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Umwege zum Glück

von Gabriele Popma (Autor:in)
508 Seiten

Zusammenfassung

Hals über Kopf verliebt sich die Studentin Corinna in den sympathischen Draufgänger Sandie, doch es ist eine Liebe ohne Zukunft. Als Corinna feststellt, dass sie ein Kind erwartet, hat sie Sandie bereits aus den Augen verloren.

Einige Jahre später: An der Seite des ehrgeizigen Geschäftsmanns Robert führt Corinna ein ruhiges, harmonisches Familienleben. Da kreuzen sich ihre und Sandies Pfade erneut.

Zu Sandie war das Schicksal weniger freundlich. Der ehemalige Charmeur sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl und hat sich zu einem bitteren Zyniker entwickelt, der jeglichen Lebensmut verloren hat.

Als Corinna eine Entscheidung trifft, deren Konsequenzen sie nicht einschätzen kann, gerät ihr Leben komplett aus den Fugen.

Und wieder muss sie sich entscheiden ...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Gabriele Popma

 

Umwege zum Glück

 

Roman

 

 

 

Vorwort

 

»Umwege zum Glück« erschien erstmals 1996 im Universitas-Verlag, München. Für die Neuauflage wurde der Text gründlich entstaubt und modernisiert, um einige Klischees verringert und dafür um etliche Details bereichert. Was nicht geändert wurde, ist der Zeitrahmen. So beginnt die Handlung in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, noch völlig ohne Internet und Handys.

 

1

 

Es war ein wunderschöner warmer Tag Ende Mai. Auf dem winzigen Balkon im dritten Stock des Appartementhauses saßen zwei Mädchen auf bequemen Campingstühlen und ließen sich von der Sonne bräunen. Beide steckten die Nase in ein Buch, die Lektüre unterschied sich jedoch deutlich. Während Astrid einen spannenden Roman las, versuchte Corinna, sich die Anwendung des spanischen Gerundiums einzuprägen. Schließlich legte sie das Lehrbuch zur Seite und nahm einen großen Schluck aus dem Limonadeglas, das neben ihr stand.

»Eigentlich haben wir es doch gut, oder?«

»Hmm.«

»Ich meine, genauso gut könnte ich jetzt in einem überfüllten Studentenwohnheim sitzen und vergeblich versuchen, mich zu konzentrieren, während meine Kommilitonen eine rauschende Fete feiern.«

Astrid sah von ihrem Buch hoch. »Interpretiere ich dich also richtig, dass es dir bei mir gefällt?«

»Ich finde es prima.« Corinna grinste sie an. Astrid war vor fünf Jahren nach München gezogen und hatte nun die jüngere Schwester für die Zeit ihres Studiums bei sich aufgenommen. Seit sieben Monaten wohnten sie zusammen und bisher lief das Experiment hervorragend. Die Großstadt hatte Corinna voll in ihren Bann gezogen und obwohl sie in einem kleinen Dorf aufgewachsen war, wusste sie sich hier gut zu behaupten.

»Prima, ja? Holst du mir dann auch etwas zu trinken?«

»Ja, klar.« Gut gelaunt sprang Corinna hoch. »Was magst du denn?«

»Sieh doch mal nach, ob du noch eine Cola auftreiben kannst.«

Das junge Mädchen trat in die gemeinsame Wohnung. Eigenartig, wie gut sie sich inzwischen mit Astrid verstand. In ihrer Jugend war das ganz anders gewesen, allerdings war das bei einem Altersunterschied von sechs Jahren auch nicht weiter verwunderlich.

»Hier, die Letzte.« Corinna stellte ein großes Glas vor Astrid hin. »Ich fürchte, wir müssen mal wieder unsere Ersparnisse angreifen und einkaufen gehen.«

»Welche Ersparnisse denn?« Astrid gluckste. »Haben wir welche?«

»Nein.« Corinna seufzte. »Wir leben wirklich über unsere Verhältnisse. Zumindest ich.«

»Ach lass nur, Papa kann das schon verkraften. Was willst du denn? Du rauchst nicht, trinkst nicht, hängst nicht in zweifelhaften Lokalen herum, und hungern sollst du ja wohl nicht.«

»Trotzdem. Papa ist so großzügig und nie habe ich am Monatsende noch Geld übrig.«

»Du kommst wenigstens damit aus. Bei mir ist am Ende vom Geld meistens noch furchtbar viel Monat übrig.« Astrid lachte, während Corinna ein Gesicht zog. »Ja, ich weiß, der Witz hat einen Bart, aber ganz ehrlich, ich bin über den monatlichen Mietzuschuss, den mir unser alter Herr für dich zahlt, ziemlich froh.«

»Aha, jetzt kommt es an den Tag. Ich darf nicht hier wohnen, weil ich deine geliebte kleine Schwester bin, sondern weil Papa dir die Hälfte der Miete dafür zahlt.«

»Klar, weshalb sonst?« Astrid blinzelte Corinna vergnügt an, wurde dann jedoch ernst. »Sich die Wohnung mit jemandem zu teilen, bedeutet natürlich eine große Ersparnis, gerade weil hier mitten in München die Preise nicht von Pappe sind. Aber wenn man sich nicht richtig gut versteht, kann das Zusammenwohnen zur Qual werden. Ich muss zugeben, dass ich anfangs Bedenken hatte, als die Eltern vorschlugen, dass du bei mir einziehst. Schau nicht so beleidigt, Corrie. Wie du selbst vorhin festgestellt hast, haben wir es doch ganz gemütlich hier. Und ich finde, wir haben uns recht ordentlich zusammengerauft.«

»Ja, ältere Schwestern werden eben auch manchmal klüger.«

»Nicht frech werden, sonst fliegst du wieder raus.«

»Glaub ich dir nicht.« Corinna hielt ihr Gesicht in die Maisonne. »Das bringst du nicht übers Herz. Ein Studentenwohnheim wäre der reine Horror für mich.«

»Ach was, du würdest dich schnell eingewöhnen. Du bist doch ein verträglicher Typ. Übrigens, hast du dich schon entschieden, ob du heute Abend mitkommst?«

»Zu dieser Party bei deinem Kollegen? Nein, lieber nicht.«

»Warum denn nicht? Du hast doch nichts Besseres vor, oder? Du musst dich endlich mal voll in das Münchener Leben werfen.«

»Aber ich kenne da doch niemanden.«

»Mit dieser Einstellung wirst du das auch nicht ändern. Eine solche Fete ist die beste Gelegenheit, um neue Leute kennenzulernen. Außerdem werde ich mich schon um dich kümmern.«

»Ja, das kenne ich. Spätestens nach drei Minuten bist du der Mittelpunkt einer lachenden Menge, während ich daneben stehe und keine Ahnung habe, was ich sagen soll.«

»Du darfst dich bloß nicht so krampfhaft darum bemühen, geistreich zu sein. Es ist klar, dass dir dann nichts einfallen kann. Du musst dich einfach treiben lassen. Dann kommen die Unterhaltungsthemen ganz von allein.«

Corinna seufzte. Astrid hatte gut reden. Sie hatte eine natürliche Ausstrahlung, die auf andere anziehend wirkte. Sie trug geflickte Jeans mit der gleichen Eleganz wie ihr bestes Abendkleid und um Gesprächsstoff war sie nie verlegen. Sie konnte mit wildfremden Menschen ein Gespräch beginnen und die banalsten Dinge zur interessanten Wissenschaft werden lassen.

Sie war da völlig anders. Sie war keineswegs schüchtern, wenn sie sich auf vertrautem Terrain befand und die Menschen, mit denen sie sprach, kannte. Dann war sie witzig und schlagfertig. Sobald jedoch fremde Leute um sie waren und sie keinen Bezugspunkt fand, verließen sie diese Eigenschaften. Sie fühlte sich dann wie eine kleine graue Maus und war überzeugt davon, dass auch die anderen diesen Eindruck von ihr erhielten. Je nach Laune zog sie sich darauf entweder still in eine Ecke zurück, oder sie versuchte, mit aller Kraft mitzureden, was sie dann meistens gestelzt und gekünstelt wirken ließ. Oft wurde sie als hochmütig bezeichnet, dabei war sie einfach nur unsicher. Und nun wollte Astrid sie mit zu einer Party schleppen, die exakt diese Vorzeichen besaß. Corinna wusste genau, es würde eine Riesenpleite werden, wenn sie mitging, und ihrem Selbstbewusstsein einen erneuten Dämpfer verpassen. Doch Astrids Meinung nach konnte Corinna den Umgang mit anderen Menschen nur lernen, wenn sie mit ihnen zusammen kam.

»Nur Mut, Corrie. So schlimm wird es nicht werden. Es sind nicht nur Leute vom Verlag da, sondern auch ein paar Studenten. Mit denen kannst du dich über die Uni unterhalten oder über die Fächer, die ihr belegt habt. Vielleicht kennst du ja doch einige der Gäste.«

»Ziemlich unwahrscheinlich. Außerdem weiß ich nicht mal, was ich anziehen soll.«

»Wie wäre es mit dem kleinen Schwarzen?« Schalk blitzte in Astrids Augen.

»Du weißt genau, dass ich im Gegensatz zu dir so etwas nicht besitze. Außerdem würde ich absolut lächerlich darin wirken.«

»Ach was, du weißt nur nicht, wie du elegante Kleider tragen sollst. Aber heute Abend ist das gar nicht nötig. Die meisten Gäste werden sowieso in Jeans erscheinen. Und du sollst dir nicht immer Gedanken darüber machen, was die anderen denken. Du musst dir selbst gefallen. Nur das ist wichtig.«

Aber nicht ganz einfach, dachte Corinna. Doch sie sprach es nicht aus. Stattdessen hörte sie zu ihrem Schrecken ihre Stimme, die zu Astrid klar und deutlich sagte: »Gut, wenn dir so viel daran liegt, komme ich halt mit.«

 

Corinna langweilte sich. Natürlich war es genauso gekommen, wie sie befürchtet hatte. Astrid hatte sie zwar ihren Freunden vorgestellt, aber gleichzeitig die ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Seit einer Stunde sprach sie mit einigen Kolleginnen über die neueste Mode und mit den Männern über Politik. Corinna beneidete ihre Schwester, wie sie es schaffte, über all diese Dinge zu reden, als wäre sie der absolute Insider. Dabei wusste sie, dass Politik Astrid herzlich wenig interessierte, doch niemand sonst schien es zu bemerken.

Corinna hatte bisher nur etwas mit dem Gastgeber geplaudert, einem netten blonden Mann namens Reinhold, der bemüht war, sich um alle Anwesenden persönlich zu kümmern. Sie hatten einige höfliche Floskeln ausgetauscht und er hatte zweimal betont, wie sehr er sich freue, Astrids Schwester kennenzulernen. Bevor er sich wieder anderen Gästen zuwandte, bat er sie noch, sich wie zu Hause zu fühlen.

Doch Corinna war dem Trubel nicht gewachsen. Alle anderen Leute schienen sich untereinander zu kennen. Keiner schien das Mädchen zu bemerken, das sich verzweifelt bemühte, Anschluss zu finden, und zu schüchtern war, um sich einfach in die Menge zu stürzen und so zu tun, als würde sie dazu gehören. Alle, bis auf Einen. Zweimal hatte Corinna schon den Blick eines jungen Mannes aufgefangen, der sie interessiert zu mustern schien. Er war größer als die meisten anderen hier und trotz der frühen Jahreszeit braun gebrannt. Sie fühlte, wie sie unter dem Blick der tiefblauen Augen errötete und wandte sich schnell wieder dem Tisch mit den Getränken zu.

»Darf ich dir etwas einschenken?« Die Stimme hinter ihr klang tief und ungemein sympathisch. Corinna wusste, ohne sich umzudrehen, wer sie angesprochen hatte. Und prompt fühlte sie, wie Geist und Inspiration sie verließen und nur ein leeres Gehirn zurückblieb.

»Ja, gerne«, sagte sie nur und kam sich dabei unwahrscheinlich fade vor.

»Was willst du denn?« Langsam schob sich ein freundlich lächelndes Gesicht so in ihr Blickfeld, dass sie nicht ausweichen konnte.

»Äh, was will ich denn?« Oh Mann, Corinna, stell dich nicht so verdammt blöde an, schalt sie sich heftig. »Am liebsten eine Cola.« Ja, das war schon etwas besser.

»Cola. Jawohl, die Dame, Cola kommt sofort.«

Während sie zusah, wie das braune Getränk in ein Glas floss, legte sich Corinnas Nervosität ein wenig. Als sie es in Empfang nahm, was sie schon so weit, dass sie ihr Gegenüber ebenfalls anlächeln konnte. »Danke.«

»Bist du allein hier?« Sein Blick hatte fast etwas Mitleidiges.

»Ja, das heißt, nein.« Corinna schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln, bevor sie sich noch mehr blamierte. »Ich bin mit meiner Schwester hier. Astrid.«

Er zog die Augenbrauen hoch. »Astrid ist deine Schwester? Hätte ich nicht gedacht.«

»Ja, das glaube ich dir. Niemand hält uns für Schwestern. Wir sind sehr unterschiedlich. Nicht nur äußerlich.«

»Du fühlst dich wohl ein bisschen einsam, wie?«

Corinna wollte schon heftig verneinen, da hörte sie Astrid im Kreis ihrer Freunde fröhlich lachen. Das versetzte ihr einen Stich, der sie ehrlicher antworten ließ, als sie eigentlich wollte. »Ja, ein bisschen. Weißt du, ich kenne hier niemanden.«

»Und du findest nicht so leicht Anschluss wie deine großartige Schwester?«

Sie nickte. »Genau. Wie du selbst festgestellt hast, ist sie eben großartig. Im Gegensatz zu mir«, fügte sie mit leichter Bitterkeit hinzu.

Ihr Gesprächspartner musterte sie nachdenklich. »Wie heißt du eigentlich?«

»Corinna. Corinna Stadler. Und du?«

»Alexander. Wegener«, fügte er noch hinzu, wohl, weil Corinna ihm auch ihren Nachnamen genannt hatte. Er musterte sie nachdenklich, dann grinste er frech. »Komm doch mal kurz mit.«

»Wohin?«

»Lass dich überraschen. Ich will dir etwas zeigen. Na komm schon, nicht so schüchtern.«

Er nahm sie einfach bei der Hand und zog sie ins Badezimmer. Sorgfältig schloss er die Tür?

»Und was soll ich hier?« Sie fragte sich kurz, ob ihre neue Bekanntschaft sie hier verführen wollte, aber so wirkte Alexander nicht auf sie.

»Wart’s ab.« Er fasste sie bei den Schultern und drehte sie herum, so dass sie geradewegs in den Spiegel sah. »Was siehst du?«

»Mich.« Corinna hatte keine Ahnung, was er von ihr wollte.

