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Ein Chefkoch und andere Katastrophen: Sammelband

von Brigitte Teufl-Heimhilcher (Autor:in)
400 Seiten

Zusammenfassung

Zwei Geschichten um Lebensmut und Neubeginn, begleitet von köstlichen Rezepten, die zum Nachkochen einladen. 1. Buch – Neubeginn im Rosenschlösschen Nach dem Verlust ihres Topjobs hat Susanne keine Lust, sich von übermotivierten Jungmanagern in die hinteren Reihen verweisen zu lassen. Als passionierte Hobbyköchin beschließt sie daher, in ihrem ehemaligen Elternhaus, dem Rosenschlösschen, ‚Private Dinner‘ und Kochkurse zu veranstalten. Dafür engagiert sie Chefkoch Lars und macht sich gemeinsam mit Architekt Werner daran, dem Rosenschlösschen neues Leben einzuhauchen. Die beiden verstehen sich prächtig, doch dann macht der Hamburger Starkoch Lars Susanne ganz eindeutig den Hof und Werner verschwindet spurlos … 2. Buch – Champagner und ein Stück vom Glück Der einzige Mann, mit dem Helga Silvester feiern möchte, ist ihr 12-jähriger Sohn, doch der fährt lieber mit seinem Vater auf Schiurlaub. Da kommt ihr die Einladung des Sternekochs Lars gerade recht, den sie allerdings für einen Filou hält. Doch der Filou scheint es diesmal ernst zu meinen und Helga fühlt sich mehr und mehr zu ihm hingezogen. Leider hält Sohn Benny ebenso wenig von dieser Verbindung wie sein Vater, der die Scheidung von Helga längst bereut.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Minestrone

1 Zwiebel, gewürfelt

1 Knoblauchzehe, gehackt

30 g Parmaschinken, fein gehackt – Vegetarier können das gerne weglassen

4 Stangensellerie, gewürfelt

1 Tomate, gehäutet und gewürfelt

1 Karotte, gewürfelt

2 Kartoffeln, gewürfelt

einige Basilikumblätter, gehackt

1 l Hühnersuppe (Gemüsesuppe)

1 kleine Dose Bohnen, bestens abgespült

10 dag trockene Pasta

geriebener Parmesan

Öl in einem Topf erhitzen, Zwiebel, Knoblauch und Schinken darin anbraten, Basilikum zugeben, durchrühren und mit der Suppe aufgießen. Gemüse dazugeben und etwa 10 Minuten köcheln lassen, dann die Pasta dazugeben und weiterköcheln (auf die angegebene Kochzeit achten!).

Salzen, pfeffern und mit Parmesan bestreut servieren.


Susanne las die Mail zum zweiten Mal. Was für ein hanebüchener Unsinn! Ein Mieter teilte ihr mit, dass er von der im Mietvertrag getroffenen Indexvereinbarung zurücktreten wolle. Sie leitete das Schreiben mit den Worten: „das möchten wohl viele ;-)“ an ihre Assistentin weiter, als das Telefon läutete.

„Rieger.“

„Hier Sekretariat Doktor Hoch. Könnten Sie bitte zu Herrn Doktor Hoch kommen?“, zirpte eine ihr unbekannte Stimme.

„Jetzt gleich?“, fragte Susanne. Es war ziemlich ungewöhnlich, dass der Geschäftsführer sie einfach rufen ließ. Bisher hatte er stets selbst angerufen.

„Haben Sie etwas Besseres vor?“, zirpte die Stimme.

Dumme Ziege.

Susanne warf erst das Mobiltelefon auf den Tisch, dann einen Blick in den Spiegel. Sie zog den Lippenstift nach, fuhr mit der Bürste durchs Haar und machte sich auf den Weg in die Chefetage. Seit dem Total-Umbau der Geschäftsleitung thronte die im gläsern ausgebauten Dachgeschoss.

Die unbekannte Stimme gehörte offenbar zu einer großen Blondine und ersuchte sie, im Wartebereich Platz zu nehmen. Seufzend ließ Susanne sich in den tiefen Fauteuil sinken. Unerhört. Erst zitierte man sie von jetzt auf gleich hierher, und nun musste sie auch noch warten – sie war doch nicht Lieschen Müller!

Sie ließ ihren Blick durch den Raum gleiten. Alles wirkte sehr modern, sehr kühl. Dennoch würden sie es im Sommer hübsch warm hier haben, dachte sie grimmig, während sie ungeduldig mit ihren schön lackierten Fingernägeln auf die Armlehne trommelte. Es hatte sich so viel verändert, seit Peter, ihr ehemaliger Chef, dumm genug gewesen war, sein ansehnliches Aktienpaket an einen international tätigen Baulöwen zu verkaufen. Seither war kein Stein auf dem anderen geblieben. Die neue Geschäftsleitung hatte nicht lange gefackelt und innerhalb weniger Wochen nahezu alle strategisch wichtigen Positionen neu besetzt. Die Neuen waren alle jung und bestens ausgebildet, aber sie erschienen ihr aalglatt und die Sache mit den guten Manieren hielten sie wohl auch für überholt. Es wurde wirklich Zeit, dass sie sich nach einer neuen Herausforderung umsah. Aber erst musste sie noch …

„Frau Rieger, wenn Sie jetzt bitte mitkommen“, sagte die Blondine und eilte auf sehr hohen Absätzen vor Susanne den Gang entlang.

„Danke, ich kenne den Weg“, versuchte sie sich ihrer Begleitung zu entledigen. Doch das junge Ding reagierte nicht und öffnete die Tür zum Besprechungszimmer.

Dort warteten nicht nur Doktor Hoch, der neue Geschäftsführer, sondern auch zwei Herren aus dem Verwaltungsrat. Was war denn hier los?

Früher hätte man erst ein paar Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht, doch Doktor Hoch kam gleich zur Sache.

„Wie Sie wissen, wollen wir uns von einem Teil des inländischen Portfolios trennen. Es ist uns nun gelungen, ein sehr attraktives Angebot für das bisher von Ihnen betreute Portfolio zu erhalten.“

Bisher also, aha. Sie hatte damit gerechnet, dass man sich eines Tages auch ihrer Person entledigen würde. Dass es so schnell ging, hätte sie allerdings nicht gedacht.

Demonstrativ verschränkte sie die Arme, lehnte sich zurück und wartete. Einer der Verwaltungsräte ergriff das Wort: „Der Kaufvertrag wurde heute Vormittag unterschrieben. Der neue Eigentümer wird die Verwaltung zum nächsten Monatsersten übernehmen. Veranlassen Sie bitte, dass sämtliche Unterlagen bis dahin übergeben werden. Sobald die Übergabe erledigt ist, sind Sie freigestellt.“

Ihr Ton war kühl und beherrscht, als sie antwortete: „Sie scheinen übersehen zu haben, dass ich nicht nur ein Portfolio betreue, sondern auch Head of Asset-Management bin.“

Jetzt meldete sich wieder Doktor Hoch zu Wort: „Die Abteilungen unterstehen in Zukunft direkt der Geschäftsleitung. Ihre Position wird eingespart.“

„Und was passiert mit meiner Assistentin, Frau Wagner?“

„Frau Wagner?“ Darüber schien er sich noch keine Gedanken gemacht zu haben, denn er zögerte kurz, ehe er antwortete: „Ich denke, wir haben keine weitere Verwendung für sie. Wollen Sie es ihr sagen, oder soll unsere Personal-Abteilung …“

Susanne war bereits aufgestanden.

„Danke, das erledige ich selbst.“

Sie hätte jetzt gerne die Tür hinter sich zugeworfen, aber der blöde Türschließer ließ sie sanft ins Schloss gleiten.

*

Susanne hatte es sich in all den Jahren angewöhnt, Unangenehmes immer sofort zu erledigen – das war Teil ihres Erfolges gewesen. Davon würde sie auch jetzt nicht abgehen. Sie drückte den Knopf der Gegensprechanlage: „Frau Wagner, den Kognak und zwei Gläser bitte.“

Ihre Assistentin erschien wenig später mit einem Silbertablett, auf dem eine Kristallkaraffe und zwei Kognakschwenker vor sich hin klapperten. Sie erschien Susanne ziemlich blass, als sie fragte: „Ist etwas passiert?“

Susanne nahm ihr das Tablett aus den zitternden Händen und schenkte ein. Dann drückte sie Helga Wagner ein Glas in die Hand: „Auf die Zukunft, meine Liebe! Wir beide sind gefeuert.“

Um ein Haar hätte ihre Assistentin den Kognakschwenker fallen lassen.

„Aber, das … das geht doch nicht“, stotterte sie.

„Und wie das geht. Man hat unser gesamtes Portfolio verkauft und Abteilungsleitung braucht man auch keine mehr. Prost!“

Susanne leerte das Glas in einem Zug, dann stellte sie es auf das Tablett zurück und spürte, wie sich langsam ein wohliges Gefühl in ihr ausbreitete. Alkohol war zwar keine Lösung, aber manchmal tat er eben verdammt gut.

Helga Wagner nippte mehrfach an ihrem Glas, ehe sie sagte: „Das ist ja eine Katstrophe!“

Susanne wusste, dass ihre Assistentin seit wenigen Monaten von ihrem Mann getrennt lebte. Als Alleinerzieherin mit Kind würde es nicht einfach für sie werden, einen adäquaten Posten zu finden. Dennoch sagte sie mit mehr Optimismus, als sie empfand: „Seien Sie unbesorgt, Sie sind ja noch jung, und ich werde Ihnen ein super Zeugnis schreiben. Die gute Nachricht ist, dass wir, sobald alle Unterlagen übergeben sind, freigestellt werden. Heute ist der Fünfzehnte. Die Kündigung wird zum Monatsletzten wirksam, dann drei Monate Kündigungszeit, die müssen jedenfalls bezahlt werden. Wie lange sind Sie schon bei uns?“

Sie sagte immer noch uns. Es würde wohl eine Zeit dauern, bis sie IMMO mit WERT nicht mehr als ihre Firma betrachten würde.

„Fünf Jahre“, antwortete Helga Wagner seufzend.

„Das ist gut, dann kommt noch eine Abfertigung in Höhe von drei Monatsgehältern dazu.“

Ihre Assistentin war immer noch ziemlich blass um die Nase. Susanne sah auf die Uhr. Wie hell es draußen noch war, dabei war es schon sechzehn Uhr vorbei, langsam wurde es Frühling.

„Kommen Sie, trinken Sie noch einen Schluck, dann lassen wir’s für heute gut sein. Morgen beginnen wir mit der Zusammenstellung der Unterlagen – und dann nichts wie weg hier.“

Sie sehnte sich plötzlich nach ihrem Nest, wie sie ihre noble Dachgeschoss-Wohnung nannte. Sie würde sich eine ordentliche Minestrone kochen – ihre Trostsuppe. Nichts war nach einem Tag wie diesem tröstlicher als eine warme Suppe. Sie hatte verschiedene Varianten auf Lager, je nachdem, wie sie sich fühlte. Heute würde sie sich die deftig-feurige gönnen, mit ein wenig Schinkenspeck, viel Pasta und einem Hauch von Chili.

*

Innerhalb von drei Wochen hatten sie alle Abrechnungen fertiggestellt, alle Übergabeprotokolle geschrieben und alle Unterlagen übergeben. Susanne hatte mehr als fünfzehn Jahre bei IMMO mit WERT gearbeitet, viel und gern gearbeitet, sehr gern sogar. Doch seit dem Tag ihrer Kündigung konnte sie es kaum erwarten, diese Ära abzuschließen. Frau Wagner schien es ebenso zu gehen.

„Hervorragende Arbeit“, lobte Susanne. „Ich werde die Geschäftsleitung davon informieren, dass man Sie ab morgen freistellt.“

„Das klingt, als würden Sie noch bleiben“, sagte ihre Assistentin und sah sie fragend an.

„Ein paar Tage werde ich wohl noch dranhängen müssen, um alle schwierigen Akten mit meinen bisherigen Mitarbeitern durchzugehen.“

„Müssen?“

„Ich mag keine Halbheiten. Was erledigt werden kann, wird noch erledigt.“

„Dann werde ich Ihnen helfen“, hatte Frau Wagner geantwortet und war ihr auch in diesen Tagen noch zur Hand gegangen.

Freitagmittag waren sie auch damit fertig. Für zwölf Uhr hatte Susanne zu einem abschließenden Umtrunk in den Besprechungsraum gebeten. Sie hatte nicht erwartet, dass der Raum zum Bersten voll sein würde, schließlich hatte man in den letzten Wochen die halbe Belegschaft ausgewechselt, aber dass sie mit Frau Wagner nun allein dastand, überraschte sie dann doch. Sie füllte zwei Gläser mit Prosecco, drückte Helga Wagner eines in die Hand und sagte: „Auf uns!“

Fünf nach zwölf kamen zwei Damen aus der Buchhaltung, zehn nach zwölf entschuldigte sich Doktor Hoch telefonisch, er sei leider außer Haus. Dann kam einer der Wirtschaftsprüfer vorbei, der zufällig im Haus war. Eine Viertelstunde später folgten zwei Asset-Manager, im Eilschritt, sie wollten sich nur verabschieden, müssten aber gleich weiter.

Tja, so war das eben. Um ein Uhr fragte Susanne: „Sind Sie auch in Eile oder darf ich Sie noch zu einem Abschiedsessen einladen?“

„Das trifft sich gut. Ich sage nur kurz Bescheid, dass ich später komme. Mein Sohn ist heute zum Glück bei meiner Mutter.“

Sie gingen zum Italiener ums Eck. Susanne war in all den Jahren oft hier gewesen, aber noch nie mit ihrer Assistentin. Schade eigentlich, dachte sie, nach dem sie ihre Lasagne verzehrt hatten und auf die Zabaione warteten. Helga Wagner war nicht nur eine loyale Mitarbeiterin gewesen, sie schien auch privat eine ganz patente Person zu sein.

„Wie steht’s mit Ihrer Scheidung?“, fragte Susanne.

„Erinnern Sie mich bloß nicht. Wir können uns über die Unterhaltszahlungen nicht einigen. Wissen Sie, als Benny, unser Sohn, zur Welt gekommen ist, hat mein Mann darauf gedrungen, dass ich die ersten Jahre zu Hause bleibe. Dem armen Kind sollte der Kindergarten erspart bleiben. Habe ich dann ja auch gemacht. Als Benny dann zur Schule ging, habe ich mir den Teilzeitjob gesucht. Sie erinnern sich vielleicht, dass ich anfangs nur zwanzig Stunden gearbeitet habe; mit der Zeit wurden es dann dreißig. Jetzt wirft mein Mann mir vor, dass ich gehaltsmäßig unter meinen Möglichkeiten bliebe und er nicht bereit sei, die Differenz zu zahlen. Als ich ihm verklickert habe, dass ich bald arbeitslos sein werde, ist er überhaupt ausgerastet. Das mache ich alles nur, um ihm ein schlechtes Gewissen zu machen.“

Sie schnäuzte sich, dann fuhr sie fort: „Ich bin vollkommen fertig und kenne meinen Mann nicht mehr. Ich meine, wir waren immerhin zwölf Jahre verheiratet, aber so habe ich ihn noch nie erlebt.“

Susanne nickte: „Das kann ich gut verstehen, aber Sie werden sehen, das legt sich auch wieder. War bei uns damals ganz genauso.“

„Sie haben früher auch Teilzeit gearbeitet?“

Susanne lächelte. „Ich nicht, aber mein Mann. Er hat nebenher studiert – allerdings nicht besonders effizient. Ich fürchte, das habe ich ihm später auch vorgeworfen. Vermutlich nicht nur einmal. So eine Trennung ist einfach eine Ausnahmesituation. Ich würde heute so manches gerne zurücknehmen, was ich damals gesagt habe.“

Darauf sagte Helga Wagner erst einmal nichts, aber Susanne hoffte, dass es ihr guttat.

„Wenn ich mir in meinem neuen Job eine Assistentin aussuchen darf, werde ich auf Sie zurückkommen“, sagte sie zum Abschied. „Vorausgesetzt, dass Sie dann noch frei sind. Versprochen!“

„Haben Sie denn schon etwas im Auge?“

Susanne schüttelte den Kopf: „Nein, aber jetzt mache ich erst einmal Urlaub.“

Pizza al tonno

300 g Mehl glatt

15 g Germ

eine Prise Salz

4 EL Olivenöl

1 Dotter

4 EL Tomatenmark

2 Kugeln Mozarella, in dünnen Scheiben

8–12 Scheiben roher Thunfisch, Sushi-Qualität

frischen Rucola, geputzt

Sojasauce

Zitronensaft

Das Mehl mit Germ, Salz, Öl, Dotter und etwas warmen Wasser zu einem glatten Teig verkneten und zugedeckt – an einem warmen Ort – eine halbe Stunde rasten lassen.

In der Zwischenzeit aus Sojasauce, Zitronensaft und etwas Olivenöl eine Marinade bereiten und das Tomatenmark mit Olivenöl (eventuell einem Löffel Wasser) glattrühren.

Den Teig auf einer bemehlten Unterlage in Backblechgröße ausrollen, mit dem Tomatenmark bestreichen, mit Mozarella belegen und im vorgeheizten Backrohr etwa 10-15 Minuten backen (Pizzastufe).

Den Thunfisch kurz in die Marinade legen, abtropfen lassen auf die Pizza legen und mit dem geputzten Rucola bestreuen.


Die Tage bis zu Susannes Abreise vergingen wie im Fluge, und als sie schon Richtung Abano Terme unterwegs war, fiel ihr ein, dass sie den Geburtstag von Tante Anna vergessen hatte.

Sch… wanenbraten! Bisher hatte Frau Wagner sie an solche Dinge erinnert, oft auch die notwendigen Geschenke und Mitbringsel besorgt, aber das war ja nun Geschichte.

Aber dafür hatte sie ja jetzt Zeit; sie würde Tante Anna einfach auf dem Rückweg besuchen.

Die Fahrt zog sich endlos dahin, der Himmel war grau, ab und zu gab es einen Schneeschauer und im Kanaltal herrschte tiefster Winter. Auf der Höhe von Udine wurde es endlich heller und das Thermometer kletterte erfreulich nach oben.

Als sie endlich in Abano ankam, hatte es fünfzehn Grad und die letzten Sonnenstrahlen des Tages drangen durch die Hotellobby.

Genau so hatte sie sich das vorgestellt.

Das Hotel Savoy war zwar nicht das erste Haus am Platz, aber es bot einen herrlichen Blick auf die Eugenischen Hügel und – fast noch wichtiger – man konnte es ohne Halbpension buchen. So sehr sie die italienische Küche liebte, so sehr ging es ihr gegen den Strich, sich, nach einem mittelmäßigen Frühstück, tagsüber zu kasteien, um abends für das Fünf-Gänge-Menü gerüstet zu sein, für dessen Verdauung sie dann ein bis zwei Gläser Grappa brauchte. Sie war zwar leidlich schlank, aber das sollte schließlich auch so bleiben.

Gut gelaunt buchte sie Fango, Massagen und Schönheits-Behandlungen und ließ sich einen Campari servieren. Warum schmeckte der in Italien immer besser als zu Hause? Sie freute sich auf die vor ihr liegenden Tage, nur auf die einsamen Abendessen hatte sie weniger Lust. Zu dumm, dass ihre Freundin Doris keine Zeit gehabt hatte, um mitzukommen. Dann schnappte sie sich den Reader und machte sich auf den Weg in ihre Lieblings-Pizzeria.

