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Der liebe Gott und sein teuflisches Bodenpersonal: Sammelband

von Brigitte Teufl-Heimhilcher (Autor:in)
319 Seiten

Zusammenfassung

Die Zustände im Vatikan rufen sogar den lieben Gott auf den Plan. Sonst ein eifriger Verfechter des freien Willens beschließt er, Papst Leo einen kleinen Hinweis zu geben, und bedient sich dabei höchst irdischer Mittel. In Band 1 hat Papst Leo die Begegnungen mit seiner Schwester Katharina und seiner ehemaligen Studienkollegin Erika zu verkraften. Die beiden bringen sein Weltbild ganz schön durcheinander. Richtig gefährlich wird es für Leo dann in Band 2, als er sich daran macht, den Machenschaften in der Vatikanbank ein Ende zu setzen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Prolog aus dem Himmel

Da soll doch gleich einmal der Blitz dreinschlagen!

Irgendetwas scheine ich in meiner göttlichen Allmacht falsch gemacht zu haben. Diese Menschen haben immer noch nicht kapiert worum es in ihrem Erdenleben geht. Vielleicht war die Sache mit dem freien Willen doch etwas übertrieben.

Dabei habe ich es doch an nichts fehlen lassen. Erst habe ich ihnen die zehn Gebote gegeben, die waren ja wohl klar und deutlich. Aber es hat nichts genützt! Also habe ich vor kurzem auch noch meinen Sohn geschickt. Mit allem Brimborium. Sogar Eltern habe ich ausgesucht, war alles gar nicht einfach. Dreiunddreißig Jahre hat er unter ihnen gelebt, ihnen alles gesagt und erklärt, dabei Kranke geheilt und den Sündern verziehen. Hat es genützt? Mitnichten.

Ja gut, ein paar Mal hat er getrickst. Übers Wasser zu gehen und aus Wasser Wein zu machen, das hätte vielleicht nicht sein müssen, das könnte den ein- oder anderen nachhaltig verwirrt haben. Manche versuchen das immer noch. Wasser zu Wein zu machen ist ihnen noch nicht vollständig gelungen, dafür machen sie aus Schimmelpilzen Erdbeeraroma – aber so war das doch nicht gemeint! Na gut, das sind Kleinigkeiten: Peanuts sagen sie neuerdings. Jedenfalls haben wir nichts ausgelassen, das volle Programm durchgezogen, inklusive Tod und Auferstehung. Damit haben wir sie allerdings auch etwas überfordert, an der Sache mit der Auferstehung kiefeln sie heute noch.

Das Unerträglichste aber ist, dass die Herrschaften aus der Kommandozentrale in Rom, besser gesagt im Vatikan - sie mussten ja gleich einen eigenen Staat haben - um nichts besser sind. Was sage ich – schlechter noch! Eine teuflische Mischung aus Ängstlichkeit und Überheblichkeit ist dort am Werk. Veränderungen fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser, dabei sind sie von einer Überheblichkeit, die ich nur schwer ertrage. Ja gut, nicht alle, natürlich nicht, das wäre ja auch noch schöner!

Vielleicht hätte ich mich beim letzten Konklave doch deutlicher zu Wort melden sollen – manche haben mich darum gebeten – aber ich wollte ihnen ja wieder einmal ihren freien Willen lassen.

Jetzt überlege ich, doch wieder einmal ordnend einzugreifen. Nein, keine Sintflut diesmal, nur ein ganz kleiner Fingerzeig, eine Andeutung, dass etwas falsch läuft. Aber an wen soll ich mich wenden? Es müsste schon jemand sein, der klug genug ist, es zu verstehen. Unter denen, die sie großspurig „Laien“ nennen, gäbe es etliche, aber würden sie denen glauben? Vermutlich nicht. Dann also jemand, der in ihrer Hierarchie – die im Übrigen auch nicht meine Idee war - ziemlich weit oben steht.

Vielleicht sollte ich es gleich mit dem Papst versuchen. Dieser Leo ist zwar auch ziemlich überheblich, aber immerhin scheint er guten Willens zu sein, und hat nicht eine seiner Schwestern ohnehin noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen? Da war doch was …

Das Interview

Katharina blickte auf die Uhr, massierte kurz die Schläfen und drückte den Knopf der Sprechanlage: „Der Nächste, bitte!“ Es war ein langer Tag gewesen, sie war müde und freute sich auf einen gemütlichen Abend.

„Fertig für heute“, antwortete ihre Sprechstundenhilfe. „Nur ein junger Mann vom Kurier wartet noch auf Sie.“

„Ist er angemeldet?“

„Das nicht“, flüsterte die Sprechstundenhilfe, „aber ich denke, er kommt wegen Ihres Buches. Jedenfalls hat er eine Kamera dabei.“

„Dann soll er hereinkommen.“

Katharina zog rasch die Lippen nach, noch während sie den Stift wieder in ihre Handtasche gleiten ließ, rief sie: „Herein!“

Der junge Mann, er mochte etwa dreißig sein, erwiderte ihren kräftigen Händedruck, das gefiel ihr, sie konnte es nicht leiden, wenn die Hand des anderen schlaff in der ihren lag. „Mein Name ist Felix Winter. Ich komme im Auftrag des Kuriers und würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.“

„Das freut mich“, antwortete sie. „Ich habe eigentlich gedacht, mein Buch sei schon in der Rundablage gelandet. Bitte, nehmen Sie Platz.“

„Sie haben ein Buch geschrieben?“, fragte er, während er sich setzte.

Diese schlichte Frage ließ Katharinas Müdigkeit schlagartig zurückkommen.

„Über Allergiebehandlung, ich dachte, deswegen seien Sie gekommen“, antwortete sie dementsprechend gereizt.

„Leider nein“, erwiderte Felix Winter und schickte dieser Nachricht ein gewinnendes Lächeln nach. „Ich komme sozusagen in heikler Mission.“

Er machte eine Pause, sie bedeutete ihm weiterzusprechen.

„Wie Sie sicherlich wissen, findet heuer im September der Welt-Jugend-Tag in Wien statt.“

Während Katharina zustimmend nickte, spürte sie, wie ihr Puls schneller wurde. Er sah sie fragend an, doch sie hatte nicht vor, ihm entgegenzukommen.

„Aus diesem Anlass wird Papst Leo seiner Heimat einen Besuch abstatten. Ich nehme an, auch das ist Ihnen bekannt.“

Sie nickte abermals. „Es stand so etwas in der Zeitung.“

„Ich nehme weiter an, Sie sind diesbezüglich nicht auf die Informationen der Medien angewiesen.“

„Da irren Sie, junger Mann.“

„Aber Sie sind doch eine Schwester des Papstes?“

Sie ließ einen Augenblick vergehen, ehe sie antwortete: „Wie kommen Sie darauf?“

„Ich habe ein wenig im Internet recherchiert. Der Papst hieß mit bürgerlichen Namen Leo Forstreiter und hat, wie Sie, seine Kindheit im Waldviertel verbracht. Da Forstreiter auch ein Teil Ihres Namens ist und Sie etwa fünf Jahre jünger sind, könnte er Ihr Bruder sein.“

„Könnte er“, nickte sie.

„Wird es ein Treffen zwischen Ihnen geben?“

„Das müssen Sie schon den Heiligen Vater fragen.“

Er schickte abermals ein gewinnendes Lächeln über den Schreibtisch: „Ein Gespräch mit dem Heiligen Vater steht -leider - außerhalb meiner Möglichkeiten.“

„Dann kann ich Ihnen – leider – auch nicht helfen. Papst Leo pflegt seine Pläne nicht mit mir zu besprechen.“

Er lächelte.

„Kann es sein, dass es zwischen Ihnen und dem Heiligen Vater ein … Zerwürfnis gab?“

„Steht das denn auch im Internet?“

Diesmal sah er an ihr vorbei, als er antwortete: „Nur, wenn man zwischen den Zeilen liest. Sie haben an den Feierlichkeiten zum Beginn seines Pontifikates nicht teilgenommen. Zumindest ist in den Zeitungen immer nur die Rede von einer Schwester Maria, einer Klosterschwester. Sie ist auch mehrfach mit Papst Leo abgebildet.“

„Gleich mehrfach, sieh an.“

„Ich schließe aus Ihrer Antwort, dass Sie auch zu Ihrer Schwester kein sehr inniges Verhältnis haben.“

„Sehen Sie, so leicht kann man sich irren.“

„Wollen Sie mir vielleicht etwas darüber erzählen?“

„Eigentlich nicht. Vor allem aber will ich in Ihrer Zeitung auch nichts lesen, was ich nicht erzählt habe. Haben wir uns verstanden?“

Felix Winter hob abwehrend die Hände: „Ich will keine Geschichte erfinden, ich will eine Geschichte erzählen, und ich werde eine Geschichte erzählen, eine wahre Geschichte.“

„Das sollte mich allerdings wundern. Wenn ich Ihnen abschließend noch einen guten Rat geben darf: Versuchen Sie es erst gar nicht bei meiner Schwester, die Mutter Oberin erlaubt keine Interviews.“

Sie stand auf und reichte ihm die Hand. Felix Winter erhob sich ebenfalls: „Sollte Ihnen doch noch etwas einfallen, hier ist meine Visitenkarte. Ich bin jederzeit für Sie zu sprechen. Auf Wiedersehen.“

„Das wollen wir doch nicht hoffen“, antwortete sie und begleitete ihn zur Tür, um sicherzugehen, dass er nicht auch noch versuchte ihre Sprechstundenhilfe auszufragen.

Als sie eine halbe Stunde später ihren Wagen in die Garage fuhr, sah sie, dass ihr Mann schon da war. Schwungvoll betrat sie das Haus: „Axel!“

„Bin im Arbeitszimmer“, kam es aus dem Obergeschoss.

„Und ich dachte, du hast uns schon etwas gekocht“, rief sie zurück.

„Das wünscht du dir aber nicht wirklich.“ Sein grauer Wuschelkopf erschien auf der Treppe.

„Da hast du recht“, lachte sie. „Aber zumindest einen Aperitif könntest du uns machen.“

„Was möchtest du? Campari, Sherry oder ein Glas Tomatensaft?“

„Wie wär’s mit Champagner?“

„Haben wir etwas zu feiern?“, fragte er, während er sich auf den Weg in den Keller machte.

Sie schüttelte den Kopf, küsste ihn im Vorbeigehen und verschwand in der Küche, wo sie die mitgebrachten Lebensmittel abstellte. Mit raschen Handgriffen stellte sie einen großen Topf mit Wasser zu und goss einen Becher Obers in einen deutlich kleineren Topf.

Axel kam zurück, öffnete mit einem Plopp die Flasche und schenkte zwei Gläser voll.

„Worauf trinken wir?“

„Auf deinen Schwager.“

Er sah sie erstaunt an: „Sprichst du von dem, an den ich jetzt denke?“

„Soviel ich weiß, hast du nur den einen.“

„Den Pontifex, der auf unsere Gesellschaft so betrüblich wenig Wert legt?“

Sie nickte und nahm einen Schluck, dann stellte sie ihr Glas auf dem Küchenbord ab. Axel setzte sich auf einen der Barhocker des Frühstücksplatzes und sah sie fragend an. Während sie mit knappen Worten von ihrem Gespräch mit Felix Winter erzählte, verstaute sie die mitgebrachten Lebensmittel.

„Der arme Junge“, lächelte Axel, „sicher hast du ihn abgekanzelt wie einen Schulbuben. Ich möchte nicht an seiner Stelle gewesen sein.“

„Jedenfalls habe ich ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er sich aus der Sache raushalten soll.“

„Und du glaubst, er wird jetzt nach Hause gehen und sich eine andere Story suchen?“

Während sie begann, den Parmesan zu reiben, ließ sie sich diese Frage durch den Kopf gehen: „Du meinst, er wird weiterstöbern.“

„Wäre doch möglich. Stell dir vor, du wärst eine junge Journalistin und hättest eine Riesenstory an der Angel. Würdest du aufgeben, nur weil man dich einmal abweist?“

Katharina wiegte nachdenklich den Kopf. „Welche Möglichkeiten hat er denn? Von mir hat er kaum etwas erfahren, wenn ich auch nicht geleugnet habe, Leos Schwester zu sein. Zu Leo kommt er erst gar nicht, das weiß er selbst, und die arme Maria auszufragen, habe ich ihm, mit Hinweis auf die Mutter Oberin, auch ausgeredet. Es wäre natürlich denkbar, dass er es trotzdem versucht.“

„Oder er fährt nach Gmünd. Bei dem medialen Zirkus, der nach der Papstwahl veranstaltet wurde, erinnert sich jeder an euch und sicher sind etliche gerne bereit, mit ihm zu reden.“

„So klein ist Gmünd auch wieder nicht.“

„Klein genug. Vergiss nicht, er ist Reporter und wird wissen, wie er die Sache angehen muss.“

Da war was dran. Um Zeit zu gewinnen, bat sie ihn, den Tisch zu decken. Axel verzog sich unter Mitnahme der Champagner-Flasche ins Esszimmer.

Während sie die Spaghetti in das kochende Wasser gab und die Käsesauce zubereitete, versuchte sie sich vorzustellen, was sie an Winters Stelle tun würde. Axel hatte recht, aufgeben käme nicht in Frage.

Als sie kurze Zeit später mit der dampfend heißen Pasta ins Esszimmer kam, hatte Axel den Tisch gedeckt und eine CD von Gershwin aufgelegt.

„Eigentlich haben wir ja immer damit gerechnet, dass es eines Tages so kommen wird“, nahm er das Gespräch wieder auf und streute genießerisch frisch geriebenen Parmesan auf die dampfend heiße Pasta, ehe er schwarzen Pfeffer darüber rieb.

„Du meinst also, ich muss noch einmal mit dem Knaben reden.“

„Besser du erzählst ihm die Dinge aus deiner Sicht, als er erfährt dort und da ein Stückchen und setzt sich die Geschichte selbst zusammen.“

Sie überlegte und verspeiste eine Gabel voll Spaghetti, ehe sie sagte: „Na schön, aber dann hätte ich dich gerne dabei. Dich und unsere Tochter Juliane. Was hältst du davon, ihn hierher einzuladen?“

„Von mir aus. Lad ihn zum Essen ein, dann kann er gleich schreiben, was für eine hervorragende Köchin du bist.“

Er prostete ihr zwinkernd zu.

„Schmeichler. Aber die Idee ist ausbaufähig: Wenn ich ihm etwas über mein Leben als Schwester des Papstes erzähle, dann muss er mein Allergiebuch in seinem Artikel erwähnen. So könnte mir die Sache langsam gefallen.“

*

„Interview gegen Buchbesprechung“ hatte sie am nächsten Tag gemailt und Felix Winter hat kaum länger als zwanzig Minuten gebraucht, um sich den vorgeschlagenen Deal in der Redaktion absegnen zu lassen. Dann hatte sie ihn für Samstagmittag zum Essen eingeladen.

Punkt halb eins läutete es. Sie entriegelte das Gartentor mit einem Tastendruck, entledigte sich ihrer Schürze und ging ihm entgegen.

Was für ein wohlerzogener junger Mann, dachte sie, während sie ihm den mitgebrachten Blumenstrauß abnahm und dabei feststellte, dass er zu den scheinbar unvermeidlichen Jeans zumindest einen dunkelblauen Blazer trug. Schade, dass Juliane für die letzten Prüfungen lernen musste.

