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Berlin um die Jahrtausendwende: Rothe und die Zonenbraut

von Tscharlie Häusler (Autor:in)
20 Seiten

Zusammenfassung

Die vierte von vierzehn Geschichten der Irrungen, Wirrungen und Amouren eines Singles namens Rothe. Es beschreibt in unterhaltsamer, humorvoller Form eine typische Berliner Existenz als Randfigur diverser Subkulturen. Authentisch werden bekannte und unbekannte Örtlichkeiten, Szenekneipen, aber auch skurrile, witzige und einfache Personen aus dem Umfeld des Protagonisten beschrieben. Die Geschichten können einzeln oder im Gesamtkontext verstanden und genossen werden. Aufgrund der milieugetreuen Schilderung Berliner Verhältnisse sind die Geschichten sowohl für Berliner aber auch für Besucher der Stadt mit einem großen Wiedererkennungswert verbunden. Sie werden bei der Lektüre mindestens schmunzeln, wenn nicht auch manchmal lauthals lachen. Natürlich werden Sie sich in diesen Figuren auf keinen Fall wieder erkennen, oder etwa doch?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


April

Rothe und die Zonenbraut

Sie war ausgesprochen hübsch: dunkelhaarig, nicht allzu groß, wohlproportioniert, blitzende Augen, frecher Blick und mit dem Auftreten einer Frau, die sich ihrer Wirkung auf Männer durchaus bewusst ist.

Sie war ganz sicher nichts für Rothe.

Er hatte ohnehin beschlossen an seinem Singledasein vorerst nichts ändern zu wollen. Sein Bedarf an vertrackten Beziehungskisten war momentan gedeckt.

Er sah sie das erste Mal, als er das Büro verließ, sie an ihm vorbeistöckelte und ihn interessiert und gar nicht schüchtern anlächelte. Sie hatte neu angefangen, die Geschäftsstelle schräg gegenüber bezogen und war als Fraktionssachbearbeiterin auch für Rothes Büro zuständig.

Niedlich, aber zu aufgedonnert. Wohl `ne Zonenbraut. Er hielt nicht viel von „Zonenbräuten“. So nannte er Frauen, die offensichtlich aus dem Gebiet der ehemaligen DDR stammten. Diesbezüglich war er leicht mit Vorurteilen behaftet.

Er wusste zwar nicht hundertprozentig wieso, aber irgendwas hielt ihn bisher davon ab, sich mit einer „Ossi“ einzulassen. Wahrscheinlich lag es daran, dass er nach der Wende oft genug miterlebt hatte, wie sich „Zonenbräute“ befreundete Wessis schnappten und mit den Freunden danach nichts mehr anzufangen war.

Anfangs schwärmten sie alle vom wunderbaren Sex, da Ossifrauen angeblich freizügiger als ihre Geschlechtsgenossinnen aus dem Westen waren.

„Hatten ja sonst nix vom Leben, die Ostmuschis“, wie sein Kumpel Georg zu lästern pflegte. Nach relativ kurzer Zeit und dem Eheversprechen aber waren nur noch Preis und Farbe von geschmacklosen Schrankwänden und noch hässlicheren Couchgarnituren Gesprächsthema.

Ossis waren offensichtlich sehr materiell veranlagt und Ossifrauen hatten mit absoluter Sicherheit einen Hang zu geschmacklosen Schrankwänden und hässlichen Couchgarnituren. Und die Männer, die sich mit ihnen einließen, waren meist schon nach sehr kurzer Zeit nicht mehr Herr ihrer sieben Sinne.

Die neue Kollegin war ganz augenscheinlich „von drüben“.

Für seine Vermutung gab es einige ernstzunehmende Indizien.

„An den Rüschenblusen kannst du sie erkennen“, hatte Georg einst gewarnt und über die angebliche Vorliebe für gehäkelte Unterwäsche bei den „Ostmuschis“ gespottet. Kurz danach fiel er genau darauf herein. Er wohnte jetzt in einer Doppelhaushälfte vor den Toren Berlins und wirkte ziemlich depressiv, wenn sie sich einmal im Jahr auf ein schnelles Bier in der Stadt trafen.

Die neue, attraktive Kollegin trug eine rosa Rüschenbluse. Im Übrigen hatte sie die typische Betonfrisur, die im Westen bereits in den 70er Jahren außer Mode gewesen war. Sichere Anzeichen. „Typisch Ossi, eben“, sinnierte Rothe. Aber nett anzusehen war sie, ohne Zweifel. Trotz des Ostschicks hatte sie auf eine anziehende Weise Stil. Von ihrem Auftreten her eigentlich genau seine Kragenweite. Aber Rothe stellte auch missbilligend fest, dass sie nicht nur ihn kokett anlächelte.

Zonenbraut halt. Sucht ´nen Mann, der ihr ´ne Couchgarnitur kauft. Rothes Weltbild war dementsprechend einfach, klar und eindeutig.