»Nein, so leicht mache ich es dir nicht. Ich fragte nicht, wen du siehst, sondern was.«

Ein merkwürdiges Spiel. Doch Alexander schien einen bestimmten Zweck damit zu verfolgen. Corinna spürte ein leichtes Kribbeln im Bauch. Eigentlich war er genau ihr Typ. Er war mindestens einen halben Kopf größer als sie und sie war schon größer als die meisten Mädchen hier. Als sie wieder in den Spiegel sah, begegneten ihr die klaren, dunkelblauen Augen, die ihr schon vorher aufgefallen waren. Alexander hatte dichte, blonde Haare, die eigentlich mal wieder gekämmt werden mussten, und einen Schnurrbart, der einen leichten Stich ins Rötliche hatte. Seine markanten Gesichtszüge flößten ihr ungewollt Vertrauen ein und sie fragte sich, warum dieser Junge, den sie auf Mitte Zwanzig schätzte, sie angesprochen hatte.

Er merkte, wie sie ihn im Spiegel musterte und trat einen Schritt zurück. »Du sollst nicht mich anschauen, sondern dich«, grinste er. »Also, was siehst du?«

In einem Anflug von Galgenhumor antwortete Corinna ihrer Stimmung entsprechend: »Eine kleine graue Maus.«

»Wirklich?« Alexander drehte sie zu sich um und betrachtete sie, als hätte er sie gerade zum ersten Mal gesehen. »Komisch, ich sehe etwas ganz anderes. Willst du wissen, was?«

Sie nickte beklommen. Was würde jetzt wohl kommen?

Alexander setzte sich auf den Rand der Badewanne und verschränkte die Arme vor der Brust, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. »Ich sehe ein junges Mädchen, vielleicht neunzehn Jahre alt.«

Corinna nickte.

»Ungefähr, na ja, 1,75 groß.«

»1,76.«

»Prima, habe ich doch nicht schlecht geschätzt. Hey, ich glaube, du bist größer als Astrid, kann das sein?«

»Ja, aber nur drei Zentimeter. Das fällt nicht auf.«

»Trotzdem. Das hast du ihr schon mal voraus.« Er sah sie von oben bis unten an. »Das Mädchen, das ich hier sehe, ist ein bisschen schüchtern und sie hält sich für unscheinbar, was sie unsicher macht. Das steht in ihren Augen. Es sind übrigens schöne Augen. Ich mag braune Augen. Die haben so etwas Zärtliches.«

»Du spinnst ja.« Corinna musste lachen. »Außerdem sind sie mehr grün als braun.«

»Sei ruhig. Ich bin noch nicht fertig. Weiterhin sehe ich wundervolle dunkle Haare.« Er stand auf, um eine Strähne durch seine Finger gleiten zu lassen. »Es sind sehr feine und dünne Haare.«

»Viel zu dünn. Man kann nichts damit anfangen, außer sie einfach herunter hängen zu lassen.«

»Viele Mädchen wären froh über so feine Haare, die ganz weich und locker auf die Schultern fallen. Das Mädchen im Spiegel trägt kein Make-up.« Corinna erinnerte sich daran, wie Astrid sie zu Lippenstift und Lidschatten hatte überreden wollen, und überlegte kurz, ob sie hätte nachgeben sollen. Doch Alexander hatte seine Worte anscheinend nicht als Kritik gemeint. »Aber sie hat es auch nicht nötig«, fuhr er fort. »Ihre Augen sind groß und ausdrucksvoll, jede Farbe würde sie verschandeln, und ihre Wangen brauchen kein Rouge, um gesund zu wirken. Das Mädchen hier hat eine schmale, gerade Nase und eine reine, glatte Haut. Jetzt verrate mir, warum sollte sie eine kleine graue Maus sein?«

Corinna blickte überrascht in den Spiegel. So hatte sie sich noch nie betrachtet. Sie war schon immer froh gewesen, dass ihre Haare nicht fetteten und ihre Wangen nicht glänzten. Sie wusste, dass sie ausdrucksstarke Augen hatte. Sie amüsierte sich stets, wenn Astrid mit Kajalstift und Mascara bewaffnet ewig vor dem Spiegel stand, um ihre Augen größer wirken zu lassen. Trotzdem würde sie sich nicht unbedingt hübsch nennen. Fragend sah sie Alexander an.

»Wie du gerade festgestellt hast«, meinte er verschmitzt lächelnd, »hast du alles, was die anderen Mädchen und Frauen da draußen auch haben, vielleicht sogar noch mehr. Warum, um alles in der Welt, versteckst du dich in einer Ecke?«

»Hab ich ja gar nicht. Es ist nur, weil, weil …« Corinna wusste nicht mehr, was sie hatte sagen wollen.

»Du kommst dir aufdringlich vor, wenn du dich einfach zu einer Gruppe dazu stellst?«

Sie nickte kläglich. Dieser Junge schien genau zu wissen, was in ihr vorging.

»Das ist Unsinn. Ich werde es dir beweisen. Pass auf, wir beide gesellen uns jetzt zu dem Grüppchen, das deine Schwester um sich geschart hat. Es dauert keine zwei Minuten, bis du dich großartig unterhältst, wetten? Und wenn du unsicher bist, redest du einfach mit mir, okay?«

»Okay.« Corinna wusste gar nicht, wie ihr geschah. »Wieso tust du das?«

»Was?«

»Na, all das. Ich meine, kein anderer wäre auf so eine verrückte Idee gekommen. Nicht einmal Astrid. Sie wollte mir zwar helfen, neue Leute kennenzulernen, aber sie ist viel zu beschäftigt.«

»Kennst du das Märchen vom hässlichen Entlein?«

»Natürlich, warum?«

»Weißt du, ich dachte mir, ich müsste zu diesem kleinen, niedlichen Entchen gehen und ihm beweisen, dass es ein herrlicher Schwan sein kann, wenn es nur ein bisschen Mut zeigt.«

»Danke, das Entchen merke ich mir. Sind deine Motive wirklich so uneigennützig?«

»Nicht ganz. Aber das erzähle ich dir später mal. Komm, die anderen vermissen uns bestimmt schon.«

»Mich vermisst keiner.«

Er drohte ihr mit dem Zeigefinger. »Du sollst keine solchen Sachen denken, geschweige denn aussprechen. Irgendwann glaubst du es sonst selber noch. Komm jetzt, Schwan, zeige den anderen, wer du bist.«

 

»Corrie, wo warst du denn so lange?« Astrid winkte ihr aufgeregt zu.

Alexander puffte sie leicht in die Rippen. »Siehst du, man hat dich eben doch vermisst.«

Gemeinsam gesellten sie sich zu Astrid und einigen anderen Gästen.

»Was habt ihr Zwei denn getrieben?«, fragte Astrid und bedachte Alexander mit einem misstrauischen Blick, den dieser lachend quittierte.

»Ich habe nur meine Chance wahrgenommen. Du bist ja viel zu beschäftigt für einen kleinen Flirt.«

»Es muss nur der Richtige kommen.« Astrid sah ihm provokativ in die Augen, doch er reagierte überhaupt nicht darauf. Irritiert wandte sie sich ihrer Schwester zu. »Corrie, ich habe gerade von dem köstlichen Nudelauflauf geschwärmt, den du gestern gemacht hast. Anita hätte gern das Rezept, weißt du es auswendig?«

Bestrebt, etwas zum Haushalt beizutragen, hatte sich Corinna nach ihrem Umzug einige Kochbücher besorgt und überraschte ihre Schwester am Abend ab und zu mit einem Essen. Nun war sie dankbar für den Anstoß, den Astrid ihr gab. Wenn sich ein Thema fand, das ihr lag, brach ihr natürliches Wesen durch, das ihr half, sich rasch Sympathien zu sichern.

Während sie sich mit einigen jungen Frauen über Kochrezepte austauschte, merkte sie, wie Alexander von seinen Freunden weggeschwemmt wurde. Schade eigentlich. Sie wusste immer noch nicht, was sie von diesem Jungen halten sollte. Schleppte sie einfach ins Badezimmer und hielt ihr ein Selbstporträt vor. Corinna lächelte in sich hinein, als sie daran dachte.

Unversehens stand sie mitten in einer Gruppe von Studenten, die sich über ihre Studienfächer unterhielten und verschiedene Universitäten gegeneinander abwägten. Irgendjemand drückte ihr ein Glas Wein in die Hand und durstig nahm sie einen großen Schluck daraus. Fast augenblicklich spürte sie, wie ihr das ungewohnte Getränk zu Kopf stieg. Als später auch noch Schnaps ausgeschenkt wurde, versuchte sie zu passen.

»Komm schon, Corinna, ist doch nur ein winziges Gläschen.«

»Probier ruhig mal, der schmeckt gut.«

Sie ließ sich überreden. Es freute sie, dass sich die Menschen um sie herum so um sie bemühten. Sie begann sich zunehmend wohler zu fühlen und redete freier und auch spontaner.

Nach einer Weile wurde getanzt. Reinhold legte heiße Discorhythmen und pure Schmachtfetzen auf. Bei einem Partnerwechsel fand sich Corinna überraschend in Alexanders Armen wieder. Er lachte sie an, während er sie drehte. Sie fand es wunderbar, mit ihm zu tanzen. Sie versank immer tiefer in diesen blauen Augen und in ihrem Bauch begannen Schmetterlinge zaghaft zu flattern. Der Tanz hätte ewig dauern können, doch viel zu schnell war das Lied beendet. Zur nächsten Runde forderte Reinhold sie auf und auch Alexander fand eine neue Partnerin.

Irgendwann fühlte sie, wie ihre Wangen von der Hitze rot wurden. Sie flüchtete sich ins Badezimmer und besah sich kritisch im Spiegel. Von der freundlichen Beschreibung, die Alexander ihr wenige Stunden zuvor gegeben hatte, war nicht mehr viel übrig. Ihre Haare waren zerzaust, ihr Gesicht gerötet und ihre Augen glänzten unnatürlich.

»Corinna, du hast einen Schwips«, erzählte sie ihrem Spiegelbild. »Ich versichere dir, du wirst dich morgen mit furchtbarem Kopfweh plagen müssen, wenn du dich nicht zusammenreißt.«

Sie kicherte. Sie wusste genau, dass sie nicht auf ihre Ermahnung hören würde. Heute war es ihr egal, was morgen sein würde, und heute gefiel es ihr, einen kleinen Schwips zu haben. Sie fuhr sich mit dem Kamm durch die Haare und spritzte sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht, um frischer zu wirken.

In diesem Moment kam Astrid zur Tür herein. Auch sie sah verschwitzt und keineswegs mehr nüchtern aus.

»Lass das Wasser laufen, Corrie«, stöhnte sie. »Es ist ja furchtbar heiß hier.«

»Ich glaube eher, das ist der Alkohol.«

»Und die Leute. Ich wusste gar nicht, dass Reinhold so viele eingeladen hatte. Aber es macht dir doch jetzt auch Spaß, oder?«

»Ja, schon. Es ist richtig nett.«

»Was hattest du eigentlich mit Alex hier im Badezimmer zu suchen?«

»Wir haben uns unterhalten.«

»Ach ja? Nur unterhalten? Geht man dafür ins Bad?«

»Natürlich.« Verblüfft sah Corinna ihre Schwester an. »Was glaubst du denn?«

»Entschuldige. Ich dachte nur …«

»Was dachtest du?« Corinnas Stimme war schärfer, als sie beabsichtigt hatte.

»Ach, vielleicht tue ich Alex unrecht, ich kenne ihn nur flüchtig. Nur, er ist meiner Meinung nach nicht der Typ, der es bei einer Unterhaltung belässt.«

»So, das meinst du?« Corinna sah in den Spiegel und erinnerte sich an Alexanders Worte. »Ich sage dir, du täuschst dich. Er ist einfach nett. Außerdem gehören zu deinen schmutzigen Gedanken zwei Personen.«

»Ich rate dir nur, vorsichtig zu sein.« Astrid legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich habe schließlich eine gewisse Verantwortung für dich.«

»Wirklich? Ich dachte, ich wäre volljährig.«

»Ach Corrie, du weißt doch, was ich meine.«

»Ja. Es ist auch lieb von dir, dass du dir über mich Gedanken machst, aber das ist nicht nötig. Ich weiß schon, was ich tue.«

2

 

Als Corinna auf ihre Uhr sah, stellte sie fest, dass es schon nach zwei war. Sie sah sich um. Die Gästereihe hatte sich bereits ziemlich gelichtet. Astrid saß mit einem Glas Cognac in der Hand auf der Couch und erzählte dem Gastgeber Reinhold die Geschichte ihres Lebens. Corinna war müde. Sie wäre gerne nach Hause gegangen, wollte ihre Schwester aber nicht allein lassen. Die interessanten Gespräche waren mit zunehmendem Alkoholgenuss immer weniger geworden und hatten sich teilweise in nichtssagendes Geschwätz verwandelt, dem sie nicht zuhören wollte.

Sie stand gerade vor dem kalten Buffet und wunderte sich, wie schnell sich appetitlich angerichtetes Essen in einen Abfallhaufen verwandeln konnte, als jemand ihr auf die Schulter tippte.

»Hallo, junger Schwan«, sagte die dunkle Stimme hinter ihr.

»Hallo.« Überrascht drehte sie sich zu Alexander um. »Ich dachte, du wärst schon längst weg.«

»Ich weiß, ich habe dich sträflich vernachlässigt. Verzeihst du mir?«

»Warum denn? Du schuldest mir doch nichts.«

»Aber ich wollte mich ein bisschen um meinen frisch geschlüpften Schwan kümmern.«

»Um das hässliche Entlein, meinst du wohl.«

Er hob mit einem Finger ihr Kinn hoch, so dass sie ihn ansehen musste. »Hässlich habe ich nie gesagt. Abgesehen davon hattest du meine Hilfe gar nicht mehr nötig. Möchtest du ein Stück mit mir spazieren gehen?«

»Jetzt? Mitten in der Nacht?«

»Warum nicht? Die Luft ist hier so stickig und verqualmt, ich muss einfach raus. Und geboten wird hier sowieso nichts mehr.«

»Wir können doch nicht mitten in der Nacht …«

»Natürlich können wir. Der Englische Garten ist nur ein Katzensprung von hier.« Alexander sah Corinna ironisch an. »Hast du Bedenken wegen der Dunkelheit oder wegen mir?«

»Eher, dass ich von der frischen Luft umfalle.« Sie strich über ihre heißen Wangen. »Aber etwas Bewegung wäre jetzt wirklich schön. Ich sage nur schnell Astrid Bescheid.«

»Gut, ich warte draußen auf dich.«

Astrid erzählte Reinhold gerade glucksend die überwältigende Story, wie sie einmal die Schule geschwänzt hatte, und hörte kaum darauf, was Corinna sagte. »Viel Vergnügen«, murmelte sie nur und beachtete sie nicht weiter.