Axel reichte Prosecco zum Aperitif, danach bat Katharina zu Tisch. Zur Vorspeise gab es grünen Spargel auf Kartoffelschaum. Axel hielt ein leichtes Tischgespräch aufrecht, genau, wie sie es vereinbart hatten. Erst als der Hauptgang, Axels Lieblingsgericht, Lammkoteletts auf Blattspinat und Bratkartoffeln, abserviert worden war und Axel ihr noch einen Schluck Rotwein nachgeschenkt hatte, sagte sie: „So, nun dürfen Sie Ihre Fragen stellen.“

Felix Winter schien sich nun doch ein wenig unwohl zu fühlen. Umständlich faltete er seine Serviette, schälte seinen Laptop aus der Schutzhülle und räusperte sich: „Anders als Ihre Schwester Maria sind Sie bisher als Schwester des Papstes noch nie in Erscheinung getreten. Warum?“

„Offenbar zeigt sich mein Bruder lieber mit meiner Schwester Maria. Verständlich, ich bin das Enfant terrible der Familie.“

„Und was ist so schrecklich an Ihnen?“, lächelte Felix. Es schien ihr, als hätte er seine Sicherheit wiedergefunden.

„Ich habe eine uneheliche Tochter, Juliane, und ich bin geschieden. Meine erste Ehe hielt auch nur zwei Jahre und meiner zweiten Ehe“, sie sandte ein Lächeln zu Axel, „war der Segen der Kirche von Anfang an verwehrt. Das alles mag in unseren Breiten nichts Besonderes sein, im Vatikan schon. Ich glaube, man schreibt dort gerade das Jahr 1912.“

„Sie meinen also, die römisch-katholische Kirche hinkt der Zeit um 100 Jahre hinterher.“

„Es könnten auch etwas mehr sein.“

„Kann es sein, dass diese Ansicht zu dem Zerwürfnis mit Ihrem Bruder beigetragen hat?“

„Sprach ich von einem Zerwürfnis?“

Winter ging nicht darauf ein.

„Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrem Bruder gesprochen?“

„Vor ziemlich genau zehn Jahren. Beim Begräbnis unserer Mutter.“

„Und davor?“

„Davor – lassen Sie mich nachdenken. Ich glaube, das war, bevor er nach Rom ging. Doch, ich erinnere mich, ihm eine gute Reise gewünscht zu haben.“

Winter las in seinen Unterlagen, ehe er antwortete: „Aber Ihr Bruder ist seit mehr als zwanzig Jahren in Rom.“

„Da können Sie sehen, wie die Zeit vergeht“, parierte sie und beeilte sich hinzuzufügen: „Darf ich Ihnen zum Dessert eine Creme Caramel anbieten?“

„Sehr gerne“, erwiderte Felix. „Darf ich Ihnen danach noch ein paar Fragen stellen?“

Diese Antwort blieb sie vorerst schuldig, stattdessen fragte sie: „Kaffee?“

„Gerne.“

Während Axel die Kaffeemaschine im Esszimmer in Gang setzte, ging Katharina in die Küche und ließ sich mit dem Dekorieren der Creme Caramel etwas Zeit, bevor sie die Teller auf den Servierwagen stellte. Der junge Mann gefiel ihr, er ließ sich nicht so leicht aus dem Konzept bringen. Dennoch, viel mehr würde sie ihm nicht erzählen. Leo würde auch so wenig begeistert sein, wenn er von diesem Interview erfuhr.

Nach dem Dessert setzte Axel seine Pfeife in Brand und Felix erkundigte sich nach seiner Familie.

„Ich habe einen Sohn, Florian, aus erster Ehe, der zurzeit in England studiert, und meine Mutter lebt noch.“

„Sie sind also ebenfalls geschieden.“

„Meine erste Frau ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, kurz nach Florians erstem Geburtstag. Er war mit im Auto, aber er hatte wohl einen Schutzengel, ihm ist nichts geschehen.“

„Sie glauben an Schutzengel?“

„Mal mehr, mal weniger“, antwortete Axel und stocherte in seiner Pfeife herum.

Drei Tage später war im Kurier Folgendes zu lesen:

Die andere Schwester des Papstes

Bei seiner vorjährigen Amtseinführung hat sich Papst Leo XV an der Seite seiner älteren Schwester Maria gezeigt. Wie sich nun herausstellte, hat der Pontifex eine weitere Schwester. Frau Dr. Katharina Forstreiter-Bender hat sich nunmehr als die jüngere Schwester des Papstes geoutet. Die Ärztin für Allgemeinmedizin, die sich auch mit Methoden der Komplementärmedizin beschäftigt, ist besonders für ihre Erfolge im Bereich der Allergiebekämpfung bekannt und hat erst vor Kurzem ein Buch veröffentlicht, in dem sie die von ihr angewandte Heilmethode vorstellt. Sie ist geschieden, Mutter einer unehelichen Tochter, Juliane, 25, und in zweiter Ehe mit dem Geschäftsmann Axel Bender verheiratet, der einige Papier-Fachgeschäfte betreibt. Von einem Zerwürfnis mit ihrem Bruder, Papst Leo, wollte die charmante Hobbyköchin nichts wissen, gab aber zu, ihn zuletzt vor zehn Jahren, beim Begräbnis ihrer Mutter, getroffen zu haben. Auf die Frage, ob es diesmal zu einem Treffen mit dem berühmten Bruder kommen würde, antwortete sie mit einladender Geste: „Wenn mein Bruder uns sehen möchte, steht unsere Tür für ihn offen.“

Es bleibt abzuwarten, ob der Heilige Vater, anlässlich seines Besuches beim Welt-Jugendtag, dieser Einladung folgen wird.

Dem Artikel folgte ein Foto, das Katharina an ihrem Schreibtisch zeigte. Sie war mit beidem nicht unzufrieden und beschloss, vorerst einmal abzuwarten.

*

Als sie sich am Freitagabend für ein Abendessen mit Freunden zurechtmachte, läutete ihr Handy. Maria. Sie seufzte und nahm das Gespräch an.

„Gelobt sei Jesus Christus“, schrillte es ihr ins Ohr.

„Dir auch einen schönen Abend.“

„Meine liebe Käthe, ich muss dir leider sagen, Leo ist außer sich!“

„Das ist ja schnell gegangen, der Artikel ist doch erst vorgestern erschienen. Ich hätte nicht gedacht, dass Rom dermaßen am Puls der Zeit ist.“

„Käthe, ich bitte dich, mach jetzt keine Witze. Du musst etwas unternehmen, Leo ist außer sich.“

„Das sagtest du bereits“, lächelte sie. „Aber das müssen wir ein andermal besprechen. Ich muss mich jetzt fertig machen, Axel wartet schon auf mich, wir gehen mit Ilse und Roland essen. Du erinnerst dich doch an Ilse und Roland?“

Maria bejahte und Katharina sprach schnell weiter: „Ich melde mich morgen bei dir, versprochen. Vergiss Leo, schlaf gut und träum was Schönes. Bis morgen.“

Entschlossen unterbrach sie die Verbindung.

Mit Leos Zorn konnte sie leben, Maria war ein anderer Fall. Für ein Telefonat mit Maria musste sie sich Zeit nehmen. Maria war die denkbar ungeeignetste Person, um den Prellbock zwischen Leo und ihr zu spielen, dazu war sie zu verletzlich, zu sehr darum bemüht, es allen recht zu machen.

Katharina zog den Lippenstift nach und befestigte die Klipse an ihren Ohren. Im Geist ging sie den morgigen Tag durch. Am Vormittag gingen sie mit Freunden Golf spielen und anschließend essen. Danach würde sie es sich gemütlich machen und mit Maria reden. Wenn sie müde und satt war, hatte sie einfach mehr Geduld.

Dann warf sie einen zufriedenen Blick in den Spiegel und löschte das Licht. Bestimmt würde der Zeitungsartikel auch heute Abend zur Sprache kommen, sogar einige ihrer Patienten hatten sie schon darauf angesprochen.

Gut möglich, dass auch Ilse und Roland bisher keine Ahnung gehabt hatten, wer ihr Bruder war. Sicher wussten sie, dass sie einen älteren Bruder hatte, der als Theologe in Rom lebte und zu dem sie nur wenig Kontakt pflegte.

Früher gab es nicht mehr zu sagen und nach der Papstwahl hatte sie nicht den Wunsch gehabt, es überall herumzuerzählen. Warum auch? Sie hatte keinen Anteil an seinem Aufstieg und sie war nicht besonders stolz auf das, was er verkörperte. Dieser barocke Katholizismus und seine verknöcherten Repräsentanten, die so weit weg waren von denen, denen sie dienen sollten, dieser altmodische Pomp, der ihr so unangemessen schien, in einer Welt in der es immer noch so viel Armut und Elend gab, darauf konnte sie nicht stolz sein.

Schwester Maria

Katharina wusste nur zu gut, dass Maria längst auf ihren Anruf wartete. Doch erst gönnte sie sich noch eine ausgiebige Dusche. Während sich ihre Muskeln langsam unter dem warmen Wasser entspannten, wanderten ihre Gedanken zu Maria.

Wie Leo war sie schon als Kind dem starken Einfluss ihrer streng katholischen Mutter erlegen und bald nach ihrer Ausbildung zur Kindergärtnerin ins Kloster eingetreten.

Warum eigentlich, überlegte Katharina zum wohl hundertsten Mal. Für sie selbst wäre so ein Schritt undenkbar gewesen. Nicht nur wegen der Ehelosigkeit, das sowieso. Schon beim bloßen Gedanken an die hierarchischen Strukturen und Worte wie ‚Gelübde’ und ‚Gehorsam’ stellten sich ihr sämtliche Haare auf.

Zugegeben, Marias Widerspruchsgeist war nie besonders ausgeprägt gewesen, was die Sache möglicherweise begünstigt hatte, und in der Zwischenzeit war er gänzlich verkümmert. Wie schön für Leo, dachte sie, während sie ihre müden Beine eincremte.

Anstatt sich gelegentlich zu widersetzen, war Maria schon als Kind immer bemüht gewesen, es allen recht zu machen, da war für eigene Ideen wenig Platz geblieben. Schade, eigentlich, denn Maria war ein herzensguter Mensch und machte sich natürlich auch ihre Gedanken, aber nur selten sprach sie welche aus, die ihre Zensoren nicht gutgeheißen hätten. Ihre Zensoren, das waren früher ihre Mutter und ihr Großvater gewesen, jetzt waren es die Mutter Oberin und Leo.

Nur ihr gegenüber hatte Maria manchmal eine Ausnahme gemacht und, im Schutz der Dunkelheit des gemeinsamen Kinderzimmers, von ihren Träumen und Hoffnungen gesprochen. Als junges Mädchen hatte sie von einer eigenen Familie geträumt, von Kindern und einem Häuschen mit Garten. Doch eines Tages war sie ins Kloster eingetreten.

Hatte Maria heute noch Träume und Hoffnungen?

Jedenfalls ist sie der fleischgewordene Friedensengel, dachte Katharina. Vielleicht sah Leo das ebenso und hatte sie deshalb zu seinem Sprachrohr auserkoren. Maria wollte immer nur Frieden stiften. Erst zwischen Vater und Mutter, was ihr manchen Ärger eingetragen hatte, später zwischen Katharina und ihrer Mutter, was sinnlos gewesen war, und jetzt zwischen Katharina und Leo, was genauso sinnlos sein würde. Auch diesmal würde sie sich die Zähne ausbeißen – die Arme. Katharina würde es ihr schonend beibringen müssen. Seufzend wählte sie ihre Nummer.

* * *

Maria kam gerade von der Abendmesse, als ihr Telefon läutete.

„Kloster Kreuzenstein, Schwester Maria.“

„Hallo Schwesterchen.“

„Käthe, endlich. Vergelt’s Gott, dass du doch noch anrufst. Ich dachte schon, na ja, ist ja auch egal. Sag, wie kamst du nur zu diesem unglücklichen Journalisten?“

„Also erstens kam er zu mir und zweitens glaube ich nicht, dass er unglücklich ist. Nicht nach der Story.“

„Dann ist eben seine Story unglücklich.“

„Maria, es ist MEINE Geschichte, in Kurzform. Felix Winter hat weder etwas erfunden noch etwas weggelassen. Ich finde, er hat seine Sache ganz gut gemacht.“

„Du hast es ihm tatsächlich selbst erzählt? Aber Käthe, kannst du dir denn nicht vorstellen, was das für Leo bedeutet? Und ich hatte so gehofft, dass ihr euch bei seinem Besuch im Herbst aussöhnen werdet.“

„Wie kommst du denn auf die Idee?“

„Ich habe es mir eben gewünscht. Aber jetzt sieht die Sache gar nicht gut aus.“

„Kann ich mir vorstellen. Unser lieber Bruder hat jetzt ein dickes Problem. Negiert er mich bei seinem Wien-Besuch, so wie er mich bei seiner Amtseinführung negiert hat, werden ihn die liberalen Kräfte in die Mangel nehmen. Trifft er sich mit mir und meiner Familie, hat er erst recht ein Problem, diesmal mit den Konservativen und Erzkonservativen, und von denen gibt es ja auch mehr als genug, nicht nur im Vatikan. Ich kann sein Dilemma schon verstehen, aber ich kann es nicht ändern.“

Maria seufzte. Gestern, nach Leos Anruf, war sie entsetzt gewesen, wie Käthe so ein Interview hatte zulassen können. In der Zwischenzeit hatte sie nachgedacht und gebetet und dann hatte Leo noch einmal angerufen und sich etwas milder gezeigt. Seither ging es ihr ein wenig besser, dennoch war ihre Mission heikel.

„Leo hat heute noch einmal angerufen“, begann sie vorsichtig. „Er hat gemeint, es wäre am besten, den Artikel totzuschweigen. Niemand wird ihn kommentieren, weder du noch der Vatikan. Aber das ändert nichts daran, dass du bei seinem Besuch diesmal präsent sein musst.“

„Dazu müsste er uns erst einmal einladen.“

Da war sie, die Falle. Leo hatte recht gehabt, Katharina würde nicht alleine kommen wollen. Sie musste jetzt diplomatisch vorgehen: „Ich glaube nicht, dass Axel großen Wert drauf legt, dabei zu sein“, begann sie zögernd, „wo er doch gar kein gläubiger Katholik ist. Also, versteh mich bitte nicht falsch … Axel ist ein wunderbarer Mensch, aber … das wissen die anderen doch nicht“, endete sie etwas atemlos. Herrgott, warum musste gerade sie mit zwei so halsstarrigen Geschwistern geprüft sein.

Prompt antwortete Katharina: „Du hast recht, Axel legt bestimmt keinen Wert darauf – aber ich.“

„Aber Käthe, warum kannst du Leo denn nicht einmal entgegenkommen? Schau, immerhin ist er der Heilige Vater.“

„Zu mir hat er sich meist ganz unheilig benommen. Aber bitte, das ist lange her, vielleicht hat er sich ja geändert.“

„Sicher“, antwortete Maria ohne rechte Überzeugung.

„Wir sind beide alt genug, um die Vergangenheit ruhen zu lassen, vorausgesetzt, dass er wenigstens meine Gegenwart akzeptiert“, fuhr Katharina fort. „Ich bin verheiratet und habe eine uneheliche Tochter. Also komme ich mit Axel und Juliane – oder eben nicht. Du brauchst gar nicht erst versuchen mich zu etwas anderem zu überreden, mein Entschluss steht fest.“

„Warum bist du nur so dickköpfig?“

„Das scheint dir nur so, weil du so friedfertig bist. Also, lass dich von Leo nicht fertigmachen und denk immer daran, er ist nichts weiter als dein kleiner Bruder.“

„Aber er ist auch der Papst“, warf sie mit einem kleinen Lachen ein.

