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Ella: Der Anfang

von Gabriela Köhler (Autor:in)
210 Seiten
Reihe: Ella, Band 1

Zusammenfassung

Die Geschichte von Ella. Sie arbeitet erfolgreich mit Reitern und Pferden, wobei sie sich mit ihrem einfühlsamen und effektiven Training einen guten Namen gemacht hat. Doch dann wird ihr Leben auf den Kopf gestellt. Es beginnt mit einer Anschlagsserie auf den Reitstall, in dem sie arbeitet und eines Tages wird sie selbst zum Opfer des Attentäters. Mühsam kämpft sie sich mit Hilfe ihrer Freunde und ihrer großen Liebe zurück ins Leben, doch nichts ist mehr wie zuvor...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Widmung

Gewidmet meinen Eltern,

Rolf und Rosemarie Schwarz

und

meinem geliebten Mann Jürgen,

der meine Träume maßgeblich mit verwirklicht hat.

Zu diesem Buch

Liebe Leserin, lieber Leser!

Es ist ein „wirkliches Abenteuer“ ein Buch zu schreiben, aber ein noch größeres es zur Leserschaft zu bringen.

Trotz ernst gemeinter Angebote von Verlagen habe ich mich dazu entschlossen dieses Buch selber zu veröffentlichen.

Das beinhaltet den Entwurf des Covers, das Festlegen der Buchgröße und der Papierqualität, die Aufteilung und das Formatieren der Seiten und natürlich auch das Lektorat.

Sollten sich trotz aller Sorgfalt kleine Fehler eingeschlichen haben, so bitte ich diese zu entschuldigen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Vergnügen beim Lesen!

Gabriela A. Köhler

Weitere Bücher der Autorin:

Ella Das ganz besondere Erbe

Engel inklusive

1

Ella band sich mit einer schnellen Bewegung die halblangen, braunen Haare zusammen, schnappte sich ihr Schlüsselbund und ließ die Wohnungstür hinter sich ins Schloss fallen. Sie war schon ein bisschen stolz auf ihre kleine Eigentumswohnung, die sie sich im Laufe von fünfzehn Jahren erarbeitet hatte. Vor zwei Jahren war sie auf die Suche gegangen und hier am Stadtrand fündig geworden. Ein total renovierter und auf den neuesten Stand gebrachter Altbau, mit schönen hohen Decken und großen Räumen. Ein neues Bad mit großer Dusche, und eine kleine Einbauküche mit Sitzecke rundeten die 80 qm –Wohnung ab.

Auf dem Weg vom zweiten Stock nach unten sortierte sie sich schon den Autoschlüssel heraus. Ihr altes Schätzchen, ein Nissan Petrol, stand direkt vor der Tür in einem Parkhafen. Schön ruhig war es hier in der kleinen Nebenstraße. Mit Schwung öffnete sie die Fahrertür, stieg ein und machte sich auf den Weg in den Reitstall.

Sie war freiberuflich tätig, bildete Pferde und Reiter in mehreren Reitställen in der Umgebung aus. Ein besonders gutes Verhältnis hatte sie mit den Besitzern des Tannenhofes. Vor zwei Jahren hatte Gerald Höffer, zusammen mit seiner Familie, den alten, ziemlich herunter gekommenen Hof, mit 15 Ha Wiesen, von einer Erbengemeinschaft erworben und zu einem schönen Reitstall ausgebaut. Große Boxen mit Fenstern, luftig und hell, täglicher Weidegang, gute Bodenverhältnisse in der Reithalle und auf dem Reitplatz, und ein gutes Management zeichneten den Betrieb aus. Ella war nach kurzer Zeit mit ihrem Pferd in den neuen Stall gezogen. Mit der Familie Höffer verband sie inzwischen eine tolle Freundschaft. Sie hatte schon mehrere junge Pferde zusammen mit deren 16jähriger Tochter Doris angeritten. Außerdem gab sie Doris regelmäßig Unterricht auf ihrem Dressurpferd Dagobert.

Der Stall lag etwas außerhalb der Stadt. So früh am Sonntagmorgen war noch wenig Verkehr, und knapp fünfzehn Minuten später fuhr Ella mit Schwung die breite Auffahrt hoch. Sie parkte ihren Geländewagen vor der Reithalle.

Was für ein schöner Morgen. Ella blinzelte in die aufgehende Sonne. Der Mai war doch der schönste Monat. Alles begann, zu blühen, und die Bäume wurden grün. Endlich konnte die Arbeit wieder draußen stattfinden. Über den Winter hatten Reiter und Pferde schon fast einen ´Hallenkoller´.

Gestern war ein neues Pferd in den Stall gekommen. Die Stute hatte sich als sehr ungebärdig entpuppt und ihren Züchter vor ziemliche Probleme gestellt. Wenn die Besitzer nicht mehr klarkommen, dann, und leider erst dann wird der Profi hinzugezogen. Das kannte Ella zur Genüge. Und wie so oft würde sie mit dem Pferd nicht bei „Null“ sondern bei „minus Hundert“ anfangen und hoffentlich helfen können.

Der erste Weg führte Ella natürlich zu ihrem Schimmel Willi. Er war mit seinen 18 Jahren schon ein älterer Herr, aber noch sehr fit. Vor zwei Jahren hatte Ella ihn aus dem Turniersport verabschiedet. Bis dahin starteten sie erfolgreich in Dressuren bis zur Schweren Klasse.

Willi lugte aus seinem Fenster. Natürlich hatte er das Auto schon gehört und wieherte seiner Besitzerin entgegen. Jeden Morgen gab es ein Leckerli als Begrüßung, und die Streicheleinheiten wurden auch nicht verachtet. Ella öffnete die Boxentür, streichelte Willi über die Stirn und sortierte den Schopf. Mit der anderen Hand hielt sie ihm einen Apfel hin. Herzhaft biss Willi ab und der Saft lief Ella über die Hand. „Du Rabauke, Äpfel sind halt doch deine Leibspeise“, lachte Ella, schob ihm noch die zweite Hälfte des Apfels ins Maul und verschloss die Tür wieder. Über all die Jahre waren sie ein eingeschworenes Team geworden. Oft hatte Ella das Gefühl, dass sie nur denken musste, und Willi setzte es in die Tat um. Sie trauerte dem Turnierreiten trotzdem nicht hinterher. Im Gegenteil, sie genoss die schönen, entspannten Ritte und Spaziergänge mit ihrem Pferd.

Doch jetzt wollte sie erst mal nach der neuen Stute schauen. Dafür ging sie rüber in die andere Stallgasse. Ganz vorne, in der ersten Box stand sie. Rosiana war wirklich eine Schönheit, lackschwarz, mit großen, dunklen Augen. Sie schien sehr aufgeregt zu sein, lief unruhig in ihrer Box umher und hatte dabei die ganze Einstreu und das Heu in die Ecken verteilt.

Ella ging in die Box und begann mit der Stute zu reden. „Hallo meine Süße. Ach komm, beruhige dich doch.“ Vorsichtig versuchte sie, Rosiana am Hals zu berühren, um sie zu streicheln. Dabei riss die Stute die Augen weit auf und flüchtete in die hintere Ecke. „Na, du bist aber wirklich ein Angsthase. Dann werde ich dir auch mal einen Apfel holen. Vielleicht kann ich dich damit bestechen, hmm?“ Ella ging zurück zu ihrem Auto.

Auf dem Weg begegnete ihr Gerald. Sie nahmen sich freundschaftlich in den Arm. „Ich war eben bei der neuen Stute. Die ist ja wirklich total ängstlich.“ Ella schaute ihren Freund zweifelnd an. „Was ist denn passiert? Weißt du was?“ Gerald zuckte mit den Achseln. „Genaues weiß ich auch nicht, nur dass beim Anreiten wohl etwas völlig schief gegangen ist und sich die Stute bei einem Unfall stark verletzt hat. Danach hat sie ein halbes Jahr in der Box gestanden. Erst mussten die Verletzungen verheilen und danach war so schlechtes Wetter, dass sie nicht auf die Weide konnte. Der Tierarzt ist wohl gar nicht mehr rangekommen. Gestern haben sie sie mit Mühe und Not verladen und hergebracht. Da sind sie bestimmt nicht zimperlich mit ihr umgegangen. Herr Hempker war jedenfalls ziemlich aufgebracht. Ein halbes Jahr hat er dir Zeit gegeben. Wenn sich die Stute dann nicht vernünftig benimmt und reiten lässt, soll sie zum Schlachter.“

Ella nickte mit dem Kopf. Na, immerhin hatte sie ein halbes Jahr Zeit. Die meisten Pferdebesitzer waren viel ungeduldiger und wollten spätestens nach drei Monaten ein perfekt funktionierendes Pferd. Wie oft musste sie die Besitzer in ihren Erwartungen herunterschrauben. Die Ausbildung sollte niemals übers Knie gebrochen werden und sich nach dem jeweiligen Pferd richten. Bei manchen war in drei Monaten wirklich viel zu erreichen, andere brauchen aufgrund ihres Temperamentes und/oder der körperlichen Gegebenheiten eben länger. Ella ließ sich nie drängeln. Sicher waren dadurch einige Kunden abgesprungen, aber viele andere brachten gerade deshalb ihre Pferde zu ihr, oder nahmen bei ihr Unterricht.