*

Die Vormittage verbrachte Susanne mit Fango, Frühstück und Massage. Um die Mittagszeit startete sie ihren Wagen und machte sich auf den Weg ins Collio, aß hervorragende Pasta, machte lange Spaziergänge und kehrte erst wieder ins Hotel zurück, als die übrigen Hotelgäste langsam begannen, sich für das Abendessen umzukleiden. Dann erst ging sie ins Hallenbad, genoss in aller Ruhe das warme Wasser und machte sich anschließend auf den Weg in eines der wenigen Restaurants, die Abano zu bieten hatte. Da die meisten Gäste in den Hotels speisten, war das Angebot nicht allzu groß, aber sie kannte ein hervorragendes Fischlokal, eine verlässliche Pizzeria und eine sehr gemütliche Trattoria, in der vor allem die Einheimischen zu Gast waren.

Bevor sie am Donnerstag zu ihrer Fahrt in die Hügel aufbrach, bestellte sie sich noch einen Capuccino. Da der Tag wohlig warm war, beschloss sie, ihn auf einem der kleinen Tischchen im Park zu trinken.

Als sie vor das Hotel trat, fiel ihr ein Mann auf, der mit dem Rücken zu ihr saß, und Architekt Hausmann verdammt ähnlich sah. Der Kellner hatte eben einen Caffè Latte vor ihn hingestellt, der Mann bedankte sich.

Die Stimme kannte sie doch, das war Hausmann!

Soeben kam ein anderer Kellner mit ihrem Cappuccino.

„Stellen Sie ihn bitte zu dem Herrn da vorn. Grazie.“

Als der junge Mann den Kaffee vor Hausmann hinstellte, winkte der freundlich ab, doch sie sagte: „Das hat schon seine Richtigkeit.“

Jetzt drehte er sich um: „Frau Rieger. Das ist aber eine Überraschung.“

„Hoffentlich eine angenehme“, antwortete sie lachend und steckte dem Kellner ein Trinkgeld zu.

„Eine sehr angenehme sogar. Bitte, nehmen Sie Platz. Sind Sie schon länger hier?“

Eine knappe Stunde später machten sie sich gemeinsam auf den Weg. Sie wusste in der Zwischenzeit, dass er erst am Abend zuvor angekommen war, dass er mit der Bahn reiste, da er lange Autofahrten nicht mochte, und dass er – wie sie selbst – nur mit Frühstück gebucht hatte. Das ließ doch hoffen.

Sie hatte das Alleinsein in der Zwischenzeit gründlich satt, und da er ebenfalls allein hier war, sprach nichts dagegen, die restlichen Tage in seiner Gesellschaft zu verbringen – vorausgesetzt, er stellte sich nicht als Langweiler heraus.

*

Zwölf Stunden später wusste Helga, dass Werner Hausmann kein Langeweiler war. Außerdem schien gemeinsamer Ärger zu verbinden. Schon beim Mittagessen, als sie sich über die Ereignisse bei IMMO mit WERT unterhalten hatten, waren sie zum vertrauten Du übergegangen. Werner schwankte, genau wie sie selbst, immer noch zwischen Unverständnis und Ärger über das Verhalten ihres Ex-Chefs.

„Ich verstehe es nicht“, hatte er gesagt. „Peter hat das Unternehmen aufgebaut, es war sein Leben. Warum verkauft er plötzlich sein ganzes Aktienpaket und verschwindet?“

„Er wollte sich in der Toskana ein Weingut kaufen“, warf sie ein.

„Das mag ja durchaus verlockend klingen, aber ein Mann wie Peter, der sich bisher ausschließlich um Immobilien gekümmert hat, lässt doch nicht Knall auf Fall alles zurück. Also für mich sah das aus wie Flucht.“

„Du meinst, es gibt einen triftigen Grund, warum er Wien den Rücken gekehrt hat?“

Er zuckte ratlos die Schultern: „Ich hoffe, ich habe Unrecht. Aber es spricht einfach alles gegen ihn.“

Daran hatte sie auch schon gedacht, aber bisher hatten sich, gottlob, keinerlei Ansatzpunkte für diese Vermutung gefunden.

Unverständlich blieb es trotzdem. Sie hatte fünfzehn Jahre mit Peter gearbeitet und alles, was er ihr hinterlassen hatte, war ein Blumenstrauß und eine Karte mit den Worten: Danke für alles – Peter.

Nach dem Essen hatten sie den historischen Garten von Valsanzibio besucht, sich über die mangelnde Instandhaltung der Brunnen und Gebäude entrüstet, und auf dem Heimweg lachend Sanierungsvorschläge erarbeitet.

Auch die Frage, wo sie zu Abend essen würden, wurde zu ihrer vollsten Zufriedenheit geklärt, denn Werner, der zum ersten Mal hier war, vertraute sich ihrer Führung an.

Mittags hatten sie sich an Pasta gehalten, abends aßen sie Fisch, ganz puristisch, mit Knoblauch und Kräutern gegrillt, dazu Salat und gebratene Kartoffel. Es hatte ebenso köstlich geschmeckt wie der leichte Weißwein aus dem Collio.

In der Bar nahmen sie dann noch einen Grappa.

„Was für einen schlechten Einfluss Sie auf mich haben“, lachte er. „Ich trinke sonst nie Schnaps.“

„Fünf Euro für die Urlaubskasse, du hast schon wieder ‚Sie‘ gesagt.“ Spielerisch hielt sie ihm ihre Hand entgegen.

„Verzeih mir!“

Aber ja doch, so samten wie seine Stimme klang, musste man ihm einfach verzeihen.

*

Am nächsten Morgen regnete es. Beim Frühstück hatte sie Werner nicht getroffen, aber das war kein Problem, weil sie ohnehin für zwölf Uhr verabredet waren. Diesmal blieben sie in der Stadt, aßen mittags nur einen Salat, gönnten sich eine ausgiebige Pause und gingen später shoppen.

Die schwarzen Ballerinas mit der schwarz-weiß getupften Masche hatten ja noch Gnade vor seinen Augen gefunden, aber als sie sich einen grün gemusterten Seidenschal kaufen wollte, überraschte er sie mit der Frage: „Für wen soll der sein?“

„Für mich.“

Er durchwühlte den Ständer, fand einen Schal in warmen Terrakotta- und Gelbtönen und sagte: „Versuch doch den einmal.“

Sie hängte ihn um: „Er ist wirklich sehr schön, aber der hier passt genau zu einer grünen Bluse.“

„Eine Bluse in diesem Grün? Dann würde ich dir empfehlen, lieber einen Pullover dazu zu kaufen.“

„Einen Pullover?“

Er nickte. „Der wärmt und man sieht nicht so viel von diesem schockierenden Grün.“

Ihr stockte der Atem. Eine Frechheit! Doch dann sah sie in seine lächelnden Augen und sagte: „Ich nehme beides.“

Gut gelaunt zogen sie weiter. Beim nächsten Buchladen erstand er einen Bildband über Valsanzibio, den er ihr schenkte.

„Herzlichen Dank! Ich würde mich gerne mit diesem Kochbuch revanchieren. Kannst du etwas damit anfangen?“

Lächelnd nahm er es ihr aus der Hand: „Wenn es schöne Fotos hat, könnte ich sie mir gelegentlich ansehen.“

„Aber du kannst nicht kochen.“

„Mehr als Butterbrot und Tee habe ich bisher noch nicht zustande gebracht“, antwortete er und stellte das Buch ins Regal zurück.

Macht nichts. Hauptsache, er isst gerne, dachte sie, während sie eine Pizzeria ansteuerte.

„Pizza?“, fragte er erstaunt, als sie vor dem Lokal standen.

„Pizza. Aber die beste der Welt. Lass dich überraschen.“

Er schien skeptisch, doch schon beim Studium der Speisekarte gab er zu: „Das klingt alles sehr verlockend. Was empfiehlst du?“

„Eigentlich alles. Ich mag besonders die al tonno, mit viel Büffel-Mozzarella, frischem Rucola und roh mariniertem Thunfisch. Aber die mit der geräucherten Entenbrust ist auch nicht zu verachten.“

Als sie nach dem Essen noch ein Glas Wein tranken, fragte Werner: „Wie bist du eigentlich in die Immobilienbranche geraten?“

„Ich sag’s nur ungern, aber das habe ich der Familie meines Mannes zu verdanken. Ich wollte ja eigentlich Publizistik studieren. Aber als ich nach meinem Auslandsjahr mit Kind und einem studierenden Mann dastand, musste ich Geld verdienen. Da seine Eltern einen nicht unbeachtlichen Immobilienbesitz ihr Eigen nannten, hat Pierre mich auf die Idee gebracht, als Immobilienmaklerin zu arbeiten.“

„Und das ging so einfach?“

„Einfach war’s nicht, aber es ging. Jedenfalls habe ich bald genug verdient, um unsere kleine Familie zu erhalten und das Studium meines Mannes zu finanzieren.“

„Sind seine Eltern denn nicht für sein Studium aufgekommen?“

„Die Hochzeit mit mir hat ihn vorübergehend um sein Erbe gebracht. Aber in der Zwischenzeit ist er ja wieder in den Schoß der Familie zurückgekehrt. Trinken wir noch ein Glas?“

*

Die Tage vergingen wie im Fluge und als sie sich am Montag, nach einem gemeinsamen Frühstück, von ihm verabschiedete, hatte sie das Gefühl, einen guten Freund zurückzulassen. Einen sehr guten Freund.

„Rufst du mich an, wenn du nach Hause kommst?“, fragte er.

„Gerne, aber dann musst du bis morgen warten. Heute fahre ich nur bis in die Steiermark, um meine Tante Anna zu besuchen.“

„Da wird sich deine Tante Anna sicher freuen.“

„Das weiß man bei ihr nie so genau“, lachte Susanne, küsste ihn freundschaftlich auf die Wange und fuhr davon.

Als sie am Ende der Straße einen Blick in den Rückspiegel warf, stand er immer noch vor dem Hotel und winkte.

Vielleicht hätte sie doch noch ein paar Tage anhängen sollen? Anderseits wurde es langsam Zeit, sich um einen neuen Job zu kümmern.

Obwohl sie sich keine ernsthaften Sorgen über ihre Zukunft machte, hatte das Gefühl, nicht zu wissen, wie es weiterging, doch etwas Unangenehmes. Werners Einschätzung des Arbeitsmarktes war auch nicht besonders optimistisch gewesen, wenn er das auch sehr vorsichtig formuliert hatte, wie er immer alles sehr vorsichtig formulierte.

Sein Architekturbüro hatte durch den Wechsel in der Geschäftsführung von IMMO und WERT ebenfalls viele Aufträge verloren, sodass er gezwungen gewesen war, sich von zwei Mitarbeitern zu trennen. In der Zwischenzeit war es ihm zwar gelungen, neue Aufträge an Land zu ziehen, aber die Gewinnmargen waren deutlich schlechter.

Vielleicht würde auch sie sich mit einer etwas geringeren Gage zufriedengeben müssen. Aber was soll’s? Sie hatte in den letzten Jahren überdurchschnittlich gut verdient und sich zwei kleine Anlegerwohnungen gekauft, als Pensionsvorsorge, und dann waren da ja immer noch die Mieteinnahmen aus dem Rosenschlösschen.

Gulasch mit Nockerl

1 kg Wadschinken

120 g Schweineschmalz

800 g Zwiebel

50 g Paprikapulver, edelsüß

2 Knoblauchzehen

1 Spritzer Essig

1 EL Tomatenmark

20 g Mehl glatt

Kümmel, Majoran, Salz, Pfeffer

Evtl. etwas Chilipaste

Zwiebel würfeln und das Fleisch in große Würfel schneiden (2-3 cm). Zwiebel in heißem Schweineschmalz rösten, Tomatenmark und Paprikapulver zugeben, einmal durchrühren und mit Essig und etwas Wasser ablöschen. Fleisch zugeben, salzen und pfeffern, Kümmel und Majoran zugeben und im eigenen Saft so lange dünsten, bis dieser verdunstet ist, dann mit Wasser soweit aufgießen, dass das Fleisch gerade bedeckt ist, und so lange auf kleiner Flamme köcheln, bis das Fleisch weich ist.

Mehl mit etwas Saft und einem Spritzer Essig verrühren, unterrühren und noch etwa 15 Minuten köcheln lassen, bis sich der Mehlgeschmack verliert. Knoblauch pressen und darunter geben, abschmecken und mit Nockerln, Knödeln oder frischen Semmeln servieren.

Wer es schärfer mag, würzt mit etwas Chilipaste.

Nockerl:

300 g Mehl glatt

60 g zerlassene Butter

2 Eier

1/8 l Milch

Salz

Mehl, Butter, Eier und Salz in eine Schüssel geben und mit der Milch verrühren, so dass ein nicht zu fester Teig entsteht, den man am besten sofort (am besten mit einem Spätzlehobel oder Nockerlsieb) in kochendes Salzwasser einkocht.

Einige Minuten wallend kochen, abseihen, in etwas Butter schwenken und zum Gulasch servieren.


Tante Anna bewohnte ein kleines Haus am Rande von Kaiserstein. Eigentlich war das Haus gar nicht so klein, es wirkte nur etwas verloren auf dem großen Grundstück, vor allem jetzt, wo der Garten noch ziemlich kahl aussah. Zwar blühten an der rechten Grundstücksgrenze schon die Forsythien in strahlendem Gelb und dort und da zeigte sich etwas Grünes, aber alles in allem kam die beste Zeit des Gartens erst.

Die beste Zeit des Gartens war immer auch Tante Annas beste Zeit. Sie war die jüngste Schwester von Susannes verstorbenem Vater, und ging mit strammen Schritten auf die achtzig zu.

Früher war sie Handarbeitslehrerin gewesen, nach ihrer Pensionierung hatte sie dann in der Gärtnerei von Susannes Eltern mitgearbeitet und lange nicht verstanden, warum Susanne den Betrieb nicht übernommen hatte. Vermutlich verstand sie es immer noch nicht.

Anfangs hatte Tante Anna auch den derzeitigen Pächter noch bei der Rosenzucht unterstützt, aber dann hatte sie sich mit ihm zerstritten. Seither widmete sie sich ihrem eigenen Garten mit einer Inbrunst, die Susanne nur schwer nachvollziehen konnte.

„Anna hat eben ihren eigenen Kopf“, hatte ihr Vater immer gesagt und hinzugefügt: „Du kommst eh ganz nach ihr.“

Irgendwie mochte das stimmen. Sie hatte mit Tante Anna schon öfter die Klingen gekreuzt, aber an ihrer gegenseitigen Zuneigung hatte das nie etwas geändert.

Sie parkte ihren Mercedes vis-à-vis des Grundstückes und stieg aus. Puh, war es hier kalt. Nichts wie hinein in die warme Stube. Sie läutete. Doch statt Tante Anna erschien ein Wesen mit lila Haaren, schwarzen Lippen, einem pinkfarbenen Shirt und ausgebleichten Jeans in der Haustür und drückte den Knopf des Türöffners. Das Wesen mochte Mitte zwanzig sein.

Wo war Tante Anna?

Als Kind war Susanne immer stolz gewesen, wenn sie das Haus mit genau siebzig Schritten erreicht hatte, warum, konnte sie nicht mehr sagen, heute hatte sie andere Sorgen. Schon von Weitem fragte sie: „Ist Frau Burggruber nicht zu Hause?“

„Ihnen auch einen schönen Tag“, erwiderte das lila Haar. „Ihre Tante liegt im Bett.“

„Ist sie denn krank?“

„Nö, sie liegt nur zum Spaß so rum.“

Susanne ignorierte die Person ebenso wie ihre dummen Sprüche und stürmte ins Schlafzimmer.

„Tante Anna, wie geht es dir?“

„Komm mir nur ja nicht in die Nähe. Haaa-tschi. Hat Nina dir denn nicht gesagt, dass ich haaa-tschi …“

„Ach du Arme. Hast du Fieber?“

„Denkst du, wegen eines lächerlichen Schnupfens lege ich mich ins Bett?“

Das dachte Susanne allerdings nicht, sie konnte sich eigentlich nicht erinnern, dass Tante Anna jemals krank gewesen war.

„Dann fahr ich rasch den Kleinen abholen“, ließ das lila Haar sich vernehmen.

„Wer ist das denn?“, fragte Susanne, sobald sie allein waren.

Tante Anna schnäuzte: „Nina, meine neue Untermieterin. Sie wohnt im Dachgeschoss.“

„Seit wann hast du denn eine Untermieterin?“

„Seit Anfang Jänner.“

„Davon hast du Weihnachten gar nichts erzählt.“

„Hast mich halt nicht danach gefragt.“

Diese Antwort fand Susanne ziemlich unlogisch, die beiden winzigen Räume im Dachgeschoss waren schließlich noch nie vermietet gewesen, aber angesichts des Zustandes ihrer Tante ließ sie es dabei. Stattdessen fragte sie: „Kann ich irgendetwas für dich tun? Soll ich dir vielleicht Tee kochen?“

„Ach, lasst mich doch zufrieden mit eurem Tee. Nina bringt mir jede Stunde eine neue Tasse und behauptet, dass würde die Viren ausschwemmen. So ein Blödsinn. Lasst mich eine Stunde schlafen, bevor ich dann zum Abendessen aufstehe.“

„Also meinetwegen musst du nicht …“, protestierte Susanne.

„Aber meinetwegen“, schnitt Tante Anna ihr das Wort ab und scheuchte sie mit eindeutiger Geste aus dem Zimmer.

Während Susanne zum Wagen ging, um ihren Trolley zu holen, hielt ein klappriger alter Opel vor dem Haus, dem zuerst ein etwa achtjähriger Bub und gleich danach das lila Haar entstieg. Der Bub rannte los. „Lass Oma Anna in Ruhe. Verstanden?“, rief das lila Haar ihm nach.

Beim Abendessen erfuhr Susanne, dass der Bub Felix hieß und Ninas Sohn war. Erstaunlicherweise benahm er sich ganz manierlich. Es gab übrigens Gulasch mit Nockerln. Ganz hervorragendes Gulasch sogar – außer vielleicht, dass ein Hauch Chili fehlte. Aber das war natürlich Geschmackssache.

„In deinem Zustand hättest du wirklich nicht kochen sollen“, sagte Susanne mit liebevollem Vorwurf zu ihrer Tante.

„Hab’ ich eh nicht“, erwiderte die. „Hat Nina gemacht, aber nach meinem Rezept.“

Damit hatte Susanne nun wirklich nicht gerechnet. Das musste sie erst einmal mit einem Schluck Bier hinunterspülen. Dann nickte sie Nina zu: „Erstaunlich. Wirklich, ganz hervorragend.“

„Was finden sie denn so erstaunlich?“, fragte Nina. „Dass ich lesen kann oder dass ich kochen kann?“

„Ziemlich genau in der Reihenfolge“, antwortete Susanne.

Nina warf ihr erst einen finsteren Blick zu, doch dann sagte sie: „Sie sind wenigstens ehrlich!“

*

Am nächsten Morgen hatte Tante Anna kein Fieber mehr, deswegen ließ sie es sich auch nicht nehmen, mit Susanne zu frühstücken.

Nina und Felix waren bereits unterwegs, Felix in der Schule und Nina in ihrer Werkstatt.

„Sie betreibt eine Werkstatt? Wofür?“

„Ach, sie macht da solchen Kram, aus Abfällen. Sie nennt es ihre Recycling-Boutique.“

„Sie hat ein Geschäft?“

Anna machte eine wegwerfende Handbewegung: „Mehr so ein Kellerlokal, aber mit straßenseitigem Zugang.“

Susanne angelte sich noch eine Schnitte vom Bauernbrot, das sicher schon einige Tag alt war, aber immer noch ganz hervorragend schmeckte. Sie bestrich es mit Butter, bevor sie einige Scheiben von diesem würzigen Käse darauf legte. Ehe sie genussvoll hineinbiss, sagte sie: „Jetzt erzähl mal, was gibt es Neues in Kaiserstein?“

Ihre Tante zuckte nur die Schultern: „Net gar viel. Das G’schäft vom Staller soll gar net gut gehen. Neulich hat ein knallgelbes Auto von einem Inkassobüro davor geparkt.“

Der Staller war der Pächter des Rosenschlösschens, in dem ihre Eltern und ihre Großeltern eine Gärtnerei betrieben hatten.

