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Burned - Wenn in der Hölle das Licht ausgeht

von Melissa Ratsch (Autor:in)
315 Seiten

Zusammenfassung

Luzifer hat ein Problem - der Himmel will ihm sprichwörtlich den Saft abdrehen, denn es gibt immer weniger Sünder auf der Welt. Wie zur Hölle kann das sein?! Lu macht sich mit Hilfe von Lilith und seinen sieben Todsünden daran genau das herauszufinden. Denn er würde lieber bei lebendigem Leib verrotten als sich noch einmal von den geflügelten Jungfrauen etwas sagen zu lassen... Wird es ihm gelingen die Hölle zu retten? „Burned - Wenn in der Hölle das Licht ausgeht“ ist eine etwas andere Geschichte voller schwarzem Humor, Flüchen und bissigen Dialogen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Melissa Ratsch

Burned

Wenn in der Hölle
das Licht ausgeht

Urban-Fantasy-Roman

Über das Buch

Luzifer hat ein Problem - der Himmel will ihm sprichwörtlich den Saft abdrehen, denn es gibt immer weniger Sünder auf der Welt.

Wie zur Hölle kann das sein?! Lu macht sich mit Hilfe von Lilith und seinen sieben Todsünden daran genau das herauszufinden. Denn er würde lieber bei lebendigem Leib verrotten als sich noch einmal von den geflügelten Jungfrauen etwas sagen zu lassen...

Wird es ihm gelingen die Hölle zu retten?

„Burned - Wenn in der Hölle das Licht ausgeht“ ist eine etwas andere Geschichte voller schwarzem Humor, Flüchen und bissigen Dialogen.

Vorwort

Ein kleines Wort der Warnung:

Im nachfolgenden Roman wird eine deutliche, einschlägige Sprache gesprochen. Ausdrücke, Flüche, Beschimpfungen und vulgäre Worte sind an der Tagesordnung - es geht schließlich um den Teufel und seine Todsünden (verdammt nochmal).

Wen das nicht stört, der wird ein verrückt-skurriles Abenteuer mit Lu, Lil und den sieben Todsünden erleben können, das sicher den ein oder anderen Lacher bereithält.

Viel „Spaß“ in der Hölle,

eure Melissa

Beschreibungen

Lu Luzifer, Teufel und Herr über die Todsünden

Lil Lilith, Königin der Dämonen

Bia Superbia, Todsünde des Hochmuts (w)

Ava Avaritia, Todsünde des Geizes (w)

Ira Ira, Todsünde des Zorns (w)

Vidia Invidia, Todsünde des Neids (w)

Lux Luxuria, Todsünde der Wollust (m)

Gul Gula, Todsünde der Völlerei (m)

Ace Acedia, Todsünde der Faulheit (m)

Michael Erzengel, Herr über die Tugenden

Gabriel Erzengel, Herr über die Cherubim & Seraphim

Rafael Erzengel, Heiler Gottes

Uriel Erzengel, Beschwörer der Apokalypse

Lita Humilitas, Tugend der Demut (w)

Cari Caritas, Tugend der Mildtätigkeit (w)

Ria Industria, Tugend des Fleißes (w)

Tas Castitas, Tugend der Keuschheit (m)

Pat Patientia, Tugend der Geduld (m)

Ran Temperantia, Tugend der Mäßigkeit (m)

Mani Humanitas, Tugend des Wohlwollens (m)

Die Hölle ist leer,

alle Teufel sind hier.

~ 2 ~

Es lief auf ein Krisentreffen mit den Sieben hinaus, besser bekannt als die sieben Todsünden.

Lu war froh, dass sie alle ohne die üblichen Sperenzchen auftauchten. Wahrscheinlich, weil seine Ansage sehr klar gewesen war: Wenn ihr euren Arsch nicht her bewegt, dann häute ich euch. Die guten alten Drohungen taten doch immer ihre Wirkung. Vor allem, da Lu dafür bekannt war seine wahr zu machen.

„Mach keinen auf dicke Hose, wenn du dich nachher nicht traust sie runter zu lassen“, murmelte er grinsend vor sich hin, als Ace eintraf und sie damit komplett waren. Typisch, dass Faulheit das Schlusslicht bildete. Aber immerhin war er pünktlich.

„Sehr schön.“ Lu schloss die Tür des großen Konferenzraums und ging zum Stirnende des Tisches, an dem alle schon Platz genommen hatten. „Gleich vorweg: Das heute ist kein gewöhnliches Treffen und ich verlange von jedem volle Aufmerksamkeit.“

Er ließ seinen Blick langsam über Lil sowie die vier Frauen und drei Männer wandern. Im Grunde waren die Todsünden geschlechtslos, doch jede von ihnen hatte sich über die Jahrtausende eine bevorzugte Inkarnation zugelegt, in der sie die meiste Zeit verbrachten.

Lu setzte sich und schnippte mit dem Finger, woraufhin die Videoleinwand hinter ihm flackernd zum Leben erwachte. Darauf war der Brief zu sehen, den Michael ihm überbracht hatte. Statt etwas zu sagen wartete er einfach ab, bis seine Sieben die Nachricht gelesen hatten – was ungefähr eine halbe Minute später dadurch klar wurde, dass sie alle in aufgeregte bis aufgebrachte Flüche ausbrachen.

Bia sprang gar von ihrem Stuhl auf und zeterte: „Wie können sie es wagen?! Das ist eine Beleidigung und Frechheit, wie ich es noch nie erlebt habe!“ Ihre goldenen Augen loderten unheilvoll. Als Stolz traf sie diese Schmähung besonders.

Neben ihr stieß Ira, die den Zorn verkörperte, ins selbe Horn: „Wenn ich das nächste Mal einen Engel erwische, dann reiße ich ihm alle Federn einzeln aus.“

Alle anderen Todsünden stimmten zu und sofort begannen sie Rachepläne zu schmieden, überlegten was sie ‚denen da oben‘ als Vergeltung antun könnten. Lu musste zugeben, dass sie dabei sehr kreativ waren und er nahm sich vor einige der Ideen später aufzuschreiben.

„Ruhe!“, verlangte er laut, so dass ein kleines Beben durch den Raum ging. Sofort kehrt Stille ein. Er atmete tief durch und sagte: „Ich weiß zwar zu schätzen, dass ihr unsere Ehre verteidigen wollt und auf Vergeltung aus seit – wirklich, das tue ich – aber das muss im Augenblick warten. Erstmal sollten wir uns etwas überlegen, wie wir die Übernahme durch die gefiederten Kretins verhindern.“

Das Schweigen zwischen ihnen war so ungewöhnlich wie beunruhigend. Lu war es gewohnt in einem brodelnden Hexenkessel zu sitzen, wenn die Sieben alle auf einem Haufen saßen. Vor allem wenn Lil dabei war. Sie hatte zwar an Vidia und Lux einen besonderen Narren gefressen, aber auch alle anderen Todsünden scharten sich gerne um sie.

Vielleicht, weil sie hier die menschlichste unter ihnen war und im Gegensatz zu Lu hin und wieder ein offenes Ohr für ihre kleinen Sorgen und Nöte hatte. Also zumindest die, die nicht das Tagesgeschäft betrafen. Sie waren schon so etwas wie Freunde für ihn… aber bei aller Liebe, Lu hatte nicht die Geduld sich anzuhören, dass Gul schon wieder erfolglos von seiner Suche nach dem perfekten Baklava zurückkam.

Seit über dreihundertachtzig Jahren versuchte er nun schon jemanden zu finden, der das pappsüße Zeug genauso hinbekam wie der Palastbäcker damals in Istanbul. Und jedes Mal, wenn er es wieder erfolglos versuchte kam er quengelig und niedergeschlagen wie ein kleines Kind zurück. Als Völlerei eine Schwäche für Essen zu haben lag auf der Hand, aber das war einfach nur absurd.

„Wann hat das denn angefangen?“ Ava, die Habgier, trommelte nachdenklich mit ihren schlanken Fingern auf den Marmortisch, die blonden Brauen über den Augen zusammengezogen. „Ich meine wann hat das angefangen, dass weniger Seelen zu uns kamen?“

„Mal sehen.“ Lu drehte sich nun ebenfalls zu der Wand, schnippte und statt dem Brief erschien ein Diagramm. Er hatte es nicht sonderlich mit diesem Statistik-Quatsch. Ihm war zwar schon aufgefallen, dass sie weniger zu tun hatten und die meisten Dämonen auf der faulen Haut lagen, aber er war nicht auf den Gedanken gekommen, dass diese Flaute ein solches Ausmaß annehmen würde.

Darüber, dass Michael vielleicht Recht hatte wenn er von Unordnung in ihren Reihen sprach, wollte er im Moment wirklich nicht nachdenken.

„Das sieht doch nicht schlecht aus“, kommentierte Ace. „Die Linie schwankt ein bisschen, aber sonst sehe ich da nichts Gravierendes.“

Tatsächlich bewegte sich die Kurve sanft auf und ab, was Lu irritierte. Ja, gegen Ende driftete sie ein wenig nach unten. Er beugte sich ein Stück nach vorn und stützte die Ellenbogen auf den Knien ab. Warte mal…

„Das ist die Gesamtstatistik“, murmelte er. „Seit Entstehung der Welt und der Menschen.“

Wieder ein Schnippen und die Anzeige verringerte sich auf die letzten zehn Jahre und sah damit komplett anders aus. Ein kollektives Raunen ging durch den Raum, gefolgt von einigen Flüchen.

Liliths Stimme erhob sich über das Murmeln: „Das erklärt schon eher warum uns der Himmel in die Parade fahren will.“

„Scheiße ja“, brummte Lu. Die Linie fiel ab der Hälfte des Diagramms stetig weiter nach unten, bis sie sich einem wahrhaft historischen Tief näherte.

„Was verflucht nochmal ist vor zehn Jahren passiert das wir nicht mitbekommen haben?!“ Lu drehte sich wieder um und musterte die acht anderen am Tisch. „Ich fresse einen verschissenen Besen, wenn die Flachpfeifen von oben nicht irgendwas angestellt haben, dass auf der Welt eine Kettenreaktion ausgelöst hat.“

Ratloses und betretendes Schweigen legte sich über sie, einige senkten sogar den Blick. Lu konnte sich gut vorstellen warum. So wütend wie er war mussten seine Augen wieder die Farbe gewechselt haben: Von grün zu blutrot. Vielleicht gaben aber auch die kleinen Flammen den Hinweis, die an seinen geballten Fäusten züngelten.

„Ich will wissen was sie getan haben“, forderte er. Jedes seiner Worte ließ die Luft vibrieren. „Ich will wissen warum die Menschen aufgehört haben die selbstsüchtigen Kreaturen zu sein, die sie seit tausenden Jahren sind. Jeder von euch wird sich daran machen es herauszufinden.“

Sein Blick ruhte vor allem auf Ace, der als Faulheit immer einen extra Arschtritt benötigte. Doch zur Abwechslung nickte der braunhaarige Mann, die schokoladenfarbenen Augen schreckgeweitet.

„Wir treffen uns morgen wieder und wehe ich erhalte keine Antworten.“

Schnelles Kopfnicken seiner Sieben, selbst Lilith wirkte beunruhigt.

Um ein Haar hätte Lu gelächelt, denn wie jeder andere Unterweltler fand er Gefallen daran andere in Angst und Schrecken zu versetzen. Aber im Moment konnte er sich nicht daran erfreuen, denn die Erzengel saßen ihm sprichwörtlich im Nacken und wollten seinen Laden übernehmen.

Eher friert die Hölle zu, dachte Lu und spürte, wie die Flammen über seine Handgelenke die Arme hochkrochen.

Seine Stimme klang trügerisch weich, als er fragte: „Na los, worauf wartet ihr noch?“

Sofort lösten sich alle in Luft auf. Kleine Rauchschwaden verflogen dort, wo eben noch die Todsünden gewesen waren, während Lil, deren Macht anders geartet war, einfach verblasste. Einen Wimpernschlag später war Lu alleine in dem Konferenzraum.

„Scheiße“, murmelte er und lehnt sich zurück. Mit beiden Händen fuhr er sich durch die Haare und sah sich nochmal das Diagramm an. Wie hatte ihm das nicht auffallen können? Und was bei allen Höllenfeuern war der Grund dafür?

Er wusste, dass seine Sieben gelegentlich nur nach ihren eigenen Wünschen handelten, aber sie hatten ihre Aufgaben dennoch erledigt.

Denn sie wollten doch alle das Gleiche: Ihre Ruhe vor den gefiederten Spaßbremsen und ein wenig Spaß mit den Menschen. Nun, was für sie zumindest Spaß bedeutete. Tausende Jahre hatte das wunderbar funktioniert, die verdorbenen Seelen waren pünktlich wie der Sonnenaufgang bei ihnen eingetrudelt. Denn obwohl der alte Mann sich immer rühmte so perfekt zu sein, seine Schöpfungen waren es definitiv nicht.

Sehnsüchte, Begierden, dunkle Wünsche und Gelüste schlummerten von Anfang an in ihnen und es hatte nur wenig Ermutigung gebraucht, dass sie sich ihnen hingegeben hatten.

Lux, die Begierde, musste nur durch einen Klub gehen, in dem schon genügend Alkohol geflossen war, und die Menschen fielen übereinander her wie bei einer der Orgien im guten alten Rom. Vergessen waren Treue und Keuschheit, da wurde gevögelt was nicht bei drei auf den Bäumen war – und das wurde noch runtergeschüttelt.

Und wenn im Schlussverkauf Ava ein Einkaufszentrum betreten hatte, dann hatte sich der Umsatz der Geschäfte locker verdoppelt, die Leute hatten der Gier nach neuen, schönen Dingen ohne Rücksicht auf ihre Bankkonten nachgegeben.

Bia war jedes Mal ganz aus dem Häuschen, wenn die Fashionweeks der Modewelt stattfanden und die ausgehungerten Models über die Laufstege wankten, unverschämt teure Roben auf ihren knochigen Körpern. Lu war immer wieder erstaunt mit wie wenig Nahrung der menschliche Organismus auskommen konnte und trotzdem noch so tat als würde er optimal funktionieren. Sie alle waren Sklaven von Eitelkeit.

Aber so wie es im Moment aussah war diese unbeschwerte, schöne Zeit vorbei. Und wenn sie nicht wollten, dass die verdammten Engel sich bei ihnen einmischten, dann mussten sie sich etwas einfallen lassen.

