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Berlin um die Jahrtausendwende: Vanillehörnchen

von Tscharlie Häusler (Autor:in)
15 Seiten

Zusammenfassung

Die zweite von vierzehn Geschichten der Irrungen, Wirrungen und Amouren eines Singles namens Rothe. Es beschreibt in unterhaltsamer, humorvoller Form eine typische Berliner Existenz als Randfigur diverser Subkulturen. Authentisch werden bekannte und unbekannte Örtlichkeiten, Szenekneipen, aber auch skurrile, witzige und einfache Personen aus dem Umfeld des Protagonisten beschrieben. Die Geschichten können einzeln oder im Gesamtkontext verstanden und genossen werden. Aufgrund der milieugetreuen Schilderung Berliner Verhältnisse sind die Geschichten sowohl für Berliner aber auch für Besucher der Stadt mit einem großen Wiedererkennungswert verbunden. Sie werden bei der Lektüre mindestens schmunzeln, wenn nicht auch manchmal lauthals lachen. Natürlich werden Sie sich in diesen Figuren auf keinen Fall wieder erkennen, oder etwa doch?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Februar

Rothe und die verspätete Weihnachtsfete

Daniel, ein alter Studienkollege, in dessen Kanzlei Rothe auch mal gearbeitet hatte, feierte jedes Jahr seine legendäre Weihnachtsparty. Geladen waren eine Menge guter Klienten und Freunde.

Rothe gehörte zur Kategorie Freunde.

Beide waren während der Studienzeit häufig auf Kneipentour und am Wochenende zum Fußballschauen im Olympiastadion gewesen. Daniel trug zu diesen Anlässen immer eine Kutte von Herta BSC, weshalb Daniel von Rothe auf den Namen „Kutte“ getauft wurde. Rothe stand der Hertha höchst reserviert gegenüber. Kutte war dagegen ein eingefleischter Fan dieses nicht gerade sympathischen Vereins und trug das zumeist nach Bier miefende Kleidungsstück nach Siegen auch in den Montagsvorlesungen. Mitsamt seiner Schultheiss-Tätowierung auf der linken Schulter, die er im Sommer in seinen Muskel-Shirts immer sehr gern der Öffentlichkeit preisgab, brachte ihm dies den Ruf eines eher prolligen Kommilitonen ein.

Bei einigen Studienkolleginnen hatte er zu Rothes Leidwesen mit dieser Masche beste Erfolge verbuchen können. Zumindest weitaus bessere als Rothe selbst, der viel über Frauenemanzipation gelesen hatte und damals noch dachte, der softe Frauenversteher wäre angesagt. Dieses unsäglich blöde Missverständnis hatte ihn mit Sicherheit um einige der schönsten Studiensemester gebracht und wurmte ihn noch immer mächtig. Kutte dagegen konnte sich diesbezüglich nichts vorwerfen. Soweit sich Rothe erinnern konnte, hatte er kaum etwas ausgelassen.

Trotz seines Auftretens war Kutte eigentlich genau das Gegenteil eines Proleten. Er kam aus sehr bürgerlichen Verhältnissen. Beide Eltern waren praktizierende und wohlhabende Ärzte in Schwäbisch-Hall. Sein Äußeres war wohl eher eine Art des Protestes und der Abgrenzung, eine Auflehnung gegen das schwäbisch-pietistische Elternhaus. Aber das war inzwischen nicht mehr wichtig. Jetzt trug er meistens Zweireiher und Krawatte und seine Eltern waren stolz auf den Sohn mit der erfolgreichen Anwaltskanzlei.

Rothe und Kutte waren gute Freunde, auch wenn sie sich inzwischen weitgehend aus den Augen verloren hatten. Ihre Freundeskreise und Interessen waren schlicht zu unterschiedlich. Trotzdem konnte selbst Rothes kurzzeitige Verpflichtung in Kuttes Kanzlei dieser Männerfreundschaft nichts anhaben. Sie hatten das Engagement im „beiderseitigen Einvernehmen“ beendet, nachdem es zu größeren und lautstarken Unstimmigkeiten über das von Rothe zu betreuende Klientel kam.