Corinna nickte. Wenn Astrid ihrer sogenannten Verantwortung nicht mit Ermahnungen nachkommen wollte, war es ihr recht. Sie wühlte ihre Jacke aus einem Haufen unter der Garderobe und trat ins Freie, wo Alexander auf sie wartete.

 

Sie sprachen nicht viel, als sie durch den Englischen Garten liefen. Corinna war zu müde, um zu reden, und sie vermutete, dass es ihrer neuen Bekanntschaft ähnlich ging. Die frische Luft hatte sie im ersten Moment tatsächlich etwas schwindelig gemacht, doch Alexander hatte sie festgehalten, bis sie nicht mehr schwankte. Die Berührung hatte ihr gefallen, doch zu ihrer Enttäuschung hatte er sie sofort wieder losgelassen. Sie hätte nichts dagegen gehabt, wenn er den Arm um ihre Schultern gelassen hätte.

Obwohl es sternenklar war, war es nicht kalt, fand sie. Wobei vielleicht auch die drei Cognacs eine Rolle spielten, die sie getrunken hatte. Sie war dankbar, dass der laue Wind ihren Kopf wieder klar blies. Sie wollte vor Alexander nicht den Eindruck erwecken, dass sie betrunken war. Von der Seite her schielte sie ihn an. Sie mochte ihn. Sehr sogar. Insgeheim überlegte sie bereits, wie sie es anstellen konnte, dass sie sich wiedersehen würden. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie nicht auf den Weg achtete und stolperte.

Sofort fasste Alexander sie stützend am Arm. »Magst du dich ein bisschen ausruhen?«

»Ja, ich würde mich gern kurz hinsetzen.«

»Da hinten steht eine Bank. Schaffst du es bis dahin?«

»Ja, ich denke schon.« Corinna lächelte. »Tu nicht so, als wärst du nicht auch müde.« Sie ließ sich neben ihm auf die Parkbank sinken und schloss kurz die Augen. Es war so friedlich und ruhig hier mitten in der Nacht. Niemals hätte sie gedacht, dass sie um drei Uhr morgens mit einem Jungen im Englischen Garten sitzen und die Sterne betrachten würde. Sie fühlte sich wohl in Alexanders Gesellschaft. Auch er schwieg, als wolle er den besonderen Moment zwischen ihnen nicht zerstören. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie ihn ansah. Es grenzte für sie an ein Wunder, dass er sich unter den zehn anwesenden Mädchen ausgerechnet sie ausgesucht hatte. Vielleicht konnte sie ja, konnte sie … Ach, wenn sie doch nicht so müde gewesen wäre.

 

Langsam öffnete Corinna die Augen. War sie tatsächlich eingeschlafen? Sie merkte, dass ihr Kopf an Alexanders Schulter lag. Mit einem Ruck fuhr sie hoch.

Er lächelte sie an. »Warum erschrickst du denn so?«

»Wie spät ist es?«

»Kurz nach vier.«

»Dann habe ich fast eine Stunde geschlafen. Habe ich mich die ganze Zeit so an dich gelehnt?«

»Ja, aber das macht nichts.« Er streckte sich und rollte mit den Schultern. »Außer, dass ich jetzt ein bisschen lahm bin.«

»Tut mir leid.«

»Muss es nicht. Wer hält nicht gern einen Schwan in den Armen?«

»Lach mich nicht aus, ja?«

»Nein, bestimmt nicht.« Er strich über ihren Arm. »Willst du heimgehen?«

»Eigentlich habe ich überhaupt keine Lust dazu. Es ist so gemütlich hier. Lass uns noch ein paar Minuten bleiben. Du, darf ich denn auch Alex zu dir sagen?«

Er verzog das Gesicht. »Wenn du willst.«

»Gefällt dir der Name nicht?«

»Nicht wirklich. Das x am Schluss hört sich immer an wie ein Knacksen.«

»Wie soll ich dich dann nennen? Ich will dich nicht bei einem Namen rufen, der dir nicht gefällt. Und Alexander ist viel zu erhaben für dich. Das passt nicht.«

Er lachte. »Meinst du?«

»Vielleicht in zwanzig Jahren. Aber nicht jetzt.«

»Dann hast du ein Problem. Denn eine andere Abkürzung wirst du aus meinem Namen nicht herleiten können und einen Spitznamen habe ich nicht. Obwohl«, er zögerte und lachte leise. »Meine erste große Liebe nannte mich Sandie.«

»Große Liebe?«

»Ja, meine Cousine. Sie war damals zwanzig und ich gerade neun.«

»Hervorragende Voraussetzungen.«

»Ja, nicht wahr? Ich sah sie nur sehr selten, war aber bis über beide Ohren in sie verknallt.«

Corinna lächelte. »Sandie. Das gefällt mir. Gibt es nicht eine uralte Fernsehserie, in der ein Sandie vorkam?«

»Ja, Flipper. Aber ich habe keinen Delfin.« Er legte seinen Arm um ihre Schultern. »Nur einen Schwan.«

»Hör auf damit. Ich bin kein Schwan.«

»Ich finde schon.« Er sah in den Himmel. »Ich sollte dich zurückbringen. Es wird schon bald wieder hell. Astrid reißt mir sowieso den Kopf ab, weil ich dich entführt habe.«

»Glaube ich nicht. Sie hat nicht mal mitgekriegt, dass ich gegangen bin.« Corinna rappelte sich auf. Sie war enttäuscht, dass Alexander, oder Sandie, wie sie ihn nennen wollte, während der ganzen Zeit nicht einmal den Versuch unternommen hatte, sie zu küssen oder ihr irgendwie näher zu kommen. Er gefiel ihr immer besser. Es wäre doch gelacht, wenn sie auseinandergehen würden wie Fremde.

Schüchtern schob sie während des Heimwegs ihre Hand in seine. Er lächelte spöttisch auf sie herunter, machte aber keine Anstalten, den Kontakt zu unterbrechen.

Als sie bei Reinholds Wohnung angelangt waren, stellten sie fest, dass die Haustür verschlossen und alle Lichter gelöscht waren.

»Ich schätze, die Party ist vorbei«, stellte Alexander etwas ratlos fest.

»Ich kann nicht glauben, dass Astrid ohne mich gegangen ist.«

»Vielleicht dachte sie, du bist schon daheim. Das Problem ist, wie kommst du jetzt dort hin?«

»Mit der S-Bahn. So sind wir auch gekommen. Astrid wollte nicht mit dem Auto fahren.«

»Vernünftig. Also gehen wir zur S-Bahn-Station. Ich begleite dich.«

»Musst du nicht.«

»Doch. Ich lasse dich nicht in der Nacht allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.«

Corinna nickte. Trotz ihres Protestes war sie dankbar, dass ihr neuer Freund sie jetzt nicht allein ließ.

Sie hatten Glück und mussten nicht allzu lange auf die nächste Bahn warten. Corinna war hin- und hergerissen zwischen der Sehnsucht nach ihrem Bett und dem Wunsch, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Schließlich siegte die Müdigkeit über alles andere und am Ende schlurfte sie nur noch neben ihm her. Inzwischen dämmerte es bereits und in den Bäumen begannen vereinzelte Vögel ein fröhliches Morgengezwitscher.

»Wie lange bist du am Montag in der Uni?«, fragte Alexander unvermittelt.

»Montag?« Sie sah auf. »Das ist mein langer Tag. Da bin ich erst um fünf Uhr fertig.«

»Gehst du dann mit mir essen? Ich lade dich ein.«

»Kannst du dir das denn leisten?«

»Nichts Vornehmes. Ich dachte eher an Pizza.«

»Ich liebe Pizza.«

»Also abgemacht. Ich hole dich um fünf bei der Uni ab. Was studierst du eigentlich?«

»Sprachen. Englisch, Französisch und Spanisch. Und du?«

»Informatik. Ich muss allerdings gestehen, dass ich in letzter Zeit nicht viel von den Vorlesungen mitbekommen habe. Das sollte ich bald mal wieder ändern.«

»Solltest du. So, hier wohne ich.«

»Hier?« Er ließ den Blick die Fassade hochwandern.

»Ja, im dritten Stock. Ist nicht so übel. Wir haben sogar Balkon.«

»Wir? Meinst du Astrid?«

»Es ist ihr Appartement. Ich residiere hier nur für die Dauer meines Studiums. Unser Vater zahlt ihr dafür die Hälfte der Miete.«

»Studiert sie denn nicht?«

»Nein, sie arbeitet seit einem Jahr als Sekretärin in einem Verlag.«

»Dann ist sie eine Kollegin von Reinhold?«

»Ich glaube schon. Woher kennst du sie eigentlich?«

»Wir haben uns auf der Fete einer gemeinsamen Freundin getroffen, aber das ist schon eine ganze Weile her. Was willst du denn mal werden?«

»Mein Traum wäre Simultandolmetscherin.«

»Auweia, da sehe ich eine Menge fremder Menschen auf dich zukommen.«

»Stimmt«, erwiderte Corinna gut gelaunt. »Aber für die muss ich ja nur übersetzen und brauche keine großartige Unterhaltung aufzuziehen, wenn ich nicht will.« Sie fröstelte plötzlich.

»Geh rein, du frierst.« Alexander schob sie zur Tür.

»Bis Montag dann?«

»Ja, bis Montag.« Er wandte sich zum Gehen.

»He, Sandie?«

Mit einem überraschten Gesichtsausdruck drehte er sich um, als er den Spitznamen seiner Kindheit hörte. »Echt jetzt?«

Corinna grinste schelmisch. »Ich wollte nur testen, ob du auf diesen Namen noch reagierst. Dann würde ich dich nämlich gern so nennen. Das heißt, wenn es dir nichts ausmacht.«

»Ich glaube, das würde mir gefallen.« Er kam zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Dann drehte er sich um und hastete im Laufschritt davon.

 

Mit brummendem Kopf wachte Corinna auf. Sie seufzte und sah zur Uhr. Fast Mittag. Nebenan hörte sie Wasser rauschen. Astrid war also auch schon wach und stand gerade unter der Dusche.

Sie drehte sich auf den Rücken, verschränkte die Hände hinter dem Nacken und dachte an die letzte Nacht zurück. Vor allem an den Jungen, den sie kennengelernt hatte. Sandie. Das passte so viel besser zu ihm als Alexander. Sie lächelte. Sie würde vermutlich die Einzige sein, die ihn so nannte, somit waren Missverständnisse vorprogrammiert. Aber das störte sie nicht. Der Name war wie ein geheimer Code, etwas, das nur sie Beide miteinander verband. Ein warmes Gefühl durchrieselte sie. Er hatte wirklich einen großen Eindruck auf sie gemacht. Abgesehen davon hatte sie sich noch nie so gut bei einer Party amüsiert. Sie war überzeugt, dass sie das nur Sandies Initiative zu verdanken hatte. Sie wusste nicht genau, woran sie mit ihm war. Es war nett, wie er sich um sie gekümmert hatte, doch was bezweckte er damit? Bis auf den Vorschlag, spazieren zu gehen, hatte er nie versucht, ihr näher zu kommen. Corinna hätte gern ein wenig mehr mit ihm geflirtet. Allerdings war ihr auch klar, dass Sandie in einer völlig anderen Liga spielte. Ein solcher Typ konnte sicher zwischen den hübschen Mädchen wählen und würde sich keine nehmen, die so schüchtern und unscheinbar war wie sie. Corinna seufzte.

»Schwesterchen, bist du wach?« Astrid streckte vorsichtig den Kopf zur Tür herein.

»Ja, komm nur. Ich wundere mich, dass du schon aufgestanden bist.« Corinna grinste und rutschte zur Seite. »Komm, setz dich. Wann bist du heimgegangen?«

»Es muss kurz vor vier Uhr gewesen sein. Anita hat mich heimgefahren.« Astrid hockte sich im Schneidersitz auf die Bettdecke. »Und du? Ich weiß zwar noch, dass du irgendwann gesagt hast, dass du gehst, aber ich habe keine Ahnung, wann das war.«

»Sandie hat mich heimgebracht.«

»Sandie? Wer ist das?«

»Ich glaube, du nennst ihn Alex.« Amüsiert beobachtete Corinna, wie Astrids Augen sich weiteten.

»Warum hast du mir nichts davon gesagt?«

»Hab ich doch.« Corinna tat beleidigt. »Kann ich was dafür, wenn du mir nicht zuhörst? Ich habe dir laut und deutlich mitgeteilt, dass ich mit ihm spazieren gehe. Das war nach zwei Uhr, aber da warst du schon nicht mehr ansprechbar. Wir waren erst im Englischen Garten, und um halb fünf hat er mich nach Hause begleitet, weil bei Reinhold alles dunkel war.«

Astrids Augen hatten sich verengt. »Du warst über zwei Stunden mit ihm im Englischen Garten? Mit diesem …«, sie suchte nach Worten, »… diesem Macho?«

Unter der Decke stieß Corinna mit dem Fuß nach ihrer Schwester. »Er ist kein Macho. Es ist überhaupt nichts passiert, was dein armes Gewissen belasten müsste.«

»Aua, deswegen brauchst du nicht gleich grob zu werden.« Astrid seufzte. »Glaub mir, Alex ist bestimmt nicht der Richtige für dich.«

»Wie kommst du darauf, dass ich mich für ihn interessiere?«

Ihre Schwester lachte gezwungen. »Du hast ja schon einen Kosenamen für ihn. Außerdem kenne ich den Typ Mann, auf den du fliegst.«

»Ja, weil du den gleichen Geschmack hast«, konterte Corinna. »Wie ist es denn mit dir und dem hübschen blonden Gastgeber? Läuft da was?«

Astrid überging die Frage. »Ich kann dir nur raten, von Alex die Finger zu lassen.«

»Warum?«

Astrid wand sich unbehaglich und wich Corinnas Blick aus.

»Jetzt sag schon.«

»Also gut. Ich habe Alex letzten Herbst kennengelernt, als Anita ihre Bude einweihte. Da kam er aber im Schlepptau ihrer besten Freundin, einem sehr hübschen Mädchen namens Monika. Und er machte auf mich nicht den Eindruck, als hätte er sie gerade eben auf der Straße getroffen.«

Ihre Worte versetzten Corinna einen heißen Stich. Ob Sandie schon vergeben war? Sich einzugestehen, dass er in einer höheren Liga spielte, war eine Sache, aber die Hoffnung gleich zu begraben, etwas ganz anderes. Wieso hatte er dann die letzte Nacht nicht mit Monika verbracht, sondern sich um sie gekümmert? Hatte ihr im Badezimmer buchstäblich einen Spiegel vorgehalten, war mit ihr spazieren gegangen? Das tat man doch nicht, wenn man sich nicht für den anderen interessierte.

»Lass ihn sausen, Corrie«, bat Astrid inständig. »Tu nichts Unüberlegtes, du bereust es sonst.«

»Ich bin morgen mit ihm zum Pizzaessen verabredet. Und ich will das nicht absagen.«

»Dann frag ihn doch mal, wo er seine Freundin Monika gelassen hat.«

Corinna hatte keine Lust mehr, Astrid zuzuhören. Sie fühlte sich viel zu elend, um dieses heikle Thema weiter zu verfolgen.