Der Pächter hatte bald auf Rosenzucht umgestellt und seit einigen Jahren veranstaltete er auch Rosen-Kochkurse und betrieb eine Taverne.

Susanne schenkte sich Kaffee nach, ehe sie fragte: „Und wie geht die Taverne, die hat er doch neu eingerichtet?“

„Was soll denn da gehen? Der sperrt doch nur auf, wenn er gerade Lust hat. Und dann kocht er lauter so Blödsinn wie: Nudeln mit Rosenpesto. Wie des schon unappetitlich ausschaut!“

Da war was dran. Susanne hatte einmal ein Glas Rosenpesto in seinem Blumenladen erstanden. Das heißt, eigentlich befand sich das Pesto in einem Keramiktopf. In einem Glas hätte sie das bräunliche Gemisch niemals gekauft. Es hatte übrigens auch genauso gerochen wie es ausgesehen hatte – sie hatte es dem Restmüll übergeben.

„Und wie bist du zu dieser Nina gekommen?“

„Diese Nina, wie du sie nennst, ist die Enkelin vom Huber Sepp. Der ist voriges Jahr gestorben. Die Nina und Felix haben bei ihm gewohnt. Na ja, jetzt gehört das Haus seinen fünf Kindern, die konnten sich lange nicht einigen, was mit dem Haus geschehen sollte, aber die meisten wollten wohl Kohle sehen, also muss das Haus verkauft werden. Da ist die Nina eben zu mir gezogen. Die Wohnung im Dachgeschoss stand sowieso leer.“

„Was verlangst du denn für die zwei winzigen Zimmer?“

„Ich verlang’ von der Nina doch keine Miete! Sie hilft mir im Garten, beim Einkaufen und wenn ich krank bin, kocht sie mir literweise Tee.“

Susanne hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Tante Anna hatte es bisher immer abgelehnt, dass jemand auch nur vorübergehend in ihre Dachwohnung einzog. Als Susannes Tochter Claudia damals ein Praktikum in der Nähe gemacht hatte, hätte sie gerne ein paar Monate darin gewohnt, aber Tante Anna hatte das kategorisch abgelehnt. Sie könne es nicht leiden, wen ihr jemand am Kopf herumtrampelt, hatte sie damals gesagt.

Warum also Nina?

Ging es Tante Anna vielleicht schlechter, als sie zugab, oder hatte Nina weniger feine Methoden als Claudia? Wer weiß, man las ja so vieles.

„Ich könnte noch ein paar Tage bleiben?“, sagte sie deshalb.

„Musst du denn nicht in dein Büro? Sonst hast du’s doch immer so eilig.“

„Ich habe gekündigt“, sagte Susanne und bemühte sich, um einen beiläufigen Ton.

„Du hast gekündigt? Das glaub’ ich jetzt nicht. Die Firma war dir doch immer heilig.“

„Also, heilig ist etwas übertrieben. Aber ja, ich habe gerne dort gearbeitet, zumindest so lange, bis mein Ex-Chef auf die vertrottelte Idee kam, sein Aktienpaket zu verkaufen.“

Tante Anna schien skeptisch, also sagte Susanne munter: „Jetzt muss ich mir eben was Neues suchen.“

„Ja, ist das denn so einfach?“

„Kein Thema. Ich bin ganz gut vernetzt in der Branche.“

Gegen Mittag fuhr Susanne ab, doch auf der Heimfahrt nahm sie sich vor, sich in Zukunft mehr um ihre Tante zu kümmern. Man konnte schließlich nie wissen – und dieser Nina traute sie einfach nicht über den Weg.

Wer färbt sich sein Haar schon lila? Wenn auch, zugegebenermaßen, ein paar schwarze Strähnchen darunter waren.

*

Zu Hause angekommen räumte sie ihren Koffer aus, befüllte die Waschmaschine und überlegte, was sie essen könnte.

Der Tiefkühler bot Rindsuppe, Ravioli, Erbsen, Brot und Himbeeren. Sie entschied sich für die Rindsuppe, in die sie einige Ravioli und eine Handvoll Erbsen einkochte. Schon hatte sie eine wundervolle, kräftige Suppe. Danach machte sie es sich mit einem Glas Wein auf der Couch gemütlich und wählte Werners Nummer.

Mailbox. Schade, sie hätte gerne mit ihm geplaudert.

Also schrieb sie ihm eine SMS:

Wien hat mich wieder. Schönen Urlaub noch - Susanne

Dann nahm sie ein Buch zur Hand.

Sie war schon über ihrem Roman eingenickt, als gegen Mitternacht die Antwort kam:

Wie schön! Viel Erfolg bei der Jobsuche - auf bald - Werner

Lammkarree mit Olivenkruste

2 Lammkarrees (etwa 800 g)

1 Knoblauchknolle

1 kleine Zwiebel

4 Scheiben Weißbrot

70 g weiche Butter

4 EL Tapenade (schwarze Olivenpaste)

frischen Thymian

1 Zweig Rosmarin

Olivenöl

Salz, Pfeffer

Toastbrot würfeln und (am besten im Cutter) zerkleinern. Mit der Butter und der Olivenpaste zu einer glatten Masse verarbeiten. Salzen, pfeffern zu einer Rolle formen, in Alufolie wickeln und etwa 2 Stunden in den Kühlschrank stellen.

Lammkarrees von Sehnen und Häuten befreien und in heißem Öl scharf anbraten. Knoblauchknolle und Zwiebel halbieren und mitbraten, Thymian und Rosmarin zugeben und kurz durchschwenken. Dann das Fleisch mit den Gewürzen bei 120 Grad Umluft im Backrohr ziehen lassen.

Olivenpaste in Scheiben schneiden und auf das Karree legen, etwa 2 Minuten gratinieren.


Am nächsten Morgen setzte sich Susanne an ihren Schreibtisch und erstellte eine Liste der Personen, die ihr bei der Jobsuche nützlich sein könnten. Sicherheitshalber fertigte sie noch eine zweite Liste an, auf der sie notierte, in welchen Bereichen sie bisher gearbeitet hatte und in welchen sie besonders kompetent war. Doch eigentlich ging sie davon aus, dass sie die nicht brauchen würde, schließlich war sie kein unbeschriebenes Blatt in der Branche.

Vielleicht hatte es sich in der Zwischenzeit sogar schon herumgesprochen, dass sie frei war. Sollte sie vorerst abwarten, ob jemand auf sie zukam? Aber die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten entsprach nicht ihrer Art.

Sie legte die Stirn in Falten, strich sie eilig wieder glatt und entschied, dass es günstiger sei, erst einmal auf Stellengesuche zu antworten und dann ihre persönlichen Kontakte zu nutzen.

Also gab sie „Stellenangebote Immobilien“ in die Suchmaschine ein und fand binnen Kurzem drei Jobs, die ihr interessant erschienen. In allen Fällen wurden Bewerbungsschreiben, Lebenslauf und allfällige Dienstzeugnisse per Mail angefordert.

Sie machte sich an die Arbeit.

Eine Stunde später bekam sie die erste Absage: Der ausgeschriebene Posten sei bereits vergeben. Die nächste Absage kam tags darauf, doch am Freitag erhielt sie eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Na bitte, geht doch.

Sicherheitshalber besorgte sie sich am nächsten Morgen den Samstag-Kurier, verbrachte den Vormittag mit der Durchsicht der Jobangebote und übermittelte am Nachmittag weitere Bewerbungsschreiben, ehe sie sich auf den Weg zur Geburtstagsfeier ihrer Cousine machte. Wie doch die Zeit verging. Eben waren sie doch noch Kinder gewesen – und jetzt wurde Paula sechzig!

*

Mit ihrer Cousine Paula hatte Susanne sich schon immer gut verstanden. Warum, konnte sie nicht sagen, denn sie waren damals schon ziemlich verschieden gewesen. Rudi, Paulas Mann, hielt sie hingegen für einen Wichtigmacher der Sonderklasse, der Rest der Verwandtschaft war ganz in Ordnung, und gegen ihre Nichte Babsi war auch nichts einzuwenden – außer vielleicht, dass sie gleich alt war wie ihre Tochter Claudia – und an Claudia wollte sie jetzt lieber nicht denken.

Kaum hatte sie den Saal betreten, kam ihr auch schon Paula entgegen. Sie schien seit dem letzten Zusammentreffen zugenommen zu haben, zumindest saß der dunkelgraue Kostümrock ein wenig streng. Immerhin hatte sie zur Feier des Tages ihre geliebten Westen durch eine Kostümjacke ersetzt, sonst sah sie aus wie immer.

Susanne küsste Paula pflichtschuldig auf die Wange und schüttelte anschließend Rudis fleischige Hand.

„Gut siehst du aus“, meinte der gönnerhaft.

„Es geht mir auch gut“, antwortete sie und nahm ein Sektglas von einem der Tabletts.

„Ich dachte, du wärst gekündigt worden“, warf Paula ein.

Da hatte Tante Anna ja wieder ganze Arbeit geleistet, dachte Susanne amüsiert und antwortete betont fröhlich: „Stimmt. Deswegen geht’s mir ja so gut.“

Es war Paula anzusehen, dass sie dieser Logik nicht folgen konnte.

„Meinst du, dass du so leicht eine neue Stelle findest? In deinem Alter?“

„Ich bin ja noch keine sechzig“, antwortete Susanne augenzwinkernd und überreichte als Wiedergutmachung das geschmackvoll arrangierte Päckchen mit Paulas Lieblingsparfum.

Da Diplomatie nicht gerade zu Paulas hervorragendsten Eigenschaften zählte, stellte sie das Päckchen auf den Tisch zu den übrigen Geschenken und sagte: „Mit fünfundfünfzig werfen sie einem die Jobs auch nicht mehr nach. Wie lange hast du denn noch bis zur Frühpension?“

„Frühpension? Ich denke doch nicht an Frühpension!“

„Solltest du aber“, antwortete Paula. Die Ankunft des nächsten Gastes ersparte ihnen die weitere Diskussion.

Ausgerechnet Rudi klopfte ihr aufmunternd auf den Rücken – wie sie das hasste – und sagte jovial: „Wahrscheinlich hast du es gar nicht mehr nötig zu arbeiten.“

„Aber ich will – und werde – auf jeden Fall wieder arbeiten“, entgegnete sie energisch.

„Dein Wort in Gottes Ohr“, meinte Rudi.

„Macht euch keine Sorgen um mich“, antwortete sie und entfloh in Richtung ihrer Nichte, die sie umgehend mit ihrem neuen Freund bekannt machte. Das erinnerte Susanne daran, dass sie in der Zwischenzeit auch einen Schwiegersohn hatte – einen, den sie nicht mochte.

*

Obwohl der Himmel bewölkt war, war die Luft angenehm mild, als Susanne am nächsten Tag mit ihrer Freundin Doris durch die Weinberge spazierte. Sie genoss die Bewegung in frischer Luft und konnte endlich ihrer Empörung freien Lauf lassen: „Das hättest du hören müssen. Meine Verwandtschaft scheint nichts anderes zu interessieren, als wer wann in Pension gehen kann. Ich verstehe das nicht! Das ist doch krank. Wohlverstanden, die sind alle bei guter Gesundheit.“

Doris teilte zwar ihr Unverständnis für die Pensionsgelüste ihrer Verwandtschaft, nicht aber ihren Optimismus, was die Stellesuche betraf.

„Hast du dir schon einen Plan B überlegt für den Fall, dass du keine adäquate Stelle mehr findest?“

Nein, das hatte sie nicht.

Montag und Dienstag gingen ereignislos dahin, also setzte sie all ihre Hoffnungen in das Gespräch, das sie für Mittwochvormittag vereinbart hatte, und bereitete sich gründlich darauf vor. Sie recherchierte nicht nur alles über das Unternehmen, es handelte sich um die Immobilientochter einer großen Bank, sondern auch über die Mitglieder des Vorstandes und der Geschäftsleitung.

Dann eilte sie noch zum Friseur, schließlich konnte es nicht schaden, auch gut auszusehen.

Die Einladung zum Vorstellungsgespräch war von einer Frau Magister Feldmann unterzeichnet worden, über die im Internet allerdings nichts zu finden gewesen war, woraus Susanne schloss, dass es sich um eine unbedeutende Assistentin handelte, die waren ja neuerdings alle schon irgendwie akademisch.

Das Unternehmen befand sich im 20. Stock eines supermodernen Glaspalastes. Während sie auf den Lift wartete, dachte sie mit Wehmut an den stilvollen Altbau, in dem IMMOBILIEN mit WERT residiert hatte.

Frau Magister Feldmann war die Personalchefin – schau an. Sie war vermutlich kaum älter als dreißig und trug ein dunkelblaues Kostüm mit superkurzem Rock.

Das Gespräch fand in einer Besprechungskoje statt, die Susanne irgendwie an eine fliegende Untertasse erinnerte; man hatte ihr nicht einmal Kaffee angeboten.

„Sie interessieren sich für den Posten in unserer Finanzbuchhaltung.“

„Keineswegs“, antwortete Susanne. „Ich habe mich für die Position als Asset-Manager beworben.“

Magister Feldmann schien verwirrt und blätterte in ihren Unterlagen.

„Sie haben doch eine solche Position ausgeschrieben“, setzte Susanne nach.

„Schon, aber, pardon, da muss es sich um eine Verwechslung handeln. Vermutlich weil ihre Daten, also die bisher eingesehenen Unterlagen, viel eher zu der Stelle in der Finanzbuchhaltung gepasst haben. Sie müssen wissen, die Position des Asset-Managers würde eine gewisse Mobilität voraussetzen. Das zu verwaltende Portfolio befindet sich nur teilweise in Wien, teilweise aber auch in Berlin und Frankfurt.“

Susanne nickte. „Wo ist das Problem?“

„Das Problem ist, dass sie immer wieder dorthin reisen müssten.“

„Schon klar. Ich bin zeitlich flexibel und habe keine Flugangst.“

Magister Feldmann blätterte angestrengt in ihren Unterlagen, ehe sie sagte: „Tatsächlich hat sich die Geschäftsführung für diese Position einen Akademiker zwischen 30 und 40 vorgestellt.“

Immerhin schien ihr diese Äußerung unangenehm zu sein, dachte Susanne nicht ohne Häme, ehe sie konterte: „Soviel ich bisher verstanden habe, geht es darum, ein Portfolio von Zinshäusern zu verwalten. Ich habe in meinem bisherigen Berufsleben kaum etwas anderes getan. Können Sie mir vielleicht erklären, was genau ein Akademiker zwischen 30 und 40 anders machen könnte?“

Das konnte Frau Magister Feldmann leider nicht. Sie versprach zwar halbherzig, Susannes Bewerbung der Geschäftsführung vorzutragen, und beendete das Gespräch, indem sie aufstand und sagte: „Also … wenn Sie sich die Sache mit der Finanzabteilung vielleicht noch einmal überlegen wollen?“

Das wollte Susanne keinesfalls und rauschte davon.

Für heute hatte sie genug. Auf dem Heimweg kaufte sie sich auf dem Naschmarkt ihr Frustmenü: Tramezzini mit Lachs, Tramezzini mit feurigem Eiaufstrich und dann noch ein Säckchen von diesen unglaublich köstlichen Champagnertrüffeln.

Daheim goss sie sich ein Glas Chardonnay ein, verzehrte genüsslich die Tramezzini und machte es sich danach mit den Champagnertrüffeln und einem Krimi auf dem Sofa gemütlich. Dennoch gelang es ihr nicht, das Gespräch zu vergessen.

Am nächsten Morgen hatte sie sich soweit erholt, dass sie mit neuem Elan begann, die Liste ihrer Branchenkollegen abzuarbeiten. Wäre doch gelacht, wenn man für eine Fachkraft wie sie, ungebunden und im besten Alter, keine Verwendung mehr hätte.

Freitagmittag war sie damit fertig. Sie hatte zwar durchaus interessante Telefonate geführt, manch einer hatte ihr auch zugesichert sich umzuhören, aber eine konkrete Zusage hatte sie nicht erhalten.

Sie überlegte kurz, ob sie sich mit einer heißen Schokolade und ein paar von diesen köstlichen Karamellkeksen auf die Couch zurückziehen sollte, doch dann packte sie ihre Sporttasche und fuhr in den Fitnessclub. Sie hatte zwar nicht vor, sich an den Geräten zu verausgaben, aber bei der Jazz-Gymnastik würde sie mitmachen und danach ein paar Längen schwimmen.

Da sie seit dem Herbst nicht mehr hier gewesen war, verließ sie den Gymnastikraum ziemlich außer Puste und reichlich verschwitzt. Sicher würde sie morgen einen ausgewachsenen Muskelkater haben.

Sie genoss das warme Wasser der Dusche und beschloss aufs Schwimmen zu verzichten und lieber gleich nach Hause fahren, als plötzlich jemand rief: „Susanne! Ich dachte du plantscht noch im warmen Thermenwasser.“

„Nora!“ Sie freute sich aufrichtig, ihre ehemalige Kollegin zu treffen. Nora war Peters rechte Hand gewesen, sie hatte man zuallererst gekündigt. Sie begrüßten einander mit Küsschen links, Küsschen rechts, und bestellten einen Vitamincocktail.

Da Nora ausnahmsweise keine familiären Verpflichtungen hatte, Tochter und Ehemann waren im Kino, gingen die beiden zum nahegelegenen Griechen, verspeisten rosa gebratene Lammkoteletts und tranken ein Glas Retsina, während Nora, die gute zehn Jahre jünger war, von ihrem neuen Job erzählte und Susanne ein paar Geschichten von IMMO mit Wert zum Besten gab.

Beim zweiten Glas fragte Nora: „Und wie geht’s dir mit der Jobsuche?“

„Nicht so toll. Niemand scheint einen Asset-Manager zu suchen, zumindest keinen in meinem Alter.“

„Nun ja, die Branche ist eng, so viele Führungspositionen gibt es eben nicht“, sinnierte Nora. „Was willst du jetzt machen?“

„Weitersuchen. Wäre doch gelacht, wenn niemand einen Immobilien-Profi brauchen könnte. Cheers!“

*

Bisher hatte Susanne es immer genossen, an einem ruhigen Wochenende Zeit zu haben, um sich selbst zu verwöhnen. Sie hatte sich dann eine Gesichtsmaske gegönnt, die abgestorbenen Hautschüppchen von den Beinen gerubbelt, dort und da ein Härchen weggezupft und darauf geachtet, am Tag fünf Portionen Obst und Gemüse zu essen.

Doch diesmal blieb wenig zu tun, denn in den vergangenen Tagen hatte sie zwischen den Telefonaten Zeit genug gehabt für Rubbelcreme und Gurkenmaske.

Das Wetter war auch schlecht, es schüttete in Strömen. Ruhelos tigerte sie durch die Wohnung. Das Buch, das Doris ihr empfohlen hatte, konnte sie ebenso wenig fesseln wie das Fernsehprogramm und für sich alleine zu kochen machte auch keinen Spaß.

Vielleicht sollte sie sich irgendwo einladen. Aber schon der Gedanke, bei diesem Wetter ihr wohlig warmes Nest zu verlassen, ließ sie frösteln.

Es war schon achtzehn Uhr vorbei und ihre Laune auf dem absoluten Nullpunkt, als das Telefon läutete.

„Rieger“, meldete sie sich mürrisch.

