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Berlin nach der Jahrtausendwende: Rothe wird Weltmeister

von Tscharlie Häusler (Autor:in)
28 Seiten

Zusammenfassung

Rothe on the Road again. Neue Geschichte – Neues Glück? Rothe wird Weltmeister. Die neueste Geschichte der Irrungen, Wirrungen und Amouren eines Singles namens Rothe. Es beschreibt in unterhaltsamer, humorvoller Form eine typische Berliner Existenz als Randfigur diverser Subkulturen. Authentisch werden bekannte und unbekannte Örtlichkeiten, Szenekneipen, aber auch skurrile, witzige und einfache Personen aus dem Umfeld des Protagonisten beschrieben. Die Geschichten können einzeln oder im Gesamtkontext verstanden und genossen werden. Aufgrund der milieugetreuen Schilderung Berliner Verhältnisse sind die Geschichten sowohl für Berliner aber auch für Besucher der Stadt mit einem großen Wiedererkennungswert verbunden. Sie werden bei der Lektüre mindestens schmunzeln, wenn nicht auch manchmal lauthals lachen. Natürlich werden Sie sich in diesen Figuren auf keinen Fall wieder erkennen, oder etwa doch?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Rothe wird Weltmeister

Auf eines konnte sich Rothe hundertprozentig verlassen.

Auch wenn er zwei Jahre nichts von Kutte gehört hatte, sobald Fußballweltmeisterschaft oder Fußballeuropameisterschaft war kam todsicher die verhängnisvolle SMS!

So auch diesmal:

rothe!…..morgen!…eröffnung!.. bei kalle in der sports-bar! rechnung geht wie immer auf mich!“

Daran wäre ja auch nun wirklich nichts auszusetzen gewesen, aber hatte man zum Eröffnungsspiel zugesagt ging Kutte wie selbstverständlich davon aus, dass man von nun an jedes (!), das hieß, wirklich JEDES Spiel mit ihm anzuschauen hatte. Er nahm sich bei einem derartigen Event regelmäßig eine Büroauszeit, was er sich anscheinend erlauben konnte. Verzweifelte Anrufe seiner Angestellten aus der Kanzlei ignorierte er souverän. Während einer Welt- oder Europameisterschaft mit der deutschen Fußballnationalmannschaft weigerte er sich eisern auch nur einen einzigen Termin anzunehmen, selbst wenn ein äußerst lukratives Mandat gewunken hätte. Diesbezüglich war er konsequent.

Kutte schätzte Rothe als sachkundigen Fußballgesprächspartner und dieser wiederum wusste was auf ihn zukam als er dem Treffen zusagte, denn Rothe schätzte Kutte vor allem als sachkundigen Unterhalter. Nun würde wohl in den nächsten Wochen Ausnahmezustand herrschen, auch für Rothe. Er war Fußballfan und mit Kutte wurde es auch beim ödesten Kick wenigstens nicht langweilig.

Da konnte er sich sicher sein!

Kutte verstand Feste zu feiern und derartige Ereignisse zu zelebrieren! Selbst das sturzlangweilige 2:1 der Elfenbeinküste gegen Japan, welches Morgens um 3 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit übertragen wurde, sollte mit Kutte zu einem Ereigniss werden, denn er hatte, um seine Gäste bei Laune zu halte, jede Menge Mädchen aus dem Milieu eingeladen. Das fand Rothe, der eigentlich kein Faible für dieses Milieu hatte, dann doch recht angenehm und er hielt bis zum Schluss bei Bier, Jägermeister und entsprechender Animation durch. Da Kutte seine Einladungspolitik recht großzügig handhabte, weilten immer auch reichlich zweifelhafte Gestalten bei derartigen Anlässen. Kutte war Strafverteidiger und pflegte mitunter einen recht anrüchigen Umgang mit seinen Klienten aus der Russenmafia und dem Rotlichtmilieu. Immerhin hatte es den Vorteil, dass Kutte nur einen seiner Mandanten anzurufen brauchte und für die Animation war gesorgt. Trotzdem waren Rothe diese Leute von je her eher suspekt und vor allem hatten sie keinerlei Ahnung von Fußball, was sie allerdings nicht davon abhielt am lautesten von Allen zu grölen sobald das Spiel lief. Ihre Zwischenrufe waren alles andere als von Sachverstand gekrönt.

Es waren Autoschieber, Schutzgelderpresser und Puffbesitzer dabei. Sie kamen aus Russland, Polen oder waren im Libanon geboren und wegen Körperverletzung, Einbruch, Diebstahl, Raub, Betrug oder Zuhälterei vorbestraft. Ihre Zwischenrufe und Flüche bezogen sich meist auf das „Plattmachen“ irgendwelcher Gegenspieler oder des Schiedsrichters, die normalerweise mit nicht wiedergebbaren Schimpfnamen belegt wurden. Bei der deutschen Nationalhymne standen sie jedoch alle in Reih und Glied und drückten ihre Handfläche brav auf die linken Brustseite, wo ihr „patriotisches“ Herz schlug. Überkompensation nannte man das wohl in der Individualpsychologie.

