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Berlin um die Jahrtausendwende: Millennium

von Tscharlie Häusler (Autor:in)
15 Seiten

Zusammenfassung

Erste von vierzehn Geschichten der Irrungen, Wirrungen und Amouren eines Singles namens Rothe. Es beschreibt in unterhaltsamer, humorvoller Form eine typische Berliner Existenz als Randfigur diverser Subkulturen. Authentisch werden bekannte und unbekannte Örtlichkeiten, Szenekneipen, aber auch skurrile, witzige und einfache Personen aus dem Umfeld des Protagonisten beschrieben. Die Geschichten können einzeln oder im Gesamtkontext verstanden und genossen werden. Aufgrund der milieugetreuen Schilderung Berliner Verhältnisse sind die Geschichten sowohl für Berliner aber auch für Besucher der Stadt mit einem großen Wiedererkennungswert verbunden. Sie werden bei der Lektüre mindestens schmunzeln, wenn nicht auch manchmal lauthals lachen. Natürlich werden Sie sich in diesen Figuren auf keinen Fall wieder erkennen, oder etwa doch?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Januar

Millennium

Sie waren alle gekommen! Alle!

Zumindest die vier, die Rothe zugesagt hatten, den Jahreswechsel gemeinsam zu zelebrieren.

Sie alle wussten nämlich, dass der Jahrtausendwechsel nicht Ende 1999, sondern erst heute stattfinden würde.

Sollten die anderen sie doch als Erbsenzähler beschimpfen. Das war ihnen vollkommen egal, denn sie wussten, dass sie im Recht waren. Sie waren kein Mainstream. Nein, das konnte man wirklich nicht behaupten.

Die Fünf hatten beschlossen, nicht wie alle anderen die Nacht vom 31. Dezember auf 1. Januar zu begehen, es sollte selbstverständlich unkonventionell sein. Zur Debatte stand, diesen bedeutenden Jahreswechsel jüdisch, buddhistisch oder islamisch zu feiern. Da sie jedoch unbedingt den Wechsel des Jahrtausends begießen wollten, stellte sich ein derartiges Vorhaben als wenig praktikabel dar.

Nach islamischem Glauben war nämlich erst das Jahr 1421 angebrochen, nach buddhistischem Glauben schrieben wir bereits das Jahr 2545 und nach jüdischem Glauben hatte gar das Jahr 5761 begonnen. Notgedrungen einigte man sich auf die christliche Zeitrechnung, obwohl alle fünf strenge Vorbehalte gegen diese Religion hatten, und alle bis auf Elmar, dessen Mutter ihm dies nach eigenen Angaben nie verziehen würde, bereits vor Jahren aus der Kirche ausgetreten waren. Aber nur so war ihnen vergönnt, wenigstens einmal in ihrem Leben auf ein neues Jahrtausend anzustoßen. Dafür konnte man schon einen kleinen Kompromiss eingehen.

Als Bildungsbürger war ihnen bewusst, dass 1582 eine neue Kalenderreform, die Gregorianische, in Kraft getreten war und auf den 4. Oktober damals sofort der 15. Oktober folgte. Zehn Tage hatte der Papst einfach gestrichen. Derartiger päpstlicher Willkür waren sie natürlich nicht geneigt zu folgen. Sie feierten also am 10. Januar 2001.

Durch diesen Akt des Widerstandes war der vorausgehende Kompromiss für alle um einiges leichter zu ertragen. Da es bei ihren Überlegungen mehrere Rechenmodelle gab, die alle auf ihre Art überzeugend wirkten, konnten sie sich nicht mit letzter Gewissheit darauf einigen, ob nun in der Nacht zum elften oder zum zwölften Januar der wahre Jahrtausendwechsel stattfand. Bert war der Ansicht dass zwischen 4. und 15. Oktober 1582 genau elf Tage gelegen hätten, daher müsse man zum 1. Januar elf Tage hinzuzählen und würde erst in der Nacht zum 12ten Januar auf den Jahrtausendwechsel anstoßen können. Elmar hatte widersprochen, er war der Auffassung, dass es genau zehn Tage sind.

„Wie wir alle wissen, warst du ja schon immer ein wahres Rechengenie, nicht wahr Bert.“

Es war ein offenes Geheimnis, dass Bert am Ende eines Abends häufig mit Kneipenbesitzern Streit angefangen hatte, weil die Zeche angeblich zu hoch war. Sieglinde warf ein „Hört Hört“ in die Runde und kicherte hämisch, während Tine ihren Freund und dessen Rechenkünste verteidigte. Während Bert im Mathe–Leistungskurs saß, hast du ja erfolglos versucht, im Sport-LK den Lehrer zu beeindrucken ohne zu merken, dass er schwul war“.

Bevor Sieglinde jedoch auch noch darauf eingehen konnte, hatte Rothe die aufkeimende, hitzige Diskussion abrupt beendet, indem er vorschlug, am zehnten Januar anzufangen und einfach solange zu feiern, bis keiner von ihnen mehr Lust haben würde.

Am Mittwoch, den Zehnten, saßen sie nun also da, die nonkonformistischen Fünf, und wollten das neue Jahrtausend einläuten: Tine, Bert, Elmar, Sieglinde und natürlich Rothe, der Gastgeber.

Aus dem üblichen Kreis fehlte nur Ralf alias Noko, ein gebürtiger Nürnberger, der auch nach zwanzig Jahren Berlin - kräftig fränkelnd - aus seinem Geburtsort keinen Hehl machte. Noko war ein alternder Sozialpädagoge, der derartigen Feiern grundsätzlich ablehnend gegenüberstand und regelmäßig am Jahresende zum Meditieren in ein buddhistisches Kloster ging. Sein Spitzname war Programm. Er war noch ein bisschen nonkonformistischer als die anderen aus dem nonkonformistisch erlauchten Kreis.

Sein Aufenthalt im Kloster dauerte dieses Jahr scheinbar besonders lang. Wo genau und wie er meditierte, hatten die Freunde bisher nie richtig in Erfahrung bringen können. Noko reagierte auf Nachfragen seltsam verstockt. Er wolle mit seinen religiösen Gefühlen nicht hausieren gehen und bitte darum, dies zu respektieren, blockte er Nachfragen meist brüsk ab. Seine Freunde hatten sich mit dieser Marotte inzwischen abgefunden, auch wenn sie ihnen nicht ganz einleuchtete, denn sonst gab Noko seine Erfahrungen und Weisheiten gerne und ungefragt jedem und jeder preis. Wäre er da gewesen, hätte es im Laufe des Abends mit Sicherheit Streit mit Sieglinde gegeben. Sie hasste seine Plattitüden und wäre bestimmt nicht abgeneigt gewesen, ihm einige seiner absurden Weisheiten um die Ohren zu hauen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739440255
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Kiez 36 Single Berlin Sex Kurzgeschichten SO Clubs Szene Kreuzberg Humor

Autor

  • Tscharlie Häusler (Autor:in)

Tscharlie Häusler, geboren in Franken. Studium der Rechtswissenschaften. Promotion. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität und im Bundestag beschäftigt. Lebt als Autor in Berlin.
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Titel: Berlin um die Jahrtausendwende: Millennium