie schöner sind. Magisch.

Fabian: Solange wir dafür keine echten Feen fangen müssen, ist mir alles recht.

Lucille: Im Hexenstübchen brennt Licht.

Fabian: Was?

Tatsächlich flackert hinter den Scheiben ein Licht. Fabian drückt die Klinke runter, aber es ist abgeschlossen.

Fabian: Vielleicht haben wir gestern eines angelassen.

Er schließt auf und öffnet die Tür. Erstarrt bleiben er und Lucille im Eingang stehen. Eine helle Lichtkugel schwebt in der Mitte des Raumes und tropft auf den Boden. Dort, wo die Tropfen auftreffen, verschmort der Boden. Das Bücherregal ist halb mit dornigem Gestrüpp überwuchert, in dem sich irgendetwas bewegt, womöglich ein Tier. Ein Bächlein fließt über die Theke und ergießt sich als Wasserfall zu Boden, wo sich eine große Pfütze gebildet hat. Rechts von ihnen explodiert plötzlich etwas und lässt beide zusammenfahren. Aus einem geplatzten Pilz breitet sich violetter Rauch aus.

Fabian: Was zum Teufel geht hier vor?

Szene 10 – Hexenstübchen

Jan, Rachel, Matt und Samantha sind eingetroffen. Fabian ist gerade mit Gartenhandschuhen dabei, das Gestrüpp herauszuziehen, während Lucille einen Eimer unter die Theke gestellt hat und versucht, den Bach aufzuwischen. Unter der Lichtkugel steht ebenfalls ein Eimer mit etwas Wasser, auf dessem Grund sich feuerrote Perlen gebildet haben.

Jan: Was habt ihr denn schon wieder angestellt?

Lucille: Das ist nicht meine Schuld.

Fabian: (Verzweifelt.) Der ganze Laden ist im Eimer. Meine Mutter wird mich umbringen.

Samantha geht hinein und sinkt plötzlich mit dem rechten Fuß im Holz ein. Matt bekommt sie gerade noch zu fassen, bevor sie umfällt.

Matt: Hoppla.

Er hilft ihr, sich hinzusetzen und versucht dann, ihren Fuß herauszuziehen. Rachel hüpft auf und ab, um an der Decke schwebende Kerzen wieder nach unten auf das Regal zu stellen, während Jan irritiert die Gruppe Pilze in der Ecke anschaut.

Lucille: Geh da nicht zu nah dran!

Zu spät. Erneut explodiert ein Pilz und bedeckt Jan mit violetten Sporen.

Matt: Autsch. Irgendwas hat mich gebissen.

Mit einem Mal kriegt er seine Hand nicht mehr aus dem Holz und auch Samantha keucht. Dann beginnt sie hastig zu weben.

Samantha: Es ist irgendwie organisch.

Matt: Heißt?

Samantha: Kein Zauber, sondern ein Wesen.

Matt: Mit scharfen Zähnen?

Samantha: Ich kann nur seine magische Signatur sehen, nicht seinen Körper. Probier' es noch mal.

Der Boden ist wieder weich und Matt kann seine Hände herausziehen. Samantha zieht mit seiner Hilfe ihren Fuß heraus und schreit erschrocken auf. Auf der Spitze ihres Schuhs sitzt ein hornissengroßes graues Wesen mit spinnennetzartigen Flügeln. Matt schlägt reflexartig mit der Hand drauf und zerquetscht das Wesen. Als er seine Hand wieder hebt, klebt grauer Schleim daran. Samantha klopft derweil mit den Hacken auf den Boden.

Samantha: Es ist wieder hart.

In dem Moment gelingt es Fabian das Gestrüpp mit solcher Wucht vom Regal zu reißen, dass er hinfliegt und halb unter Büchern begraben wird. Drei graue Wesen huschen über ihn hinweg und nisten sich im Regal gegenüber ein, aus dem nun farbenfrohe Blumen sprießen.

Lucille: Was ist das?

Samantha: Keine Ahnung, aber es muss irgendwo ein Nest von ihnen geben.

Szene 11 – Hexenstübchen

Viele Stunden später haben die Sechs den Laden wieder halbwegs aufgeräumt. Jan schmeißt den Besen hin.

Jan: Hier ist kein Nest. Die sind alle tot.

Samantha: Es gibt definitiv ein Nest.

