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Berlin um die Jahrtausendwende: Rothe macht Urlaub

von Tscharlie Häusler (Autor:in)
15 Seiten

Zusammenfassung

Die elfte von vierzehn Geschichten der Irrungen, Wirrungen und Amouren eines Singles namens Rothe. Es beschreibt in unterhaltsamer, humorvoller Form eine typische Berliner Existenz als Randfigur diverser Subkulturen. Authentisch werden bekannte und unbekannte Örtlichkeiten, Szenekneipen, aber auch skurrile, witzige und einfache Personen aus dem Umfeld des Protagonisten beschrieben. Die Geschichten können einzeln oder im Gesamtkontext verstanden und genossen werden. Aufgrund der milieugetreuen Schilderung Berliner Verhältnisse sind die Geschichten sowohl für Berliner aber auch für Besucher der Stadt mit einem großen Wiedererkennungswert verbunden. Sie werden bei der Lektüre mindestens schmunzeln, wenn nicht auch manchmal lauthals lachen. Natürlich werden Sie sich in diesen Figuren auf keinen Fall wieder erkennen, oder etwa doch?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


November

Rothe macht Urlaub

Gefühlte zweistellige Minusgrade bereits im November. Rothe war es entschieden zu kalt geworden. Er wollte nur noch weg! Noch dazu steckte Rothe mitten in einer fetten „Novemberdepression“. Gerade als er geglaubt hatte den „Oktoberblues“ endgültig überwunden zu haben, waren Zeitumstellung, Wetter und das fehlende Tageslicht wie jedes Jahr die Auslöser gewesen.

Billige Flüge für Kurzentschlossene gab es jedoch zuhauf. Er entschied sich für Kuba, das Land voller Musik, voller stolzer alter Männer, voller wunderhübscher temperamentvoller Frauen.

Ja, auch Rothe hatte die Filme gesehen und reihte sich ein in den Strom der erlebnishungrigen, deutschen Touristen auf dem Weg in die Karibik. Sonne, Salsa, Son und ein bisschen Revolution: Buena-Vista-Social-Club-Romantik. Das war es, was er brauchte! Das war das Einzige, was gegen eine „Novemberdepression“ helfen konnte!

Havanna hieß das Ziel. Die Stadt, in die - hoch zu Ross - einst ein siegreicher, strahlender Che Guevara einritt.

Fast 20 Stunden Flug, mit Einchecken und Umsteigen lagen hinter ihm, als er endlich am Flughafen von Havanna angekommen war. Nach den umständlichen Einreiseformalitäten und der quälend langsamen Gepäckausgabe nahm sich Rothe ein Taxi. Vom Flughafen ins Zentrum: 20 Dollar. „Stolzer Preis“, murmelte Rothe, als er die Scheine zückte.

Der Taxifahrer brachte ihn zu einer seiner Bekannten, die ein freies Zimmer zu vermieten hatte. Kubanische Taxifahrer brachten einen immer zu einer Bekannten, die immer ein Zimmer zu vermieten hatten. Das war das – etwas außerhalb der Legalität liegende – kubanische Zimmervermittlungssystem. Die Übernachtung war wegen der Kommission für den zimmervermittelnden Taxifahrer gewöhnlich um etwa fünf Dollar teurer. Jeder wollte seinen Anteil an den nicht versiegenden Touristendollars haben. Aber das war Rothe egal. Er brauchte einfach auf die Schnelle eine Bleibe. Er war nach dem Flug hundemüde und hatte absolut keine Lust, lange nach einem preiswerteren Zimmer zu suchen.

Die vom Taxifahrer empfohlene, auf einem kleinen Hügel gelegene Unterkunft war ausgesprochen nett und hätte so auch in einem Berliner Vorort existieren können. Eine kubanische Doppelhaushälfte sozusagen.

Der Taxifahrer hatte seine Bekannte herausgeklopft. Sie war ihm auf Anhieb sympathisch und zeigte ihm die Unterkunft. Rothe sah sich um und war erstaunt: großes Wohnzimmer mit Blick über die Stadt auf das Meer. Küche, Bad, gleich zwei Schlafzimmer und das alles für gerade mal 20 Dollar. Was für europäische Verhältnisse nicht allzu teuer, angesichts eines durchschnittlichen kubanischen Monatsverdiensts von 15 Dollar, aber auch nicht wenig war. Für längeres Gefeilsche war jetzt nicht der Moment. Rothe schlug ein, Vermieterin und Taxifahrer blickten sich zufrieden an und ließen ihn in Ruhe auspacken. „Hier kann man es einige Tage aushalten“, da war er sich sicher.