„Vergiss den Papst. Denk lieber daran, wie er dir mit seiner Besserwisserei schon als Kind das Leben schwer gemacht hat. Trotzdem konnte er dich immer wie Häkelgarn um den Finger wickeln.“

Darüber musste Maria nun wirklich lachen. „Stimmt. Ich war für seinen Charme immer empfänglich.“

„Leo hatte Charme?“

„Hat er noch immer, auch wenn seine neue Würde manches verändert haben wird.“

Nach dem Telefonat kniete Maria auf ihrem Betschemel nieder:

„Lieber Gott, in was für ein Schlamassel hast du mich da wieder hineingezogen? Du weißt doch, dass ich den beiden nicht gewachsen bin.“

Dann bekreuzigte sie sich und ging seufzend in den Speisesaal. Nach dem Abendessen würde sie sich mit Agnes einen kleinen Kräuterlikör gönnen. Den hatte sie sich wahrlich verdient.

* * *

Auch Katharina war mit dem Verlauf des Telefonates nicht sonderlich zufrieden. Aber wie, zum Teufel, sollte sie Maria aus der Sache heraushalten, wenn Leo sie offenbar zu seinem Prellbock zu machen beliebte? Verdammt, er musste doch wissen, dass Maria darunter leiden würde, weil sie mit Streitigkeiten einfach nicht umgehen konnte. Aber um die Befindlichkeiten seiner Mitmenschen hatte er sich ja noch nie geschert, warum sollte sich das durch sein neues Amt geändert haben. Eher würde es das Gegenteil bewirken. Was war schließlich anderes geschehen, als dass eine Reihe von verknöcherten, alten Kardinälen ihn für würdig erachtet hatte, auf dem Heiligen Stuhl Platz zu nehmen. Ein einsamer Platz, aber Leo war ohnehin nie ein Teamplayer gewesen, vielleicht hatten sie ihn ja deshalb gewählt.

Seufzend verließ sie ihr Arbeitszimmer. Sie würde sich noch ein Glas Prosecco gönnen und Axel Gesellschaft leisten.

Der saß vor dem Fernseher und verfolgte ein Fußball-Match. Ein warmes Gefühl durchflutete sie, während sie auf ihn zuging. Wenn sie in ihrem Leben je etwas richtig gemacht hatte, dann war das ihre Ehe mit Axel. Auch ohne den Segen der Kirche.

„Gutes Match?“, fragte sie im Vorbeigehen.

Er schüttelte verneinend den Kopf. „Du kannst mir ruhig erzählen, wie dein Telefonat mit Maria gelaufen ist.“

„Mittelprächtig“, antwortete sie und deutete auf die Prosecco-Flasche in ihrer Hand. Diesmal nickte er zustimmend.

„Ich weiß einfach nicht, wie ich Maria aus der Sache heraushalten könnte.“

Axel nahm sein Glas entgegen und prostete ihr zu, dann schaltete er den Fernsehapparat stumm: „Ich schlage vor, du lässt Juliane und mich zu Hause, lässt dich ein- zweimal mit deinem Bruder fotografieren und wenn wir Glück haben, ist die Geschichte dann gegessen.“

„Das könnte euch so passen. Aber genau so werden wir es nicht machen. Schau, du und Juliane, ihr seid das Beste in meinem Leben. Ich denke nicht daran, euch zu verleugnen, nur weil Juliane unehelich geboren wurde und wir beide nicht kirchlich verheiratet sind.“

Er nippte an seinem Glas, ehe er antwortete: „Nun, verleugnen lässt es sich ohnehin nicht mehr. Aber dein Bruder hat recht, wenn ihr beiden nicht darüber redet, wird es vielleicht auch sonst niemand tun. Basta.“

Sie schüttelte energisch den Kopf: „Und damit wäre die beste Chance vertan.“

„Die beste Chance wofür?“

„Wenn er sich mit mir treffen muss, dann ist das in jedem Fall ein Punkt für den liberalen Flügel in der Kirche, die werden ohnehin jeden Tag weniger, weil viele die Geduld verlieren und einfach austreten. Schau, ich habe doch alles getan, was die Kirche ablehnt. Ich habe eine uneheliche Tochter von einem Priester, bin geschieden und habe ohne den Segen der Kirche wieder geheiratet. Das sind genau die Themen, die die neue Reformbewegung derzeit wieder anspricht. Wenn Leo sich jetzt mit uns trifft, treffen muss, kann das doch durchaus hilfreich sein. Oder siehst du das anders?“

Axel schüttelte den Kopf und grapschte sich ein paar von den Erdnüssen.

„Natürlich vorausgesetzt, du kommst auch wirklich mit“, fügte Katharina hinzu.

„Darf ich noch darüber nachdenken?“

„Sicher doch.“ Sie küsste ihn auf die Stirn, schnappte sich ein Buch und ging zu Bett.

Als er eine Stunde später kam, war sie über ihrem Buch eingeschlummert, doch sie wurde wach, als er es ihr vorsichtig aus den Händen nahm. Bevor er das Licht abschaltete, sagte er ganz beiläufig: „Du kannst übrigens mit mir rechnen“, und gab ihr einen Gutenachtkuss.

Sie hatte es doch gewusst!

Am nächsten Tag rief sie noch einmal Maria an:

„Gibst du mir bitte Leos Telefonnummer?“

„Aber Käthe, es ist nicht ganz einfach, ihn anzurufen. Ich rufe immer bei seinem Sekretär an, Monsignore Rinaldo, und ersuche um seinen Rückruf. Also, genau genommen, habe ich das erst einmal getan. Eigentlich warte ich immer auf seinen Anruf.“

„Und wie oft meldet er sich bei dir?“

„Das ist … ganz unterschiedlich“, stotterte Maria.

„Also ruft er dich nur an, wenn er etwas von dir braucht.“

„So kann man das nicht sagen. Er hat auch zu Weihnachten angerufen - und zu Ostern.“

„Wenn er sich zu Pfingsten wieder meldet, dann kannst du ihm sagen, dass ich seinen Anruf erwarte.“

* * *

Der nächste, von dem Katharina hörte, war jedoch nicht ihr Bruder, sondern der Bischofsvikar. Er sei, berichtete er feierlich, mit der Organisation des Papstbesuches beauftragt und käme nun, um zu fragen, an welchen Veranstaltungen sie teilzunehmen gedächte.

„Meine Teilnahme setzt voraus, dass ich eine Einladung meines Bruders erhalte, und zwar eine, die auch meinen Mann und meine Tochter einschließt.“

„Diesbezüglich hat Seine Heiligkeit mir keine genauen Anweisungen gegeben. Ich soll aber ausrichten, er würde sich freuen, sie zu begrüßen. Zu welchen Veranstaltungen darf ich Ihnen eine Einladung übermitteln?“

Katharina überlegte nur kurz. Es war für Leo sicher eine Überwindung, sich überhaupt mit ihr blicken zu lassen – und ein Punkt für die Liberalen. Diese Chance konnte sie nicht vertun und die Sache mit Axel und Juliane würde sie später klären. Also fragte sie: „Was steht denn zur Auswahl?“

„Nun, da wäre einmal der Empfang am Flughafen und anschließend der Begrüßungs-Gottesdienst im Stadion. Dann hätten wir den Besuch in der Hofburg, am Samstag dann die Fahrt nach Mariazell und den Abschluss-Gottesdienst im Stephansdom. Danach wird der Heilige Vater wieder in den Vatikan zurückkehren.“

„Ich denke, der Samstag wäre günstig und sagen Sie ihm bitte, wir würden uns freuen, wenn er zu uns nach Hause käme.“

Zwei Wochen später erhielt sie ein Schreiben der Apostolischen Nuntiatur, in dem sie gebeten wurde, sich in Sachen Papstbesuch mit dem Nuntius persönlich ins Einvernehmen zu setzen.

Sie führte ein kurzes Telefonat mit Axel und rief dann in der Nuntiatur an. Es dauerte eine Weile, bis sie den Nuntius am Apparat hatte, der ihr, höflich, aber unmissverständlich, zu verstehen gab, wie wichtig der bevorstehende Besuch und dessen reibungsloser Ablauf gerade jetzt sei und das nicht nur für die Katholiken Österreichs, sondern für die gesamt Katholische Kirche.

Katharina hörte geduldig zu, ehe sie sagte: „Und was verstehen sie, oder mein Bruder, unter reibungslosem Ablauf?“

„Der Heilige Vater hat seinem Wunsch Ausdruck verliehen, Sie mögen alleine kommen.“

„Haben Sie Angst, dass mein Mann die heilige Messe stört?“

„Nun, ich kenne Ihren Gatten nicht, aber davon gehe ich eher nicht aus. Aber der Heilige Vater hat angedeutet, dass die Presse schon im Vorfeld einen etwas, äh, unerfreulichen Artikel veröffentlicht hat. Zum Glück war er von anderen Ereignissen in den Schatten gestellt worden.“

„Exzellenz, das kommt für mich so nicht in Frage. Ich würde Ihnen aber sehr gerne auch meinen Standpunkt erklären. Halten Sie es für möglich, dass wir einander treffen? Ich würde Sie gerne in den nächsten Tagen zum Abendessen einladen und Ihnen meine Familie vorstellen. Am besten bei uns zu Hause, da sind wir ungestört. Wann würde es Ihnen denn passen?“

Vielleicht lag es daran, dass der ehrwürdige Nuntius nicht mit einem solchen Frontalangriff gerechnet hatte, jedenfalls sagte er zu und sie vereinbarten ein Abendessen für Freitagabend.

Daraufhin rief sie Juliane und Maria an. Juliane sagte, sie stünde knapp vor einer Prüfung und hätte daher keine Zeit und Maria meinte: „Vergelt’s Gott, aber ich möchte lieber nicht dabei sein, wenn du den Nuntius brüskierst.“

„Ich habe nicht vor ihn zu brüskieren, aber ich werde ihm reinen Wein einschenken.“

„Genau deswegen möchte ich ja nicht dabei sein.“

„Feigling“, antwortete Katharina und bestellte eine Schinken- und eine Käseplatte in einem nahe gelegenen Feinkostladen. Sie war zwar eine ganz passable Köchin, aber sie hatte Freitagnachmittag Ordination und wegen eines Besuches des ehrwürdigen Nuntius würde sie ihre Patienten nicht im Stich lassen.

Axel hatte sich im Internet schlaugemacht und war ziemlich beeindruckt gewesen. Der Nuntius war ein weitgereister Mann, Doktor der Theologie und der Philosophie und sprach mehrere Sprachen.

„Mit uns wird er wohl deutsch reden“, meinte Katharina gelassen. Aber auch wenn sie es nicht einmal Axel gegenüber zugeben wollte, lag ihr der Besuch ein wenig im Magen. Sie war froh, dass ihr keine Zeit blieb, darüber nachzudenken, denn ihre Praxis war zum Bersten voll. Als sie sich am Freitagabend endlich auf den Heimweg machte, war es schon halb sieben, der Nuntius war für halb acht angesagt.

Zum Glück war heute ihre Haushaltshilfe da gewesen, so dass sie nur noch den Tisch decken musste. Sie würde es ganz schlicht und einfach halten, schließlich gab es nichts zu feiern und vermutlich würde der Besuch ohnehin ziemlich kurz ausfallen.

Das Gespräch verlief jedoch erfreulicher als erwartet. Der Nuntius war nicht nur ein sehr gebildeter Mann, er war auch ein waschechter Bayer, mit dem sie einen sehr gemütlichen Abend verbrachten, an dessen Ende er sagte: „Glauben Sie mir, ich kann Ihren Standpunkt voll und ganz verstehen und werde unseren Heiligen Vater, den ich noch von früher ganz gut kenne, auch in diesem Sinne unterrichten.“

„Na, bitte“, hatte Katharina zu Axel gesagt. „Geht doch.“

* * *

Juliane hatte ihre Prüfung bestanden und Maria hatte, zum Dank dafür, dass man ihre Schwester nicht exkommuniziert hatte, mehrere Kerzen gestiftet. Sonst hörten sie vorerst nichts.

Mütter und Töchter

Zu Julianes Geburtstag hatte Katharina die ganze Familie eingeladen, dennoch war die Runde nicht allzu groß. „Echt blöd, dass Florian nicht kommt. Mein Bruderherz hätte James doch mitbringen können“, hatte Juliane kurz geschmollt und sich dann über den restlichen Gugelhupf hergemacht. Katharina vermisste ihren Stiefsohn auch, dennoch war sie nicht sicher, ob sie seinen Freund ebenso herzlich begrüßt hätte. Auch Axel schwieg zu diesem Thema.

Juliane sah das lockerer. Sie hatte die beiden in London besucht und war voll des Lobes über Florians neuen Freund. „Eine Augenweide, echt schade, dass er nichts für uns Mädels übrig hat“, war alles, was sie dazu gesagt hatte.

Julianes Geburtstag fiel in diesem Jahr auf einen Mittwoch, also hatte sie beschlossen, mit ihrer Familie vor- und mit ihren Freunden nachzufeiern.

Katharina war es gewohnt, Gäste zu haben, dennoch war sie am Sonntagmorgen ganz froh, dass Juliane ihr Versprechen wahrgemacht hatte und schon früher gekommen war, um ihr bei den Vorbereitungen zu helfen. Während sie Erdäpfel schälte, plauderte sie munter drauf los, erzählte von ihren Recherchen zur Diplomarbeit, ihrer Freundin Sissy, die wieder einmal Liebeskummer hatte, und ihrem acht Wochen alten Patenkind, das unter Blähungen litt.

Wie sehr sie doch ihrem Vater gleicht, dachte Katharina. Auch Clemens hatte so blondes Haar und diese strahlenden, blaugrauen Augen. Und dann diese heitere Oberflächlichkeit, um die sie die beiden manchmal beneidete. An anderen Tagen konnte sie diese Art, die Dinge so zu nehmen, wie sie sich vordergründig darstellten, allerdings auch zur Weißglut bringen. Auch Julianes Ungeduld, wenn es darum ging, eintönige Arbeiten zu erledigen, wie beispielsweise Kartoffeln schälen, hatte sie von ihrem Vater geerbt. Normalerweise dauerte es nicht lange, bis Juliane sich vor solchen Dingen drückte.

So war es auch diesmal. Kaum war Axel mit Maria vom Bahnhof gekommen, wechselte sie auf die Terrasse, weil Axel angeblich ihren Beistand benötigte, um den Grill vorzubereiten. Katharina bezweifelte das zwar, aber Maria hatte sich ohnehin schon über die noch ungeschälten Erdäpfel hergemacht.

Neben Clemens, der wie immer zu spät kam, war noch Oma Inge gekommen, die, trotz ihrer achtzig Lenze und der Proteste der Familie, immer noch mit dem eigenen Wagen fuhr, und Axels Bruder Philipp mit seiner neuen Freundin.

Während Juliane ihre Geschenke auspackte, legte Axel die Lammkoteletts auf den Grill und nach wenigen Minuten zog ein herrlicher Duft von Holzkohle und gebratenem Fleisch über die Terrasse.

„Frische Ofenkartoffel, eigenhändig von mir geschält“, verkündete Juliane und bediente sich.

„Lammkoteletts sind auch schon fertig“, rief Axel und stellte gleich darauf eine Platte mit duftenden Koteletts auf den Tisch.

„Vergelt’s Gott“, sagte Maria und langte kräftig zu, während Phillips Freundin, eine schlanke Rothaarige mit Piepsstimme, verlauten ließ, dass sie keine toten Tiere esse.

„Macht nichts“, sagte Katharina, sind ja genug Salate da.

Clemens hatte keine derartigen Bedenken.