Denn Lu war nicht aus dem Himmel geworfen worden, nur um jetzt doch wieder das machen zu müssen, was der alte Mann wollte.

~ 3 ~

Einige Stunden später hielt Luzifer es nicht mehr aus zu warten.

Also versetzte er sich an einen seiner liebsten Orte auf der Welt, wenn er die Menschen beobachten wollte: An einen internationalen Flughafen. Stress war schon immer ein perfekter Druckpunkt gewesen, damit Menschen ihren wahren Kern preisgaben.

Wahlweise, wenn man es etwas martialischer und blutiger haben wollte, ging man in ein Kriegsgebiet. Aber dafür war Lu heute nicht aufgelegt. In seiner Verfassung würde er in einem solchen Umfeld nur in Versuchung geführt werden mitzumischen und das war nicht förderlich.

Amüsant, aber nicht förderlich.

Außerdem war es weit unauffälliger, sich einen Kaffee mit Schuss zu genehmigen, wenn man in einem Café saß, als wenn man sich an einen Panzer lehnte.

Artig stellte er sich in die Schlange im Transitbereich, bestellte bei der Barista freundlich seinen Kaffee und beobachtete, wie sie mit hochroten Wangen seine Bestellung fertig machte. Er schenkte ihr ein träges Lächeln, beobachtete, wie sich ihre Pupillen weiteten, raunte ein Dankeschön und warf ein Trinkgeld in die Kasse.

Oh ja, der Teufel war und wird immer ein Gentleman sein. Aus dem einfachen Grund, dass sich mit Honig weit mehr Fliegen fangen ließen als mit Essig. Und es machte ihm Spaß die Menschen zu locken, sie zu verführen und ihnen zuzusehen, wie sie sich um ihn bemühten.

Mit dem Pappbecher in der Hand ließ sich Lu auf einem strategisch günstigen Stuhl an der Wand nieder, schlug die Beine übereinander und beobachtete die Menschen, die in unterschiedlicher Geschwindigkeit an ihm vorbeikamen.

Manche schlenderten gemütlich, einige hatten einen zackigen Schritt drauf, während ein nicht unerheblicher Anteil so hektisch war, als wäre einer seiner Dämonen hinter ihm oder ihr her. Dazu die Geräuschkulisse aus mal mehr oder weniger aggressiven Stimmen, zusammen mit dem Geschrei von Kindern und den unverständlichen Durchsagen. Es war ein wahrer Hexenkessel.

Und weil Lu nicht die beste Laune hatte und hey, er war immerhin der Teufel persönlich, schnippte er mit dem Finger. Erst passierte nichts. Ungefähr zehn Minuten lang, in denen Lu seelenruhig seinen Kaffee trank und abwartete.

Dann, nach elf Minuten knarzten die Lautsprecher und verkündeten monoton: „Sehr geehrte Fluggäste, aufgrund eines kompletten Systemausfalls in der Abfertigung verspäten sich alle Starts auf unbestimmte Zeit.“

Das Aufstöhnen ging wie eine Welle durch den Transitbereich, gefolgt von geschäftigem Chaos. Zufrieden grinste Lu vor sich hin. Doch das Hochgefühl hielt nur kurz, denn mit solchen Spielchen würde er seinen Laden sicher nicht vor der feindlichen Übernahme schützen können.

Und selbst wenn er so einen Coup landete wie im Mittelalter mit der Hexenverfolgung, dann war noch immer nicht die Ursache für den plötzlichen Abfall an verdorbenen Seelen aus der Welt geräumt. Er konnte nicht die Symptome bekämpfen, aber den Grund weiterhin existieren lassen. Dieses Übel musste mit der Wurzel ausgerissen werden, damit sich die Welt wieder in das bisherige Gleichgewicht begeben konnte.

Nachdenklich trommelte er mit den Fingern an den halbleeren Becher.

War er faul geworden?

Man mochte ihm vieles nachsagen, aber Lu war kein Dummkopf. Ob es ihm gefiel oder nicht, er war nicht so selbstverliebt, einen Teil der Schuld nicht auch bei sich zu suchen.

Aber je länger er nachdachte – mittlerweile beim zweiten Kaffee – desto überzeugter war er, dass er und seine Sieben nichts anders machten als noch vor einhundert, fünfhundert oder tausend Jahren. Im Gegenteil, der Kapitalismus hatte in den vergangenen Jahrzehnten sogar noch dazu beigetragen, dass sich nicht nur Habgier wie ein Kind im Süßigkeitenladen fühlte, sondern auch Vidia als Neid frohlockte.

Keiner wollte mehr einen Schritt zu viel tun und alle frönten sie der Faulheit, was Ace seit den Neunzehnhundertfünfzigern ganz selig machte. So selig eben eine Todsünde sein konnte.

Es war zum Scheiße schreien und Lu konnte nur hoffen, dass seine Sieben und Lil etwas herausfanden. Er mochte seinen Job und hatte nicht vor, sich von der oberen Etage ins Handwerk pfuschen zu lassen, schließlich mischte er sich auch nicht ungefragt in deren spießige Angelegenheiten.

Ein Tumult bildete sich direkt vor dem Café, der seine Aufmerksamkeit wieder auf die Umgebung lenkte. Eine Frau in den Vierzigern schlug ihren Mann mit der Handtasche und schrie: „Das ist alles deine Schuld! Nur weil deine Hexe von Mutter zu blöd ist Auto zu fahren!“

„Ach, fahr doch zur Hölle!“, keifte der Mann zurück und stürmte in die entgegengesetzte Richtung davon, seine Frau auf den Fersen. „Würde ich ja, aber da sitzt sie auf dem Thron!“

„Willst du sie nicht korrigieren?“

Gegen seinen Willen zuckte Lu zusammen und drehte sich um. Gegenüber von ihm an dem kleinen Tisch saß ein großgewachsener Mann, in dessen grauen Augen Belustigung funkelte. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug in schlichtem Schwarz mit weißem Hemd, der Kragen war geöffnet, keine einzige Falte zeigte sich auf seiner Kleidung.

Er sah aus wie ein millionenschwerer Geschäftsmann, der noch nie außerhalb des Fitnessstudios körperlich gearbeitet hatte. Die Leute um sie herum, wenn sie denn überhaupt Notiz von ihnen nahmen, wunderten sich sicher, warum sich so ein kultivierter Mann mit einem wie Lu unterhielt: Mit seinen abgetragenen Jeans, Chucks und dem schwarzen Shirt sah er im besten Fall aus wie ein Rockstar, im schlechtesten wie ein gescheiterter Student.

„Uriel“, seufzte Lu und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Wird das nun zur Gewohnheit? Jeden Tag kommt ein anderer aus eurer Clique und geht mir auf den Sack? Weil, ganz ehrlich, dann verkneife ich mir Ausflüge wie diese.“

„Höflich und freundlich wie immer.“

Ein lautstarker Streit an dem wenige Meter entfernten Serviceschalter lenkte sie kurz ab – es sah wirklich so aus, als würde ein junger Mann versuchen, über den Tresen zu springen und den Mitarbeiter des Bodenpersonals attackieren.

„Ich habe immerhin einen Ruf zu pflegen“, erwiderte Lu selbstgefällig, während der Störenfried vom Sicherheitsdienst entfernt wurde.

Ein Lächeln machte sich auf Uriels Gesicht breit, das direkt von einer Reklametafel hätte kommen können. „Das stimmt allerdings.“

„Also, was führt dich her? Neugier, Schadenfreude?“

„Du weißt doch, dass wir so niedere Gefühle nicht hegen“, antwortete Uriel milde, als würde er mit einem kleinen Kind sprechen.

Lu lachte: „Verarschen kann ich mich selbst. Ich weiß, was ihr so alles fühlt und was nicht.“

Die Stille, die sich nach diesem Satz zwischen ihnen auftat, umfasste eine kleine Ewigkeit.

„Samael“, seufzte Uriel schließlich und bescherte Lu damit eine Gänsehaut. Er gestattete nur sehr, sehr wenigen Individuen ihn mit diesem Namen anzusprechen: Lilith, manchmal eine der Todsünden. Aber der dunkle Erzengel war der einzige Himmelsbewohner, der das tun durfte ohne sofort frittiert zu werden.

„Was?“, hakte Lu nach.

„Ich komme nicht um mir anzusehen wie schlecht es dir geht und das solltest du eigentlich wissen.“

„Warum bist du dann hier?“

„Um dir zu sagen, dass das alles Michaels Idee gewesen ist“, fuhr Uriel fort. „Ria hat daraufhin den Plan ausgearbeitet und Michael hat so lange auf Gott eingeredet bis er zugestimmt hat.“

Fleiß war schon immer ein hyperaktives Miststück“, kommentierte Lu. Er verschränkte die Arme vor der Brust und fragte: „Wie hat Michael es geschafft den Alten zu überzeugen? Er hat sicher nicht einfach nachgegeben, um seine Ruhe vor dem Dummschwätzer zu haben.“

„Ich weiß es nicht.“ Uriel zuckte mit den Schultern und das Verrückte war, dass Lu ihm glaubte. Nicht weil er ein Erzengel war und deswegen vermeintlich nicht lügen konnte, sondern weil es ihm sein Gefühl sagte. Uriel und er… das war fast so kompliziert wie seine Beziehung zu Lilith.

Der dunkle Erzengel beugte sich ein Stück nach vorn und sagte: „Aber es gibt Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die nicht einmal Gott umstoßen kann. So funktioniert unser Universum nicht. Es gibt immer Gegensätze: Hell und dunkel, Tod und Leben, gut und böse. Das kann man nicht so einfach aufweichen ohne auf eine handfeste Katastrophe zuzusteuern.“

„Das weiß ich“, erwiderte Lu. „Ich lese die Regeln, bevor ich sie breche.“

Ein kurzes Lächeln von Uriel, das seine schiefergrauen Augen aufleuchten ließ – und eine Frau einen Meter entfernt dazu veranlasste über ihre eigenen Füße zu stolpern. Lu hätte darüber gelacht, wenn da nicht diese Anspannung in ihm gewesen wäre. Er konnte praktisch fühlen, dass Uriel ihm gleich einen entscheidenden Hinweis geben würde.

„Die Waage schlägt vielleicht gerade in eine Richtung aus“, setzte Uriel ernst an, „aber das kann man auch wieder rückgängig machen. Du musst nur entsprechend handeln und die richtigen Entscheidungen treffen – oder besser gesagt, die falschen.“

„Du hast Recht. Ich habe in letzter Zeit wirklich keine schlechten Entscheidungen getroffen“, sagte Lu und neigte den Kopf zur Seite. „Mir wurde schon langweilig.“ Er beugte sich ein Stück nach vorn und fragte seidenweich: „Aber sag mir, Erzengel der Apokalypse, warum gibst du mir diese Informationen? Müsste es nicht in deinem Interesse sein, dem Universum ein Ende zu bereiten? Dann hättest du deinen großen Auftritt, wäre das nicht ein Spaß? Du könntest Feuer auf die Welt werfen und es Regen nennen.“

Etwas huschte durch Uriels Augen, die auf einmal all sein Alter widerspiegelten. Das Gewicht hätte einen gewöhnlichen Sterblichen erdrückt, doch Luzifer trug dasselbe Alter in sich. Er verstand die Abgründe in dem dunklen Engel vielleicht sogar besser als seine geflügelten Brüder.

Als Uriel schließlich antwortete, war seine Stimme leise und rau: „Es ist noch nicht so weit.“

„So so“, murmelte Lu und lächelte vor sich hin.

„Die Zeiten haben sich geändert, mein Freund“, entgegnete Uriel.

„Freunde… das ist lange her, meinst du nicht?“

Ein Lächeln, das dieses Mal seine grauen Augen nicht erreichte. „Ja.“

Lu sparte es sich ihm zu sagen, dass das ihrer beider Schuld war. Es war auch hinfällig, denn Uriel hatte sich in Luft aufgelöst. Zumindest hatte er so viel Anstand nicht in diesem gleißenden Licht zu verschwinden, das Lu jedes Mal in den Augen stach.

Er blieb noch einige Zeit in dem Flughafen sitzen, beobachtete das wilde Getümmel und das Durcheinander um sich, an dem sich seine verkommene Seele wie Nektar labte, und dachte nach. Hätte er Uriel nach dem Grund für die veränderten Seelenwanderungen fragen sollen?

Wahrscheinlich ja, aber der Erzengel der Apokalypse hätte ihm sicher nicht geantwortet. So funktionierte das Spiel einfach nicht. Es war schon ungewöhnlich genug, dass er ihm den Tipp gegeben hatte, dass er das drohende Unheil noch abwenden konnte.

Es war schon spät in der Nacht, als Lu schließlich aufstand und die Transitzone verließ. Unbehelligt von den Menschen spazierte er mit den Händen in den Hosentaschen durch die Sicherheitskontrollen, ehe er sich außerhalb des Gebäudes in dunklen Rauch auflöste.

Er mochte der Teufel sein, aber er war deswegen kein komplettes Arschloch. Einen Feueralarm wollte er nicht auch noch auslösen, nachdem der Flughafen sich gerade einigermaßen von dem Chaos des Systemausfalls erholt hatte.

~ 4 ~

„Ruhe!“, verlangte Lu und schlug auf den Tisch. Sofort verstummten die Diskussionen, Streitereien und kleinen Handgreiflichkeiten unter den Todsünden. Auseinandersetzungen gehörten in der Hölle zum guten Ton, aber heute hatte Lu keine Zeit für diese Art von Mätzchen.

Sie hatten sich wieder in dem großen Konferenzsaal eingefunden, die Stimmung war aufgekratzt und nervös.

Weil er nicht die Nerven hatte, lange um den heißen Brei herum zu reden, fragte Lu gerade heraus: „Hat irgendwer etwas herausgefunden?

„Hier, ich.“ Gul, der zu seiner Linken saß, ereiferte sich: „Ich war gerade in einem Ort in der Nähe von Athen. Ein kleines Fischerdorf an der Steilküste, sie machen dort einen ganz hervorragenden Tintenfisch in Olivenöl und Knoblauch – aber der wahre Star ist das Fladenbrot dieser alten Frau. Wenn ich nur herausfinden könnte, welche geheime Zutat sie verwendet! Aber sie ist so gläubig wie ein verdammter Apostel und will sich nicht einwickeln lassen. Dabei habe ich-“

„Gula“, unterbrach Lu ihn langsam und sah, wie die schwarzen Augen des Mannes sich erschrocken weiteten als er ihn ansah. Es war selten, dass er seine Todsünden mit vollem Namen ansprach. „Du verlierst mein Interesse und das ist sehr gefährlich.“

„Entschuldige“, murmelte er und strich sich durch die kurzen, dunklen Haare. Wer glaubte, dass Völlerei zwangsläufig fettleibig war, der wurde eines Besseren belehrt, wenn Gul den Raum betrat. Seine liebste Erscheinungsform war ein schlanker, fast androgyn anmutender Mann Anfang dreißig, mit hohen Wangenknochen und gepflegten Händen.