Sie sitzt umgeben von einigen Büchern und hat eines vor sich aufgeschlagen. Darin sind die Wesen abgebildet, die sie gesehen haben. Daneben ist eine Abbildung eines röhrenförmigen Gebildes aus Spinnfäden.

Samantha: Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Chaosteufel sind und die schwärmen nur aus, wenn sie in der Nähe ein Nest haben. Wir können so viele umbringen, wie wir wollen. Sie werden immer wieder kommen.

Fabian: (Setzt sich stöhnend.) Natürlich. Es kann ja auch nie etwas glatt laufen.

Rachel: Ich kann heute Nacht hierbleiben und weitersuchen. Ich habe sowieso keine Lust auf zu Hause sein.

Fabian: Hier bleiben?

Samantha: Rachel hat recht. Solange wir das Nest nicht gefunden haben, ist hier im wahrsten Sinne des Wortes der Teufel los. Wenn wir das Hexenstübchen noch mal 24 Stunden unbeaufsichtigt lassen, sieht es wieder so schlimm aus wie vorhin.

Jan: Und tagsüber? Ab Mittwoch könnte ich übernehmen, allerdings muss ich da spätestens um drei los zur Herberge. Ihr seid ja alle in der Schule.

Fabian: (Seufzend.) Ich frage meine Mutter.

Szene 12 – Bendtfeld Haus, Schlafzimmer

Aus dem Wohnzimmer hört man den Fernseher. Karoline ist jedoch schon im Bett und setzt sich auf, als Fabian zu ihr reinkommt. Wie ein armer Sünder steht er vor dem Bett.

Fabian: Wir haben Chaosteufel im Hexenstübchen und finden das Nest nicht.

Karoline: (Erschrocken.) Chaosteufel? Das kann gar nicht sein. Ich habe das Hexenstübchen immer ordentlich gehalten.

Fabian: Und es ist auch ordentlich. Also war, ich meine, wir haben alles aufgeräumt. (Reibt sich über das Gesicht.) Was ich sagen will, ist, dass wir das Chaos, das die Teufel verursacht haben, aufgeräumt haben.

Karoline: Aber ihr habt kein Nest gefunden?

Fabian: (Schüttelt den Kopf.) Wir haben einen Plan erstellt, so dass immer jemand im Hexenstübchen ist, aber … wir haben morgen Schule. Ich meine, ich könnte bestimmt ein paar Tage blau machen.

Karoline: Denk gar nicht dran. Die Schule ist wichtiger als der Laden.

Fabian: Ja, aber was, wenn er in der Zwischenzeit abbrennt oder alles zu Bruch geht?

Karoline: Dann ist das noch immer kein Grund, die Schule zu schwänzen. (Seufzt.) Du gehst zur Schule und ich kümmere mich um meinen Laden.

Fabian: Aber der Arzt hat doch gesagt, dass du dich ausruhen sollst.

Karoline: Ob ich nun da herumsitze oder hier, spielt meines Erachtens keine Rolle. Ich muss ihn ja nicht öffnen.

Fabian: Bist du dir sicher?

Karoline: Es wird schon gehen. (Zwingt sich, zu lächeln.) Danke fürs Bescheid sagen.

Szene 13 – Hadden Haus

Matt taucht in Annettes Schlafzimmer auf. Auf Zehenspitzen geht er auf das Bett zu.

Balthasar: Hast du vor, mich im Schlaf zu ermorden?

Matt wirbelt herum. Balthasar steht splitterfasernackt im Türrahmen. Er wirft einen Blick aufs Bett und erkennt nun, dass Annette dort alleine schläft.

Balthasar: Oder vielleicht Lust auf einen Dreier?

Matt: Können wir reden?

Balthasar: (Lacht leise.) Reden also. (Er wendet sich um.) Komm mit.

Matt folgt ihm aus dem Zimmer hinunter ins Wohnzimmer. Während Balthasar sich ein Glas Rotwein eingießt, weiß Matt gar nicht, wo er hinschauen soll. Schließlich setzt sich Balthasar aufs Sofa und legt die Beine über die Armlehne, so dass Matt noch mehr wie ein Bittsteller wirkt.

Matt: Könntest du dich nicht wenigstens bedecken?

Balthasar: Seit wann so keusch? (Matt sieht nur zur Seite.) Melaney wird nicht glücklich sein, wenn sie das erfährt. Dabei wollte ich dir noch zu deinem Erfolg gegen Caspar gratulieren. Ihn aus Ashuan zu bannen, war wirklich ein Meisterstück.