„Köstlich“, lobte er und zwinkerte Juliane zu. „Wirklich schade, dass du so selten Geburtstag hast. Niemand macht so herrliche Saucen wie deine Mutter.“

„Doch, ich“, erwiderte Juliane ungerührt. „Leider sind meine etwas kalorienreicher. Weißt du übrigens, dass Mama sich als Schwester des Papstes geoutet hat.“

Clemens ließ das Messer fallen. „Du hast was?“

„Liest du denn keine Zeitungen?“, fragte Katharina zurück.

Clemens bekam ein neues Messer und eine knappe Schilderung der Ereignisse.

„Aber im Vorjahr, bei seiner Amtseinführung, hast du doch alles daran gesetzt, die Verwandtschaft zu leugnen.“

„Ich kam gar nicht dazu, etwas zu leugnen, Leo hat uns einfach nicht eingeladen. Aber wenn ich gefragt werde, gibt es auch keinen Grund zu lügen. Was auch ganz sinnlos gewesen wäre, jeder halbwegs begabte Journalist würde so etwas blitzartig herausfinden.“

„Und wie kam der Reporter ausgerechnet jetzt auf dich?“

„Das wüsste ich allerdings auch gerne. Angeblich war es Zufall.“

„So etwas geht doch ganz easy, man braucht nur ein wenig zu googeln“, meinte Juliane und Maria sinnierte: „Sehr seltsam, diese neue Welt.“

„Gar nicht seltsam. Schau, Mama hat jetzt eine Website, wegen ihres Buches über diese Allergietherapie. Wenn du ihren Namen in eine Suchmaschine eingibst, erfährst du in wenigen Sekunden alles, was du wissen willst“, erklärte Juliane.

„Und da drinnen steht dann, dass der Heilige Vater ihr Bruder ist?“

„Das gerade nicht, aber mein Name, mein Alter und mein Geburtsort. Aus diesen Informationen hat das schlaue Bürschchen dann seine Schlüsse gezogen“, erläuterte Katharina, wenn sie sich auch selbst immer noch darüber wunderte.

„Dann werdet ihr bei seinem diesjährigen Besuch sicher groß im Bild sein“, sagte Clemens und wandte sich wieder seinem Kotelett zu.

„Kaum. Leo verlangt, dass ich alleine komme. Das kommt für mich natürlich nicht in Frage. Erst hat er Maria auf mich angesetzt, dann einen Bischofsvikar und zuletzt war sogar der Nuntius bei uns zu Gast.“

Clemens schien beeindruckt. „Um von dir zu verlangen, dass du lügst?“

„Anfangs ja. Allerdings hat er es vornehmer formuliert, aber nachdem er unsere Sichtweise kennen gelernt hat, hat er gemeint, er würde mit Leo sprechen.“

„Da wünsch ich ihm alles Gute“, nickte Clemens und hielt Axel sein leeres Bierglas entgegen. „Erstaunlich, dass die Presse das nicht breitgetreten hat.“

„Da hatten wir allerdings Glück. Just an dem Tag, an dem der Artikel erschienen ist, trat der Finanzminister zurück. Da hatten die Medien tagelang Wichtigeres zu berichten, dann kam das erste Sparpaket, dann die Sache mit Griechenland und dann ist die Geschichte im Sand verlaufen.“

„Trotzdem verstehe ich Leo nicht“, sinnierte Clemens.

„Du kennst ihn doch. Alles muss genau so sein, wie es immer schon war und wie er es sich vorstellt. Jedenfalls liegt es nun an ihm. Wenn er kommt, ist es uns recht, und wenn er uns einlädt, werden wir da sein. Wenn nicht, dann eben nicht“, sagte Katharina und warf einen Blick auf Maria, die gerade an einem Hühnerbein knabberte. Dann fiel ihr Blick auf Juliane. Das Kind war plötzlich so ruhig und ganz blass, sie würde doch hoffentlich nicht krank werden.

*

Am darauffolgenden Wochenende waren Katharina und Axel bei Freunden eingeladen. Als sie deren Wohnung knapp vor Mitternacht verließen, sagte Katharina: „Weißt du, was wir jetzt machen? Wir schauen auf einen Sprung bei Julianes Party vorbei.“

„Also, ich weiß nicht. Wir zwei, unter all dem jungen Gemüse?“

„Unsinn, komm schon, sei kein Spielverderber, nur auf ein Gläschen Sekt. Der Wein bei den Poldingers war ohnehin grauslich, ich habe kaum welchen getrunken.“

„Ich auch nicht“, gestand Axel, „dabei war er von einem ganz angesagten Winzer.“

„Teuer, aber schlecht. Also, ein Glas nur, abgemacht? Es ist doch gleich hier um die Ecke.“

Sie wusste, dass das nicht ganz stimmte, aber es war ein lauer Sommerabend und der Spaziergang würde ihnen guttun.

„Harrys Kneipe“ lag im Souterrain, doch da die Fenster weit geöffnet waren, drang laute Musik auf die Straße. Innen war es trotzdem heiß und stickig. Katharina wollte schon umkehren, doch dann erkannte sie Felix Winter, der mit einem Bierglas in der Hand an der Bar stand.

„Das ist doch dieser Reporter“, schrie sie Axel ins Ohr.

Axel fasste nach ihrer Hand und wollte sie nach draußen ziehen: „Lass uns daheim noch ein Glas trinken“, brüllte er zurück, doch sie steuerte auf Felix zu, der bei ihrem Anblick beinahe sein Bier verschüttet hätte.

„Was für ein Zufall“, säuselte sie süffisant.

„Ja, nicht wahr, ich bin … auch sehr erstaunt“, stammelte Felix.

„Woher kennen sie meine Tochter?“

„Ihre Tochter? … Ich weiß nicht … kenne ich sie?“

*

„Versuch erst gar nicht, mir einzureden, dass das alles nur ein dummer Zufall war“, herrschte Katharina Juliane tags darauf an.

„Warum sollte ich“, gab Juliane zurück. „Ist es ein Verbrechen, mit Felix Winter befreundet zu sein?“

Katharina kannte Julianes Talent, Gegenfragen zu stellen, die unweigerlich auf ein Nebengleis führten. Als Anwältin würde ihr das später einmal zugutekommen. Hier und heute fand Katharina es weniger angebracht. Sie würde sich jedenfalls nicht aufs Nebengleis führen lassen.

„Seit wann kennst du ihn?“

„Seit Silvester. Was willst du sonst noch wissen? Ob ich ihn geküsst habe? Ob ich mit ihm im Bett war?“

„Das ist deine Sache. Aber warum, zum Kuckuck, hast du ihn auf mich angesetzt?“

„Weil Felix eine Story brauchte - und zwar eine gute Story.“

„Und ich bin so eine gute Story?“

„Eine verdammt gute sogar. Außerdem ist dieses Versteckspiel um Onkel Leo doch sowieso abartig. Schließlich ist er der Papst, kein Massenmörder oder so.“

„Du weißt, warum wir den Kontakt abgebrochen haben.“

„Aber das sind doch alte Kamellen. Jede zweite Ehe wird heute geschieden und wahrscheinlich gibt es in der Zwischenzeit mehr uneheliche Kinder als eheliche.“

„Deine flammende Verteidigungsrede kannst du für deinen Onkel aufheben. Ich fürchte allerdings, für ihn wirst du sie ein wenig profunder anlegen müssen.“

„Kommt er denn?“, versuchte Juliane neuerlich das Thema abzubiegen.

„Bisher hat er sich nicht bei mir gemeldet. Von mir aus kann das gerne auch so bleiben.“

„Aber bei Omas Beerdigung habt ihr doch auch getan, als wäre nichts gewesen.“

„Hätten wir uns am offenen Grab duellieren sollen? Außerdem hat er Axel in einer Form geschnitten, die man nur als beleidigend empfinden konnte.“

„Ist mir nicht aufgefallen“, maulte Juliane.

Das mochte ja sein, Juliane war für feinere Zwischentöne manchmal erstaunlich unsensibel. Gereizt fuhr Katharina fort: „Aber dass er bei seiner Amtseinführung getan hat, als hätte er nur eine Schwester, das ist dir schon aufgefallen? Ich jedenfalls habe die Botschaft verstanden. Eine geschiedene Schwester mit einem unehelichen Kind ist für Leo XV nicht der passende Background. Aber du musstest die Sache ja aufrühren.“

Eine Weile herrschte Stille, Juliane schwieg aufmüpfig und auch Katharina hing ihren Gedanken nach, dann fragte sie: „Und wie soll es eurer Meinung nach jetzt weitergehen?“

„Bis jetzt hat die Geschichte doch noch gar nicht richtig gegriffen. Felix hatte ohnehin Probleme mit dem zuständigen Redakteur, weil er die Sache seiner Meinung nach vermasselt hatte. Er meinte jedoch, es wäre unklug, jetzt noch einmal nachzusetzen. Felix müsste warten, bis Onkel Leo kommt und erst dann …“

„Wie bitte? Du kannst deinem Felix ausrichten, dass es keine weitere Story geben wird und er soll mir in der nächsten Zeit gefälligst nicht in die Nähe kommen.“ Sie spürte, wie ihre Stimme laut und schrill geworden war. Ein Erbe ihrer Mutter, leider.

„Aber Mami! Das kannst du Felix nicht antun. Deinetwegen wird er noch seinen Job verlieren. Er hat doch nur einen befristeten Vertrag. Du musst uns einfach helfen.“

Katharina wollte schon zu einer geharnischten Gegenrede ansetzen, doch insgeheim musste sie zugeben, dass Felix’ Artikel wirklich sehr sachlich gewesen war. Kein Wunder, dass er seinem Chef nicht gefallen hat.

*

Kurz nachdem Juliane gegangen war, kam Axel von einem Besuch bei seiner Mutter zurück.

„Hat das arme Kind noch einen Kopf, oder hast du ihn ihr abgerissen?“

„Das nicht, aber zurechtgesetzt. Ich fasse es immer noch nicht. Sie verrät ihre eigene Mutter – einer Story wegen.“

„Verrat ist aber ein hartes Wort. Sie hat doch nur …“

„Ja, ja. Halt du ihr nur die Stange.“

„Sieh es doch als eine Möglichkeit, die Streitigkeiten mit Leo endlich zu begraben. Es ist doch alles so lange her und hat sich doch längst zum Besten gewendet.“ Dabei zog er sie an sich und küsste sie. Katharina ließ sich den Kuss gerne gefallen, doch dann machte sie sich frei und sagte: „Ja, ich weiß. Trotzdem hätte sie uns das ersparen können. Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir: Papst verzeiht der verlorenen Schwester.“

Als sie später beim Abendessen saßen, fragte Axel: „Weiß Juliane eigentlich die ganze Wahrheit?“

Sie schüttelte nur den Kopf.

„Vielleicht wäre jetzt der geeignete Zeitpunkt, ihr auch den Rest der Geschichte zu erzählen.“

Katharinas Geheimnis

Der Gedanke, Juliane alles zu erzählen, ließ Katharina in den nächsten Tagen nicht los und in den Nächten schlief sie schlecht. Plötzlich standen die Ereignisse von damals wieder ganz deutlich vor ihr.

Der Tag, an dem sie Clemens kennen gelernt hatte, sein Lachen, seine Fröhlichkeit, das erste Rendezvous, der erste Kuss. Sie war beinahe so alt gewesen wie Juliane heute, nur deutlich naiver und unerfahrener. Theoretisch wusste sie natürlich Bescheid, schließlich hatte sie schon einige Semester Medizin studiert, aber an praktischer Erfahrung mangelte es ihr. Über Sexualität war zu Hause nicht gesprochen worden und das Wort Liebe wurde nur in Verbindung mit der Liebe zu Gott, den Eltern und den Geschwistern erwähnt - genau in der Reihenfolge.

Clemens war ganz anders, er schien so frei und unbeschwert, sie hatte sich sofort in ihn verliebt. In den ersten Monaten hatte sie sich damit begnügt, ihn wie alle anderen von Weitem anzuschmachten, doch bald hatte sie bemerkt, dass auch er ihre Nähe suchte. Auch dann hatte es noch Monate gedauert, bis sie ein Liebespaar wurden – sie hatten sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Es folgten die Jahre der Heimlichkeiten. Natürlich hatten sie damit gehadert, dass sie ihre Liebe nicht offen leben durften, aber ebenso einig waren sie auch darüber gewesen, dass Clemens seinem Priesterberuf treu bleiben sollte.

Nur ihr Vater und ihre beste Freundin hatten von ihrer Liebe zu dem gutaussehenden, lebenslustigen Kaplan gewusst. Beide hatten geschwiegen.

Sie hatte ihr Studium beendet und sich mit aller Kraft, die die Liebe ihr verlieh, auf ihren Beruf konzentriert. Der Turnusplatz im nächstgelegenen Bezirkskrankenhaus war kein Problem gewesen, damals wollte sowieso keiner aufs Land. Danach wollte sie ihren Vater in seiner Landarztpraxis unterstützen und später seine Praxis übernehmen.

Alles war genau durchdacht. Clemens würde Kaplan bleiben und Katharina würde ihren Beruf haben und in seiner Nähe sein. Natürlich hatte sie die Pille genommen und einige Jahre war die Sache auch gut gegangen, aber dann brachen ihre Lebensmittelallergien aus, sie hatte ständig Durchfall – und eines Tages war sie schwanger gewesen.

Sie war geschockt, aber sie hatte keine Sekunde daran gezweifelt, dass Clemens zu ihr und dem Kind stehen würde. Anfangs hatte er das auch getan, doch dann war Leo auf der Bildfläche erschienen und hat alles zunichte gemacht.

Er hatte solange auf Clemens eingeredet, bis der sich Hals über Kopf in eine andere Diözese versetzen ließ - um Abstand zu gewinnen und um nachzudenken, wie er gesagt hatte. Sie war traurig gewesen, aber an seiner Liebe hatte sie nicht gezweifelt. Anfangs hatten sie mehrmals täglich telefoniert, einander Briefe geschrieben und sich ihrer Liebe versichert. Plötzlich war dann Gustav da gewesen. Er unterrichtete Deutsch und Geschichte an der hiesigen Hauptschule. Keiner wusste so genau, woher er kam.

Jung, sportlich und unkompliziert wie er war, hatte er ihr ein wenig den Hof gemacht und sie hatte es ihm mit warmer Zuneigung gedankt. Mehr war nie gewesen und niemand schien zu wissen, wie plötzlich das Gerücht aufkam, Gustav wäre der Vater ihres ungeborenen Kindes.

Als Juliane zur Welt kam, war Gustav der Erste an ihrer Seite gewesen, hatte einen großen Strauß roter Rosen gebracht, ihr einen Antrag gemacht und sie dazu gedrängt, ihn als Vater registrieren zu lassen, um Clemens zu schützen, wie er sagte, denn natürlich hatte er in der Zwischenzeit Bescheid gewusst.

Ihre Mutter, die ihr bis vor Kurzem noch prophezeit hatte, dass sie dafür, einen Priester verführt zu haben, eines Tages in der Hölle schmoren würde, plante voller Eifer die Hochzeitsfeier. Auch Maria redete auf sie ein, dieses Geschenk des Himmels doch anzunehmen, und Leo hatte nichts Eiligeres zu tun gehabt, als Clemens davon in Kenntnis zu setzen, dass er sich fortan mit voller Kraft seiner Berufung zuwenden könne, da Katharina, mit Gottes Hilfe, einen Mann gefunden habe, der sie liebte und versprochen hatte, die kleine Juliane wie sein eigenes Kind anzunehmen.

Als Clemens ihr daraufhin mit steifen Worten mitgeteilt hatte, dass er ihrem neuen Glück nicht im Wege stehen wolle, hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben keine Kraft gehabt, sich alldem zu widersetzen. Die Aufregungen während der Schwangerschaft, die schwere Geburt und die ungewohnte Mutterrolle hatten ihr alle Kraft und allen Mut geraubt.

