Lade Inhalt...

Berlin um die Jahrtausendwende: Rothe grillt

von Tscharlie Häusler (Autor:in)
15 Seiten

Zusammenfassung

Die achte von vierzehn Geschichten der Irrungen, Wirrungen und Amouren eines Singles namens Rothe. Es beschreibt in unterhaltsamer, humorvoller Form eine typische Berliner Existenz als Randfigur diverser Subkulturen. Authentisch werden bekannte und unbekannte Örtlichkeiten, Szenekneipen, aber auch skurrile, witzige und einfache Personen aus dem Umfeld des Protagonisten beschrieben. Die Geschichten können einzeln oder im Gesamtkontext verstanden und genossen werden. Aufgrund der milieugetreuen Schilderung Berliner Verhältnisse sind die Geschichten sowohl für Berliner aber auch für Besucher der Stadt mit einem großen Wiedererkennungswert verbunden. Sie werden bei der Lektüre mindestens schmunzeln, wenn nicht auch manchmal lauthals lachen. Natürlich werden Sie sich in diesen Figuren auf keinen Fall wieder erkennen, oder etwa doch?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


August

Rothe grillt

Berlin im Sommer war ungewöhnlich ruhig und leer, denn alle, die es sich leisten konnten, fuhren aufs Land oder flogen in irgendwelche fernen Urlaubsgefilde. Selbst der gemeine Berlintourist, der sonst überall im Weg herum stand, kam nicht auf die Idee, in die Große Stadt zu fahren. Er war selbst irgendwo am Meer.

Rothe war hier geblieben, wie jedes Jahr im Sommer. Für ihn war der Sommer in Berlin einfach unübertrefflich. Keine Hektik. Keine Touristen. Lange, laue Nächte unter sternklarem Himmel. Herrliche Biergärten ohne Sperrstunde. „Warum also wegfahren?“, sagte sich Rothe Jahr für Jahr in der heißen Jahreszeit und hatte es bisher nie auch nur im Geringsten bereut.

8 (3).JPG

Traditionell organisierte Rothe einmal im Sommer mit seinen Freunden ein Barbecue, wie es auf Neudeutsch hieß.

Zugesagt hatten alle. Zumindest all diejenigen, die in Berlin geblieben waren: Sieglinde, ihr treuer Begleiter Elmar sowie Bert und Tine. Die üblichen Verdächtigen. Sie hatten sich wieder in der Hasenheide verabredet. Sozusagen an historischer Stätte. 1811 hatte Turnvater Jahn hier den ersten Turnplatz Deutschlands geschaffen. Sein Ziel war die körperliche Fitness der Jugend für den Freiheitskampf gegen die Napoleonische Fremdherrschaft zu steigern. Eigentlich also ein Terroristencamp mitten in der Stadt, das es damals gab an diesem geschichtsträchtigen Platz. Rothe und Co. hatten allerdings keine revolutionären Ambitionen. Sie hatten lediglich beträchtlichen Hunger und Durst. Keiner hatte gefrühstückt.

Sie trafen sich an einer Parkbank vor dem dichten Buschwerk, wo Bert und Tine immer ihre Wochenenden mit schönem Wetter verbrachten. Rothe hatte es nie verstanden, warum die Beiden Woche für Woche hier abhingen. Die Bank war für Bert und Tine so etwas Ähnliches wie eine Datsche. Ihre eigene, kleine grüne Oase mitten in der großen Stadt. Während Tine meist auf einer Decke etwas abseits vom Buschwerk lag und las, saß Bert mit seinen gewöhnungsbedürftigen Hasenheidenkumpels bei stetigem Biergenuss auf der Parkbank, wo er seine abstrusen Theorien zum Besten gab und seine geduldigen Zuhörer bewundernd zu seinen Füßen saßen.

Rothe hatte mitunter den Verdacht, dass die Bewunderung auch immer etwas mit der prall gefüllten Tiefkühltasche Dosenbier zu tun hatte, die Bert stets mit sich schleppte. Selbst zu Demonstrationen, an denen er häufig teilnahm, folgten ihm diese Tasche und seine ständig sich daraus bedienenden Kumpels. Das warf mitunter nicht das beste Licht auf die durchaus rechtschaffenen Ziele der anderen Kundgebungsteilnehmer.

Tines Abstand zu Bert und seinen trinkfreudigen Freunden war nicht nur den konzentrationshemmenden Theorien ihres langjährigen Lebensabschnittspartners geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass dieser und seine Kameraden ihrem Harndrang ungehemmt im Buschwerk nachgingen. Hatte es längere Zeit nicht geregnet, stank es dort gottserbärmlich.

Vorgestern hatte es geregnet, sodass sie ohne größere Geruchsbelästigung ihren Grill genau dort aufstellen konnten. Bert hätte auf das Gestank keine Rücksicht genommen. Er wollte beim Grillen und Trinken unbedingt gemütlich auf seiner Bank sitzen, während er das Feuer – wie es sich eines echten Mannes geziemt – bewachte. Auf seine Bank legte er großen Wert.