Kutte war Strafverteidiger und seine Kundenkartei bestand fast ausschließlich aus Kleinkriminellen und Leuten aus dem Rotlichtmilieu. Rothe hatte damals schwere moralische Bedenken, manchen dieser mitunter schweren Jungs genau so entgegenzutreten, wie Kutte es tat. Der war da ganz anderer Ansicht. Er wollte, dass Rothe, der sehr viel Wert auf den nötigen Abstand zu den Mandanten legte, es ihm gleich tut. Kutte behandelte seine Klienten wie seine besten Kumpels und tat auch alles, damit sie ihre meistens überaus verdienten Strafen nicht antreten mussten, was ihm sehr häufig gelang. Er war ein ziemlich guter Strafverteidiger, Rothe eher nicht.

Kuttes Mandanten fühlten sich bei ihm bestens aufgehoben und nach den Beratungsgesprächen immer im Recht mit dem, was sie taten und und tun werden. Das war ein nicht unwesentliches Kriterium seines Erfolges, den er mit seiner Kanzlei verzeichnete. Inzwischen verfügte er über fünf Angestellte und reichlich Mandanten aus dem Milieu.

Ein weiteres Geheimnis des Gedeihens seiner Kanzlei war sicherlich auch seine berühmt-berüchtigte Weihnachtsfete, die normalerweise Mitte Dezember stattfand, dieses Mal aber wegen eines „Unfalls“ verschoben werden musste. Kutte hatte sich bei einer Schlägerei einen komplizierten Nasenbeinbruch zugezogen. Auslöser der Auseinandersetzung war eine, ihm zu diesem Zeitpunkt sehr nahe stehende, moldawische Prostituierte. Er fühlte sich oft auch im privaten Bereich dem Milieu verbunden und rekrutierte seine häufig wechselnden Freundinnen üblicherweise von dort. Immer wieder geriet er dadurch in heftige Schwierigkeiten, stand aber unter Patronage einiger Kiezgrößen, die er verteidigte und kam deshalb meist glimpflich davon.

Diesmal hatte ihm das jedoch nichts geholfen.

Einer der früheren Kunden seiner momentanen Begleiterin hatte sich abfällig über deren Fähigkeiten geäußert. Kutte meinte daraufhin - im schon angetrunkenen Zustand - ihren Rächer spielen zu müssen und stellte den Ex-Kunden zur Rede. Was Kutte nicht wusste: Sein Gegenüber war eine im Milieu durchaus bekannte Größe und kam gerade frisch wegen einiger Gewalttätigkeiten, bei denen es sich keinesfalls um Bagatellen gehandelt haben konnte, aus der Justizvollzugsanstalt Tegel. Das erfuhr Kutte aber erst später.

Es ging alles sehr schnell. Einige gezielte Schläge und Kutte lag hilflos und stark blutend am Boden seines bevorzugten Table-Dance-Clubs. Zwar zeigte Kutte in seinem Freundeskreis gerne, ohne Scheu und mit unverhohlenem Stolz seine Trophäen, zwei blaue Augen und die gebrochene Nase, seiner Klientel wollte er so allerdings nicht unbedingt gegenübertreten. Es könne seiner Autorität schaden, meinte er. Warum er dieser Ansicht war, verstand Rothe nicht, denn in seinem Mandantenstamm, waren solche Blessuren wohl eher als Auszeichnung anzusehen.

Da der Heilungsprozess mehrere Wochen in Anspruch nahm, hatte er seine Weihnachtsfete daher auf Anfang Februar verschoben.

Das Besondere an seiner Fete war, dass sie immer in einem Sadomaso-Club stattfanden. Neben den aus seiner schwäbischen Heimat kommenden, oft eher spießigen Freunden handelte sich es sich beim Rest der Feiernden um Kuttes kleinkriminelle Mandanten und um Gestalten aus der SM-Szene, die aus dem Porno- beziehungsweise Rotlichtmilieu rekrutiert wurden. Kundenbindung nennt man das.