Rothe hatte mit ihnen und Kutte schon elf Spiele angeschaut als es endlich zu einem Spiel der deutschen Nationalmannschaft kam. Kuttes Freunde grölten die Nationalhymne lauthals mit, ohne sonderlich textsicher zu sein. Aber das war ihnen anscheinend egal.

Die Lautstärke war eindrucksvoll, fiel aber auch nicht sonderlich auf, denn in der Sports-Bar im nichttouristischen Teil des Prenzlbergs tummelte sich zu Rothes Leidwesen das eher nationalgesinnte Publikum.

Eigentlich schaute Rothe solche Spiele lieber im multikulturellen Kreuzberg an, denn dort war die Stimmung lustiger, weniger aggressiv und vor allem nicht vollkommen einseitig. Ein Ortswechsel war aber mit Kutte, der unter seinesgleichen bleiben wollte, nicht zu machen. Rothe fügte sich, denn Freibier und Jägermeister waren schließlich auch nicht zu verachten und – wie gesagt – lustig war es allemal.

Kutte, der sein Deutschlandtrikot während eines solchen Turniers nie wusch, stand in derselben Hand–aufs–Herz-Haltung neben seinen Klienten. Sah man davon ab, dass er die verpönte erste Strophe des Liedes sang, konnte man wohlwollend konstatieren, dass zumindest er textsicher war.

Der Fauxpas mit der Strophe war wohl seinem in diesem Moment überschäumendem Nationalgefühl geschuldet, auch wenn sich Rothe diesbezüglich nicht ganz so sicher war. Kuttes politische Ansichten blieben diffus. Aus einer eher alternativen Familie stammend war er schon frühzeitig der CDU beigetreten und pflegte Bekanntschaften zu politisch eher zweifelhaften Personen.

Rothe saß während der Nationalhymne peinlich berührt, schweigend daneben und blickte mit finsterer, resignierter Miene auf den Tisch. Er trug natürlich kein Deutschlandtrikot.

Ihm war das alles momentan sehr peinlich.

Früher, ja früher hatte er auch ein derartiges Trikot getragen. Früher war es aber noch nicht en vogue gewesen dies zu tun und Rothe freute sich noch ob der Aufmerksamkeit, die er damals dadurch erreichen konnte. Passanten schüttelten verwundert den Kopf und von seinen Freunden wurde er einst deshalb eher leicht verächtlich angeschaut. Aufstehen während der Nationalhymne wäre geradewegs ein Affront gewesen, damals. Aber seine engeren Freunde interessierten sich in jener Zeit nicht die Bohne für Fußball, genauso wenig wie die meisten der jetzt grölenden Eventfans, die inzwischen zu tausenden mit Deutschlandtrikot, Deutschlandfahne, Deutschlandhut und Deutschlandtröte durch die Gegend wandelten.

Grafik 1

Rothes Freunde, inzwischen auch in schwarzweißen Trikots gewandet, schüttelten mittlerweile verwundert den Kopf ob Rothes trotziger Trikotverweigerung. Sie konnten in keinster Weise verstehen, dass Rothe diesem „gesunden Patriotismus“ mit einiger Skepsis gegenüberstand. Sie waren jedenfalls inzwischen alle ziemlich patriotisch gesinnt und selbstverständlich absolute „Fußballexperten“. Rothe hatte schon deshalb keine Lust mit ihnen und ihren Angetrauten die Spiele zu gucken. Dies führte zwar zu Irritationen, aber Rothe hatte keinen Bock auf diese „Mittelschichtspatrioten“.

Da war ihm Kutte schon lieber, dem man diesbezüglich wirklich nicht vorwerfen konnte ein „Wendehals“ zu sein, denn er pflegte schon immer einen „gesunder Patriotismus“.

So also wieder Sports-Bar auch wenn es mitunter ziemlich anstrengend war, wenn ihm vollkommen fußballunkundige Gestalten mit einer Deutschlandfahne vor der Nase herumwedelten und von Fußballunverstand geprägte Kommentare absonderten.

Grafik 3

Im Jahre 2006 war alles anders geworden. Fußballweltmeisterschaft in Deutschland und alle spielten verrückt. Plötzlich fuhr Jeder mit Deutschlandfähnchen an den Autos herum und zig Millionen Nationalmannschafttrikots wurden verkauft. Rothe war das damals zu viel geworden und er hatte sein Trikot schon während dieser Deutschlandhysterie weggeschlossen um es nie mehr aus den hintersten Winkeln des Kleiderschrankes herauszuholen. Dort sollte es auch in Zukunft bleiben.