Er trug auf den ersten Blick legere Kleidung, doch auf den zweiten konnte man sehen, dass sowohl Jeans und T-Shirt von Valentino waren und die Schuhe von Prada. Neben der Fresssucht stellte er auch die Selbstsucht dar und konnte fast so eitel sein wie Bia.

„Was hast du herausgefunden?“, versuchte es Lu erneut.

Man sah wie Gul durchatmete, ehe er sich aufrechter hinsetzte und mit dem Finger schnippte. Sofort erschien vor jedem Anwesenden ein Blatt Papier.

„Während ich dort war, kamen immer wieder Leute in das Restaurant. Es sah aus, als brächten sie Geschenke und ich dachte erst, dass die Besitzer Geburtstag hätten, aber daran lag es nicht. Es fiel immer wieder das Wort „Initiative“.“

Lu nahm sich den Zettel und studierte die Zeilen. Scheinbar hatte es einen Wasserrohrbruch in dem Restaurant gegeben, der das halbe Inventar beschädigt hatte. Die Menschen hatten eigenes Geschirr und Tischwäsche vorbeigebracht und den Besitzern geschenkt.

„Okay, da hatte wohl Cari ihre Finger im Spiel“, sagte Lu und spielte damit auf Mildtätigkeit an. „Was hat das mit unserem Problem zu tun?“

„Ich dachte auch erst, dass es eine der verdammten Tugenden wäre“, meldete sich Ira zu Wort. „Aber ich war in einem Gerichtssaal in London und habe beobachtet, wie sich ein Ehepaar bei der Scheidung einigermaßen gesittet verhalten hat – dabei hat sie ihn regelmäßig geschlagen, während er eine Haushaltshilfe nach der anderen gevögelt hat. Also die perfekte Vorlage für eine Schlammschlacht.“ Als Rachsucht hielt sich die schwarzhaarige Frau mit den blutroten Augen gerne dort auf, wo viel und erbittert gestritten wurde. Und die Situation, die sie beschrieb, war eigentlich aus dem Bilderbuch für heftige Wutausbrüche - aber was Ira da sagte, hörte sich gar nicht nach einem typischen Verlauf an.

„Bist du sicher, dass Mani nicht in der Nähe war?“, fragte Vidia neben ihr, woraufhin Ira den Kopf schüttelte. „Ganz sicher, kein Wohlwollen weit und breit. Außerdem fiel auch da das Wort „Initiative“.“

Lu trommelte mit den Fingern rhythmisch auf die Tischplatte. „Ist sonst noch jemandem dieser Begriff untergekommen?“

Sofort hoben Ava und Ace die Hände, während Lil vor sich hinlächelte. Das weckte nun wirklich Lus Interesse und er fragte die Königin der Dämonen nach dem Grund für ihren heiteren Gesichtsausdruck.

„Ich war in einem Obdachlosenheim in Washington“, setzte Lil an, während sie sich durch die goldenen Locken strich. „Einem leeren Obdachlosenheim.“

„Wurde es geschlossen?“, fragte Ace interessiert.

„Ja, aber nicht weswegen du denkst. Und es war nicht das einzige. An der gesamten Ostküste der Staaten gibt es nur noch ein einziges offenes Heim dieser Art und das auch nur, weil die Behörden es zur Sicherheit offenlassen.“

„Lilith, meine Nerven“, verlangte Lu, was das verfluchte Weib zum Lachen brachte.

Sie warf ihm rotzfrech eine Kusshand zu – etwas, das nur sie allein sich trauen konnte – ehe sie fortfuhr: „Auf jeden Fall klebte dort ein Plakat an der Wand.“ Sie schnippte und vor allen materialisierte sich eine kleinere Version davon auf dem Tisch. Schlichtes Design, grüne Lettern auf weißem Grund, doch die mangelnde Kreativität war nicht das, was Lu die sprichwörtliche Galle hochkommen ließ.

Viel mehr lag es daran, dass darauf zur Teilnahme an einer Initiative geworben wurde, die unter dem Motto „Du bist Ich“ dafür warb, sich dadurch Punkte zu verdienen, indem man den Obdachlosen half. Darunter war eine Abbildung, die ähnlich einer Skala darstellte, für welche Hilfeleistungen es wie viele Punkte gab.

„Nach dem Obdachlosenheim bin ich zur Wohlfahrt, in eine Suppenküche, ein Kinderheim und ein Krankenhaus – überall dasselbe.“ Wieder ein Schnippen und es ergoss sich eine wahre Flut an Plakaten, jedes einzelne warb für eine andere der sieben Tugenden und versprach mit den getanen Wohltaten eine bestimmte Punktegutschrift.

„Scheinbar sind diese Punkte für irgendetwas da“, murmelte Bia, einen Flyer in der Hand.

„Es ist wie mit Rabattmarken“, ergänzte Lux, der neben Lil saß. „Wenn man genug zusammen hat, bekommt man Belohnungen, wer zu wenige hat, wird sanktioniert.“

„Was?!“, explodierte Lu und sprang von seinem Stuhl auf. Unvermittelt standen die Wände in Flammen, der Geruch nach Ruß und Schwefel erfüllte den Raum, der sich aufheizte wie die Hölle selbst. „Warum verfickte Scheiße nochmal ist uns das nicht aufgefallen?!“

Die Temperatur schoss weiter in die Höhe, bis es anfing nach verbrannten Haaren zu riechen.

„Luzifer“, sagte Lilith und klang sowohl tadelnd als auch aufgewühlt. Es kam selten vor, dass sie eine Schwäche zugab. Lu wollte sich an ihrer Verunsicherung laben, würde sich darin einhüllen wie in teuren Pelz und es genießen, doch er zwang sich die Flammen ersterben zu lassen.

Von Flammen umgeben sein war Liliths persönliche Hölle, was nicht einer gewissen Ironie entbehrte.

Also zwang er sich seinen maßlosen Zorn soweit zu bezwingen, dass das Feuer erstarb und nur noch der beißende Gestank den Raum erfüllte. Unruhig tigerte er um den langen Tisch herum, registrierte wie die Sieben sich möglichst klein auf ihren Stühlen machten, wenn er an ihnen vorbei kam.

„Warum hat das niemand bemerkt?“, verlangte er wieder zu wissen. „Seit fünf Jahren läuft dieses Spielchen schon, vielleicht sogar länger und keiner von euch hat auch nur etwas davon mitbekommen? Ihr hängt doch alle ständig dort oben rum!“

„Keine Ahnung“, traute sich Ira zu sagen. „Die Plakate sind so unscheinbar.“

„Sie sehen aus wie alle anderen Anzeigen für Hilfsorganisationen auch“, murmelte Ace, der neben Faulheit auch die Ignoranz verkörperte. Er zuckte mit den breiten Schultern und ergänzte: „Die Menschen haben sie Jahrzehnte lang nicht beachtet und sich nur um sich selbst gekümmert. Keiner von uns wäre darauf gekommen sich darum zu scheren.“

„Nun, aber ganz offensichtlich ist diese Initiative anders“, knurrte Lu und deutete auf die Papiere auf dem Tisch. „Die Belohnungen und die Strafen, wie funktioniert das?“

Geraschel und Gemurmel von seinen Sieben und Lil, während jeder von ihnen sich gleich mehrere Flyer schnappte. Lu hatte sich mittlerweile wieder soweit beruhigt, dass er sich setzen konnte ohne gleich etwas in Flammen aufgehen zu lassen. Noch immer rumorten und brodelten das Feuer und die Schwärze in ihm, aber er konnte wieder stillhalten.

Für einen kurzen Moment erheiterte ihn sogar der Gedanke, dass in den unteren Stockwerken nicht nur die Sünder, sondern auch seine Dämonen einen ordentlichen Schrecken bekommen haben mussten.

Ava war die erste, die das Schweigen brach. „Das Punktesystem scheint direkt an bestimmte Leistungen geknüpft zu sein. Wenn man sich daran nicht beteiligt, dann wird einem der Internetzugang oder die Kreditwürdigkeit entzogen.“ Die Todsünde des Neids verengte die grünen Augen. „Es kann einem aber auch der Kabelanschluss gekappt werden.“

„Verdammt!“, ereiferte sich Ace, der eine ausgeprägte Schwäche für Fernsehserien hatte.

„Und wie sieht es aus, wenn man mehr Punkte sammelt?“, hakte Lu nach, woraufhin sich Lil zu Wort meldete und sagte: „Wenn man eine bestimmte Grenze überschritten hat winken Vergünstigungen: Rabatte für öffentliche Verkehrsmittel, Freiminuten beim Telefonieren, Gutscheine für diverse Geschäfte.“

Ira ließ die Papiere sinken und sah skeptisch in die Runde. „Und das allein reicht, um die Menschen umzuerziehen?“

„Scheinbar“, sagte Gul mit einem Schulterzucken.

„Zuckerbrot und Peitsche“, murmelte Lu und musste widerwillig eingestehen, dass das Prinzip so alt wie genial war. Entweder man lockte jemanden mit Geschenken oder drohte ihm mit Strafe. Lu drehte sich auf seinem Stuhl um und öffnete auf der großen Leinwand eine Suchmaske. Schon der erste Eintrag bescherte ihm die Information, die er gesucht hatte.

Mit deutlichem Widerwillen verkündete er: „Der Gründer ist ein Mann namens Nicholas Hammond.“

„Welcher der gefühlt viertausend?“, schnaubte Vidia. Sie verdrehte die gelb-braunen Augen. „Der Name ist so furchtbar durchschnittlich.“

Lil schüttelte den Kopf und erwiderte: „Das hat ihn ganz offensichtlich nicht davon abgehalten sich anderweitig einen Namen zu machen.“

„Er wird schon jetzt als Legende gefeiert.“ Bia schnippte und die Anzeige veränderte sich. Unzählige Zeitungsartikel, Videoclips und Fotos erschienen. Sie runzelte die hellen Brauen über den goldenen Augen und neigte den Kopf zur Seite, so dass die vielen Perlen in ihren hellen Haaren klimperten. „Warum ist der mir noch nicht aufgefallen? So viel Erfolg und dann kein Stolz? Kein Hochmut? Warum ist er nicht eitel?“

„Grund dazu hätte er“, schnurrte Lux, ein träges Lächeln auf den für einen Mann fast zu schönen Lippen. „Der sieht verdammt lecker aus.“

„Um eine Legende zu werden, musst du jung sterben, also…“

„Nein“, sagte Lil und unterbrach Guls Überlegungen. „Das würde ihn zu einem Märtyrer machen und wir säßen noch tiefer in der Scheiße.“

Lu grinste vor sich hin. Warum war es nur so heiß, wenn schöne Frauen fluchten?

„Lilith hat recht, so können wir uns nicht von diesem lästigen Samariter befreien. Die Menschen würden ihn glorifizieren und versuchen sein Vermächtnis zu ehren.“

Stille senkte sich über den Konferenzraum, die tiefer reichte als bloßes Schweigen. Man hätte meinen können das Höllenfeuer tief unter ihnen prasseln zu hören. Dabei war das unmöglich, durch die Tore der Hölle drang nichts nach außen. Nicht einmal Geräusche.

„Und jetzt? Was sollen wir tun Gebieter?“, fragte Lux langsam.

Ah, wie lange er von seinen Sieben diese respektvolle Anrede nicht mehr gehört hatte.

Lächelnd stand Lu auf, ging zu den großen Fenstern und blickte auf die verdorrte Ebene hinaus. Die Arme vor der Brust verschränkt besah er sich das Gebiet, das ihm gehörte. Ihm allein und das würde auch so bleiben.

„Alles zu zerstören erscheint mir die beste Option, meint ihr nicht?“

„Wie willst du das anstellen?“, erkundigte sich Lil interessiert. Man könnte schon fast sagen eifrig.

„Wir werden diesen Menschen verderben. Wir werden seine Seele so tief in den dunklen Morast ziehen, dass er selbst in hundert Leben nicht mehr rein werden kann. Und wenn alle anderen Menschen sehen, was aus ihm geworden ist, wie verkommen ihr strahlendes Vorbild ist, dann werden sie sich abkehren und das ganze Konstrukt wird in sich zusammenstürzen.“

Luzifer lachte bösartig vor sich hin. „Du willst dreckig spielen, Michael? Sehr schön, dann lass uns dreckig spielen.“

~ 5 ~

„Bitte schön“, schnurrte Lil und stellte eine Tasse Kaffee vor ihm ab. Dampfend und tiefschwarz glänzte die herrliche Flüssigkeit in der weißen Keramik.

Lu hob seinen Blick, eine Augenbraue skeptisch erhoben. „Womit habe ich das verdient und was hast du reingemischt?“

Lil lachte, was ihr klassisch-schönes Gesicht zum Strahlen brachte. Weil sie so verführerisch war, zog Lu sie zu sich auf den Schoß, genoss ihr Gewicht auf sich.

Sie legte die Arme um seine Schultern und murmelte: „Es ist ganz normaler Kaffee und du wirst ihn brauchen, wenn wir heute diesen Nicholas aufsuchen.“

„Wir?“

„Natürlich wir“, informierte sie ihn und hob eine dunkelblonde Augenbraue. „Du glaubst doch nicht, dass ich dich alleine zu ihm lasse? So wie ich dich kenne, wirst du übers Ziel hinausschießen. Außerdem ist er ein Mann, da kann ich dir behilflich sein.“

„Du meinst, weil du so unwiderstehlich bist?“, fragte Lu und grinste durchtrieben.

„Ganz recht.“

Lil würde ihm wirklich einen Gefallen tun, wenn sie ihn begleitete. Eine ihrer Fähigkeiten bestand darin ihre Gestalt zu verändern und damit genau den Typus zu treffen, den ihr Gegenüber bevorzugte. Ein entscheidender Vorteil, wenn er diesem Menschen auf den Zahn fühlen wollte.