Der Sadomaso-Club lag im Bezirk Neukölln, nicht weit von Kuttes Kanzlei entfernt, in der Nähe vom Hermannplatz. Rothe kannte die Örtlichkeiten noch vom letzten Jahr und war mit dem 129er-Bus gekommen. Dunkel und unwirklich erschien ihm dieser Ort. Die Gegend um den Herrmannplatz rief in ihm, vor allem in der Dunkelheit, immer ein gewisses Unbehagen hervor, nachdem er hier vor einigen Jahren von einer Jugendgang aggressiv angegangen worden war. Damals war es glimpflich ausgegangen, da sich Kutte in der Nähe aufhielt und eines der Kids als seinen Klienten erkannte. Trotzdem war Rothe nicht gerne hier. Neukölln war ziemlich heruntergekommen und sehr berüchtigt, was die Kriminalitätsrate betraf. Er ging daher schnellen Schrittes und beschloss, auf dem Rückweg auf jeden Fall vorsichtshalber ein Taxi zu nehmen.

Das Haus, in dessen Hinterhof sich der Club befand, war nicht sonderlich weit von der Bushaltestelle entfernt. Keine fünf Minuten später stand Rothe vor dem imposanten, stuckverzierten Altbau. Er musste dreimal bei S. Meyer klingeln. Dann wurde er von einer Dame in Lederlook, die trotz der Kälte äußerst freizügig bekleidet war, abgeholt. Sie durchliefen den Hinterhof, der mit vielen Statuen und Kunstwerken geschmückt war, bis zu einem bemerkenswert gut ausgebauter Schuppen mit Vordach. Der Eigentümer hatte sich erstaunlich viel Mühe gegeben, einen originellen Platz zum Ausleben von Fantasien zu schaffen.

Die Remise für die Orgien bestand aus drei Ebenen.

Im Keller, der eher einem Verließ glich und in den man mittels einer Leiter klettern konnte, befanden sich eine Reihe von Folterinstrumenten. Vorhanden waren Pranger, Liebesschaukeln und alle möglichen Geräte, mit denen man Sachen anstellen konnte, über die Rothe aber lieber gar nicht nachzudenken wagte. Zu später Stunde war es zwar unvermeidlich, mit ansehen zu müssen, wie sich andere damit verlustierten, er selbst konnte sich für derlei Praktiken jedoch nicht erwärmen.

Im Erdgeschoss befand sich der eigentliche Partyraum mit Theke, Büfett und einer Tanzfläche. Es sah dort aus wie in einem kleinbürgerlichen Partykeller. Lediglich das halbnackte Thekenpersonal, ein Großteil der schrillen Gäste und der übergroße Phallus, der von der Decke hing, ließen einen gewahr werden, dass hier keine Kindergeburtstage gefeiert wurden.

Im Obergeschoss befand sich ein so genannter Chill-Out-Raum mit diversen Liegemöglichkeiten. Die auf den Tischen herumliegenden Präservative ließen erahnen, wofür der Raum sonst noch genutzt werden konnte. Es bestand sogar die Möglichkeit, sich mittels eines Vorhangs einen kleinen privaten Bereich zu verschaffen. Das war aber bei den mehrheitlich eher exhibitionistisch veranlagten Partygästen eher verpönt.

Als Rothe den Partyraum betrat, wurde er überschwänglich von Kutte begrüßt, der überaus festlich gekleidet war. Er trug nicht wie üblich seinen Zweireiher, sondern war ganz in schwarzem Leder gekleidet: Lederjacke, Lederhose, mit silbernen Nieten besetzter Ledergürtel. Dazu trug er – wie es sich für einen Anwalt gehört – eine dünne schwarze Lederkrawatte auf nackter Brust. Eine schwarze Lederkappe krönte das Outfit. Mit Brusthaartoupet und Schnauzer hätte er durchaus mit den Village People auf Tour gehen können.

„Wie siehst Du denn aus?“, fragte er Rothe ganz erstaunt.

Rothe, der im Winter normalerweise – im Gegensatz zu Kutte – Ledersachen trug, hatte eine stinknormale Jeans an.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739440262
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Single Berlin Hauptstadt Sex Kurzgeschichten Kneipen Drogen Alkohol Szene Kreuzberg Erzählungen Erotik

Autor

  • Tscharlie Häusler (Autor:in)

Tscharlie Häusler, geboren in Franken. Studium der Rechtswissenschaften. Promotion. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität und im Bundestag beschäftigt. Lebt als Autor in Berlin.
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Titel: Berlin um die Jahrtausendwende: Vanillehörnchen