»Ich gehe jetzt duschen«, verkündete sie energisch und strampelte die Bettdecke los. Als sie schon in der Tür stand, rief Astrid sie noch einmal zurück. »Du hast mir immer noch nicht verraten, was ihr beide gestern so lange im Badezimmer getrieben habt. Die ›bloße Unterhaltung‹ kaufe ich dir nämlich nicht ab.« Ihre Miene wurde grimmig. »Wenn er dich angefasst hat, kann er was erleben.«

Corinna war des Misstrauens müde. »Sandie hat mir hinter verschlossenen Türen die Geschichte vom hässlichen Entlein erzählt. Und jetzt gib Ruhe.« Mit einem letzten Blick auf das verdutzte Gesicht ihrer Schwester schloss sie die Tür.

 

Die Dusche tat ihr unglaublich gut. Das kalte Wasser vertrieb die Kopfschmerzen und weckte ihre Lebensgeister. Über die Zweifel, die in ihr zu nagen begannen, half es ihr jedoch nicht hinweg. Hatte Sandie wirklich ein persönliches Interesse an ihr gezeigt? Sie wollte nicht glauben, dass alles, was er gesagt und getan hatte, nur reine Freundlichkeit gewesen war. Wer war diese Monika? Sie musste Astrid noch einmal fragen. Wenn es tatsächlich schon Monate her war, dann war es vielleicht längst Vergangenheit und Sandie inzwischen wieder solo. Der Gedanke gab ihr erneuten Auftrieb, doch sie musste ihr Vorhaben verschieben, denn ihre Schwester war auf ihrem Bett eingeschlafen und ihre nassen Haare hinterließen große, feuchte Flecken auf Corinnas Kopfkissen.

3

 

Corinna saß einsam auf der Bank und scharrte mit den Füßen. Es war schon beinahe halb sechs. Als der Professor seine Studenten endlich entlassen hatte, war sie zum Treffpunkt gerannt. Doch Sandie war nicht da.

Mit schwerem Herzen sah sie auf die Uhr. Wieder eine Minute vorbei. Ob er sie versetzt hatte? Wenn sie an Astrids Worte dachte, war das durchaus plausibel. Vermutlich bereute er längst, dass er mit ihr angebandelt hatte. Angebandelt, wie das klang. Sie lachte verächtlich. Bis auf den angedeuteten Kuss beim Abschied war absolut nichts vorgefallen, aus dem sich ein Interesse von seiner Seite ableiten ließ. Sie waren sich sympathisch gewesen, aber das war es auch schon. Die Einladung zum Essen war einem Impuls entsprungen, der ihm nun sicher nicht mehr in den Kram passte.

Sandie. Welche Verbundenheit würde der besondere Name noch ausdrücken, wenn sie ihn gar nicht wiedersah? Mit einem bitteren Gefühl in der Herzgegend griff sie nach ihrer Tasche. Es hatte keinen Sinn, noch länger zu warten.

Und plötzlich stand er vor ihr. Abgehetzt, nervös, aber lächelnd. »Ich bin viel zu spät, tut mir leid. Der Verkehr war mörderisch.«

Und warum konnte er ihr bei seinen Worten nicht in die Augen sehen? Sie wusste, dass er log. Er war tatsächlich drauf und dran gewesen, sie zu versetzen, dessen war sie sich sicher. Aber das würde sie nicht ansprechen, sondern sich einfach nur freuen, dass er trotzdem gekommen war.

»Schon okay. Schön, dass du da bist.«

Er öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, ließ es dann aber doch sein und wies ihr den Weg zur Pizzeria um die Ecke.

 

»Wie war die Vorlesung heute?«

»Lang.« Corinna studierte die Karte. Das Angebot war so umfangreich, dass sie keine Ahnung hatte, was sie nehmen sollte. »Es war so furchtbar heiß im Hörsaal. Spanisch hat sich ewig hingezogen.«

»Aber es ist eine schöne Sprache. Ich höre sie gern, auch wenn ich kein Wort verstehe. Was heißt ›ich liebe dich‹ auf Spanisch?«

»Te quiero.«

»Gut zu wissen. Könnte man ja mal brauchen. Und Liebling?«

»Querido bei einem Mann, querida, wenn es eine Frau ist.«

»Gut, dann bist du also meine querida. Hast du dir schon was ausgesucht?«

War es ihm etwa peinlich, was er gerade gesagt hatte? Und überhaupt, wie kam er denn dazu? So weit waren sie doch noch nicht. Während sie bestellten, betrachtete Corinna ihr Gegenüber verstohlen. Seine Augen schienen heute noch blauer zu sein als bei ihrem ersten Treffen. Er hatte sich ordentlich gekämmt und rasiert und seine Bräune war für Ende Mai irgendwie fehl am Platz. Er war bestimmt 1,90 Meter groß und so durchtrainiert, dass sie vermutete, er müsse regelmäßig Sport treiben.

»Na?« Er grinste sie an. »Wie fällt die Beurteilung aus?«

Corinna wurde rot, jedoch nur für einen Moment, dann hatte sie sich wieder gefasst. »Ich finde, du bist unverschämt braun. Wo holt man sich das um diese Zeit? Im Solarium?«

»Solarium, so ein Quatsch.« Verächtlich zog Sandie die Mundwinkel nach unten. »Der Typ bin ich nicht. Ich war Anfang Mai ein paar Tage in Mallorca. Davon zehre ich noch.«

›Mit Monika?‹, wollte Corinna fragen, doch sie unterließ es. Sie wusste, dass sie damit die zarte Vertrautheit zwischen ihnen zerstören würde. Sie scheute davor zurück, die Wahrheit zu erfahren. Er würde es ihr bestimmt irgendwann selbst sagen. Vielleicht war es das Beste, Astrids mahnende Worte einfach auszublenden und sich auf den Augenblick zu konzentrieren.

»Du wolltest mir erzählen, wie du auf diese verrückte Idee gekommen bist«, wechselte sie das Thema.

»Welche meinst du? Je nachdem, wen man fragt, gibt es da eine große Auswahl.« Er grinste lausbubenhaft. Corinna wurde es plötzlich flau in der Herzgegend.

»Mich einfach vor den Spiegel zu zerren und mir zu eröffnen, ich wäre kein hässliches Entlein, sondern ein Schwan.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich denke, das rangiert unter ziemlich verrückt.«

»Nicht wirklich. Und ich wiederhole, dass ich nie von hässlich gesprochen habe. Hat es dir denn keinen Spaß gemacht? Ich fand es ganz amüsant.«

»Zumindest war die Fete hinterher nicht mehr so öde.« Corinna lächelte bei der Erinnerung, vor allem, als sie an die Stunden nach der Party dachte. »Du wolltest mir deine Beweggründe erklären.«

Sandie zögerte und suchte nach Worten. »Vor ein paar Jahren brachte meine Schwester öfter mal eine Freundin mit heim. Sie hatte eine große Brille mit dicken Gläsern auf der Nase und eine Menge Pickel im Gesicht. Ich beachtete sie überhaupt nicht. Wie hätte ich wissen sollen, dass sie ausgerechnet in mich verknallt war?« Er starrte auf seinen Teller, doch als Corinna nicht reagierte, sah er auf. »Irgendwann hat sie sich dann mal ein Herz gefasst und mich gefragt, ob ich mit ihr ausgehen wolle. Keine Ahnung, was ich ihr geantwortet habe, vermutlich habe ich gelacht und ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie mich nicht interessierte. Ich hatte sie wohl ziemlich verletzt, denn am Abend kam meine Schwester wutentbrannt in mein Zimmer gestürmt. Sie schlug mir ein Kissen um die Ohren und fragte mich, ob ich überhaupt wüsste, wie weh ich ihrer Freundin getan hätte. Ob ich wenigstens einen Gedanken an ihre Gefühle verschwendet hätte und mir im Klaren wäre, wie sie sich jetzt fühlte. Leider musste ich alle Fragen mit Nein beantworten. Ich hatte nicht mal mehr an das Mädchen gedacht.«

»Deine Schwester gefällt mir«, warf Corinna ein.

»Im Allgemeinen kommen wir recht gut miteinander aus, aber damals war mir alles andere als wohl zumute. Sie war so in Fahrt, wie ich es selten erlebt habe. Ich musste mir anhören, dass ich immer so verdammt hochnäsig sei und es nicht mein eigener Verdienst wäre, dass ich zufällig gut aussehe.« Sandie stockte kurz, doch Corinna verkniff sich jede ironische Bemerkung. »Ich solle nicht so tun, als würde mir die ganze Welt gehören und mir einbilden, ich könne mit den Menschen umspringen, wie es mir gerade passt. Nicht einmal ein Alexander Wegener könne es sich leisten, sich auch nur eine einzige Sympathie zu verscherzen.«

»Und du hast dir ihre Worte zu Herzen genommen?«

»Ich habe lange darüber nachgedacht. Weißt du, sie hatte recht. Ich kannte nicht mal den Namen des Mädchens. Es hat mich einfach nicht interessiert. Aber das hätte ich ihr auch anders klar machen können. Sie hat es sicher nicht verdient, dass ich so ekelhaft war.«

»Aha, jetzt verstehe ich. Du hast ein schlechtes Gewissen wegen dieser Sache und da wolltest du zum Ausgleich zu einem anderen Mädchen, das sich nicht zu helfen wusste, ein wenig nett sein.«

»Nein, das ist nicht wahr«, entrüstete sich Sandie. Er lächelte sie an. »Ich habe mir nur angewöhnt, nicht mehr so sehr über andere Menschen hinwegzusehen und sie erst beim zweiten Blick zu beurteilen. Und der zweite Blick bei dir sagte mir, dass sich hinter deiner gelangweilten Miene reine Unsicherheit verbarg. Es hat mir einfach keine Ruhe gelassen. Und so stand ich also plötzlich mit einem mir völlig fremden Mädchen im Badezimmer eines Freundes und versuchte, es davon zu überzeugen, dass es attraktiver ist, als es glaubte.«

»Und du bist der Meinung, dass dir das gelungen ist?«

»Wenigstens hast du hinterher ziemlich schnell Anschluss gefunden.«

»Ja, das stimmt«, gab Corinna zu. »Sobald ich mal einen Anfang gemacht habe, gibt es keine größeren Probleme mehr. Aber wenn ich mich in eine Gruppe mir völlig unbekannter Menschen einfügen soll, kriege ich immer Panik.«

Sandie lächelte. »Da bist du bestimmt nicht die Einzige. Die wenigsten Leute können sich mit Fremden so unterhalten, als würden sie sie schon seit Jahren kennen.« Mit einem dankbaren Lächeln nahm er seine Pizza vom Kellner entgegen. »Hast du Lust, morgen mit mir joggen zu gehen?«, fragte er, nachdem auch Corinna ihr Gericht erhalten hatte.

»Ich?« Sie war entsetzt. »Um Himmels willen, ich breche nach den ersten hundert Metern zusammen.«

»Das glaube ich dir nicht. Hast du es schon mal versucht?«

»Nein.«

»Na also.«

»Aber ich blamiere mich bis auf die Knochen. Ich bin nicht der Typ fürs Joggen.«

Sandie nahm ihre Hand und strich ihr zärtlich über die Finger. »Bei mir kannst du dich gar nicht blamieren. Wir laufen nur ein wenig durch den Englischen Garten und wenn du müde bist, setzen wir uns einfach hin und ruhen uns aus. Also, kommst du mit?«

Sie hatte eigentlich keine Lust dazu. Joggen war ein Hobby, dem sie noch nie etwas abgewinnen konnte. Aber wenn es eine Möglichkeit war, Zeit mit Sandie zu verbringen, konnte es nur eine Antwort geben. Sie fühlte sich bereits viel zu sehr zu ihm hingezogen, um diese Gelegenheit auslassen zu können.

»Gut, ich mache mit. Aber erst ab Donnerstag. Vorher habe ich keine Zeit.«

»Okay, dann am Donnerstag. Du bist bestimmt besser, als du denkst.« Sandie drückte ihr einen leichten Kuss auf die Lippen. »Ich freue mich schon darauf.«

 

Erschöpft ließ Corinna sich quer über ihr Bett fallen. Sie war müde, aber gleichzeitig so glücklich, dass ihr Herz laut klopfte. Das ist nur die Anstrengung, versuchte sie sich einzureden, doch davon konnte das Herzklopfen nicht kommen. Sie hatte sich an die Lauferei gewöhnt. Seit zwei Wochen trabte sie nun schon abends mit Sandie durch den Englischen Garten, sofern es das Wetter zuließ. Da Sandie an der Technischen Universität studierte und ihre Vorlesungen zudem zu unterschiedlichen Zeiten stattfanden, war dies die einzige Möglichkeit, sich länger als nur für einige Minuten zu treffen. Zuerst joggten sie immer etwa zwanzig bis dreißig Minuten und setzten sich dann ins Gras oder auf eine Bank, um sich zu unterhalten. Corinna genoss diese Stunden. Der Sport tat ihr gut und mit Sandie verstand sie sich immer besser. Das heikle Thema Monika vermieden sie beide nach Kräften, obwohl sie es gleich bei ihrem ersten Lauf angesprochen hatte. Sie hatte es gar nicht beabsichtigt, es hatte sich einfach ergeben.

Sie erinnerte sich noch sehr gut an diesen Nachmittag. Das Laufen hatte sie angestrengt und sie war froh, als Sandie ein Einsehen hatte und sie sich auf die Wiese gelegt hatten, um auszuruhen.

Träumend blickte sie in den Himmel. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass sie sich so schnell verlieben würde. Sie wusste nicht, ob Sandie ihr die gleichen Gefühle entgegenbrachte, aber sie war sicher, dass er sie zumindest gern hatte. Sonst hätte er wohl kaum ständig ihre Nähe gesucht.

»Was machst du am Wochenende?«, fragte er.

»Lernen. Ich bin zurzeit sträflich faul.«

»Liegt das an mir?« Sandie grinste frech. Er stützte sich auf die Ellbogen, beugte sich über sie und sah ihr tief in die Augen.

Corinna liebte es, wenn seine dunkelblauen Augen vor Übermut blitzten. Sie spürte dann Gefühle in sich, die sie nicht identifizieren konnte. Es musste wohl so etwas wie Liebe sein, dachte sie, während Sandies Gesicht ihr immer näher kam. Sie küssten sich und Corinna schwamm auf einer Woge der Euphorie. Doch plötzlich wurde Sandie ernst. Er setzte sich auf und starrte nachdenklich auf einen einzelnen Löwenzahn zu seinen Füßen. Corinnas gute Laune bekam einen Dämpfer, als sie ihn so sah.

»Denkst du gerade an Monika?«, fragte sie leise.