Weil Lu wusste, dass er sie damit ärgerte, sagte er mit gönnerhafter Stimme: „Na schön, du kannst mitkommen.“

Wie erwartet fauchte sie ihn wie eine bösartige Wildkatze an, aber das störte ihn nicht. Lachend küsste er sie und schob eine Hand in ihren Nacken. Seine Finger strichen über die zarte Haut – ehe sie auf straffes, raues Narbengewebe trafen. Sofort versteifte sich Liliths sinnlicher Körper, sie rückte von ihm ab und ihre azurblauen Augen wurden dunkel vor Schmerz.

Und Angst.

Etwas in Lu zog sich zusammen, es fühlte sich widerwärtig an.

„Keine Sorge Lilith“, raunte er und küsste flüchtig ihr Kinn. „Ich werde nicht zulassen, dass sich die Erzengel der Hölle auch nur auf hundert Meter nähern. Solange es mich gibt, wird keiner dieser Drecksäcke hierherkommen. Wir sorgen dafür, dass sie ihren Kopf schön über den Wolken behalten.“

„Du kennst mich zu gut“, beschwerte sie sich, doch den Worten fehlte die nötige Schärfe.

Unwillkürlich musste Lu lächeln, auch wenn er wusste, dass ihr das überhaupt nicht gefiel. Aber wie sollte er nicht? Es war selten, dass die Königin der Dämonen sich so nahbar gab. Für gewöhnlich trug sie ihren Stolz, ihre Schönheit und ihre Magie wie eine Rüstung um sich.

Damit stand sie ihm in keinster Weise nach und das war vielleicht auch der Grund dafür, dass sie sich einerseits so unerbittlich streiten konnten aber dann wieder das Hirn herausvögelten.

Froh darüber, dass sie sich gerade nicht im Krieg miteinander befanden, schnippte Lu und neben seiner Tasse erschien eine zweite. Er hielt sie Lil hin, die einen tiefen Atemzug machte.

„To'ak-Schokolade?“, fragte sie und griff nach der Tasse.

„Für dich nur das Beste“, erwiderte Lu und lächelte vor sich hin. Oh ja, der Teufel war ein geschickter Verführer. Er wusste von all den tiefen Sehnsüchten ebenso wie von den größten Ängsten aller Kreaturen. Und beides konnte er dazu einsetzen sie zu verführen, sie zu umgarnen, sie zu zerstören.

Aber diese Tasse heiße Schokolade aus den exklusiven Kakaobohnen war heute nur dazu da die Angst aus Liliths Augen zu vertreiben.

Nachdem sie in einvernehmlichem Schweigen ihre Getränke genossen hatten, Lil noch immer auf seinem Schoß, ging er in seine Räumlichkeiten, um sich anzuziehen.

Er schlüpfte in eine der unzähligen, abgetragenen Jeans und zog ein T-Shirt aus dem Schrank, als er Lil hinter sich spürte. Er hielt ihren Blick in der großen Spiegelwand fest, während sie zu ihm kam. Der Ausdruck in ihren Augen war nicht zu deuten, als sie sich hinter ihn stellte. Lu wusste genau, warum sie so still war, was sie da auf seinem Rücken sah.

„Sie haben dich auch gezeichnet“, murmelte Lil hinter ihm, die schmale Hand auf einer der hässlichen Narben auf seinem Rücken.

Lu schloss die Augen und ließ die Arme hängen. Obwohl er es hasste selbst Schwäche zuzugeben, zwang er sich ehrlich zu ihr zu sein, wie sie eben zu ihm ehrlich gewesen war.

„Es tut weh“, gestand er. „Nach all dieser Zeit tut es noch immer weh.“

Nicht nur Lilith war von den Engeln so sehr verletzt worden, dass Narben zurückgeblieben waren, sondern Lu auch. Von seinen eigenen Brüdern. Und jetzt wollten sie ihm auch noch den letzten Rest seiner Würde und seiner Macht nehmen.

„Luzifer“, murmelte Lil und drückte ihren warmen Mund auf die alte Verletzung.

Ein Lachen schälte sich aus seiner Brust, so kalt und unheilvoll wie der tiefste Winkel der Hölle. „Sie haben einen Fehler gemacht, sie haben die falschen Teile von mir gebrochen. Sie brachen mir die Flügel und vergaßen, dass ich Krallen habe.“

Sie standen in den Schatten der Gasse und beobachteten den Mann, der Nicholas Hammond war.

Lus Mundwinkel zogen sich nach unten und er brummte: „Ich glaube an Ablehnung auf den ersten Blick.“

Lilith gab ein gutturales Grunzen von sich, das so gar nicht zu ihrer Erscheinung passen wollte. Aber sie war auch keine gewöhnliche Frau. Wenn sie wütend wurde, rannten selbst die Dämonen um ihr Leben. Ein Grund wahrscheinlich, warum sich Lu immer wieder von ihr um den Finger wickeln ließ.

„Er sieht aus wie ein ganz normaler Mann“, murrte Lu. „Was verflucht nochmal ist so besonders an ihm, dass mir die geflügelte Pest wegen ihm auf den Sack geht?“

„Siehst du es nicht?“, fragte Lil und deutete mit einer wagen Handbewegung auf Nicholas Hammond, der hinter dem großen Fenster eines Restaurants saß und mit jemandem zu Abend aß. Seine Begleitung war ein Mann Anfang sechzig, graues Haar, teurer Anzug, gerade Haltung. Jeder Zentimeter seiner Erscheinung schrie nach Geld.

Mr Hammond hingegen saß ihm locker gegenüber, gekleidet in schwarze Hosen und ein schlichtes weißes Hemd ohne Krawatte und mit hochgekrempelten Ärmeln. Es sah aus wie eine verdammte Verkleidung. Er war Ende dreißig und unter der Kleidung zeichnete sich ein athletischer Körper ab. Der Ausdruck auf dem klassisch-geschnittenen Gesicht strahlte Leidenschaft und Integrität aus.

Lu schüttelte sich unwillkürlich.

„Was soll ich sehen? Dass er gerade jemand in den Hintern kriecht?“

„Du benimmst dich noch mehr wie ein Arschloch als sonst“, schnaubte Lilith. „Die Tugenden, eure Durchlaucht. Siehst du nicht diesen Schimmer um ihn herum? Die Tugenden haben ihn berührt, so wie ich es bisher noch bei kaum einem Sterblichen gesehen habe.“

Lu kniff die Augen zusammen, sah genauer hin… und fluchte ausgelassen, in mehreren Sprachen. Tatsächlich, jede einzelne Tugend hatte diesen Mann gezeichnet und jetzt, da er es erkannt hatte, leuchtete Nicholas Hammond wie ein verschissener Weihnachtsbaum.

„Das ist ja ekelhaft“, knurrte er und schüttelte sich. „Wenn ich in seine Nähe komme, kriege ich sicher Ausschlag.“

„Du bist so ein Weichei“, erwiderte Lil, nicht ohne eine große Portion Schadenfreude. Sie stieß ihn spielerisch mit der Schulter an. „Er ist immerhin kein Heiliger. Nur ein Begünstigter der Tugenden, der scheinbar noch dazu rhetorisch begabt ist.“

Zustimmend nickte Lu und beobachtete weiter, wie Mr Hammond auf sein Gegenüber einredete.

Fleiß muss sich ja ziemlich an ihm ausgetobt haben“, bemerkte er, als die beiden Menschen sich kurz darauf die Hände schütteln. Nicholas Hammond sah sehr zufrieden aus.

Lil nickte zustimmend. „Wenn Ace das hört, wird er einen Anfall bekommen.“

„Von den anderen ganz zu schweigen. Das wird ein hartes Stück Arbeit werden.“

„Welche Strategie willst du verfolgen?“, fragte Lil und musterte ihn mit ihren blauen Augen. „Soll der Himmel es mitbekommen oder nicht?“

Ein durchtriebenes Grinsen machte sich auf Lus Gesicht breit. „Offensiv. Wir haben keine Zeit zu verlieren, aber je später sie mitbekommen, dass wir ihren Joker gefunden haben, desto besser.“

Lil erwiderte sein Lächeln und Lu legte einen Arm um sie, so dass ihr kleinerer Körper sich perfekt an seinen schmiegte.

„Komm, meine Königin.“ Er zog sie mit sich aus der Gasse und sie mischten sich in den Strom aus Menschen, die entweder von der Arbeit nach Hause eilten oder zu ihren abendlichen Verabredungen. Die Nacht war lau und lud dazu ein durch die Straßen zu flanieren. Lilith schmiegte sich an ihn und legte ihren Arm um seine Taille.

Der Knoten in Lus Brust löste sich endgültig, zumal er jetzt wusste was er unternehmen konnte, um Michael und seinen Erzengelbrüdern das vorlaute Maul zu stopfen.

„Lass uns ein wenig Spaß haben“, murmelte er in die weichen Locken der Dämonin.

Liliths Stimme war reine Versuchung, als sie ihn fragte: „Was hast du dir vorgestellt?“

„Mir schwebt eine kleinere Widerholdung von Sodom und Gomorrha vor, was meinst du?“

Ihr kehliges Lachen war Musik in seinen Ohren und ließ sein Blut singen. „Das hat damals wirklich Spaß gemacht. Worauf warten wir noch?“

~ 6 ~

Träge räkelte sich Lilith in den seidenen Laken.

Der vergangene Abend war nicht ganz so gewesen wie in den alten Städten am Roten Meer, aber dennoch hatte es ausgereicht, um Lil selig schlafen zu lassen. Vielleicht lag das aber auch daran, dass sie mittlerweile älter geworden war.

Unwillkürlich zogen sich ihre Mundwinkel hinunter, bevor sie wieder grinste. Sie war immerhin die jüngere hier im Raum, das reichte ihr schon.

Mit einem Brummen legte sich ein Arm um ihre Mitte und zog sie an einen warmen, festen Körper.

„Ich kann hören, wie selbstzufrieden du bist“, brummte Lu gegen ihren Nacken, so dass ihr eine Gänsehaut den Rücken hinunterlief. Der Mann hatte eine verboten sexy Stimme, tief und rau und selbst wenn er fluchte, war jede Silbe reine Verführung. Ganz wie der Rest von ihm.

Oh ja, der Teufel existierte. Er war kein kleiner roter Mann mit Hörnern und einem Schwanz. Er war wunderschön, denn er war ein gefallener Engel und einst Gottes Liebling.

Wie immer schob Lil den Gedanken an Ihn schnell beiseite. Nein, der alte Mann würde sich nicht nochmal in ihr Leben einmischen und sie herumkommandieren. Das hatte einmal nicht funktioniert und Lil würde lieber barfuß in eine öffentliche Toilette gehen als das noch einmal mitmachen zu müssen.

Sie liebte ihr Leben in der Hölle, genoss die Macht, die sie hatte, und den Einfluss. Wenn die Dämonen sich vor ihr auf dem Boden wanden, ihr wie eifrige Welpen die Bäuche und Hälse präsentierten, sich ereiferten ihren Wünschen zu entsprechen… Wem würde das nicht gefallen?

Es war aufregend, unterhaltsam und niemals langweilig. Und den Fürst der Finsternis in ihrem Bett zu haben war auch nicht zu verachten. Lächelnd drehte sie sich in Lus Armen und schlang die ihren um seinen Hals.

„Guten Morgen Sonnenschein.“

„Das ist ja ekelhaft“, beschied er ihr und rollte sich mit ihr herum, so dass sie unter ihm lag und die Beine um ihn schlingen konnte. Er legte sein Gesicht an ihren Hals und atmete tief ein. „Weißt du noch damals, als ich dich in einen Lindwurm verwandelt habe?“

„Jetzt wirst du unhöflich“, schnaubte Lil. „Dabei hatten wir letzte Nacht so viel Spaß zusammen.“

Ein Brummen von ihm, dicht gefolgt von einem heißen, feuchten Kuss auf ihre Schulter. Und seine Lippen waren nicht das einzige, was sich heiß an ihr rieb.

„Nicht, dass ich nicht interessiert wäre“, murmelte sie und schloss die Augen – denn verdammtes Höllenfeuer, der Mann wusste wie er sie anheizen konnte – doch sie zwang sich fortzufahren: „Aber wir haben Aufgaben zu erledigen, wenn wir nicht vor die Tür gesetzt werden wollen.“

Wieder ein Brummen, aber dieses Mal klang es eher nach einem wütenden Bären als einem erregten Mann. Lu stemmte sich hoch und betrachtete sie. Schwarzes Haar fiel ihm ins Gesicht, verdeckte einen Teil seiner perfekten Gesichtszüge.

„Es bringt mich fast um es zu sagen, aber du hast Recht.“ Er verzog den Mund und schüttelte den Kopf. „Nicht zu glauben, dass der Himmel es schafft mich vom Sex abzuhalten.“

Grinsend hob Lil die Hände und strich damit über seine Arme. Es waren wirklich sexy Arme, mit glatter Haut und festen Muskeln darunter. Besonders anziehend war die Tätowierung einer Schlange, die sich um seinen linken Bizeps schlang und über die Schulter zu seiner Brust wand. Lil liebte es, jede einzelne der feinen Linien mit den Fingern nachzufahren. Oder mit der Zunge.

„Wir holen das nach“, murmelte sie.

Sofort funkelte es in seinen grünen Augen, sein Mund verzog sich zu einem durchtriebenen Grinsen. „Ich nehme dich beim Wort.“

Ein Kribbeln lief über Liliths Haut und sie fragte sich, ob es klug oder eher besonders dämlich von ihr gewesen war, Luzifer dieses Versprechen zu geben. Da sie sich aber im Moment gut verstanden, entschied sie, dass es eine gute Idee gewesen war.

„Wie sollen wir es angehen?“, fragte sie. Sie musste nicht extra betonen, was sie mit „es“ meinte. Lu verstand sie auch so, das sah sie an dem gefährlichen Glanz, der in seine Augen trat.

