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Champagner und ein Stück vom Glück

von Brigitte Teufl-Heimhilcher (Autor:in)
215 Seiten

Zusammenfassung

„Ein charmanter Sternekoch aus Hamburg, eine frisch geschiedene Wienerin und deren pubertierender Sohn. Aus diesen Zutaten ist ein köstlicher Roman mit spritzigen Dialogen entstanden.“ (Lesermeinung) Der einzige Mann, mit dem Helga in diesem Jahr Silvester feiern möchte, ist ihr 12-jähriger Sohn, doch der fährt lieber mit seinem Vater auf Schiurlaub. Da kommt ihr die Einladung des Sternekochs Lars gerade recht, den sie allerdings für einen Filou hält. Doch der Filou scheint es ernst zu meinen und Helga fühlt sich mehr und mehr zu ihm hingezogen. Leider hält Sohn Benny ebenso wenig von dieser Verbindung wie sein Vater, der die Scheidung von Helga längst bereut. Dieser heitere Liebesroman wird von zahlreichen Rezepten begleitet, die zum Nachkochen einladen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

sollten Sie „Neubeginn im Rosenschlösschen“ gelesen haben, werden Ihnen einige Personen aus dem vorliegenden Roman bekannt vorkommen, doch „Champagner und ein Stück vom Glück“ kann auch ohne Vorkenntnisse gelesen werden.

Dennoch möchte ich – anstelle eines Prologes – eine kurze Zusammenfassung und eine Szene aus „Neubeginn im Rosenschlösschen“ voranstellen:

„Neubeginn im Rosenschlösschen“ erzählt die Geschichte der Mittfünfzigerin Susanne, die sich – nachdem ihr Top-Job in einer Immobilienfirma wegrationalisiert wurde – im Leben völlig neu zurechtfinden muss.

Im Rosenschlösschen, ihrem ehemaligen Elternhaus, richtet sie ein kleines, aber feines Event-Restaurant ein, veranstaltet Kochkurse und findet so eine neue Herausforderung und eine neue Liebe.

Erleben Sie Susanne in einer Szene mit dem Sternekoch Lars König und ihrer ehemaligen Assistentin Helga:

Helga Wagner kam als Letzte und wirkte ziemlich mitgenommen.

„Tut mir wirklich leid, aber mein Ex hat Benny wieder einmal zu spät abgeholt“, hatte sie Susanne noch zugeflüstert, dann hat der Kochkurs „Haubenküche auf Hausfrauenart“ begonnen.

Dem Titel des Kurses entsprechend, kochte Lars am Vormittag mit seinen Schülern Hamburger Pannfisch und Rote Grütze mit Vanillesauce.

Susanne hatte ihren Auftritt erst am Nachmittag. Da wollte Lars eine – aus ihrer Sicht übertrieben umständliche –Variante einer Paella zubereiten, während sie eine vereinfachte Version vorstellen würde. Davor gab es einen Salat, danach eine Crema catalana.

Sie hatte nach der Begrüßung eine Weile zugehört und war dann ins Büro gegangen, wo sie Werner vor seinem PC sitzend vorfand.

„Wie stehen die Aktien?“, fragte er.

„Lars bleibt Lars“, antwortete sie lächelnd. „Er mag ein Windhund sein, aber er ist ein charmanter Windhund.“

Zum Pannfisch war Susanne zu spät gekommen, sie hatte ohnehin nicht vorgehabt, zweimal am Tag ausgiebig zu essen, aber sie ließ sich etwas von der Roten Grütze geben und wollte sich damit zu Helga setzen. Als sie sah, dass die sich mit Lars ziemlich gut zu unterhalten schien, setzte sie sich zu den übrigen Teilnehmern und ließ sich erzählen, wie hervorragend Herr König den Fisch zubereitet hatte.

Während des nachmittäglichen Kochens blieb natürlich auch keine Zeit für ein einigermaßen sinnhaftes Gespräch, also hatte Susanne beschlossen, sich nach dem Abendessen mit Helga zusammenzusetzen.

Doch auch diesmal fand sie Lars an ihrer Seite. Helga sah schon viel besser aus als am Morgen, und die beiden schienen sich wirklich ausnehmend gut zu unterhalten.

Als Susanne im Laufe des Abends beobachtete, wie sie auch noch Bruderschaft tranken – Lars lehnte es ab, von vorneherein mit allen Teilnehmern per Du zu sein –, und wenig später sah, wie die beiden sich auf den Weg in den Gasthof machten, bat sie Lars unter einem Vorwand, noch kurz zu ihr ins Büro zu kommen.

Kaum hatte sie die Tür hinter ihm geschlossen, zischte sie: „Diese Frau hat eine ziemlich schwere Zeit hinter sich, ich bitte dich daher inständig: keine Spielchen!“

Er sah sie erstaunt an: „Wieso verstehe ich dich jetzt nicht?“

„Ich bin sicher, du verstehst mich ganz ausgezeichnet.“

„Ist deine ehemalige Assistentin dir Rechenschaft schuldig?“

„Nein, ist sie nicht, aber ich möchte nicht, dass sie von einem Kummer in den nächsten fällt. Klar?“

„Glasklar“, erwiderte er mit einem spöttischen Lächeln und öffnete die Tür. Dann bot er Helga seinen Arm, winkte und verließ das Rosenschlösschen.

Susanne hatte gar kein gutes Gefühl dabei, aber was sollte sie machen? Helga war zwar deutlich jünger, aber ein erwachsener Mensch. Sie würde schon wissen, was sie tat. Hoffentlich.

Doch als Helga ihr einige Tage nach dem Seminar eine Mail schrieb, in der sie sich überschwänglich für das ausnehmend schöne Wochenende bedankte, griff Susanne zum Telefon, um Lars anzurufen.

„Was verschafft mir die Ehre deines Anrufes?“, fragte er knapp.

„Versteh mich bitte nicht falsch, ich weiß, es geht mich nichts an, aber gestatte mir dennoch eine Frage: Wirst du Helga Wagner wiedersehen?“

„Du hast recht, es geht dich nichts an, aber ich sage es dir trotzdem: Ja, wir werden uns wiedersehen. Ich habe sie eingeladen, über Silvester nach Hamburg zu kommen. Sonst noch Fragen?“

„Du weißt, dass sie einen Sohn hat?“

„Selbstverständlich. Er fährt mit seinem Vater auf Schiurlaub.“

„Und du brichst ihr in der Zwischenzeit das Herz. Toller Plan.“

„Du scheinst ja eine ganz hervorragende Meinung von mir zu haben. Hast du deswegen den Architekten vorgezogen?“

„Natürlich nicht“, seufzte Susanne.

„Das Herz“, fuhr Lars fort, „hat ihr ein anderer gebrochen. Ich werde es wieder zusammensetzen.“

Sein Wort in Gottes Ohr, dachte Susanne, nachdem sie aufgelegt hatte.

Selbstzweifel fochten ihn jedenfalls nicht an. Aber wer weiß, vielleicht war es gerade das, was Helga jetzt brauchte.

Helga
Apfel in Calvadossabayon

⅛ l Sekt

3 Dotter

40 g Kristallzucker

4 cl Calvados

2 Äpfel

Äpfel in Scheiben schneiden und in Calvados marinieren. Die restlichen Zutaten mit dem Schneebesen verrühren und über dem Wasserbad schaumig aufschlagen. Sabayon auf Teller verteilen, die marinierten Apfelspalten daraufsetzen und ansprechend dekorieren.


Was mache ich eigentlich hier?“, fragte sich Helga, während sie auf ihren Koffer wartete.

Richtig, Lars hatte sie eingeladen. Außerdem war sie einsam, und sie mochte Männer, die charmant waren und gut kochen konnten. Aber das war noch lange kein Grund nach Hamburg zukommen – da hatte ihre Mutter doch ausnahmsweise einmal recht.

Auch dass ihr Sohn Benny mit seinem Vater Schiurlaub machte, schien ihr nun kein hinreichender Grund mehr, den Jahreswechsel mit einem Mann zu verbringen, den sie genau genommen kaum kannte.

Vielleicht hätte sie doch Susannes Einladung ins Rosenschlösschen annehmen sollen. Sie hätte Silvester aber auch mit ihren Eltern feiern oder einfach verschlafen können.

Allerdings kam diese Einsicht zu spät. Sie hatte ihren Trolley mittlerweile vom Band gehievt und machte sich auf den Weg zum Ausgang.

Wenige Minuten später breitete Lars überschwänglich die Arme aus. „Helga, meine Liebe, was für eine Freude!“

Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich freue mich auch, hier zu sein. Danke, dass du mich abholst, ich hätte doch auch ein Taxi nehmen können.“

„Niemals! Dann hätte ich noch eine ganze Stunde länger auf dich warten müssen“, rief er, schnappte sich ihren Trolley, legte einen Arm um ihre Taille und schob sie in Richtung Parkplatz.

„Wie lange kannst du bleiben?“

„Mein Rückflug ist für den vierten Jänner gebucht.“

„So bald schon? Dann lass uns die wenigen Tage genießen. Heute Abend übernimmt mein Sous-Chef, und wir beide machen es uns gemütlich. Was hältst du davon? Morgen habe ich natürlich Großkampftag, das haben wir ja besprochen. Dafür ist das Restaurant nach Silvester einige Tage geschlossen, dann werde ich dir Hamburg zeigen!“

In der Zwischenzeit waren sie bei seinem Auto angelangt. Nobler Schlitten. Während er ohne Unterlass weiterredete, sah Helga aus dem Fenster. Es war nebelig und trüb, das entsprach ziemlich genau ihrer Stimmung.

Dabei hatte sie sich doch so auf diese Tage gefreut. Wann genau hatte das umgeschlagen? Als ihre Mutter sie mit hochgezogener Augenbraue gefragt hatte, ob sie sich das auch genau überlegt habe? Als Benny ausgeflippt war, weil sie sich mit einem anderen Mann traf? Oder erst gestern, seit dem Telefonat mit Susanne? Ihre Mutter war reichlich konservativ und ihr Sohn noch ein Kind, aber Susanne war weder prüde noch zimperlich – dennoch schien es, als wollte sie Helga vor etwas warnen. Vor Lars? Lächerlich. Lars war vielleicht nicht die Idealbesetzung für die Rolle des treu sorgenden Ehemanns, aber dieses Kapitel war für Helga ohnehin ein für alle Mal abgehakt. Auch eine feste Beziehung kam nicht infrage, und das nicht nur, weil Lars sein Leben in Hamburg hatte und sie das ihre in Wien. Nach der Pleite mit Paul war sie noch lange nicht bereit, über eine neue Beziehung auch nur nachzudenken – schon wegen Benny.

Was Benny jetzt wohl machte? Hoffentlich passierte ihm nichts, er war ein so rasanter Schifahrer. Genau wie sein Vater. Natürlich wusste sie, dass Paul im Grunde ein verantwortungsbewusster Vater war, aber auf der Piste konnten die beiden einfach nicht genug bekommen.