Er fuhr hoch. »Was weißt du von Monika?« Entsetzt sah er sie an.

»Ich weiß, dass sie deine Freundin war. Oder noch ist.« Die unausgesprochene Frage schwang in Corinnas Stimme mit, doch Sandie ging nicht darauf ein.

»Woher?«

»Kannst du dir das nicht denken?«

Er überlegte kurz, dann nickte er. »Natürlich. Astrid hat es dir erzählt. Sie hat mich mit ihr zusammen gesehen, habe ich recht?«

»Ja.«

»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du von ihr weißt?«

»Ich dachte, es wäre deine Angelegenheit, mir zu erzählen, dass du schon eine Freundin hast. Aber ich bin mir sicher, dass du bei unserem Treffen vor der Uni nicht im Stau stecken geblieben bist, sondern mich beinahe versetzt hättest, weil du Gewissensbisse hattest. Ich weiß auch nicht, was das mit uns noch werden soll, aber wenn du schon eine Freundin hast, dann wüsste ich das gerne.«

Corinnas Stimme war immer leiser geworden. Sie wollte keine schlafenden Hunde wecken, aber sie war es ihrem Gewissen schuldig, klare Verhältnisse zu schaffen. An Sandies Gesicht konnte sie erkennen, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Sie spürte deutlich, wie er auf Distanz ging. Er stand langsam auf. Während er versuchte, einen Grasfleck aus seiner Jeans zu reiben, wurde seine Miene immer finsterer. Corinna seufzte innerlich. Jetzt hatte sie alles verdorben. Doch sie wollte ihre Beziehung zu Sandie nicht auf einer Lüge aufbauen. Wenn er schon eine Freundin hatte, hinterließ alles, was sie zusammen taten, einen schalen Nachgeschmack.

»Komm, ich bringe dich heim.« Er zog sie vom Rasen hoch und legte ihr den Arm um die Schultern, sagte jedoch in den nächsten fünf Minuten kein Wort.

»Bitte sei nicht böse auf mich«, murmelte Corinna schließlich.

Er sah sie an und seine Miene hellte sich augenblicklich auf. »Ich bin nicht böse«, sagte er zärtlich und küsste sie auf die Nasenspitze. »Ich musste nur nachdenken.«

»Über Monika?«

»Ja. Genügt es dir, wenn ich dir sage, dass ich sie seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen habe?«

»Ist es aus zwischen euch?«

»Wir haben uns ziemlich auseinandergelebt.«

»Ich dachte, du warst mit ihr auf Mallorca.«

»Nein, ich habe mit ein paar Kumpels dort meinen fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Monika war nicht dabei.« Sandie war das Gespräch sichtlich unangenehm. »Kommst du morgen wieder mit?«, wechselte er das Thema.

Corinna war misstrauisch. Es gefiel ihr nicht, wie er sich vor einer genauen Aussage drückte. Wenn es aus war, wieso sagte er es dann nicht einfach? Doch ihre Freundschaft war noch zu zerbrechlich, als dass sie weiter nachbohren wollte. Und so nickte sie. »Klar komme ich.«

 

Als Corinna eine Bewegung an der Tür bemerkte, setzte sie sich auf. »Hallo Schwesterchen«, rief sie fröhlich. »Komm rein.«

»Du bist wieder völlig fertig«, rügte Astrid, als sie eintrat. »Du hast doch noch nie viel vom Joggen gehalten.«

»Ich weiß, aber mit Sandie macht es Spaß. Außerdem fühle ich mich, als hätte ich wirklich etwas geleistet. Und auch meine Kondition verbessert sich.«

»Ja, deinem Körper tut es sichtlich gut …« Astrid zögerte.

»Du magst Sandie nicht, stimmt’s?«, hielt Corinna ihrer Schwester vor. Doch Astrid schüttelte den Kopf.

»Nein, da irrst du dich. Ich kenne ihn zu wenig, um mir ein Urteil bilden zu können, aber er ist mir durchaus sympathisch. Nur ist er halt ein Luftikus.« Sie lächelte. »Ich glaube, gerade weil er so ein Sonnyboy ist, magst du ihn, habe ich recht?«

»Möglich. Hältst du ihn denn für verantwortungslos?«

»Das kann ich dir nicht beantworten, aber du erinnerst dich sicher daran, dass ich dir von einem Mädchen namens Monika erzählt habe.«

»Seine frühere Freundin, ja, das weiß ich. Ich habe mit Sandie darüber geredet. Aber das ist aus. Er hat sie seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen.«

»Das fällt ihm bestimmt auch nicht sehr schwer, weil sie nämlich in Amerika ist.«

Corinna fuhr hoch. »In Amerika?«

»Ja. Das hat dir dein feiner Sandie verschwiegen, was? Ich habe Reinhold gefragt, warum man sie nicht mehr sieht. Sie absolviert in den USA ein Auslandssemester. Deswegen, nur deswegen, ist dein Sandie allein und sucht sich einen Zeitvertreib. Nämlich dich.« Astrid zögerte, bevor sie weitersprach. »Deshalb bin ich besorgt. Ich will nicht, dass er dir weh tut.«

Langsam ließ sich Corinna in die Kissen ihres Bettes sinken. Monika war in Amerika? Plötzlich machten Sandies ausweichende Worte einen Sinn. War sie wirklich nur ein Zeitvertreib für ihn, wie ihre Schwester vermutete? Der Gedanke bohrte sich wie ein Messer in ihr Herz.

»Wann kommt sie zurück?«, fragte sie matt.

Astrid zuckte mit den Schultern. »Reinhold wusste es nicht genau. Aber vermutlich in ein paar Wochen.«

»Ich kann nicht glauben, dass zwischen den beiden noch was ist«, flüsterte Corinna tonlos. »Er hätte es mir gesagt.«

»Wirklich?«

Sie unterdrückte ein Schluchzen. »Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.«

Astrid strich ihr über die Haare. »Tut mir leid, dass ich dir das sagen musste. Aber es ist besser, wenn du Bescheid weißt.« Sie wartete noch einige Sekunden auf eine Antwort, doch ihre Schwester hatte ihr Gesicht im Kissen vergraben. Nachdem Astrid mit einem letzten bedauernden Blick gegangen war, begann Corinna leise zu weinen.

 

»Corrie?« Astrid klopfte kurz und öffnete dabei die Tür. »Telefon für dich. Es ist Alex. Oder sollte ich besser sagen, dein Freund Sandie?«

»Sag ihm, dass ich nicht da bin«, schniefte Corinna.

»Sorry, das hab ich ihm schon verraten.«

»Dann lass dir irgendwas einfallen. Ich will jetzt nicht mit ihm reden.«

Mit missbilligend gerunzelter Stirn ging Astrid wieder. Corinna hörte sie im Flur am Telefon reden, konnte jedoch nichts verstehen. Für einen Moment war sie versucht, doch mit Sandie zu sprechen, denn ihre Sehnsucht meldete sich prompt zurück, als sie sich ihn vorstellte. Aber dann dachte sie an Monika und sofort verdrängte der Ärger alle anderen Emotionen. Sie fühlte sich ausgenutzt und war tief enttäuscht, dass sie Sandie anscheinend falsch eingeschätzt hatte.

»Ich mag es nicht, zu lügen«, erklärte Astrid geradeheraus, als sie zurückkam. »Ich habe ihm gesagt, du fühlst dich nicht gut, aber ich weiß, dass er mich durchschaut hat. Trotzdem soll ich dir Grüße und Besserungswünsche übermitteln. Er hörte sich ziemlich enttäuscht an.«

»Du wolltest doch, dass wir uns verkrachen, oder?«, fuhr Corinna auf.

»Nein, das wollte ich nicht.« Begütigend legte Astrid ihre Hand auf die ihrer Schwester. »Ich will nur nicht, dass du dir falsche Hoffnungen machst.«

»Das hast du geschafft. Ich weiß jetzt überhaupt nicht mehr, was ich denken soll.«

Corinnas düstere Laune dauerte den ganzen Abend an. Sie versuchte zu lesen, doch immer wieder sah sie Sandie vor sich. Sandie und ein fremdes Mädchen, das er küsste. Sie quälte sich mit ihren Gedanken noch die halbe Nacht, bis sie, von Zweifeln und Selbstvorwürfen geplagt, am frühen Morgen endlich einschlief.

4

 

Verflixt! Schon wieder Rot. Seufzend stieg Corinna von ihrem Fahrrad. Eigentlich war es egal, denn sie hatte so kräftig verschlafen, dass es für die erste Vorlesung sowieso schon zu spät war. Doch sie ärgerte sich an diesem Morgen über alles, auch über sich selbst. Sie hasste diese Gefühlsduselei, die sie die ganze Nacht wach gehalten hatte. Sollte Sandie doch mit seiner Monika zum Teufel gehen. Sie würde ihm keine Träne nachweinen. Aber schon bei dem Gedanken begannen ihre Augen zu brennen.

Hinter ihr hupte es ungeduldig. Die Ampel zeigte längst Grün. Der Autofahrer, der sie mit quietschenden Reifen überholte, tippte sich vielsagend an die Stirn. Corinna verspürte den heftigen Drang, ihm die Zunge heraus zu strecken, doch sie beherrschte sich. Was war das nur für ein verkorkster Tag.

Als sie ihr Fahrrad auf dem Universitätsgelände abstellte, sah sie Sandie beim Haupteingang stehen. Widerwillig stellte sie fest, dass ihr Herz sofort schneller schlug und sie augenblicklich zu ihm laufen wollte. Doch ihr Stolz verbot es ihr. Noch vor zehn Minuten hatte sie ihn zum Teufel gewünscht. Sollte sie das etwa gleich vergessen haben, nur weil sie ihn unverhofft sah? Nein, sie wollte nicht mit ihm reden. Als hätte sie ihn nicht gesehen, drehte sie sich um und ging in Richtung des Seiteneingangs. Doch Sandie holte sie mit einem kurzen Sprint ein und griff nach ihrem Arm.

»Corinna, warte, warum läufst du denn weg?«

»Lass mich los«, fauchte sie.

Verblüfft und erschrocken über den heftigen Ton ließ er tatsächlich ihren Arm los, stellte sich ihr aber sofort in den Weg. »Jetzt erzähl schon, was ist passiert? Die Story, die Astrid mir gestern aufgetischt hat, habe ich keinen Moment geglaubt.«

»Na und? Deine Sache.«

Er musterte sie stirnrunzelnd. »Habe ich dir irgendetwas getan? Beim Joggen war doch noch alles in Ordnung.«

»Gar nichts ist in Ordnung«, schnaubte sie. »Du erzählst mir, dass du Monika seit Monaten nicht gesehen hast, und lässt mich in dem Glauben, dass es aus ist zwischen euch. Nur hast du bequemerweise vergessen, mir zu sagen, dass du sie nicht siehst, weil sie für eine Weile in Amerika studiert. Wenn du denkst, dass ich für dich den Lückenbüßer spiele, bis sie wieder da ist, dann hast du dich aber geschnitten. So eine bin ich nicht.« Ihre Stimme drohte bei den letzten Worten überzuschnappen, doch nun war alles gesagt. Sie wandte sich um.

»Corinna, lauf nicht weg. Bitte.« Sandies Stimme war leise, fast flehend. Als sie ihn ansah, wirkte er ernst und schuldbewusst. »Gehst du mit mir einen Kaffee trinken?«

Sie schüttelte energisch den Kopf. »Ich muss zur Vorlesung.«

»Dafür bist du doch schon zu spät. Lass sie sausen. Bitte. Wir müssen miteinander reden.«

Corinna sah ihn an und ihr Herz zerfloss bei seinem Anblick. Sie ärgerte sich darüber, doch sie konnte nicht aus ihrer Haut. »Na gut«, lenkte sie ein. Sie wusste selbst nicht, warum sie das tat, denn eigentlich hatte sie überhaupt keine Lust auf Kaffee und auch nicht auf Sandies Gesellschaft.

 

»Nimmst du Milch und Zucker?« Es waren seit mehr als fünf Minuten die ersten Worte zwischen ihnen. Gedankenverloren rührte Sandie in seinem Kaffee. »Es tut mir leid, dass ich dir nicht gleich alles gebeichtet habe«, sagte er leise. »Ich hätte mir denken können, dass du es herausfindest. Wir haben zu viele gemeinsame Bekannte.«

»Warum hast du es mir dann verschwiegen?«, klagte Corinna ihn an.

»Ich hatte Angst, dass du nicht mehr mit mir zusammen sein willst.«

»Glaubst du, es ist besser, wenn ich solche Sachen von anderen erfahre?«

Sandie nahm ihre Hand, doch Corinna zog sie weg.

»Querida, ich …«, begann er, aber Corinna schnitt ihm scharf das Wort ab.

»Ich bin nicht deine querida. Du behauptest, es wäre nichts mehr zwischen dir und Monika. Ist sie auch dieser Meinung?«

Der hilflose Blick in Sandies Gesicht sagte ihr genug. Er hatte sie angelogen. Oder die Wahrheit zumindest sehr beschönigt.

»Also?« Ihre Stimme war schneidend. »Sitzt sie in Amerika und denkt, dass du ihr treu bist?«

»Ich weiß nicht, was sie denkt«, brummte er verdrießlich. »Aber es stimmt, wir haben noch nicht offiziell Schluss gemacht.«

»Ach, muss das offiziell sein?«

»Mach es mir doch nicht so schwer. Ich war in Monika verliebt, aber das ist lange her.«

»Ja, ich weiß, fast ein halbes Jahr. Was für eine ewige Zeit.« Corinnas Stimme triefte vor Hohn. »Aber wenn du sie wieder siehst, ist alles wie vorher.«

»Glaube ich nicht.« Sandie zog die Mundwinkel nach unten. »Wenn ich so zurückdenke, hat Monika mich zum Freund genommen. Ich bin einfach in diese Sache hineingeschlittert. Sie ist eine ziemlich dominante Persönlichkeit.«

Corinna konnte nicht glauben, was sie da hörte. Es passte nicht in ihr Bild von Sandie, dass er so ein Schisser war. Er war doch ihr Held, der sie vor einer langweiligen Party gerettet hatte. Tränen brannten in ihren Augen. »Ist das ein Entschuldigungsgrund?«, fuhr sie ruhiger fort. »Du redest dir das nur schön. Glaubst du wirklich, du kannst einfach mit ihr Schluss machen?«

»Nein, das glaube ich nicht.« Sandie machte eine so heftige Bewegung, dass er beinahe seinen Kaffee verschüttet hätte. »Aber sie hat seit Monaten nicht mehr geschrieben. Früher haben wir auch noch ab und zu miteinander telefoniert, aber sie scheint ebenfalls kein Verlangen mehr danach zu haben.«

»Du meinst, sie hat drüben einen anderen Freund?«

»Monika ist der Typ Mädchen, der nie lange allein bleibt. Ich weiß zumindest, dass sie Anita in einem Brief von einem Studienkollegen vorgeschwärmt hat, mit dem sie manchmal ausgeht.«

»Ach, und deswegen glaubst du, dass du es ihr jetzt mit gleicher Münze heimzahlen musst?« Corinnas Stimme war gefährlich leise.