„Ich will, dass du die Vorhut bildest.“

„Du meinst getreu dem Motto ‚Wenn der Teufel nicht siegen kann, dann schickt er eine Frau‘?“

Lu lachte unanständig. „So in der Art. Selbst wenn die Tugenden diesen Menschen gesäugt haben, irgendwo hat auch er einen Fleck auf seiner Seele und wenn er noch so winzig ist. Sobald wir diesen gefunden haben, sind die Todsünden dran.“

„Mit allen Mitteln?“

Lu lachte und antwortete: „Für weniger würde ich dich nicht aus dem Bett lassen. Aber vielleicht fängst du erstmal klein an.“

Lil grinste vor sich hin. „Du weißt doch, was man sagt: Ein Lächeln wird dich sehr weit bringen.“

„Aber ein Lächeln und eine Waffe bringen dich weiter“, ergänzte Lu. Mit einem Seufzen stieg er aus dem Bett. Er sah auf sie hinunter und wurde wieder ernst. „Du weißt, dass du dort jemandem von oben über den Weg laufen könntest?“

„Ja“, erwiderte sie. Kälte sammelte sich hinter ihrem Brustbein, die Brandnarbe an ihrem Hals begann zu prickeln. Sie stützte sich auf die Ellenbogen.

„Willst du Bia mitnehmen?“

Oh, Luzifer war gefährlich, wenn er so fürsorglich war. Lil war meilenweit davon entfernt naiv zu sein, doch manchmal ertappte sie sich dabei, dass sie ihn für einen von den Guten halten wollte. Wobei es in ihrem verdrehten, abartigen Fall auch so war, dass tatsächlich die Hölle der Ort gewesen war, der ihre Rettung bedeutet hatte.

„Nein.“ Lil stieg aus dem Bett, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Lu auf die Wange. „Ich bin ein großes Mädchen.“

„Das sehe ich“, murmelte er.

„Vergiss es also nicht.“

Er ging hinter ihr her, als sie mit wiegenden Hüften zum Badezimmer lief. „Hat es eigentlich wehgetan, als du vom Himmel gefallen bist?“

Lilith lachte. Dieses Wortspiel spielten sie schon seit Jahrtausenden und es amüsierte sie doch immer wieder aufs Neue. Also drehte sie sich um, zwinkerte Lu zu und erwiderte: „Nein, aber ich habe mir die Knie aufgeschürft, als ich aus der Hölle gekrochen bin.“

Ganz so unangenehm war der eigentliche Weg aus der Hölle dann nicht.

Tatsächlich war er ziemlich unspektakulär, wenn auch hübsch anzusehen. Es gab nämlich keine Höllenpforte, wie man das meinen konnte. Die Hölle, die Erde und der Himmel waren sprichwörtlich verschiedene Ebenen, die man als Sterblicher durch den Tod wechseln konnte oder als Unsterblicher durch Dematerialisierung.

Ein viel zu technisches Wort für Liliths Geschmack, aber man hatte sie bei der Auswahl nicht gefragt.

Also dematerialisierte sie sich von der Hölle in eine Seitengasse nicht weit von der Zentrale der Organisation. In dem schlichten Gebäude würde sie Mr Hammond sicher finden und wenn nicht, dann würde sie dort erfahren, wo sie ihn suchen musste. Dann einige Minuten in seiner Nähe… und sie würde wissen, wie sie ihr Äußeres verändern musste, um bei ihm alle Knöpfe zu drücken.

Mit einem Lächeln verließ sie die Seitenstraße und betrat wenige Minuten später das Gebäude. Am Empfangstresen blieb sie stehen und sagte freundlich: „Hallo, ich bin Jessy Bell, die neue Praktikantin.“

Der Mann hinter dem Tresen musterte sie eingehend und Lilith nutzte ein Quäntchen ihrer Macht, um ihn zur Kooperation zu bewegen. Außerdem beeinflusste sie die Technik, ließ einen Mitarbeiterausweis und alle nötigen und unnötigen Unterlagen entstehen, die sie für die Durchführung dieser kleinen Maskerade benötigte.

Die Menschen machten sich das Leben wirklich unsagbar umständlich.

„Guten Morgen Ms Bell“, sagte der Mann endlich und erwiderte ihr Lächeln. „Schön, dass Sie pünktlich sind.“

„Eine meiner vielen Tugenden“, log sie fröhlich ohne rot zu werden.

„Das wird Mr Hammond sicher freuen.“ Er schob ihr ein Klemmbrett mit einem Stift und einem Ausweis zu. „Bitte füllen Sie das aus, ich rufe in der Zwischenzeit oben an und lasse Sie abholen.“

„Vielen Dank.“

Schnell füllte sie die Felder aus und gab das Klemmbrett zurück. Kurz darauf öffneten sich die Aufzugtüren zu ihrer Linken und eine Frau mittleren Alters, mit strengem Zopf und praktischer Kleidung kam auf sie zu. Sie sah aus, als wäre sie noch Jungfrau und Lil würde ihr Gewicht in Gold darauf verwetten, dass Tas sich bei ihr besonders ausgetobt hatte.

Die Frau blieb vor ihr stehen und musterte sie von oben bis unten als wäre sie eine Sklavin auf einem Markt.

Lil bezwang den Wunsch, sie für diese Unverschämtheit zu maßregeln. Sie war unwissend und unwichtig, nur ein Mittel zum Zweck auf Liliths Weg zum Kopf dieser Organisation. Sie könnte einen ihrer Dämonen bitten, sich um sie zu kümmern.

Oh ja, dieser Gedanke gefiel ihr.

„Ms Bell, ich bin Mary Cormag. Willkommen bei Auxilium. Bitte folgen Sie mir.“

„Aber gerne“, erwiderte Lilith lächelnd. Sie konnte es kaum erwarten.

~ 7 ~

„Alkohol vor vier Uhr, so tief bist du also schon gesunken?“

Lu stieß ein tiefes Knurren aus, das den Mann hinter der Bar zusammenzucken ließ. Mit angstvollem Blick sah er ihn an, ehe er eilends an das andere Ende der Theke lief.

Neben ihn setzte sich jemand und Lu musste sich zwingen, nicht aufzuspringen und diesem Jemand entweder die Scheiße aus dem Leib zu prügeln oder mit dem Stuhlbein des Barhockers zu pfählen. Beide Vorstellungen waren verlockend, auch wenn sein neuer Nebensitzer nicht sterben konnte.

Da er aber über mehr Selbstbeherrschung verfügte, als man ihm vielleicht zutraute, tat Lu nichts dergleichen. Stattdessen erwiderte er: „Ich bin der Teufel, mir gehört schon das Kellergeschoss.“

„Nicht mehr lange“, kicherte Gabriel und klang dabei wie ein verdammtes Schulmädchen. Aber statt einem Kind mit Kleidchen und geflochtenen Zöpfen saß neben Lu ein großgewachsener Mann mit braunen Augen und goldblonden kurzen Haaren, die er sich tatsächlich mit Gel zurückgekämmt hatte. Igitt.

Er sah mit seinem weißen Hemd, den sauberen Jeans und den Arbeitsstiefel so ekelerregend tugendhaft aus, dass Lu der Whisky fast wieder hochgekommen wäre.

„Du bist fast so ein großes Arschloch wie Michael“, erwiderte Lu und zeigte ihm den Finger, ehe er sein Glas leerte und gleich wieder nachfüllte.

„Luzifer“, seufzte der Erzengel und winkte nach dem Barmann, „du warst schon immer eine Enttäuschung. Auch deine Beleidigungen waren einmal origineller.“

„Tut mir leid, für den dritten in der Reihe ist leider nicht mehr viel übrig. Du kannst Rafe schon mal schöne Grüße von mir ausrichten, dass er sich gar nicht bemühen muss, seinen Arsch hier herunter zu schwingen.“

„Ich wusste, dass du das sagen würdest.“

„Ist auch keine Kunst“, knurrte Lu. Gabriel war nicht nur Vorsteher der himmlischen Heerscharen, sondern auch derjenige unter den Erzengeln, der Nachrichten und Visionen übermittelte. Der Drecksack wusste mehr oder weniger alles. Was Lus Magenschmerzen verstärkte, denn wenn Gabriel hier war, konnte das durchaus bedeuten, dass sein Plan aufgeflogen war. Dabei hatten sie nicht einmal richtig angefangen.

Aber er hütete sich davor etwas in diese Richtung zu sagen, denn vielleicht hatte er auch mal Glück und der blonde Erzengel hatte keinen blassen Schimmer.

„Was willst du hier? Außer mich beim Trinken zu stören?“

Gabriel seufzte, als müsse er um Geduld ringen. Gut so.

„Ich bin hier, um dir die Bedingungen für die Übernahme der Hölle zu übermitteln.“

„Ah, also als geflügelter Postbote. Und ich dachte schon, dass es etwas Wichtiges wäre.“

Der Erzengel zog die Mundwinkel nach unten. „Du weißt nicht, wie oft ich mir wünsche, dass Er dich nicht erschaffen hätte.“

„Niemand hat mich geschaffen, ich habe mich selbst geschaffen.“

„Das ist eine Lüge und das solltest du wissen, schließlich bist du der unangefochtene König der Lügner.“

Lu lachte und erwiderte mit einem Grinsen: „Ich bin mir zu 97 % sicher, dass du mich nicht magst. Aber ich weiß zu 100 %, dass es mich nicht interessiert.“

„Ich hoffe, du erstickst eines Tages an der Scheiße, die du die ganze Zeit von dir gibst“, konterte Gabriel hitzig. Ein gefährliches Lodern trat in seine braunen Augen. Himmlisches Feuer, das die Macht hatte, alles und jeden sowohl im Himmel, auf der Erde als auch in der Hölle zu versengen. Er war es gewesen, der Lilith verbrannt hatte, war der Grund für die Narben, die die Königin der Dämonen nach all den Jahrtausenden noch immer quälten, auch wenn sie augenscheinlich verheilt waren.

„Na, wer hätte das gedacht“, schnurrte Lu und lehnte sich ein Stück näher zu dem Erzengel, bis sich ihre Oberarme berührten. Ungeniert erwiderte er seinen starren Blick. „Ein Liebling des Himmels flucht. Mich würde interessieren, woher du diesen Wortschatz hast und was der Alte dazu sagt.“

„Du bist unverschämt“, schnaubte Gabriel und rückte von ihm ab. Es war wirklich lustig, wie peinlich die Federknäule auf körperlichen Abstand beharrten. Lu hatte es schon mehr als einmal geschafft, sie damit los zu werden, dass er ihnen eindeutige Avancen gemacht hatte.

Lu grinste bei der Erinnerung und schenkte sich Whisky nach. „Danke, das sehe ich als Kompliment.“

Der Erzengel knurrte etwas Unverständliches, ehe er sich zur Seite neigte und einen gefalteten Umschlag aus seiner Hosentasche zog. Vor Lu legte er ihn auf das abgestoßene Holz der Theke – und Lu erwartete fast, dass sich das blütenweiße Papier in die Oberfläche fraß. Am liebsten hätte er es in Flammen aufgehen lassen, aber das funktionierte leider nicht. So wie das erste Schreiben auch würde das Papier maximal an den Rändern zu kokeln beginnen.

„Ihr steht wirklich auf diesen Papierkram, oder?“, fragte er rau.

„Ria ist immer sehr bemüht und wir lassen ihr die Freude.“

Lu nahm das verhasste Dokument und schob es in die Gesäßtasche seiner Jeans.

„Schön, du hast deinen Job erledigt. Jetzt hopp-hopp nach Hause, bevor du dir hier vielleicht noch eine schlechte Angewohnheit einfängst.“ Er musterte Gabriel von oben bis unten, als würde er nach sichtbaren Makeln suchen.

Die Miene des Erzengels verdunkelte sich, aber er enthielt sich eines Kommentars. Stattdessen stand er auf und verließ ohne ein weiteres Wort die Bar. Der Hölle sei Dank.

Neben der Erleichterung sich nicht mehr mit dem Waschlappen unterhalten zu müssen war Lu noch aus einem anderen Grund froh, dass der Erzengel wieder gegangen war: Lilith wollte sich hier mit ihm treffen und wenn sie auf Gabriel traf… Sie war keine Gegnerin für ihn, neigte aber dazu, mit besonders widerlichen Zaubern um sich zu werfen und Lu wollte unter keinen Umständen ins Kreuzfeuer geraten.

Nein, er brauchte Lil konzentriert und einsatzbereit.

Zwanzig Minuten und die halbe Whisky-Flasche später betrat eine Frau die Bar. Sie war großgewachsen, hatte kleine Brüste, eine schmale Taille und rundliche Hüften. Ebenholzfarbene Locken ergossen sich über eine ihrer Schultern, sie hatte ein herzförmiges Gesicht und mandelförmigen Augen. Eben diese, Lu würde sagen sie waren grün, sahen sich suchend in der Bar um.

Lu hatte sie noch nie zuvor gesehen und doch erkannte er sie sofort.

Als sie ihn sah, schenkte sie ihm ein müdes Lächeln, kam zu ihm herüber und setzte sich auf den Barhocker, auf dem eben noch der verfluchte Erzengel gesessen hatte.

„Hey“, murmelte sie mit weicher Stimme, drückte einen Kuss auf seinen Hals und schnappte sich dann seinen Drink, um ihn in einem Zug zu leeren. Mit einem Schnippen in Richtung des Barkeepers orderte sie ein zweites Glas.

„Wie war dein Tag, Liebling?“, fragte Lu mit einem Lächeln.

„Ich fühle mich schmutzig“, verkündete Lil und riss dem unsicheren Barkeeper das Glas regelrecht aus der Hand. Während sie sich einschenkte, sagte sie: „In diesem Gebäude war so viel Gutes, dass es wie ätzender Nebel in der Luft hing. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, ich bekomme Asthma.“

Sie kippte den Whisky hinunter und seufzte. Dann lehnte sie sich mit dem Kopf an seine Schulter und murmelte: „Es war verdammt anstrengend.“

„Dafür siehst du unbeschreiblich niedlich aus“, sagte Lu und drückte einen Kuss auf ihren Scheitel. Von der Königin der Dämonen kam nur ein Knurren, während sie an ihrem dritten Drink nippte.

„Es hat mich fast zehn Minuten gekostet mich auf diesen Hammond einzugrooven.“

Irritiert zog Lu eine Augenbraue nach hoben. Für gewöhnlich war Lilith schneller. Sie hatte ein ausgeprägtes Talent dafür, innerhalb von wenigen Augenblicken genau zu wissen, welche visuellen Reize eine Person anzogen. Egal ob diese auf Männer, Frauen oder beides stand.

„Ist er asexuell?“, fragte Lu und konnte nicht verhindern, dass er angeekelt klang. Wie sehr musste Tas, die Tugend der Keuschheit, diesen Mann beeinflusst haben?