Sie erinnerte sich kaum an Details dieser Tage, wusste nur, dass sie eines Tages vor dem Altar stand und gelobte, Gustav zu lieben, zu achten und zu ehren, bis das der Tode sie scheide. Von Clemens hatte sie nichts mehr gehört.

Gustav war kein schlechter Mensch gewesen, aber es hätte mehr als seiner guten Laune bedurft, um sie aus dem tiefen Loch zu holen, in das sie gefallen war.

Sie hatte das Baby und den Haushalt versorgt und manchmal sogar mit Gustav geschlafen. Als Juliane ein Jahr alt war, hatte sie ihre Tätigkeit als Ärztin wieder aufgenommen. Nach außen schienen sie eine ganz normale Familie zu sein.

Gustav hatte sich anfangs über ihre Lustlosigkeit beschwert, doch bald darauf schien er sein Glück anderswo gefunden zu haben. Ihr war es egal gewesen. Sie konnte und wollte ihn sowieso nicht lieben.

Die Sache eskalierte nach dem schweren Autounfall ihres Vaters. Als er nach mehreren Tagen erstmals wieder ansprechbar war, saß Katharina an seinem Bett. Er ahnte wohl, dass er die Unfallfolgen nicht überleben würde und fragte sie stöhnend, ob sie denn glücklich wäre.

„Ja“, hatte sie geantwortet. Ja, sie sei glücklich, dass er lebe. Aber das hatte ihr Vater nicht hören wollen. Stockend berichtete er ihr von einem Brief, den er für sie aufbewahrt hatte. Kurze Zeit später war er tot.

Katharina durchsuchte sein Arbeitszimmer, seine Ordination und fand letzten Endes im Handschuhfach des Autowracks die Kopie eines Briefes, in dem Leo Gustav versicherte, dass er Stillschweigen über eine Affäre bewahren würde, wenn Gustav seine Schwester heiraten und deren Kind als das seine annehmen würde.

Wie betäubt durchlebte sie diese Tage und am Abend nach dem Begräbnis ihres Vaters hatte sie die beiden zur Rede gestellt. Gustav hatte erst einen untauglichen Versuch unternommen, ihr Sand in die Augen zu streuen. Aber zu dem Zeitpunkt wusste sie bereits, dass er, bevor er nach Gmünd gekommen war, in jenem hochangesehenen katholischen Internat unterrichtet hatte, dem Leo vorgestanden war. Den Rest hatte Gustav dann bald gestanden. Er hatte eine Liebschaft mit einer Schülerin gehabt, deren Eltern sich davon wenig begeistert zeigten. Leo hatte ihnen versprochen, Gustav umgehend von der Schule zu entfernen, wenn sie von einer Veröffentlichung der Angelegenheit absahen.

Der Rest war für Leo ein Kinderspiel gewesen. Gustav hatte weder eine Anstellung noch die Hoffnung, seine Angebetete so bald wiederzusehen, denn die war von ihren Eltern eilends als Au-pair nach London geschickt worden. Katharina und Juliana waren sein einziger Ausweg gewesen.

An jenem Abend hatte Gustav zerknirscht zugegeben, dass er sich seit Kurzem wieder mit jener ehemaligen Schülerin traf, die immer noch seine große Liebe sei. Es täte ihm leid.

Leo gab zwar zu, seine Hände im Spiel gehabt zu haben, bereute es aber keineswegs. Vielmehr sagte er, dass es seine Pflicht als Priester und Bruder gewesen sei, sie alle vor der Sünde zu bewahren. Und es wäre nicht bloß eine lässliche Sünde, einen Priester zu verführen und ihm anschließend ein Kind unterjubeln zu wollen, denn dass sie das mit Absicht getan hatte, daran hegte er keinen Zweifel.

Daraufhin hatte sie ihm eine gescheuert und das Haus verlassen.

Wenige Wochen später war Leo in den Vatikan berufen worden. Sie hatte ihn erst zehn Jahre später wieder gesehen, beim Begräbnis ihrer Mutter.

In der Zwischenzeit hatte sich für sie und Juliane längst alles zum Besten gewendet und sie war bereit gewesen, den Streit zu beenden.

Aber Leo, mit seinen frommen Attitüden und seiner starren Förmlichkeit gegenüber Axel, hatte sie dermaßen auf die Palme gebracht, dass an Versöhnung nicht zu denken gewesen war.

*

„Und du hast von diesem Gustav nie wieder etwas gehört?“, fragte Juliane.

„Nicht nachdem wir geschieden waren“, antwortete Katharina. Sie hatte nach einigen schlaflosen Nächten beschlossen, Juliane endlich die ganze Geschichte zu erzählen. Nun nahm sie erleichtert einen Schluck Kaffee und schnitt sich ein Stück von der Topfentorte ab, die sie Juliane zuliebe gebacken hatte.

„Er hatte damals das Schuljahr noch zu Ende gebracht und war dann ausgezogen. Die Scheidung im beiderseitigen Einvernehmen war kein Problem gewesen und danach bin ich mit dir nach Wien gegangen. Das heißt, erst einmal haben wir bei Maria Zuflucht gesucht, die leitete damals schon den Kindergarten im Kloster Kreuzenstein, und die damalige Mutter Oberin, eine reizende alte Dame, hat uns erlaubt, vorerst im Kloster zu wohnen.“

„Daran erinnere ich mich noch. Es gab da diesen süßen alten Priester, der mich immer auf seinem Rücken reiten ließ.“

Katharina lächelte. Auch sie erinnerte sich noch gerne an Pater Boleslaus. Er war einer der wenigen gewesen, dem sie erzählt hatte, dass Juliane das Kind eines Priesters war.

„Als ich dann endlich einen Job ergatterte, gingen wir nach Wien. Im Krankenhaus gab es einen Betriebskindergarten und wir konnten im Schwesternheim wohnen. Mein Gott, war das eine mühselige Zeit gewesen. Ich hatte nur meine Arbeit und dich.“

„Genau in der Reihenfolge“, unterbrach Juliane lachend.

„Über die Reihenfolge habe ich eigentlich nie nachgedacht. Ja, und eines Tages wurde Axel eingeliefert, mit Verdacht auf Blinddarmentzündung, den Rest kennst du ja.“

„Schon komisch, dass ich mich an diesen Gustav überhaupt nicht mehr erinnern kann“, sinnierte Juliane.

„Du warst erst eineinhalb, als wir geschieden wurden, und ich habe damals in meiner Wut alle Fotos verbrannt. In solchen Sachen bin ich gründlich, du kennst mich ja.“

Juliane nickte inbrünstig. Vermutlich dachte sie auch gerade an die Aktion, als Katharina all ihre Sachen erst in einen Plastiksack und dann in die Mülltonne geworfen hatte, weil Juliane trotz mehrfacher Ermahnung ihr Zimmer nicht aufgeräumt hatte. Da auch Schulsachen und ihre Lieblingsklamotten betroffen waren, war Juliane nichts anderes übrig geblieben, als die Sachen aus dem Müll zu holen. Das war ihr zwar eine Lehre gewesen, aber ohne Axel wäre ihr Verhältnis heute möglicherweise …

„Aber auch Oma und Maria, haben nie über ihn gesprochen. Warum?“, unterbrach Juliane ihre Gedanken.

„Weil ich es so wollte. Ich wollte an diesen Betrug einfach nicht mehr erinnert werden. Obwohl ich heute vieles anders sehe. Gustav war kein schlechter Kerl, nur eben in eine andere verliebt.“

„Und Verliebte tun ja manchmal ganz besonders dumme Dinge“, meldete Axel sich zu Wort, der eben die Terrasse betreten hatte.

„Hallo, Paps. Du musst Mama nicht gleich wieder an meine Kurier-Aktion erinnern. Ich sehe ja in der Zwischenzeit ein, dass das nicht der ganz große Wurf war. Aber ihr seid auch selber schuld. Hätte ich gewusst, wie übel Onkel Leo Mama mitgespielt hatte, wäre das alles nicht passiert.“

„Und hättest du uns gesagt, wer Felix ist …“

„… hättest du ihm trotzdem kein Interview gegeben“, fiel Juliane ihrer Mutter ins Wort.

„Vermutlich“, gab Katharina zu und fragte Axel nach seinem Tennismatch.

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus

Sommerliche Hitze senkte sich über die Stadt und Katharina gratulierte sich wieder einmal zu ihrer nordseitig gelegenen Ordination. Trotzdem war es sehr warm und der Ventilator im Behandlungszimmer surrte schon ziemlich bedenklich. Vielleicht sollte sie doch über eine Klimaanlage nachdenken.

Während der Patient sich wieder ankleidete, setzte sie sich an den Computer und rief seine Patientenakte auf. Ein Klingelton zeigte an, dass eben eine neue E-Mail gekommen war. Automatisch wechselte sie das Programm.

Sieh an, Monsignore Rinaldo teilte ihr mit, dass Seine Heiligkeit ihre geschätzte Einladung zum Abendessen am Donnerstag, den 17. September leider nicht annehmen kann, sie jedoch im Gegenzug einlädt, gemeinsam mit ihrer Schwester Maria an dem privaten Empfang in der Nuntiatur teilzunehmen. Weiters wäre Seine Heiligkeit sehr erfreut, wenn sie zumindest an der Abschlussmesse im Stephansdom teilnehmen könnte.

Schweinebacke. Hatte sie nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie entweder mit Axel und Juliane oder gar nicht kommen würde?

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Patienten zu und dachte erst nach dem Abendessen wieder an das Mail.

„Aber so kommt Leo mir nicht davon. Ich werde einfach darauf bestehen, mit euch zu erscheinen“, sagte sie zu Axel.

„Du weißt aber schon, dass Juliane seit Kurzem gar nicht mehr so begeistert ist von deiner Idee. Und soweit es mich betrifft, ich kann ebenso gut auf ihn verzichten wie er auf mich.“

„Aber ich kann nicht auf dich verzichten.“

Katharina ließ den Chardonnay genüsslich durch die Kehle laufen.

Nach einigen weiteren Mails hatten sie sich darauf geeinigt, dass Katharina und Maria dem Empfang am Flughafen fernbleiben würden. Stattdessen waren die beiden Schwestern am Abend in die Nuntiatur eingeladen. Maria wollte zwar an der Messe im Stadion teilnehmen, würde aber offiziell nicht in Erscheinung treten. Den Freitagabend würde der Heilige Vater, ganz privat und nur von Monsignore Rinaldo begleitet, bei ihnen verbringen.

Zur Abschlussmesse im Stephansdom würde Katharina dann Axel und Juliane mitbringen, darauf hatte sie bestanden. Ob sie danach noch zur Abschiedszeremonie auf den Flughafen mitkommen würden, hatte sie offengelassen. Mal sehen, wie das alle so lief.

* * *

In der Zwischenzeit war es Mitte August geworden. Als Maria ins Kloster Kreuzenstein zurückkehrte, hoffte sie inständig, die ärgste Hitze würde vorbei sein.

Sie, der die Hitze schon als Kind nicht gut bekommen war, litt in ihrer Schwesterntracht Höllenqualen und war froh, die heißesten Tage bei Katharina in der Villa verbracht zu haben. Das ganze Haus war klimatisiert und dazu noch dieser herrliche Swimmingpool, den sie aber immer nur nachts benutzte, damit niemand sie sah. Tagsüber verließ sie das Haus bestenfalls in den Vormittagsstunden, um im Schatten des großen Nussbaumes zu sitzen und heimlich einen dieser spannenden Thriller zu lesen, die Axel in seinen Bücherregalen hatte.

Zu ihrer großen Erleichterung stand das Programm für Leos Besuch nun fest, die Streithähne hatten sich fürs Erste geeinigt, sie konnte sich vorerst wieder entspannen.

Aber die Nagelprobe kam erst noch. Vor allem der Freitagabend machte ihr Sorgen. Käthe würde sich mit ihrer Kritik an Rom sicher nicht zurückhalten, so viel war klar, und wie Leo darauf reagieren würde, daran wollte sie lieber gar nicht denken. „Ach Herr, schenke den beiden Sanftmut und Weisheit“, schickte sie rasch ein Stoßgebet zum Himmel, während sie ihre wenigen Habseligkeiten wieder in ihren Kasten räumte. Doch dann setzte sie mit leisem Vorwurf hinzu: „Aber du weißt ja selbst, was für spitze Zungen du ihnen verliehen hast.“

* * *

Während Katharina und Axel ein paar erholsame Urlaubstage am Fuschlsee verbrachten, erreichte Katharina die Nachricht des Bischofsvikars, sie möge sich wegen der geplanten Sicherheitsmaßnahmen mit ihm in Verbindung setzen.

„Was denn für Sicherheitsmaßnahmen? In unserem Haus wird ihn schon keiner umbringen“, sagte sie und durchsuchte die Handtasche nach ihrem Handy.

„Nun, von dir könnte natürlich schon eine gewisse Gefahr ausgehen“, neckte Axel und erntete dafür im Vorbeigehen einen Stups.

Als sie nach dem Telefonat auf die Terrasse kam, hatte sie rote Wangen und ließ sich erschöpft auf ihren Sessel fallen. „Du glaubst nicht, was das für ein Zirkus werden soll. Stell dir vor, sogar das Papamobil kommt mit nach Wien und Dr. Reuter meinte eben, sollte Leo im Papamobil von der Erzdiözese zu uns hinausfahren wollen, dann müssten noch sämtliche Zufahrtswege mit Absperrungen versehen werden, weil anzunehmen ist, dass die Menschen entlang des Weges stehen werden, um ihm zuzuwinken. Das ist doch total vertrottelt. Er ist doch nur der oberste Hirte - nicht der Herrgott persönlich!“

„Die Menschen würden auch dort stehen und winken, wenn die Queen oder irgendein Popstar dumm genug wären, die weite Strecke von der Innenstadt zu uns hinaus im Auto stehend zurückzulegen.“

„Du hast recht. Er wird in einem geschlossenen Wagen kommen. Gut so.“ Sie atmete tief durch. „Okay, dann hole ich mir jetzt etwas zu essen.“

Das Mittagsbuffet bestand aus kalten Speisen, Salaten, Suppen, Pastagerichten und einem Hühnerragout. Sie hatte Hühnerragout und Pasta auf Axels Teller gesehen. Typisch, dachte sie, während sie selbst ein Sülzchen vom Waller und etwas Salat wählte. Axel und Juliane wählten immer ganz automatisch die Dinge mit den meisten Kalorien.

Als sie an den Tisch zurückkam, winkte Axel mit der Zeitung. „Da ist was für dich. Ein genauer Schlachtplan, wann welche Straßenzüge gesperrt sein werden und welche Sicherheitsmaßnahmen die Besucher zu beachten haben.“

„Nach dem Essen“, sagte Katharina und nahm ihm die Zeitung aus der Hand.

„Jawohl, Frau Doktor“, murrte Axel.

Als sie später zur Rumingmühle spazierten, sagte sie: „Stell dir vor, die wollen unser Haus vor Leos Besuch sicherheitstechnisch überprüfen. Also ich hätte gute Lust, das ganze Theater abzublasen.“

„Das stelle ich mir eher schwierig vor.“

„Ich auch“, murmelte sie und hakte sich bei ihm ein.