Helga versuchte, ihre innere Unruhe niederzukämpfen. Bisher waren sie schließlich immer gut zurückgekommen, und wenn Vater und Sohn sich amüsierten, war es doch nur recht und billig, wenn sie sich auch eine Auszeit gönnte, weit weg von Wien und den Mühen des Alltags.

Sie war gekommen, um sich ein paar Tage zu amüsieren. Nicht mehr und nicht weniger. Das stand ihr doch zu, verdammt noch mal. Warum hatte sie ständig das Gefühl, sie müsse sich rechtfertigen, vor allem vor sich selbst?

Lars hatte in der Zwischenzeit einen ziemlich genauen Plan für die nächsten Tage entworfen. Helga hatte nicht genau zugehört, aber sie würde es schon noch rechtzeitig erfahren.

Die Fahrt zog sich, in der Zwischenzeit war es dämmrig geworden.

„Ich bringe dich gleich in dein Hotel, es liegt nur wenige Schritte vom Landhaus entfernt. Wie lange brauchst du, um dich frisch zu machen?“

„Wäre eine Stunde für dich in Ordnung?“

Lars zwinkerte ihr zu. „Ich werde die Sekunden zählen und dich mit Ungeduld und einem Glas Champagner erwarten.“

Als Helga eine knappe Stunde später das Landhaus betrat, hörte sie Lars‘ Stimme aus der Küche. Es hörte sich allerdings nicht nach Sekundenzählen an, mehr nach Ungeduld.

Ein Kellner eilte ihr dienstbeflissen entgegen und schloss im Vorbeigehen die Tür zur Küche.

„Guten Abend, die Dame. Wir öffnen leider erst in wenigen Minuten. Darf ich Sie in der Zwischenzeit an die Bar bitten?“

„Gerne, aber Herr König erwartet mich“, antwortete Helga mit einem Lächeln.

Der Kellner verbeugte sich leicht. „Dann darf ich Ihnen vorab einen Drink anbieten? Ein Glas Champagner vielleicht? Herr König wird gleich bei Ihnen sein.“

Champagner also, nobel. Hatte sie schon länger nicht getrunken.

In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte Paul sie zum Hochzeitstag immer in ein exklusives Restaurant eingeladen, später waren sie nur noch zum Italiener ums Eck gegangen, und irgendwann hatte er auch dazu keine Lust mehr gehabt.

„Entschuldige, meine Liebe“, unterbrach Lars ihre Gedanken, „aber kaum bin ich nicht da, wird schon geschludert. Unser Azubi schneidet die Zwiebel für das Beef-Tartar in Riesenquader statt in kleine Würfelchen. Dabei muss sie gerade in diesem Fall besonders fein geschnitten werden, nur so verbindet sie sich mit dem Fleisch und den Gewürzen zu diesem unvergleichlichen Aroma. Jan! Ah, da sind Sie ja. Für mich bitte auch ein Glas Champagner. Meine Liebe, soll man uns das Menü hinaufbringen oder möchtest du etwas anderes? Wenn du lieber Pasta hättest, kann ich dir die Kürbisravioli in Salbeibutter empfehlen. Die Dorade im Kräuterbeet ist allerdings auch nicht zu verachten, und solltest du Lust auf …“

„Kürbisravioli wären ganz wunderbar“, unterbrach Helga rasch.

„Und danach? Vielleicht …“

„Für mich bitte einfach nur Kürbisravioli, wenn das möglich wäre.“

„Jan, bitte zweimal Kürbisravioli, aber als Hauptgang, und Blattsalat dazu. Danach bringen Sie uns bitte etwas Käse. Oder möchtest du lieber etwas Süßes? Ein Soufflé oder lieber Obst?“

„Gerne etwas Obst.“

„Also, Jan, dann bitte einen Obstteller für die Dame, Käse für mich. Wir gehen jetzt nach oben.“

Galant reichte er Helga seinen Arm und gemeinsam verließen sie die Bar.

Am Empfangstisch thronte nun eine ältere Dame mit schlohweißem Haar und einer imposanten schwarzen Brille vor einem großen Buch.

„Mutter, darf ich dir Helga Wagner vorstellen, eine sehr liebe Bekannte aus Wien. Helga, das ist meine Mutter, Elsa König.“

Die Damen reichten einander die Hände und murmelten „Sehr erfreut“, dann zog Lars Helga auch schon weiter.

Seine Wohnung lag im ersten Stock des Hauses und war, anders als das Restaurant, sehr modern eingerichtet. Anfangs fühlte Helga sich in dem kühlen Ambiente etwas unwohl, aber sein fröhliches Geplauder und ein weiteres Glas Champagner halfen ihr dabei, sich bald wieder so wohl und entspannt zu fühlen wie an jenem Abend im Rosenschlösschen, als sie ihn kennengelernt hatte. Wenn sie nun schon mal hier war, würde sie die kleine Auszeit auch genießen. Mal sehen, wie sich die Dinge entwickelten.

Am nächsten Morgen frühstückte Lars noch rasch mit Helga im Hotel, dann eilte er in seine Küche, um die Warenanlieferung zu überprüfen. Helga vergewisserte sich telefonisch bei Benny und ihren Eltern, dass alles in Ordnung war und machte sich dann, bewaffnet mit einem Stadtplan, auf den Weg. Eigentlich wollte sie in die Innenstadt gehen, doch als dann war die Sonne herauskam, entschloss sie sich, den Trubel der Innenstadt gegen die Ruhe eines Spaziergangs um die schöne Außenalster zu tauschen. Eine gute Entscheidung, wie sie bald feststellte, doch der Weg war deutlich länger als gedacht. Als Helga endlich wieder zum Hotel kam, waren mehr als drei Stunden vergangen und sie war reichlich müde.

Sie hatte sich nur kurz auf dem Bett ausstrecken wollen, doch als sie wieder aufwachte, war es bereits dämmrig. Sie machte sich eine Tasse Tee auf ihrem Zimmer, ehe sie mit den Verschönerungsarbeiten für den Silvesterabend begann. Maske, Peeling, Makeup, das volle Programm.

Zwei Stunden später war sie mit dem Ergebnis durchaus zufrieden. Der winterweiße Hosenanzug, den sie zu Weihnachten von ihren Eltern bekommen hatte, passte wie angegossen, und das goldene Top, das sie sich dazu geleistet hatte, gab ihm den nötigen Glamour. Dennoch spürte sie eine leichte Nervosität, als sie sich wieder auf den Weg ins Landhaus machte.

Da Lars an diesem Abend in der Küche unabkömmlich war, hatten sie vereinbart, dass er sie bei einem Gläschen Prosecco mit einigen Freunden bekanntmachen würde, mit denen sie die ersten Stunden des Abends verbringen sollte. Ein Gedanke, bei dem ihr nicht ganz wohl war – aber da musste sie jetzt durch!

Diesmal eilte Lars ihr in voller Küchenmontur entgegen, begrüßte sie mit gewohnter Grandezza und führte sie ins Kaminzimmer, wo seine Mutter und ein Ehepaar mittleren Alters bereits warteten.

Lars übernahm die Vorstellung: „Helga, meine Liebe, meine Mutter kennst du ja schon. Das sind meine Freunde Frauke und Jens. Mit Frauke war ich übrigens ein paar Jährchen verheiratet.“

„Ich war Frau König, die Zweite“, lachte Frauke und streckte Helga die Hand entgegen. „Mein jetziger Mann - Jens Jansen.“ Dann wandte sie sich wieder an Lars: „Kommen Annabell und Silke auch?“

„Leider nein. Annabell ist noch auf den Kanaren und Silke hat Nachtdienst“, entgegnete Lars, warf ihnen allen eine Kusshand zu und enteilte.

„Annabell ist Frau König die Erste, Silke Frau König die Dritte“, erläuterte Frauke im Plauderton.

„Bitte wie?“, entschlüpfte es Helga. Sie wusste zwar, dass Lars mit seinen Exfrauen noch Kontakt hatte, aber niemals hätte sie damit gerechnet, dass er ihr eine von ihnen vorstellen würde. Er hatte nur erwähnt, dass Freunde im Landhaus feierten und er sie gern mit ihnen bekannt machen würde. Dass es sich dabei um eine seiner Exfrauen handelte, schien außer ihr niemand eigenartig zu finden.

Später kamen dann noch ein paar Freunde von Lars dazu.

Kurz vor dreiundzwanzig Uhr kam Lars in Begleitung seines Sous-Chefs und einer ziemlich attraktiven Köchin endlich aus der Küche. Helga wusste in der Zwischenzeit bereits einiges mehr über ihn, denn Frauke war eine ebenso redselige wie bodenständige Person, die sich Helga viel eher auf dem Obsthof, den sie nun mit ihrem Mann betrieb, als an Lars’ Seite vorstellen konnte. Dennoch fühlte Frauke sich im vornehmen Ambiente des Landhauses sichtlich wohl, was man von ihrem Mann nicht behaupten konnte. Aber das jährliche Silvester-Dinner war Lars‘ Weihnachtsgeschenk an die Jansens, wie Frauke unumwunden erzählte, und da Lars ein guter Kunde ihres Obsthofes war, blieb Jens nichts anderes übrig, als dieser Einladung zu folgen. Außerdem wusste Helga bereits, dass Frauke lange Jahre als Patissière in der Küche des Landhauses tätig gewesen war. Dort hatten sie sich kennen- und lieben gelernt, einige Jahre ganz friedlich Seite an Seite gearbeitet und sich am Ende doch zerstritten, wie Frauke unumwunden zugab.

„Trotzdem ist Lars jetzt Ihr Kunde“, sagte Helga, nur um irgendetwas zu sagen.

„Dein Kunde“, verbesserte Frauke lachend, die bereits vor einer Stunde vorgeschlagen hatte, zum Du überzugehen. Dann fuhr sie fort: „Unser Kunde ist er natürlich auch, aber vor allem sind wir Freunde, richtig gute Freunde.“

„Ob Jens das auch so sieht?“, überlegte Helga, während sie das köstliche Sabayon auf der Zunge zergehen ließ, das von Apfelscheiben und einem kunstvollen Gebilde aus karamellisiertem Zucker und schwarzen Nüssen begleitet wurde.

Das Dinner war wirklich ganz hervorragend, und trotz der vielen Gänge fühlte sie sich nicht unangenehm voll.

Als Lars endlich, jetzt im dunklen Anzug, an ihren Tisch kam, war es fast Mitternacht und die Kellner waren bereits eifrig damit beschäftigt, Gläser und Schaumweine unterschiedlicher Preisklassen an die Tische zu bringen. Sie zweifelte nicht daran, dass Lars Champagner kredenzen würde.

„ … 7 – 6 – 5 – 4 – 3 - 2 – 1 – Prost Neujahr!“

Jeder prostete jedem zu, Helga schüttelte Hände und küsste Menschen, die sie kaum kannte - genau das, was sie noch nie hatte leiden können. Sie hätte jetzt viel lieber mit Benny telefoniert und ihm ein gutes neues Jahr gewünscht. Aber das hatte er sich verbeten. Zu Mitternacht müssten sie die Raketen abschießen, da hätte er keine Zeit – und überhaupt. Als sie noch als Familie Urlaub gemacht hatten, hatte sie diese Dinger immer strikt abgelehnt. Jetzt musste sie sich damit begnügen darauf zu hoffen, dass nichts passierte. Es war zum Heulen – ihr war zum Heulen.