„Hallo Susanne. Wie schön, dass ich dich zu Hause antreffe.“

„Werner! Du bist schon zurück?“

„Gott sei Dank. Ohne dich war Abano ziemlich leer und drei Wochen arg lang.“

Das konnte sie gut verstehen. Allein der Gedanke daran, drei Wochen an einem Ort zu verbringen, war ihr unerträglich.

„Ich würde dich gerne zum Essen einladen“, fuhr Werner fort. „Hättest du Zeit?“

„Gerne, wann denn?“

„Am liebsten gleich.“

Und ob sie Zeit hatte. Schon eine halbe Stunde später verließ sie frisch gestylt das Haus.

Regen? Lächerlich, sie war doch nicht aus Zucker.

*

Sie hatte Werner vorgeschlagen, einander gleich im Restaurant zu treffen, aber das hatte er, ganz Gentleman, natürlich abgelehnt. Als sie aus dem Haustor trat, wartete sein silbergrauer Jaguar in zweiter Spur. Der Wagen war älteren Datums und passte irgendwie zu seiner etwas antiquierten Art. Trotz des strömenden Regens stieg er aus, um ihr den Wagenschlag zu öffnen. Sieh an, ein Kavalier der alten Schule, dachte sie amüsiert. Sie genoss diese Dinge, auch wenn sie sie gleichzeitig ein wenig verstaubt fand.

Werner führte sie in ein Restaurant, das für seine Wiener Küche bekannt war.

„Ich hoffe du magst Wiener Küche, aber nach drei Wochen Italien habe ich einen gewissen Nachholbedarf.“

„Keine Sorge, ich mag alles, wenn es nur gut gekocht ist.“

Sie wählte Tafelspitz mit Semmelkren, während er sich für ein Kalbsschnitzel entschied.

„Erzähl mal, wie geht es dir mit der Jobsuche?“, forderte er sie auf.

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung: „Das willst du nicht wirklich wissen.“

„Doch.“

Also legte sie los. Sie erzählte von ihren erfolglosen Bemühungen und garnierte die Erzählungen mit den erstaunlichsten Aussagen, die ihr im Laufe der letzten Wochen so untergekommen waren.

„Ich glaube das Dümmste war, dass mir so ein junger Schnösel erklärt hat, die Integration älterer Arbeitnehmer sei eine Herausforderung, der sich sein Unternehmen bisher noch nicht gestellt hätte. Schau ich etwa aus, als bräuchte ich einen Treppenlift?“

Jedenfalls war der Abend ein voller Erfolg gewesen und sie vereinbarten, am kommenden Samstag, quasi als Alternativprogramm, einen total angesagten Asiaten zu besuchen.

Tramezzini mit Lachs

8 Scheiben Tramezzini

60 g Pflücksalat

80 g Majonäse

160 g Lachs, geräuchert

4 Eier, gekocht

Den Pflücksalat waschen und trockenschleudern, dann 4 Scheiben Tramezzini damit belegen. Die hart gekochten Eier (am besten mit einem Eischneider) in Scheiben schneiden und auf die Majonäse legen, den Räucherlachs darauf verteilen, die restlichen Brotscheiben darüber legen, die Ränder zusammendrücken und diagonal durchschneiden.


Schon in der nächsten Woche brach Susanne neuerlich zu einem Bewerbungsgespräch auf. Diesmal hatte sie sich in einer großen Hausverwaltung beworben. Die Verwaltung hatte einen guten Ruf, sie kannte den Senior-Chef von früher, aber der hatte sich in der Zwischenzeit auf seine Finca auf Mallorca zurückgezogen.

Das Unternehmen wurde nun von seinem Sohn geführt, den Susanne auch von früher kannte. Als sie ihn zuletzt gesehen hatte, war er allerdings noch ein unscheinbares Bürschchen mit halblangen Haaren gewesen, das mit mäßigem Erfolg BWL studiert hatte. Nun war er Magister, also dürfte es ihm, wider Erwarten, doch gelungen sein, das Studium abzuschließen.

Das Büro war nun in einem ehemaligen Fabrikgebäude untergebracht, das seit einigen Jahren als Bürohaus diente. Sie schätzte die Raumhöhe auf gut fünf Meter. Die Räume waren in einem leuchtenden Zitronengelb gestrichen worden, was sie sehr hell und freundlich erscheinen ließ. Die Böden waren teilweise mit Spannteppichen, teilweise jedoch mit einer Art Profilblech belegt. Seltsam, dachte Susanne. Im gleichen Moment kam ein junger Mann auf einem Scooter durchs Büro gefahren. Knapp vor ihr machte er halt, lehnte den Scooter an die Wand und bat sie, ihm in den Besprechungsraum zu folgen.

Jetzt erst erkannte sie in ihm den ehemals langhaarigen Burschen. Das blonde Haar hatte er zu einer Stoppelglatze geschnitten, was ihm ein eher kahlköpfiges Aussehen verlieh. War das der neueste Schrei?

Er trug schwarze Jeans und ein Sweatshirt. Susanne kam sich in ihrem dunkelblauen Hosenanzug vor, als wäre sie in einer Ballrobe erschienen.

„Ich mach’s mal kurz“, eröffnete er das Gespräch. „Wie Sie wahrscheinlich schon gesehen haben, sind wir ein junges Team. Der Grund, warum ich dennoch auf Ihre Bewerbung zurückgegriffen habe, ist folgender: Meine Frau bekommt ein Kind. Sie hat vor, die ersten drei Jahre zu Hause zu bleiben, wird dann aber auf jeden Fall wieder einsteigen. Ich dachte mir, in drei Jahren …“

„Könnte ich in Pension gehen“, vollendete sie seinen Satz.

Sie hatte eigentlich nicht vor, sich schon in drei Jahren aus dem Berufsleben zurückzuziehen, aber anderseits konnte in der Zeit viel passieren. Also fragte sie: „In welchem Bereich war ihre Frau denn bisher tätig?“

„Sie war meine Assistentin.“

Das war starker Tobak. Was dachte sich der junge Schnösel eigentlich?

Sie lehnte sich zurück und fragte honigsüß: „Sagen Sie, haben Sie mein Bewerbungsschreiben eigentlich gelesen?“

Er nickte: „Doch, schon, aber ich dachte mir, in Ihrem Alter sind Sie …“ Den Rest des Satzes ließ er unter ihrem erstaunten Blick in der Luft hängen.

„Was denn?“, sprang sie ihm hilfreich zur Seite: „Froh, dass ich überhaupt Arbeit bekomme? Tut mir leid, ich bin wirklich nicht mehr jung genug, um im Scooter durch Ihr Büro zu fahren. Aber ich schicke Ihnen gerne meine ehemalige Assistentin vorbei, vielleicht kann die Ihnen helfen.“

„Da habe ich … also ich meine … das ist …“

Sie funkelte ihn an.

„Das ist … wirklich sehr freundlich von Ihnen“, schloss er und ließ noch ein scheinbar unvermeidliches „Tschü-üss“ folgen.

*

Auf dem Weg zum Auto überlegte sie: Tramezzini oder shoppen? Sie entschied sich dafür, erstmal Peek und Cloppenburg einen Besuch abzustatten, Tramezzini konnte sie später immer noch essen.

Die Sonne schien, die Luft war angenehm mild, sie würde sich doch von so einem Jungspund nicht die Laune verderben lassen.

Allerdings schienen sich in den Führungsetagen zunehmend Jahrgänge niederzulassen, die jung genug waren, ihre Kinder zu sein. Wer in ihrem Alter nicht schon einen Chefsessel hatte, für den war es schwer, einen zu ergattern. Die nachkommende Generation war gut ausgebildet, flexibel, belastbar und vor allem billiger.

Gedankenverloren parkte sie ihren Wagen in der nahen Tiefgarage und schlenderte durch die Fußgängerzone.

Als sie sich dem Kaufhaus näherte, erkannte sie Werner. Sie hob die Hand zum Gruß und wollte schon rufen, als eine junge Frau an seine Seite trat und ihm einen Kuss auf die Wange gab.

Blitzartig ließ sie den Arm sinken und wendete sich der Auslage zu.

Gott sei Dank, er hatte sie nicht gesehen.

Dafür hatte sie nun Zeit in der Auslagenscheibe seine Begleitung näher unter die Lupe zu nehmen. Sie war vermutlich Ende zwanzig und hatte langes, schwarzes Haar. Mist. Ausgerechnet Werner.

*

Als sie es sich später mit einer Ladung Lachs-Tramezzini und einer Tüte Champagnertrüffel zu Hause gemütlich machte und die Post durchsah, fiel ihr ein handschriftlich beschriftetes Kuvert auf.

Staller, der Mieter des Rosenschlösschens, teilte ihr in etwas ungelenker Schrift mit, dass er das Mietobjekt zum nächstmöglichen Termin zu kündigen wünsche.

Na super. Ausgerechnet jetzt, wo sie zum ersten Mal in ihrem Leben auf diese Mieteinnahmen angewiesen war.

Natürlich hatte sie Ersparnisse, aber auf die wollte sie nicht zurückgreifen. Jetzt noch nicht. Niemand wusste, wie sich die Wirtschaft weiterentwickeln würde und immer öfter hieß es, dass sich der Staat üppige Pensionszahlungen bald nicht mehr leisten konnte. Nun, sie war leidlich gesund und wollte ohnehin arbeiten – verdammt noch mal.

Während sie sich ein Glas Chardonnay zu ihren Tramezzini schmecken ließ, überlegte sie, dass der Zeitpunkt vielleicht doch gar nicht so schlecht war. Jetzt hatte sie wenigstens Zeit, sich eingehender mit dem Rosenschlösschen zu befassen. Bisher hatte sie stets nur die Mieteinnahmen aufgelistet und versteuert. Sobald sie wieder einen Job haben würde, hätte sie erst recht keine Zeit mehr. Außerdem hatte sie ohnehin vorgehabt, sich mehr um Tante Anna zu kümmern.

Davor würde sie noch ihre ehemalige Assistentin anrufen.

Helga Wagner war ebenfalls noch auf Stellungssuche und nicht abgeneigt, ihr Glück bei dem Scooter fahrenden Jungchef zu versuchen.

„Hoffentlich stößt er sich nicht daran, dass ich Alleinerzieherin bin. Daran sind schon zwei Zusagen gescheitert.“

„Sind Sie eigentlich in der Zwischenzeit geschieden?“

„Leider nein. Wir konnten uns immer noch nicht auf die Unterhaltszahlungen einigen.“

„Ist doch gut. Dann sind sie verheiratet. Punkt.“

„Das ist aber nicht ganz fair“, warf Helga Wagner zögernd ein.

„Finden Sie es fairer, den Frauen die Sorge um die Kinder zu überlassen und sie anschließend am Arbeitsmarkt zu benachteiligen?“

Schweigen.

„Na also, machen Sie’s gut.“

*

Am nächsten Tag setzte sich Susanne mit dem Mieter des Rosenschlösschens in Verbindung. Wie sie bereits vermutet hatte, wollte Hubert Staller sein Mietobjekt so rasch wie möglich loswerden. Die Geschäfte gingen schlecht und er könne sich die Mietzahlungen nicht mehr leisten. Sie vereinbarten ein Treffen für das kommende Wochenende. Als Profi wusste sie, dass es besser wäre, das Haus vorab zu besichtigen, um zu entscheiden, welche Einbauten sie sinnvollerweise übernehmen konnte und welche Instandsetzungsarbeiten ihr Mieter noch durchführen musste. Erst danach würden sie einen endgültigen Übergabetermin vereinbaren.

Zuvor würde sie noch den Mietvertrag studieren, so hatte sie es schließlich immer gehalten.

Werner ließ sie per Mail wissen, dass sie die Verabredung am kommenden Wochenende leider nicht einhalten konnte. Er antwortete umgehend, dass er das sehr bedauerte.

„Schleimer“, sagte sie laut. Sollte er doch die schwarzhaarige Schönheit ausführen.

Am Samstagmorgen machte sie sich auf den Weg. Nach der Besichtigung würde sie zu Tante Anna fahren und das Wochenende bei ihr verbringen.

*

Das Rosenschlösschen lag auf einem Hügel, etwas außerhalb von Kaiserstein. Die Lage war wirklich sehr hübsch, ein paar Zypressen noch und es sieht aus wie in der Toskana, dachte sie gut gelaunt.

Als sie das Haus wenig später in Augenschein nahm, wich ihre gute Laune jedoch blankem Entsetzen.

Dass der Verputz an der Straßenfront abblätterte, wusste sie vom Vorbeifahren, das war nicht so schlimm, doch hofseitig hatte die Fassade tiefe Risse. Die Fenster hatten auch schon seit langer Zeit keinen Anstrich mehr gesehen und bei manchen bezweifelte sie, ob sie überhaupt noch zu retten waren. Die Malerei im Inneren hatte es auch überstanden, wie sie früher manchmal launig bemerkt hatte, wenn kaum ein Anstrich mehr zu sehen war. Kaum eine Tür, die nicht verzogen war, und die Parkettböden in den ehemaligen Wohnräumen waren mit Sicherheit nicht mehr zu retten. Es war eine Schande.

Staller hatte die ehemalige Gärtnerei vor ziemlich genau fünfzehn Jahren gemietet. Damals, als ihre Eltern sich in ein Seniorenheim zurückgezogen hatten, war es kein modernes, aber ein solides, schmuckes Haus gewesen. Gut, dass ihre Eltern das nicht mehr sehen mussten. Sie waren immer so stolz auf das Rosenschlösschen gewesen – es war zum Weinen. Doch für Sentimentalitäten war jetzt keine Zeit.

„Wie ich dem Mietvertrag entnehmen konnte, waren die Instandhaltungsarbeiten Ihnen übertragen worden. Tatsächlich scheinen sie nie welche durchgeführt zu haben.“

Der Staller kratzte bedächtig seinen Vollbart: „Na ja, wir haben schon immer wieder was g’macht. Das Notwendigste halt.“

„Ich dachte mir schon, dass wir ziemlich unterschiedliche Auffassungen über das Notwendigste haben“, gab sie spitz zurück.

„Jo mei, mehr hat der Betrieb halt nicht abg’worfen.“

Kein Wunder, dachte sie, während sie die Küche inspizierte, in der noch bis vor Kurzem die sogenannten „Rosen-Kochkurse“ abgehalten worden waren.

Auf den Fensterbänken standen Töpfe mit Kräutern, die schon länger kein Wasser gesehen hatten, das Tischtuch am Esstisch hatte einen Kaffeefleck und in der schmucken Obstschüssel faulten die Äpfel still vor sich hin.

„Möchten’s vielleicht ein Frühstück?“

„Nein danke, ich habe unterwegs eine Kleinigkeit gegessen.“

Das war zwar gelogen, aber sie wollte nicht ganz unhöflich sein und hier würde sie keinen Bissen hinunterbringen.

An der Tür lehnte eine Tafel, auf der zu lesen war:

Do–So, 11–18 Uhr

Butterbrot mit Rosenmarmelade und Kaffee € 5,00

Tagliatelle mit Rosenpesto € 15,00

Schweinsfilet mit Rosenpesto und Tagliatelle € 23,00

Nicht gerade üppig, das Angebot. Kein Wunder, dass das Geschäft nicht lief.

Die vorhandene Kaution würde gerade reichen, um die Mietrückstände abzudecken. Aufgrund des Vertrages konnte sie sicher die eine oder andere Instandhaltungsarbeit verlangen, aber es sah nicht danach aus, als ob der Staller das notwendige Geld hätte, um die Arbeiten auch professionell durchführen zu lassen, und mit einem billigen Pfusch war ihr nicht geholfen. Sie würde Tante Anna befragen.

Laut sagte sie: „Die Möblierung in den Zimmern muss auf jeden Fall geräumt werden. Ob ich die Küche übernehmen werde, überlege ich mir noch. Könnten wir uns am Montagvormittag noch einmal treffen?“

„Jo mei“, sagte der Staller, „ich bin ja da.“

Als sie Tante Anna fragte, ob der Staller irgendwelchen Besitz hätte, lachte die nur: „Besitz? Der Staller? Der hat doch alles verspielt. Na, meine Liebe, bei dem ist nichts zu holen.“

Also schrieb Susanne am Montag folgende Vereinbarung:

Übergabe in zwei Wochen, sohin am 1. Mai, wie besichtigt, jedoch geräumt von allen Fahrnissen, mit Ausnahme der Ausstattung der Taverne (inklusive aller Küchengeräte), welche, im Austausch gegen allfällige Instandhaltungsarbeiten, ohne weitere Zahlung in den Besitz der Vermieterin übergeht.

„Was ist mit meiner Kaution?“

„Die rechnen wir gegen die ausständigen Mietzahlungen. Hier ist eine Gegenüberstellung meiner Forderungen und jener Beträge, die diesen gegenüberstehen. Wie Sie sehen, geht die Rechnung zu meinen Lasten aus.“

„Und was werden’s mit dem Haus jetzt machen?“, fragte der Staller, nachdem er seine Unterschrift unter die Vereinbarung gesetzt hatte.

„Das wüsste ich allerdings auch gerne.“

Kümmelbraten vom Waller

4 Wallerfilets (am besten weißer Wels, je 15–20 dag)

1/8 l Fischfond

1/8 l Weißwein

etwas Kümmel

einige Knoblauchzehen

glattes Mehl (zum Mehlieren)

Butter, Olivenöl, Salz, Pfeffer

300 g Weißkraut, geschnitten

3 EL Weißweinessig

3 EL Maiskeimöl

Etwas Kümmel

Für den Saft Öl in einem hohen Topf erhitzen und die geschälten Knoblauchzehen so lange darin braten, bis der Knoblauch schwarz wird, dann herausnehmen, mit Fischfonds und Weißwein aufgießen und so lange reduzieren, bis die Flüssigkeit die Hälfte eingekocht ist.

Mit Knoblauch, Majoran, Salz und Pfeffer abschmecken und mit Butter und Olivenöl sämig rühren.

Für den Krautsalat das geschnittene Kraut in etwas heißem Olivenöl durchschwenken. Mit Salz, Pfeffer, Essig und Öl würzen, durchziehen lassen und abschmecken.

Die Fischfilets auf der Hautseite 3–5 mm tief einschneiden (kreuzweise), mit Kümmel bestreuen, salzen, mehlieren und in nicht zu wenig Olivenöl langsam knusprig braten, dickere Stücke im Rohr durchziehen lassen.

Den warmen Krautsalat anrichten, Fischfilets darauf setzen und mit dem Saft garnieren.


Jedenfalls musste das Rosenschlösschen saniert werden, anders würde sie weder einen Mieter finden noch einen respektablen Kaufpreis erzielen. Aber verkaufen wollte Susanne ohnehin nicht. Trotzdem wollte sie wissen, was das Objekt wert wäre. Sie besorgte alle notwendigen Unterlagen und beauftragte Werner damit, ein Verkehrswert-Gutachten zu erstellen.

„Unsinn“, sagte der. „Du brauchst doch kein ausgefertigtes Gutachten. Wir sehen uns das Haus gemeinsam an und ich errechne dir den Marktwert. Wenn du magst, darfst du mich im Gegenzug zum Essen einladen.“

Das wollte sie eigentlich sehr gerne und so bemühte sie sich, den Gedanken an die schwarze Schönheit zu verdrängen. Außerdem wusste sie, dass so ein Gutachten nicht ganz billig war.

Sie vereinbarten, den kommenden Samstag für die Besichtigung zu nützen.

„Macht es dir etwas aus, wenn wir anschließend bei Tante Anna vorbeifahren?“

„Ich freue mich darauf, sie kennen zu lernen.“

Gut so, dachte sie, denn diese Nina ging ihr immer noch nicht aus dem Sinn. Sie hatte einfach kein gutes Gefühl, wenn sie daran dachte, dass diese Person mit Tante Anna unter einem Dach lebte. Was hatte man in letzter Zeit nicht alles gehört.