*

„Also, ich komme gerne zu diesem privaten Abendessen, aber muss ich wirklich zum Abschlussgottesdienst gehen?“, murrte Juliane am Telefon. Katharina verdrehte genervt die Augen und ließ sich auf ihren Schreibtischsessel fallen. „Selbstverständlich musst du. Du weißt, wie lange ich darum gekämpft habe, dass Axel und du eingeladen werdet.“

„Und du weißt, dass wir das nie wollten. Ich hab’ auch gar nichts anzuziehen.“

„Armes Kind. Wie wär’s denn mit dem schwarzen Kostüm und der weißen Bluse?“

„Darin sehe ich aus wie Tante Maria“, schmollte Juliane.

„Und was ist mit dem dunkelblauen Blazer?“

„Der ist mir zu eng.“

„Sag ich dir nicht immer, du sollst nicht so viel Schokolade essen, das ist ungesund und schlecht für die Haut.“ Katharinas Ton war vorwurfsvoll, sie merkte es selbst. Hatte sie sich nicht vorgenommen, Juliane nicht länger wie einen unreifen Teenager zu behandeln? Aber das Kind machte es ihr wirklich nicht leicht. Gereizt sah sie auf die Uhr. „Mein Gott, schon so spät. Ich muss weitermachen, wir sehen uns dann am Sonntag zur Schlussbesprechung. Vergiss bitte nicht, Tante Maria abzuholen.“

„Aye, aye, Käpten“, spottete Juliane, dann war die Verbindung unterbrochen und Katharina rief den nächsten Patienten auf. Als sie sich später auf den Heimweg machte, überlegte sie zum x-ten Mal, was sie für den Besuch ihres Bruders kochen sollte. Man hatte ihr eine Liste jener Speisen zukommen lassen, die er bevorzugte. Auf der Liste befand sich so ziemlich nichts von dem, womit Katharina ihre Gäste gerne verwöhnte.

Da Axel kegeln war, machte sie sich nur ein Brot zurecht, schenkte sich ein Glas Rotwein ein und zog ihre Kochbücher zu Rate. Als er drei Stunden später heimkam, hatte sie das Menü endlich fertig.

„Hör zu, womit ich Seine Heiligkeit einkochen werde“, begrüßte sie ihn. „Klare Hühnersuppe mit Grießnockerl, eingemachtes Kalbfleisch mit Reis und zum Dessert eine Topfencreme.“

„Klingt ja aufregend. Ist dein Bruder magenkrank?“

„Scheint so“, antwortete Katharina und begab sich zu Bett.

„Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass Florian kommt?“, fragte Axel, als er ihr ins Schlafzimmer folgte.

„Nein, hast du nicht. Alleine?“

Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Diesmal bringt er seinen Freund mit. Katharina, mir fällt das auch nicht leicht, aber wir müssen uns dem stellen.“

„Weiß ich ja. Wann kommt er denn?“

„Zum Glück erst einen Tag nach dem heiligen Besuch.“

„Wenigstens etwas“, gähnte Katharina und knipste das Licht aus.

*

Tags darauf rief Maria an: „Käthe, es tut mir leid, aber ich kann am Sonntag nicht kommen. Die Mutter Oberin kann hier nicht auf mich verzichten.“

„Sei nicht albern, wir müssen alles noch einmal besprechen. Der Bischofsvikar kommt doch auch, sag ihr das.“

„Käthe, das habe ich schon, aber die Mutter sagt, es geht nicht an, dass ich jetzt, wo Leo kommt, andauernd weg bin und mich auch noch am Wochenende zuvor davonmache.“

Daher wehte der Wind. Katharina spürte Ärger in sich hochsteigen. Ärger über Maria, weil sie sich nie zur Wehr setzte, und Ärger über die Mutter Oberin, von der zwar allgemein behauptet wurde, sie käme mit den Menschen in ihrer Umgebung gut aus, aber Katharina hatte einmal mehr den Eindruck, dass dies vor allem darauf zurückzuführen war, dass sie stets im Vorhinein bedachte, wo Widerstand zu erwarten war und wo nicht.

„Es dürfte der Aufmerksamkeit deiner Mutter Oberin entgangen sein, dass dein Bruder der Papst ist. Du solltest das gelegentlich erwähnen. Oder kann es sein, dass sie eifersüchtig ist?“

„Das möchte ich so nicht sagen, aber ich glaube schon, dass sie gehofft hat, eine Einladung zu bekommen. Leider hat sie keine erhalten.“

Sie seufzte. „Hast du es Leo denn gesagt?“

„Seinem Sekretär, aber der scheint es vergessen zu haben, was ja auch kein Wunder wäre.“

Typisch, dachte Katharina, immer hat sie für jeden eine Entschuldigung parat, statt sich einmal um sich selbst zu sorgen. Natürlich war es kein Beinbruch, wenn Maria am Sonntag nicht kam, doch da sie wusste, wie wichtig Maria diese Familientreffen waren, antworte sie seufzend: „Also gut, dann besorge ich ihr eben eine. Ich werde gleich den Bischofsvikar anrufen, wir sehen uns dann wie vereinbart am Sonntag.“

* * *

„Aber nur, wenn …“, setzte Maria noch an, doch da hatte Katharina schon aufgelegt. Langsam legte sie den Hörer in die Halterung zurück. Sie bewunderte Käthe für ihre Kompromisslosigkeit und ihre Tatkraft ebenso, wie sie deren Folgen manchmal fürchtete. Natürlich wäre sie am Sonntag gerne dabei, schon allein, weil es bei Katharina immer so gemütlich war und so gut zu essen gab. Die Klosterküche war ja nicht übel, aber mit Katharinas Kochkünsten konnte sie nicht mithalten. Anderseits war es ihr unangenehm, wenn andere für sie intervenierten, nur weil sie zu feige war, für sich selbst einzustehen. Es war ja auch lachhaft, die Mutter Oberin war gute zehn Jahre jünger, dennoch fürchtete sie sie an manchen Tagen, wie sie einst ihre Mutter gefürchtet hatte, wenn sie wieder einmal eine Schularbeit vergeigt hatte.

Ach, warum hatte der Herrgott seine Gaben auch so ungleich verteilt? Sie wollte sich bestimmt nicht beschweren, aber ein wenig von der Durchsetzungskraft ihrer Geschwister hätte doch für sie auch abfallen können. Seufzend ging sie zurück in den Klostergarten.

Seine Heiligkeit, Leo XV

Katharina montierte eine passende Brosche am Revers ihres Hosenanzuges und wandte sich Axel zu.

„Wie findest du es?“

„Aufregend. Willst du den ehrwürdigen Nuntius um den Verstand bringen, oder hast du es auf Monsignore Rinaldo abgesehen?“

„Quatschkopf. Also, wünsch mir Glück.“

„Ich wünsch dir einen kühlen Kopf und einen schönen Abend. Toi, toi, toi“, sagte Axel und hauchte ihr einen Kuss auf die ihm dargebotene Wange.

„Dank dir. Ich weiß gar nicht, warum ich mich dazu hab’ überreden lassen.“

Während sie zu ihrem Wagen ging, überlegte sie, wie es zu diesem Arrangement gekommen war. Der Nuntius war wirklich ein kluger Vermittler gewesen. Maria hatte heute Nachmittag an dem Eröffnungs-Gottesdienst teilgenommen, allerdings inkognito. Offiziell würden sie in der Nuntiatur gemeinsam auf Leos Ankunft warten. Erst am Samstag, zur Abschlussmesse in den Dom, würden Axel und Juliane sie begleiten.

Doch wenn sie an das bevorstehende Zusammentreffen mit Leo dachte, spürte sie eine leichte Nervosität in sich aufsteigen. Zehn Jahre waren eine lange Zeit. Zumindest würde die formelle Umgebung heute Abend keine allzu privaten Gespräche aufkommen lassen.

Als sie die Nuntiatur betrat, kam Maria ihr schon aufgeregt entgegen und wie immer, wenn sie aufgeregt war, klang ihre Stimme schriller als sonst. „Hast du die vielen Menschen gesehen, die alle auf seine Ankunft warten. Und wir beide, werden mit ihm gemeinsam zu Abend essen.“

„Wir beide sind auch ziemlich verwandt mit ihm.“

Marias vertraute Schusseligkeit wirkte auf Katharina beruhigender, als jede Pille es vermocht hätte.

Maria kicherte. „Schon. Ach, wenn unsere Eltern das noch erleben könnten. Leo ist schon etwas ganz Besonderes. Du hättest ihn sehen müssen beim Eröffnungsgottesdienst. So erhaben, weise und …“

„Sag jetzt bloß nicht gütig. Leo war in seinem ganzen Leben noch nie gütig, daran wird sich wohl wenig geändert haben.“

„Pst“, zischte Maria, denn in diesem Moment betrat der Nuntius den Raum, gefolgt von einigen Männern in schlichten Soutanen und dahinter, im weißen Kleid, ihr Bruder, Papst Leo XV.

*

Leo war immer groß und schlank gewesen, jetzt erschien er Katharina fast dürr. Dass sein Haar schlohweiß geworden war, wusste sie aus dem Fernsehen, aber sein Gesicht gefiel ihr gar nicht. Nicht, weil er deutlich mehr Falten hatte als bei ihrer letzten Begegnung, aber er war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen.

Sie hatten genaue Anweisungen bekommen, wie sie den Heiligen Vater zu begrüßen hatten, und Maria küsste tatsächlichen erst seinen Ring, ehe sie ihn als Bruder willkommen hieß. Katharina hatte nicht gewusst, wie sie sich genau verhalten würde, doch jetzt ging sie auf ihn zu, gab ihm die Hand und sagte schlicht: „Servus Leo.“

Sollte das ein Fehler gewesen sein, so überging er ihn: „Katharina, schön, dich zu sehen.“

Ein junger Mann reichte Sektgläser herum, Leo nahm einen kleinen Schluck und verlangte nach einem Glas Wasser. Dann setzten sie sich zu Tisch. Offensichtlich hatte man auch hier seine Essenswünsche deponiert. Es gab eine klare Hühnersuppe mit dünnen Fadennudeln, die rascher vom Löffel schlüpften, als man sie auffangen konnte, danach Forelle blau mit Salzkartoffel und als Nachspeise wurden Obst und Käse gereicht.

Das Gespräch schleppte sich dahin. Der Nuntius hatte vorgeschlagen, die Geschwister später alleine zu lassen, doch dazu kam es nicht, denn kurz nach dem Essen erhob sich Leo. Er sei müde und freue sich, sie morgen wiederzusehen. Alle übrigen taten es ihm gleich und so waren Katharina und Maria kurz vor der ZIB 2 wieder zuhause. Maria würde in den nächsten Tagen der Einfachheit halber bei ihnen nächtigen.

„Wie war’s?“, fragte Axel.

„Ergreifend“, antwortete Maria selig lächelnd.

„Schlicht“, sagte Katharina und schlüpfte aus ihren hochhackigen Schuhen.

* * *

Als Maria am nächsten Morgen in die sonnige Wohnküche kam, war der Frühstückstisch bunt gedeckt und Axel presste Orangensaft. Es roch fantastisch nach frischem Kaffee. Natürlich gab es im Kloster auch Kaffee, aber der konnte sich mit dem hier nicht messen, wie sie aus Erfahrung wusste.

„Guten Morgen, ihr Lieben. Ach Käthe, du hast alles so schön hergerichtet und ich fürchte, ich kann gar nichts essen vor lauter Aufregung.“

„Doch, das kannst du“, antwortete Katharina. Ihr Ton war ruhig und sehr bestimmt, als ob sie mit einem zappeligen Kind sprechen würde, dachte Maria und setzte sich. Pflichtschuldig griff sie nach einer frischen Semmel.

„Na gut, einen Cappuccino vielleicht“, seufzte sie und überlegte, wie schön es wäre, wenn Käthe auch heute Vormittag mitkäme. Als die den dampfenden Kaffee mit dem herrlichen Milchschaum vor sie hinstellte, bettelte sie noch einmal: „Komm doch mit, ich helfe dir dafür anschließend in der Küche, dann geht sich für den Abend alles leicht aus.“

Natürlich ließ Käthe sich nicht umstimmen, sie hatte es ohnehin nicht erwartet.

„Ach Gott, ich bin so aufgeregt. Heute werde ich auch noch dem Herrn Bundespräsidenten und seiner Gattin vorgestellt. Habt ihr eine Ahnung, wie ich die beiden ansprechen soll?“

Axel zuckte die Schultern: „Sag einfach, Herr Präsident und gnädige Frau, da kann nicht viel falsch sein.“

Dann brachte er sie in die Nuntiatur, wo Monsignore Rinaldo, Leos Sekretär, sie bereits erwartete, um ihr mitzuteilen, dass Seine Heiligkeit sich etwas verspäten würde. Leo kam nur wenige Minuten später, er erschien ihr müde und blass. Hoffentlich war er nicht krank, doch vor allen anderen wollte sie ihn nicht fragen. Mit nur unbeträchtlicher Verzögerung kamen sie in die Präsidentschaftskanzlei. Maria fühlte sich so kribbelig, als müsste sie eine Prüfung ablegen. Wie gut, dass Käthe ihr nach dem Frühstück noch eine Baldriankapsel verabreicht hatte.

Obwohl sie sich so weit wie möglich im Hintergrund hielt, konnte sie es nicht verhindern, dem Präsidentenpaar vorgestellt zu werden. Zu ihrer großen Erleichterung zogen sich die Herren bald hinter die aus dem Fernsehen bekannte Tapetentür zurück und sie blieb mit der Frau des Präsidenten alleine, die sie bald in ein Gespräch über die Vorteile frisch getrockneter Kräuter bei der Behandlung leichter Befindlichkeitsstörungen gezogen hatte. Das entspannte Maria so sehr, dass ihr gar nicht auffiel, wie rasch die knappe Stunde vergangen war. Danach brachte man Leo in die Erzdiözese, während man sie in die Villa zurückfuhr. Sie hatte zwar gemeint, sie könne gut auch mit der U-Bahn fahren, aber niemand schien ihren Einwand auch nur im Entferntesten zu erwägen. Dabei wäre sie doch so gerne noch ein wenig in der Stadt geblieben. Aber niemand fragte danach und natürlich legte sie keinen Protest ein. So war sie knapp vor Mittag wieder in der Villa. Auch gut, dachte sie, wenigstens konnte sie Käthe noch bei den Vorbereitungen für den Abend zur Hand gehen.

* * *

Katharina lugte zum x-ten Mal durch den Vorhang. Die Ankunft Seiner Heiligkeit war für 19 Uhr angesetzt. Wie Axel richtig vermutet hatte, hatte er für die Fahrt nach Hietzing einen geschlossenen Wagen gewählt. Dennoch standen seit dem frühen Abend Schaulustige vor dem Haus und entlang der Straße. „Woher zum Kuckuck kennen die unsere Adresse? Die Presse hat doch über diesen Besuch kaum etwas veröffentlicht, nur dass es zu einer privaten Begegnung mit den Geschwistern kommen wird.“

„So etwas spricht sich immer irgendwie herum“, meinte Axel gelassen, während er die Clubkrawatte band, die Katharina ihm herausgelegt hatte.

„Hoffentlich legt sich das wieder. Nicht dass wir zukünftig als Touristenattraktion gelten.“

„Keine Angst, so interessant sind wir auch wieder nicht. Du wirst sehen, in einigen Wochen sind wir vergessen.“

„Sagtest du eben Wochen?“

Axel lächelte und drückte ihr im Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange: „Als Schwester des Papstes muss man eben Opfer bringen.“

„Gut, dass der Spuk morgen Abend vorbei ist. Maria hatte heute Mittag einen Blutdruck von 180 zu 95. Ich habe ihr Tropfen gegeben und sie ins Bett geschickt. Sie macht mich ohnehin verrückt mit ihrer Herumwuselei.“

„Und ich dachte, du liebst deine Schwester.“

„Ich liebe sie ja - wenn sie schläft.“

Es war vereinbart, dass der Heilige Vater nur von einem seiner persönlichen Sekretäre begleitet werden sollte. Vor dem Haus sollten jedoch zwei Bodyguards postiert werden. Eben fuhr ein schwarzer Mercedes vor. Katharina sah auf die Uhr. Halb sieben. Dem Auto entstiegen zwei Männer in dunklen Anzügen. Keiner unter eins neunzig, schätzte sie. Sie seien die Vorhut, erklärten sie, um die Ankunft des Heiligen Vaters abzusichern.