Plötzlich war Lars an ihrer Seite, nahm ihr lächelnd das Glas aus der Hand und führte sie auf die Tanzfläche.

„Nicht traurig sein, Chouchou. Das alte Jahr liegt hinter dir und das neue wird wunderschön werden“, flüsterte er ihr ins Ohr, während sie sich im Walzertakt drehten.

Endlich wieder einmal tanzen. Schön war das!

Es war schon fast Mittag, als sie am Neujahrstag endlich beim Katerfrühstück in ihrem Hotel saßen.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass deine Exfrau da sein wird?“, fragte Helga.

„Frauke? Magst du sie nicht?“

„Doch, schon, ich finde, sie ist eine ganz patente Person, und durchaus unterhaltsam …“

„Da bin ich jetzt aber erleichtert, weil ich nämlich zugesagt habe, dass wir sie am Sonntag im Alten Land besuchen. Frauke ist keine schlechte Köchin, und sie macht die beste Apfeltarte, die du je gegessen hast.“

„Trotzdem hättest du es mir vorher sagen können“, beharrte Helga.

„Dass wir ins Alte Land fahren?“

„Dass üblicherweise deine Exfrauen zu Silvester bei dir aufmarschieren.“

„Wärst du dann hier?“, fragte Lars schelmisch, und als sie nicht gleich antwortete, lachte er: „Siehste! Ich wollte doch unbedingt, dass du kommst!“

Das klang zugegebenermaßen ganz nett, aber für Helga war das Thema noch nicht durch.

„Wenn ich es richtig verstanden habe, hätte es durchaus passieren können, dass Frau König eins und drei auch gekommen wären“, sagte sie, und es klang selbst in ihren Ohren ziemlich spitz. Dass sie ihre Stimme aber auch nie in der Gewalt hatte.

Lars schien das entweder nicht zu bemerken oder er hörte bewusst darüber hinweg, denn er antwortete gut gelaunt: „Sehr unwahrscheinlich. Annabell verreist fast immer über Weihnachten und Neujahr, weil sie da am wenigsten vom Immobiliengeschäft versäumt. Sie ist nämlich Maklerin mit Leib und Seele. Silke macht an Silvester in letzter Zeit immer Nachtdienst in der Klinik, weil ihr Chef und Freund, der ehrenwerte Herr Professor, dann mit seiner Familie feiert.“

„Lass mich raten. Sie ist Krankenschwester und hat ein Verhältnis mit ihrem verheirateten Chef?“

Er schüttelte den Kopf, während er nach einem weiteren Hering griff. „Nicht ganz. Sie ist Ärztin, aber das mit dem verheirateten Chef stimmt. Sie glaubt allerdings, dass er sich scheiden lässt.“

„Du nicht?“

„Nicht wirklich. Silke glaubt das nämlich schon seit mehr als zwei Jahren. Aber der Herr Professor findet immer eine neue Ausrede, warum es gerade jetzt nicht geht. Aktuell muss er warten, bis seine Jüngste Abitur gemacht hat.“

„Ich finde es unverantwortlich, in eine funktionierende Ehe einzubrechen“, entgegnete Helga aufgebracht.

Lars sah sie erstaunt an, dann legte er seine Hand auf die ihre. „Das klingt, als hätte ich eine empfindliche Stelle berührt. Das wollte ich nicht.“

Die Berührung tat ihr gut. Sie wiegte den Kopf. „Ja und nein. Paul hat zwar stets behauptet, es wäre keine andere Frau im Spiel, aber das kann er der Schmauswaberl erzählen!“

„Wem soll er es erzählen?“

„Der Schmauswaberl, das sagt man so bei uns, wenn …“

„Wenn man’s nicht glaubt, hab‘ schon verstanden. Den Ausdruck muss ich mir merken“, kicherte Lars und nahm noch einen Schluck Bier. „Um auf Silke zurückzukommen: Woher willst du denn wissen, dass die Ehe ihres Professors noch funktioniert?“

Sie sah ihn nachdenklich an. „Du hast recht, das weiß man eigentlich nie. Woran sind deine Ehen gescheitert?“

Er sah sie überrascht an.

„Gescheitert? Die sind doch nicht gescheitert! Wir haben einfach nur verstanden, dass unser gemeinsamer Weg an einer bestimmten Stelle zu Ende war.“

Helga löffelte gedankenverloren eine Kiwi und murmelte: „Interessanter Ansatz.“

Als sie später Hand in Hand der Alster entlang schlenderten dachte sie, dass es erstaunlich guttat, mit jemand zu reden, der eine so gänzlich andere Sicht auf die Dinge hatte. Als hätte Lars ihre Gedanken erraten, fragte er: „Ich weiß bisher nur, dass du seit Kurzem geschieden bist. Willst du mir erzählen, wie es dazu kam?“

Sie zuckte die Achseln. „Ganz genau weiß ich das immer noch nicht. Im Gegensatz zu dir betrachte ich das Ende meiner Ehe allerdings als Scheitern.“

„Und woran seid ihr gescheitert?“

Es dauerte einige Zeit, ehe sie antwortete: „Am Alltag, an unterschiedlichen Meinungen, ich weiß es nicht. Als Paul das erste Mal von Scheidung gesprochen hat, war ich fassungslos, ich konnte es überhaupt nicht verstehen. In der Zwischenzeit glaube ich, wir sind uns gegenseitig im Weg gestanden, und haben es gar nicht bemerkt.“

„Wie genau soll ich mir das vorstellen?“

„Ich war immer eine leidenschaftliche Tänzerin. Paul hingegen konnte dem ‚Gehopse‘, wie er es nannte, nichts abgewinnen. Dafür war er ein begeisterter Motorradfahrer, das war mir wiederum reichlich suspekt. Wenn er sonntags mit seinem Motorrad ausfuhr, fuhr ich mit dem Auto hinterher. Als dann Benny auf die Welt kam, hat Paul das Motorradfahren mir zuliebe sein lassen, und ich war kaum noch tanzen, es war mir einfach nicht mehr wichtig.“

Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, ehe Lars sagte: „Dann habt ihr wohl den Zeitpunkt verpasst, an dem es wieder wichtig geworden wäre. Ich glaube, so geht es vielen Paaren. Oft sind es sogar die Männer, die zuerst spüren, dass etwas nicht mehr passt, aber ebenso oft reden sie nicht darüber.“

„Da ist was dran“, dachte Helga erstaunt.

Wie alt Lars’ Mutter wohl sein mochte, überlegte Helga, als sie am Sonntag gemeinsam um den Mittagstisch der Jansens saßen. Sie hätte nicht sagen können, wie sie sich Lars‘ Mutter vorgestellt hatte, jedenfalls nicht so!

Am Silvesterabend hatte Helga sie kaum zu Gesicht bekommen, weil die alte Dame, wenn nicht gerade gegessen wurde, ständig im Lokal unterwegs gewesen war. Aber was hieß schon alte Dame? Sie hatte zwar schlohweißes Haar und einige tiefe Falten verrieten, dass sie deutlich über siebzig sein musste, dennoch hielt sie sich kerzengerade und war wie ein Derwisch durch das Restaurant gefegt.

Auch heute aß Sie mit gutem Appetit alles, was Frauke so auftischte – und das war nicht gerade wenig. Erst eine Zwiebelsuppe mit Käsecroutons, danach Scholle Finkenwerder Art mit Speck und deftigen Bratkartoffeln und dann noch die von Lars angekündigte Apfeltarte mit ordentlich viel Schlagobers. Die gertenschlanke Elsa König ließ nichts davon aus. Helga war selbst eine eher zierliche Person, aber sie konnte nicht annähernd so viel essen.

„Schmeckt es dir nicht?“, fragte Frauke eben besorgt, weil Helga ein weiteres Stück Apfeltarte entschieden abgelehnt hatte.

„Doch, doch, ganz hervorragend, aber ich kann einfach nicht mehr. Ich glaube, ich habe in den letzten Tagen mehr gegessen als sonst in einem Monat und fürchte, dass ich bereits grässlich zugenommen habe.“

Elsa König betrachtete sie durch ihre mit Steinchen besetzte schwarze Brille. „Sie müssen sich eben mehr bewegen, Kindchen.“

Helga schmunzelte. Sie hätte nicht gedacht, dass sie noch einmal jemand Kindchen nennen würde, doch bei Elsa König klang es irgendwie ganz normal. Der Hinweis auf die fehlende Bewegung erinnerte sie allerdings allzu sehr an ihre eigene Mutter, deshalb war sie froh, dass Elsa nun ihre Aufmerksamkeit Dora zuwandte, der Tochter der Jansens, die bereits unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rutschte. „Wolltest du mir nicht deine Weihnachtsgeschenke zeigen?“

„Sobald Mama mich hier weglässt“, antwortete Dora mit leicht genervten Unterton.

„Wenn Oma Elsa mag und du mit dem Essen fertig bist, kannst du aufstehen und ihr alles zeigen. Aber anschließend machst du deine Leseübung, verstanden?“

„Ach Mama, doch nicht heute, es ist doch Sonntag“, maulte Dora.

„Doch, heute. Gestern und vorgestern hast du es ja vorgezogen mich anzulügen“, entgegnete Frauke und warf ihrer Tochter einen warnenden Blick zu.

Jens legte seine Hand auf Doras Arm. „Also, ich an deiner Stelle würde Mama heute nicht mehr reizen.“

Dora schien darüber nachzudenken. „Okay“, seufzte sie dann. „Also erst zeige ich Oma Elsa die Geschenke und dann …“

„Dann?“, fragte Frauke scharf.

Dora verzog sich sicherheitshalber erst Richtung Tür, ehe sie rief: „Is‘ ja gut, nur keine Panik auf der Titanic! Kommst du jetzt, Oma Elsa?“

„Frecher Fratz“, murmelte Frauke, als die beiden die gemütliche Wohnküche verlassen hatten. „Schwindelt mir seit zwei Tagen vor, dass sie geübt hat. Ich hätte ihr schon heute Vormittag eine scheuern sollen.“

„So sind sie halt, die Kids“, meinte Helga. „Mein Sohn versucht auch immer mich auszutricksen, aber was soll man machen? Da ich Gewalt in der Erziehung prinzipiell ablehne …“

„Ich auch“, knurrte Frauke. „Prinzipiell. Aber wenn sie mich anlügt, sehe ich rot, und wenn Jens mich nicht zurückgehalten hätte …“

„Zugegeben, manchmal ist es nicht ganz einfach, aber man muss doch auch immer bedenken, was man durch so eine unbedachte Handlung auslösen kann“, meinte Helga.