Matt: Es war nicht meine Idee. Samantha hat ihn gebannt.

Balthasar: Ah, Samantha wieder. Du magst die Kleine, oder?

Matt: Wieso? Willst du ihr wieder mordlustige Vögel auf den Hals hetzen?

Balthasar: Nein, ich habe bereits alles über sie erfahren, was ich über sie wissen muss. Nicht, dass das besonders viel wäre. Aber sie scheint mir wenigstens fähig zu sein und du willst ihr offensichtlich an die Wäsche. Was deine anderen Menschen angeht … (Völlig befremdet.) Warum, Matt? Was bieten sie dir? (Matt schweigt stoisch.) Lass mich raten, es hat mit Chay zu tun?

Matt: Was? Nein! Sie sind meine Freunde.

Balthasar sieht ihn zweifelnd an, als warte er darauf, dass Matt das Ganze als Witz deklariert, doch dieser sagt nichts weiter dazu.

Balthasar: Süß. Etwas verstörend, aber niedlich nehme ich an.

Matt: (Ballt die Fäuste.) Ich bin nicht niedlich.

Balthasar: Dann führ' dich nicht so menschlich auf. Es ist erbärmlich.

Matt: Niemand zwingt dich zuzusehen.

Balthasar: Zum Glück. Da vergeht einem wirklich alles.

Matt: Verschwinde!

Gemächlich erhebt sich Balthasar, trinkt sein Glas aus und stellt es auf dem Tisch ab. Dann geht er auf Matt zu, der kurz zurückzuckt, aber dann stur stehen bleibt, obwohl ihm die plötzliche Nähe unangenehm ist.

Balthasar: Ich werde erst verschwinden, wenn ich weiß, warum du und Chay so besessen von diesen hormongesteuerten Kindern seid. (Er beugt sich vor, so dass er Matt ins Ohr flüstern kann.) Bei Rachel weiß ich es schon.

Er geht wieder nach oben. Matt ballt mehrfach die Fäuste und verschwindet dann.

Szene 14 – Hexenstübchen

Rachel durchsucht den Laden, während Samantha in der Café-Ecke einen Zaubertrank anrührt. Es ist irgendwann in der Nacht.

Samantha: Hast du schon irgendetwas gefunden?

Rachel: Noch nicht. (Sie kommt wieder zu ihr.) Wusstest du, dass Matt schon länger keinen Sex hatte?

Samantha: (Sieht sie entgeistert an.) Geht mich das was an? (Befremdet.) Warum sagt er dir so etwas?

Rachel: Es war nur impliziert. (Zuckt mit den Schultern.) Ich bin nur so gewöhnt, dass er alles angräbt, dass es komisch ist, wenn er das nicht tut.

Samantha: Vielleicht ist er einfach schon durch mit Grünthal.

Rachel: (Betrachtet sie.) Nein, ich glaube nicht.

Samantha: (Schafft es nicht ganz, ernst zu bleiben.) Meinst du, wir müssen uns Sorgen machen?

Rachel: Nur wenn wir wollen, dass er sich zum nächsten Wollustdämon aufschwingt.

Samantha: Ich hoffe nicht.

Rachel: Ach? (Samantha runzelt nur die Stirn.) Ich kenne aber jemanden, der Sex hat oder zumindest auf Schulfluren herumknutscht.

Samantha: (Ihr fällt fast der Schöpflöffel in den Kessel.) Du hast uns gesehen?

Rachel: Heute Morgen wart ihr alles, aber nicht unauffällig. Seid ihr zusammen?

Samantha: Nein, nicht wirklich. Wir sind quasi Freunde mit gewissen Vorzügen.

Rachel: (Leicht verärgert.) War das seine Idee?

Samantha: Nein, nein, es war meine Idee. Cian liebt mich und er würde es auch am liebsten in die ganze Welt und Cheryl ins Gesicht schreien, aber mir ist das momentan noch zu viel. Außerdem will ich nicht, dass Matt etwas davon mitbekommt.

Rachel: Weil er dir ja so egal ist.

Samantha: Du weißt genau, warum.

Rachel: (Zuckt mit den Schultern.) Okay. Solange ihr glücklich seid und wir nicht mit denen herumhängen müssen, soll mir alles recht sein.