*

„Zugegeben“, sagte Werner vorsichtig, „der Zustand ist …“,

„Beschissen“, ergänzte sie.

Er lachte. „Ich wollte eigentlich sagen verbesserungswürdig. Aber sonst, eine sehr reizvolle Immobilie“, meinte er nach ihrem ersten Rundgang.

„Je öfter ich sie mir anschaue, umso mehr bezweifle ich, ob ich mir eine Sanierung überhaupt leisten kann.“

Werner wiegte den Kopf: „Eine vernünftige Revitalisierung wird nicht billig werden, aber lohnend ist sie in jedem Fall.“

„Vor allem für den Architekten“, spottete sie, aber das Lächeln, mit dem sie ihn dabei bedachte, nahm ihren Worten die Spitze. Dann fuhr sie im geschäftsmäßigen Ton fort: „Jedenfalls muss ich mir vorab überlegen, was mit dem Haus geschehen soll.“

Er hob seine Hand schützend vor die Augen, denn die Sonne meinte es heute besonders gut: „Ich sehe es schon vor mir: Die Fassade kaisergelb mit weißen Faschen um die Fenster, die Erker weiß, die Fenster dunkelgrün, darunter Blumenkästen und auf dieses Türmchen hier gehört ein Zwiebeldach.“

„Sehr schön“, bemerkte sie trocken. „Lass uns zu Tante Anna und ihren Schweinsbraten fahren, bevor ich vor lauter Hunger auch noch zu Halluzinationen neige.“

Doch der Gedanke an ein Rosenschlösschen im neuen Glanz gefiel ihr.

*

Es war schon ziemlich spät, als sie nach Hause kam, denn nach dem ausgiebigen Mittagessen hatten sie einen ebenso ausgiebigen Verdauungsspaziergang gemacht; und als sie endlich zurückkamen, hatte Tante Anna schon den Kaffeetisch gedeckt.

Nina war den ganzen Tag nicht zu sehen gewesen, nur Felix’ Spielsachen lagen im Garten herum.

„Kann der Bub die Sachen denn nicht aufräumen?“, fragte Susanne, die es nicht ausstehen konnte, wenn irgendwo etwas herumlag.

Tante Anna sah kurz auf, während sie den Kuchen anschnitt: „Doch, kann er, muss er auch, immer wieder mal. Aber so schnell wie da wieder etwas herumkugelt, kannst du gar nicht schauen.“

„Warum tust du dir das überhaupt an? Du musst doch nicht vermieten.“

„Weil ich gottfroh bin, dass die beiden da sind.“ Das klang so abschließend, dass Susanne das Thema fallen gelassen hatte.

Auf der Heimfahrt hatten sie wieder über das Rosenschlösschen gesprochen. Werner hatte sich sehr für die Geschichte interessiert und sie hatte ihm erzählt, was sie darüber wusste.

Das Haus stammte aus dem 19. Jahrhundert und war ursprünglich als Jagdschloss erbaut worden. Ihr Großvater hatte es nach dem Ersten Weltkrieg gekauft, vor allem wegen des großen, sonnigen Grundstückes, das für seine Gärtnerei wichtig gewesen war. Erst später hatte er begonnen, das Haus, das im Krieg stark gelitten hatte, wieder bewohnbar zu machen. Kaum war er damit fertig gewesen, hatte der Zweite Weltkrieg begonnen, doch diesmal war das Gebäude weitgehend verschont geblieben.

Sie hatte seit ihrer Geburt dort gelebt, bis sie nach der Matura als Au-pair-Mädchen nach Paris gegangen war. Dort hatte sie Pierre kennen und lieben gelernt, den Sohn des Hauses, und als sie zurückkam, war sie schwanger gewesen.

„Aber das wollte ich eigentlich gar nicht erzählen“, sagte Susanne.

„Es würde mich aber sehr interessieren“, antwortete Werner. Sie sah ihn kurz an. Konnten diese Augen lügen? Niemals.

„Es war der Skandal des Jahres gewesen. Meine Eltern haben alles darangesetzt, dass Pierre und ich heirateten, was wir dann ja auch getan haben.“

„Was ist aus eurer Ehe geworden?“

„Eine Katastrophe. Erst haben wir bei meinen Eltern gewohnt, aber das war natürlich keine Lösung. Dann sind wir nach Wien gegangen, und als unsere Tochter zehn Jahre alt war, haben wir uns scheiden lassen.“

„Und wo ist deine Tochter jetzt?“

„In Paris.“

Sie hatte ihrer Stimme einen sehr endgültigen Klang gegeben und Werner hatte ihren Tonfall richtig interpretiert und nicht weiter gefragt.

*

Als sie später unter der Dusche stand und das warme Wasser genoss, überlegte sie, wie es wohl wäre, wieder im Rosenschlösschen zu wohnen. In ihrer Jugend war es ihr unvorstellbar erschienen, auf dem Land zu leben. Kaiserstein war ihr zu eng, zu ruhig, zu provinziell gewesen. Alles in allem der allerletzte Ort, an dem sie hätte leben wollen. Vierzig Jahre später sah die Sache ein wenig anders aus. Heute konnte sie sich durchaus wieder vorstellen, in Kaiserstein zu leben. Vielleicht wäre es sogar möglich, einen Teil des Hauses gewerblich zu nutzen und im Rest zu wohnen.

Aber was sollte sie dort tun? Sie könnte sich natürlich ein Büro einrichten. Vielleicht war Selbstständigkeit ohnehin die Lösung ihres Problems. Ein kleines, aber feines Immobilienbüro.

Oder sollte sie etwas ganz anderes machen? Ein Restaurant vielleicht?

Die Idee mit den Kochkursen war gar nicht so übel, es mussten ja keine Rosenblätter sein, die man dort verkochte. Das hatte sie immer schon ziemlich albern gefunden. Dennoch, in der Taverne könnte man ein kleines, aber feines Restaurant unterbringen. Kein normales Hauben-Restaurant, das rechnete sich selten, schon gar nicht in dieser Gegend und so klein wie es war. Aber sie hatte da neulich im Fernsehen einen Bericht gesehen. Irgendwo im Piemont kochte ein Pensionist immer nur für zwei Personen. Er war für Monate ausgebucht.

Keine schlechte Idee, es könnten ja auch vier oder sechs Personen sein, dann würde sich das Ganze auch gleich viel besser rechnen. So etwas in der Art. Im Sommer konnte man vielleicht auch noch das Salettl vermieten für private Feiern. Möglicherweise könnte man auch ein Catering dazu anbieten.

Sie sah sich schon, wie sie in ihrem dunkelroten Dirndl, das sie erst einmal getragen hatte, geschäftig hin und her eilte. Als sie dann auch noch Werner neben sich auftauchen sah, stellte sie den Wasserhahn auf kalt. Wechselduschen sollten ohnehin sehr gesund sein.

*

Trotz der Kaltwasserkur faszinierte sie der Gedanke, das Rosenschlösschen selbst zu betreiben. Manch närrischer Gedanke war über Nacht, spätestens am nächsten Morgen, wieder verflogen, doch dieser überlebte nicht nur die Nacht, auch bei Tageslicht schien er ihr reizvoll – aber war er auch realistisch?

Ja, sie war eine begeisterte Hobbyköchin, und ihre Einladungen waren im Freundeskreis ebenso geschätzt wie ihre Rezeptsammlung, aber professionell zu kochen war eine ganz andere Geschichte. Anderseits, wenn sie ein vorher vereinbartes Menü für maximal sechs Personen kochte – wo war da der Unterschied?

Die Küche in der Taverne war wirklich professionell ausgestattet, das musste man dem Staller lassen, und sie gehörte jetzt ihr.

Kommenden Freitag würde sie für Werner kochen, als kleines Dankeschön für seine Berechnungen. Sie beschloss, es als Testessen zu betrachten, und machte sich auf der Stelle über ihre Kochbücher her. Sie besaß etwa hundert davon, die unzähligen Koch-Magazine noch nicht dazugezählt.

Es sollte ein Menü werden, das sich gut vorbereiten ließ und dennoch exklusiv war. Außerdem sollten die Rezepte zwar raffiniert wirken, aber nicht so kompliziert sein, dass sie ihre Fähigkeiten überforderten. Die Herstellung von selbstgemachtem Strudelteig oder das Entbeinen von Geflügel überließ sie lieber denen, die es gelernt hatten.

Genüssliche vier Stunden später hatte sie folgende Auswahl getroffen:

Gebratene Jakobsmuschel an grünem Spargel

Selleriesüppchen mit Trüffelöl

Kümmelbraten vom Waller auf Krautsalat

Rosa gebratene Schweinelende in Sherrysauce, Pappardelle

Schoko-Mangoparfait mit rosa Pfeffer auf Erdbeersalat

Am nächsten Morgen setzte sie sich wieder an ihren Schreibtisch. Doch anstatt sich mit Stellenangeboten und Bewerbungsschreiben herumzuplagen, durchstöberte sie das Internet nach Angeboten für Kochkurse und Saalmieten, anschließend verglich sie die Angebote diverser Catering-Firmen.

Als sie auf die Uhr sah, weil sie Hunger verspürte, war es später Nachmittag. Morgen würde sie eine Kosten-Nutzen-Rechnung erstellen.

Bis Donnerstagmittag hatte sie ein mehrseitiges Unternehmenskonzept erstellt, in dem es nur noch eine große Unbekannte gab: die Sanierungskosten.

Nachdem es vorerst nichts weiter zu tun gab, ging sie einkaufen und bereitete das Parfait für ihr morgiges Menü zu. Dabei notierte sie die Kosten des Einkaufes ebenso wie die aufgewendete Zeit.

Als Werner am Freitagabend, auf die Minute genau, klingelte, waren Suppe, Krautsalat und das Parfait fix fertig, alles andere so weit wie möglich vorbereitet – und sie selbst gespannt wie ein Regenschirm.

*

Der Abend verlief nicht nur ausgesprochen angenehm, sondern auch ohne jegliche Küchenpanne und nachdem Werner bereits jeden Gang ausführlich gelobt hatte, sagte er nach dem Dessert: „Ich danke dir, alles war wundervoll, und dieser Kümmelbraten vom Waller war ein Traum.“

„Wundervoll genug, um es auch zahlenden Gästen vorzusetzen?“

Er sah sie verwundert an: „Willst du dich als Köchin verdingen?“

„Nicht ganz. Aber bevor ich dir jetzt die Ohren vollsinge, sag mir zuerst: Was ist mein Anwesen wert und wie hoch schätzt du die Sanierungskosten?“

„Die erste Frage ist leichter zu beantworten. Ich schätze das Objekt auf etwa fünfhunderttausend Euro.“

Sie nickte, sie hatte mit einem ähnlichen Wert gerechnet.

„Die Frage nach den Sanierungskosten ist weit diffiziler, es gibt da verschiedene Möglichkeiten, aber eine solide Sanierung wird vermutlich nicht unter dreihunderttausend Euro machbar sein. Alles darunter ist Flickwerk. Aber ob sich das rechnet, kann ich dir nicht sagen.“

Während er sprach, hatte sie ihren Laptop hochgefahren. Nun lächelte sie geheimnisvoll: „Ich möchte dir etwas zeigen.“

Dann präsentierte sie ihm ihren Business-Plan.

Es war noch ein langer Abend geworden und als Werner gegangen war, konnte sie lange nicht einschlafen.

Demgemäß mies ging es ihr am nächsten Morgen.

„Das letzte Glas muss schlecht gewesen sein“, murmelte sie, als sie sich im Spiegel betrachtete. Sie kochte sich eine Tasse Tee, presste sich ein Glas frischen Orangensaft und aß eine trockene Semmel, danach ging es ihr besser.

Werners Auto stand auch immer noch vor dem Haus, er war mit dem Taxi nach Hause gefahren.

Langsam kehrte ihre Energie zurück. Was sie jetzt brauchte war ein langer Spaziergang. Rasch entschlossen zog sie sich an und machte sich auf den Weg in die Lobau. Sie musste nachdenken.

Spargelsüppchen mit Garnelenspieß

300 g Spargel

30 g Butter

1 Schalotte

20 g Mehl glatt

¼ l Schlagobers

4–8 oder 12 Garnelen, nach Größe und Laune

Evtl. etwas Chiliöl

Den geschälten Spargel in 1 l Salzwasser (mit einer Prise Zucker) weich kochen, den Spargelsud abseihen und zur Seite stellen, Spargelköpfe abschneiden (als Einlage), den restlichen Spargel in Stücke schneiden.

Butter schmelzen, Mehl beigeben, anschwitzen lassen, vom Herd nehmen, mit Suppe und Obers aufgießen, glattrühren, Spargelstücke zugeben und etwa 25–30 Minuten köcheln lassen. Mit einem Stabmixer mixen, passieren und würzen.

Garnelen auf einen Spieß stecken und mit der Suppe servieren.

Wer es etwas schärfer mag, kann die Garnelen davor in etwas Chiliöl marinieren.


Als der Staller ihr die Schlüssel für das Rosenschlösschen in die Hand drückte, stand ihr Plan fest. Sie würde sich nicht länger dumm anreden lassen, weil sie in ihrem Alter eine neue berufliche Herausforderung suchte. Sie würde ihr eigener Chef sein.

Der Businessplan stand und die Bank hätte ihr sogar eine Hypothek für die Sanierung gewährt, aber davon wollte Susanne nichts wissen, denn berücksichtigte man die Zinsen, rechnete sich die Sache nicht mehr.

Sie stopfte den riesigen Schlüsselbund in ihre Handtasche und machte sich auf den Weg zu Tante Anna, die sie bereits vor dem Haus erwartete. Sie trug ihr gutes dunkelblaues Kostüm, dazu eine gelbe Bluse und einen dunkelblauen Strohhut. Susanne hatte sie zum Essen in den Golfclub eingeladen. Was sie ihr zu sagen hatte, wollte sie ihr erstmal allein erzählen. War nicht notwendig, dass Nina dabei war.

Es war ein angenehmer Frühlingstag, sie bekamen einen Tisch auf der Terrasse und wählten beide das Spargel-Menü.

Susanne bestellte Campari-Soda für sich und Sherry für Tante Anna. Als der Kellner die Getränke brachte, sagte sie: „Lass uns auf die Zukunft anstoßen!“

„Du machst es heute aber spannend.“

Susanne hatte so ein bestimmtes Gefühl, dass Tante Anna ihren Plan nicht begrüßen würde. Als Lehrerin war sie zeitlebens Beamtin gewesen, wirtschaftliches Risiko war nicht so ihre Sache.

„Ich plane einige Veränderungen in meinem Leben.“

„Willst du endlich wieder heiraten? Den netten Architekten vielleicht, den du letztes Mal mitgebracht hast?“

Susanne schüttelte lachend den Kopf.

„Mit dem Architekten hat es schon zu tun. Ich will ihn aber nicht heiraten …“

„Schade“, murmelte Tante Anna.

Susanne lächelte, war ja klar, dass ihre Tante das so sehen würde. Dann fuhr sie fort: „Ich werde ihn mit der Sanierung des Rosenschlösschens beauftragen.“

Der Kellner brachte die Spargelcremesüppchen.

„Mahlzeit.“

Eine Zeitlang löffelten sie schweigend. Die Suppe schmeckte einfach köstlich und wurde mit einem Spieß aus Spargelstücken und knackigen Garnelen serviert.

„Wird das nicht teuer?“, fragte Tante Anna.

„Sehr teuer sogar. So teuer, dass ich meine Eigentumswohnung verkaufen werde.“

„Ja, spinnst du jetzt?“ Tante Anna hatte in der Bewegung innegehalten.

„Keine Aufregung. Ich behalte ja noch die beiden kleinen Vorsorge-Wohnungen.“

„Und wo wirst du wohnen?“

„Ich werde ins Rosenschlösschen ziehen, Kochkurse mit Spitzenköchen organisieren und in der Taverne für zahlende Gäste kochen.“

Ihre Tante beäugte sie misstrauisch: „Bist du krank? Vielleicht Gehirnerweichung?“, dabei wedelte sie mit der Hand vor der Stirn.

Susanne lachte laut auf. Sie mochte den bissigen Humor ihrer Tante.

*

Dann ging alles Schlag auf Schlag. Susanne beauftragte einen Immobilienmakler mit dem Verkauf ihrer Wohnung, packte zusammen, was sie für die nächsten Tage brauchen würde, und fuhr damit zu Tante Anna. Dort richtete sie sich, von Nina misstrauisch beäugt, im Gästezimmer ein. Konnte nicht schaden, wenn sie hier nach dem Rechten sah.

Im Rosenschlösschen richtete sie sich in der Taverne eine Art Baubüro ein, denn die Taverne war der einzige Teil des Gebäudes, in dem keine grundlegenden Renovierungsarbeiten stattfanden. Lediglich ein neuer Anstrich und ein paar Verschönerungsarbeiten waren vorgesehen, aber das hatte noch Zeit.

Werner hatte für jedes Gewerk ein Leistungsverzeichnis ausgearbeitet, auf dessen Grundlage sie nun die Verhandlungen mit den Professionisten führte. So war ihre Zusammenarbeit auch früher verlaufen, damit kannte sie sich aus.

Sie war für ihre knallharten Verhandlungen bekannt gewesen, doch nun musste sie die Erfahrung machen, dass es sich mit einem börsennotierten Milliardenunternehmen im Rücken einfach leichter verhandelt hatte. Außerdem gingen die Uhren hier offenbar anders.

Die örtlichen Professionisten waren nicht nur sturer, was die Preisverhandlungen betraf, sie waren vor allem deutlich weniger diensteifrig. Es konnte schon vorkommen, dass Susanne für morgens um neun einen Termin vereinbart hatte, der Handwerker aber erst nachmittags um drei erschien.

„Vermutlich glauben sie einfach nicht daran, dass jemand so viel Geld in den alten Kasten steckt“, meinte Tante Anna.

Aber das spornte Susanne nur noch mehr an. Die würden sich alle noch wundern!

Dazwischen plante sie die ersten Kochseminare, erstellte Präsentationsmappen, ließ Flyer drucken und eine Website erstellen. Sie war einfach in ihrem Element.

Zukunftssorgen hatten andere, sie hatte zu tun.

*

Das Einzige, was ihre gute Laune gelegentlich etwas trübte, war das Zusammenleben mit Nina und Felix, wobei Felix das kleinere Problem war. Er schien zwar eine angeborene Aversion gegen Ordnung und Sauberkeit zu haben, aber Tante Anna versicherte glaubhaft, dass das für Buben in seinem Alter nicht ungewöhnlich sei. Außerdem ließ er wenigstens mit sich reden.

Nina war ein anderer Fall.

Susanne ärgerte weniger das, was sie tat, mehr ärgerte sie, was Nina sagte, aber am meisten ärgerte sie ihre Unpünktlichkeit.

Das Chaos begann schon am Morgen, weil Nina entweder überhaupt vergaß den Wecker zu stellen oder diesen abstellte und einfach weiterschlief. Ohne Tante Annas Eingreifen wäre Felix mehr als einmal zu spät zur Schule gekommen.

Da die Volksschule drei Kilometer entfernt war und Felix den Schulbus zumeist versäumte, brachte Nina ihn zur Schule und versprach regelmäßig, ihn auch abzuholen – was sie ebenso regelmäßig vergaß.

Auch der Weg von der Schule zur Werkstätte war mit so manchem Stolperstein gepflastert. Da war einmal der Supermarkt. Einkaufen gehörte zwar zu Ninas Pflichten, doch konnte es schon passieren, dass sie eine Freundin traf, mit der sie sich im nahegelegenen Café verplauderte.