Amparo, die freundlich lächelnde Vermieterin, war eine etwas übergewichtige, leicht verblühte Frau, die offensichtlich von den Vermietungen lebte. Rothe schätzte sie auf ungefähr 35. Er glaubte, bei ihr asiatische, afrikanische und europäische Wurzeln zu erkennen. In dem geteilten Bungalow lebte sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn, den Rothe auf etwa zwölf Jahre schätzte, auf der linken Seite. Die rechte Hälfte wurde von ihr wohl regelmäßig vermietet.

Nicht ganz legal, nahm er an, denn offizielle Herbergen mussten Steuern zahlen. Amparo tat dies sicherlich nicht. Das merkte er schon daran, dass es kein staatliches Gästebuch gab, in das er sich eintragen musste. Geheim halten konnte man das in Kuba zwar nicht, aber die zu entrichtende Kommission an den Parteibeauftragten des Viertels war mutmaßlich erschwinglicher als die hohen Abgaben. Korruption war in diesem gebeutelten Land gang und gäbe.

Rothe schaute sich um. Die Einrichtung des Bungalows war Geschmackssache. Neben den schönen Schaukelstühlen, die es in jedem kubanischen Haus gab, standen überall chinesische Porzellanpuppen herum.

China war die einzige, größere Importnation, die sich nicht am amerikanischen Handelsembargo gegen Kuba beteiligte. Fast alles, was keine Antiquität war, kam daher mit hoher Wahrscheinlichkeit aus China.

Ein braunroter Wandteppich mit orientalischen Ornamenten, ein Glastisch mit goldenen Beschlägen und schwarzen Beinen, wie er einst in Rothes elterlichem Wohnzimmer gestanden hatte. Und neben einem großen, hässlichen, roten Kristallaschenbecher waren mehrere Wackeldackel strategisch günstig platziert. Wackeldackel, wie sie Rothe aus seiner Kindheit kannte. Wackeldackel, die sich in den 70ern auf den hinteren Ablagen von VW-Golfs oder Opel Kadetts tummelten und einem fröhlich zuwackelten. Die Wackeldackel verbrachten ihr stumpfsinnig wackelndes Dasein meist direkt neben den gehäkelten Hüten, in denen verschämt die Klopapierrollen versteckt waren, bevor urplötzlich – sowohl Wackeldackel als auch Klopapierhüte – von heute auf morgen aus dem Straßenbild verschwanden. Jetzt wusste Rothe endlich wohin sie verschwunden waren.

Die Sonne ging gerade unter, eine leichte Brise wehte vom Meer durch die offenstehende Tür und Rothe glotzte ziemlich verwundert auf die deswegen wackelnden Wackeldackel.

„Vielleicht alle an das notleidende Kuba verscherbelt, damals ...“, grübelte er, „oder als Solidaritätsgabe von genervten Jungrevolutionären gespendet, was allerdings nicht die kitschigen Porzellanpuppen und den braunroten Wandteppich erklären würde, oder doch?“, fuhr er seine gedankliche Erörterung fort.

Das Wackeldackelphänomen beschäftigte ihn, weshalb er gleichzeitig Ausschau nach gehäkelten Hüten hielt, in denen Klopapierrollen stecken könnten, konnte aber keine entdecken. War irgendwie auch logisch, denn den Menschen in der Karibik sagte man ein eher unverkrampftes Verhältnis zu ihrem Körper und ihren Bedürfnissen nach. Außerdem herrschte Klopapiermangel.

Trotz eingehender Inspektion fand Rothe – ungeachtet gegensätzlicher Erwartungshaltung – keine Gartenzwerge, was seiner frisch entwickelten Theorie nicht hundertprozentig entsprach. Allerdings waren die Gartenzwerge auch nie ganz aus den deutschen Vorgärten verschwunden. Ganz im Gegensatz zu den Wackeldackeln.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739440927
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Single Berlin Karibik Sex Kurzgeschichten Kuba Urlaub Havanna Humor Kreuzberg Erzählungen

Autor

  • Tscharlie Häusler (Autor:in)

Tscharlie Häusler, geboren in Franken. Studium der Rechtswissenschaften. Promotion. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität und im Bundestag beschäftigt. Lebt als Autor in Berlin.
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Titel: Berlin um die Jahrtausendwende: Rothe macht Urlaub