Rasch kehrte sie zur Rosiana zurück. Erst mal legte sie einen Apfel in die Krippe. Die Stute blieb misstrauisch stehen und machte einen langen Hals. Der Apfel war verführerisch. Ella blieb ruhig, schaute runter, und wartete ab. Es dauerte etwas länger, bis das Pferd sich zögernd traute, mit dem Maul in die Krippe zu gehen, schnell abbiss vom Apfel und sofort wieder einen Schritt zurücktrat. Das zweite Mal ging es schon schneller. Mit einem scheelen Seitenblick holte sie sich die andere Hälfte aus der Krippe. Jetzt nahm Ella einen zweiten Apfel auf die flache Hand und hielt ihn ihr vorsichtig hin. Rosiana schnaubte und reckte sich so weit sie konnte, aber ranzugehen traute sie sich nicht. Ella sprach wieder beruhigend auf sie ein: „Das werden wir schon hinkriegen, pass mal auf.“ Langsam legte sie den Apfel in die Krippe und schloss die Boxentür.

Bevor sie mit der Stute arbeiten konnte, mussten sicherlich noch einige Dinge geregelt werden. Als Allererstes sollte sie auch auf die Koppel gehen, und zwar am besten mit einem ruhigen Wallach. Vielleicht würde sie sich mit ihrem Willi vertragen. Außerdem wäre es sicherlich ratsam, die beiden Pferde umzustellen in die Boxen, die direkt an der Weide lagen. So könnte man sie notfalls auch hineintreiben und müsste sie nicht am Kopf führen.

Ella machte sich auf den Weg zum Wohnhaus. Sie wollte mit Gerald besprechen, was organisatorisch möglich war. Sie wusste, dass die Boxen eben von den Jährlingen belegt waren. Die würden über kurz oder lang aber sowieso auf die Sommerweide wechseln.

Sie klopfte an der Seitentür und trat ein. Familie Höffer saß gerade am Frühstückstisch. „Guten Morgen, das sieht hier aber gemütlich aus.“ Ella lächelte einmal in die Runde. Gisela Höffer hatte gerade die Kaffeetasse am Mund. Mit der freien Hand winkte sie, dass Ella reinkommen sollte.

„Möchtest du auch noch einen Kaffee? Komm setz dich.“ Gisela rückte auf der Bank ein Stück zur Seite, um Platz zu machen. „Danke, ich nehme gerne einen Kaffee. Eigentlich wollte ich mit Gerald über die neue Stute sprechen.“ Ella rutschte mit auf die Holzbank. Doris schaute noch ziemlich verschlafen „Die muss ich mir nachher auch gleich anschauen. Soll ja ein ganz verrücktes „Hühnchen“ sein, aber du wirst das schon hinbekommen!“ Schelmisch schaute sie zu Ella: „Wenn nicht, dann helfe ich dir.“ Doris grinste, und alle mussten lachen.

„Du musst doch erst mal wach werden. Die Nacht war wohl wieder ziemlich lang, oder?“ Ella schaute Doris prüfend an. Doris nickte betrüblich tuend mit dem Kopf. „Was soll man machen, wir waren eine tolle Runde. Der Abend war wirklich sehr schön, und dann haben wir die Zeit vergessen. - Bloß gut, dass Thomas mich nach Hause fahren konnte. Der letzte Bus war natürlich längst weg. Aber er trinkt ja gar keinen Alkohol, war total nett und hat sich gleich angeboten.“

Ella und Gisela schauten sich an und mussten beide loslachen, weil sie genau wussten, was der andere dachte. „Ja, ja, der Thomas, das ist wirklich ein ganz Netter und außerdem mag er dich wohl sehr“, sagte Gisela. Doris verzog das Gesicht. „Davon habe ich noch gar nichts bemerkt. Ich finde ihn auch sympathisch, aber eben als Freund, mehr nicht.“

„Weshalb ich reingekommen bin“, Ella schaute zu Gerald. „Die neue Stute sollte vielleicht erst mal auf die Koppel. Was hältst du davon, wenn wir sie mit Willi in die Jährlingsboxen umquartieren?“ Gerald überlegte kurz. „Find ich ganz gut die Idee, aber vor nächster Woche können die jungen Pferde noch nicht raus. Was machen wir solange?“

„Kein Problem“, Ella nippte an ihrem Kaffee, „ich werde mich jetzt jeden Tag mit ihr beschäftigen. Mal sehen, was ich da schon ausrichten kann. Wenn ich sie ohne Stress zu fassen bekomme, dann stelle ich sie neben Willi in die Box. Dann können sich die beiden schon mal kennenlernen. Außerdem steht auf der anderen Seite Kobold, unser ´Pferdeopa´. Er und Willi gehen zu verschiedenen Zeiten auf die Koppel, dann ist Rosiana nie alleine im Stall.“ „Perfekt, so machen wir es erst mal“, nickte Gerald.

Nach einer kurzen Unterhaltung, über das Wetter und andere Kleinigkeiten, trank Ella aus, stand auf und stellte die Tasse in die Spüle. „Besten Dank für den Kaffee. Ich schaue noch mal in den Stall und reite mit Willi eine Runde aus.“ Schwungvoll öffnete sie die Tür, winkte kurz zurück und machte sich auf den Weg zu dem dritten Stallgebäude. Da war sie heute noch nicht gewesen. Auch wenn sie nicht der Betreiber der Anlage war, so schaute sie doch jeden Tag in den Ställen als erstes nach dem Rechten, ein kurzer Blick in die Boxen und einige Worte zur Begrüßung an die Pferde, ein festes Ritual jeden Morgen.

Im dritten Stall traf Ella auf Harry. Er war bei den Höffers fest angestellt zum Füttern der Pferde und Ausmisten der Boxen. Mit seinen 56 Jahren hatte er Zeit seines Lebens in der Landwirtschaft gearbeitet. Bevor er hier im Stall eine Anstellung fand, war Harry mehrere Jahre arbeitslos. Leider hatte er keinen Führerschein und arbeitete nicht sehr schnell. Doch das machte er allemal wett durch seine Zuverlässigkeit, seinen Fleiß und seine freundliche, ruhige Art. Eigentlich konnte man sich ihn gar nicht mehr aus dem Stall wegdenken. Ella grüßte freundlich: „Guten Morgen, Harry! Na, alles okay?“ Er schaute kurz hoch: „Ja, ja, alles in Ordnung. Bei dem schönen Wetter macht es richtig Spaß. Endlich wieder Sonne!“, Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Die Neue ist aber wirklich ganz schön verrückt. Heute Morgen beim Füttern und Misten stand sie immer in der Ecke. Da haste wieder richtig Arbeit. Hab ihr nur ´ne halbe Ration Hafer gegeben, tut ja noch nix?“ Fragend schaute er Ella an. Innerlich lachte Ella. Rosiana beschäftigte wirklich alle. „Halbe Ration ist erst mal gut. Ich werde nachher versuchen, sie neben Willi zu stellen. In den nächsten Tagen sollen sie zusammen auf die Koppel. Mal sehen, ob das klappt.“

Harry widmete sich wieder seiner Arbeit. Ella ging einmal durch die Stallgasse. Alle Pferde standen zufrieden da und knabberten am Heu. Also war es Zeit, sich um Willi zu kümmern. Sie ging zur Sattelkammer, schnappte sich Sattel und Trense und machte sich auf den Weg zu ihrem Pferd.

Willi schaute schon über die Tür in die Stallgasse. Ella machte ihn fertig zum Reiten, führte ihn aus dem Stall, gurtete den Sattel fest, zog die Steigbügel herunter und stieg über ein kleines Podest auf. Gemütlich im Schritt, am langen Zügel, verließen sie den Hof. Ella wollte eine schöne, große Runde durch die Feldmark machen. Die meisten Wege waren hier leider schon befestigt. Nur zwischen den Feldern gab es zum Teil noch naturbelassene Graswege, auf denen die beiden immer mal einen flotten Trab oder Galopp einlegen konnten. Knapp eineinhalb Stunden später kamen sie zufrieden zurück in den Stall.

Als Willi versorgt war, ging Ella gleich noch mal zum Haus. Unterwegs war ihr aufgefallen, dass auf der großen Außenweide ein Holzpfahl umgeknickt war und der Zaun umlag. Sie wollte Gerald darüber informieren. Bevor die Pferde raus kamen, wurde der Zaun zwar sowieso noch einmal rundherum kontrolliert, aber so wusste er schon mal Bescheid.

Gerald kam ihr auf dem Hof gerade entgegen. „Auf der letzten Koppel liegt ein Pfahl um, ich wollte es dir gleich sagen“, informierte ihn Ella.

„Mensch, schon wieder? In den letzten zwei Wochen hab ich schon drei Pfosten ausgewechselt und die Litzen erneuert. Das geht nicht mehr mit rechten Dingen zu. Bloß gut, dass die Pferde noch nicht über Nacht draußen sind. Ich schaue nachher gleich mal hin.“ Gerald war aufgebracht. „Da erlaubt sich jemand einen schlechten Scherz. Wehe, ich erwische den Witzbold.“ Ella schüttelte entsetzt den Kopf. Wer macht denn so was? Heute war ihr sonst nichts Besonderes aufgefallen. Sie nahm sich vor die Augen offen zu halten. Gerald entfernte sich raschen Schrittes zu seiner kleinen Werkstatt und ärgerte sich über die unnötige Arbeit.