»Nein, Himmel noch mal, das glaube ich nicht.« Sandie sah ihr in die Augen. »Die Sache ist ganz einfach: Ich habe mich in dich verliebt. Viel mehr als damals in Monika.«

»Du hast was?« Corinna riss ungläubig die Augen auf.

Sandie versteckte sich einen Moment hinter seiner Kaffeetasse. Sein Bekenntnis hatte ihn anscheinend selbst überrascht. Dann sah Corinna wieder das schelmische Blitzen in seinen Augen. »Hörst du schlecht? Ich habe mich gerade zu meiner Liebe zu dir bekannt.«

Sie war so verblüfft, dass sie kein Wort heraus brachte.

»Komm schon, querida, so überraschend kann das doch nicht für dich sein, oder? Du musst doch gemerkt haben, dass du mir etwas bedeutest.«

»Manchmal«, gab Corinna zu. »Aber dann warst du oft gleich wieder abweisend und so auf Distanz, dass ich nicht wusste, woran ich bin.«

»Verstehe ich.« Sandie zog die Schultern hoch. »Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Wegen Monika, aber hauptsächlich dir gegenüber, weil ich zu feige war, um dir zu sagen, dass da noch eine andere ist. Ich bin nicht der Typ Mann, dem es gefällt, zwei Mädchen gleichzeitig zu haben. Obwohl man mir solche Sachen nachsagt«, fügte er mit einem traurigen Lächeln hinzu.

»Hast du dich denn schon für eine entschieden?« Corinnas Stimme klang nicht mehr ganz so frostig.

»Das versuche ich dir doch die ganze Zeit schon klar zu machen. Ich habe dir eben gesagt, dass ich dich liebe. Es fällt mir nicht leicht, das einfach so zu sagen, deswegen kannst du es mir ruhig glauben. Monika erfährt es, sobald sie zurückkommt.«

»Das ist aber nicht fair ihr gegenüber. Solche Angelegenheiten muss man sofort ins Reine bringen. Willst du sie nicht anrufen?«

Sandie verzog das Gesicht. »Nein, lieber nicht. Monika schafft es geradezu mit Perfektion, andere Leute nieder zu reden, besonders, wenn sie wütend ist. Das würde ich mir gerne ersparen.« Er grinste. »Vor allem, wenn ich die Telefonrechnung nach Amerika bezahlen muss.«

»Dann schreib ihr wenigstens. Auf einer solchen Basis kann ich nicht weiter mit dir befreundet bleiben.«

Seufzend nahm Sandie wieder Corinnas Hand und dieses Mal entzog sie sie ihm nicht. »Gut, ich schreibe ihr heute Abend. Bekomme ich dann noch eine Chance?«

Sie zögerte. Sie wollte nur zu gerne glauben, dass alles in Ordnung war. Wie hätte sie sich normalerweise über Sandies Liebesgeständnis gefreut, doch nun fühlte es sich schal und unecht an. Ihr Verstand sagte ihr, dass Rückzug geboten wäre, doch ihr Herz klopfte so stark, dass sie die Stimme ihres Verstandes nicht hörte. Als sie in die blauen Augen sah, die sie bittend ansahen, konnte sie nur nicken.

Sandie atmete erleichtert auf. »Super. Was machst du am Samstag?«

»Keine Ahnung. Ich habe noch keine Pläne fürs Wochenende. Das ist ja noch ewig hin.«

»Gehst du mit mir zum Baden? Das Wetter soll schön bleiben.«

»Wo denn?«

»Wie wäre es am Ammersee?«

»Keine schlechte Idee.« Corinna spürte, wie ihre Zweifel und die schlechte Laune von ihrer Unternehmungslust fortgeschwemmt wurden. »Wir könnten mit den Rädern hinfahren.«

»Ist aber ziemlich weit«, zweifelte Sandie.

»Schaffst du es nicht, du Sport-Ass?« Sie zog belustigt die Augenbrauen hoch.

»Ich schon. Aber ich mache mir Gedanken um dich. Wir müssen die Strecke schließlich zweimal fahren.«

»Um mich brauchst du dir keine zu Sorgen machen. Beim Radeln schlägt mich so leicht keiner.«

»Gut. Dann hole ich dich am Samstagmorgen ab.« Sandie sah auf seine Uhr. »Wenn du die nächste Vorlesung nicht auch noch verpassen willst, musst du dich jetzt beeilen.«

»Du dich aber auch.«

»Nein, ich fange heute erst am Nachmittag an. Ich bin nur gekommen, um dich zu sehen. Dabei bekam ich schon Angst, dass du nicht mehr kommst. Es liegt mir nämlich viel an dir, weißt du.« Er strich sich ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. »Danke, dass du mir zugehört hast, querida. Ich bin richtig froh, dass die Fronten jetzt geklärt sind.«

Waren sie das wirklich? Das Gespräch hatte ein schales Gefühl in Corinna zurückgelassen. Zu viele verwirrende Gefühle tobten in ihr. Sie stand schon vor dem Hörsaal, als sie beschloss, auch diese Vorlesung nicht zu besuchen. Ihre Aufmerksamkeit war sowieso gleich Null, sie konnte höchstens negativ auffallen. Sie brauchte eine Weile Ruhe, um die ganze verfahrene Angelegenheit zu überdenken und sich darüber klar zu werden, was sie wollte.

 

Als Astrid nach Hause kam, stellte ihre Schwester gerade das Essen auf den Tisch.

»Nanu, Corrie, du hast gekocht?«, fragte sie überrascht. »Dann muss sich deine Laune aber erheblich gebessert haben.« Erfreut setzte sie sich an den hübsch gedeckten Tisch.

»Ja, etwas«, gab Corinna zu, während sie sich von dem Gemüseauflauf nahm, den sie zubereitet hatte. »Ich dachte, ich wäre es dir mal wieder schuldig.«

»Ach was, aber ich freue mich natürlich darüber. Du, hör mal, hättest du Lust, am Wochenende mal wieder die Eltern zu besuchen? Wir haben sie in letzter Zeit sträflich vernachlässigt.«

»Lust hätte ich schon, aber nicht diese Woche. Ich habe am Samstag schon was vor.«

»So? Was denn?«

»Ich radle mit Sandie zum Ammersee.«

»Oh nein.« Astrid ließ ihre Gabel sinken. »Du hast dich schon wieder mit ihm getroffen? Ich dachte, du wärst sauer auf ihn. Was ist denn mit Monika?«

»Er hat mich an der Uni abgepasst.« In wenigen Sätzen berichtete Corinna ihrer Schwester von dem Gespräch mit Sandie. »Weißt du, ich war wirklich wütend auf ihn«, schloss sie, »aber als ich ihn wieder gesehen habe, konnte ich gar nicht mehr anders.«

»Dein Problem ist, dass du niemandem lange böse sein kannst. Auch nicht, wenn es durchaus angebracht wäre.« Astrid lächelte schief. »Zwar muss ich zugeben, dass ich davon schon oft selbst profitiert habe, allerdings ist deine Nachsicht jetzt fehl am Platz. Willst du ignorieren, dass er eine Freundin hat?«

Corinna seufzte resignierend. »Ich weiß es nicht. Mein Verstand sagt mir, dass ich die Finger von der ganzen Geschichte lassen soll. Wenigstens, bis er diese Sache mit Monika geklärt hat. Aber ich glaube, das kann ich nicht mehr. Ich hänge schon zu tief drin.«

»Du hast dich verliebt.« Astrids Stimme klang mitfühlend.

Corinna zuckte zuerst mit den Schultern, doch dann nickte sie. »Vermutlich.«

»Habt ihr schon miteinander geschlafen?«

Sie fuhr hoch. »Astrid, was denkst du denn von mir?«

»Reg dich nicht auf, war doch nur eine normale Frage.« Gleichmütig nahm sich Astrid eine zweite Portion Auflauf. »Also nicht.«

»Natürlich nicht. Da habe ich schließlich auch noch ein Wörtchen mitzureden. Du solltest wissen, dass ich nicht so bin.«

»Ach ja?« Astrid lächelte. »Wie bist du denn dann?«

»Auf jeden Fall springe ich nicht sofort mit jedem ins Bett«, entgegnete Corinna heftig.

»Jaja, schon gut«, versuchte Astrid, ihre Schwester zu beschwichtigen. »Du bist immerhin kein Kind mehr.«

Corinna rieb sich über die Augen. »Ich weiß, dass du es nur gut meinst. Tut mir leid, dass ich so heftig war.«

»Schon vergessen.« Astrid machte eine wegwerfende Handbewegung. »Vielleicht solltest du aber trotzdem mal zu einem Arzt gehen.«

»Warum?«

»Na ja, du könntest dir, ich meine …« Sie brach verwirrt ab.

»Du meinst, ich soll mir die Pille verschreiben lassen?« Corinna schmunzelte über die plötzlichen Hemmungen ihrer sonst so redegewandten Schwester.

Astrid nickte. »Man kann schließlich nie wissen.«

»Ich schon. Mach dir keine Sorgen, ich bin durchaus in der Lage, selbst den Zeitpunkt zu bestimmen, wann ich mit einem Jungen schlafe. Ich kenne Sandie doch erst seit drei Wochen. So schnell geht das bei mir nicht. Und solange die Sache mit Monika nicht geklärt ist, läuft da sowieso nichts. Das kannst du mir gerne glauben.« Sie stand auf. »Ich muss noch lernen. Kümmerst du dich bitte um den Abwasch?«

Astrid nickte. »Geh nur. Es ist ja nicht viel.«

Als Corinna ihrer Schwester den Rücken zuwandte, entging ihr der skeptische und gleichzeitig besorgte Blick, mit dem Astrid ihr nachsah.

5

 

Um zehn Uhr schien die Sonne bereits unbarmherzig von einem wolkenlosen Himmel herab. Corinna schwitzte. Seit fast zwei Stunden waren sie schon unterwegs. Pünktlich um acht Uhr hatte Sandie sie abgeholt. Misstrauisch hatte sie sein Rennrad betrachtet. Wenn er angeben wollte und davonzog, hatte sie keine Chance, mit ihm mitzuhalten. Doch Sandie dachte gar nicht daran. Gemütlich radelten sie je nach Verkehrslage neben- oder hintereinander her. Corinna war glücklich. Das Wetter war wie für sie bestellt und der Blick, den Sandie ihr manchmal zuwarf, zauberte immer ein spontanes Lächeln auf ihr Gesicht. Sie hatte alle ihre Zweifel und Vorbehalte rigoros zur Seite geschoben und war fest entschlossen, den Tag zu genießen.

Sandie sah sie fragend an. »Kannst du noch, querida?«

»Es ist furchtbar heiß.«

»Stimmt.« Er grinste und lenkte sein Rad nahe an ihres, um sie zu küssen, gab das Vorhaben aber sehr schnell wieder auf, als er ins Schlingern geriet und fast gestürzt wäre.

Corinna lachte laut. »Lass solche Aktionen lieber bleiben, sonst landest du noch auf dem Boden.«

Sandie spitzte die Lippen und warf ihr durch die Luft einen Kuss zu. »Du entkommst mir nicht, warte nur ab.«

Sie musste gähnen. Das Radeln machte ihr zwar Spaß, aber inzwischen wurde sie langsam müde. »Wie lange brauchen wir denn noch?«

»Einige Kilometer sind es schon noch. Willst du Pause machen?«

»Ein paar Minuten verschnaufen wäre nicht schlecht.«

»Klar.« Sandie stieg ab und schob sein Fahrrad von dem nicht allzu breiten Radweg. Nebeneinander setzten sie sich ins Gras.

»Ich freue mich schon aufs Wasser«, meinte Corinna, während sie sich die Haare aus der Stirn strich.

»Wahrscheinlich wird ziemlich viel Betrieb sein«, murmelte Sandie. »Aber ich kenne ein Plätzchen, wo wir fast ungestört sein werden.« Er streckte sich lang im Gras aus. »Hoffentlich ist das Wasser schon warm genug.«

Sie kitzelte ihn mit einem Grashalm. Er wischte ihn weg, doch sie hörte nicht auf. Da warf er sie mit einem schnellen Ruck zu Boden und küsste sie.

Die Zeit blieb für Corinna stehen. Sein Gewicht lastete schwer auf ihr, doch sie empfand es als angenehm. Seufzend schloss sie die Augen und genoss das prickelnde Gefühl, das sie durchströmte. Sie hätte jubeln mögen vor lauter Glück. Es war so schön, verliebt zu sein.

Als Sandie unvermittelt auflachte, öffnete sie träge die Augen. »Was ist los?«

»Weißt du eigentlich, dass alle vorbeifahrenden Autofahrer eine prima Aussicht auf uns haben?«

»Um Himmels willen.« Sie stieß ihn heftig von sich. »Ist das wahr?« Unsicher sah sie sich um. Sie waren zwar durch eine kleine Böschung geschützt, doch aufmerksamen Blicken bot das dürre Gestrüpp kaum ein Hindernis. Verlegen stand sie auf und zupfte sich ein paar Grashalme von ihrer Kleidung.

Sandie lachte amüsiert. Er lag noch immer im Gras, hatte den Kopf aufgestützt und musterte sie ungeniert. »Hast du ein schlechtes Gewissen, querida? Darf es niemand sehen, wenn du mich küsst?«

»Doch, aber es muss ja nicht unbedingt wie auf dem Präsentierteller sein, oder?«

»Mir macht das nichts aus. Mit einem so hübschen Mädchen kann ich mich überall sehen lassen.« Er rappelte sich auf. »Querida, du wirst ja rot.«

»Ist nur die Hitze«, wehrte Corinna ab. Sie ärgerte sich. Hatte sie es nötig, rot zu werden, nur weil er sie hübsch nannte? Sie schob ihr Rad auf den Weg zurück. »Lass uns weiter fahren, sonst kommen wir nie an.«

»Wir haben es bald geschafft. Ich kann schon fast das Wasser riechen.«

»Ja, klar. Es sieht hier aber noch gar nicht nach Ammersee aus.«

Doch Sandie sollte recht behalten. Nach einer knappen halben Stunde hatten sie ihr Ziel erreicht. Er führte Corinna weg vom allgemeinen Trubel zu einem Platz, den sie fast für sich hatten. Die nächsten Badenden waren mehrere hundert Meter von ihnen entfernt.