Samantha: (Lächelt.) Danke.

Rachel: Aber bleibt von den Schulfluren weg, wenn ihr nicht wollt, dass Matt euch sieht.

Samantha: Gute Idee. Lebt Balthasar wirklich bei euch?

Rachel: (Rollt die Augen.) Keine Ahnung, was er tagsüber macht, aber anscheinend steht er auf meine Mutter.

Samantha: Merkwürdig.

Rachel: Wem sagst du das?

Sie dreht sich um und erblickt einen Regenbogen, der sich von den Büchern zu den Tarotkarten spannt.

Rachel: Da ist dein Chaosteufel.

Samantha nimmt ihren Schöpflöffel und geht vorsichtig hinüber. Sie schnipst mit dem Finger etwas Zaubertrank auf den Regenbogen und stellt zufrieden fest, wie sich das Chaos auflöst.

Samantha: Perfekt. Damit sollte der Wachdienst bedeutend leichter werden.

Szene 15 – Trede Wohnung, Matts Zimmer

Die Anti-Dämonen-Zeichen sind inzwischen wieder verschwunden. Matt sitzt mit Krümel auf seinem Bett, vor sich ein blutiges Pentagramm, und schließt die Augen.

Matt: Chay. (Nichts passiert.) Chay, ich weiß, du hast einen Weg gefunden, die Rufe zu blockieren, aber ich brauch dich. Jetzt. (Pause.) Chay?

Er öffnet die Augen und sieht sich im Raum um. Von Chay ist nichts zu sehen. Krümel springt auf und verwischt dabei das Pentagramm.

Matt: (Seufzend.) Kannst du nicht wenigstens Voicemail haben?

Szene 16 – Hexenstübchen/Hadden Haus

In den folgenden Tagen wechseln sich die Sechs damit ab, das Hexenstübchen zu bewachen. Samanthas Zaubertrank ist inzwischen in Sprühflaschen abgefüllt, mit dem sich das Chaos relativ leicht in den Griff bekommen lässt. Dennoch geschehen immer wieder Missgeschicke.

Lucille und Fabian sind auf ihrer Schicht damit abgelenkt, sich gegenseitig zu befummeln und zu knutschen, als ein flackernder Lichtschein Fabian die Augen aufreißen lässt. Ein Wasserstrahl bricht aus seiner Hand und Lucille springt vom Tresen, um das schwelende Stück Holz mit dem Zaubertrank zu besprühen.

Jan und Matt teilen ihre Zeit sinnvoller auf und so schläft Matt in einer Ecke des Raumes, während Jan sich um einen kleinen Chaosausbruch in der Café-Ecke kümmert, der die neuen Teetassen tanzen lässt.

Karoline sitzt mit der Sprühflasche in der Hand da und sieht teilnahmslos den Tarotkarten beim Pokerspiel zu.

Tagsüber sind vor allem Fabian und Lucille mit dem Dekorieren für das Fest beschäftigt, während Samantha einer wichtig wirkenden Frau den Laden und das angrenzende Grundstück zeigt.

Hin und wieder sieht man Balthasar mit Annette auf der Couch sitzen, während Rachel erst um die beiden herumschleicht und später doch anfängt, mit dem neuen Arrangement warm zu werden. Zumindest bis es bei Annette und Balthasar unweigerlich zum Sex führt.

Ende der Woche sitzen Rachel, Annette und Balthasar sogar beim Abendessen zusammen und unterhalten sich angeregt.

Szene 17 – Hexenstübchen

Es ist der Morgen des Festes. Auf dem Grundstück daneben stehen bereits zwei Buden und etwas Musik dudelt noch leise aus dem Radio. Im Hexenstübchen haben Jan, Lucille, Matt und Samantha alle Hand voll mit Vorbereitungen zu tun, die durch die gehäuft auftretenden Chaosausbrüche erschwert werden. Mit einem Mal betritt ein menschengroßes Küken den Laden. Lucille, die gerade damit beschäftigt ist, das Café auf Hochglanz zu polieren, stöhnt auf.

Lucille: Jan! Kümmerst du dich um das Küken?

Jan: (Verwirrt.) Das Küken? (Sieht sich um.) Oh, DAS Küken.

Er schnappt sich eine Sprühflasche und sprüht damit das Küken ein. Dieses hebt beschwichtigend die Flügel.

Robert: Hey, lass das!