„Mein Gott, muss mein Bruder unbeliebt sein, wenn sie selbst hier und heute ein Attentat befürchten.“

„Verrückte gibt es immer und überall“, erklärte einer der beiden, wobei offenblieb, ob er das für einen Glücks- oder Unglücksfall hielt.

Sie ging ins Haus zurück und warf noch einmal einen Blick auf die Dekoration im Esszimmer. Der Tisch war für sechs Personen gedeckt.

„Hoffentlich kommt unsere Tochter nicht zu spät“, sagte Axel von der Tür her.

„Das würde ich nicht ausschließen“, entgegnete Katharina und rückte eine Menükarte zurecht. Sie hatte sich ausnahmsweise für dezente Farben entschieden. In der Mitte des runden Tisches stand ein Gesteck aus Lavendel, Kräutern und kleinen, weißen Margeriten, das edel, aber bescheiden wirkte, obwohl es sauteuer gewesen war. Die Tischdecke war lavendelfarben, dazu weiße, hübsch gefaltete Servietten, in denen ebenfalls ein Sträußchen von Lavendelblüten, Kräutern und Margeriten eingearbeitet worden waren. Sie hatte die Servietten dazu extra in die Blumenhandlung gebracht.

Aus der Küche hörte sie ein frommes Liedchen, weshalb sie beschloss, lieber noch einen Blick ins Bad zu werfen. Sie rückte unnützerweise die Gästehandtücher zurecht und ging im Geist noch einmal die Menüfolge durch. Suppe und Ragout waren fertig, Grießnockerl und Reis waren ebenso vorbereitet wie die Topfencreme und das Himbeermark, es gab absolut nichts mehr zu tun. Trotzdem flatterte Maria aufgeregt hin und her, als sie in die Küche kam.

Eben fuhr Juliane vor und wollte ihren Mini unter Missachtung des Halteverbots direkt vor dem Haus parken, was von einem der Bodyguards verhindert wurde, weil hier der Wagen des Heiligen Vaters halten würde. Katharina lächelte. Juliane kam in manchem mehr nach ihrem Vater, aber die Ignoranz gegenüber jeglicher Hierarchie hatte sie wohl von ihr. Juliane stieg wieder ein und parkte ihren Wagen einige Häuser weiter, ehe sie im Laufschritt zum Haus zurückkam. Axel bedeutete den Bodyguards, sie durchzulassen.

„Was ist denn hier los? Da sieht’s ja aus, als ob ein Terrorist zu Besuch käme. Ich dachte, der Papst ist in friedlicher Mission unterwegs.“

Sie erhielt keine Antwort, weil in dem Moment der Wagen mit dem Heiligen Vater vorfuhr. Die Menge jubelte, Leo winkte, stieg aus, winkte, segnete sie, ging zum Haus, winkte noch einmal und betrat die Villa, dicht gefolgt von Monsignore Rinaldo.

Katharina ging ihnen entgegen. „Willkommen in unserem Haus. Deinen Schwager und deine Nichte kennst du ja bereits. Monsignore, mein Mann Axel Bender und meine Tochter Juliane. Bitte, kommt weiter.“ Ihre Stimme schien gelassener zu klingen als sie sich fühlte und ihr Gang schien ihr selbst so aufrecht, als hätte sie einen Besen verschluckt, während Maria mit hochroten Wangen auf Leo zuflatterte.

Axel reichte Champagner. Leo nippte daran und bat um ein Glas Wasser.

„Mineralwasser?“, fragte Juliane.

„Leitungswasser. Wenn ich in Wien bin, trinke ich immer Leitungswasser.“

Juliane wollte scheinbar etwas erwidern, überlegte es sich jedoch und ging in die Küche, um das Gewünschte zu holen. Einen Moment herrschte unangenehme Stille, ehe Maria besorgt fragte: „Hattest du einen anstrengenden Tag? Du siehst müde aus.“

„Danke. Wir hatten in der Tat einige anstrengende, wenn auch sehr interessante Gespräche.“

„Vor allem das mit unserem Bundespräsidenten stelle ich mir interessant vor, so viel man hört ist er Agnostiker“, warf Katharina ein.

„Wir sprachen über Geschichte und über das Wetter“, antwortete Leo salbungsvoll.

„Wie aufschlussreich“, entgegnete Katharina, dann bat sie zu Tisch.

Maria wollte schon in die Küche eilen, aber Katharina drückte sie auf den nächstbesten Sessel: „Juliane wird mir helfen, du bleibst sitzen.“

* * *

Maria hätte nur zu gerne in der Küche geholfen, schon allein deshalb, weil die Stimmung im Esszimmer so frostig war. Käthe benahm sich, als hätte sie einen Fremden zu Gast, wobei ihr Ton Monsignore Rinaldo gegenüber geradezu familiär war. Wenn sie hingegen mit Leo sprach, nahm ihr Gesicht einen hochmütigen Ausdruck an, fand Maria. Anderseits bewunderte sie sie für ihre weltmännische Art. Sagte man eigentlich weltmännisch, wenn man von einer Dame sprach? Ach, es gab so vieles, das sie nicht wusste. Sie hätte gerne dazu beigetragen, die Stimmung etwas aufzulockern, aber wie immer, wenn sie sich besonders bemühte, fiel ihr nichts ein, was sie hätte sagen können.

Auch Juliane versuchte mehrfach ein familiäres Gespräch in Gang zu setzen, doch Leos Antworten blieben einsilbig und Axel sprach überhaupt nur, wenn er Getränke anbot. Er pries Weiß- und Rotwein an und hätte wohl auch einiges über die Weine zu erzählen gehabt, wie Maria wusste, aber Leo trank Wasser und der Monsignore ein Glas Bier.

Das Essen war geschmackvoll und gut, wie alles, was Katharina kochte. Monsignore Rinaldo war voll des Lobes und ließ sich auch gerne nachgeben, Leo hingegen aß nur sehr wenig.

„Schmeckt es dir nicht?“, fragte Käthe eben. „Es ist ein Rezept unserer Mutter, wenn du dich vielleicht noch erinnern kannst.“

„Ach ja?“, erwiderte er höflich, aber es klang uninteressiert.

Käthe fixierte ihn: „Dein Koch muss wirklich Freude an seinem Beruf haben.“

„Er kocht nicht für mich alleine. Ich nehme meine Mahlzeiten immer im Kreise einiger Mitarbeiter ein. Ich frühstücke mit den Schwestern, die mir den Haushalt führen, nehme das Mittagessen meist mit einigen Kardinälen und das Abendessen mit meinen Sekretären ein.“

„Die Armen. Dein Speiseplan scheint ziemlich eintönig zu sein“, entgegnete Käthe.

Leo gab darauf keine Antwort, doch Monsignore Rinaldo sprang für ihn in die Bresche. „Seine Heiligkeit hat im Moment …“, er errötete, fuhr aber stockend weiter, „einige … Unpässlichkeiten … der Magen.“ Und mit einem Blick auf Leo: „Verzeihen Sie, Heiligkeit.“

Leo nickte, wohl um anzudeuten, dass er ihm verzieh. Er tat es sehr würdevoll.

„Eine Magenverstimmung. Wie lange schon?“, fragte Käthe.

„Seit Ostern. Vielleicht könnten wir das Thema wechseln.“

„Das könnten wir“, entgegnete Käthe. Sogar Maria merkte den Sarkasmus in ihrer Stimme, „aber lass dir zuerst sagen: keine Magenverstimmung dauert ein halbes Jahr. Ich hoffe, du bist in Behandlung.“

Er nickte: „Selbstverständlich.“

„Der Leibarzt seiner Heiligkeit wäre auch mit uns gereist, leider ist er selbst erkrankt“, setzte der Monsignore hinzu.

„Wie unangenehm für den Herrn Kollegen. Allerdings scheint er auch bisher nicht sonderlich erfolgreich gewesen zu sein“, antwortete Käthe und ignorierte Marias flehentliche Blicke ebenso wie Axel, der etwas vor sich hin murmelte. Was genau, hatte Maria nicht verstanden.

„Wärst du in Rom, hätte ich natürlich dich konsultiert“, versuchte es Leo mit einem Anflug von säuerlichem Humor.

„Wenn du möchtest, kann ich ja mit ihm reden“, bot Käthe an. Aber Leo winkte ab: „Danke, aber das wird nicht nötig sein.“

„Wie du meinst. Darf ich jetzt den Nachtisch servieren?“

Eine höfliche Frage, nur dass sie in Marias Ohren wie eine Kriegserklärung klang.

* * *

Leo verabschiedete sich gegen zehn Uhr. Immer noch harrten ein paar Unentwegte in der Nähe des Hauses aus, um einen Blick auf ihn zu erhaschen.

„Was für ein Aufwand, für drei Stunden angestrengter Konversation“, seufzte Katharina, als der Wagen außer Sichtweite war, und tauschte ihre eleganten, aber unbequemen Pumps gegen bequeme Pantoffel.

„Lass uns noch ein Glas auf den armen Teufel trinken“, meinte Axel. Maria riss entsetzt die Augen auf: „Axel, um der Liebe Christi willen, wie sprichst du von unserem Heiligen Vater?“

„Verzeih, Maria. Ich wollte weder dich noch ihn verletzen, aber sieh ihn dir doch an. Findest du, er sieht glücklich aus?“

„Er sieht aus wie eine kostümierte Marionette mit Magenschmerzen“, ergänzte Katharina und hielt Axel ihr Glas entgegen. Maria bekreuzigte sich. „Also ich gehe jetzt zu Bett – und werde für euch beten.“

„Ja, tu das, und nimm noch eine von den Baldrianperlen, die ich dir auf den Nachttisch gelegt habe. Morgen ist noch ein anstrengender Tag für dich.“

Als Maria gegangen war, prostete sie Axel zu und sagte: „Magenschmerzen, seit Monaten, und keine Diagnose? Es würde mich nicht wundern, wenn er eine ganze Reihe von Lebensmittelallergien hätte.“

Montezumas Rache

Katharina liebte es, am Samstagmorgen länger zu schlafen und ausgiebig zu frühstücken. Doch bereits um sieben Uhr früh läutete das Telefon. Sie versuchte es erst zu ignorieren und zog die Decke über den Kopf, aber nach dem x-ten Läuten hob Axel doch ab. Sie hörte ihn nur ein paar kurze Worte sagen, was genau, konnte sie nicht verstehen. Wenige Sekunden später steckte er den Kopf ins Zimmer.

„Du sollst dringend in die Nuntiatur kommen, deinem Bruder geht es nicht gut.“

Jetzt war Katharina hellwach: „Was hat er denn?“

„Das hat mir der Monsignore nicht verraten. Nur, dass er eine schlimme Nacht gehabt hätte und dich bittet, sofort zu kommen, denn in zwei Stunden müssen sie nach Mariazell aufbrechen.“

„Wenn er nach Mariazell will, kann es ihm ja nicht so schlecht gehen“, maulte Katharina auf dem Weg ins Bad.

Fünfzehn Minuten später saß sie im Auto. Der Samstag-Morgen-Verkehr ließ eine flottere Fahrweise zu und als sie zur Nuntiatur kam, stand schon ein junger Pater bereit, der sich um ihren Wagen kümmerte, ein zweiter führte sie in einen Warteraum und ersuchte sie Platz zu nehmen. Kaum eine Minute später kam Monsignore Rinaldo. Er schien besorgt und brachte sie umgehend zu Leo. Auf dem Weg durch die Gänge der Nuntiatur berichtete er, dass seine Heiligkeit schon die ganze Nacht unter Übelkeit leide. Trotzdem beabsichtige er das vorgesehene Programm durchzuziehen. Leider sei dem Heiligen Vater nach der Morgentoilette schwindelig geworden, da habe er ihn ersucht, nach ihr zu rufen.

Leo lag vollständig bekleidet auf einer Couch und hatte die Augen geschlossen. Katharina zog einen Stuhl heran.

„Wie geht es dir jetzt?“

„Etwas besser. Ich brauche nur etwas für den Kreislauf.“

Darauf ging sie nicht ein.

„Besser als wann?“, fragte sie stattdessen. „Besser als gestern, besser als in der Nacht oder besser als während der Morgentoilette?“

„Schlechter als gestern, aber besser als heute Nacht.“

Katharina hatte zwischenzeitlich den Blutdruckmesser ausgepackt. Der Blutdruck war zu niedrig, der Puls erhöht, aber regelmäßig. Sie legte ihre Hand auf seine Stirn.

„Fieber hast du keines. Hast du erbrochen?“

Er nickte.

„Hast du das öfter?“

„Seit Ostern, sagte ich doch.“

„Führt jemand ein Ernährungstagebuch für dich?“

„Ich glaube nicht und wenn, habe ich keine Ahnung davon.“

„Was hat dein Dottore denn bisher festgestellt?“

„Er vermutet ein nervöses Magenleiden und schließt dies aus dem Umstand, dass alle durchgeführten Untersuchungen negativ waren.“

„Welche Untersuchungen?“

„Käthe, bitte. Wir müssen in einer Stunde los. Gib mir etwas für den Kreislauf und etwas gegen die Diarrhö. Wenn mein Leibarzt trotz aller Untersuchungen seit einem halben Jahr nicht dahintergekommen ist, wirst du es wohl in der kurzen Zeit auch nicht schaffen.“

„Ich darf dich daran erinnern, dass du nach mir gerufen hast. Jetzt bin ich da. Streck bitte deinen rechten Arm hoch und versuche meinen Druck standzuhalten.“

„Warum?“

„Tu’s einfach.“

Leo verdrehte die Augen und seufzte abgrundtief, dann folgte er ihrer Anweisung.

„Denk bitte an die Hühnersuppe, die wir gestern Abend gegessen haben.“

„Käthe, bitte, ich sage doch nicht, dass es an deinem Essen gelegen hat.“

„Du sollst an Hühnersuppe denken.“

Er schwieg, sie drückte gegen den Arm, er hielt dem Druck stand.

„Na bitte, geht doch. Jetzt denk bitte an die Grießnockerl.“

Diesmal drückte sie seinen Arm nieder.

„Entschuldige, ich war unkonzentriert.“

„Du warst nicht unkonzentriert, du hast die Grießnockerl nicht vertragen. So jetzt der Reihe nach: Grieß … okay, Eier“, sein Arm ging nach unten.

„Merk dir einmal die Eier. Schnittlauch … okay … Butter“, wieder drückte sie seinen Arm nach unten.

„Butter also auch nicht, dacht’ ich mir’s doch.“

„Was ist denn das für ein Unsinn“, polterte seine Heiligkeit.

„Das ist kein Unsinn, das ist ein kinesiologischer Muskelreaktionstest, der mir anzeigt, welche Lebensmittel du verträgst und welche nicht. Weiter im Text: Kalbfleisch … okay … Karotten … okay … Obers“, wieder ging der Arm nach unten.

Katharina setzte sich wieder und kramte in ihrer Ärztetasche.

„Ich weiß natürlich noch nicht, was dir sonst noch fehlt, aber jedenfalls hast du eine Allergie oder Unverträglichkeit gegen Eier und Milchprodukte. Hast du heute schon etwas gegessen?“

Er schüttelte den Kopf.