Oder das Wetter war schön und sie beschloss, im Wald nach ein paar Naturmaterialien zu suchen, aus denen sie, zugegebenermaßen, wundervolle Gestecke zauberte, von denen sie ab und zu sogar eines verkaufen konnte. An solchen Tagen war jeglicher Zeitplan außer Kraft gesetzt.

Außerdem fand Susanne, der Aufwand stünde in keinem Verhältnis zum Ertrag.

„Na und, muss sich alles im Leben rechnen?“, fragte Nina.

„Wenn man für sich und ein Kind zu sorgen hat, ist die Frage eindeutig mit Ja zu beantworten“, antwortete Susanne dann – schon war der schönste Streit im Gange.

„Nichts und niemand wird mich dazu bringen, mich dem kapitalistischen System zu unterwerfen“, giftete Nina.

„Sie sind Teil des Systems, ob es Ihnen passt oder nicht. Die Frage ist doch nur, ob man Erfolg darin hat.“

„Nichts wünsche ich mir weniger.“

„Unsinn, jeder will erfolgreich sein.“

„Fragt sich nur wobei.“

Solche und ähnliche Debatten führten sie ständig.

Gute Nachrichten kamen hingegen aus Wien. Die Maklerin hatte einen höheren Kaufpreis für ihre Wohnung erzielt, als Susanne sich hätte träumen lassen. Das versetzte sie in die Lage, Baustufe zwei, den Ausbau von drei Gästezimmern im Hoftrakt, auch gleich anzugehen, nur der Spa-Bereich musste noch warten.

„Gästezimmer – so ein Unsinn“, hatte Tante Anna gesagt. „Wer will denn hier schon Urlaub machen?“

„Wieso denn nicht? Die Gegend ist doch sehr hübsch. Aber ich brauche die Zimmer auch für meine Starköche und der eine oder andere Gast wird gerne hier übernachten – vor allem, weil wir unser Spezialitäten-Menü mit Weinbegleitung anbieten.“

Außerdem plante sie – für besonders Betuchte – Spezial-Seminare nach dem Motto „rent a star“. Dabei sollten die Hobbyköche die Möglichkeit erhalten, mit einem Sternekoch ihr Wunschmenü zu kochen und dieses im Anschluss mit geladenen Gästen zu verzehren.

„Wenn das nur gut geht“, murmelte Tante Anna und widmete sich wieder ihren Rosen.

Topfenauflauf

200 g Topfen (20 % Fett)

2 Dotter

2 Eiweiß

1 unbehandelte Zitrone

70 g Zucker

½ Vanilleschote

Zucker und Butter für die Form

Topfen mit Dotter, Vanillemark und der abgeriebenen Zitronenschale glattrühren. Das Eiweiß mit einer Prise Salz aufschlagen, nach und nach den Zucker beigeben, zum Schluss eine Minute auf höchster Stufe schlagen.

Erst ein Drittel des Eischnees unter die Topfenmasse ziehen, dann den Rest vorsichtig unterheben.

Förmchen mit Butter auspinseln, mit Zucker bestreuen und mit der Topfenmasse befüllen. Ins Wasserbad setzen und 20–25 Minuten im Ofen garen.


Während die ersten Handwerker mit den Umbauarbeiten begannen, korrespondierte Susanne mit namhaften Spitzenköchen.

„Pfau“, entfuhr es ihr, als sie das Angebot eines bekannten Haubenkochs las. Gut, der Mann war ziemlich bekannt und gerne gesehener Gast in diversen Fernseh-Kochshows, aber bei dem Preis müsste sie ihre Klienten aus den Reihen russischer Oligarchen oder saudi-arabischer Ölmultis suchen – auch keine schlechte Idee – vielleicht später einmal.

„Was erstaunt dich denn so?“, fragte Werner, der eben ihr Baubüro betrat.

„Sieh dir das mal an“, sie hielt ihm das ausgedruckte Mail entgegen. „Ich fürchte, fürs Erste muss ich mit der örtlichen Kochprominenz vorliebnehmen.“

Er warf einen kurzen Blick darauf: „Nicht schlecht“, lächelte er.

„Vielleicht haben wir den falschen Beruf.“

„Ich bestimmt nicht“, entgegnete er sanft.

„Wie kannst du da so sicher sein? Oder zahlt dir jemand viertausend Euro dafür, dass du ihm erklärst, wie man ein paar Ziegel aufeinanderschichtet.“

„Wohl kaum, aber dafür darf ich schöne alte Schlösser umbauen.“

„Sprichst du von diesem hier?“

Er nickte.

„Du schmeichelst meiner Eitelkeit, weißt du das?“

„Sicher.“

Das mochte sie so an ihm. Diese Mischung aus absoluter Ehrlichkeit und ein klein wenig Schalk. Wobei Ehrlichkeit – na ja, wenn sie da an die langbeinige Schwarzhaarige dachte …

Dennoch: Wenn sie je jemanden kennen gelernt hatte, von dem man sagen konnte, dass er ganz in sich ruhte, dann war das Werner. Er äußerte seine Überzeugungen ruhig und gelassen, wurde nie laut und brachte selbst den ruppigsten Maurer mit einem Blick dazu, sich die Schuhe auszuziehen, bevor er ihr Baubüro betrat. Sie freute sich immer ihn zu sehen und versäumte keine Gelegenheit, ihn noch ein wenig länger in ihrer Umgebung zu haben. Deswegen sagte sie nun: „Apropos Kochprominenz. Ich möchte in den nächsten Tagen ein paar Restaurants ausprobieren. Hast du Lust mitzukommen?“

„Gerne. Sehr, sehr gerne.“

*

Susanne fand an Nina ja manches erstaunlich, am erstaunlichsten aber fand sie, dass Nina kochen konnte.

Ninas kleine Dachwohnung verfügte zwar über eine winzige Kochnische, aber die reichte gerade dazu aus, Frühstück zu machen. Deshalb hatte es sich schon vor Susannes Einzug eingebürgert, dass Nina und Tante Anna sich den Küchendienst teilten. Wobei teilen nicht ganz das richtige Wort war, denn Nina kochte nicht allzu oft, aber was sie machte schmeckte wirklich gut.

Susanne hatte angeboten, sich diesem Wechseldienst anzuschließen, aber niemand interessierte sich dafür. Also beschränkte sie sich darauf, gelegentlich Lebensmittel mitzubringen.

Tante Anna kochte Grießschmarren mit Kompott, Beuschel mit Knödel oder Krautfleisch. Nina hingegen machte Spinatknödel, Fleischstrudel oder Flammkuchen.

Susanne hätte das gemeinsame Essen wirklich genossen, wären da nicht die ständigen Reibereien mit Nina gewesen.

Diesmal hatte Tante Anna Fleischknödel gemacht, Susannes Lieblingsknödel. Sie machte sie aus einem flaumigen Kartoffelteig und füllte sie mit Faschiertem.

Als Felix seinen Knödel zerschneiden wollte, sagte Susanne: „Das ist ja barbarisch“, und zeigte ihm, wie man einen Knödel auseinander riss. Doch beim Versuch, es ihr gleich zu tun, kugelte der Knödel auf das Tischtuch.

„Hoppla“, lachte sie.

„Super“, ärgerte sich hingegen Nina und bugsierte den Knödel wieder auf seinen Teller. Wahrscheinlich hätte Nina dem Vorfall keine weitere Bedeutung zugemessen, hätte Susanne nicht mit einem Lachen reagiert.

„Das kommt von diesem Affengetue um irgendwelche saublöden Tischmanieren“, giftete Nina. „Solange Felix nicht mit den Fingern isst, kann er essen wie er will. Felix, du kannst deinen Knödel wieder schneiden.“

„Aber es schmeckt einfach besser, wenn man den Knödel auseinander reißt.“

„Quatsch mit Soße“, gab Nina zur Antwort und zerschnitt aus Protest den zweiten Knödel auf ihrem Teller, nachdem sie den ersten zerrissen hatte.

„Außerdem geben Sie Ihrem Kind ein denkbar schlechtes Vorbild.“

Endlich war es gesagt. Das wollte sie schon lange loswerden.

„Meinen Sie?“, fragte Nina honigsüß.

„Ja, das meine ich.“

„Es ist mir aber verdammt egal, was Sie meinen. Was andere von mir denken, ist nicht mein Bier. Ihres übrigens auch nicht.“

„Mir ist es aber nicht egal, nicht, solange sie im Hause meiner Tante wohnen!“

„Schluss jetzt!“, donnerte die Tante.

*

„Ich nehme das Sülzchen vom Waller auf Blattsalat und dann das Filet vom Milchkalb“, orderte Susanne nach einigem Überlegen.

Werner bestellte Lungenstrudelsuppe und Rindersteak mit Rosmarinkartoffel und Ratatouille. Dann wandte er sich wieder Susanne zu: „Was ist denn so schlimm an dieser Nina?“

„Du meinst, von den lila Haaren mal abgesehen? Ich glaube, am meisten ärgert mich ihr Ton.“

„Sie ist etwas aufmüpfig, ja gut, aber soviel ich verstanden habe, kümmert sie sich ganz allein um ihren Sohn, geht einer Beschäftigung nach und kann sogar kochen.“ Bei den letzten Worten hatte er ihr zugezwinkert.

„Kochen kann sie, das ist wahr. Gestern hat sie einen Topfenauflauf gemacht, der war Weltklasse. Aber sonst? Na gut, sie kümmert sich um Felix, aber das ist schließlich ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Es weiß übrigens kein Mensch, wer der Vater ist. Vermutlich weiß sie es selbst nicht genau.“

Werner schien nachzudenken, ehe er fragte: „Bist du da ganz sicher?“

Ganz sicher war sie natürlich nicht, also antwortete sie ausweichend: „Und was die Beschäftigung angeht: Eine Beschäftigung ist es wohl, aber davon könnte sie niemals leben. Sie bezahlt ja bei meiner Tante keine Miete und ich bin ziemlich sicher, dass Tante Anna auch für die Lebensmittel aufkommt.“

„Hätte Nina hier in der Region überhaupt eine Chance, einer anderen Arbeit nachzugehen?“

Susanne zuckte die Schultern und wechselte das Thema. „Kannst du dich an Nora Winter erinnern?“

„Peters Sekretärin?“

Sie nickte. „Sie hat mich gestern angerufen. Man erzählt sich in der Branche, der Baulöwe, an den er verkauft hat, hätte Peter erpresst.“

„Nun ja, etwas Ähnliches haben wir ja auch schon vermutet, aber womit?“

„Da scheint sich die Gerüchteküche noch nicht einig zu sein. Die einen sprechen von finanziellen Manipulationen an der Börse, Stichwort Insidergeschäfte. Andere wollen etwas von einer Freundin wissen. Ich kann zwar beiden nicht recht glauben, aber Fakt ist doch, dass er ursprünglich beabsichtigt hat, den Geschäftsführerposten abzugeben und Chef des Verwaltungsrates zu werden.“

Werner nickte, nahm einen Schluck Wein und sagte bedächtig: „Das hat er mir auch erzählt. Etwa eine Woche, bevor er verschwunden ist.“

„Zu blöd, dass ich zu der Zeit gerade auf Urlaub war. Als ich zurückkam, war er schon weg.“

Werner schien das zu bedenken. „Genau das irritiert mich an der Geschichte. Ich meine, du hast viele Jahre für ihn gearbeitet, ihr habt euch gut verstanden. Da geht man doch nicht einfach so ab.“

„Du hast recht“, seufzte sie. „Im Grunde wissen wir jetzt auch nicht mehr.“

*

Anfang August wurde es brütend heiß.

„Gerade jetzt muss ich in die Stadt fahren“, moserte Susanne.

Sie hatte gerne in der Stadt gelebt, aber im Hochsommer hatte sie immer versucht ihr den Rücken zu kehren. In den letzten Jahren war sie mehrfach im Norden gewesen. Gemeinsam mit Doris hatte sie Norwegen, Schweden und Finnland bereist. Für heuer hatten sie das Baltikum auf dem Programm gehabt, aber nun hatte Doris wieder einen Liebhaber. Einen Finanzbeamten, der überhaupt nicht zu ihr passte. Doris und ein Finanzbeamter! Das konnte ja nicht gut gehen, fand Susanne. Wie dem auch sei, jedenfalls reisten die beiden nun durch die Toskana.

Besser so. Durch den Umbau hätte sie ohnehin keine Zeit gehabt, um Urlaub zu machen, und auf dem Land ließ sich der Sommer etwas leichter ertragen – ihre Klimaanlage fehlte ihr trotzdem. Sie hatte zwar beschlossen, die Taverne und ihre Wohnung klimatisieren zu lassen, aber für heuer kam das wohl zu spät.

Widerstrebend packte sie ein paar Sachen zusammen.

„Übermorgen bin ich wieder da“, sagte sie und verabschiedete sich von Tante Anna: „Fahr vorsichtig“, mahnte die, und Felix, der sich ebenfalls zu ihrer Verabschiedung eingefunden hatte, rief: „Tante Susi, bringst du mir auch etwas mit?“

Felix nannte sie seit Neuestem ‚Tante Susi‘. Also, ihre Idee war das nicht gewesen.

„Mal sehen“, rief sie zurück, und fuhr winkend davon.

Es war früher Vormittag und auf der Autobahn angenehm wenig Verkehr, Zeit, um noch einmal ihre Termine im Geist durchzugehen.

Heute Mittag würde sie sich mit den Wohnungskäufern treffen, um zu besprechen, welche Einrichtungsgegenstände in der Wohnung bleiben konnten. Danach musste sie mit dem Spediteur telefonieren. Morgen Vormittag sollte dann der Kaufvertrag unterschrieben werden, anschließend würde sie mit Werner Bodenbeläge und Vorhänge für das Rosenschlösschen aussuchen und abends war sie bei Doris eingeladen.

Den Rest der Zeit musste sie wohl oder übel dazu verwenden, weitere Kartons einzupacken.

Als sie in Wien aus dem Auto stieg, schlug ihr ein Schwall Hitze entgegen, und sie beeilte sich in ihre Wohnung zu kommen. Dort war es angenehm kühl. Gut, dass sie ihre Putzfrau von ihrem Kommen verständigt hatte. Frau Pospischill, die Gute, hatte in ihrer Abwesenheit nicht nur die Blumen versorgt, gelüftet und bereits sämtliches Geschirr eingepackt, sie hatte auch daran gedacht, die Klimaanlage einzuschalten. Wirklich schade, dass sie auf Frau Pospischill in Zukunft verzichten müsste. Hoffentlich fand sie für das Rosenschlösschen auch bald so eine Perle.

Sie schlenderte durch die Räume, die so viele Jahre ihr Zuhause gewesen waren. Komisch, dass sie so wenig Abschiedsschmerz empfand; dabei hatte sie gerne hier gewohnt.

Die hofseitige Terrasse war ebenso angenehm gewesen wie der große Wohnraum mit der offenen Küche, die sie erst vor zwei Jahren neu eingerichtet hatte. Die zumindest hatte sie bereits mitverkauft. Nun hoffte sie inständig, dass die Käufer auch noch andere Möbelstücke übernehmen würden, am besten gleich alle. Diese modernen Stücke würden sich im Rosenschlösschen etwas fremd ausnehmen. Außerdem wollte sie sich neu einrichten. Ein ganz neues Leben. Ein neuer Job, eine neue Wohnung – ein neuer Mann?

Sie seufzte und ging weiter. Das häufige Zusammensein mit Werner ließ ganz neue Wünsche in ihr entstehen. Nachdem sie ihr Single-Dasein jahrelang durchaus genossen hatte, sehnte sie sich nun nach Zweisamkeit und Beständigkeit. Dabei hatte sie ihn immer noch nicht auf die schwarze Schönheit angesprochen. Fürchtete sie die Antwort so sehr?

Es klingelte. Wurde aber auch Zeit, dass hier etwas weiterging, bevor sie noch sentimental wurde.

Moussaka

1 große Aubergine

500 g Kartoffel

400 g Tomaten

200 g Zwiebel

500 g Faschiertes (halb Rind/halb Lamm)

6 Eier

1/8 l Milch

frischen Thymian

Frischen Rosmarin

Olivenöl

Salz, Pfeffer

Die Aubergine in etwa ½ cm dicke Scheiben schneiden (am besten mit einer Schneidmaschine), salzen und etwa 20 Minuten ziehen lassen.

Kartoffel schälen und in 2–3 mm Scheiben schneiden.

Auflaufform mit Olivenöl auspinseln und mit den Kartoffelscheiben belegen, Salz, Pfeffer und Rosmarinnadeln darüber streuen und etwa 25 Minuten bei 200 Grad im Rohr garen.

Tomaten häuten und in Scheiben schneiden. Zwiebel und Knoblauch würfeln.

Olivenöl erhitzen, Zwiebel und Faschierte darin anbraten, Knoblauch dazugeben, mit Thymian, Salz und Pfeffer würzen und über die Kartoffel geben.

Auberginen trocken tupfen, in Olivenöl anbraten und abwechseln mit den Tomatenscheiben dachziegelartig auf das Faschierte schichten. Salzen, pfeffern und mit den restlichen Rosmarinnadeln bestreuen.

Eier und Milch verquirlen, salzen, pfeffern und über das Moussaka gießen. Bei 200 Grad etwa 30 Minuten backen.


Zwei Tage später zog Susanne zufrieden Bilanz: Sie hatte einen Großteil ihrer Möbel verkauft, den Rest würde der Spediteur, gemeinsam mit über hundert Kartons ins Rosenschlösschen bringen. Außerdem hatte sie die Käufer davon überzeugen können, die Wohnung erst im Herbst zu beziehen, was ihre eine Zwischenlagerung in einem Depot ersparte. Und sie freute sich wie ein Kind auf den Tag, an dem sie die Taverne eröffnen konnte, denn sie hatten einfach traumhafte Vorhänge bestellt und der Parkettboden, den sie gemeinsam mit Werner ausgesucht hatte, würde der Taverne endlich jenes Flair verleihen, das sie verdiente.

Lächelnd bog sie in den Bachweg ein, der zu Tante Annas Haus führte. Als ihr auf der linken Straßenseite eine Horde Kinder auffiel, drosselte sie das Tempo. Was war denn hier los? Offenbar prügelten sich einige und die anderen sahen zu. Als sie näherkam, erkannte sie, dass zwei deutlich größere auf einen kleineren losschlugen – der kleinere war Felix.

Sie hielt an, sprang aus dem Auto und fasste – ohne nachzudenken – einen der Prügelnden am Kragen.

„Spinnt ihr?“

„Hau ab, Tante“, maulte der.

Wumm, hatte Susanne ihm eine gescheuert.

Sie schnappte Felix am Arm und zog ihn wortlos zum Auto. Er blutete aus der Nase, schien aber sonst – allerdings im wahrsten Sinne des Wortes – mit einem blauen Auge davon zu kommen.

„Was war los?“, fragte sie scharf.

„Die sind auf mich losgegangen.“

„Einfach so?“

Er gab keine Antwort. In der Zwischenzeit waren sie vor Tante Annas Haus angekommen. Als Tante Anna, die wie immer im Garten arbeitete, Felix sah, rief sie: „Ja Bub, was ist denn mit dir passiert? Du blutest ja. Komm her, wir gehen gleich ins Bad.“ Und an Susanne gewandt: „Was war denn?“

Susanne zuckte nur mit den Achseln, doch Felix antwortete: „Der blöde Kurt wollte mich fertig machen, aber Tante Susi hat ihm eine gescheuert!“

„Du hast dich mit denen geprügelt?“, fragte Tante Anna ungläubig.