„Nein, ist er nicht“, antwortete Lil. Sie richtete sich wieder auf und erwiderte seinen Blick. „Aber ich würde meinen Hintern darauf verwetten, dass er bisher nicht viel herumgekommen ist. Was aber auch kein Wunder ist, wenn man bedenkt, wie tugendhaft er ist.“

„Da hast du wohl recht.“

„Immerhin hat ihn mein neues Aussehen ein wenig in Bedrängnis gebracht“, verkündete Lil und grinste selbstgefällig. „Er ist doch tatsächlich rot geworden.“

„Gut gemacht“, lobte Lu und lachte, als Lil ihm den Finger zeigte.

„Den Honig kannst du dir sparen, ich kaufe dir die Nummer eh nicht ab.“

Lu zuckte mit den Schultern und trank von seinem Whisky. „Gut. Dann lass mal hören.“

Lil setzte sich aufrechter hin und begann zu erzählen: „Die haben sich Auxilium genannt, wie das Lateinische Wort für Hilfe. Ekelhaft.“ Lil schüttelte sich, als würde ihr ein Insekt den Rücken hinunterlaufen. „Aber es passt leider.“

In knappen Worten berichtete sie Lu von all den Kampagnen und Vorgaben, die die Initiative vorantrieb, mit welchen Firmen und Behörden sie kooperierten und wie sie die Punktekonten der Menschen verwalteten. Sie hatten ihre Finger sprichwörtlich überall drin und beeinflussten die Gesellschaft äußerst effizient.

Lu war beeindruckt, wie viel Lil innerhalb von acht Stunden herausgefunden hatte. Sie musste sich wie ausgelaugt fühlen, weil das garantiert nicht ohne den Einsatz von viel Magie möglich gewesen war. Er war froh, dass er den Kühlschrank in seiner Wohnung mit all den Leckereien hatte bestücken lassen, die Lilith besonders gern mochte. Inklusive eines großen Vorrats an To'ak-Schokolade.

„Was ist mit den Flecken auf der Seele von Nicholas Hammond?“, wollte er zum Schluss ihres Berichts wissen.

„Ich konnte noch keine finden.“

„Verarschst du mich?“, platzte es aus Lu heraus, so dass sich einige der anderen Bargäste zu ihnen umdrehten. Sie wandten sich jedoch schnell wieder ab, als würden sie unterbewusst spüren, wer hier unter ihnen saß und dass sie besser nicht seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollten.

Lil sah genauso unglücklich aus, wie Lu sich fühlte.

„Das heißt nicht, dass er keine hat“, sagte Lil. „Ich werde sie finden, das garantiere ich dir.“

„Das heißt, du gehst morgen wieder hin?“

„Ja – auch wenn ich mich lieber von einem Schwarm Kolibris zu Tode picken lassen würde.“

Lu lachte. „Das steht leider nicht zur Auswahl.“

„Das sollte es aber“, seufzte Lil. Sie trank ein wenig und lehnte sich wieder an seine Schulter. „Die sind da alle so nett.

„Du kannst auch nett sein.“

„Das ist aber jedes Mal verdammt anstrengend. Niemand flucht, niemand macht schmutzige Witze, keiner lästert. Stattdessen lächeln alle und sind immer freundlich.“

Unwillkürlich zog Lu die Mundwinkel nach unten, während er seinen Kopf drehte, um Lil anzusehen. „Sind dir auch wirklich keine Tugenden begegnet? Das hört sich ganz so an, als würden sie da wohnen.“

„Zum Glück nicht. Ich hoffe, dass sie da morgen auch nicht auftauchen.“

Lu lächelte, warf einige Geldscheine auf den Tresen und legte einen Arm um sie. „Du schaffst das. Und jetzt schwing deinen sexy Hintern von diesem Barhocker, damit wir nach Hause gehen können und du wieder dein eigenes Gesicht zeigen kannst.“

Er hörte Lil leise lachen, während sie seiner Aufforderung nachkam.

~ 8 ~

Der Abend des folgenden Tages war bereits fortgeschritten, als sich die Türen zu Lus Wohnräumen endlich öffneten.

Er hob den Kopf von seiner Lektüre und beobachtete, wie Lil hereinkam. Mit jedem Schritt, den sie weiter in den Raum hineinmachte, legte sie mehr von der Maske ab und wurde wieder zu sich selbst. Als sie bei ihm angekommen war, ließ sie sich mit einem tiefen Seufzen auf das Sofa fallen.

„Oh, du lebst noch“, sagte er süffisant, was ihm einen vernichtenden Blick aus blauen Augen einbrachte.

„Hör auf das so enttäuscht zu sagen, ich könnte anfangen zu glauben, dass du mich nicht magst.“

„Ich bete dich an“, erwiderte Lu mit einem langsamen Lächeln. Er legte sein Buch zur Seite und zog Lil auf seinen Schoß. Die Königin der Dämonen schmiegte sich an ihn und platzierte einen Kuss auf seinem Hals. Lu hätte es niemals zugegeben, doch er war leicht nervös gewesen, weil Lil so lange gebraucht hatte.

„Wie ist es gelaufen?“

„Du schuldest mir ein verdammt teures Abendessen“, brummte sie statt einer Antwort.

„Süße, wir werden aus unserem Reich rausgeschmissen. Das zu verhindern dürfte doch wohl Lohn genug sein.“

Ein Schwall an Flüchen, die sie gegen seine Schulter zischte, ließ ihn lachen.

„Na schön“, lenkte Lu ein. „Wenn ich ja sage, erzählst du mir dann endlich, was du so lange dort oben gemacht hast?“

„Gearbeitet“, sagte Lil und seufzte nochmals. „Und das schwer, denn sonst hätte ich nicht genügend Zeit mit Nicholas verbringen können.“

„Nicholas“, schnurrte Lu und merkte, wie sich die Schwärze in ihm regte. „Wie schön, dass ihr euch beim Vornamen nennt.“

Lil hob den Kopf und schlug ihm gleichzeitig gegen die Brust. „Jetzt führ dich doch einmal nicht wie ein eifersüchtiges Arschloch auf. Du warst es doch, der gesagt hat, ich soll mich an ihn dranhängen.“

Lu beschloss, nicht auf die Triade seiner Königin einzugehen. Vielleicht, weil sie Recht hatte und das zuzugeben im Augenblick nicht im Bereich seiner Macht lag. Verdammt.

Stattdessen fragte er: „Haben sie gemerkt, dass du eine schwarze Seele hast?“

„Ich war sehr höflich, verflucht nochmal!“ Sie schüttelte sich und fuhr fort: „Genau deswegen fühlte ich mich wie auf die Folterbank gespannt. Ich schwöre beim Höllenfeuer, dass ich so höflich war wie noch kein Dämon vor oder nach mir je sein wird. Man sollte mir ein verdammtes Denkmal setzen.“

„Ein Abendessen und ein Denkmal? Ich glaube, du verbringst zu viel Zeit mit Ava, sie färbt auf dich ab.“

„Sei froh, dass ich so gierig bin, denn Ran hat in dem Gebäude überall seine Mäßigkeit versprüht.“

Lu merkte auf. „Ist dir eine der Tugenden über den Weg gelaufen?“, fragte er und konnte nicht verhindern, dass sich seine Mundwinkel bei dem Gedanken wieder nach unten zogen. Er hasste diese sieben Arschkriecher fast so sehr wie das geflügelte Pack.

„Ja, Pat“, sagte Lil.

„Was wollte Geduld denn dort?“

„Dafür sorgen, dass niemand das Handtuch wirft. Ich dachte anfangs ja, dass diese Organisation allein von Cari, Mani und Ria betrieben wird. Aber das war ein Irrtum, denn neben Mildtätigkeit, Wohlwollen und Fleiß waren auch die anderen vier Tugenden nötig gewesen, um diese Initiative so erfolgreich werden zu lassen.“

Lu ging ein Licht auf und er fragte: „Du meinst, wäre Lita nicht da gewesen, dann wären sie statt Demut für ihren Erfolg zu empfinden dem Stolz verfallen?“

„Ganz genau. Sie haben scheinbar aus ihren früheren Fehlern gelernt.“

„Scheiße.“

„Schöner hätte ich es nicht ausdrücken können.“

„Hat Pat dich erkannt?“, fragte er. Er wusste nicht genau, ob ihm das gefallen würde oder nicht. Lu wollte zwar, dass der Himmel mitbekam, dass sie ihren Joker gefunden hatten, aber noch war der Plan zu unausgereift.

Und so war er sehr froh, als Lil seine Frage verneinte. „Zum Glück nicht. Ich habe mich vor ihm in die Damentoilette geflüchtet, als er durch die Flure gegangen ist.“

„Du bist einmalig“, lachte Lu und gab ihr einen schnellen Kuss. Seine Heiterkeit verflog jedoch, als er die eine Frage stellte, die sprichwörtlich über das Schicksal seiner Welt entscheiden würde: „Was ist mit Hammond? Hast du den Fleck auf seiner Seele finden können?“

Ein träges, sinnliches Lächeln von der Königin der Dämonen, das ein dunkles Feuer in ihre blauen Katzenaugen treten ließ.

„Ruft Eure Gefolgschaft zusammen, Fürst der Unterwelt. Es gibt Arbeit für uns.“

„Wir sollten diesen Tag rot im Kalender anstreichen“, verkündete Lu, als Ace als erster den Sitzungssaal betrat.

Der Mann, der wie so oft aussah, als hätte er stundenlang an irgendeinem Strand in der Sonne gelegen, zeigte ihm den Finger. Was er sich auch nur deswegen traute, weil Lu gute Laune hatte. Man könnte sagen, teuflisch gute Laune.

Kaum hatte sich Faulheit gesetzt, kamen schon die anderen Todsünden in den Saal, um ihre Plätze einzunehmen. Das Schlusslicht bildeten Lux und Bia, die wahrscheinlich wieder mal etwas am Laufen hatten, so wie sie aneinanderhingen. Lu konnte nur hoffen, dass sie sich dieses Mal trennten, ohne einen der Höllenkreise in Schutt und Asche zu zerlegen.

„Schön“, sagte Lu und die Gespräche am Tisch verstummten sofort. „Da wir nun vollzählig sind, kommen wir gleich zur Sache.“ Er legte eine Pause ein und ließ mit einem Schnippen ein Bild von Nicholas Hammond auf der Leinwand erscheinen. „Lil hat herausfinden können, wo ein schwarzer Fleck auf der Seele dieses Menschen klebt und was genau dieser Fleck ist, so dass wir damit anfangen können, ihm die Reinheit auszutreiben.“

„Was die Tugendhaftigkeit dieses Mannes betrifft, rangiert er eine Stufe unter der Jungfrau Maria“, sagte Lil. „Es wird also ein hartes Stück Arbeit.“ Sie sah dabei vor allem Ace an, der mit den Augen rollte.

„Das ist jetzt aber Mobbing“, beschwerte er sich. „Ihr wisst genau, dass Faulheit ein Schlüssel zur Effizienz ist. Außerdem habe ich genauso wenig Bock darauf, mir von Michael sagen zu lassen, was ich tun soll wie ihr auch.“

„Unsere Mimose hat Recht“, schaltete sich Ira ein und warf Ace einen Luftkuss zu. „Die dort oben scheinen zu vergessen, dass unsere Eigenschaften nur im Übermaß etwas „Schlechtes“ sind.“ Sie hatte tatsächlich die Arme gehoben und Gänsefüßchen in die Luft gemalt. Seine Todsünden konnten manchmal so albern sein.

„Danke für diese Ausführung“, sagte Lu mit erhobener Augenbraue. „Aber können wir nur einmal beim Thema bleiben?“

„Was ist denn der Fleck?“, wollte Gul wissen.

„Schön, dass gerade du das fragst“, bemerkte Lu mit einem Grinsen. „Denn der Mann hat tatsächlich eine Schwäche für guten Wein.“

„Tatsächlich?“, fragte Völlerei und es trat ein aufgeregtes Leuchten in seine schwarzen Augen.

Ira hingegen war nicht so euphorisch, sondern fragte skeptisch: „Wirklich? Dass ist das einzige Laster, das er hat?“ Sie sah zu Lil und fügte hinzu: „Das ist dein Ernst?“

„Ich habe doch gesagt, dass er eine Stufe unter der Jungfrau Maria steht, was hast du erwartet? Wir können froh sein, dass er nicht Abstinenzler ist.“

Ein Raunen ging durch den Saal, begleitet von vorgetäuschten Würggeräuschen. Lu konnte die Todsünde des Zorns verstehen, denn ihm wäre es auch lieber gewesen, wenn Nicholas Hammond einen Hang zum Geiz oder zu zwanghafter Masturbation gehabt hätte.

„Wir müssen nehmen, was wir bekommen“, sagte er über das Gemurmel hinweg. „Also, was tun wir um dieses wirklich lächerliche Laster zu unserem Vorteil zu nutzen?“

Sofort entbrannten mehrere Diskussionen am Tisch, die Todsünden spekulierten was die beste Vorgehensweise wäre und schmiedeten einen Plan nach dem anderen.

Lu lehnte sich in seinem Stuhl zurück, so zufrieden wie ein Fuchs, der gerade einen ganzen Hühnerstall aufgefressen hatte. Das Bild passte herrlich, denn wie Hühner wollte er die geflügelten Dreckssäcke aus der oberen Etage rupfen.

Nach einigen Minuten stand er auf und forderte: „Klappe zu!“ Sofort drehten sich alle Köpfe zu ihm.

„Ich will, dass wir das in Phasen angehen. Eine Todsünde nach der anderen. Wir werden seine Seele Stück für Stück verderben um Erfolg zu haben. Den Anfang wird logischerweise Gul machen.“ Der Mann, der heute komplett in Versace gekleidet war, setzte sich sofort aufrechter hin.

„Wie wäre es, ihm ein Weinpräsent zu machen, dass er nicht ablehnen kann? Ich habe da einen ganz besonderen Palacios Priorat im Blick. Wenn er wirklich eine Schwäche für Wein hat, dann kann er zu dem nicht Nein sagen.“

„Gefällt mir“, erwiderte Lu. „Ich will, dass du dich als Investor ausgibst und den Wein auch mit ihm zusammen trinkst. Dein unmittelbarer Einfluss wird garantiert auf ihn abfärben und ihm die Mäßigkeit austreiben.“

„Ran wird ausrasten“, gluckste Bia zufrieden, während sie sich durch ihre goldenen Haare und die vielen Perlen darin strich, die dabei ein leises Klimpern von sich gaben.