Corinna breitete ihre Decke aus. »Herrlich ist es hier.« Sie stemmte die Arme in die Hüften und blickte sich um. »Ein richtiges Paradies.«

»War doch eine großartige Idee von mir.« Sandie umarmte sie von hinten und küsste zart ihren Nacken. Es prickelte schon wieder in ihr, doch sie schob ihn weg. »Dazu ist mir im Moment viel zu heiß. Du darfst gerne nachher wieder kommen, aber jetzt will ich schwimmen.«

Schnell schlüpfte sie aus Hose und Shirt. Ihren Bikini hatte sie schon an. Im Nu war sie im Wasser. Es war noch etwas kühl, aber die Sonneneinstrahlung der letzten Wochen hatte es bereits mehr erwärmt, als es sonst für Mitte Juni üblich war.

»He Sandie, wo bleibst du denn?«, rief sie über die Schulter zurück. Doch er ließ sich Zeit. Als sie sich auf den Rücken drehte, sah sie, dass er immer noch am Ufer stand und sie mit einem versonnenen Lächeln beobachtete. Dann hechtete er ins Wasser.

Corinna wartete auf ihn. Sie ließ sich treiben, hielt ihr Gesicht in die Sonne und paddelte ab und zu mit den Armen, um nicht unterzugehen. Als Sandie zu ihr aufgeholt hatte, spritzte sie ihm unvermittelt eine Ladung Wasser ins Gesicht. Er tauchte ab und blieb verschwunden. Suchend sah sie sich um, doch er kam nicht mehr an die Oberfläche. Als sie schon unruhig wurde, spürte sie plötzlich eine Hand an ihrem Bein. Ihr blieb kaum Zeit, zu erschrecken, als Sandie sie in die Tiefe zog. Sie schaffte es gerade noch, den Atem anzuhalten, bevor das Wasser über ihr zusammenschlug.

»Du bist gemein«, schniefte sie, als sie hustend und spuckend wieder auftauchte. Sandie hatte einige Meter entfernt abwartend Stellung bezogen, kam aber schnell näher, als sie weiter japste und hustete und dabei hilflos im Wasser ruderte. Mitfühlend versuchte er, sie zu stützen, während sie immer noch keuchte. »Tut mir leid, querida«, meinte er entschuldigend. »Ich dachte, du wärst darauf vorbereitet gewesen.«

»Bist du es?« Mit ihrem ganzen Gewicht legte sich Corinna auf ihn und drückte ihn lachend unter die Oberfläche. Sie hatte tatsächlich etwas Wasser in die Nase bekommen, aber ihre letzten Huster waren reines Theater gewesen.

»Du Hexe«, keuchte Sandie. »Du hast mich angeschwindelt. Warte, das zahle ich dir heim.«

Corinna versuchte zu fliehen, doch er hatte sie schnell eingeholt. Sie balgten sich, bis sie beide erschöpft waren, dann schwammen sie zum Ufer und ließen sich auf ihre Decken fallen. Sandie drehte sich auf die Seite und grinste sie an. Lächelnd erwiderte sie seinen Blick.

»Du schwimmst gut«, stellte er fest.

»Natürlich«, lautete die lakonische Antwort. »Vielleicht gibt es sogar Dinge, die ich besser kann als du.«

»Zum Beispiel?«

»Ich könnte mir vorstellen, dass ich im Kochen besser bin.«

»Sag das nicht. Ich bin ein hervorragender Koch. Soll ich dich eincremen?«

»Ja, bitte. Ich hole mir ziemlich leicht einen Sonnenbrand. Du kannst kochen?«

»Klar.« Sandie suchte in Corinnas Korb nach ihrem Sonnenöl. »Wenn du magst, lade ich dich zu einem italienischen Menü ein.«

»Italienisch? Du kannst italienisch kochen?«

»Du wiederholst dich, mein Schatz.« Sandie begann, mit kreisenden Bewegungen ihre Schultern einzucremen. »Wir starten mit einer Minestrone. Italienische Gemüsesuppe, wie du sicher weißt. Im Supermarkt in meiner Straße gibt es hervorragende Dosensuppen. Dann dachte ich an Spaghetti mit irgendeiner Soße.«

»Auch aus der Dose?« Corinna erstickte fast vor unterdrücktem Lachen.

»Klar. Tomatensoße, Bolognese, was du willst. Und als Nachtisch Gelati.«

»Aus dem Kühlfach.«

»Mhm. Dreh dich um. Ich schmiere dich vorn auch ein.« Sandie schmunzelte. »Was gibt es da zu lachen? Amüsierst du dich etwa über meine Kochkünste?«

»Spaghetti kochen nennst du eine Kunst?«

»Wenn man weiß, dass ich zu der Kategorie Mann gehöre, die Wasser anbrennen lässt, schon. So, fertig. Jetzt glänzt du wie eine Speckschwarte.«

»Das zieht schnell ein. Besser als ein Sonnenbrand.« Corinna hatte die zarte Berührung seiner Hände genossen und räkelte sich wohlig. »Hast du schon Wasser anbrennen lassen?«

»Noch viel schlimmer.« Sandie verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah in den Himmel. »Ich habe keine Ahnung mehr, was ich kochen wollte. Es war einer der wenigen Tage, an denen ich mittags allein war. Ich habe die Herdplatte angestellt und Margarine in eine Pfanne gegeben.«

»Hört sich noch ganz richtig an. Und dann?«

»Dann klingelte ein Freund und wollte was von mir borgen. Bis ich das herausgesucht hatte, hatte ich die Küche längst vergessen und lief mit ihm zum Skaten.«

»Auweia.«

»Genau. Dabei war es noch ein Glück, dass meine Schwester nach Hause kam, die Bescherung buchstäblich im letzten Moment entdeckte und den Herd abschaltete. Das Fett war völlig verbrannt und die Pfanne reif für den Mülleimer. Den Qualm kannst du dir vielleicht vorstellen.«

»Dieselbe Schwester, die dich einen hochnäsigen Typen genannt hat?«

»Genau die. Ich habe nur die eine. Genügt völlig. Es gab ein gewaltiges Donnerwetter, als meine Eltern heimkamen.«

»Wie alt warst du damals?«

»Elf, vielleicht zwölf.«

»Und du glaubst, du kannst jetzt besser kochen?«

»Probier es aus. Morgen Abend, ja? Zum besagten italienischen Menü. Ich hoffe, du magst Spaghetti.«

»Wenn sie ordentlich gekocht sind, immer.«

Sandie stand auf. »Ich sehe schon, du hast kein Vertrauen zu mir. Ich gehe schwimmen. Kommst du mit?«

»Du hast mich doch gerade eingecremt. Geh allein. Ich möchte mich ein bisschen sonnen.«

Corinna sah ihm nach, wie er ins Wasser stieg. Sie lächelte. Es machte Spaß, mit ihm herumzualbern. Sie legte sich bequem hin, hielt ihr Gesicht in die Sonne und schloss die Augen. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie fest eingeschlafen war.

 

Einige Stunden später lag Corinna entspannt an Sandies Schulter und hatte die Augen geschlossen. Sie waren inzwischen noch zweimal gemeinsam schwimmen gewesen, hatten ein fürstliches Picknick genossen und ab und zu ein paar Minuten gedöst. Meistens war Corinna dabei so wie jetzt in seinen Armen gelegen. Er ließ seine Hand über ihren Rücken gleiten und löste ihr Bikinioberteil. Sie blinzelte ihn an. »Was tust du denn da?«

»Du willst doch bestimmt nahtlos braun werden, oder?«

Sie grinste verschlafen. »Was habe ich denn davon? Es sieht mich ja doch keiner.«

»Ich sehe dich.« Sandies Hand glitt zu ihrer Brust.

Corinna ließ ihn gewähren. Es war ein seltsames Gefühl, wie er ihren Busen streichelte, aber keineswegs unangenehm. Im Gegenteil. Sie genoss es sehr. Als sie seine Lippen auf ihrer Brustwarze spürte, fühlte sie die fast unerträgliche Erregung, die sich in ihr aufbaute. »Sandie, lass das«, protestiere sie schwach.

»Warum? Gefällt es dir nicht?« Er blinzelte sie schelmisch an.

»Doch. Aber gerade deswegen.«

Er setzte sich auf und betrachtete sie lächelnd. »Hattest du noch nie einen Freund?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nicht in diesem Sinn. Schon ab und zu mal einen Flirt, und mit einem Jungen aus der Nachbarschaft bin ich ein Jahr lang gegangen, aber da war ich erst dreizehn. Das war rein platonisch.«

»Glück für mich.« Sandie küsste sie. »Da hätte doch glatt einer schneller sein können als ich.«

»Ach, wer will denn schon ein hässliches Entlein.« Corinna wollte ihn provozieren, doch er durchschaute ihre Absicht sofort.

»Du willst nur mal wieder hören, was du für ein hübscher Schwan bist, stimmt’s? Na, dann komm ins Wasser. Ich muss mich abkühlen.«

 

»Corinna?«

»Mhm?«

»Ich glaube, wir müssen fahren.«

Sie drehte sich auf den Rücken. »Wieso denn? Ist es schon so spät?«

»Wir haben noch eine ganz schöne Strecke vor uns. Außerdem gefällt mir das Wetter nicht.«

»Was ist damit?«

»Schau dir mal die dunklen Wolken an, die da hinten aufziehen. Ich glaube, es gibt ein Gewitter.«

Im Nu war Corinna auf den Beinen. »Dann sollten wir wirklich los. Radeln bei Regen ist nicht mein Fall.«

Schnell hatten sie ihre Sachen zusammengepackt. In der Ferne hörten sie schon dunkles Grollen. Erschrocken sah sie Sandie an.

»Vielleicht zieht es in die andere Richtung«, versuchte er, sie zu beruhigen, doch er klang nicht sehr überzeugend.

Während sie ihre Fahrräder durch das Gras schoben, warf Corinna ständig einen misstrauischen Blick zum Himmel. Als sie den Feldweg erreichten, der direkt zur Straße führte, donnerte es wieder. Lauter diesmal, bedrohlicher. Dunkle Wolken türmten sich in Minutenschnelle zu hohen Bergen und verschluckten das helle Tageslicht. Ihr wurde mulmig zumute. Sie fürchtete sich nicht vor einem Gewitter, aber nun hatten sie mehr als zwei Stunden Heimweg vor sich, vielleicht sogar drei, weil sie nicht mehr so frisch waren wie am Morgen.

Sie waren erst seit ein paar Minuten unterwegs, als sie die ersten Tropfen spürten. Dicke Tropfen, die auf ihrer Kleidung zerplatzten und sie durchnässten. Schon bald begann es gleichmäßig zu regnen.

Corinna schniefte. Die Aussicht, die ganze Strecke bei Regen und in nassen Sachen radeln zu müssen, erschreckte sie. Am liebsten wäre sie umgekehrt. Aber wohin sollten sie denn gehen? Ein gleißend heller Blitz zuckte an ihrer rechten Seite zu Boden, zwei Sekunden später knallte der Donner so laut, dass sie erschrocken ihren Lenker verriss und beinahe im Straßengraben gelandet wäre.

Sandie stieg ab. »Es hat keinen Zweck«, sagte er, als sie neben ihm hielt. »Das Gewitter ist noch etwas weg, aber bald sind wir mittendrin. Dann möchte ich nicht unterwegs sein.«

»Was sollen wir denn tun?« Corinna sah ihn verzagt an. »Wir könnten in einem Gasthof Schutz suchen.«

»Ja, das könnten wir.« Sandie sah in den Himmel. »Aber das Gewitter kann lange dauern. Ich habe einen besseren Vorschlag. Freunde von mir besitzen ein Wochenendhaus hier. Nur einen halben Kilometer hinter dem Feldweg. Da können wir bleiben, bis es aufgehört hat zu regnen.«

»Werden deine Freunde denn nichts dagegen haben?«

»Nein, bestimmt nicht.« Sandies Stimme klang allerdings nicht ganz überzeugt. Er zuckte mit den Schultern. »Es ist auf jeden Fall die beste Lösung. Der nächste Gasthof ist zu weit weg. Komm, wir drehen um.«

Sie radelten mit Höchstgeschwindigkeit. Inzwischen prasselte der Regen nur so auf sie herunter. Corinnas Shirt klebte ihr am Körper und auch die kurze Jeans, die sie trug, war schon klitschnass. Sie keuchte vor Anstrengung, denn Sandie legte ein flottes Tempo vor. Mit seinem Rennrad fiel ihm das nicht schwer, aber sie hatte gewaltig zu kämpfen, um mit ihm Schritt zu halten. Endlich bog er in eine schmale Seitenstraße ein. Kurz darauf hatten sie ein kleines Häuschen erreicht.

»Wir lehnen die Räder einfach gegen die Wand.«

Corinna konnte nicht antworten, so sehr rang sie nach Atem. Auch Sandie atmete schwer. Er angelte hinter einem Fensterladen nach dem Haustürschlüssel.

»Verflixt, wo ist er denn?«

»Vielleicht haben deine Freunde ihn mitgenommen?«

Er sah sie düster an. »Mal bloß nicht den Teufel an die Wand.« Dann hellte sich seine Miene auf. »Ich hab ihn.«

»Gott sei Dank.« Corinnas Knie waren plötzlich ganz weich.

Sandie sperrte die Tür auf und schob sie ins Haus. Es bestand lediglich aus drei Zimmern, einem winzigen Bad und einer kleinen Küche. Aber es war gemütlich eingerichtet und vor allem wasserdicht.

Corinna stand in der gefliesten Küche und beobachtete interessiert die zwei Pfützen, die sich um ihre Füße bildeten. Sandie zog das große Badetuch aus dem Korb. »Du musst die nassen Sachen ausziehen, sonst erkältest du dich.«

»Ich habe aber nichts anderes dabei.«

»Macht doch nichts. Runter mit dem Zeug.« Sandie zog ihr das Shirt über den Kopf.

»Lass. Das kann ich allein. Kümmere dich um dich selbst. Du bist genauso nass.«

 

Draußen blitzte und donnerte es unaufhörlich. Corinna hatte sich fest in eine Decke gewickelt und sah aus dem Fenster. Sie war fasziniert von dem ständig wechselnden Spiel aus Licht und Schatten. Der Regen hatte nachgelassen, dafür stand das Gewitter nun genau über ihnen. Bei einem besonders heftigen Donnerschlag fuhr sie zusammen.

»Keine Angst. Uns kann hier nichts passieren«, murmelte Sandie hinter ihr. Er hatte sein T-Shirt ausgezogen und trug nur noch seine Shorts. Als er den Arm um ihre Schultern legte, lehnte Corinna sich an ihn. Sie genoss die Wärme seines nackten Oberkörpers.

»Glaubst du, wir können heute noch heimfahren?«

»Wenn es nicht mehr lange dauert, schon. Aber wir können zur Not auch hier übernachten. Die Betten sind zwar abgezogen, aber wenn wir unsere Decken auf die Matratzen legen, müsste es gehen.«

»Übernachten? Hier?« Corinnas Augen wurden groß.

»Natürlich. Warum nicht? Ich schau mal nach, ob ich in dieser Bude was zu essen finde.« Leise vor sich hin summend verschwand Sandie in der Küche.