Ella machte sich, diesmal bewaffnet mit mehreren Möhren, auf dem Weg zur neuen Stute. Mal sehen, ob sie sich einfangen ließ. Rosiana schaute gleich misstrauisch, als sich die Tür zur Box öffnete, und ging zwei Schritte zurück. Ella blieb stehen und biss von einer Möhre ab. Zunächst blieb die Stute hinten, aber Ella wusste, wenn sie sich ruhig verhielt, würde wahrscheinlich die Neugierde siegen. Bestimmt zehn Minuten vergingen, die erste Möhre war schon fast von ihr aufgegessen, da machte Rosiana den ersten Schritt vorwärts und streckte ihren Hals zu ihr hin. So eine Möhre war doch zu lecker. Ella hielt sie ihr entgegen und nach kurzem Zögern nahm die Stute sie vorsichtig aus ihrer Hand. Genüsslich begann sie, zu kauen, ohne Ella allerdings auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Doch jetzt war das Eis gebrochen und nach der dritten Möhre ließ sich Rosiana vorsichtig am Kopf anfassen und über die Nase streicheln. Nach der fünften Möhre fasste Ella vorsichtig an das Halfter und befestigte den Führstrick. Geschafft! Ging doch schneller, als gedacht. Sie öffnete die Boxentür und führte Rosiana heraus. Es gab keine Probleme sie zum anderen Stall zu bringen und in der Box neben Willi unterzubringen. Völlig gelassen ging sie neben Ella her. Doch die neuen Nachbarn mussten jetzt natürlich erst mal genau begutachtet werden. Das lief ganz nach Stutenmanier ab, mit lautem Quietschen und Ausschlagen der Vorderbeine.

Ella gab allen Dreien eine Portion Heu, in der Hoffnung, dass das Futter etwas ablenkte und sich die Unruhe schneller legen würde. Für heute ließ Ella Rosiana in Ruhe. So konnte sie sich an den Stall und die Nachbarn gewöhnen. Ab morgen wollte sie die Stute ein bisschen an der Longe laufen lassen.

Ein kurzer Blick auf die Uhr, schon Mittag! Jetzt musste sie sich beeilen, weil sie zum Spaziergehen mit anschließendem Essen verabredet war. Beschwingten Schrittes machte sie sich auf den Weg zum Auto. Sie freute sich auf den heutigen Nachmittag.

2

Ella fuhr nach Hause, schnell unter die Dusche, Jeans und Shirt angezogen, Haare trockengefönt, ein bisschen Make-up, Wimperntusche und Lipgloss aufgelegt. Heute traf sie sich mit ihren fünf alten Schulfreunden. Zwischendurch hatten sie sich ganz aus den Augen verloren. Jeder machte seine Ausbildung und orientierte sich beruflich. Erst bei einem Klassentreffen nach etlichen Jahren trafen sie sich wieder. Sie sahen sich, und es war, als wenn das Abi erst gestern gewesen wäre.

Während der Schulzeit waren die sechs eine eingeschworene Clique. Sie hatten viele gemeinsame Interessen und verbrachten ihre Freizeit zusammen. Wer sechs Jugendliche und dazu sechs Hunde im Wald traf, der wechselte freiwillig die Richtung, um nicht mitten ins Gewusel zu geraten. Alle waren sehr tierlieb und engagierten sich beim Tierschutz, halfen beim örtlichen Tierheim und machten damals einige Aktionen gegen Massentierhaltung mit.

Bei diesem Klassentreffen hatten sie sich geschworen, sich nie wieder aus den Augen zu verlieren und sich mindestens einmal im Jahr zu treffen. Und tatsächlich, immer im Frühjahr, hatten sie sich seitdem wiedergesehen. Heute war wieder so eine Zusammenkunft. Es begann mit einem gemeinsamen Spaziergang, und dann wurde in einem gemütlichen Restaurant gegessen und ausgiebig geklönt.

Ella fuhr auf den kleinen Parkplatz. Direkt dahinter erstreckte sich ein großes Waldstück mit einem kleinen, versteckt liegenden Teich. Schon damals waren sie hier gerne spazieren gegangen. Selten begegnete man anderen Menschen. Die Clique konnte ungestört die Hunde herumtoben lassen, manchmal auch Musik hören und an warmen Tagen in dem kleinen Teich schwimmen gehen.

Heute warteten die anderen schon. Ella schaute auf die Uhr. Nein, zu spät war sie nicht. Wie immer freuten sich alle auf das Wiedersehen und waren überpünktlich. Fröhlich winkte sie der Gruppe zu. Alle unterhielten sich angeregt und schauten dem ausgelassenen Spiel der drei Hunde zu.

Da standen ihre alten Freunde:

Links, das war Jens. Er nahm nach dem Abi sofort sein Medizinstudium auf, zog es straff durch, machte seinen Doktor und war jetzt Oberarzt im städtischen Krankenhaus. Augenblicklicher Status: glücklicher Single.

Daneben stand Martin. Er hatte Germanistik und Publizistik studiert und arbeitete heute freiberuflich erfolgreich als Journalist. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder.

Dieter rief gerade nach seinem Hund Minna. Er war nach dem Studium der Landwirtschaft in den elterlichen Betrieb eingestiegen und hatte eine Lebensgefährtin.

Einige Meter entfernt standen Monika und Iris beieinander. Monika hatte Chemie studiert, arbeitete mehrere Jahre bei einem Pharmariesen in der Forschung, bis sie ihren Mann kennenlernte und inzwischen mit vier Kindern Vollzeit-Hausfrau war.

Iris war Lehrerin für Chemie und Biologie. Auch sie hatte einen Lebenspartner und zwei Kinder.

Ella parkte ihr Auto. Mit großem Hallo und Umarmungen wurden die Freunde begrüßt. Auch die Hunde kamen nicht zu kurz. Alle drei sprangen um Ella herum. Sie holte eine Tüte mit Knabberstangen aus der Tasche und verteilte sie an die Hunde.

Jens hatte dazu auch gleich eine Bemerkung: „Unsere Ella - Pferde und Hunde, da hat sie eindeutig eine besondere Gabe. Niemand ist hier so stürmisch begrüßt worden wie du!“

Ella grinste: „Liegt bestimmt daran, dass ich doch irgendwie nach Pferd rieche. Da kann ich mich noch so oft waschen und frische Sachen anziehen.“ Alle lachten.

Langsam machten sie sich auf den Weg. Automatisch schlugen alle die gleiche Richtung ein, ohne sich vorher darüber unterhalten zu haben. Natürlich musste jeder erzählen, wie es ihm im letzten Jahr ergangen war. Erst als sie den Teich erreichten, kamen auch die drei Hunde wieder ins Spiel. Mit Schwung wurden die Stöcke ins Wasser geworfen und Minna, Lucy und Hanno hechteten hinterher, sodass das Wasser fast über ihnen zusammenschlug.

Nach zehn Minuten wurde das übermütige Spiel langsamer und die Hunde standen am Ufer und schüttelten sich ausgiebig, um das Wasser loszuwerden. Alle gingen schnell in Deckung. Iris nahm den kleinen Rucksack von den Schultern und holte drei Handtücher heraus. „Hier!“, sie reichte zwei weiter an Dieter und Monika. „Hab mir schon gedacht, dass die drei Rabauken baden werden. Hanno ist davon immer so begeistert und die beiden anderen auch, wissen wir doch vom letzten Jahr.“ Das war typisch Iris. Sie war schon immer die Praktischste und hatte für den Notfall alles dabei. Mit viel Spaß und Gelächter wurden die Hunde mit den Tüchern durchgerubbelt. Auf dem zweiten Teil des Spazierganges würden sie dann wohl weitestgehend trocknen.

Die Sonne war schon im ´Sinkflug´, als die ganze Truppe wieder am Parkplatz ankam. Nur wenige Autominuten entfernt lag ein gemütliches Lokal. Dort hatten sie einen Tisch reserviert und verbrachten einen sehr fröhlichen Abend. Selbst die Hunde lagen zufrieden unter dem großen Tisch, nachdem sie eine Wasserschlacht an den bereitgestellten Trinknäpfen veranstaltet hatten.

Ella erzählte in der Runde auch von der neuen Herausforderung mit dem verängstigten Pferd und den unheimlichen Sabotagen an den Weidezäunen. Keiner konnte verstehen, was sich in den Köpfen von Menschen abspielte, die solche Aktionen machten. Martin riet Ella eindringlich: „Sage Herrn Höffer, er sollte unbedingt zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. Die fahren dann doch einmal öfter an dem Gelände vorbei. Außerdem – lass mal was passieren mit den Pferden. Da hast du bei den Versicherungen auch bessere Karten.“ Martin war da sehr pragmatisch und, seit beruflich bedingter Recherchen im Versicherungs-Dschungel, besonders sensibilisiert.