Ein Lachen ging durch den Raum, niederträchtig und schadenfroh. Es wärmte Lu richtiggehend das Herz. Er grinste breit und sagte: „Okay Ladies, dann mal Titten hoch und los!“

~ 9 ~

„Jetzt entspann dich“, sagte Lu zu Gul und musterte die Todsünde mit hochgezogener Augenbraue. „Sonst gewinne ich noch den Eindruck, dass das dein erstes Mal ist, dass du einen Menschen verführen willst.“

„Red keinen Unsinn“, schnaubte Völlerei. „Aber bisher ging es nie um so viel.“

Lu seufzte, denn Gul hatte Recht. Er stellte sich vor den Mann und richtete seine Fliege. Nicht weil sie schief saß – Gul war wie immer in makellosem Armani gekleidet – sondern eher, um ihm ein wenig Zuwendung zuteil werden zu lassen.

Manchmal benahmen sich seine Sieben wie Kinder, obwohl sie fast so alt waren wie er selbst. Demnach war keine der Todsünden wirklich kindlich. Aber gelegentlich wandten sie sich an ihn wie zu einer Art Vater. Ihre Beziehung zueinander war kompliziert, geformt durch so viele Zeitalter und Epochen, dass Lu manchmal Kopfschmerzen davon bekam, wenn er darüber nachdachte.

Lu legte die Hände auf Guls Schultern und sagte: „Wer es schafft, selbst während Hungersnöten seinen Einfluss auf die Menschen geltend zu machen, der schafft es auch diesen Spießer zum Trinken zu überreden.“

„Ja, nicht wahr?“, fragte Gul und grinste vor sich hin.

„Ganz genau. Und jetzt los, ich werde nicht jünger.“

Ein Lachen von der Todsünde neben ihm, ehe sie sich in Bewegung setzten. Sie hatten sich in einer uneinsehbaren Nische des Luxushotels materialisiert, in dem an diesem Abend eine Spendengala für die Initiative stattfinden sollte. Nicholas Hammond war natürlich anwesend, ebenso wie zweihundert erlesene, stinkreiche Gäste. Lu rechnete fest damit, dass hier einige Kandidaten für sein Reich herumliefen und es sollte ihn der Schlag treffen, wenn er ihre Seelen verlieren würde.

Obwohl sie keine Einladung hatten, passierten sie den Empfangstresen und die anschließenden Sicherheitsleute ohne Probleme. Es war lächerlich wenig Magie nötig gewesen, um die Menschen davon zu überzeugen, dass sie hierhergehörten.

Lu seufzte, als sie endlich in den Saal gelangt waren, und richtete sein schwarzes Jackett. „Wäre ich kleinlicher, dann hätte ich Geld verlangen müssen für die Grabscherei, die der Sicherheitsmann da eben abgezogen hat.“

Gul lachte neben ihm, ein durchtriebenes Funkeln in den schwarzen Augen.

„Du siehst aber auch zum Anbeißen aus“, schnurrte er und musterte Lu von oben bis unten, als wolle er ihn ausziehen. „Ich wusste nicht, dass du so etwas neben deinen zerrissenen Jeans und den T-Shirts im Schrank versteckst.“

„Beklagst du dich gerade über meinen Kleidungsstil?“

„Niemals, mein Fürst.“ Dieses Mal war es Gul, der sich an Lus Kragen zu schaffen machte. Er hatte im Gegensatz zu Völlerei auf eine Fliege verzichtet, trug zu dem maßgeschneiderten schwarzen Anzug nur ein schwarzes Hemd, ganz ohne zusätzlichen Schmuck am Hals. Eben bei diesem Hemd öffnete Gul die obersten zwei Knöpfe.

„So ist es besser“, verkündete er zufrieden. „Niemand kauft dir den zugeknöpften Milliardär ab.“

„Du und Bia, ihr seid euch manchmal so ähnlich.“

Daraufhin zuckte Gul nur mit den Schultern und ließ die Hände sinken, ehe er sich umsah. Lu tat es ihm gleich und fragte: „Wie willst du es anstellen?“

„Ich?“

„Ja, natürlich du. Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich nur als Zaungast hier bin. Ich werde mich hüten, mich in deine Angelegenheiten einzumischen.“

„Ein feiner Fürst bist du“, murrte Gul und schüttelte den Kopf. „Na schön. Setzen wir uns und dann sehen wir weiter.“

Gemeinsam bahnten sie sich einen Weg durch die locker verteilten Tische. An jedem einzelnen war für zehn Personen eingedeckt worden, kleine Karten waren auf den Platzsets verteilt und der Tischschmuck war schlicht, aber stilvoll. Dieses Thema zog sich durch den ganzen Saal des Hotels, bis vor zu dem kleinen Podium. Es war bereits die Hälfte der Gesellschaft anwesend, so dass das Gemurmel ihrer Gespräche zu einem monotonen Hintergrundgeräusch verschmolz.

Mehr als ein Augenpaar folgte den beiden Männern bei ihrem Weg, zu Lus Freude und Erleichterung waren es durchweg menschliche. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn zumindest eine Tugend oder gar ein verschissener Erzengel hier herumlungern würde.

Wie selbstverständlich gingen Gul und er zu einem der vordersten Tische. Vier der anderen Tischgäste waren bereits anwesend: Zwei Frauen in hochgeschlossenen, traurig-unförmigen Etuikleidern und zwei Männer in schlichten Smokings.

Etwas wie Aufregung erfasste Lu, denn einer der Herren war Nicholas Hammond.

Die Gelegenheit sich mit Mr Hammond zu unterhalten, ergab sich vor dem offiziellen Teil der Veranstaltung nicht, doch das störte Lu wenig. Was ihm gewaltig auf den Sack ging, war das elende Geschwafel der Redner, die einer nach dem anderen zu dem Podium gingen und immer wieder denselben Mist mit anderen Worten sagten.

Eine Hälfte versuchte auf das Mitgefühl und das Gewissen der reichen Geldsäcke einzuwirken – schlechte Strategie – während die andere Hälfte sich besser anstellte, denn sie hoben die gute Publicity und die steuerlichen Vorteile hervor, die mit einer großzügigen Spende einhergingen.

Ihnen war Lu fast schon wohlwollend gegenüber gestimmt, doch Dummschwätzer waren sie alle.

„Ich werde von Menschen heimgesucht“, flüsterte Lu in sein Glas, ehe er den teuren Scotch hinunterkippte.

„Nicht nur du“, seufzte Gul neben ihm. „Manchmal sind sie so lästig. Sie reden und reden und reden…“

„Ja“, pflichtete Lu ihm bei. „Darum schauen wir uns auch an, was sie tun, anstatt auf ihr ständiges Geschwätz zu hören.“

„Mr Hammond ist aus einem anderen Holz geschnitzt.“ Gul deutete mit einer kleinen Kopfbewegung zu dem Menschen, der mit ernster Miene weiter souverän seinen Vortrag hielt. Er sah so rechtschaffen aus, mit dem akkuraten Kurzhaarschnitt seiner dunkelblonden Haare und dem schlichten Anzug.

Zum Glück war er der letzte Redner für diesen Abend.

Lu seufzte: „Natürlich, sonst säßen wir nun nicht so tief in der Scheiße.“

Nach einer gefühlten Ewigkeit – und das sollte etwas heißen, so alt wie Lu war – ertönte endlich der Abschlussapplaus und die Veranstaltung ging zum angenehmeren Teil über. Getränke wurden nachgeschenkt und die ersten Horsd'œuvre von den Kellnern herumgereicht.

Und endlich kam der Mann an den Tisch zurück, dessen Untergang Lu und jedes einzelne Höllengeschöpf herbeisehnte.

„Glückwunsch, Mr Hammond“, lobte Lu, prostete dem Mann zu und schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln. Gul fiel in sein Lob mit ein.

„Danke die Herren“, erwiderte Mr Hammond, ein echtes Lächeln in den braunen Augen. „Bitte entschuldigen Sie, ich habe ein grauenhaftes Namensgedächtnis. Sie sind Mr…?“

„Morningstar“, erwiderte Lu und nahm die angebotenen Hand von Mr Hammond, wenn auch widerwillig. Er hatte Lil nicht angelogen als er sagte, dass er fürchtete, in der Nähe dieses Mannes Ausschlag zu bekommen. Doch weder eine spontane allergische Reaktion noch Rauch stieg auf, als er die Hand des Mannes schüttelte.

„Eine Freude Sie kennenzulernen“, fügte er hinzu. „Darf ich Sie meinem Begleiter Mr Smith vorstellen?“

Gul schüttelte ebenfalls die Hand von Mr Hammond - und zog wie aus dem Nichts die Weinflasche hervor, die der erste Nagel zum Sarg von Nicholas Hammonds gutem Ruf werden sollte.

„Ich habe mir erlaubt, Ihnen ein besonderes Präsent mitzubringen“, setzte Völlerei an. „Als Zeichen meiner Bewunderung für Ihre Arbeit. Ich bin mir sicher, dass auch dieser Abend wieder ein voller Erfolg werden wird und es wäre mir eine Ehre, wenn Sie mit mir anstoßen würden.“

Gul spielte seine Rolle perfekt und Lu war tatsächlich stolz auf ihn. Denn das wahre Böse war, vor allen anderen Dingen, verführerisch.

Und das Lockmittel war perfekt, denn man konnte deutlich den Kampf in den Augen des Menschen sehen, die mit einer gewissen Begehrlichkeit auf dem Etikett lagen. Lu konnte nicht anders, als ein Quäntchen seiner Macht zu nutzen, um die moralische Waage von Mr Hammond zu seinen Gunsten ausschlagen zu lassen.

„Es wäre unhöflich, dazu Nein zu sagen“, antwortete er schließlich. Gul winkte sofort nach einem Kellner, um den teuren Tropfen dekantieren zu lassen.

Wie Blut floss der Wein in die bauchige Flasche und Gul wurde nicht müde, über die besondere Blume dieses Jahrgangs zu reden, wie meisterlich der Winzer sein Handwerk verstand und was für ein besonderer Genuss es war, etwas so Einzigartiges genießen zu dürfen.

Mit jedem einzelnen Wort zog Gul Mr Hammond weiter in seinen Bann, nährte in ihm das Verlangen nach dieser vermeintlich kleinen Sünde. Selbst Lu, der eher etwas für härtere Alkoholsorten übrig hatte, lief bei der Schwärmerei der Todsünde das Wasser im Mund zusammen.

Als Gul dem Menschen schließlich einschenkte und er an dem Glas roch, stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. „Nun, in der Bibel heißt es ja schließlich ‚Der Wein erfreut des Menschen Herz‘.“

„Ein schönes Zitat“, sagte Lu und lächelte vor sich hin. „Sind Sie denn bibelsicher, Mr Hammond?“

„Nun, ich kenne sie zumindest so gut, wie jeder Christ sie kennen sollte.“

„Wussten Sie, dass in der Bibel Gott weit mehr Menschen tötet als der Teufel? Ganze fünfundzwanzig Millionen hat Er auf dem Gewissen, wohingegen der Teufel nur für sechzig Tode verantwortlich ist. Was meinen Sie, was das über die Güte des Herrn und die Boshaftigkeit des Teufels aussagt?“

Gul trat ihm unter dem Tisch ans Bein und er hätte ihn für diese Respektlosigkeit direkt in Flammen aufgehen lassen, doch er beherrschte sich. Dafür machte es ihm viel zu viel Spaß, die Schweißperlen zu beobachten, die bei seiner Frage auf der Stirn von Mr Hammond erschienen.

„Ach, tatsächlich?“

„Durchaus“, bestätigte Lu.

Nachdenklich betrachtete Mr Hammond ihn, seine Miene war nur schwer zu lesen. Doch er trank weiter von dem Wein, was Lu fast noch lieber war als der Denkanstoß, den er ihm eben gegeben hatte.

„Wissen Sie, Mr Morningstar“, sagte er schließlich nachdenklich. „Ich denke, der Teufel ist eine tragische Figur.“

Dieses Mal war es an Lu zu fragen: „Ach, tatsächlich?“

„Wie meinen Sie das, Mr Hammond?“, klinkte sich Gul ein, während er dem Menschen nachschenkte. Lu hätte schwören können, dass er ein hämisches Grinsen auf dem Gesicht der Todsünde sah, doch er hatte sich schnell wieder im Griff.

„Heißt es nicht immer, dass wir für die verdorbenen Seelen und die Sünder beten sollen?“, fragte Mr Hammond und musterte Lu eindringlich. „Aber wer betet für den Teufel? Wer in den letzten Jahrtausenden besitzt wirkliches Mitgefühl und betet für den einen Sünder, der es am nötigsten hat?“

„Oh, Mr Hammond“, schnurrte Lu und beugte sich ein Stück zu ihm vor, bis er das dezente Aftershave des Mannes riechen konnte. „Wer sagt, dass er das nötig hat?“

~ 10 ~

Fünf Tage nach der Spendengala war es an Lilith, die Todsünden zu begleiten.

Dieses Mal würde Bia die Hauptrolle spielen, während Gul gleichzeitig seinen Einfluss auf Nicholas Hammond weiter ausbauen wollte. Lil hingegen würde daran arbeiten, den Auftritt von Lux vorzubereiten. Wenn ihre Inkarnation von Jessy Bell den Leiter der Hilfsorganisation nicht heißes Begehren auslöste, dann wohl sonst nichts auf der Welt.

Aber dafür war es noch zu früh, ihre tugendhafte Zielperson noch zu rein. Aber bald würde sich das ändern. Lu hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er von dem Erfolg der ganzen Aktion überzeugt war. Nicht nur, weil er wie alle anderen auch nicht unter der Fuchtel des Himmels stehen wollte, sondern weil allein der Spaß an der Sache und natürlich der Wettbewerb unter den Todsünden ihre Chancen extrem gutaussehen ließ.

„Sie sind wie ein Rudel wilder Wölfe“, hatte Lu gesagt, als er nach der Spendengala zu ihr ins Bett gekrochen war. Heiße Haut, warmer Atem und ein so zufriedener Fürst der Unterwelt wie Lil ihn schon lange nicht mehr erlebt hatte.

„Sie fangen schon jetzt an, sich um Hammond zu prügeln wie um einen fleischigen Knochen.“

„Wen willst du als nächstes schicken?“, hatte Lil gefragt, während sie sich bereitwillig an seine Brust geschmiegt hatte. Lu war gefährlich für sie, wenn er so guter Laune war. Noch mehr, als wenn sie sich erbittert stritten.