Jan: (Ungläubig.) Robert?

Samantha: (Kommt gerade vorbei.) Oh, hey, Robert. Wolltest du nicht erst in einer Stunde kommen?

Jan: Sam! Du kannst nicht einfach so tun, als würdest du das Küken nicht sehen.

Samantha: Ich sehe das Küken und ich weiß, dass Robert da drinsteckt. Cian hat ihn überredet, für uns Flyer zu verteilen. Er soll in der Nachbarschaft rumgehen und die Leute zum Fest holen.

Jan: Als Küken?

Samantha: Ich verstehe auch nicht, warum es unbedingt ein Küken sein muss.

Robert: (Dumpf.) Ich habe das Kostüm noch von meinen Ferien…

Jan: Alter, mach wenigstens den Schnabel auf, wenn du sprichst.

Robert kommt seinem Wunsch nach und entblößt dabei sein schwitziges, rotwangiges Gesicht.

Robert: Ich war dieses Jahr für eine Kindergeburtstagsfirma unterwegs. Allerdings haben die Pleite gemacht und ich durfte das Kostüm behalten.

Jan: Warum behält man ein Kükenkostüm?

In der Zwischenzeit ist Samantha bereits zur Theke gegangen und hat einen Batzen Flyer geholt. Diese drückt sie Robert in die Hand.

Samantha: Wir fangen um eins an. Falls du mehr Flyer brauchst, ruf mich an, dann drucke ich noch mal ein paar nach.

Robert nickt, klappt den Schnabel zu und geht wieder.

Jan: Wir reden nicht darüber, dass wir mit einem Küken Werbung machen?

Samantha: Keine Zeit. Lucille, wo ist Fabian?

Lucille: Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit.

Szene 18 – Bendtfeld Haus

Fabian steht im Flur und packt noch ein paar letzte Sachen in seinen Rucksack, während ihm seine Katze um die Beine schleicht.

Fabian: (Laut.) Mum? Wir müssen los. (Er erhält keine Antwort.) Mum?

Mit einem Stöhnen stellt er den Rucksack ab und macht sich auf die Suche nach seiner Mutter. Er findet sie schließlich in ihrem Schlafzimmer.

Fabian: Mum … Wieso bist du noch nicht angezogen?

Karoline liegt im Bett und betrachtet den Schrank. Als er sie anspricht, blinzelt sie und sieht ihn an.

Fabian: Wir müssen los.

Karoline: Ich kann nicht.

Fabian: Wie meinst du das? Es ist dein Fest.

Karoline: Du kümmerst dich doch um alles.

Fabian: Ja, aber es ist doch auch eine Feier für dich.

Karoline: Vielleicht komme ich später. Geh ruhig vor.

Fabian: (Verschränkt die Arme.) Ich gehe ganz bestimmt nicht ohne dich. (Dann lässt er die Arme wieder fallen und setzt sich aufs Bett.) Ich verstehe das nicht. Es geht doch ums Hexenstübchen.

Karoline: (Seufzt.) Du hast ja Recht.

Dennoch rührt sie sich nicht. Fabian sieht langsam besorgt aus.

Fabian: Mum?

Karoline: Ich kann nicht.

Fabian: Was kannst du nicht?

Karoline: Aufstehen.

Fabian: Bist du krank? Vielleicht haben wir ja auch zu Hause Chaosteufel. Ich kann etwas Zaubertrank aus dem Laden holen und …

Karoline: (Schluckt.) Es ist nicht … Fabian.

Fabian: Was denn? (Zunehmend verzweifelt.) Mum, sprich mit mir! Ich mache mir Sorgen um dich.

Karoline: Ich weiß nicht, wie.

Fabian: Mund aufmachen, Worte bilden?

Karoline: (Schmunzelt leicht.) Kannst du dir vorstellen, dass selbst das gerade unheimlich schwer scheint?

Fabian: (Nachdenklich.) Der Laden bleibt länger geschlossen, oder? (Sie nickt nur leicht.) Und das ist mehr als nur ein wenig ausruhen.

Karoline: (Seufzt schwer.) Es sieht wohl nach Burnout aus. (Fabian schluckt, aber Karoline sieht ein kleines bisschen erleichtert aus.) In den letzten Monaten war wohl zu viel los. Zu viel Stress.

Fabian: Wegen Papa und der Werkstatt?

Karoline: Ja.