„Gut so. Dann nimm jetzt bitte diese grüne Kapsel für den Kreislauf und zwei von diesen grauen zur Beruhigung des Darms.“

Gehorsam schluckte er die Kapseln und wollte aufstehen.

„Nein, bleib bitte noch ein paar Minuten liegen und streck bitte noch einmal deinen Arm aus.“

Diesmal tat er es kommentarlos und sie wiederholte die Prozedur. Sie fragte nach Schwarztee und Semmeln. In beiden Fällen konnte er dem Druck ihrer Hand standhalten.

Dann wandte sie sich an den Monsignore: „Könnten Sie Ihrem Chef vielleicht eine Kanne Schwarztee und eine Semmel organisieren. Mehr gibt es heute leider nicht zum Frühstück.“

Der Monsignore eilte davon und sie wandte sich wieder an Leo:

„Dazu nimmst du dann noch fünf von diesen Globuli, die sollten dich ein wenig aufbauen und weitere Übelkeit verhindern. Knapp vor Mariazell nimmst du noch eine von den grünen und zwei von den grauen Kapseln. Wenn du während der Fahrt noch drei Akupunkturpunkte bearbeitest, die ich dir gleich zeigen werde, solltest du für heute über die Runden kommen. Morgen könnten wir einen großen Test machen, dann wissen wir zumindest, was du unbedenklich essen kannst.“

„Wie du weißt, fliege ich heute Abend zurück.“

„Nicht, wenn dir deine Gesundheit lieb ist.“

„Du bist schließlich nicht die einzige Ärztin auf der Welt.“

„Das nicht, aber eine der wenigen in Europa, die sich mit NAET beschäftigt.“

„Und was soll das sein?“

„Eine Methode zur Bekämpfung von Allergien und Unverträglichkeiten.“

Sie berichtete in raschen Worten, dass diese Methode darauf beruhte, mithilfe von Akupressur das Gehirn dazu zu bringen, Stoffe, die an sich gesund waren, wieder so zu verarbeiten, dass sie dem Körper von Nutzen waren und ihn nicht weiter belasteten.

In der Zwischenzeit war der Monsignore zurückgekehrt, hinter ihm trat ein älterer Mann ins Zimmer, der ein Tablett mit einer Kanne Tee, zwei Tassen und zwei Semmeln trug. Er stellte das Tablett umständlich ab, verbeugte sich mehrfach und ging rückwärts zur Tür hinaus. Katharina musste über so viel Untertänigkeit lächeln, verkniff sich jedoch ausnahmsweise eine Bemerkung.

„Wie dem auch sei“, nahm Leo das Gespräch wieder auf, „es geht nicht. Ich muss in den Vatikan zurückkehren“, sagte er mit so viel Würde, wie er unter den gegebenen Umständen aufbringen konnte.

„Wie wichtig ihr euch nehmt, in eurem Eintausend-Einwohner-Staat. Mein Gott, Leo, die werden doch ein paar Tage ohne dich auskommen. Und auf dem Balkon bist du so weit weg von den Menschen, du könntest dich glatt doubeln lassen.“

Leo warf ihr einen bösen Blick zu.

„Ein Papst, der wegen so einer Lächerlichkeit wie Diarrhö ausfällt“, er versuchte ein Lachen, „das ist einfach undenkbar.“

„Leider hat es der liebe Gott verabsäumt, für Päpste ein eigenes Stoffwechselprogramm zu entwerfen, deshalb gibt es Übelkeit und Durchfall jetzt auch für Päpste.“ Sie packte demonstrativ ihre Sachen zusammen. „Was glaubst du eigentlich, wie lange du in deinem Zustand dein Amt noch vernünftig ausüben kannst?“

Sein Blick schien erschrocken.

Jetzt hatte sie ihn gepackt. Leo war ein Machtmensch, immer gewesen, sie wusste es. Er war jetzt am Gipfel angekommen, das würde er nicht leichtfertig aufs Spiel setzen wollen.

Tatsächlich schien er umzuschwenken.

„Natürlich wäre ich froh, diese ständige Übelkeit loszuwerden. Es ist nicht einfach, mein Amt unter diesen Umständen auszuüben. Aber wie stellst du dir das vor? Der Bundespräsident wird ebenso zu meiner Verabschiedung erwartet wie der Kardinal, von tausenden Schaulustigen gar nicht zu reden. Ich muss einfach abreisen.“

„Verzeihung, Heiligkeit, wenn ich mich einmische“, meldete sich der Monsignore aus der zweiten Reihe. „Es wäre natürlich erfreulich, wenn es Ihnen gelänge, die Erwartungen der Menschen an diesem heutigen Tage zu erfüllen, falls Sie sich dazu in der Lage sehen. Ich glaube auch, es wäre günstig, in das Flugzeug zu steigen, und wahrscheinlich sollten sie sogar abfliegen, aber vielleicht könnte der Pilot Sie wieder zurückbringen. Sie könnten das Flugzeug später inkognito verlassen. Wenn Eure Heiligkeit das wünschen, werde ich versuchen, es zu organisieren.“

„Inkognito? In meiner weißen Soutane.“

„Verzeihung Heiligkeit, aber ich dachte eher an meinen schwarzen Anzug.“

„Und meine Termine? Das Angelusgebet, die Generalaudienz, mein Kalender ist voll.“

„Es wird seiner Eminenz, dem Kardinal-Staatssekretär, eine Ehre sein, Sie zu vertreten, wie er es in den letzten Wochen, wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf, bereits öfter tun musste.“

Leo schien darüber nachzudenken, dann wandte er sich an Katharina: „Wie lange würdest du brauchen, um diese, äh, Unverträglichkeiten zu beseitigen?“

„Schwer zu sagen, nach dem Test wissen wir mehr. Wir könnten morgen beginnen. In zwei, drei Wochen sollten wir zumindest die wichtigsten Stoffe behandelt haben. Im Anschluss an jede Behandlung ist eine 25-stündige Karenz einzuhalten. Wenn du ständig unter meiner Beobachtung wärst, könnte ich immer wieder testen, ob die Behandlung anschlägt, um sie notfalls schon früher zu wiederholen. So sparen wir Zeit.“

„Soll ich die Nuntiatur verständigen, dass Seine Heiligkeit den Aufenthalt verlängern werden?“, fragte der Monsignore diensteifrig.

„Mein Bruder wird bei mir wohnen.“

„Aber das Protokoll verlangt …“

„Seine Heiligkeit wird inkognito sein. Dafür gibt es vermutlich nicht einmal im Vatikan ein passendes Protokoll.“

*

Schon auf dem Heimweg haderte sie mit sich: Worauf hatte sie sich da nur eingelassen? Sie war mit Leo noch nie besonders gut ausgekommen, schon gar nicht auf längere Zeit, und jetzt würde er ihr tagelang im Nacken sitzen.

Als sie nach Hause kam, saß Axel in der Küche und las die Sonntagszeitung. Ihr Frühstücksplatz war gedeckt.

„Na, wie geht es ihm?“

„Wie ich es vermutet habe. Er verträgt weder Milchprodukte noch Eier und das gestrige Abendessen war voll davon.“

„Aber du hast dich doch genau an die Vorgaben seines Arztes gehalten.“

„Ein Quacksalber, der an Nahrungsmittelallergien überhaupt nicht gedacht hat. Der Speiseplan bestand einfach aus Diätkost, wie man sie jemandem verordnet, der an Gastritis leidet. Dafür hat Leo schon jede Menge Untersuchungen hinter sich: Magenspiegelung, Darmspiegelung, das volle Programm. Hör zu, ich werde ihn behandeln und er wird für die Dauer der Behandlung bei uns wohnen.“

Während sie sich einen Capuccino machte, erzählte sie, was sie ausgeheckt hatten. „Es ist dir doch hoffentlich recht?“, beendete sie ihre Erzählung.

Axel zuckte die Schultern, begeistert sah er nicht aus.

„Du hast aber nicht vergessen, dass Florian und James am Montag kommen?“

Katharina ließ sich auf den nächsten Sessel fallen und schlug mit der flachen Hand gegen die Stirn: „Das habe ich total vergessen. Scheibenkleister. Daran habe ich überhaupt nicht gedacht.“ Sie atmete tief durch, dann stand sie auf: „Egal, da muss er jetzt durch, und wir auch.“

„Vielleicht könnten wir Florian und James getrennt unterbringen“, überlegte Axel.

„Du meinst Florian hier und James im Hotel?“ Einen Moment lang schien ihr das verlockend, doch dann sagte sie: „Nein, das werden wir nicht tun. Wie hast du letzthin gesagt: Wir müssen uns der Sache stellen. Das hier wird die beste Gelegenheit.“

Alltag mit Seiner Heiligkeit

Gegen einundzwanzig Uhr war das Flugzeug mit dem Papst an Bord in Schwechat gestartet, knapp nach Mitternacht stieg Leo in Hietzing aus dem Taxi. Axel ging dem späten Besucher entgegen und kam gerade zurecht, als der Taxifahrer rief: „He, Sie da! Was ist mit zahlen?“

„Ach ja, entschuldigen Sie, ich bin es nicht gewohnt …“, stotterte Seine Heiligkeit.

„Ich erledige das“, kam Axel ihm zu Hilfe und zückte seine Geldbörse.

Katharina, die die Szene vom Fenster aus beobachtet hatte, schüttelte den Kopf und ging ihrem Bruder entgegen: „Wie siehst du denn aus?“, entfuhr es ihr, als sie ihn genauer ansah. Er sah an sich herab: „Monsignore Rinaldo ist eben etwas kleiner und fülliger als ich.“

„Hattest du denn keinen Anzug dabei?“

„Ich trage doch immer meine weiße Soutane“, entgegnete er steif.

Das kann ja heiter werden, dachte Katharina. Nun gut, sie hatte sich das eingebrockt, also würde sie es auch auslöffeln und sie würde versuchen das Beste daraus zu machen. Also begann sie erstmal mit positivem Zuspruch: „Du hast dich heute übrigens gut gehalten, das muss doch wahnsinnig anstrengend für dich gewesen sein.“

„Mit Disziplin ist eben vieles möglich“, entgegnete er mit hoheitsvoller Miene. Schon schwanden ihre guten Vorsätze. Sie zog eine Augenbraue hoch und bemühte sich um einen ebenso hoheitsvollen Ton, als sie antwortete: „Und ich dachte schon, die Medikamente hätten die Sache begünstigt.“

Er zögerte einen Moment: „Mag sein.“ Dann wünschte er ihnen eine gesegnete Nachtruhe und schritt erhobenen Hauptes die Treppe hinauf.

Katharina hatte das Gästezimmer für ihn vorbereitet, in dem Maria gewohnt hatte. Das Zimmer verfügte über Bad und Toilette.

„Wie lange, hast du gesagt, bleibt er?“, fragte Axel, nachdem Leo in seinem Zimmer verschwunden war.

„Keine Ahnung, aber ich werde alles tun, um seinen Aufenthalt so kurz wie möglich zu halten, das kannst du mir glauben.“

*

Der Test ergab, dass Leo außer auf Fleisch, Pute, Fisch, Salz und Hefe auf so ziemlich alles mit einem schwachen Testmuskel reagierte, was bedeutete, dass sein Körper diese Stoffe, infolge einer Allergie oder Unverträglichkeit, nicht richtig verarbeiten konnte.

„Das ist doch Unfug. Es gab immer wieder Tage, an denen es mir gut ging.“

„Natürlich gab es die. Ich habe vorerst nur die Produktgruppen getestet. Nimm beispielsweise das Getreide. Damit hast du laut Test ein Problem. Es kann aber sein, dass du einzelne Getreidesorten gut verträgst, das stellen wir später fest.“

„Wann später?“

„Wir behandeln vorerst das Ei und die Milchprodukte. Danach testen wir, was du sonst noch verträgst, und erstellen eine Liste der geeigneten Lebensmittel.“

„Gut, dann bin ich in zwei, drei Tagen wieder im Vatikan.“

„Unwahrscheinlich. Da müsste dein Chef schon ziemlich direkt eingreifen, aber bis dato hat er sich auffallend zurückgehalten. Deswegen beginnen wir jetzt mit der Grundbehandlung. Bitte tief einatmen.“

„Nicht bevor du mir sagst, wie lange ich bleiben muss, falls ich mich auf diese sogenannte ‚Behandlung’ überhaupt einlasse.“ Er hatte dem Wort Behandlung eine besondere Betonung gegeben, aber sie ging nicht darauf ein. Stattdessen fragte sie: „Warum hast du es denn so eilig, in dein nobles Gefängnis zurückzukommen? Sei doch froh, wenn du ein paar Tage ausspannen kannst, dein Körper hat es wirklich nötig. Hast du denn kein Vertrauen in deinen Vertreter?“

„Der Kardinal-Staatsekretär galt als einer der hoffnungsvollsten Anwärter auf den Heiligen Stuhl. Er zählt nicht gerade zu meinen besten Freunden.“

„Wie alt ist er?“

„Zweiundsiebzig.“

„Zehn Jahre älter? Dumm gelaufen für den Herrn Kardinal-Staatssekretär, wenn ich dich jetzt wieder fit mache, wird das wohl nichts mehr werden. Wobei ich die lebenslängliche Wahl an sich für ein Unding und einen Anachronismus sondergleichen halte.“

„Was verstehst du schon von der Kraft der göttlichen Autorität, die mit dem Apostolischen Stuhl verbunden ist. Erspar mir also bitte deine Weisheiten.“

Darauf hätte sie manches zu erwidern gehabt, doch sie sagte nur: „Dann atme gefälligst ein!“

*

Auf dem Heimweg aus der Praxis fragte Leo: „Wie bist du auf diese … äh … Methode gekommen?“

„Ich hatte selbst etliche Allergien. Es hat schon begonnen, als ich noch meinen Turnus gemacht habe. Erst dachte ich, es wäre irgendein Krankenhauskeim. Es hat eine Zeit gedauert, bis ich verstanden habe, dass es sich um Allergien und Unverträglichkeiten handelt. Aber dann war mir immer noch nicht geholfen, denn außer ‚weglassen’ fällt der Schulmedizin ja nichts ein. Es hat dann noch Jahre gedauert, bis ich durch Zufall auf diese Methode gestoßen bin.“

Als sie wenig später ihren Wagen vor der Villa parkte, sagte sie ziemlich beiläufig: „Übrigens, Axels Sohn, Florian, kommt morgen. Er studiert seit Feber in London und bringt einen Freund mit.“

„Wie schön für deinen Mann.“

„Nicht nur für ihn. Juliane und ich freuen uns auch auf Florian. Noch etwas: Mein Mann ist dein Schwager und da du für die nächsten Tage unter unserem Dach wohnen wirst, darf ich dich bitten, ihm auch so zu begegnen - und nicht wie einem deiner Lakaien.“

„Sind wir nicht alle Diener?“, fragte Leo, es klang sehr salbungsvoll.

„Du weißt schon, was ich meine.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752104486
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Juli)
Schlagworte
Zölibat Papst Geschwister Katholische Kirche Kirchenroman Vatikan Christen Familie Gesellschaftsroman

Autor

  • Brigitte Teufl-Heimhilcher (Autor:in)

Brigitte Teufl-Heimhilcher lebt in Wien, ist verheiratete und bezeichnet sich selbst als realistische Frohnatur. In ihren heiteren Gesellschaftsromanen setzt sie sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Fragen auseinander. Sie verwebt dabei Fiktion und Wirklichkeit zu amüsanten Geschichten über das Leben - wie es ist, und wie es sein könnte.
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Titel: Der liebe Gott und sein teuflisches Bodenpersonal: Sammelband