„Nicht direkt“, antwortete Susanne. „Leider weiß ich immer noch nicht, was der Grund für die Auseinandersetzung war.“

Es dauerte eine Zeit, aber nachdem Felix verarztet und Tante Anna in die Küche gegangen war, gestand er ihr, warum er sich geprügelt hatte.

Nach dem Abendessen verbannte Nina ihn wegen der Rauferei in sein Zimmer.

„Weißt du eigentlich, warum er sich geprügelt hat?“, fragte Tante Anna.

„Interessiert mich nicht. Er soll nicht raufen, Ende der Durchsage.“

„In diesem Fall sollte es Sie aber interessieren“, fuhr Susanne dazwischen. „Er hat sich geprügelt, weil ein gewisser Kurt Sie eine lila Schlange nannte.“

Susanne vermutete ja, dass Felix sich ohnehin verhört hatte – vermutlich kam das Wort Schlampe in seinem Wortschatz noch nicht vor –, aber das behielt sie lieber für sich, Nina sah auch so schon nach Mordlust aus.

„Na, der kann was erleben“, stieß sie hervor.

„Willst du dich jetzt auch noch prügeln?“, fragte Tante Anna. „Brauchst du nicht, Susanne hat ihm schon eine Ohrfeige verpasst.“

Nina schnappte nach Luft.

„Sie haben … dem Kurt … der ist doch … so groß. Respekt! Hätt’ ich Ihnen gar nicht zugetraut. Also … eigentlich wollte ich sagen … danke.“

„Gern geschehen. Aber vielleicht sollten Sie sich, aus gegebenem Anlass, fragen, ob es nicht an der Zeit wäre, endlich erwachsen zu werden.“

Die Mordlust schien in Ninas Augen zurückzukehren.

„Und was hätte ich davon, oder gar Felix?“

„Das müssen Sie sich schon selber beantworten.“

Am nächsten Tag schloss sich Nina für ganze zwei Stunden im Bad ein. Als sie herauskam war ihr Haar schwarz – mit zwei versteckten lila Strähnchen.

Zu Felix sagte sie: „Wenn jetzt einer sagt, ich sei eine schwarze Schlange, dann sagst du einfach ja – und fertig. Verstanden?“

Und dann machte sie ihnen „Moussaka à la Nina“.

„Köstlich!“, schwärmte Susanne. „So gutes Moussaka habe ich noch nie gegessen. Wieso können Sie eigentlich so gut kochen?“

„Liegt möglicherweise daran, dass ich es gelernt habe“, gab Nina patzig zurück.

„Sie sind Köchin? Aber dann …“

„Nein, bin ich nicht, ich war auf der Tourismus-Fachschule.“

„Dann haben Sie ja Matura“, sagte Susanne mit Anerkennung in der Stimme. Komisch, sie hatte nie nach Ninas Ausbildung gefragt, war einfach davon ausgegangen, dass sie keine hatte.

„Deswegen kann ich ja auch lesen und schreiben“, ätze Nina.

Susanne beschloss, den kämpferischen Unterton zu überhören.

„Mit diesem Moussaka könnten Sie bei mir zur Gastköchin der Woche werden.“

Nina zuckte nur die Schultern, doch ihre Augen strahlten, als sie antwortete: „Warum nicht? Wenn die Mäuse stimmen.“

Strammer Max mit Wachtelei

12 Scheiben Weißbrot

etwas Butter

6 Scheiben Schinken – nach Geschmack

12 Wachteleier

Olivenöl

Salz

Pfeffer aus der Mühle

diverse Wildkräuter zum Garnieren

Die Weißbrotscheiben auf einer Seite etwas anrösten und mit Butter bestreichen.

Die Schinkenscheiben halbieren, in einer Pfanne von beiden Seiten leicht anbraten und auf die gebutterte Seite des Weißbrotes legen.

In einer beschichteten Pfanne etwas Olivenöl geben, die Wachteleier mit viel Gefühl aufschlagen, in die kalte Pfanne gleiten lassen und langsam braten.

Mit Salz und Pfeffer würzen und auf die Brotscheiben gleiten lassen.

Mit den Wildkräutern garnieren.


Zwei Wochen nach Schulbeginn waren die wesentlichen Umbauarbeiten fertig, lediglich in den Gästezimmern im Hoftrakt wurde noch gearbeitet. Im Wohnbereich, der Taverne und in der Seminarküche aber waren die Bauarbeiten abgeschlossen. Das Rosenschlösschen erstrahlte, innen wie außen, im neuen Glanz.

Werner und sie hatten ganze Arbeit geleistet – sie waren ein tolles Team gewesen.

Außerdem hatte sie eine neue Haushaltsperle, Frau Gruber. Seit die im Rosenschlösschen Einzug gehalten hatte, machte Susanne die Übersiedlung gleich doppelt so viel Spaß.

Die Einweihungsparty war für das letzte September-Wochenende angesetzt, weil diese Zeit in der Region – üblicherweise – als besonders stabile Wetterphase galt.

Für Freitag hatte Susanne Freunde und Bekannte eingeladen, am Samstag sollte dann der erste Kochkurs stattfinden.

Nora und einige andere Freunde hatten es sich nicht nehmen lassen, diesen Kurs zu buchen. Ihr sollte es recht sein, wenn alles gut ging, würden sie zu ihren ersten Werbeträgern werden.

Dennoch hatte sie nichts dem Zufall überlassen. Die lokale Presse war eingeladen, auf Facebook hatte sie an die 400 Friends gesammelt und 267 Follower folgten ihr auf Twitter. Sie alle waren verständigt worden.

Außerdem hatte sie mit dem Besitzer des Dorfkrugs Sonderkonditionen ausgehandelt, nicht nur für jetzt, auch für später, denn im Rosenschlösschen waren bislang nur drei Gästezimmer entstanden. Weitere Zimmer und der Spa-Bereich mussten vorerst noch warten.

Dafür hatte Susanne sich eine Alarmanlage geleistet.

Sie lebte nun schon viele Jahre allein, doch eine Wohnung in der Stadt und ein Haus etwas außerhalb von Kaiserstein waren zwei gänzlich verschiedene Paar Schuhe. Mit der Alarmanlage würde sie sich sicherer fühlen. Als sie dann am Tag der Übersiedlung das erste Mal allein im Rosenschlösschen nächtigte, war sie allerdings so hundemüde gewesen, dass sie noch während des Fernsehens eingeschlafen war und erst am nächsten Morgen wieder erwachte, um festzustellen, dass sie vergessen hatte, die Alarmanlage einzuschalten.

Das war auch gut gewesen, denn kaum hatte sie die Anlage am nächsten Abend eingeschaltet, ging mit einem Höllenlärm die Sirene los, die sich so leicht nicht wieder abschalten ließ.

Die Servicefirma kam drei Tage später. Ein Akku wäre leer gewesen, jetzt sei alles in bester Ordnung

Dennoch verzichtete Susanne vorerst auf weitere Experimente, sie hatte sich in der Zwischenzeit daran gewöhnt, allein im Haus zu sein.

*

Für den ersten Kochkurs hatte sie einen Zwei-Hauben-Koch aus der Region engagiert, der auch das Catering für das Eröffnungsfest am Freitag ausrichten würde. Fingerfood für Anspruchsvolle hatte sie bestellt und auf dem Programm standen: Gefüllte Mini-Kürbisse, Rösti mit Lachs, Brezenhappen mit Gänseleber, Strammer Max mit Wachtelei, gebackene Haxerln vom Stubenküken und gratinierte Jakobsmuscheln.

„Nobel geht die Welt zugrunde“, lästerte Tante Anna, als sie ihr die Menükarte vorlas. „Was kostet der Spaß?“

Susanne nannte eine Zahl, etwa die Hälfte der tatsächlichen Rechnung.

„Mein Gott, du hast ja nicht alle Tassen im Schrank.“

„Lass mich doch. Ich feiere den Beginn meines neuen Lebens!“

Tante Anna konnte dieses Argument offenbar nicht überzeugen. Sie fummelte mit der Hand vor der Stirn, eine ebenso eindeutige wie altbekannte Geste, und ging wortlos davon.

Auch Nina hatte für derartige Veranstaltungen nur Verachtung über. „Alle Welt steuert auf einen Mega-Crash zu und die Bourgeoisie feiert“, meinte sie verächtlich.

Doch als Susanne ihr – für zwanzig Euro die Stunde – die Sorge um den Getränkeservice übertrug, sagte Nina überraschend zu und versprach sogar, sich ordentlich anzuziehen. Dennoch hatte Susanne diesbezüglich kein allzu gutes Gefühl. Vermutlich hätte sie präziser definieren sollen, was sie unter ‚ordentlich‘ verstand.

*

Auch wenn Tante Anna mit den Kosten nicht ganz einverstanden sein mochte, war sie am Freitag pünktlich zur Stelle.

„Wo bleibt denn Nina?“, fragte Susanne und sah zum x-ten Mal auf ihre neue Swarowski-Uhr.

„Hast du sie etwa eingeladen?“, fragte Tante Anna erstaunt.

„Nein, aber eingestellt. Sie macht den Getränkeservice.“

„Ach, deshalb hat sie sich von mir eine weiße Bluse ausgeborgt.“

Susanne schwante Übles.

Nina erschien eine halbe Stunde später als vereinbart, aber immerhin noch zehn Minuten vor dem ersten Gast.

„Wo bleiben Sie denn so lange?“, zischte Susanne.

„Stay cool, bin ja schon da. Musste erst noch Felix bei seinem Freund abgeben. Oder hätte ich ihn mitbringen sollen?“

Susannes feine Nasenflügel blähten sich, doch sie ersparte sich die Antwort. Nina würde es ohnehin nie begreifen.

Immerhin sah sie einigermaßen zivil aus. Sie trug schwarze, hautenge Jeans, vermutlich aus eigenen Beständen, dazu einen dunkelroten Blazer, der Susanne an Claudias ehemalige Schuluniform erinnerte, und Tante Annas weiße Spitzenbluse, die sie in der Taille lässig mit einem Gürtel gerafft hatte. Seit Nina ihr Haar wieder schwarz trug, verzichtete sie auch auf den rosaroten Lidschatten. Stattdessen trug sie heute einen rosefarbenen Lippenstift, und während Nina sich auf ihrem Getränkestand umsah, dachte Susanne: eigentlich eine hübsche Person, und dumm ist sie auch nicht. Sie erinnert mich mehr und mehr an Claudia, die war auch immer so aufmüpfig. Selbst wenn sie …

„Kann losgehen. Wo bleiben denn Ihre feinen Freunde?“, unterbrach Nina ihre Gedanken.

Die Ankunft von Doris und Nora ersparte Susanne eine heftige Antwort. Wenn das nur gutging!

*

Es war gutgegangen. Es war sogar ganz hervorragend gelaufen. Nicht nur Susannes Gäste, auch die lokale Presse war voll des Lobes.

„Da hast du aber eine Stange Geld investiert“, meinte einer ihrer Ex-Kollegen, der das Rosenschlösschen noch vor dem Umbau gesehen hatte. „Was machst du, wenn es nicht funktioniert?“

„Mach dir keine Sorgen, dass funktioniert schon und notfalls verkaufe ich die Immobilie, das gehörte schließlich einmal zu meinem Job“, antwortete sie locker. In Wahrheit hatte sie über diese Variante noch nicht nachgedacht. Das Wort ‚scheitern‘ existierte in ihrem Sprachgebrauch einfach nicht – damit war sie bisher immer gut gefahren.

Unter Ninas Anleitung postete sie die Presseartikel auf Facebook und Twitter und pries gleichzeitig das nächste Kochseminar für Mitte Oktober an. Die Anmeldungen ließen nicht lange auf sich warten, und diesmal waren es nicht nur wohlmeinende Freunde.

Die letzten Rosen rankten sich in der Oktobersonne. Susanne machte ein Foto, sendete es an Werner und schrieb darunter: „Hier lässt sich’s leben.“

Dann sandte sie eine Mail an einen Hamburger Sterne-Koch, der überraschenderweise zugesagt hatte, ohne eine Lawine zu verlangen. Der Kurs sollte schon im nächsten Monat stattfinden und war das Highlight des heurigen Herbstes.

Am kommenden Freitag würde sie selbst das erste Mal für zahlende Gäste kochen. Eine Gruppe von fünf Personen hatte sich zum „Privat Dinner“ angesagt.

Sie würde, mit kleinen Abwandlungen, jenes Menü kochen, das sie im Frühjahr für Werner gekocht hatte. Damals gab es noch Spargel und Erdbeeren. Mein Gott, wie die Zeit verflogen war. Jetzt würde sie zu den Jakobsmuscheln ein Kürbispüree servieren und anstelle der Erdbeeren gab es nun karamellisierte Apfelspalten.

Um ganz sicher zu gehen, dass auch in der ungewohnten Küche alles klappen würde, hatte sie das Menü am vergangenen Sonntag für Tante Anna, Nina und Felix gekocht. Werner hatte sie auch eingeladen, aber der musste zu einer Geburtstagsfeier. Schade.

Im Gegenzug hatte er sie für diesen Samstag in die Oper eingeladen, aber da musste sie leider absagen, weil sich für Sonntagmittag jemand zu einem „Privat Dinner“ angemeldet hatte.

Sehr schade, aber nichts im Leben war eben perfekt. Und zwischen zwei Kochterminen schnell mal nach Wien in die Oper, das war ihr zu stressig. Sie war schließlich keine zwanzig mehr.

*

Susanne war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass Werner dafür Verständnis haben würde, dass der Job vorging. Immerhin wusste er, wie viel Geld und Mühe sie in das Unternehmen investiert hatte. Als er sich jedoch in den nächsten zwei Wochen nicht meldete, begann sie, an seinem Verständnis zu zweifeln. Das konnte doch nicht wahr sein! Konnte sie sich dermaßen in ihm getäuscht haben?

Nachts träumte sie, dass Werner von einer langbeinigen, schwarzhaarigen Hexe gefangen gehalten wurde. Gleich am nächsten Morgen schrieb sie ihm ein SMS, tags darauf eine Mail, aber sie erhielt keine Antwort. Als sie ihn am darauffolgenden Sonntag entnervt anrief, kam sie auch nur auf die Mailbox. Schon sonderbar.

Aber gut, sie wollte ja nicht übertreiben. Sie hatte ihre Spuren hinterlassen, jetzt war er am Zug.

Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihr ohnehin nicht. In zwei Tagen kam Lars König, der Hamburger Koch, und sie musste sich noch um die Zutaten kümmern. Wo zum Teufel nahm sie bloß frische Cranberries her?

*

Lars König war kein gebürtiger Hamburger, er kam aus der Gegend von München, aber er betrieb an der Alster ein Restaurant, das Landhaus König, das weit über Hamburg hinaus ein Begriff geworden war.

Ein Bayer also, ein Bayer in Hamburg, warum nicht. Zumindest war er nicht so ein trockenes Nordlicht, wie sie befürchtet hatte.

Trocken war Lars definitiv nicht. Schon am Abend seiner Ankunft leerte er, gemeinsam mit Susanne, ein Fläschchen Prosecco und dann noch eine Flasche Rotwein. Wie gut, dass die Gästezimmer in der Zwischenzeit fertig waren.

Anfangs hatte er Gräfin zu ihr gesagt, dann Baronin, und weil sie auch das abgelehnt hatte, nannte er sie nun: schöne Schlossherrin.

„Warum darf ich Sie nicht Gräfin nennen?“, hatte er am Ende des Abends gefragt. „Es würde so gut zu Ihnen passen.“

„Weil mein Vater weder Graf war noch Graf hieß. Außerdem ist das Führen von Adelstiteln bei uns in Österreich verboten. Wir sind eine Republik.“

„Aber Hofräte habt ihr immer noch?“

Sie nickte: „Hofräte und Kaiserschmarren.“

„Mhm, Kaiserschmarren“, hatte er schwelgend gesagt. „Kaiserschmarren aus Kaiserstein“, hatte er dann vor sich hingeträllert und sich im Walzerschritt in sein Gästezimmer begeben.

Und dann der Kochkurs.

Sie wusste nicht, ob die Teilnehmer wirklich viel gelernt hatten, dazu sprach Lars allzu viel und allzu schnell, aber sicher hatten alle ihren Spaß gehabt.

Lars war nicht nur ein Spitzenkoch, er war auch ein Showmaster.

„Meine Damen und Herren, heute kochen wir Lachs. Natürlich kochen wir ihn nicht, wir sind ja keine Barbaren. Wir werden ihn dämpfen, über Kräuterdampf. Dazu servieren wir getrüffelten Kohl, à la bonheur, und ein kleines Stück Kartoffelroulade, die wir mit Kräutern füllen werden. Wenn sie dieses Gericht je probiert haben, sind sie für jede andere Zubereitungsart verdorben, wenn sie es ihren Gästen vorsetzen, wird man ihnen einen Stern verleihen – vorausgesetzt es gelingt.

Wir beginnen mit der Kartoffelroulade. Wer von den Herren ist gut im Kartoffelschälen? Sie? Sehr gut, dann werden sie anschließend den Fisch filetieren, Kartoffeln schälen können sie ja bereits.“

So ging das weiter, den ganzen Tag. Dabei war seine Fingerfertigkeit ebenso beeindruckend wie sein Redeschwall. Er flocht die Spaghetti zu einem Zopf und umkränzte damit einen Klacks Sauce, auf dem ein rosa gebratenes Kalbssteak lag, so geschickt, dass es aussah wie gemalt.

Susanne, die den Kochkurs ebenfalls mitgemacht hatte, beschloss jedenfalls im Geheimen, nichts von all dem je in die Praxis umzusetzen, das konnte alles nur schiefgehen. Während des Kurses hatte Lars – sicherheitshalber – alles, was schwierig war, selber gemacht.

Doch am Ende des zweiten Tages, als sie beim Abschlussdinner saßen, erklärten die Teilnehmer unisono, im kommenden Frühjahr einen Aufbaukurs machen zu wollen.

„Wenn die schöne Schlossherrin mich haben will, werde ich da sein“, erklärte er mit einer kleinen Verneigung in ihre Richtung.

Die schöne Schlossherrin nickte huldvoll.

Bouillabaisse „Chefkoch“

Rezept für 8 Personen

3 Knurrhähne

3 Drachenfische

1 kg Petersfisch

80 dag Seeteufel

80 dag Meeraal

2 Drachenköpfe

4 Bärenkrebse

1 kg andere Felsenfische

2 Zwiebeln

4 Knoblauchzehen

1 EL Tomatenmark

3 Tomaten

1 Stück getrockneter Fenchel

3 EL Olivenöl

3 Tütchen Safran

2 Chilis

Salz, Pfeffer

Croutons:

1 Baguette

5 Knoblauchzehen

2 EL Olivenöl

Rouille:

3 Dotter

8 Knoblauchzehen

500 ml Olivenöl

Salz, Safranpuder

Zwiebel und Knoblauch in 3 EL Olivenöl anlaufen lassen. Geviertelte Tomaten, Tomatenmark, getrockneter Fenchel und Safran sowie die Felsenfische dazugeben mit Wasser aufgießen, salzen und etwa 20 Minuten kochen. Pürieren, filtern und weitere 10 Minuten kochen.

Die übrigen Fische in einen Fischtopf legen (die Großen zuerst), mit dem gefilterten Sud begießen und 5 Minuten sprudelnd, danach nur leicht köcheln lassen.

Für die Rouille die Eigelbe mit Salz, Knoblauch und Safran sowie dem tropfenweise zugefügten Olivenöl zu einer Majonäse aufschlagen.

Baguette in 1 cm dicke Scheiben schneiden, mit Knoblauch einreiben und mit Olivenöl beträufeln. Etwa 3 Minuten bei 200 Grad backen.

Die Fische filetieren, mit der Suppe begießen und mit den Crostinis und der Rouille servieren.