„Also meine Mutter hatte da weniger Bedenken“, meldete sich Lars zu Wort. „Ist doch trotzdem ein vernünftiger Mensch aus mir geworden!“

„Vernünftig wär‘ mir jetzt nicht eingefallen“, neckte Frauke und setzte lachend hinzu: „Aber deinem Selbstvertrauen hat es offenbar nicht geschadet.“

„Darauf trinken wir jetzt einen Schnaps“, entschied Jens.

Während er die Schnapsgläser füllte, fragte Frauke: „Wer war eigentlich die blonde Schönheit, mit der du dich am Silvesterabend präsentiert hast?“

„Beatrix, meine neue Sous-Chefin; Oskar geht doch in Pension. Habe ich dir das nicht erzählt?“

„Hat sie ein Auge auf dich geworfen?“, fragte Frauke ungerührt und – für Helgas Geschmack – etwas unsensibel.

„Wie kommst du denn darauf?“, protestierte Lars.

„So, wie die dich angeschmachtet hat …“

„Glaub mir, das wär mir aufgefallen!“

Jens warf Frauke einen raschen Blick zu. „Ich weiß ja nicht, ob sie so gut kocht wie Oskar, aber optisch ist sie schon mal ein Gewinn!“, und prostete ihnen zu.

Lars nahm einen kleinen Schluck. „Oskar zu ersetzen wird nicht einfach. Er hält sie übrigens für eine Zicke. Ich fürchte, ganz unrecht hat er nicht.“

Es dauerte eine gute Stunde, ehe Elsa König wiederkam und um eine Tasse Tee bat.

„Das war ja eine lange Besichtigungstour“, meinte Frauke, während sie das Teewasser aufstellte.

„Wir haben anschließend noch geübt.“

„Wie man mit dem neuen Computerspiel Ufos abschießt?“

„Lesen“, entgegnete Elsa hoheitsvoll.

So unterhaltsam die Tage in Hamburg auch gewesen waren, so schweigend verlief die Fahrt zum Flughafen am Tag ihrer Abreise. Jeder hing seinen Gedanken nach.

Helga hatte die Zeit wirklich genossen. Lars war ein ebenso unterhaltsamer wie rücksichtsvoller Gastgeber, doch nun freute sie sich auf zu Hause. Morgen würde Benny aus dem Schiurlaub kommen. Endlich. Nicht nur, dass sie ihn vermisste, sie hatte doch immer Angst, dass ihm etwas zustoßen könnte. Natürlich hatte sie täglich mit ihm telefoniert und bis jetzt schien alles gutgegangen zu sein, hoffentlich passierte nicht in den letzten Stunden noch ein Unglück. Man konnte ja nie wissen.

Als hätte Lars ihre Gedanken erraten, sagte er: „Wenn du das nächste Mal kommst, musst du deinen Sohn mitbringen.“

Sie hatten am Vorabend noch lang darüber geredet, wie es nun weitergehen sollte. Da Helga seinem Wunsch nach einer gemeinsamen Nacht nicht nachgekommen war, war sie eigentlich davon ausgegangen, dass die Sache für ihn damit erledigt war. Sie hatte versucht sich einzureden, dass es ihr egal sei, aber als er ihr jetzt vorschlug, gemeinsam mit Benny wiederzukommen, tat ihr Herz einen unvermuteten Sprung. Konnte es sein, dass sein Interesse ernsthafter war, als sie bisher vermutet hatte?

Helga
Spaghetti Carbonara

500 g Spaghetti

1 EL Butter

3 Eier

1 Knoblauchzehe

Etwas Öl

Geriebener Parmesan (nach Geschmack)

¼ Schlagobers

100 g Schinken- oder Speckwürfel

Schinken und Knoblauch in kleine Würfel schneiden und in einer großen Pfanne in etwas Butter leicht anbraten. Die Eier aufschlagen und mit Salz, Pfeffer, Obers und dem geriebenen Parmesan verschlagen. Spaghetti al dente kochen, abseihen und zum Schinken geben, die Eiermasse darüber gießen und bei mäßiger Hitze stocken lassen. Am besten mit grünem Salat servieren.


Seufzend schaltete Helga ihren PC ab, rieb sich die brennenden Augen und streckte den schmerzenden Rücken durch. Der erste Arbeitstag im neuen Jahr war lang und mühsam gewesen. Jetzt musste sie zusehen, dass sie nach Hause kam, Benny hatte sicher seit dem Frühstück nichts Ordentliches gegessen. Hoffentlich hatte er wenigstens seine Hausaufgaben gemacht. Früher hatte sich ihre Mutter darum gekümmert, doch seit dem heurigen Schuljahr lehnte Benny es ab, die Nachmittage bei den Großeltern zu verbringen. Ja gut, er war schon zwölf.

Während sie auf die U-Bahn wartete, überlegte Helga zum wohl hundertsten Mal, ob sie sich nicht doch vor Ablauf der verabredeten Zeit einen anderen Job suchen sollte. Ursprünglich war von einem Dreijahresvertrag die Rede gewesen, doch dann war ein Dienstvertrag auf unbefristete Zeit abgeschlossen worden. Sie könnte also jederzeit kündigen. Vielleicht verzichtete ihr Boss sogar auf die Einhaltung der Kündigungsfrist – möglich wär’s. Es war zwar nicht ihre Art, Zusagen nicht einzuhalten, allerdings hatte Herr Mitterer, ihr Chef, die seinen auch nicht erfüllt. Er hatte ihr einen selbstständigen Arbeitsbereich zugesagt, aber davon konnte keine Rede sein. Erst hatte sich niemand Zeit genommen, sie auch nur annähernd einzuführen, und kaum hatte sie sich einigermaßen zurecht gefunden, stand Frau Mitterer, deren Arbeit sie für die Zeit ihrer Karenz hätte übernehmen sollen, ständig auf der Matte. Zumeist mit einem schreienden Kleinkind auf dem Arm, das sie Prinzesschen nannte und Helga ganz selbstverständlich in den Arm drückte.

Helga konnte Mütter nicht verstehen, die sich nicht selbst um ihre Kinder kümmern wollten – wobei sie allerdings zugeben musste, dass Prinzesschen schon eine ziemliche Herausforderung war.

Helga war zwar eine begeisterte Mutter, doch sie hatte niemals vorgehabt, als Säuglingsschwester oder Kindergärtnerin zu arbeiten. Da hätte sie ja gleich Lehrerin werden können wie ihre Mutter. Gegen den Lehrerberuf hätte sie im Grunde nichts einzuwenden gehabt, doch wie ihre Mutter zu werden, schien ihr damals wie heute das Allerletzte. Deshalb hatte sie doch Tourismus-Management studiert.

Schade eigentlich, dass aus ihrer Tourismuskarriere nichts geworden war. Auf der Abschlussfeier hatte sie Paul kennengelernt und bald darauf geheiratet. Damals fühlte sich das gut und richtig an. Nie hätte sie geglaubt, dass ihre Ehe scheitern könnte – wo sie doch so viel investiert hatte.

In der Zwischenzeit war sie zuhause angekommen.

„Hallo Benny, ich bin da-ha!“

„Wurde auch Zeit“, kam es aus dem Kinderzimmer. „Ich habe Hunger.“

„Dann hast du bestimmt schon das Nudelwasser aufgestellt.“

Keine Antwort. Also nicht. Seufzend ging sie in die Küche.

Aber gut, das konnte man von einem Jungen in seinem Alter vielleicht nicht verlangen - außerdem wollte sie nicht gleich wieder streiten. Seit er gestern, einen Tag später als vereinbart, vom Schiurlaub zurückgekommen war, war er ohnehin ziemlich ruppig – wie immer, wenn er längere Zeit mit seinem Vater zusammen war. Ihr Ex hatte definitiv einen schlechten Einfluss auf den Buben.

Als sie dann vor ihren Spaghetti Carbonara saßen, eine von Bennys Lieblingsspeisen, fragte Helga: „Wie war dein Tag?“

„Geht so.“

„Gibt’s was Neues in der Schule?“

„No.“

„Habt ihr die Mathe-Schularbeit zurückbekommen?“

„No.“

Diese Einsilbigkeit machte sie rasend – die hatte er übrigens auch von Paul. Sie mahnte sich zur Geduld. Themawechsel. „Am Samstag treffe ich Susanne und ihren Mann, magst du mitkommen?“

„No.“

„Sag mal, kannst du auch Antworten mit mehr als einem Wort geben, oder hast du das auf eurer Schihütte verlernt?“

„Möglich.“

Sie schluckte, bemühte sich aber immer noch um einen heiteren Ton. „So etwas Ähnliches habe ich schon befürchtet. Du hast mich nicht einmal gefragt, wie mir Hamburg gefallen hat.“

„Interessiert mich auch nicht.“

Obwohl ihr diese Antwort in der Seele wehtat, gab sie munter zurück: „Immerhin, vier Worte.“

„Hn?“

„Deine Antwort, sie hatte vier Worte.“

Benny gab einen weiteren Grunzlaut von sich und verzog sich bald in sein Zimmer.

Während sie den Tisch ab- und den Geschirrspüler einräumte, dachte sie wehmütig daran zurück, was für ein liebes, anschmiegsames Kind er doch einmal gewesen war. Ihr Vater meinte ja, es wäre an der Zeit, der Realität ins Auge zu blicken. Benny käme in die Pubertät. Er hatte natürlich recht, Paul hatte sich ähnlich geäußert. Aber traurig sein würde sie wohl noch dürfen!

Plötzlich sah sie Lars‘ Gesicht vor sich und hörte ihn zärtlich sagen: „Nicht traurig sein, Chouchou!“

Lächelnd ging sie unter die Dusche.

„Du bist ja noch dünner als bei unserem letzten Treffen. Außerdem siehst du ein wenig käsig aus. Hat dir Lars‘ Küche nicht geschmeckt oder war unser Promikoch so anstrengend?“, fragte Susanne anstelle einer Begrüßung.

„Weder noch“, lachte Helga. Sie war nach dem Stress der letzten Tage wirklich etwas abgespannt. Kein Wunder. Erst war Frau Mitterer täglich samt Prinzesschen in der Kanzlei erschienen, und dann hatte Benny sich auch noch geweigert, den heutigen Abend bei seinen Großeltern zu verbringen. Er wollte entweder zu seinem Vater oder zu seinem Freund Felix. Helga hätte Felix deutlich vorgezogen, aber der lag bedauerlicherweise mit Fieber und Halsschmerzen im Bett. Paul hatte so kurzfristig dann auch keine Zeit gehabt und gemeint, der Bub könnte doch einen Abend allein bleiben. Das fand Benny übrigens auch. Helga hatte dennoch ein schlechtes Gewissen und wollte das Treffen schon absagen, doch Susanne, ganz ehemalige Chefin, hatte die Sache entschieden und gesagt: „Dein Sohn ist ja kein Baby mehr, und wenn er nicht mitkommen will, bleibt er eben zuhause. Wir treffen uns wie vereinbart.“

Helga hatte Susannes Bestimmtheit stets bewundert - und nachgegeben.

