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Berlin um die Jahrtausendwende: Rothe bildet sich fort

von Tscharlie Häusler (Autor:in)
15 Seiten

Zusammenfassung

Die sechste von vierzehn Geschichten der Irrungen, Wirrungen und Amouren eines Singles namens Rothe. Es beschreibt in unterhaltsamer, humorvoller Form eine typische Berliner Existenz als Randfigur diverser Subkulturen. Authentisch werden bekannte und unbekannte Örtlichkeiten, Szenekneipen, aber auch skurrile, witzige und einfache Personen aus dem Umfeld des Protagonisten beschrieben. Die Geschichten können einzeln oder im Gesamtkontext verstanden und genossen werden. Aufgrund der milieugetreuen Schilderung Berliner Verhältnisse sind die Geschichten sowohl für Berliner aber auch für Besucher der Stadt mit einem großen Wiedererkennungswert verbunden. Sie werden bei der Lektüre mindestens schmunzeln, wenn nicht auch manchmal lauthals lachen. Natürlich werden Sie sich in diesen Figuren auf keinen Fall wieder erkennen, oder etwa doch?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Juni

Rothe bildet sich fort

Noko hatte ihn auf die Idee gebracht. „Mach ä Weiterbildung“, sagte er. „Ich sach` Dir, Frauen in den besten Jahren ... alle ziemlich frustriert und unbefriedicht. Ä errodisches Schlaraffenland! Leichte Beute, sach` ich Dir“

Noko hatte gerade so eine Weiterbildung gemacht – zum Online-Journalisten. Natürlich bekam er auch danach keinen Job, aber zumindest konnte er seine Zeit seit dem mit ständig wechselnde Frauengeschichten füllen.

„Gerade Noko, die alte Pfeife!“, dachte Rothe insgeheim. „Und ich?“ Gewisse Neidgefühle gegenüber Nokos momentanem Liebesglück konnte Rothe wahrlich nicht verleugnen. Sein letzter Satz hallte noch in seinen Ohren.

„Ich sach` Dir. Dess wor die beste Idee meines Lebens, die Weiterbildung. Aber mach` nur nix Technisches. Do is der Männeranteil zu hoch.“

Rothe befand sich immer noch im „Stand der Gnade“, wie er sich auszudrücken pflegte. Da er sich auch nicht unbedingt wieder soviel Stress wie bei der letzten Arbeitsstelle antun wollte, kam ihm diese Anregung gerade recht. Seine „Fallmanagerin“, die dadurch ihre Statistiken frisieren konnte, legte ihm ausnahmsweise keine Steine in den Weg, weshalb Rothe schon am nächsten Tag bei einer „Erwachsenenbildungsstätte“ vorsprach.

Zwei Wochen später begann die Weiterbildung zum „Publikumszeitschriftenredakteur“. Nichts Technisches natürlich. Der einzige Grund für die Wahl dieser Fortbildung war die hohe Wahrscheinlichkeit, dass er sich in derartigen Kursen einen erhöhten Frauenanteil erhoffte. Einen größeren Sinn sah Rothe darin nicht, denn über die Qualität derartiger „Ausbildungen“ machte er sich keine Illusionen. „Weiterbildungsinstitute“ waren wie Pilze aus dem Boden geschossen, seitdem es damit viel Geld zu verdienen gab. Vorrangiges Ziel der Arbeitsämter war vor allem die Arbeitslosenzahlen zu schönen und für die Erreichung dieses Ziels wurde viel Zaster ausgegeben, denn während der „Weiterbildungszeit“ fiel der „Kunde“ - wie der Arbeitslose neuerdings bezeichnet wurde - aus der Arbeitslosenstatistik. Sinnvoll war das nicht, aber schließlich waren es kluge, gutbezahlte Berater, die auf diesen teuren Kniff gekommen waren. Gewinner waren die „Institute“, nicht die Arbeitslosen.

Am ersten Tag des Kurses blickte er sich gespannt in seinem Klassenzimmer um, während vorne eine kleine, seltsam rundliche Frau die Begrüßungsworte sprach. Schon komisch nach all den Jahren wieder zur Schule zu gehen. Rothe zählte die Anwesenden, die sich kurz vorstellten. 18 Frauen, 3 Männer.

Detlef – er hieß wirklich so - war stockschwul, da brauchte man kein Prophet zu sein. Auch wenn man dies angesichts des haarsträubenden Klischees kaum glauben mochte. Detlef war tuntig bis zum Abwinken. Affektiertes Gehabe, glockenhelle Stimme und ein wiegender, die Hüften betonender Gang wie ein Modell. Rothe machte sich einige Zeit ernsthafte Gedanken darüber, inwieweit die Namensgebung Einfluss auf den späteren Werdegang haben könnte.

Erich, der andere potenzielle Konkurrent Rothes, war ein in die Jahre gekommener Dummschwätzer. Keine wirklichen Gegner also. Das ließ hoffen. Noko hatte mit seinem Tipp vollkommen recht gehabt.

Rothe gegenüber saß Monika. Sie sah aus wie Sonja, mit der er ein fast vergessenes Verhältnis vor inzwischen drei Jahren hatte. Langes blondes Haar, mittelgroß, große schöne Augen, kokett und überhaupt nicht schüchtern. Daneben Elvira, dunkelhaarig und bildhübsch, etwas introvertiert. Rothe selbst saß neben Erika, einer pausbäckigen, leicht übergewichtigen, sehr bieder wirkenden Mittzwanzigerin. Rothe war als letzter gekommen. Es war der letzte freie Platz.

„Warum muss ich nur immer zu spät kommen?“, dachte Rothe und entwickelte einen diffizilen Plan, wie er zuerst Elvira und dann Monika in ein Gespräch verwickeln könnte.

Wie so oft in seinem Leben kam es aber alles ganz anders, denn offensichtlich hatte Erika einen diffizilen Plan entwickelt, ihn in ein Gespräch zu verwickeln.

Erika plapperte. Und sie plapperte. Sie erzählte von ihren Krankheiten, von ihrem Ehemann, der nicht in der Lage war, ein Kind zu zeugen, von ihren früheren Liebhabern und von ihrem drängenden Kinderwunsch.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739440637
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Single Berlin Sex Fortbildung Kurzgeschichten Liebe Journalismus Szene Kreuzberg Erotik

Autor

  • Tscharlie Häusler (Autor:in)

Tscharlie Häusler, geboren in Franken. Studium der Rechtswissenschaften. Promotion. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität und im Bundestag beschäftigt. Lebt als Autor in Berlin.
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Titel: Berlin um die Jahrtausendwende: Rothe bildet sich fort