Sie setzt sich auf und lehnt sich an die Wand. Dann klopft sie neben sich und Fabian klettert neben sie aufs Bett. Karoline nimmt seine Hand und legt den Kopf auf seine Schulter.

Karoline: Ich vergesse immer, wie groß du schon geworden bist. (Fabian schweigt.) Es fällt mir nicht leicht, das zuzugeben, aber ich habe in den letzten Monaten ziemlich gekämpft. Die Sachen für Papa zu erledigen, ist an sich kein Problem und auch alles andere muss eben gemacht werden. Aber das Hexenstübchen. Ich liebe meine Arbeit eigentlich, aber seit einiger Zeit kommt sie mir so schrecklich unnütz vor. All die Arbeit … ich bin den ganzen Tag auf den Beinen, abends dann noch der Rest und das alles für einen Gewinn, der sich kaum von einem 450-Euro-Job unterscheidet.

Fabian: Ich wusste nicht, dass es so schlecht läuft.

Karoline: Ich kann immerhin die Kosten bezahlen, oder? Nein, es lief nie wirklich gut, aber der Laden war immer mehr für mich. Meine Leidenschaft und so wichtig für die Hexen in der Umgebung. Ich nehme kaum Geld für die echten Zutaten. Klar, wenn ich etwas Kostbares besorgen soll, bekomme ich natürlich den Einkaufspreis, aber Elda und Sam können sich zum Beispiel nehmen, was sie möchten. Und ich will auch gar kein Geld von ihnen, schon gar nicht von Sam, wenn sie uns allen damit Monster vom Leib hält. Und Elda beliefert mich ja selbst aus ihrem Garten. (Atmet tief durch, um wieder zum eigentlichen Thema zurückzufinden.) Ich fühle mich, als würde ich feststecken. Als wäre ich wirklich die verrückte kleine Karo, von der ihre Schwestern schon immer wussten, dass aus ihr nichts wird.

Fabian: Mama! Das Hexenstübchen ist toll und du bist toll und … was sollen wir denn jetzt machen?

Karoline: Ich weiß es nicht. Meine Gedanken drehen sich dazu seit Ewigkeiten im Kreis. Es gibt keinen Ausweg, keine Lösung. Außer natürlich alles hinzuschmeißen und mir eine Festanstellung zu suchen. Die wäre vielleicht öde, aber selbst auf Teilzeit würde ich mehr verdienen und könnte deinem Vater etwas mehr unter die Arme greifen.

Fabian: Aber du liebst das Hexenstübchen.

Karoline: Tue ich das?

Szene 19 – Hexenstübchen

Es ist soweit. Das Fest öffnet seine Pforten und die ersten Gäste treffen ein. Samantha stellt in letzter Minute frischen Kuchen auf die Theke, während Jan den ersten Kaffee aufbrüht. Lucille kommt mit ihrem Telefon in der Hand rein.

Lucille: Ich erreiche ihn immer noch nicht.

Samantha: Dann muss es eben ohne ihn gehen. Rachel kommt sowieso bald. Machst du den Laden?

Lucille: Natürlich. Ich habe Matt mit der Spendenbox vorne hingestellt. Hoffentlich lässt er seinen Charme spielen.

Samantha: (Sieht an Lucille vorbei.) Und ich kümmere mich um den Pilzbewuchs am Fenster.

Lucille sieht sich um und stöhnt. Regenbogenfarbene Pilze beginnen, das Fenster neben dem Café zu überwuchern.

Draußen begrüßt Matt gerade Anne und Meg mit einem strahlenden Lächeln.

Matt: Darf ich die Damen um eine kleine Spende bitten?

Die Mädchen kichern verlegen, während sie ihm etwas Geld in die Dose stecken, und dann weiter gehen. Matt wendet sich den nächsten Gästen zu und das Lächeln vergeht ihm, als er Balthasar, Annette und Rachel sieht. Balthasar gibt ihm tatsächlich eine Spende.

Balthasar: Für deinen erbärmlichen Anblick.

Matt sieht ihm finster nach, als er mit Annette weitergeht. Rachel bleibt bei ihm stehen.

Matt: Wird Zeit, dass er verschwindet.

Rachel: Ich weiß nicht. Ich mag ihn irgendwie.

Matt: Bitte was?