Ella wurde nachdenklich. Das war tatsächlich eine wichtige Überlegung. Gleich morgen würde sie mit Gerald über das Thema sprechen. Sie konnten noch so sorgsam mit den Pferden umgehen. Das Gelände war ziemlich weitläufig und dadurch nicht immer überschaubar. Wenn jemand die Pferde aus den Koppeln ließ, dann konnte tatsächlich viel passieren, sowohl Sachschäden, als auch den Pferden oder womöglich sogar Autofahrern. Nicht auszudenken! Missmutig schüttelte sie den Kopf.

In dem Moment schob Minna fordernd ihren Kopf unter ihre Hand. Etwas gedankenverloren streichelte Ella sie. Minna schaute sie freundlich an mit ihren großen dunklen Augen. Dann rückte sich noch dichter heran, damit Ella sie wieder richtig wahrnahm: „Du bist eine ganz ´Feine´.“ Minna legte die rechte Pfote in ihre Hand. „Wann bekommt sie ihre Welpen?“, Ella schaute zu Dieter. „Wie kommst du denn darauf?“ Dieter schaute etwas entgeistert zu ihr rüber. „Ich wüsste nicht, dass Minna tragend ist“. Ella war auch etwas erschrocken über sich: „Wie war sie eben darauf gekommen?“ „Ich weiß nicht…“, antwortete sie. „Irgendwie machte Minna auf mich den Eindruck, als sie mich angeschaut hat.“

Nun wurden alle auf ihre Unterhaltung aufmerksam. Dieter verneinte noch mal energisch, aber amüsiert, dass seine Hündin tragend sein könnte. „Aber wenn es soweit ist, dann rufe ich dich an und du bekommst einen Welpen, versprochen!“

Großes Gelächter, und da es schon recht spät war, wurde bezahlt und sie brachen auf. Die Verabschiedung nahm dann doch noch einige Minuten in Anspruch und endete mit dem gegenseitigen Versprechen, sich nächstes Jahr auf jeden Fall wieder zu treffen.

Monika machte noch einen Vorschlag, den alle begeistert annahmen: „Mensch, wir haben jeder ein Smartphone, oder?“ Sie schaute in die Runde. Alle nickten. „Lasst uns bei WhatsApp eine Gruppe aufmachen, dann hören wir vielleicht auch zwischendurch mal was voneinander. Die moderne Technik macht es möglich!“ Damit waren alle einverstanden, gingen zu ihren Autos und machten sich auf den Nachhauseweg. Eine Minute später war der Parkplatz leer und jeder kehrte von dem Ausflug in die Vergangenheit zurück in sein jetziges Leben.

3

Am nächsten Tag kam Ella schlecht aus dem Bett. Das gestrige Treffen mit den alten Freunden hatte sie noch lange beschäftigt, und sie war erst spät eingeschlafen. Wie schön, dass sie sich nach den vielen Jahren noch so gut verstanden.

Ella kannte das schon von den letzten Malen, dass sie noch mehrere Tage danach über ihr Leben nachdachte. Eigentlich hatten alle Freunde ihre Lebensträume verwirklicht und waren zufrieden. Wobei sie natürlich wusste, dass man nicht hinter die Fassaden schauen konnte.

Auch sie fühlte sich wohl. Der Beruf machte ihr viel Spaß, brachte ihr Anerkennung und ein gutes Auskommen. Sie war gesund, hatte einige wirklich gute Freunde und, alleine schon durch ihren Beruf, viele Bekannte. Nur einen Partner, den hatte sie eben nicht.

Nach ihrer letzten Beziehung hatte sie sich geschworen alleine zu bleiben, zumindest für einige Zeit. Dann konnte sie nicht wieder so furchtbar enttäuscht werden. Die Partnerschaft mit Matthias dauerte nur einige Monate. Sie hatten ähnliche Interessen, gingen gerne ins Kino, liebten lange Spaziergänge, standen manchen Abend in der Küche und kochten zusammen. Sie konnten über die gleichen Dinge lachen und hatten ein schönes Liebesleben. Sie führten wirklich eine harmonische Beziehung, und dachten schon daran zusammenzuziehen.

Nur um seinen Beruf machte Matthias ein kleines Geheimnis. So gut wie nie sprach er über seine Arbeit. Er erzählte ihr, dass er als selbstständiger Computer-Spezialist arbeitete und hatte damit seine unregelmäßigen Arbeitszeiten erklärt. Manchmal kam er Ella sehr angespannt und nervös vor. Nachdem sie einige Male versucht hatte mit ihm darüber zu sprechen, Matthias ihre Fragen aber immer ganz schnell abgeblockte, gab sie es auf.

Eines Abends kam von ihm eine kurze SMS. „Liebe Ella, sei bitte nicht zu enttäuscht. Du bist eine tolle Frau und die Zeit mit Dir war wunderbar. Aber ich habe mich neu verliebt. Matthias“

Zunächst war Ella fassungslos. Gestern war noch alles gut. Sie waren schön Essen in ihrem Lieblingsrestaurant und hatten sich angeregt unterhalten. Allerdings machten sie sich schon gegen 22 Uhr auf den Heimweg, und Matthias verabschiedete sich vor ihrer Haustür mit dem Hinweis morgen sehr früh raus zu müssen. Die ersten zwei Tage war sie einfach nur traurig und fragte sich natürlich auch, ob sie etwas falsch gemacht hatte. Dann schlug ihre Stimmung eher in Wut um. Warum konnte Matthias ihr das nicht direkt sagen? Sie überlegte hin und her, ihn anzurufen. Als sie es dann tatsächlich versuchte, hörte sie nur die automatische Ansage: „Diese Nummer ist uns nicht bekannt“. Einige Tage später fuhr sie zu seiner Wohnung. Zu ihrem Erstaunen fand sie den Namen Brenner nicht mehr an der Klingel. Einige Zeit hoffte sie immer noch auf einen Kontakt mit Matthias, und die SMS hatte sie noch monatelang gespeichert. Doch irgendwann, als sie in ihrem Handy mal wieder aufräumte und unnütze und überholte Sachen löschte, fiel auch Matthias SMS der Löschtaste zum Opfer. Mit diesem Tastendruck schloss sie das Kapitel „Matthias“ endgültig ab, so glaubte sie zumindest.

Es war Montag, die Sonne schien ins Schlafzimmer, und es versprach wieder schön zu werden. Langsam kam Ella unter der Bettdecke hervor. Nach dem Gang ins Bad trank sie einen Kaffee, lüftete die Wohnung und schüttelte ihr Bett auf. Heute hatte sie einen „vollen Tag“ mit Arbeit. Vormittags musste sie auf einer entfernter liegenden Reitanlage zwei Pferde reiten und eine Stunde Unterricht erteilen. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie los musste.

Die Zeit verging wie im Flug. Die Pferde waren in der Arbeit schön locker und konzentriert, und auch die Reitschülerin konnte die geforderten Übungen mit ihrem Pferd gut umsetzen.

Gegen 11 Uhr fuhr sie dann zu ihrem „Willi“ und der neuen Stute. Im Stall der Höffer`s war schon reger Betrieb. Der Schmied war da, beschlug etliche Pferde neu und schnitt bei den anderen die Hufe frisch aus. Alle sechs bis acht Wochen musste das nachgewachsene Horn entfernt und die Hufe wieder in Form gebracht werden. Ella ging einmal durch die Stallungen und begrüßte den Schmied. Willi war auch wieder dran. Er hatte jetzt keine Eisen mehr, lief also barfuß, wie die Pferdeleute so schön sagen. Da seine Hufe schnell wuchsen, musste der Schmied einmal öfter Hand anlegen.

Auch Rosiana musste eigentlich unbedingt ausgeschnitten werden. Normalerweise hätte Ella damit noch etwas gewartet, um der Stute Zeit zu geben sich einzugewöhnen. Da der Schmied nur alle paar Wochen da war, überlegte sie es sich anders: „Was meinst du, Otto? Wollen wir versuchen die neue Stute auszuschneiden? Ich kann ja am Kopf stehenbleiben und sie notfalls beruhigen.“ Freundlich blickte sie ihn an. Otto nickte mit dem Kopf. „Klar. Hol sie schon mal her. Mit deinem alten Herrn bin ich sofort fertig. Den lassen wir hier gleich stehen und binden die Stute daneben an. Bestimmt ist sie dann ruhiger, weil sie den Wallach schon ein bisschen kennt.“

Gesagt, getan. Ella ging zur Box und öffnete die Tür. Ganz ruhig näherte sie sich Rosiana und hielt ihr eine Möhre hin.

Einige Augenblicke zögerte die Stute, doch dann nahm sie die angebotene Möhre und ließ sich auch anfassen. Vorsichtig befestigte Ella den Strick am Halfter und ganz in Ruhe gingen sie beide aus der Box zum Schmied.