Jetzt war sie hier, voller Schuldgefühle, dennoch erzählte sie lächelnd: „Die Zeit in Hamburg war wundervoll und das Essen im Landhaus einfach himmlisch, aber seit ich wieder daheim bin, ist es nicht ganz einfach.“

„Erzähl!“

„Von Hamburg oder von daheim?“

„In dieser Reihenfolge“, bestimmte Susanne, doch ihr Freund Werner warf ein, dass es vielleicht günstig wäre, vorher etwas vom Buffet zu holen. Das taten sie dann auch. Werner entschied sich für Blutwurst mit Sauerkraut, Susanne und Helga wählten gebackenes Huhn und Salat.

Während des Essens hielten sie ein unverfängliches Tischgespräch aufrecht und Helga überlegte, ob Benny sich in der Zwischenzeit die Pizza aufgebacken hatte, die sie ihm ausnahmsweise gekauft hatte. Üblicherweise achtete sie auf gesunde Ernährung, aber an einem Tag wie heute machte sie schon mal eine Ausnahme.

Kaum waren die leeren Teller abserviert und die Weingläser wieder gefüllt, sagte Susanne: „Jetzt spann mich nicht so auf die Folter, erzähl schon, wie hat es dir gefallen im Landhaus König?

„Es ist schon ein sehr beeindruckendes Haus …“

„Weiß ich.“

„… und Lars war ein sehr charmanter Gastgeber.“

„Aber?“

„Kein Aber. Außer vielleicht, dass ich schon etwas erstaunt war, dass Exfrau Nummer zwei mit uns Silvester gefeiert hat.“

„Ist das die Immobilienmaklerin oder die Ärztin?“

„Das ist die ehemalige Konditorin, die jetzt gemeinsam mit ihrem Mann einen Obsthof im Alten Land betreibt.“

„Ach so“, sagte Susanne mit wegwerfender Handbewegung, „die ist ja eh verheiratet.“

„Es hätte allerdings durchaus sein können, dass die beiden anderen Damen mit uns gefeiert hätten, leider waren sie verhindert.“

„So ein Pech aber auch“, lachte Susanne.

„Ich war untröstlich!“ Helga zwinkerte Susanne zu. „Vor allem die wunderbare Annabell hätte ich gerne kennengelernt.“

„Wer sagt, dass sie wunderbar ist?“

„Jens, Fraukes Mann, nennt sie ‚die wunderbare Annabell‘.“

„Sie soll ja Single sein. Meinst du, da läuft noch was?“

Helga zuckte die Schultern: „Keine Ahnung, würdest du Lars so etwas zutrauen?“

„Aber sicher“, meinte Susanne und prostete Helga zu.

Während Helga ebenfalls ihr Glas hob, konnte sie sich nicht erklären, warum sie plötzlich das Gefühl hatte, es hätte sie jemand in den Magen geboxt. Sie nahm ebenfalls einen tiefen Schluck und sagte tapfer: „Das sehe ich genauso.“

„Und wie kommt ihr darauf?“, überraschte Werner, der bisher nur wenig gesprochen hatte, mit einer Zwischenfrage.

Das konnte Helga nicht so genau sagen, Susanne offenbar auch nicht, sie meinte lakonisch, es sei ja auch nur so ein Gefühl. Werner war nicht der Mann, der sie deswegen auslachte. Er erwog ihre Antworten und meinte dann: „So ein Gefühl ist natürlich durchaus ernst zu nehmen. Dennoch könnte es – möglicherweise - auch falsch sein.“

Da war was dran! Und wenn Helga auch wusste, dass aus ihrer Beziehung zu Lars niemals etwas Ernsthaftes werden konnte, schon wegen Benny, so hoffte sie doch inständig, dass ihr Bauchgefühl sie diesmal betrog.

Wenn Helga an ihrer Scheidung etwas positiv fand, dann war es der Umstand, dass sie am Wochenende nicht mehr bei ihrer Schwiegermutter zum Essen erscheinen musste.

Als sie Paul kennengelernt hatte, war seine Mutter noch Wirtin gewesen. Sie waren jung und daher immer froh über eine kostenlose Mahlzeit im Gasthaus gewesen. Später hatte Pauls Mutter das Gasthaus aufgeben müssen, ein Neubau kam an die Stelle des alten Hauses. Paul hatte einen ordentlichen Batzen Geld für seine Mutter herausgehandelt. Damit war sie zwar finanziell abgesichert, aber sie kochte immer noch sehr gern und vor allem viel. Um die Massen an Essen, die sie täglich zubereitete, an den Mann zu bringen, mussten abwechselnd ihre Kinder anrücken. Wochentags wurden sie mit Tupper-Schüsseln ausgestattet, Samstag und Sonntag hatten sie jedoch persönlich zum Essen zu erscheinen - und zwar Punkt zwölf Uhr. Zum Glück hatte Paul noch zwei Schwestern, sodass man sich den Wochenenddienst aufteilen konnte. Abzusagen wagte übrigens keiner.

Diese Wochenendbesuche waren einer der ersten Streitpunkte mit Paul gewesen. Ansonsten hatten sie wenig gestritten – deshalb hatte die Trennung Helga auch so unvorbereitet getroffen.

Jedenfalls war Paul immer der Meinung gewesen, am Essen seiner Mutter sei erstens nichts auszusetzen, was stimmte, wenn man Hausmannskost mochte, und zweitens konnte er nicht einsehen, warum er für etwas Geld ausgeben sollte, das er auch gratis bekam. Helga fand Pauls Hang zur Sparsamkeit kleinlich und anstrengend.

Jetzt konnte sie sich endlich aussuchen, wann und wo sie Sonntagmittag aß – dafür war sie immer öfter allein, weil Benny den Sonntag lieber mit einem Freund oder bei seinem Vater verbrachte. Heute gingen die beiden eislaufen, danach wollten sie sich ein Eishockeymatch ansehen.

Helga hatte sich bei ihren Eltern eingeladen. Ihre Mutter war zwar keine so begnadete Köchin wie ihre Ex-Schwiegermutter, dafür ging es weniger deftig zu. Sonntags konnte man mit Grillhuhn rechnen, nur die Beilagen wechselten. Diese Woche gab es Reis und Rote-Rüben-Salat, natürlich aus dem Glas. Während des Essens dachte Helga: „Man kann von Pauls Mutter denken was man will, ihr Rote-Rüben-Salat schmeckt jedenfalls deutlich besser.“

„Hat Benny seine Mathe-Arbeit schon zurückbekommen?“, unterbrach Helgas Mutter ihre Gedanken.

„Leider“, seufzte Helga.

„Und?“

„Eine Vier“, beichtete sie und fühlte sich dabei, als hätte sie selbst die Arbeit versemmelt. Es war aber auch ein Jammer, dass Benny ausgerechnet in Mathematik ganz nach ihr kam.

„Helga, du musst den Jungen stärker an die Kandare nehmen! Wenn du ihn schon nicht zu mir schicken willst …“

„Mutter, bitte! Ich wäre auch froh, wenn er mit dir lernen würde, aber Benny ist zwölf, er muss selbst entscheiden, mit wem er lernt!“

„Papperlapapp. Gerade weil er zwölf ist, sollte er langsam die Bedeutung einer guten Ausbildung erkennen.“

„Ein Bub mit zwölf? Da wäre er aber einer der ersten“, warf Helgas Vater spöttisch ein. „Du als Pädagogin solltest das eigentlich wissen.“

„Mutter war Mathematikprofessorin, keine Pädagogin“, protestierte Helga. „Wenn du den Unterschied wissen willst, frag mich. Ich bekomme heute noch schweißnasse Hände, wenn ich an Logarithmen und ähnlichen Kram denke. Außerdem hat Benny ja gelernt – mit Paul.“

Von ihrer Mutter kam nur ein verächtliches Schnaufen.

Anderen ein gleich hohes Maß an Kompetenz zuzugestehen kam ihr nur selten in den Sinn. Schon gar nicht, wenn es um ihren Schwiegersohn ging, und erst recht nicht, wenn es ihre geliebte Mathematik betraf.

Zum Glück lenkte ihr Vater ab: „Wie war’s denn in Hamburg?“

„Abwechslungsreich, interessant und durchaus erfrischend“, antwortete Helga dankbar, aber ausweichend. Aber so kam sie bei ihrer Mutter natürlich nicht durch.

„Ist dieser Koch jetzt dein Liebhaber?“

„Mutter! Ich muss doch wirklich sehr bitten. Außerdem bin ich in der Zwischenzeit wirklich alt genug, um …“

„Ja, eben“, unterbrach ihre Mutter.

Helga hatte nicht die Absicht darauf zu antworten und begann, die leeren Teller einzusammeln.

„Könnte es sein, dass uns das nichts angeht?“, hörte sie ihren Vater fragen.

„Das könnte allerdings sein“, assistierte sie eifrig.

Aber dadurch ließ sich ihre Mutter natürlich nicht vom Thema abbringen. „Werdet ihr euch wiedersehen? Habt ihr noch Kontakt?“

Helga verdrehte die Augen. „Wir stehen in Mailkontakt“, dann trug sie die Teller in die Küche.

„Hast du denn kein Foto von ihm?“, rief ihre Mutter ihr nach.

„Mama!“

„Warum darf ich denn nicht wissen, wie er aussieht? Ist er so hässlich?“

„Nein, hässlich ist er nicht. Du kannst ihn ja googeln. Ich muss jetzt gehen, Paul bringt Benny heute früher nach Hause, wir müssen noch Englisch lernen.“

Helga wollte bereits die Jacke anziehen, doch ihr Vater hielt sie zurück. „Für einen Kaffee wird die Zeit ja wohl noch reichen.“

Also setzte sie sich wieder. Während ihr Vater in die Küche ging, um den Kaffee zu machen, und Mutter die geblümten Kaffeeschalen auf den Tisch stellte, sagte die: „Wenn du gehen sagst, meinst du vermutlich fahren. Hast du dich heute schon bewegt?“

Helga verdrehte die Augen. Ihre Mutter hatte nicht nur Mathematik unterrichtet, sondern auch Turnen.

Benny war wieder einmal später als vereinbart gekommen, angeblich, weil das Match länger gedauert hatte. Da er allerdings kaum Hunger hatte, vermutete Helga, dass die beiden noch eine Runde Fastfood gefuttert hatten. Auf ihre diesbezügliche Frage verzog sich Benny nur knurrend ins Bad, das war ihr Antwort genug. Danach hatte er natürlich keine Lust mehr, Englisch zu lernen, obwohl sie das heute Morgen so vereinbart hatten.

„Ist ja auch kein Wunder“, dachte Helga, während sie wütend die Schmutzwäsche in die Waschmaschine steckte. Offenbar war es wieder einmal an der Zeit, mit Paul ein ernstes Wort zu reden, und zwar sofort. Sie schaltete die Waschmaschine ein, schnappte sich ihr Handy und stellte sich ans Küchenfenster. Draußen fiel Schnee.