Rachel: Also nicht ihn direkt, aber ich mag, was er mit meiner Mutter anstellt. (Als Matt das Gesicht verzieht, schnalzt sie mit der Zunge.) Seit sie mit ihm zusammen ist, ist sie viel ausgeglichener, oft zu Hause, interessiert sich für mich. (Ironisch.) Wir sind fast wie eine Familie.

Matt: (Runzelt die Stirn.) Ich tue so, als hättest du das nie gesagt.

Rachel: (Schüttelt sich.) O ja, er muss definitiv weg.

Szene 20 – Hexenstübchen

Mittlerweile ist es deutlich voller. Robert erholt sich gerade mit hochgeklapptem Schnabel in einer Ecke und quatscht dabei mit Anne. Matt versieht immer noch am Eingang seinen Willkommensdienst und lässt gerade Linda und Pascal durch, die ihm eine großzügige Spende hinterlassen, bevor sie sich nach Lucille umsehen, die möglichst unauffällig einen wild wuchernden Busch besprüht. Samantha hat gerade Cafédienst und gibt zwei Tassen Spezialtee raus, als Cian auf sie zukommt.

Cian: Hey, Hexchen.

Samantha: (Schmunzelt und wäscht derweil Tassen ab.) Wie findest du es?

Cian: Ganz gelungen für eine Nachbarschaftsparty. Ich bin überrascht, dass so viele gekommen sind.

Samantha: Als ob wir das nicht dir zu verdanken hätten.

Cian: Ich habe es nur ein wenig weitergegeben. (Stützt sich auf der Theke ab.) Darf man dich denn entführen?

Samantha: (Lehnt sich ebenfalls vor.) Ich fürchte, die Antwort lautet nein. (Cian verzieht theatralisch das Gesicht.) Ich weiß. Nächste Woche wird besser, aber du siehst ja, wie voll es ist und dazu noch die Chaosmagie.

Cian: Ja, das hast du erzählt. Habt ihr das Nest immer noch nicht gefunden?

Samantha: Leider nicht.

Ein Kunde kommt herein und betrachtet die Getränkekarte.

Cian: (Stößt sich von der Theke wieder ab.) Na gut, ich lass' dich weiterarbeiten, aber ruf mich an, wenn du mal wieder Zeit hast.

Samantha: Mach ich. (Zum Kunden.) Was darf's sein?

Kunde: Ich hätte gerne den Traumwohl-Tee.

Samantha: Sehr gerne. Das macht zwei Euro fünfzig.

Geld wechselt den Besitzer und Samantha dreht sich zum Wasserkocher um. In diesem blubbert es giftgrün.

Samantha: Ähm, ich muss nur noch mal Wasser aufsetzen. Ich bringe es dann raus. Okay?

Der Kunde nickt und verlässt das Café. Samantha greift zur Sprühflasche unter der Theke, als Anni das Café betritt. Nervös sieht Samantha sich um, aber sie ist alleine.

Anni: Hübsche kleine Party hast du da, Sammy. Ich hoffe, du verwechselst den Andrang nicht mit Beliebtheit, denn wir sind nur hier, weil nichts anderes in diesem Kaff los ist.

Samantha: (Angestrengt.) Was darf's für dich sein?

Anni: (Tut so, als würde sie die Getränkekarte inspizieren.) Verkauft ihr auch normales Zeug oder nur giftige Pansche?

Dabei fällt ihr Blick auf die giftgrüne Flüssigkeit im Wasserkocher. Sie verzieht angewidert das Gesicht. Samantha stellt sich in ihr Blickfeld.

Samantha: Ich kann dir ein Glas Wasser bringen.

Anni: (Gönnerhaft.) Sei so gut. Ach, und bitte noch ein Stück Fernhalten von Cian.

Samantha: (Verzieht das Gesicht, während sie Wasser einfüllt.) Das führen wir leider nicht.

Anni: Anscheinend bist du schwer von Begriff. (Deutlicher.) Wir wollen dich nicht. Niemand will dich.

Samantha: Hast du Cian das schon erklärt?

Anni: Oh, dem waschen wir schon noch den Kopf.

Samantha: (Genervt.) Dein Wasser.

Sie stellt ihr das Glas mit etwas zu viel Schwung hin.

Anni: Ich meine, sieh es doch mal so. Anscheinend hat er gerade eine Nerdphase, aber auch er wird bald einsehen, dass du nicht ganz richtig im Kopf bist. Und schau dich nur an. Cian hat etwas Besseres verdient und das weiß er auch.