An seinen alten Kumpel Georg dachte Rothe, als er wieder die stöckelnden Schritte vor seiner Tür vernahm, deren Trippelfrequenz er inzwischen genau zuordnen konnte. Nun saß der in seiner Doppelhaushälfte und um 23 Uhr fuhr der letzte Regionalzug. Armer Georg.

Nee, so wollte Rothe definitiv nicht enden. Außerdem hatte er momentan keinen Sinn für gefährliche Liebschaften. Der Job forderte ihn voll und ganz. Ein ihm bekannter, frisch gewählter Bundestagsabgeordneter aus Bayern, der sich in Berlin nicht auskannte, hatte ihn nach der letzten Wahl gebeten, die Aufbauarbeit für sein Büro zu übernehmen. Ihnen waren drei miteinander verbundene Räume und ein Besprechungsraum zugeteilt worden. Es galt, die gesamte Infrastruktur aufzubauen und es gab gerade am Anfang viel zu tun. Organisieren, organisieren, organisieren und daneben auf die Allüren des soeben zu einem äußerst wichtigen Menschen Gewordenen einzugehen. Liebe im Büro war da schlichtweg tabu und würde unvermeidlich in einer Katastrophe enden. Da war sich Rothe ganz, ganz sicher.

Allerdings hatte wohl der Herr Abgeordnete einen Blick auf die schöne Angestellte geworfen. Er lebte zwar in festen Verhältnissen, war aber unter der Woche in Berlin einsam. Ab und zu versuchte er auch Rothe zu überreden, mit ihm mal „ordentlich auf den Putz zu hauen“, wie er sich auszudrücken pflegte. Rothe wollte aber auch in dieser Hinsicht Arbeit und Privates strikt getrennt halten. Mit dummen Sprüchen wie „die Sonne geht auf“ oder „Traum meiner schlaflosen Nächte“ versuchte sein Chef - im tiefsten Bayerisch - um jeden Preis die Aufmerksamkeit der hübschen Sachbearbeiterin zu erlangen. Immer dann, wenn sie ins Büro kam, um etwas vorbeizubringen oder eine Unterschrift abzuholen, meinte er einen aus seiner Sicht originellen Spruch absondern zu müssen. In seinem hinterwäldlerischen Tonfall klangen die Sprüche noch plumper und blöder, als sie ohnehin waren. Rothe gefielen die leicht genervten Blicke der Frau, die, wie er inzwischen erfahren hatte, in Potsdam geboren war. Ab und zu trafen sich ihre Blicke. Gar nicht so unsympathisch eigentlich. Er amüsierte sich über ihre frechen, witzigen Antworten.

„Wohl im Solarium ohne Schutzbrille gelegen, wa?“ oder „Träumen Scheffe, träumen tue ick ooch. Aba nur vom Feierabend.“

Die Frau wusste anscheinend, wie man mit Männern umging. Besonders mit Männern vom Schlage seines momentanen Chefs, die gar nicht mehr in der Lage waren zu erkennen, wie lächerlich sie mitunter auf andere wirken. Es gab ja genug Schulterklopfer, die ihnen erzählten, was für tolle Hengste sie wären.

Als er sie in Rothes Gegenwart zum Essen einladen wollte, meinte sie nur kurz und herrisch: „Sicher nicht!“. Der Abgeordnete wurde rot und kurz danach wütend, als er bemerkte, dass Rothe sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen konnte. Noch am selben Tag wurde ihm aus fadenscheinigen Gründen die fristlose Kündigung angedroht. Rothe trug sich ohnehin mit dem Gedanken, hier nicht ewig zu bleiben und machte sich deswegen keinen großen Kopf. Er erwischte sich vielmehr bei Gedanken an die entzückende Büronachbarin. „Schade eigentlich, dass sie trotz ihres viel versprechenden Lächelns so ’ossig‘ ist“, grübelte Rothe, der die „Zonenbraut“ inzwischen an und für sich hinreißend fand.

Umso verblüffter war er, als er am nächsten Tag von Doreen so hieß sie, eine private Mail bekam: „wollen wir mal essen gehen?“

Er antworte, dem ersten Impuls folgend: „sicher nicht“

4everDoreen@web.de: „ha ha ha .. du wärst der erste!“

Rothe.Kreuzberg@berlin.de: „bin trendsetter“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739440521
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Frau Single Berlin Bundestag Sex Kurzgeschichten Subkultur Bohème Szene Kreuzberg Humor

Autor

  • Tscharlie Häusler (Autor:in)

Tscharlie Häusler, geboren in Franken. Studium der Rechtswissenschaften. Promotion. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität und im Bundestag beschäftigt. Lebt als Autor in Berlin.
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Titel: Berlin um die Jahrtausendwende: Rothe und die Zonenbraut