„Wagner.“

„Hallo Paul. Ich muss dir leider sagen, so geht das nicht weiter. Benny hat heute weder zu Abend gegessen noch war er dazu zu bringen, das vereinbarte Englisch-Kapitel durchzuarbeiten.“

„Dass er keinen Hunger gehabt hat, kann ich verstehen, er hat im Stadion einen Hot-Dog und zwei Krapfen gefuttert, und das, obwohl wir mittags bei meiner Mutter gegessen haben. Das sollte für heute wohl reichen, und wenn er nicht lernen will, musst du ihm eben die Ohren lang ziehen.“

„Ich bemühe mich sechs Tage die Woche, ihn vernünftig zu ernähren und zu einem ordentlichen, allseits interessierten Menschen zu erziehen. Am siebenten Tag kommst du und machst alles zunichte. So geht das nicht!“

„Am siebten Tag ist eben Ruhetag, das hab ich schon in der Volksschule gelernt, und wenn der Junge eh sechs Tage die Woche höchst kultiviert und in jeder Weise gesund lebt, kann er ja am Sonntag zur Abwechslung ganz normal leben. War das alles, was du mit mir besprechen wolltest? Ich möchte mir jetzt nämlich gerne die Sportschau ansehen.“

„Da kann man wieder einmal sehen, wie du deine Prioritäten setzt!“, schnauzte Helga.

„Dir auch einen angenehmen Abend.“

Zack, aufgelegt.

Dass der Abend dann doch noch angenehm ausklang, verdankte Helga einmal mehr einer Mail aus Hamburg, in der zu lesen stand:

Meine liebste Chouchou, Du fehlst mir! Mein Leben in Hamburg ist ohne Dich nur noch grau und langweilig. Wann sehe ich Dich wieder?

Vielleicht könnten wir wenigstens telefonieren. Ich hab’s heute mehrfach versucht, leider ohne Erfolg.

Ich warte!

Wie immer – Dein Lars

Das hatten sie dann auch getan, fast eine Stunde lang. An die nächste Telefonrechnung wollte sie lieber nicht denken. Da dachte sie besser an das mögliche Wiedersehen. Lars hatte sie und Benny in den Semesterferien nach Hamburg eingeladen. Aber das kam leider nicht infrage, weil sie Benny eine gemeinsame Schiwoche versprochen und auch schon gebucht hatte. Sie war zwar, anders als Benny und Paul, keine besonders begnadete Schifahrerin, aber was sollte sie machen? Benny zuliebe würde sie sich eben doch wieder auf die Piste wagen. Lars hatte sofort angeboten, sich um ein Zimmer zu bemühen.

Das wäre natürlich toll, aber konnte sie Benny das zumuten? Und überhaupt. Bisher waren sie Freunde. Wenn Lars tatsächlich mit ihnen Urlaub machen wollte … Bei dieser angenehmen Vorstellung schlief sie ein. Sie träumte davon, mit Lars über verschneite Pisten zu wedeln – erstaunlicherweise waren sie dabei ziemlich knapp bekleidet.

Lars
Dorade royal auf Paprika

4 Doraden (etwa 250 g, küchenfertig)

1 unbehandelte Zitrone

4 Zweige Thymian

1 große Zwiebel

500 g rote und gelbe Paprikaschoten

Olivenöl

Knoblauch (4-6 Zehen)

⅛ l Gemüsefonds

2 Scheiben Ingwer

Etwas scharfer Senf

Gehackte Petersilie

2 TL Kapern, gehackt

Salz, Pfeffer, Zucker, Zitronensaft

Zwiebel schälen und in große Würfel schneiden. Paprika waschen, entkernen und in mundgerechte Stücke schneiden, beides in Olivenöl andünsten, 2-4 Zehen Knoblauch in Scheiben dazugeben, mit Gemüsefonds aufgießen, Ingwer zugeben und etwa 10 Minuten am Siedepunkt ziehen lassen. Das Gemüse abgießen, Sud auffangen und mit Senf, Zitronensaft, Salz, Pfeffer und Zucker mixen, dabei langsam etwas Olivenöl zugeben. Gemüse, Petersilie und Kapern untermischen. Backrohr auf 100° vorheizen. Die Doraden waschen, trockentupfen, die Haut einige Male einritzen, salzen, pfeffern und die Bauchhöhle mit ½ Knoblauchzehe, 1 Thymianzweig und etwas Zitronenschale füllen. Die Doraden bei mittlerer Hitze in der Pfanne anbraten und im Rohr etwa 20 Minuten durchziehen lassen.


Schönen guten Morgen“, hörte Lars Frauke rufen. „Ich bringe köstliche Äpfel, herrliches Apfelgelee und die besten Kartoffeln des Landes!“

„An diesem Morgen kann nichts gut sein. Nicht einmal deine Äpfel“, knurrte Lars.

„Wie bist du denn drauf?“

„Mies.“

„Das sieht man dir auch an. Komm, lass uns eine Tasse Kaffee trinken. Dann erzählst du Frauke was los ist, und schon geht es dir wieder besser!“

Lars glaubte zwar nicht recht an diese wundersame Wandlung seiner Sorgen, aber er stand auf und bereitete ihnen zwei Cappuccino – mit Schlagsahne, so, wie Frauke es am liebsten mochte. Für Annabell musste es Milchschaum sein und Silke trank überhaupt nur Tee. Er kannte die Vorlieben seiner Exfrauen. Helga mochte am liebsten Café Latte, mit viel Kakaopulver und etwas Zucker. Ach, Helga.

Frauke erzählte derweil den neuesten Klatsch aus dem Alten Land. Ihr unbekümmertes Geplauder und der Kaffee taten ihm gut. Dann sagte sie: „Jetzt erzähl mal. Wer hat dir denn die Petersilie verhagelt?“

„Helga. Genauer gesagt, ihr Sohn.“

„Wie kommt‘s?“

„Ich habe die beiden eingeladen, in den Semesterferien hierher zu kommen, aber das ging nicht, weil Helga schon Schiurlaub gebucht hatte. Also habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um noch ein Zimmer zu ergattern. War gar nicht so einfach. Letztendlich hätte ich noch eines bekommen, in einem Privatquartier.“

„Du Armer!“

„Du kannst dir deine Häme sparen. Ich muss da nicht hin. Heute Morgen kam eine Mail von Helga. Ihr Sohn hat es strikt abgelehnt, überhaupt in Urlaub zu fahren, wenn ich mit von der Partie bin.“

„Und jetzt?“

„Fahren die beiden wohl alleine.“

„Und das lässt sie ihm durchgehen? Na, dem Jung würde ich mal was erzählen!“

„Du kennst sie ja. Erst kommt Benny, dann lange nichts. Deshalb wollte ich den Jungen doch kennenlernen.“

Frauke sah ihn überrascht an: „So ernst ist dir die Sache?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Jetzt gib’s doch mal zu, dich hat es ganz schön erwischt!“

„Nein!“, erwiderte er reflexartig. Doch als Frauke schwieg, setzte er hinzu: „Na ja, irgendwie schon.“

Als sie dann immer noch nichts sagte, donnerte er: „Ja, verdammt! Ist das so schlimm?“

Jetzt lachte sie. „Aber nein, ich find‘s toll. Wie‘s scheint, musst du dich diesmal richtig anstrengen. Aber das macht nichts, Männer besitzen ohnehin einen ausgeprägten Jagdinstinkt.“

Dann drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange und ging.

Als Frauke ihn verlassen hatte, war Lars‘ Laune schon deutlich besser gewesen, doch als er in die Küche kam und sah, wie der Azubi eine Dorade malträtierte, verfinsterte sich sein Blick.

„Was machst du da?“, fragte er scharf.

„Äh … ah … ich filetiere den Fisch.“

Lars zwang sich zur Ruhe. „Das höre ich mit großer Begeisterung. Allerdings habe ich Sorge, dass wir heute Mittag anstelle der Dorade royal bestenfalls ein Tartar von der Dorade anbieten können.“ Dann nahm er ihm das Messer aus der Hand, einen neuen Fisch aus der Kühlbox und zerteilte ihn mit wenigen exakten Schnitten.

„Hast du das gesehen?“

Der Azubi nickte.

„Gut“, meinte Lars knapp, dann wandte er sich an seine neue Sous-Chefin. „Beatrix, lassen Sie einen der Jungköche die Doraden filetieren. Morgen besorgen Sie ein paar preisgünstige Fische und lassen den jungen Mann hier filetieren – für den Fischfond.“

Beatrix nickte wortlos. Sie schien nicht begeistert von seinem Auftritt. Selber schuld, es wäre ihre Aufgabe gewesen, dem Jungen auf die Finger zu sehen.

Dann wandte er sich wieder an den Azubi und wies auf die von ihm bearbeitete Dorade. „Daraus machst du jetzt ein Tartar.“

„Aber … wir haben … ich meine, es steht keines auf der Karte.“

„Ich habe ohnehin nicht vor, es unseren Gästen zu servieren.“

„Na ja, aber … ich habe noch nie eines gemacht … und … ich kenne gar kein Rezept dafür.“

„Dann lass dir eines einfallen. Denk an das Beef Tartar und überlege dir, welche Aromen den zarten Geschmack des Fisches unterstreichen könnten. Wohlgemerkt: unterstreichen, nicht vernichten!“

Damit schickte Lars sich an, die Küche zu verlassen. An der Tür drehte er sich noch einmal um. „Aber gib dir Mühe, Beatrix und ich werden es auf jeden Fall kosten!“

Auf dem Weg ins Büro kam ihm seine Mutter entgegen und rief: „Gut, dass du da bist!“

Er sah sie verständnislos an. „Wo sollte ich denn sonst sein?“

„Hast du das Reservierungsbuch gesehen? Ich suche es seit heute Morgen.“

„Dein Reservierungsbuch? Mutter, ich bitte dich. Kein Mensch in diesem Haus traut sich, dein Reservierungsbuch an sich zu nehmen, nicht einmal ich.“

„Das mag ja sein, aber es ist weg“, antwortete sie und eilte davon. Kopfschüttelnd wandte Lars sich seinem Schreibtisch zu. Als er seine Mutter das nächste Mal sah, thronte sie, wie jeden Tag, an ihrem Platz in der Lobby, vor ihrem Reservierungsbuch.

„Na, hat sich dein Buch doch noch gefunden?“, neckte er im Vorbeigehen.

Seine Mutter warf ihm einen strafenden Blick zu. „Was redest du denn da? Es liegt doch immer hier, auf meinem Tisch.“

„Du hast es doch vorhin gesucht!“

Seine Mutter warf ihm einen vielsagenden Blick zu und schüttelte den Kopf. „Also wirklich, die Sache mit dieser Helga macht dich noch ganz verrückt. Du solltest ein paar Tage ausspannen.“

Erst abends hatte Lars wieder Muße, sich über die Ereignisse des Tages Gedanken zu machen. Da war einmal die Mail von Helga, in der sie ihm mitgeteilt hatte, dass es mit dem gemeinsamen Schiurlaub leider nichts werden konnte. Die Sache ließ ihm keine Ruhe. Vielleicht sollte er das Zimmer in dieser Pension doch nicht stornieren und einfach dort auftauchen. Er schenkte sich ein Glas Rotwein ein. Gar keine schlechte Idee. Er würde ein paar Tage später kommen und plötzlich vor ihr stehen.