Wann werden Sie morgen abreisen?“, fragte Susanne Lars, als auch der letzte Gast gegangen war.

„Ich werde morgen gar nicht abreisen. Ich habe soeben beschlossen, noch ein, zwei Tage dranzuhängen und mir die Gegend anzusehen.“

Susanne, der seine Avancen in den letzten beiden Tagen nicht entgangen waren, fühlte sich ein wenig überrumpelt.

„Wie schön, wenn man so spontan entscheiden kann“, antwortete sie und setzte dabei ihr arrogantestes Lächeln auf.

„Spontanität ist die Voraussetzung jeder guten Küchenleistung. Was wären wir Köche ohne Spontanität? Nichts wären wir. Sehen Sie, wir werden nicht berühmt, weil wir ein Stück Fleisch rosa braten können, das kann jeder Küchenjunge. Wir werden berühmt, weil …“

„Ich wusste gar nicht, dass Sie berühmt sind“, unterbrach sie ihn. Er grinste. „Trotzdem haben sie mich hierher geholt. Und wenn ich recht verstanden habe, soll ich wiederkommen.“

Da war was dran.

Fünf Minuten später hatte sie sich bereiterklärt, ihm an den nächsten beiden Tagen die Gegend zu zeigen.

*

Als Susanne ihn am Mittwochvormittag endlich am Flughafen absetzte, hatte sie zwei aufregende Tage hinter sich und eine Reise nach Hamburg vor sich.

„Wann wirst du kommen, schöne Schlossherrin?“

„Das kann ich noch nicht sagen, aber ich werde kommen, ganz bestimmt“, log sie. Hauptsache, er flog erstmal ab.

Lars war ein amüsanter Gesellschafter und er wäre bestimmt auch ein interessanter Liebhaber, was sie bislang erfolgreich abgewehrt hatte, aber er war auch ziemlich anstrengend.

Sie hatte ihm nicht nur ein Stück ihrer Heimat gezeigt, sie hatte mit ihm auch interessante Lokale kennen gelernt und einen Koch, den sie umgehend für einen der nächsten Kurse engagieren wollte.

Wenn sie nicht hoffnungslos zunehmen wollte, musste sie in den nächsten Tagen eine Diät einlegen.

Sie fuhr nach Hause, schickte eine Anfrage an den jungen Mann, der sie gestern so hervorragend bekocht hatte, und ging zu Bett. Mitten am Tag, einfach so.

Später machte sie sich eine Minestrone und genoss einen ruhigen Abend vor dem Fernseher.

Am nächsten Morgen hatte sie Halsschmerzen, am übernächsten Fieber. Gut, sie würde einen Tag im Bett bleiben, aber Morgenabend musste sie fit sein, denn für Morgen war ein Privat-Dinner für zwei Personen vereinbart. Das Menü stand schon fest, es war zum Glück nicht allzu aufwändig, also konnte sie den Einkauf auch morgen erledigen.

Doch als sie am nächsten Tag aufstand und sich in ihre Kleider mühte, wurde ihr dermaßen schwindelig, dass sie sich wieder hinlegen musste. Da blieb nur eines: absagen.

Zu blöd. Nichts war für das Geschäft schädlicher als Absagen. Vielleicht sollte sie Nina fragen. Nina konnte eindeutig kochen, aber wie würde sie die Rolle der Gastgeberin spielen? Aber vermutlich war alles besser, als abzusagen.

Erstaunlicherweise zeigte Nina sich nicht abgeneigt: „Was genau müsste ich kochen?“

„Ein Kürbisschaumsüppchen, Rehmedaillons in Rotweinsauce, dazu Erdäpfellaibchen und Pilze und zum Nachtisch ein Orangensoufflé.“

„Kürbissuppe geht klar, Rehmedaillons bekomme ich auch hin, aber zum Nachtisch bekommen sie Topfenauflauf, von mir aus mit Orangenragout.“

„Auch egal“, sagte Susanne und ließ sich wieder ins Bett fallen.

Der Abend verlief, wenn sie Nina glauben wollte, ohne Zwischenfälle, die Herrschaften hätten auch ein entsprechendes Trinkgeld dagelassen. Der Eintrag im Gästebuch war auch durchaus positiv, also ging Susanne davon aus, dass alle zufrieden waren.

Sie musste noch bis Mittwoch das Bett hüten und als sie am Donnerstag endlich wieder vor ihrem Schreibtisch saß, fühlte sie sich immer noch ziemlich geschlaucht.

Für Freitag hatte sie sechs Personen zum Privat-Dinner. Unwahrscheinlich, dass sie das alleine schaffte, besser sie rief gleich Nina an.

*

Diesmal handelte es sich um ein Überraschungs-Menü. Susanne hatte eigentlich vorgehabt, die Herrschaften mit gebeiztem Thunfisch, einer gedämpften Kapaunenbrust und einem Apfel in Calvados-Sabayonne zu überraschen.

Da Nina aber keine Zeit hatte, in die Stadt zum Einkaufen zu fahren, und Susanne sich das noch nicht zutraute, machten sie gebeizten Lachs, dämpften anstelle der Kapaunenbrust eine Hühnerbrust und zum Abschluss servierten sie zum Apfel Rieslingschaum.

„Ist doch auch viel billiger“, meinte Nina pragmatisch.

Da war was dran, musste Susanne widerstrebend zugeben.

Wenn auch Privat-Dinner wie Kochkurse gut gebucht waren, so waren die Ausgaben doch beinahe ebenso hoch, und wenn sie ehrlich war, hatte sie bislang noch kaum etwas verdient.

Susanne erholte sich nur langsam und die Tatsache, dass der November grau und neblig war, wie es ihm zustand, trug ebenso wenig zu ihrer Genesung bei wie der Umstand, dass Werner sich immer noch nicht gemeldet hatte.

Einmal würde sie es noch mit einer SMS versuchen.

Lieber Werner, bei mir stehen derzeit Variationen von Erkältungskrankheiten mit November-Frust auf dem Programm. Ich hoffe, es geht dir viel besser. LG - Su

Sie wartete zwei Tage, doch auch diese Nachricht blieb unbeantwortet. Na gut, wer nicht will, der hat schon. Wütend wählte sie die Hamburger Nummer.

Fünf Minuten später hatte sie Lars am Telefon: „Hallo, schöne Schlossherrin. Dein Anruf bringt Sonne in meinen Tag.“

„Elender Süßholzraspler. Wie geht es dir?“

„Das hängt ganz davon ab, was du mir antworten wirst, wenn ich dich jetzt frage, wann du nach Hamburg kommst.“

„Wann hast du denn gedacht?“

„Wie wär’s mit übermorgen?“

„Übermorgen schon?“

*

Es dauerte dann doch noch mehrere Tage, bis sie auf dem Hamburger Airport landete. Hier war es ebenso nebelig und grau wie zu Hause, allerdings mit dem Unterschied, dass man es in Hamburg einfach erwartete – fand zumindest Susanne.

„Für Hamburger gibt es kein schlechtes Wetter“, lachte Lars, der sie persönlich abgeholt und in sein Landhaus gebracht hatte. Er hielt ihr die Tür auf: „Willkommen in meinem Reich, dem besten Restaurant Hamburgs.“

„Wie bescheiden“, gab sie lächelnd zurück.

„Lieber ehrliche Prahlerei als falsche Bescheidenheit“, konterte er. „Aber wir werden den Wahrheitsbeweis antreten, gleich heute Abend. Apropos, ich muss zurück in meine Küche.

Mein Commis de cuisine wird dich in dein Hotel begleiten, es ist gleich hier um die Ecke. Wir sehen uns heute Abend, schöne Schlossherrin, wenn die Schlacht geschlagen ist. Ich habe meinen schönsten Ecktisch für dich reserviert. Du wartest auf mich, versprochen? Ciao, schöne Schlossherrin.“

Im Hotelzimmer erwartete sie eine Obstschüssel, eine Flasche Champagner und ein Strauß roter Rosen.

Susanne lächelte, ging zum Fenster und genoss den herrlichen Blick auf die Alster. Schade, dass es schon dämmrig war. Bei Sonnenschein musste der Blick fantastisch sein. Gedankenverloren räumte sie ihre Sachen in den Schrank. War es ein Fehler gewesen, hierher zu kommen? Erwartete Lars etwas, woran sie nie gedacht hatte? Im Grunde war sie doch nur hier, weil sie ihrer November-Depression entfliehen wollte – und weil Werner sich nicht mehr gemeldet hatte.

Anyway! Sie sah auf die Uhr. Bis zum Abendessen blieben ihr noch gut drei Stunden. Die würde sie zu einem Erkundungsgang nutzen. Sie kannte Hamburg bisher nur von einem wenige Stunden dauernden Aufenthalt nach einer Schiffsreise. Damals hatte es 33 Grad gehabt, heute kaum drei.

Entlang der Alster ging sie bis zum Jungfernstieg, von dort war es nur ein Katzensprung zum Rathaus.

Es überraschte sie, dass einige Auslagen schon weihnachtlich geschmückt waren, anderseits, es war Mitte November. Daheim war ihr das kaum aufgefallen, so beschäftigt war sie gewesen. Doch nun hatte sie Zeit, sich Gedanken über die Weihnachtsgeschenke zu machen. Vielleicht hatte sie sogar Gelegenheit, ein paar hübsche Dinge zu besorgen. Lars würde vermutlich ohnehin kaum Zeit für sie haben. Gleich beim Abendessen wollte sie sich eine Liste der benötigten Weihnachtsgeschenke machen, dann war sie wenigstens beschäftigt, wenn sie schon alleine am Tisch saß.

Sie brauchte Geschenke für Tante Anna, Nina und Felix, für Doris, für Babsi, Paula und Rudi. Bei Werner machte sie gedanklich ein großes Fragezeichen. Der Gedanke an Werner schmerzte ebenso wie der Umstand, dass sie für Claudia auch heuer kein Weihnachtsgeschenk brauchen würde. Nicht einmal ihre Freundschaftsanfrage auf Facebook hatte sie beantwortet.

Susanne seufzte und bemühte sich, an etwas anderes zu denken. Schließlich trug sie an dem Streit mit Claudia keine Schuld. Was hatte sie schließlich getan? Claudia hatte ihr eine Frage gestellt und sie hatte sie ehrlich beantwortet. Wenn ihre Tochter ehrliche Antworten nicht vertrug, dann ließ sich das eben nicht ändern. Schließlich war sie ein erwachsener Mensch.

Langsam gewöhnte Susanne sich an die kalte Luft, Hamburg gefiel ihr, und als sie endlich wieder in ihr Hotelzimmer kam, war es Zeit, sich für das Abendessen fein zu machen. Sie duschte, zog das weinrote Kleid mit dem breiten Gürtel an, das sie bei ihrem letzten Wien-Besuch erstanden hatte, und stellte sich vor den großen Spiegel. Sah doch ganz gut aus – sicher hätte es Werner auch gefallen. Aber vielleicht stand der ja mehr auf schwarzhaarige Schönheiten mit langen Beinen. Groß und schlank war sie auch, aber blond – und keine dreißig mehr.

Dann zog sie ihren Mantel über, löschte das Licht und machte sich entschlossen auf den Weg ins Restaurant.

Kaum hatte sie das Landhaus betreten, eilte ihr ein junger Mann entgegen, um ihr den Mantel abzunehmen, dann brachte er sie an einen Tisch im Kaminzimmer. Alles hier strahlte Vornehmheit aus: die Einrichtung, das Personal und die Gäste.

Das Kaminzimmer war ein niedriger Raum mit einer Holzdecke und acht Tischen. Obwohl Montag, war das Lokal gut besucht.

Man hatte einen kleinen Ecktisch für sie vorbereitet, von dem aus sie den Raum gut überblicken konnte. Der Kellner brachte die Speisekarte und fragte nach ihren Aperitifwünschen.

Sie wählte ein Glas Champagner und gab sich dem Studium der handgeschriebenen Speisekarte hin. Die war, wie in Restaurants dieser Klasse üblich, nicht besonders umfangreich, dennoch fiel ihr die Wahl nicht leicht. Letztendlich entschied sie sich für einen Salat vom lauwarmen Hummer und danach eine Bouillabaisse mit Crostini und Sauce Rouille.

Aus dem angrenzenden Raum erklang dezente Klaviermusik, der Pianist spielte die leisen, sentimentalen Sachen, dazu die schummrige Beleuchtung, ideal für einen Abend zu zweit.

Dummerweise saß sie allein hier.

Der Champagner tat ihr gut und als sie von dem selbstgebackenen Brot und der gesalzenen Butter kostete, fiel ihr erst auf, wie hungrig sie war. Sie hatte seit dem Frühstück nichts Vernünftiges gegessen. Entspannt lehnte sie sich zurück und nahm ihre Umgebung in Augenschein. Tischtücher und Stoffservietten waren aus gelbem Damast, in einer Glasschale schwamm eine weiße Orchidee und auf dem dreiarmigen Kerzenständer aus altem Silber brannten weiße Kerzen. Alles sehr stilvoll. Ob Lars dafür verantwortlich zeichnete? Oder gab es eine Hausdame? Jedenfalls hatte er ihr versichert, dass es keine Dame des Hauses gäbe. Sie dachte an die roten Rosen in ihrem Zimmer und machte sich lächelnd über den Hummersalat her. Kochen konnte er jedenfalls, sodass sie, als er gegen zehn Uhr abends an ihren Tisch kam, voller Überzeugung sagen konnte: „Sehr delikat. Ich glaube nicht, dass ich jemals eine bessere Bouillabaisse gegessen habe.“

Lars schien ihrer Meinung zu sein und erledigte gut gelaunt seine Lokalrunde, ehe er sie in seine Wohnung brachte, die gleich über dem Restaurant lag.

Die Wohnung war deutlich moderner eingerichtet als das Lokal und verfügte über eine große Wohnküche, deren Mittelpunkt eine Kochinsel bildete.

„Das sieht ja aus wie bei ‚Schöner Wohnen’. Und ich dachte, jemand, der den ganzen Tag kocht, hat zu Hause nur noch eine Kaffeemaschine.“

„Da sieht man, wie wenig du von mir weißt.“ Er öffnete eine Flasche Sekt, füllte zwei Gläser und hielt ihr eines entgegen:

„Auf das sich dieser Umstand bald ändert. Prost, meine schöne Schlossherrin!“

*

Tatsächlich lernte sie in den nächsten beiden Tagen nicht nur Hamburg, sondern auch Lars ein Stück besser kennen. Dienstag und Mittwoch war Ruhetag, so hatte er Zeit, ihr die Stadt zu zeigen.

„Hafenrundfahrt, Alsterfahrt und Hagenbeck lassen wir diesmal aus, das machen wir, wenn du im Frühling kommst“, erklärte er am Mittwoch beim Frühstück, das er bei ihr im Hotel einnahm. Er schien nicht den leisesten Zweifel daran zu haben, dass sie wiederkam.

„Iss nicht zu viel“, riet er, als sie sich anschickte, noch etwas vom Buffet zu holen. „Heute Mittag besuchen wir den Michel und anschließend essen wir in den Krameramtsstuben Scholle Finkenwerder Art. Eine Hamburger Spezialität, muss man einfach gegessen haben. Abends müssen wir natürlich auf der Reeperbahn vorbeischauen.“ Sie machte ein zweifelndes Gesicht. Für solche Art von Amüsement hatte sie wenig übrig. Er schien ihre Gedanken zu erraten. „Nur kurz“, winkte er ab. „Aber die Reeperbahn ist nicht mehr das, was du dir scheinbar darunter vorstellst.“

„Und woher willst du wissen, was ich mir so vorstelle?“

„Ich lese es in deinen schönen Augen“, sagte er mit zartschmelzender Stimme, um dann übergangslos ins Pragmatische zurückzukehren: „Morgen müssen wir ohnehin früh raus. Ich will dir den Fischmarkt zeigen und der schließt um 9 Uhr 30. Möchtest du eigentlich ins Wachsfigurenkabinett? Auf jeden Fall müssen wir in die Speicherstadt. Übrigens kannst du wählen, ob du morgen Abend lieber ins Theater gehen oder mit mir kochen möchtest.“

Linguini mit Schneckenragout

1 Dose Weinbergschnecken

½ kg Tagliatelle

2 Fleischtomaten

5 Zehen Knoblauch

2–3 EL Basilikumöl (= 1 Bd. Basilikum + Olivenöl)

Olivenöl

etwas Chiliöl

Salz, Pfeffer

Evtl. mit etwas Chiliöl würzen

Für das Basilikumöl – am bestens schon Stunden vorher – einen Bund Basilikum waschen, trocken tupfen und die Blätter hacken. Dazu kommt so viel Olivenöl, dass das Basilikum gut bedeckt ist.

Die Schnecken aus der Dose nehmen, gut abspülen und vorerst beiseite stellen.

Die Knoblauchzehen schälen, halbieren, den Keim entfernen und in dünne Scheibchen schneiden. Die Fleischtomaten in kleine Würfel schneiden.

Einige EL Olivenöl erhitzen, zuerst den Knoblauch, dann nach und nach die Schnecken, das Basilikumöl und etwas später die Tomatenwürfel zugeben und auf kleiner Flamme dünsten lassen.

Die Tagliatelle in reichlich Salzwasser weichkochen, abseihen, in den Kochtopf zurückgeben, das Schneckenragout darüber geben, ordentlich durchrühren und mit Salz und Chiliöl abschmecken.


Geschafft“, murmelte Susanne, als sie sich auf dem Beifahrersitz ihres Mercedes niederließ. Nina hatte sich bereiterklärt, sie zum Flughafen zu bringen und auch wieder abzuholen, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie mit Susannes Wagen fahren durfte.

„War Lars so anstrengend?“, fragte Nina.

„Allerdings!“, antwortete sie, ohne auf die Doppeldeutigkeit der Frage näher einzugehen.

Sie waren am Mittwochabend im Theater gewesen und hatten hinterher in seiner Wohnung gekocht. Da war es natürlich spät geworden. Sehr spät sogar. So spät, dass sie erst heute früh wieder in ihr Hotelzimmer kam. Sie hatte gerade noch Zeit gehabt, ihre Sachen einzupacken und einen Kaffee zu trinken.

Lars hatte heute Morgen einen Termin bei seinem Steuerberater gehabt, also war sie mit dem Taxi zum Flughafen gefahren. Irgendwie war sie froh darüber gewesen.

Nina fuhr sicher, aber sehr flott, schneller als Susanne. Normalerweise hätte sie protestiert, doch nun schloss sie einfach nur die Augen. Sie war so müde.

„Das muss ja ein toller Hecht sein“, moserte Nina, die vermutlich gerne Näheres erfahren hätte.

„Wenn ihr wollt, koche ich heute Abend für uns alle und erzähle euch von meinem Trip. Was hältst du von Hamburger Aalsuppe? Wir könnten auf dem Heimweg noch einkaufen.“

„Tante Anna und Felix werden wenig davon halten. Außerdem muss Felix morgen zur Schule. Aber komm doch zu uns. Tante Anna macht heute Grammelknödel und Sauerkraut.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752132106
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Frauenunterhaltung Unterhaltungsroman Neubeginn Frauen 40+ Rezepte Unhterhaltungsliteratur Humor Gesellschaftsroman

Autor

  • Brigitte Teufl-Heimhilcher (Autor:in)

Brigitte Teufl-Heimhilcher lebt in Wien, ist verheiratete und bezeichnet sich selbst als realistische Frohnatur. In ihren heiteren Gesellschaftsromanen setzt sie sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Fragen auseinander. Sie verwebt dabei Fiktion und Wirklichkeit zu amüsanten Geschichten über das Leben - wie es ist, und wie es sein könnte.
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Titel: Ein Chefkoch und andere Katastrophen: Sammelband