„Superbia“, war seine Antwort gewesen. Der volle Name der Todsünde Hochmut.

Lil hatte grinsen müssen. „Sie wird sich sowas von ins Zeug legen.“

„Genau“, hatte er gemurmelt. „Und jetzt genug von diesem Möchtegern-Heiligen. Ich bin viel mehr daran interessiert, dich ein wenig zu verderben.“

Bei der Erinnerung wurde es Lil unwillkürlich etwas heißer und sie schmiegte sich näher an Gul. Er war keiner ihrer engeren Freunde unter den Sünden und Dämonen, doch wie mit allen anderen auch verband sie so etwas, das man vielleicht wie Familienbande beschreiben konnte.

So warf er ihr ein gewinnendes Lächeln zu, als er zu ihr hinuntersah.

„Alles gut?“

„Bestens“, erwiderte Lil. Sie warteten im großen Saal der Unterwelt auf Bia, die sich wie immer Zeit ließ, sich ausgehfertig zu machen. Typisch Eitelkeit eben. Sie würden bei einem Geschäftsessen auf Nicholas Hammond treffen, der sich in einem noblen Restaurant mit den Vorständen wichtiger Internet- und Softwarekonzerne treffen wollte.

Lil hatte sich in ihrer Rolle als Praktikantin Jessy Bell eine Einladung mehr oder weniger erschlichen, während Bia und Gul sich als Delegierte einer Streamingplattform ausgeben wollten. Die Menschen zu täuschen und sie glauben zu machen, dass es sich dabei um die echten Vertreter handelte, war ein Kinderspiel. Dafür brauchte es nicht einmal viel dunkle Magie, es reichte oft schon aus überzeugend aufzutreten.

„Mir gefällt dein Kleid“, sagte Gul und riss sie mit seinem Kompliment aus ihren Gedanken. „Ist das Valentino?“

„Ja, danke schön.“ Sie strich über den vermeintlich schlichten schwarzen Stoff, der bei genauerem Hinsehen jedoch mit vielen, winzigen schwarzen Federn besetzt war. Jessys Haare, die einen warmen Ebenholzfarbton hatten, trug sie lockig und lose hochgesteckt, so dass sich einzelne Strähnen um ihr herzförmiges Gesicht ringelten. Die junge Frau war etwas größer als Lils eigentlicher Körper, auch hatte sie kleinere Brüste und rundlichere Hüften. Die Taille war in etwa gleich schmal.

„Ich habe es extra für diesen Körper anfertigen lassen müssen.“

„Das ist perfekt gelungen. Aber lass mich raten: Lu hasst es?“

Lil lachte und erwiderte: „Er hasst alle Formen, die ich annehme außer meiner eigenen.“

Das Geräusch von hohen Absätzen erklang und Bia bog um eine Ecke. Wie immer war sie die Perfektion in Fleisch und Blut: Ein smaragdgrünes Etuikleid aus schimmernder Seide schmiegte sich an ihre perfekte Figur. Der gerade Ausschnitt zeigte genug Dekolleté um verführerisch zu sein, aber nicht billig zu wirken. Farblich perfekt passende High-Heels zierten ihre Füße. Dezentes Make-Up ließ zu, dass sich ihr Haar optimal in Szene setzen konnte. In dessen goldene Pracht waren an diesem Abend winzige Diamanten eingewoben, die das Licht reflektierten.

Bia seufzte, ehe sie sagte: „Lu ist einfach ein verrückter Bastard.“ Dabei lachten ihre Augen, die an diesem Abend einen warmen Honigton hatten statt ihre ansonsten goldene Farbe. Ein winziges Detail, um nicht jeden mit der Nase darauf zu stoßen, dass sie keine gewöhnliche Frau war.

Gul lachte, machte sich von Lil los und ging zu der anderen Todsünde hinüber. Die hielt grinsend still, während er sie einmal umrundete und dabei ein so zufriedenes Brummen ausstieß, als würde er ein Festmahl betrachten.

„Bia, du machst mich sprachlos“, murmelte er und küsste ihre Wange.

„Das war der Plan“, erwiderte sie zufrieden, ehe sie sich bei ihm unterhakte. „Kommt, wir gehen. Ich liebe zwar den großen Auftritt, aber heute sollten wir das lieber lassen.“

Der Oberkellner, gekleidet in schlichtem Schwarz, begleitete sie nach ihrer Ankunft im Restaurant sofort in eines der separaten Speisezimmer. Auf dem Weg atmete Lil tief durch, um komplett in die Rolle zu schlüpfen. Genau rechtzeitig, denn bereits an der Türschwelle wurden sie von Nicholas Hammond erwartet.

„Guten Abend“, begrüßte er sie, ein verbindliches Lächeln im Gesicht, das kleine Fältchen in die Ränder seiner Augen zauberte. Wie immer bot er das perfekte Bild des rechtschaffenen Mannes, der zwar in der vermögenden und genussverwöhnten Gesellschaft gut zurechtkam, aber eigentlich zu den Machern zählte.

„Guten Abend Mr Hammond“, sagte Bia und reichte ihm die Hand. „Vielen Dank für die Einladung.“

„Ms Asazel, es ist mir eine Ehre Sie kennenzulernen“, erwiderte er und deutete einen Handkuss an. Als er sich aufgerichtet hatte, sah er zwischen Bia, Gul und Lil hin und her und sagte: „Ich wusste nicht, dass Sie Ms Bell kennen.“

„Oh doch, schon länger“, antwortete Bia, ein amüsiertes Funkeln in den Augen.

„Jessy, Sie stecken voller Überraschungen“, murmelte Nicholas und lächelte sie an. „Und Sie sehen bezaubernd aus.“

„Danke“, murmelte Lil und errötete pflichtbewusst, als er einen Kuss auf ihre Wange hauchte. Eine oscarreife Leistung, wie sie selbst fand, denn die Dämonenkönigin Lilith hatte schon seit Jahrtausenden nichts mehr zum Erröten gebracht.

„Mr Smith“, sagte Nicholas und wandte sich an Gul. „Schön Sie so schnell wiederzusehen.“

„Die Freude ist ganz meinerseits“, erwiderte Völlerei mit einem charmanten Lächeln. „Ich habe schon viel Gutes über den Weinkeller dieses Restaurants gehört.“

„Führen Sie mich nicht in Versuchung“, lachte Nicholas – und Lil musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht breit zu grinsen. Oh, wenn er wüsste…

Ein Blick zu Bia verriet ihr, dass sie dieselben Gedanken hatte, denn sie zwinkerte ihr vergnügt zu.

„Wollen wir uns nicht setzen?“, fragte Nicholas und geleitete sie zum Tisch. Dort hatten bereits fünf weitere Personen Platz genommen. Taxierende und neugierige Blicke glitten über Lil und die beiden Todsünden. Für einen kleinen Moment fragte sich Lil, ob sie auch noch so herablassend wären, wenn sie wüssten mit wem sie es zu tun hatten.

Sie setzten sich und kurz darauf wurden die Getränke serviert und das Menü begann. Die Gespräche flossen leicht hin und her, die anwesenden Geschäftsleute buhlten genauso um Nicholas Aufmerksamkeit wie er um ihre und es war fast komisch, sie alle dabei zu beobachten.

Bia hatte sich strategisch geschickt einen Platz neben dem Leiter der Initiative gesichert. Lil beobachtete, wie sie Nicholas Hammond den ganzen Abend über ein Kompliment nach dem anderen machte. Sie bewunderte ihn, umgarnte ihn mit ihrem Charme und hob seine bisherigen Erfolge hervor. Letzteres bewies, wie gut sich Bia auf diesen Abend vorbereitet hatte.

Und ihre Bemühungen zeigten Wirkung, denn war Nicholas ihrer offenen Bewunderung anfangs noch eher ablehnend begegnet, so zeigte er im Laufe des Abends – und mit steigendem Weinkonsum, den Gul zu verantworten hatte – einen ausgeprägt zufriedenen Eindruck, wenn Bia einmal wieder eine Lobeshymne auf seinen Erfolg anstimmte.

Man hatte den Eindruck, es mit bloßem Auge erkennen zu können, wie die Demut ihn langsam aber sicher verließ. Ganz ganz langsam, aber dennoch.

Fresst das, dachte sie selbstzufrieden und trank von ihrem eigenen Wein, als unvermittelt ein Prickeln über ihren Nacken lief. Widerwärtig wie tausend winziger Insekten und sie zog instinktiv die Schulterblätter zusammen. Gul, der neben ihr saß und genüsslich die Panna Cotta vertilgte, ließ seinen Löffel sinken und warf ihr einen alarmierten Blick zu.

Ach Scheiße, dachte Lil. Sie sah sich unauffällig um – und hätte um ein Haar laut geflucht, als sie in ein Paar schokoladenbrauner Augen sah, die ihren Blick fast hasserfüllt erwiderten.

„Fuck“, murmelte sie und sah wieder zu Gul. „Da drüben ist Cari und ich glaube, sie hat mich erkannt.“

„Mildtätigkeit?“, fragte er leise. Er legte sogar den Löffel weg, als hätte er das Dessert völlig vergessen. Lil nickte nur, während ihr Blick zu Bia huschte. Diese hatte sich sehr vertraut an Nicholas Hammond gelehnt, flüsterte ihm ins Ohr und was auch immer sie sagte, es schien dem Mann äußerst gut zu gefallen.

Gul, der sich möglichst beiläufig umgesehen hatte, beugte sich zu ihr und wisperte: „Es sieht so aus, als wäre sie eine der Kellnerinnen am anderen Tisch.“

„Immerhin ist es nicht Lita oder Ran“, seufzte sie. Die meist weibliche Tugend Demut und der oft männliche Mäßigkeit könnten sonst alles zunichte machen, was sie bisher erreicht hatten. Der Unterschied war noch klein, Mr Hammond strahlte noch immer Tugendhaftigkeit aus wie ein Kernkraftwerk Radioaktivität, doch der Glanz war schon etwas schwächer geworden.

„Wir wussten, dass es früher oder später soweit kommt“, sagte Gul. „Wobei mir später lieber gewesen wäre.“

„Ja.“ Lil atmete tief durch. „Meine Vorstellung von ‚Hilfe von oben‘ ist ein Scharfschütze auf einem Dach.“

„Den könnten wir gut gebrauchen“, lachte Völlerei leise, ehe er ernst fragte: „Was machen wir jetzt?“

„Wir sollten abhauen, bevor Cari zurückkommt und spitzbekommt, was wir hier vorhaben. Bia hat gute Arbeit geleistet.“

Gul nickte und sah Eitelkeit intensiv an, bis diese seinen Blick erwiderte.

Es war nicht wirkliche Telepathie, doch wie alle Geschöpfe der Hölle auch konnten die Todsünden untereinander kommunizieren ohne Worte zu benutzen, selbst über große Distanzen hinweg. Früher war das unumgänglich gewesen, bis die Menschen Telekommunikationstechnik erfunden hatten. Andernfalls wäre es auch Luzifer niemals möglich gewesen, seine Sieben oder sonst einen Dämon zu sich zu rufen oder zu kontrollieren.

Missfallen zeigte sich in Bias hellen Augen, doch sie nickte. Sie verabschiedete sich überschwänglich bei Hammond, küsste ihn vertraut auf die Wange und sorgte so dafür, dass er tatsächlich rote Ohren bekam. Lil hörte ein verräterisches Klicken und als sie sich dieses Mal umdrehte, sah sie einen schlaksigen Mann mit einem Fotoapparat um die Ecke spähen. Wieder klickte es – und Lil musste grinsen. Sie würde den winzigen Rest ihrer Seele darauf verwetten, dass der Paparazzo ein Bild davon hatte, wie Hammond mit einem Weinglas in der Hand von einer schönen Frau geküsst wurde.

Sie nutzte ein bisschen ihrer Macht, um dafür zu sorgen, dass dieser glückliche Zufall auch zu dem von ihnen gewünschten Ergebnis führte. Sie gab dem Mann ein, dass er einen betrunkenen Nicholas Hammond gesehen hatte, der hemmungslos mit einer Frau geflirtet hatte.

Die Zeitungen würden sich auf diesen kleinen Skandal stürzen wie die Geier auf ein frisches Stück Aas.

Kurz darauf verließen Lil, Gul und Bia das Restaurant und schlenderten zu einer Seitengasse. Niemand hielt sie auf, keine Tugend warf sich ihnen in den Weg und wollte wissen, was sie hier getrieben hatten. Immerhin.

„Das hat Spaß gemacht“, verkündete Bia gutgelaunt. Ihre Augen, die nun wieder goldfarben waren, glommen in der Dunkelheit auf. „Schade, dass Cari uns in die Parade gefahren ist.“

„Das war gefährlich“, murmelte Gul. Er hatte einen Arm sowohl um Lil als auch um die andere Frau gelegt und zog sie bei den Worten ein wenig näher zu sich.

„Ja, es ist verdammt gefährlich“, sagte Lil selbstzufrieden, „und genau deswegen macht es so einen Spaß.“

~ 11 ~

Es war nicht so, dass Lu seinen Todsünden nicht vertraute… aber er traute ihnen doch nicht hundertprozentig über den Weg. Es lag schließlich in ihrer Natur, zu lügen und nur Halbwahrheiten zu sagen. Selbst bei wichtigen Themen.

Darum stand er nun in der letzten Reihe eines Universitätshörsaals, der bis auf den letzten Platz belegt war. Ungefähr zweihundert Studenten schauten gebannt nach vorne zum Pult, an dem Nicholas Hammond einen Vortrag hielt. Es ging um irgendwelche langweiligen Themen, Lu hörte nicht so genau auf seine Worte.

Was ihn dagegen brennend interessierte war der Glanz, der den Menschen umgab.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752126648
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Januar)
Schlagworte
Urban Fantasy Luzifer Teufel Luzifer Morningstar Paranormal Romance Fantasy Sarkasmus Sünden Hölle Schwarzer Humor düster dark Humor Dark Romance Liebesroman

Autor

  • Melissa Ratsch (Autor:in)

Die 1987 geborene Autorin schreibt schon seit ihrer Jugend Kurzgeschichten und Romane – anfangs aus der Not heraus, da einfach nichts ihrem Geschmack entsprach und die Ideen in ihrem Kopf viel interessanter waren. Daraus ergaben sich im Laufe der Jahre mehrere Kurzgeschichten und ersten Romane, die sie seit 2017 veröffentlicht.
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Titel: Burned - Wenn in der Hölle das Licht ausgeht