Otto schaute ihnen schon entgegen. „Da bist du ja schon. So sieht sie ja ganz artig aus.“

Ella lachte: „Wenn man sie erst mal am Strick hat, kommt sie einwandfrei mit. Mal sehen, wie sie sich benimmt. Die Hufe müssen unbedingt gemacht werden. Du weißt ja, bei den Züchtern passiert das häufig nicht so regelmäßig.“

Ella band Rosiana nicht fest, sondern zog den Strick nur durch den Anbindering und behielt das Ende in der Hand. Sie blieb vor ihr stehen und streichelte sie über den Hals und an der Stirn. Sie war wohl sehr angespannt, blieb aber artig und ließ sich vorne anstandslos die Hufe hochnehmen und bearbeiten. Hinten zappelte sie etwas herum und zog die Beine zwischendurch mal weg. Trotzdem war Otto eine halbe Stunde später mit seinem Werk fertig, und Rosiana hatte ´frisch gemachte` Füße.

Ella beschäftigte sich in der Zwischenzeit mit der Stute. Dabei überkam sie ein sehr eigenartiges Gefühl: „Ich habe den Eindruck, der Stute tut irgendetwas weh. Wenn ich sie anfasse, dann ist es, als wenn ich selber Schmerzen bekomme“, äußerte sie den Verdacht.

Otto schaute Ella skeptisch an. „Na, nu mach mal ´nen Punkt!“ Der Schmied schüttelte den Kopf. „Was du so fühlst. War ja ganz artig. Mit der muss sicher nur richtig umgegangen werden.“

Innerlich grinste Otto: „ Diese Weiber, was die immer so fühlen.“

Rosiana hatte sich so vorbildlich benommen, dass Ella sich überlegte, die beiden Pferde doch gleich in den Auslauf zu lassen. Irgendwie würde sie nachher schon an die Stute herankommen. Ella nahm die Stute, band ihren Willi ab und spazierte mit ihnen los. Die beiden ließen ihr kaum Zeit sie abzumachen, so übermütig galoppierten sie in den Auslauf hinein. Selbst ihr Willi machte einige Bocksprünge, und Rosiana drehte im Galopp gleich einige ´Ehrenrunden´. Kurze Zeit später standen sie beieinander, um sich näher kennenzulernen. Das lief nicht ganz ohne Quietschen und Ausschlagen ab, aber anschließend pilgerten sie friedlich zusammen zum Futter.

Ein bisschen gespannt war Ella ja doch, wie sich das Einfangen der beiden Pferde nachher gestalten würde.

Inzwischen war es Mittag. Ella war noch lange nicht fertig mit ihrem Tagespensum. Am Kiosk um die Ecke holte sie sich ein großes Käse-Baguette und setzt sich auf einen Holzstapel am Paddock. Es machte ihr immer wieder Spaß, die Pferde zu beobachten. Willi und Rosiana standen nebeneinander, als wenn sie schon immer zusammen gewesen wären. Mit großem Appetit rupften sie das Heu aus dem Rundballen, der in der überdachten Raufe lag.

In aller Ruhe aß Ella ihr Baguette. Hasso, der Familien- und Hofhund hatte das natürlich sofort spitzgekriegt und gesellte sich zu ihr. Mit treuherzigem Blick und schiefgelegten Kopf wartete er auf den letzten Bissen, der wie immer ihm gehörte.

Dann ließ er sich mit großem Behagen durchkraulen, landete am Ende auf dem Rücken und streckte die Beine in die Höhe um sich im Sand zu suhlen. Anschließend trottete er gemütlich über den Hof und inspizierte alle interessante Stellen, um sich schließlich auf seinen dicken Teppich unter der überdachten Terrasse zurückzuziehen.

Ella knüllte die Brottüte zusammen und steckte sie in die Tasche. Mit einigen Leckerlis begab sie sich nun in den Paddock. Willi unterbrach gleich das Heufressen und kam auf sie zu. Er wusste genau, dass es etwas Leckeres abzustauben gab. Ella streichelte ihn und gab ihm auf der flachen Hand einige Brocken. Genüsslich und laut vernehmlich begann er, zu kauen. Ella befestigte den Strick am Halfter. Rosiana war an der Raufe stehen geblieben, schaute aber interessiert herüber. Ella ging mit Willi Richtung Ausgang und tatsächlich folgte Rosiana nach kurzem Zögern. Ella nahm den zweiten Strick in die Hand und hielt der Stute auch einige Leckerlis hin. Willi schubste sie gleich an. Das ging auf keinen Fall. Er musste zuerst noch mal bedient werden. Während er die nächste Portion verspeiste, griff Ella in die Tasche und hielt Rosiana wieder die Hand hin. Jetzt wurde ihr Hals lang und vorsichtig nahm sie die Brocken. Tatsächlich konnte Ella den Strick befestigen. Das klappte viel besser als zunächst geglaubt. Rosiana wurde ausgiebig gelobt und mit beiden Pferden ging Ella zurück in den Stall. Sie band sie vor den Boxen an, um sie noch einmal über zu bürsten. Willi genoss die Prozedur, zumal die Pferde noch im Fellwechsel waren und die losen Haare gerne loswurden. Rosiana verhielt sich sehr unruhig. Vor allem an der Hinterhand und unter dem Bauch brachte sie ihren Unmut mit heftigem Schweifschlagen und angelegten Ohren zum Ausdruck. Ella ging dann nur mit einer weichen Bürste vorsichtig über das Fell. Einige Tage wollte sie sich erst mal mit der Stute beschäftigen, sie an der Longe arbeiten und sich dann mit ihrem Besitzer kurzschließen. Sicher mussten sich der Tierarzt und ein Physiotherapeut die Stute anschauen, so viel war Ella jetzt schon klar.

Nach einem langen Arbeitstag kam die Familie Höffer, der Stallarbeiter Harry und Ella auf ein Bier und einen kleinen Plausch zusammen. Jeder hatte noch was von seinem Tag zu erzählen und die organisatorischen Dinge konnten so unkompliziert besprochen werden. Ella erzählte von der neuen Stute und wie positiv der erste Tag verlaufen war. Harry bestellte bei seinem Boss für den nächsten Morgen einen neuen Rundballen Stroh, weil die Einstreu sonst nicht reichen würde, und Gerald Höffer musste seinen Frust loswerden. Er hatte heute begonnen, die Weidezäune gründlich zu überprüfen, und noch mehrere abgesägte Pfosten und durchgeschnittene Drähte gefunden. Niemand konnte sich erklären, wer so was machte. Eigentlich hatten sie zu ihren Nachbarn ein gutes Verhältnis. Es hatte noch nie Streit gegeben, im Gegenteil. Wenn einer Hilfe brauchte, konnte er sich auf seine Nachbarn verlassen. Gerald bat Ella und Harry, unbedingt die Augen offen zu halten, was für beide eine Selbstverständlichkeit darstellte. Besonders Harry, der über dem Stall eine kleine Wohnung hatte, identifizierte sich sehr mit dem Betrieb und war dankbar für den freundlichen Familienanschluss.

Am nächsten Tag wollte Herr Höffer bei der Polizei Anzeige erstatten und darum bitten, dass die Streifenwagen auf ihren Kontrollfahrten einmal öfter an der Reitanlage vorbeikommen könnten.

Als es dunkel wurde machten sich alle auf den Weg nach Hause. Nach einer ausgiebigen Dusche und einem kleinen Abendbrot fiel Ella tot müde ins Bett.

4

In den nächsten Wochen hatte Ella viel zu tun und kümmerte sich auch intensiv um Rosiana. Das Longieren klappte jeden Tag besser. Seit zwei Tagen trug die Stute nun Sattel und Trense. Sie protestierte zwar immer ziemlich beim Anlegen, aber beim Longieren benahm sie sich gut.

Für heute hatte sich Ella mit Doris verabredet, um zu versuchen Rosiana das erste Mal zu reiten.

Die beiden Frauen hatten schon einige Pferde zusammen angeritten. Doris war zierlich und leicht, und Ella bereitete die Pferde an der Longe immer gut vor. In den allermeisten Fällen ging das Anreiten ganz unspektakulär vonstatten. Erst hob Ella Doris vorsichtig hoch, sodass sie sich quer auf den Sattel legte. Je nachdem, wie das Pferd reagierte, wurde diese Prozedur wiederholt. Als Nächstes führte Ella das Pferd vorsichtig an, und der nächste Schritt war dann schon das Aufsteigen und Hineinsetzen in den Sattel. Manchmal war das schon beim zweiten, dritten Training möglich. Es gab auch Pferde, da dauerte es vierzehn Tage oder länger. Auf jeden Fall sollten sie immer so wenig Stress wie möglich haben, und wurden für jeden kleinen Fortschritt gelobt.

In der Zwischenzeit hatte Ella mit dem Besitzer von Rosiana gesprochen. Er war nach einigen Tagen in den Stall gekommen. Jetzt erfuhr Ella auch alles über die Umstände, die zum Zustand der Stute geführt hatten. Herr Hempker erzählte, dass er Rosiana zum Anreiten gegeben hatte. Alles lief zunächst ohne Probleme. Die Stute war zwar sensibel, aber eigentlich sehr vertrauensvoll. Peer Fischer, der Bereiter, hatte ihn schon gefragt, ob sie zu verkaufen wäre. Doch daran hatte Herr Hempker gar nicht gedacht. Rosiana sollte ihre Stutenprüfung ablegen und in die Zucht gehen. Peer Fischer war darüber etwas verstimmt, aber es lief erst noch alles gut weiter. Doch schon zwei Wochen später wurde er informiert, dass die Stute große Probleme machte. Sie ließ kaum noch einen Menschen an sich heran, und das Aufsteigen und Reiten waren sehr schwierig.