Samantha: (Verletzt.) Dich zum Beispiel?

Anni: (Verzieht das Gesicht.) Uh, nein. Nicht jede steigt aus Verzweiflung mit ihrem besten Freund ins Bett.

Samantha klopft ungeduldig mit den Fingern auf der Theke und sieht sich um, aber im Moment hat niemand Interesse an einem Tee oder Kaffee.

Anni: Du bist einfach ein Niemand. Ich wette, wenn das mit euch bekannt würde, wüssten die Leute nicht mal etwas mit dir anzufangen. (Affektiert.) Oh, schau mal, da ist Cian und seine komische Freundin.

Samantha: (Ignorierend.) Ich kriege übrigens noch fünfzig Cent für das Wasser.

Anni: (Schnaubt.) Als ob ich dein schäbiges Leitungswasser haben wollen würde. (Dennoch wirft sie ihr eine Münze zu.) Den Rest kannst du behalten für deine Mühen.

Samantha: Wie gütig.

Anni dreht sich erhobenen Hauptes um, als sie auch schon in eine neonpinke Pfütze tritt. Sie schreit auf und schrumpft im nächsten Moment auf Daumengröße. Erschrocken lehnt Samantha sich über die Theke und stößt dabei das Wasser um, das prompt über die kleine Anni schwappt. Zuletzt stülpt sich auch noch das Glas über sie.

Samantha: Anni!

Szene 21 – Hexenstübchen

Fabian ist endlich auf der Feier angekommen, als das Chaos beginnt, auch draußen auszubrechen. Die Würstchen verbinden sich plötzlich zu einer langen Wurstkette und die Getränkeflaschen sprudeln eine nach der anderen so stark, dass das Glas platzt. Robert, der sich immer noch mit Anne unterhält, piepst erschrocken auf, als das Kostüm sich in echte Federn verwandelt. Lucille eilt hektisch herbei und besprüht Robert ringsum mit dem Zaubertrank. Sie verwandelt ihn zurück, aber die Flasche ist leer.

Plötzlich wird die Musik laut gedreht. Im ersten Moment zucken alle zusammen, aber dann fangen einige der jugendlichen Gäste an, das Ganze als Party zu sehen und beginnen zu tanzen. Der Andrang auf die Getränke wird größer und das Chaos nimmt überhand.

Lucille: (Zu Fabian.) Wo warst du?

Fabian: Später. Was ist hier los?

Rachel: (Taucht mit einer Sprühflasche an der Seite auf.) Die Chaosteufel drehen durch. Uns geht der Zaubertrank aus, um sie in Schach zu halten.

Fabian: (Überfordert reibt er sich über das Gesicht.) Okay, okay, wir kriegen das hin. Wo ist Sam?

Lucille: Soweit ich weiß, drinnen.

Fabian: Sag ihr, dass sie anfangen soll, einen neuen Trank zu brauen.

Rachel: Vor allen Leuten?

Fabian: Ja, uns glaubt eh keiner, dass er echt ist. Eher eine coole Show. Jan!

Jan hat die Musikanlage erreicht und die Musik etwas heruntergedreht und schaut nun hinüber. Lucille geht inzwischen auf das Café zu, als ihre Mutter sich ihr plötzlich in den Weg stellt.

Linda: Hast du Pascal gesehen?

Lucille: Nein, aber er wird schon irgendwo sein.

Linda: (Seufzend.) Wahrscheinlich ist er in diesem Urwald hinter dem Haus verloren gegangen.

Lucille: (Stutzt.) Urwald?

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739477381
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Dezember)
Schlagworte
magie vampir Harz dämon abenteuer hexe

Autor

  • Janna Ruth (Autor:in)

Zwischen der Berliner Großstadt und dem paradiesischen Karori in Neuseeland, führt Janna Ruth ein aufregendes Doppelleben als Autorin und Wissenschaftlerin. Ebenso bewegen sich ihre Werke zwischen fantastischen Welten und tiefgründiger Moderne. Als Autorin legte sie 2017 einen Senkrechtstart hin, als sie sowohl bei Ueberreuter als auch im Selfpublishing debüttierte und innerhalb eines Jahres mit dem SERAPH Phantastikpreis für den besten Independent-Titel ausgezeichnet wurde.
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Titel: Stürmische Zeiten