Genau, so würde er es machen!

Dann war da noch die Sache mit seiner Mutter, die ihm langsam Sorgen machte. Es war ihm in letzter Zeit schon öfter aufgefallen, dass sie Sachen verschusselte, aber dass sie sich danach nicht mehr daran erinnern konnte, war neu. Er musste mit Silke darüber reden, am besten jetzt gleich. Wenn er sich nicht täuschte, war ihr Professoren-Freund Neurologe. Na bitte, es gab doch für alles eine Lösung.

Zwei Wochen später erwachte Lars besonders zeitig und mit einem prickelnden Gefühl. Koffer und Schier waren gepackt - heute Abend würde er vor Helga stehen, ihr einen guten Abend wünschen und einfach an ihrem Tisch Platz nehmen. Die würde Augen machen!

Er hatte ihre Absage offiziell sehr bedauert, sich aber dennoch eine Menge über ihren bevorstehenden Urlaub erzählen lassen. Nun wusste er, in welchem Hotel sie wohnten, und kannte in groben Zügen ihren Tagesablauf.

Vor ihm lagen knapp tausend Kilometer. Wenn er sie beim Abendessen überraschen wollte, musste er sich auf den Weg machen.

Die Autobahnen waren schneefrei, er kam zügig voran. Bei Frankfurt kam die Sonne heraus und begleitete ihn auf seinem Weg nach Gosau. Er hoffte sehr, dass Helga sich, nach dem ersten Schock, ebenso freuen würde wie er. Der Junior würde möglicherweise weniger begeistert sein. Aber da musste der junge Mann eben durch! Wäre doch gelacht, wenn er mit einem Zwölfjährigen nicht fertig werden würde. Frauke hatte ihm ein ganzes Bündel an guten Ratschlägen mitgegeben. Niemals provozieren lassen – als ob ein Kind ihn provozieren könnte! Immer schön cool bleiben – war er je etwas anderes gewesen? Na gut, wenn er ganz ehrlich zu sich war, konnte er eine leichte Nervosität nicht leugnen. Aber das würde er dem Jungen ganz sicher nicht auf die Nase binden – und Helga erst recht nicht. Schließlich kam er als Held. Als ungebetener Held zwar, aber gut.

Helga
Kalbshaxen

1 Kalbshaxe (etwa 3 kg, küchenfertig)

2 Zwiebeln

1 Karotte

Ein großes Stück Sellerie (etwa 150 g)

3 EL Öl

2 TL Staubzucker

1 EL Tomatenmark

⅛ l Rotwein

½ l Gemüsefonds

1 Lorbeerblatt

Einige Pfefferkörner

1–2 Knoblauchzehen

1 Scheibe Ingwer

Unbehandelte Zitronenschale

1 Zweig Thymian

Salz, Pfeffer

Zwiebel hacken, Karotte und Sellerie putzen und in Würfel schneiden. Öl erhitzen, Kalbshaxe rundherum anbraten, den Bratenansatz mit Staubzucker bestreuen, hell karamellisieren, Tomatenmark dazugeben, durchrühren, mit Rotwein ablöschen und etwas einkochen lassen. Das Gemüse in Öl andünsten, gemeinsam mit dem Gemüsefonds in eine Bratpfanne geben, Kalbshaxe darauf setzen und zugedeckt etwa 2 Stunden schmoren. Dann den Deckel abnehmen, Haxe wenden und unter mehrmaligem Wenden und Begießen etwa 2-3 Stunden weiterschmoren. Die Haxe dann herausnehmen, Lorbeerblatt und Pfefferkörner zufügen und am Herd etwas einköcheln lassen. Knoblauch, Ingwer, Zitronenschale und Thymian einige Minuten mitziehen lassen. Dann den Saft abgießen und abschmecken, zur Stelze servieren.


Im Grunde habe ich ja immer schon gewusst, dass ich auf einer Schipiste nichts verloren habe“, ärgerte sich Helga insgeheim, während sie, auf Benny gestützt, zum Abendessen humpelte. Jetzt hatte sie einen geschwollenen Knöchel, und Benny war erst recht sauer, weil sie morgen nicht Schifahren konnten. Vermutlich konnte sie die ganze Woche nicht mehr fahren, das hatte sie ihm bisher allerdings noch nicht gestanden. In ihrer Verzweiflung hatte sie sogar Paul angerufen, aber der konnte sich in dieser Woche nicht freinehmen, weil schon einige Kollegen auf Urlaub waren. Paul hatte gemeint, Benny könnte doch auch allein schifahren gehen. So eine Schnapsidee, typisch Paul. Man konnte das Kind doch nicht allein auf die Piste lassen!

Sie hatten bereits die Getränke bestellt und machten sich eben über den Thunfischsalat her, der heute als Vorspeise gereicht wurde, als Helga spürte, dass jemand hinter ihrem Sessel stehen blieb. Sie drehte sich um und dachte erst an eine Fata Morgana. Vor ihr stand, mit einem strahlenden Lächeln – Lars.

„Lars? Das gibt’s doch nicht! Ich meine … wir haben doch besprochen …“

„Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen?“

„Doch, schon, natürlich, aber ich habe dir doch gesagt …“

„… dass ihr hier Urlaub macht“, ergänzte Lars und setzte sich neben Benny auf die Bank. „Ich nehme an, das ist dein Sohn Benjamin. Oder darf ich der Einfachheit halber Benny sagen? Ich bin der Lars!“

Benny war mindestens ebenso verblüfft wie Helga und schüttelte dem Überraschungsgast kommentarlos die Hand. Dann winkte Lars den Kellner heran, bestellte ein großes Bier und fragte nach der Speisekarte.

Lars hatte es ganz hervorragend verstanden, ihre Überraschung auszunutzen, überlegte Helga, als sie gegen Mitternacht endlich im Bett lag. Es war noch ein langer Abend geworden, und da Benny rasch begriffen hatte, dass der ungebetene Gast ihm einen weiteren Tag auf der Piste sichern konnte, waren auch seinerseits Proteste vorerst ausgeblieben.

Trotzdem war Helga jetzt, da sie wieder allein war, immer noch hin- und hergerissen zwischen Ärger, weil Lars sich einfach über ihre Entscheidung hinweggesetzt hatte, und Freude, weil er den weiten Weg auf sich genommen hatte, nur um sie zu sehen. Welche Frau würde sich darüber nicht freuen?

Mal sehen, wie die beiden morgen auf der Piste miteinander auskamen. Hoffentlich war Lars ein einigermaßen passabler Schifahrer, denn Benny legte ein ordentliches Tempo vor und nichts imponierte ihm zurzeit mehr als gute Sportler.

Da Lars noch am Vorabend mit dem Hotelier vereinbart hatte, dass er bei ihnen im Hotel frühstücken und zu Abend essen würde, fragte Benny während des Frühstücks:

„Kannst du eigentlich gut Schifahren?“

„Geht so“, meinte Lars und schenkte sich Kaffee nach.

„Vielleicht solltet ihr für den Anfang die blaue Piste nehmen, die wir am Sonntag gefahren sind“, warf Helga ein.

„Die ist doch für Babys! Wir nehmen die schwarze.“

Helga warf einen ängstlichen Blick auf Lars, doch der ließ sich den Appetit offenbar nicht verderben und häufte ordentlich Schinken auf seine Semmel.

Als die beiden sich später auf den Weg machten, flüsterte Lars ihr zu: „Keine Angst, meine kleine Chouchou, ich kann ganz leidlich Schifahren. Bis später.“

Trotz dieser Versicherung verbrachte Helga keinen wirklich entspannten Tag, ständig wurde sie geplagt von der Vorstellung, was alles passieren könnte. Sie wusste von Lars, dass er ein begnadeter Koch und ein charmanter Plauderer war – das war aber auch schon alles. War es verantwortungslos, ihm Benny anzuvertrauen? Und überhaupt, warum sollte ein Hamburger ein guter Schifahrer sein?

Mit jeder Stunde wurde sie unruhiger. Es war schon dämmrig, als die beiden endlich, mit von Wind und Sonne geröteten Wangen, vor ihr standen.

„Da seid ihr ja endlich! Ich habe mir schon Sorgen gemacht!“

„Das geht schnell“, murmelte Benny, doch Lars antwortete mit seinem entwaffnenden Lausbubenlächeln: „Wir bitten tausendmal um Vergebung, aber diese Schischaukel führt so weit ins nächste Tal, wir sind eine Ewigkeit zurückgefahren.“

Was sollte sie da anderes sagen als: „Hauptsache, ihr seid wohlbehalten zurück!“, was ihr von Benny dennoch einen ziemlich genervten Blick eintrug.

Nach dem Abendessen verzog sich Benny dann früher als sonst in sein Zimmer. Helga und Lars gingen noch auf einen Absacker in die Bar. Jetzt, da Benny weg war, gab Lars zu, von diesem ersten Schitag doch ziemlich fertig zu sein.

„Weißt du, er konnte einfach nicht genug bekommen.“

„Du hättest eben klar und deutlich ‚Nein‘ sagen müssen.“

„Man will sich ja nicht gleich am ersten Tag blamieren“, antwortete er mit einem schiefen Lächeln.

„Du Armer! Benny wird Paul leider wirklich immer ähnlicher. Er versucht mehr und mehr, seine Interessen ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen.“

„Ist das nicht typisch für sein Alter?“

„Vermutlich“, sagte sie und sah sinnend ins Kaminfeuer. Sie spürte, wie Lars ihre Hand ergriff und seinen Arm um sie legte.

„Habt ihr eigentlich ein gemeinsames Zimmer?“, hörte sie ihn fragen. Sie schüttelte den Kopf: „Das hat Benny abgelehnt.“

„Kluges Kerlchen. Weißt du, ich glaube langsam, wir werden uns ganz gut verstehen.“

„Das wäre wirklich sehr schön“, antwortete Helga lächelnd.

Tatsächlich verliefen die letzten beiden Urlaubstage weitgehend reibungslos, wenn man davon absah, dass Lars am Freitagabend vor lauter Muskelkater kaum noch gehen konnte und das Essen im Hotel ziemlich durchschnittlich fand.

Helga hatte sich eine Massage gegönnt, hatte einige Sonnenstunden lesend auf ihrem Balkon verbracht und wenn sie an die letzte Nacht dachte, wurde ihr ganz warm ums Herz.

Sie hatte sich für den letzten Abend besonders sorgfältig zurecht gemacht - und das nicht nur, weil Candle-Light-Dinner angesagt war. Auch Lars war in einem dunkelblauen Blazer erschienen. Gut sah er aus!

Beim Abendessen kam das Gespräch dann noch einmal aufs Schilaufen.

„Du hast uns immer noch nicht erzählt, warum du als Hamburger so gut Schilaufen kannst“, stellte Helga fest.