Als Herr Hempker am nächsten Tag zum Stall kam, stand das Auto vom Tierarzt auf dem Hof. Rosiana war bereits sediert, und wurde behandelt. Das linke Vorderbein war dick angeschwollen und es klaffte eine Wunde in der Fesselbeuge und am Fesselkopf. Sie war beim Aufsteigen gestiegen, hatte sich in der Luft auf der Hinterhand halb gedreht und beim Runterkommen mit dem linken Vorderbein über die Reithallenbande gehakt.

Bloß gut, dem Reiter war nichts passiert. Doch Rosiana hatte sich eine schwere Verletzung im Bereich des Fesselkopfes zugezogen. Nachdem die Wunden versorgt waren, holte Herr Hempker sein Pferd ein paar Tage später nach Hause. Sie hatte strenge Boxenruhe verordnet bekommen. Im Verlauf der nächsten Wochen wurde sie in ihrer Box immer unerträglicher, ließ sich schlecht an ihrem Bein behandeln, und schließlich kam niemanden mehr richtig an sie heran. Als die oberflächlichen Wunden verheilt waren und nur noch die Boxenruhe für das Ausheilen der Fissur nötig war, wurde Rosiana ganz zufriedengelassen. Im Laufe der Zeit fand sie sich mit ihrer Boxenhaltung ab und wurde wieder gelassener. Da der Besitzer zu dieser Zeit beruflich sehr eingespannt war, konnte er sich nicht ausreichend mit ihr beschäftigen, um wieder ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. So blieb jeder Umgang weiterhin sehr stressig.

Umso erfreuter war Herr Hempker, als er sah, dass Rosiana sich wieder anstandslos aufhalftern ließ und die Arbeit mit ihr Fortschritte machte. Deshalb stimmte er zu, dass der Tierarzt und der Physiotherapeut sie jetzt durchcheckten, um eventuelle Probleme zu erkennen und gegebenenfalls zu behandeln.

Ella schaute zur Uhr. In einer Viertelstunde hatte sie sich mit Doris in der Reithalle verabredet. Sie sattelte Rosiana, trenste sie auf und ging mit ihr los. Erst sollte die Stute noch einige Runden an der Longe gehen und sich entspannen. Doris kam pünktlich. Sehr ruhig und vorsichtig hob Ella die Reiterin quer auf den Sattel. Rosiana stand still. Auch beim Anführen blieb sie gelassen. Nach einer Runde Führen blieb Ella neben dem Pferd stehen, streichelte sie beruhigend am Hals und half Doris mit dem Fuß in den Steigbügel zu kommen, um vorsichtig aufzusteigen. Es passierte ---- nichts! Rosiana schnüffelte in Ellas Hand nach einem Leckerli und tat so, als wäre alles total okay. Erneut führte Ella die Stute an und ließ sie an der Longe vorsichtig auf den Zirkel gehen.

Doris sortierte die Zügel und setzte sich nach und nach mit ihrem Gewicht in den Sattel. Sie waren beide positiv überrascht. Doris sagte: „ Wie eine Alte. Lass uns ruhig weitermachen. Sie wirkt recht gelassen unter mir.“ Ella half jetzt mit der Stimme und Peitsche etwas nach und Rosiana trabte an. Sie ging gleich in einer schönen Anlehnung und schnaubte ab. Doris blieb zunächst vorsichtig, trabte leicht, aber von Runde zu Runde fasste sie mehr Vertrauen zum Pferd: „ Mach mich mal von der Longe ab. Die Stute fühlt sich super an.“ Ella entfernte die Longe und Doris ritt wie selbstverständlich weiter. Was für ein schönes Bild. Rosiana blieb vorbildlich, und nach einer Viertelstunde und einigen Runden Galopp auf beiden Seiten stieg Doris total begeistert ab. „Man, was für ein feines Pferd. Ganz tolles Reitgefühl und schöne elastische Gangarten.“ Beide Frauen waren froh, dass alles so gut geklappt hatte.

Am Abend, Ella war gerade nach Hause gekommen, bekam sie einen Anruf von Dieter, einem ihrer alten Freunde. „Hallo Ella, wie geht`s?“ Ella war überrascht, aber auch erfreut von ihrem alten Schulkameraden zu hören: „ Alles gut. – Wie komm ich zu der Ehre deines Anrufs?“ „Tja“--- Dieter machte eine bedeutsame Pause: „Du erinnerst dich, bei unserem Treffen im Mai, da habe ich dir ein Versprechen gegeben….“

Ella überlegte kurz und lachte: „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was du meinst.“„Na, erinnerst du dich nicht an Minna und deine Frage, wann sie ihre Welpen bekommt? Ich melde Vollzug. Letzte Woche war es soweit. Wir waren total überrascht. Eines Morgens lagen vier niedliche, kleine Welpen in ihrer Hütte, zwei Mädchen und zwei Jungs. Woher zum Teufel hast du das gewusst?“ Man hörte Dieters Stimme immer noch die Verblüffung an.

Ella lief in diesem Moment ein richtiger Schauer über den Rücken. Sie wusste auch nicht, wie ihr dieser Gedanken damals gekommen war. „Das ist ja ein Ding“, antwortete sie. „Keine Ahnung. Es war halt eine Eingebung, als mich Minna so angeschaut hat – und ist alles okay mit Mutter und Kindern?“ „Ja, ja“, sagte Dieter, „ die Kleinen halten Minna und uns ganz schön auf Trab. Wir hatte noch nie Welpen, macht schon Spaß. Hab natürlich überlegt, wer der Vater ist. Eigentlich kommt nur der Schäferhund von den Nachbarn in Frage. Minna mag ihn sehr und wahrscheinlich haben sich die beiden vergnügt, als ich im Wald war, um nach dem Rechten zu schauen. - Aber jetzt an dich die Frage, willst du mal vorbeikommen und sie dir anschauen? Schließlich bist du fast so etwas wie eine Patentante und natürlich möchte ich mein Versprechen einlösen. Ein Welpe gehört dir, wenn du magst.“

Ella war sprachlos. Wollte sie sich die Welpen anschauen? Klar wollte sie: „Doch, ansehen will ich sie mir auf jeden Fall. Wann passt es denn bei euch?“

„Komme doch am Sonntag vorbei, vielleicht zur Kaffeezeit. Babs wird sich bestimmt auch freuen dich kennenzulernen. Dann haben wir auch ein bisschen mehr Zeit“, schlug Dieter vor und so verblieben sie dann auch.

Ella kuschelte sich in ihre Kissen. Sich einen Hund anzuschaffen hatte sie sowieso immer mal überlegt. Vielleicht sollte es jetzt sein. Aber erst mal wollte sie den Sonntag abwarten.

5

Als Ella am nächsten Morgen in den Stall kam, empfingen sie die Höffers schon in heller Aufregung. Gerade war die Polizei vorbeigekommen, um Bescheid zu geben, dass die Pferde aus der Weide ausgebrochen waren und auf der Straße und im Dorf herumliefen.

Schnell schnappten sich alle so viele Führstricke, wie sie greifen konnten, sprangen in die Autos und fuhren los, um die „Rasselbande“ wieder einzufangen. Nicht auszudenken, wenn die Pferde vor ein Auto liefen.

Eine Stunde später hatten sie alle zehn Pferde eingefangen und erst mal in einen Paddock am Stall eingesperrt. Während Ella und Doris die Pferde nach Verletzungen untersuchten, waren Herr Höffer und Harry zur Koppel gefahren, um den Zaun zu kontrollieren und festzustellen, wie das passieren konnte.

Die Pferde waren alle soweit in Ordnung, wenn auch immer noch sehr aufgeregt. Beim Anfassen und Abtasten spürte Ella fast körperlich die Panik. Einige kleine Blessuren wurden mit einem Wundspray desinfiziert. Ella und Doris versorgten die Pferde mit Wasser und Heu und warteten gespannt auf die Rückkehr der beiden Männer. Als Gerald Höffer aus dem Auto stieg, wussten die beiden Frauen gleich, dass etwas nicht stimmte. Vollkommen außer sich berichtete er, dass die Pferde nicht alleine ausgebrochen waren. Irgendjemand hatte das stabile Schloss geknackt und das große Weidetor geöffnet. Nach den Spuren zu urteilen, waren die Pferde herausgetrieben worden.

Fassungslos standen sie alle beieinander.

„Es hilft nichts. Wir müssen sehen, was wir weiter machen.“ Gerald Höffer schaute in die Runde. „Was ist mit den Pferden? Alle in Ordnung, oder brauchen wir noch den Tierarzt?“ Ella schüttelte den Kopf: „Sieht alles gut aus, nur kleine Blessuren. - Morgen werden wir sie alle noch mal anschauen, ob vielleicht das ein oder andere Bein dick wird. Ich werde mit Harry und Doris die Wasserwanne und die Heuraufe zum Paddock schaffen. Dann sind die Pferde erst mal bis morgen versorgt, und du kümmerst dich um die Polizei.“ Gerald Höffer nickte betrübt. „Danke, Ella. Lieb, dass du dich kümmerst. Ich fahre noch mal raus zur Koppel.“

Die Polizei war eingetroffen und hatte mit der Spurensuche begonnen. Nachdem sich die Sabotageakte immer mehr häuften, wurden die Taten inzwischen sehr ernst genommen. Diesmal konnten am Tatort einige Fußspuren sichergestellt werden, jedoch weitere Beweise oder Zeugen gab es nicht.