Doch nun war WM 2014 in Brasilien, dem Mutterland des Fußballs!

Rothe war – wenn sein patriotisches Herz nicht zu stark schlug – eigentlich immer Brasilienfan gewesen. Die spielten meistens einfach den schönsten Fußball, fand zumindest Rothe. Er hatte kurz mit dem Gedanken geliebäugelt während der WM ein brasilianisches Trikot anzuziehen, diesen Gedanken aber dann doch als unausgegoren verworfen. Man wusste ja nie inwieweit Kuttes körperverletzende Kumpels darauf reagieren würden.

Das 1982er Team aus Brasilien, um die wunderbaren Fußballer Socrates, Falcao und Zico, war sein absolutes Lieblingsteam gewesen, bevor es unglücklich und ungerecht gegen die vermaledeiten Italiener ausschied. In seiner Brust gab es immer noch einen leichten Stich voller Wehmut und Schmerz als er daran dachte. Zu allem Unglück wurde damals Italien gegen rumpelfußballende Deutsche auch noch Weltmeister

Ungerecht!

Jahrzehntelang sollten sich die brasilianischen Teams von dieser Schmach nicht mehr erholen, während Italiener und Deutsche weiterhin Rumpelfußball zelebrierten. Seit dem 3:4 in der Verlängerung 1970 im Aztekenstadion in Mexiko-City war Italien bei derartigen Turnieren immer wieder Endstation für die deutsche Nationalmannschaft gewesen und dementsprechend gefürchtet. 2006 war das junge, erfrischend aufspielende deutsche Team gegen alte, abgezockte Italiener im Halbfinale in der Verlängerung ausgeschieden.

Italien wurde dann nach dem Kopfstoß des genialen Zinedine Zidane und der anschließenden roten Karte ungerechterweise Weltmeister. Rothe musste danach miterleben wie betrunkene, aber fröhlich singende, junge italienischstämmige Kreuzbergerinnen durch die Oranienstraße wankten und: „Seht ihr Deutschland, so wird es gemacht!“, grölten.

Ungerecht! Im Gegensatz zu heute fand er das damals allerdings nicht wirklich lustig.

Rothe mochte zwar das Land, aber fußballspielende Italiener waren ihm spätestens seitdem ein Graus und es war ihm eine große Freude als sie diesmal gegen Costa Rica und Uruguay früh ausschieden. So waren sie jedenfalls keine Gefahr mehr für die toll aufspielende junge deutsche Mannschaft.

Rothe konnte jedenfalls seine klammheimliche Freude nicht verhehlen, als der geniale „Uru“ Suarez seinen italienischen Gegenspieler in die Schulter biss, auch wenn das gemeinhin als sportlich unfairster Eklat der WM-Geschichte angesehen wurde.

Natürlich sah er auch diese Spiele zusammen mit Kutte und dessen Freunde. Allerdings war Kuttes Freundeskreis bei derartigen Spielen sehr dezimiert. Spielte nämlich keine deutsche Mannschaft waren Kuttes Kumpels erstaunlich unwillig ein Spiel anzuschauen.

Es waren eben Fußballbanausen.

Nun aber war es aber endlich soweit. Das erste Spiel der Deutschen gegen Portugals eitlen Fatzke Cristiano Ronaldo. Kuttes fahnenschwenkende Klienten waren selbstverständlich vollständig anwesend.

Es muss ein tolles Spiel gewesen sein, doch Rothe konnte sich am nächsten Tag nur noch daran erinnern, dass er nach dem Spiel Arm in Arm mit Kutte durch die Straße zog und beide lallend skandierten: „Es gibt nur ein Rudi Müller! Es gibt nur ein Ruuuuudi Müller!“

Zwar war das mit dem Namen nicht so ganz korrekt, aber wohl den unzähligen Jägermeistern geschuldet.

Außerdem reimte es sich … irgendwie.

An viel mehr konnte sich Rothe nicht mehr erinnern.

Als er sich am nächsten Tag die Tore sicherheitshalber nochmal im Internet anschaute, erinnerte er sich nebulös.

Großartig!

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739393834
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (August)
Schlagworte
Kiez Amouren Berlin Hauptstadt Sex Schelm Bohème Alkohol 21. Jahrhundert Kreuzberg Erotik

Autor

  • Tscharlie Häusler (Autor:in)

Tscharlie Häusler, geboren in Bayern. Studium der Rechtswissenschaften. Promotion. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität und im Bundestag beschäftigt. Lebt als Autor in Berlin.
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Titel: Berlin nach der Jahrtausendwende: Rothe wird Weltmeister