„Ich wurde ja, wie du weißt, in Bayern geboren und bin schon auf Schiern gestanden, bevor ich noch richtig laufen konnte. Als wir nach Hamburg übergesiedelt sind, war es mit dem Schifahren dann erstmals vorbei. Aber nach meiner Abschlussprüfung schickten meine Eltern mich zu Verwandten nach Südtirol, die dort eine Trattoria hatten. Ich wollte etwas anderes kennenlernen als Kalbshaxen und Fleischpflanzerl. Bei uns im Landhaus, es hieß damals übrigens Zum König von Bayern, gab es ja ausschließlich bayrische Küche, das war unser Erfolgsrezept. Besonders bekannt waren wir für unsere Kalbshaxe, die machen wir heute noch – natürlich nur auf besonderen Wunsch. Mein Onkel hatte aber nicht nur die Trattoria, sondern auch eine Schischule – und die interessierte mich damals weit mehr als die Küche, schon wegen der Schihaserln!“

„Was sind denn Schihaserln?“, wollte Benny wissen.

„Kennst du nicht? Wie sagt denn ihr zu einem besonders hübschen Mädchen?“

„Eyecandy?“, schlug Benny vor.

„Dann also Eyecandies im Schi-Outfit. Jedenfalls wurde ich erst mal Schilehrer. Das war vielleicht eine turbulente Zeit, Halleluja! Damals war ich …“

Lars hätte bestimmt noch viel zu erzählen gehabt, aber in dem Moment kam ein Gast auf ihren Tisch zu und fragte ziemlich laut: „Mensch, Sie kommen mir so bekannt vor. Sind Sie nicht einer dieser Promiköche aus dem Fernsehen? Dieser Kaiser, aus Berlin?“

„Leider nein. Ich glaube, es gibt in Berlin keinen Kaiser mehr, nur eine Kanzlerin, und was mich betrifft, so bin ich leider nur der König – von Hamburg.“

Das schien der Gast ziemlich witzig zu finden, denn er lachte laut und klopfte Lars dabei ausgiebig auf die Schulter. Helga war die Situation etwas unangenehm. Sie warf einen Blick auf Benny, der die Situation auch peinlich zu finden schien, aber Lars sah aus, als würde er sie genießen.

Als der Mann endlich gegangen war, sagte er gut gelaunt: „Apropos Hamburg. Was haltet ihr davon, in der Karwoche nach Hamburg zu kommen?“

„Sightseeing ist nicht so mein Ding. Da fahre ich lieber mit Papa auf Schiurlaub“, entgegnete Benny prompt. Offenbar war er der Meinung, für diesmal wäre es genug der Höflichkeiten.

Paul
Grießnockerlsuppe

50 g Butter

130 g Nockerlgrieß = grober Grieß

1 Ei

Salz und geriebene Muskatnuss

Butter schaumig rühren, dann zunächst das Ei, dann Gewürze und zuletzt Grieß zugeben, verrühren und etwas rasten lassen. Dann mittels zweier Löffel (oder mit den Händen) Nockerln formen, auf einen beölten Teller legen, nochmals im Eiskasten rasten lassen, erst dann ins kochende Salzwasser legen und 10 Minuten bei offenem Deckel mehr ziehen als kochen lassen. Die Nockerln aus dem Kochwasser heben und in heißer Rindsuppe servieren.


Für Paul war seit seiner Scheidung jeden Sonntag Muttertag. Das freute nicht nur seine Mutter, auch seine Schwestern waren begeistert, und da Paul nur ungern Geld ausgab, freute es auch ihn.

Daher saß er auch an diesem Sonntag mit Benny im gemütlichen Wohnzimmer seiner Mutter.

„Na, wie war euer Schiurlaub?“, wollte die wissen.

„Eh ganz okay.“

Paul wusste, dass das eine der besten Noten war, die Benny derzeit zu vergeben hatte, seine Mutter hingegen meinte: „Klingt ja nicht sehr begeistert. Deine Mutter hat sicher eine Menge Geld für diesen Urlaub ausgegeben, da könntest du ruhig ein wenig …“

„… dankbarer sein“, ergänzte Benny und fügte seufzend hinzu: „Oma, du nervst.“

„In dem Ton sollte der Bub eigentlich nicht reden“, dachte Paul, aber er wollte die wenigen Stunden am Wochenende nicht immer nur meckern, den Part erfüllte ohnehin Helga. Also beschloss er, es zu ignorieren und fragte: „Was gibt’s denn heute zu essen?“

„Grießnockerlsuppe und faschierten Braten.“

„Mit Kartoffelpüree?“, wollte Benny wissen.

„Bei uns heißt das immer noch Erdäpfelpüree“, konterte Oma. „Es gibt Erdäpfelpüree und Salat. Jessas na, den Salat muss ich noch marinieren.“

Während seine Mutter sich wieder in der Küche zu schaffen machte, fragte Paul: „Jetzt erzähl mal. Wie und wo hat dieser Lars dich am Mittwoch denn dann gefunden?“

„Also das war so: Du kennst doch den steilen Lift, gleich nach der Gondel. Gleich bei der ersten Fahrt sind vor uns zwei Tussis gefahren, eine ist hinausgefallen. Ich bin noch vorbeigekommen, aber Lars musste sich hinausfallen lassen, sonst hätte er die Tante über den Haufen gefahren. Ich hab‘ ihm noch zugerufen, dass wir uns unten treffen und bin natürlich die schwarze Piste hinunter gedüst, aber Lars hat bei der Abzweigung nicht weitergewusst und ist in die rote abgebogen. Hab‘s eh gecheckt und bin dann auch gleich wieder hinauf. Hab dann auch die rote genommen, aber der Dussel hat ja nicht auf mich gewartet.“

„Woher sollte er auch wissen, dass du kommst?“, warf Paul ein.

„Jedenfalls haben wir uns erst am Nachmittag wieder gefunden, kurz davor habe ich dir die SMS geschrieben, weil ich gar keine Handynummer von ihm hatte.“

„Und Mama hat ihm nicht den Kopf abgerissen? Erstaunlich.“

„Die weiß es doch nicht! Schien mir sicherer – sollte auch so bleiben.“

Vorsicht, Zwickmühle! Paul wollte Benny zwar prinzipiell nicht dazu ermuntern, seiner Mutter etwas zu verschweigen, aber er kannte Helga und ihre Ängstlichkeit nur zur Genüge. Zu seiner Erleichterung kam in dem Moment seine Mutter mit der dampfenden Suppenterrine, sodass er vorerst einer Antwort enthoben war. Was sollte er auch sagen? Helga hätte den Jungen doch kein zweites Mal mit dem Mann auf die Piste gelassen. Verehrer hin oder her.

Nach dem Mittagessen – zum Dessert hatte es noch Schokopudding mit eingelegten Kirschen gegeben – erzählte Benny von einem gewissen Florian, den er im Schiurlaub kennengelernt hatte. Besagter Florian war ein sensationeller Schifahrer und besuchte ein Schigymnasium, da wollte er jetzt auch hin.

„Hast du schon mit Mama darüber geredet?“

Benny schüttelte den Kopf: „Lars meint, das hätte noch Zeit, geht ja ohnehin erst ab der Oberstufe.“

„Schau, schau“, dachte Paul ohne besonderes Vergnügen. Dieser Lars scheint sich ja ganz geschickt eingeführt zu haben. Der würde doch nicht ernsthaft glauben, dass …

„Wohin fahren wir eigentlich zu Ostern?“, unterbrach Benny seine Gedanken.

Paul hatte diese Frage befürchtet. Da er aber immer noch nicht wusste, wie er Benny beibringen sollte, dass sie diesmal keinen Oster-Schiurlaub machen würden, versuchte er überrascht zu sein: „Wie kommst du darauf, dass wir zu Ostern Schifahren gehen?“

„Weil wir zu Ostern immer Schifahren gehen?“

Der Bub hatte ja recht. Dennoch erwiderte Paul: „Was heißt schon immer? Außerdem ist Ostern diesmal ziemlich spät.“

„Papa! Das ist jetzt aber nicht dein Ernst. Sag, dass das nicht wahr ist!“

Paul zuckte die Schultern und fühlte sich beschissen. Er wusste doch, wie gern Benny Schifahren ging. Aber diesmal hatte er sich von seinen Motorradfreunden dazu überreden lassen, mit ihnen an den Gardasee zu fahren – diese Daniela wollte auch mitkommen. Sollte er Benny besser gleich reinen Wein einschenken? Na ja, man musste es auch nicht übertreiben. Immerhin hatte er heute schon einmal anklingen lassen, dass es diesmal anders sein würde. Sie könnten doch stattdessen im Mai ein gemeinsames Wochenende einlegen. Vielleicht sogar mit dem Motorrad? Er musste da mal drüber nachdenken. Jetzt klopfte er Benny aufmunternd auf die Schulter. „Was ist, wollen wir bis abends bei Oma herumkugeln oder gehen wir noch Billard spielen?“

„Billard“, rief Benny und sauste ins Vorzimmer.

Na bitte, ging doch.

Hätte er sich ja denken können, dass er so einfach nicht davonkam! Natürlich hatte Benny in Sachen Osterschiurlaub nicht locker gelassen. Jetzt hatte er den Salat!

Benny war sauer auf ihn gewesen. Das hatte er nachvollziehen können. Um die Sache wieder auszubügeln, hatte er eine gemeinsame Motorradtour vorgeschlagen, gleich Anfang Mai.

Zugegeben, er hätte vorher mit Helga darüber reden sollen. Schließlich kannte er sie lang genug, um zu wissen, wie sie tickte. Helga war, von Höhenangst und Spinnenphobie einmal abgesehen, eine ganz patente Person, nur wenn es um ihren Sohn ging, wurde sie überängstlich, aber echt. Jetzt war sie sauer auf ihn, weil Benny seinerseits auf Helga sauer war, die eine solche Fahrt strikt verboten hatte.

Eben hatte Benny ihm verklickert, dass er in der Karwoche ohnehin keine Zeit gehabt hätte, weil er doch mit Mama nach Hamburg fliegen würde. Dieser Lars hätte ihm eine Hafenrundfahrt versprochen. Außerdem wollte er mit ihnen zum Museumshafen fahren und dort die historischen Segelboote besichtigen. Der Mann legte sich ja ordentlich ins Zeug. Jetzt war Paul auch sauer, aber richtig.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752100969
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Juli)
Schlagworte
Humorvoller Roman Patchwork Karriere Familienroman Frauenunterhaltung Unterhaltungsroman Rezepte Humor Gesellschaftsroman

Autor

  • Brigitte Teufl-Heimhilcher (Autor:in)

Brigitte Teufl-Heimhilcher lebt in Wien, ist verheiratete und bezeichnet sich selbst als realistische Frohnatur. In ihren heiteren Gesellschaftsromanen setzt sie sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Fragen auseinander. Sie verwebt dabei Fiktion und Wirklichkeit zu amüsanten Geschichten über das Leben - wie es ist, und wie es sein könnte.
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Titel: Champagner und ein Stück vom Glück