Herr Höffer war mit den ermittelnden Beamten übereingekommen, die Pferde zunächst nahe am Haus zu behalten. Erst nach einem genauen Kontrollgang um die kleine Koppel durften die Pferde für einige Stunden raus. Der vorhandene Elektrodraht wurde so geschaltet, dass bei einer Stromunterbrechung sofort eine kleine Sirene auf dem Hof ertönen würde.

In den nächsten Tagen blieb alles ruhig.

Ella half den Höffers, wo sie konnte. Bei den jungen Pferden gab es keine Folgeschäden, aber durch die Haltung am Hof erheblich mehr Arbeit.

Die ganze Aufregung im Stall und die angespannte Stimmung blieben auch den Pferden nicht verborgen. Rosiana wurde wieder unruhiger und fraß schlecht. Bei der Arbeit an der Longe verspannte sie sich in der Muskulatur. Ella fand es an der Zeit den Tierarzt zu rufen und sie einmal richtig durchchecken zu lassen.

Am nächsten Tag kam Dr. Behmel sowieso, weil einige Pferde zu impfen waren. Als er auf den Hof fuhr, fing Ella ihn gleich ab. „Hallo Harald, ich habe doch die Stute von Herrn Hempker hier.“ Harald Behmel grinste: „Das verrückte Huhn?“

„Ja, genau. Eigentlich macht sie sich gut. Nach den Aufregungen hier im Stall ist sie allerdings wieder nervöser. Ich habe mit Herrn Hempker abgesprochen, dass du sie einmal gründlich untersuchst und ein großes Blutbild gemacht wird“, Ella lächelte den Arzt an.

„Ob wir an sie heran kommen? Habe sie sehr ungebärdig in Erinnerung“, zweifelte Dr. Behmel.

„Mal sehen. Sie hat wieder mehr Vertrauen gefasst. Lass es uns versuchen!“, Ella war ganz zuversichtlich.

Gemeinsam gingen sie zu Rosiana, die den Tierarzt wirklich mit sehr viel Skepsis betrachtete. Wider Erwarten ließ sie sowohl das Abhören als das Abtasten über sich ergehen. Nur bei der Blutabnahme kam etwas Stress auf, gelang aber auch.

„Na, ging ja“, zufrieden verstaute der Tierarzt die Röhrchen mit dem Blut. „Ich melde mich, wenn die Ergebnisse da sind. Sonst ist sie soweit okay, eben nur total angespannt. Vielleicht ist es wirklich nur die Aufregung der letzten Tage. Viel Spaß bei der Arbeit, wandte er sich an Ella. – „Ist ja wirklich eine Hübsche. Wäre super, wenn du sie in ´Gang` bekommen würdest.“

Ella war froh, dass die Untersuchungen so problemlos geklappt hatten. Vielleicht ergab das Blutbild etwas Neues. Sie glaubte nicht, dass alles nur Nervosität war. In einigen Tagen wussten sie hoffentlich mehr.

Im Laufe der Woche stellte sich im Stall wieder eine gewisse Routine ein. Die Pferde kamen stundenweise auf die Hofkoppel. Die anderen Weiden hatte Gerald Höffer zum Heumachen gemäht.

Bei der Polizei arbeitete man an der Aufklärung der Sabotagen, aber es gab keine neuen Hinweise und so traten die ermittelnden Beamten auf der Stelle.

6

Ella hatte den Besuch bei ihrem Freund Dieter wegen der Ereignisse verschoben, aber heute nachmittag war es soweit. Mit einer großen Tüte Leckerli für die Hundemama, und einem Blumenstrauß, machte sie sich überpünktlich auf den Weg. Es waren doch einige Kilometer über Land zu fahren. Ella genoss den sonnigen Tag und fuhr gemütlich über die Landstraße. Das Getreide stand schon hoch, der Raps war am Ende der Blüte und die Rüben und der Mais waren kräftig gewachsen.

Ella bremste schon vor dem Ortseingangsschild und fuhr langsam in das Dorf hinein. Kurz musste sie sich orientieren. Es war lange her, dass sie damals bei ihrem Schulfreund zu Besuch war. „Ging es nicht gleich die erste Straße links herein?“ Ja, da war tatsächlich immer noch die Tafel für die Bekanntmachungen. Jetzt wusste sie definitiv, dass sie richtig war. Ella setzte den Blinker, bog ab, und nach zweihundert Metern fuhr sie geradeaus auf den Hof der Familie Klaasen. Hier hatte sich doch einiges verändert. Der Hof war total neu gepflastert, Wirtschaftsgebäude waren dazugekommen, und das Wohnhaus sah frisch gestrichen aus. Überall standen Kübel mit Blumen, und vor dem Haus war eine gemütliche Sitzecke eingerichtet. Ella parkte ihr Auto vor der Scheune und stieg aus. Sofort kam Minna bellend aus dem Wohnhaus gerannt. „Hey, Minna, du kennst mich doch“, lachend bückte sich Ella und empfing die Hündin. Minnas Bellen ging über in freudiges Jaulen. Sie stürzte sich überschwänglich auf Ella und ließ sich erst mal ausgiebig streicheln. Gleich hinterher trat Dieter aus der Tür, winkte ihr zu und rief zurück ins Haus: „ Kommt mal, Ella ist da!“

Ella holte den Blumenstrauß und die Leckerlis aus dem Wagen. Minna hopste um sie herum und lief dann ganz schnell zu ihrem Herrchen, als wenn sie Bescheid geben wollte, wen sie Tolles mitbrachte.

Die beiden Freunde nahmen sich in den Arm und lachten: „Herzlich willkommen, Ella. Meine Eltern und Babsi freuen sich schon, dich zu sehen. Mutter hat extra eine ihrer legendären Torten gebacken.“ „Hallo Dieter, danke für den netten Empfang“, Ella schaute sich um: „Bei euch hat sich ja viel getan. Der Hof ist kaum wiederzuerkennen. Aber-“, verschmitzt lächelte sie ihn an, „ich hab den Weg gleich gefunden. Ist doch schon ganz schön lange her, dass ich hier war“. Dieter nickte mit dem Kopf. „Stimmt. Lass uns zum Haus gehen. Da kommen die anderen.“

Ella begrüßte Dieters Eltern und übergab den Blumenstrauß. Auch von Babs, der Freundin von Dieter, wurde sie herzlich begrüßt. „Da lerne ich endlich mal jemanden aus Dieters alter Clique persönlich kennen. Aus Erzählungen weiß ich ja schon einiges.“ Freundlich gaben sich die Frauen die Hände und waren sich auf Anhieb sympathisch. An der Sitzgruppe blieben alle stehen. Wie Dieter schon angekündigt hatte, stand eine große Erdbeersahnetorte in der Mitte des hübsch gedeckten Tisches. „Komm, setz dich“, Dieters Mutter zeigte auf einen Stuhl. „Lasst uns erst mal Kaffee trinken, bevor ihr euch die Hunde anschaut.“

Alle nahmen Platz, Kaffee und Kuchen wurden verteilt. Eine nette Unterhaltung entstand, obwohl Ella nicht so ganz bei der Sache war. Natürlich war sie sehr gespannt auf die Welpen. Nach einer halben Stunde löste Dieters Vater die Kaffeetafel auf: „So, und jetzt geht schon zu den Hunden. Nachdem Ella da schon solche Vorahnungen hatte, ist sie jetzt bestimmt an dem Ergebnis interessiert“. Alle lachten.

„Das war wirklich ein starkes Stück, als uns Dieter davon erzählte“, Babs griente. „Das Gesicht hättest du sehen sollen, als er reinkam und erzählte, das Minna Welpen bekommen hatte.“ Dieter winkte ab: „So schlimm war es ja nun auch wieder nicht. – Ich hole die Racker mal aus dem Zwinger. Am besten gehen wir in den Garten. Geht schon mal voraus.“ Babs und Ella schlenderten zum Garten hinter dem Haus und Dieter marschierte mit Minna los, ihre Welpen zu holen. Dieter hatte den Zwinger extra so umgebaut, dass Minna rein und raus springen konnte über eine Luke, die Welpen aber nicht raus konnten.