Inzwischen waren alle da. Jeder hatte etwas Grillbares mitgebracht. In den Handreichungen der Senatsverwaltung, bei der es das „Infoblatt Grillen“ – immerhin 2,6 Megabyte groß – in Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch und Russisch zum Download gab, hieß es diesbezüglich:

„Grillen Sie nichts, was nicht auf Ihren Rost passt. Für Hammel und Spanferkel ist der Park der falsche Ort. Ganze Tiere zu grillen ist deshalb verboten.“

Daran sollte ihr Grillfest nicht scheitern. Die Freunde hatten sich strikt an die Vorgaben der Berliner Senatsverwaltung gehalten und nur kleine Teile von verschiedenen Tieren mitgebracht. Leidtragende Tiere waren Schweine, Lämmer, Rinder und Strauße. Bert hatte selbstverständlich seine Tiefkühltasche mit kühlem Bier dabei. Allerdings diesmal Plastikflaschen aus dem Discounter.

Während Tine und Sieglinde auf der Decke lagen und ausnahmsweise einträchtig Neuigkeiten miteinander austauschten, bemühten sich Bert, Rothe und Elmar vergeblich darum, die Grillkohle zum Glühen zu bringen. Das „Infoblatt Grillen“ verfügte:

„Für Holz und Kohle müssen Sie selbst sorgen. Sammeln Sie keine Äste und Zweige vor Ort: Parks liefern kein Brennholz! Das gilt erst recht für Parkbänke und anderes Mobiliar.“

Auch daran hatten sie sich gehalten. Es kam also keinesfalls in Betracht, „ihre“ Parkbank zu zersägen. Elmar hatte die Aufgabe übernommen, Holzkohle und Anzünder zu besorgen. Er hatte Paraffinanzünder beim Discounter eingekauft, während Bert dort Plastikflaschenbier bunkerte.

„Spiritus hätteste koofen müssen“, brüllte Bert nun recht mürrisch.

„Papperlapapp“, meinte Elmar „Viel zu gefährlich. Das Zeugs tut es auch.“

Der Grillanzünder bestand offensichtlich aus schwer brennbarem Material, denn die Feuer machenden Männer am Grill versuchten schon geraume Zeit, den Grill zum Glühen zu bringen.

„Versuchs mal zuerst mit einer Zeitung“, empfahl Rothe „dann kannste die komischen Würfel drauflegen!“.

„Ich verbrenn mir doch nicht die Pfoten!“, erwiderte Elmar entrüstet. „Mach doch du das! Du Genie!“

Rothe erinnerte sich, in der Zeitung gelesen zu haben, dass bei Männern – sobald sie am Grillrost standen – die männlichen Urinstinkte geweckt werden. „Rohes Fleisch ist archaisch und dadurch wird eindeutig der männliche Artgenosse angesprochen“, meinte eine Professorin für Soziologie und Geschlechterforschung. Offensichtlich hatte sie Recht. Elmar, der alte Softi, war ganz anders als Rothe ihn von ihren letzten Treffen im Gedächtnis hatte. Er war geradezu besessen dabei, Feuer zu machen. Bisher konnte aber von Arbeit mit rohem Fleisch überhaupt keine Rede sein. Noch tobte der archaische Kampf ums Feuer. Bert warf sich heldenhaft in Pose: „Komm, gib her du Pfeife. Null Problemo!“

Elmar gab ihm, wenn auch arg widerwillig, den Grillanzünder. Das Alphatier Bert hatte vorübergehend gesiegt.

„Wer Feuer anzündet, steht in der Sozialhierarchie ganz oben“, hatte die äußerst kluge Frau, die an der Freiburger Universität das Forschungsprojekt „Grillen und Lebensstil“ leitete, auch noch gesagt. Rothe hatte sich beim Lesen dieses Zeitungsartikels kopfschüttelnd gewundert, was es nicht alles für unsinnige Forschungsprojekte gab für die Steuergelder rausgeworfen wurden. „Vielleicht sollte ich auch mal so ein Forschungsprojekt beantragen“, dachte Rothe, während er die Szenerie gespannt beobachtete. Forschungstöpfe abgreifen, das wäre unter Umständen auch eine durchaus annehmbare Möglichkeit, seiner momentan prekären, pekuniären Lage Herr zu werden. Er hatte zwar keine Ambitionen, Professor für Geschlechterforschung zu werden, sah sich aber trotzdem durchaus dazu in der Lage, derartige bahnbrechende empirische Studien selbst durchzuführen. „Müsste nur einen Geldgeber finden“, brütete er vor sich hin.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739440736
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Grill Single Berlin Brandenburg Sex Kurzgeschichten Hochstapler Hasenheide Szene Kreuzberg

Autor

  • Tscharlie Häusler (Autor:in)

Tscharlie Häusler, geboren in Franken. Studium der Rechtswissenschaften. Promotion. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität und im Bundestag beschäftigt. Lebt als Autor in Berlin.
Zurück

Titel: Berlin um die Jahrtausendwende: Rothe grillt