Inzwischen waren die Kleinen knapp fünf Wochen alt und eine sehr vergnügte, muntere Truppe. Da sie vorher geschlafen hatten, warteten sie schon ungeduldig auf die Mutter und machten einen gehörigen Spektakel, als Dieter die Tür öffnete. Im Garten angekommen legte sich Minna auch erst mal hin, weil die Kleinen unbedingt trinken wollten. Was für ein idyllisches Bild. Dieter erklärte Ella die Welpen genau: „Es sind zwei Jungs und zwei Mädchen. Der Größte ist ein Rüde. Merkt man jetzt schon, dass er ein Dickkopf ist. Der zweitgrößte ist ein Mädchen und der Sonnenschein. Die ist immer gut drauf und total verspielt. Die dritte ist auch ein Mädchen und ein bisschen schüchtern und der Kleine hier…“, Dieter nahm einen Welpen auf den Arm, „…hat ganz viel Durchsetzungsvermögen. Obwohl er der Kleineste ist, setzt er sich an Mutters Milchbar durch und hat schon prima an Gewicht aufgeholt.“

Ella war entzückt. Die kleinen Hunde musste man mögen. „Kann ich auch mal einen auf den Arm nehmen?“

„Klar - wen willst du denn als Erstes nehmen?“, fragte Dieter. Ella überlegte nicht lange. Das große Mädchen hatte es ihr sofort angetan. Dieter bückte sich und nahm die kleine Hundedame hoch und legte sie Ella in den Arm. Sofort schnüffelte sie an Ellas Hand, versuchte, in den Daumen zu beißen, und hatte alle Lacher auf ihrer Seite.

„Das habe ich nun davon, dass sie nicht weiter bei ´Muttern´ trinken kann“, kommentierte Ella die kleine ´Beißattacke` amüsiert. „Habt ihr noch keine Namen für den Nachwuchs?“, sie schaute Dieter fragend an. „Nö, bis jetzt noch nicht. Eigentlich sollen das die neuen Besitzer machen. Willst du denn einen Welpen haben? Ich stehe zu meinem Wort, einer gehört dir!“ Dieter schaute sie fragend an.

Ella war sich bisher nicht sicher gewesen. Sie war beruflich ja viel unterwegs, und ein Hund müsste dann meistens mitkommen. Andererseits hatte sie schon immer mal mit dem Gedanken gespielt. Doch in das kleine Hundemädchen auf ihrem Arm hatte sie sich sofort verliebt, sodass sie gar nicht anders konnte: „Ja, ich nehme dein Angebot gerne an. Diese Kleine hier hat es mir sofort angetan - und ich habe auch schon einen Namen für sie: Nora soll sie heißen.“

„Na, was meinst du“, Ella schaute zu der kleinen Hündin auf ihrem Arm. „Nora ist der richtige Name für dich, oder?“ Wie zur Bestätigung biss Nora noch mal, so kräftig sie konnte, in Ellas Daumen.

Dieter nahm Ella spontan in den Arm. „Ich freue mich für dich, aber natürlich auch für Nora. Ihr werdet sicher ein Super-Paar.“

Auch alle anderen gratulierten Ella.

Babs rannte zurück ins Haus und kam mit einer Flasche Sekt zurück. Ella setzte Nora zurück zu ihrer Mutter, und alle stießen auf die neue Hundebesitzerin an. Das Gespräch drehte sich natürlich weiter um die Hundewelpen. Dieter hatte aus der Nachbarschaft noch einen Freund, der sich für den großen Rüden interessierte, und auch für den zweiten gab es schon Interessenten. Das sich Ella gerade für Nora entschieden hatte, war ein toller Zufall. Babs und er hatten nämlich überlegt, auch einen Welpen aus dem Wurf zu behalten und dabei mit der kleinen, etwas schüchternen Hundedame geliebäugelt. Besser hätte es also nicht laufen können. Ella ging zu Minna und ihren Welpen und streichelte die Hündin. „Na, bist du mit meiner Wahl zufrieden?“ Minna schleckte ihr über die Hand. Ella spürte ihre innere Zufriedenheit und Ruhe. Es würden ja noch mindestens vier Wochen ins Land gehen, ehe die Kleinen zu ihren neuen Besitzern wechseln konnten.

Es war Zeit aufzubrechen. Alle verabschiedeten sich fröhlich. Ella versprach, oft zu Besuch zu kommen. Natürlich wollte sie die Kleinen aufwachsen sehen. In wenigen Wochen hatte sie einen Hund! Auf dem Weg zum Auto musste sie tief durchatmen. Doch, es war ein gutes Gefühl - alles richtig gemacht!

7

Wieder gingen mehrere Tage ins Land. Inzwischen hatte die Heuernte begonnen. Wenn Ella morgens zum Stall fuhr, kam sie an den frisch gemähten Wiesen vorbei, die so herrlich dufteten.

Bei den Höffers gab es dieses Jahr besonders viel Heu zu bergen, da die Reitpferde nur auf den Paddocks oder der nahen Hofkoppel standen. Das Risiko, dass an den Zäunen noch mal manipuliert werden könnte, war Gerald Höffer zu groß. Deshalb hatte er die Jungpferde zu einem befreundeten Landwirt gebracht.

Drei Pferdebesitzer hatten inzwischen aus Angst den Stall mit ihren Pferden verlassen. Sie wollten ihre Pferde lieber im Sommer „auf Koppel“ stehen haben.

Heute Morgen sollte der Tierarzt in den Stall kommen. Ella war schon ganz gespannt. Bestimmt lagen die Ergebnisse von Rosianas Blutprobe vor.

Nicht ganz so konzentriert ging sie ihrer Arbeit nach, longierte Rosiana und zwei ältere Ausbildungspferde, bis sie endlich das Auto vom Tierarzt auf den Hof fahren hörte.

Rasch stellte sie den Besen weg und lief ihm entgegen. „Hallo Doc, hab schon auf dich gewartet“, begrüßte sie ihn schon von Weitem. Dr. Behmel winkte zurück und ließ die Autotür zufallen. „Hallo Ella, scheint dir ja wirklich viel an der Stute zu liegen, dass du mich gleich abfängst.“ Mit einem lang gezogenen „Also…“, spannte er Ella noch ein bisschen auf die Folter.„… was wir unbedingt noch mal machen müssen, ist eine spezielle Wurmkur. Außerdem hat sie mit Sicherheit Magengeschwüre. Ich denke wir machen keine Magenspiegelung, sondern behandeln sie gleich mit dem entsprechenden Medikament. Sollten wir keinen Erfolg haben, können wir immer noch weitere Diagnostik betreiben.“

Ella war erleichtert. Endlich war klar, was Rosiana fehlte. Sie hatte ja immer vermutet, dass die Stute nicht ganz in Ordnung war, hatte es fast körperlich gespürt. „Ansonsten sind die Werte alle im Normbereich.“ Harald öffnete die Kofferraumklappe seines Kombis und verschwand halb im Wagen. „Irgendwo müssen die Tabletten doch sein. Meine Damen in der Praxis haben sie auf jeden Fall eingepackt – da, na bitte!“, triumphierend hielt er die Packung mit den Magentabletten hoch. „Das einzige Problem könnte noch die Verabreichung sein. Meistens fressen sie die Tabletten nicht mit dem Futter mit. Am besten steckst du sie in Apfel- oder Bananenstücke, oder machst sie klein und mischst sie in Reformhafer oder Mash. Probier`s aus.“

Ella nahm die Tabletten. „Mal sehen, wie ich es schaffe. Wie viele muss sie denn bekommen?“ „Ach ja, 12 Tabletten. Am besten fängst du heute noch damit an und gibst sie mindestens zwei Stunden vor oder nach dem Kraftfutter und dann immer morgens auf nüchternen Magen.“ Dr. Behmel schaute etwas skeptisch. „Ich weiß, etwas kompliziert. Schau halt, wie du es überhaupt organisiert bekommst.“ Ella nickte und war in Gedanken schon dabei. Sie wusste, dass Rosiana ein spezielles Müsli sehr gerne fraß. Heute nachmittag war der erste Versuch. Sie würde die Tabletten kleindrücken und in das angefeuchtete Futter mischen. Ella packte die Tabletten in ihren Schrank und begleitete den Tierarzt noch zu den Stuten. Bei zwei der Damen sollte heute eine Trächtigkeitsuntersuchung gemacht werden. Auf dem Weg erzählte Ella ihm, dass sie bald einen Hund haben würde, und schwärmte in den höchsten Tönen von der kleinen Nora.

Dr. Behmel lachte. „Das wird bestimmt ein Super-Hund. Find ich aber gut. Irgendwie gehört auch ein Hund an deine Seite. Wie bist du denn dazu gekommen?“

Ella erzählte ihm die ganze Geschichte und Harald Behmel schüttelte zum Schluss bedenklich tuend den Kopf: „Du wirst doch nicht etwa hellseherische Fähigkeiten haben?“

„Quatsch“, Ella schüttelte energisch den Kopf. „Das war einfach so ein Gefühl, weiter nichts.“

Inzwischen war Gisela Höffer aus dem Haus gekommen, um dem Tierarzt bei den Untersuchungen zu helfen, und Ella verabschiedete sich. Sie hatte noch mehrere Stunden Unterricht zu geben und nachher wollte sie wieder hier sein, um Rosiana die Tabletten zu verabreichen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752133998
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Februar)
Schlagworte
Pferde Spannung Liebe Mystik Hunde Fantasy Liebesroman

Autor

  • Gabriela Köhler (Autor:in)

Jahrgang 1958, geboren in Berlin, verheiratet, heute selbstständig mit einem Ausbildungs- und Pensionsstall für Pferde in Sachsen-Anhalt
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Titel: Ella: Der Anfang