Corinna war ratlos. Der Gedanke, hier mit ihm die Nacht zu verbringen, hatte etwas furchtbar Aufregendes, das ihre Haut prickeln ließ. Aber Astrid würde sich Sorgen machen. Telefon gab es in diesem Haus nicht und so hatte sie keine Möglichkeit, ihre Schwester zu verständigen.

»Corinna, kommst du mal?«, tönte es aus der Küche. Sie zog die Decke fester um ihre Schultern und ging zu Sandie, der eine Dose Gemüsesuppe in der Hand hielt.

»Wenn du willst, kannst du deine Kochkünste jetzt unter Beweis stellen«, rief er fröhlich. Dann stutzte er. »Querida, was ist denn los?« Er stellte die Suppe weg und nahm sie in die Arme. Corinna lehnte sich an seine Brust und merkte, wie ihr Herz sofort wieder schneller zu schlagen begann.

»Wir hätten Astrid anrufen sollen«, murmelte sie leise. »Sie hätte uns sicher mit dem Auto abgeholt.«

»Bestimmt, ja.« Sandie strich ihr sanft über den Rücken. »Aber wer weiß, wo wir ein Telefon gefunden hätten. Und was hätten wir mit den Rädern gemacht?« Er seufzte leise. »Erschreckt dich die Aussicht, mit mir hier eine Nacht zu verbringen, so sehr?«

Sie sah zu ihm auf und schüttelte den Kopf. Diese Vorstellung hatte durchaus ihren Reiz. Doch ihr Verantwortungsgefühl stellte sich dem in den Weg. »Astrid wird sich um mich sorgen.«

»Sie kann sich bestimmt denken, dass wir irgendwo Unterschlupf suchen. Sie wird sicher wissen, dass dir nichts passiert. Ich bin doch bei dir.« Sandie sah das belustigte Lächeln um Corinnas Mundwinkel »Ach, jetzt verstehe ich«, nickte er. »Gerade deswegen macht Astrid sich Sorgen.« Er lachte amüsiert. »Es geht eben nichts über ältere Schwestern, die auf einen aufpassen. Ich verspreche dir …« Die Worte erstarben ihm auf den Lippen und er wandte sich verlegen ab. »Machst du die Suppe heiß? Ich schau mal, ob ich ein paar passende Kleider für dich finde. Vielleicht hat die Tochter des Hauses einige Sachen hier deponiert.«

Corinna nickte. Sie bemerkte einen seltsamen Ausdruck in Sandies Miene, konnte ihn jedoch nicht deuten. Außerdem war sie viel zu müde, um noch über solche Kleinigkeiten nachzudenken. Sie suchte in den Schränken nach einem Kochtopf und setzte dann die Suppe auf. Wenigstens würden sie nicht verhungern. Langsam fand sie Gefallen an diesem Abenteuer.

6

 

Sandie trieb tatsächlich Jeans und eine Bluse für sie auf. Die Hose war etwas zu kurz und auch zu eng, aber Corinna ließ einfach den Knopf offen. Die Besitzerin musste kleiner als sie sein und dabei eine unglaublich schmale Taille haben. Sie erzählte Sandie von ihrer Vermutung, während sie die heiße Suppe aßen.

»Absolut«, stimmte er ihr zu. »Sie hat eine Mannequinfigur.«

»Die hätte ich auch gern«, seufzte sie.

»Allzu mager ist auch nicht schön. Du gefällst mir so, wie du bist.«

»Ehrlich?«

»Ganz ehrlich.«

Das Gewitter hatte sich inzwischen verzogen, doch es regnete wieder heftiger. An eine Heimfahrt war nicht zu denken.

»Wo können wir schlafen?«, fragte sie, während sie nachdenklich aus dem Fenster sah.

»Es gibt zwei Zimmer mit Betten. Aber wie ich vorhin schon gesagt habe, ist kein Bettzeug da. Du musst mit deiner Decke und einem Sofakissen auskommen.«

»Kein Problem.« Corinnas Laune hatte sich erheblich gebessert. Immerhin würde sie eine Nacht zusammen mit Sandie verbringen. Dazu waren sie hier gut und trocken aufgehoben. Sie lehnte sich zurück und gähnte.

»Bist du schon müde?«

»Ein bisschen. Wieso? Hast du noch etwas für heute Abend geplant?«

Sandie lachte. »Wir können Karten spielen, wenn du Lust hast. Andere Zerstreuungen gibt es hier leider nicht.«

»Okay.« Corinna stand auf. »Ich spüle nur schnell die Teller ab. Bin gleich wieder da. Du kannst ja schon mal die Karten heraussuchen.«

 

Unruhig drehte sich Corinna auf die andere Seite. Schlaftrunken versuchte sie, die Zeiger ihrer Armbanduhr zu erkennen. Es war erst kurz nach Mitternacht. Sie hatte kaum eine Stunde geschlafen. Dabei war sie beim Kartenspielen vor Müdigkeit fast am Tisch eingenickt. Der Regen hatte endlich aufgehört und fahles Mondlicht schien in ihr Zimmer. Ob es das war, was sie geweckt hatte? Nein, sie hatte eher das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie blickte zur Tür. Für einen kurzen Moment hielt sie den Atem an, als sie Sandie sah, der am Türstock lehnte. Schweigend musterte er sie und wirkte dabei unsicher und verlegen wie ein kleiner Junge. Seine Augen waren groß und dunkel, als er sie im fahlen Mondlicht ansah.

Corinna wurde heiß. Sie wusste, sie musste nur den Kopf schütteln und er würde genauso leise wieder gehen, wie er gekommen war. Doch sie sehnte sich nach etwas Zärtlichkeit. Nach seinen Händen, die sie sanft streichelten, nach seinem Mund, der sie küsste und ein heißes Verlangen in ihr auslöste. Sie wollte ihm nahe sein, ihn fühlen und berühren. »Komm«, sagte sie rau und hob einen Zipfel ihrer Decke hoch.

»Bist du sicher?«, fragte er leise, als er sie in die Arme nahm.

»Ganz sicher.« Corinna kuschelte sich an ihn. Wie warm er war. Sie genoss das prickelnde Gefühl, das sie durchflutete. Sandie streichelte zärtlich ihr Gesicht, die andere Hand liebkoste ihre Brüste und tastete sich langsam nach unten weiter.

»Wirklich?«, flüsterte er an ihrem Ohr.

Als Antwort schickte sie ihre Hände ebenfalls auf Wanderschaft, während ihr Herz bis zum Hals klopfte und dabei vor Liebe fast zu zerspringen drohte.

 

Es dämmerte bereits. Nachdenklich blickte Corinna aus dem Fenster in den erwachenden Tag. Er würde schön werden. Sie hörte schon eine Amsel flöten und dazwischen einige andere Vogelstimmen, die sie nicht identifizieren konnte. Sandie lag in ihren Armen und schlief. Lächelnd sah sie auf die blonden, völlig zerzausten Haare hinunter. Jetzt war es also passiert. Sie bereute die letzte Nacht nicht. Er war so behutsam, so einfühlsam gewesen. Sanft strich sie über seine Wange, ohne ihn aufzuwecken. Sie liebte diesen Jungen, liebte ihn so sehr, dass sie ihre Gefühle gar nicht beschreiben konnte. Er war der Mann ihres Lebens. Das, was sie gemeinsam hatten, würde ewig halten.

Sie lächelte. Vielleicht waren ihre Gedanken ein wenig zu pathetisch, aber sie wusste, dass Sandie genauso fühlte. Sie gehörten einfach zusammen.

Sie musste die Flecken aus der Decke waschen. Astrid würde einen Anfall bekommen, wenn sie entdeckte, was auf ihrer Lieblingsdecke passiert war. Corinna verzog schuldbewusst das Gesicht. Wie lange war es her, dass sie ihrer Schwester gegenüber behauptet hatte, sie könne selbst bestimmen, wann sie mit einem Jungen schlafen würde? Hatte sie es denn nun bestimmt? Sie musste zugeben, dass es ihre eigene Entscheidung gewesen war. Sandie hatte sie nicht bedrängt. Es war einfach passiert. Aber sie bereute es nicht. Sie war glücklich, dass es passiert war. Hier, in diesem kleinen Häuschen, in aller Abgeschiedenheit, wo es nur sie beide gab. Zwei junge Menschen und ihre Liebe.

Vorsichtig versuchte sie, Sandie zur Seite zu schieben. Er grunzte unwillig und drehte sich um. Sie zog die Decke unter ihm hervor und begab sich ins Badezimmer. Mit kaltem Wasser und viel Seife rubbelte sie die dunklen Flecken heraus. Plötzlich fühlte sie einen zarten Kuss im Nacken und Sandies Arme, die sie umfingen. »Guten Morgen, querida.«

»Aua, du pikst ja. Guten Morgen, du Brummbär. Schon ausgeschlafen?«

»Nein, aber ich habe dich vermisst. Was tust du da?«

»Die Decke auswaschen. Astrid geht dir an die Kehle, wenn sie spitz kriegt, dass du ihre kleine Schwester verführt hast.«

»Verführt? Habe ich dich verführt?« Sandie drehte sie mit einem Ruck zu sich herum. »Darf ich dich daran erinnern, dass du mich regelrecht eingeladen hast?«

»Wenn du meinst.« Corinna stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn küssen zu können. Seine Bartstoppeln kratzten an ihrer Wange, doch das gefiel ihr.

»Mmh, das möchte ich in Zukunft jeden Morgen. Kommst du wieder ins Bett?«

»Meine Decke ist nass.«

»Macht nichts. Ich teile meine sehr gerne mit dir.« Sandie vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. »Letzte Nacht hatte ich einen wunderschönen Traum. Ich würde gern versuchen, ob ich ihn noch einmal träumen kann.«

»Du hast nicht geträumt, mein Lieber.«

»Nein? Kannst du das beweisen?« Der Schalk blitzte aus seinen Augen, gleichzeitig eine Aufforderung und der bange Wunsch nach Bestätigung.

Corinna lächelte. Sie liebte dieses Funkeln, das seine Augen noch blauer erscheinen ließ. Sie hatte dann das Gefühl, bis auf den Grund seiner Seele sehen zu können.

Als sie merkte, dass sie nur da stand und ihn betrachtete, wurde sie verlegen. Schnell wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu. »Geh schon voraus«, murmelte sie. »Ich hänge die Decke noch irgendwo zum Trocknen auf und komme dann nach.«

»Ich freue mich darauf, querida«, flüsterte Sandie und küsste nochmals ihren Nacken. »Lass mich nicht zu lange warten, ja?«

 

Es war hell geworden. Corinna hatte noch eine Weile an Sandies Schulter gedöst. Jetzt räkelte sie sich wohlig.

»Na, du Schlafmütze?« Mit einem verliebten Blick betrachtete er ihren nackten Körper.

Sie zog die Decke über sich. Es war schön, auf diese Art aufzuwachen. »Erzähl mir was von Monika«, murmelte sie.

»Wieso denn das?«

»Weil ich wissen möchte, wer sie ist und wie sie ist. Sie ist schließlich meine Rivalin.«

»Nein, ist sie nicht. Nicht mehr.«

»Trotzdem. Bis jetzt ist sie für mich nur ein Name. Ich will wissen, wem ich den Freund weggenommen habe.«

»Empfindest du es so?«

»Du denn nicht?«

»Ich weiß nicht. Ich habe Monika wirklich gern, aber mit ihr war es nie das Gleiche wie mit dir.« Sandie starrte an die Decke, als er weitersprach. »Mit Monika konnte ich nie so einfach flachsen. Sie liebt angeregte Diskussionen. Sie ist darin auch sehr gewandt. Meistens schafft sie es, bei einem Gespräch schon nach wenigen Minuten die Führung zu übernehmen.«

»Heißt das, du hast bei ihr nichts zu sagen?«

»Nein.« Sandie lächelte. »Ich will damit nur andeuten, dass sie für sinnlose Kabbeleien nicht viel Verständnis aufbringt. Ich kann manchmal stundenlang Unsinn reden, wenn ich aufgekratzt bin. Das hast du bestimmt schon gemerkt. Ihr liegt so etwas völlig fern. Bei ihr bekommt jedes Gespräch gleich einen intellektuellen Touch. Und wehe, man versucht, sie zu ärgern.« Er lachte. »Bei dir weiß ich, dass du nicht beleidigt bist, wenn ich dich mal auf den Arm nehme. Oder nimm zum Beispiel unsere Spiele im See gestern. Es wäre undenkbar gewesen, Monika aus Spaß unter Wasser zu ziehen.«

»Und du denkst, sie nimmt es so einfach hin, dass du ihr jetzt eine Andere vorziehst?«

»Ich glaube nicht, dass es da Probleme geben wird.« Sandie zuckte mit den Schultern. »Wir haben uns auseinandergelebt. Sie findet leicht einen Neuen. Vielleicht hat sie ja sogar schon einen.« Er verzog das Gesicht. »Wir passen sowieso nicht besonders gut zueinander. Monika kann nicht verstehen, dass Sport mir Spaß macht. Ihrer Meinung nach ist alles, was über einen Spaziergang hinausgeht und einen zum Schwitzen bringt, ungesund und unhygienisch. Sie wäre nie im Leben mit mir zum Joggen gegangen, nur weil ich sie darum gebeten hätte. Du hast es wenigstens versucht.«

»Mit ziemlich geringem Erfolg.«

»Sag das nicht, so schlecht bist du doch überhaupt nicht. Und du wirst immer besser. Außerdem ist das nicht der Punkt. Du versuchst, meine Interessen zu verstehen. Monika hat sich dahingehend noch nie viel Mühe gemacht. Es geht alles nur nach ihrem Kopf.«

»Du sprichst ganz schön negativ von ihr. Da wundere ich mich, dass ihr überhaupt zusammen wart.«

Sandie seufzte. »Ich weiß. Dabei versuche ich nur, den Unterschied zwischen euch beiden herauszustreichen. Monika hat durchaus ihre guten Seiten. Doch ich bin mir darüber klar geworden, dass das, was ich für Liebe hielt, nur eine Schwärmerei war. Vielleicht sogar Bewunderung. Ich gebe zu, ich war von ihrer Art und ihrem Auftreten ziemlich beeindruckt und es hat mir natürlich geschmeichelt, dass dieses weltgewandte Mädchen sich für mich interessierte.«

Und das sollte sich plötzlich geändert haben? Corinna war wieder skeptisch. Sie fand es einfach, über einen Menschen zu reden, der nicht anwesend war. Wenn Sandie seiner Freundin all das ins Gesicht sagen müsste, würde er bestimmt nicht so leicht die richtigen Worte finden. Ex-Freundin, korrigierte sie sich in Gedanken. Monika war Sandies Ex-Freundin, denn seine Freundin, das war jetzt sie, Corinna Stadler.

 

Zwei Stunden später waren sie auf dem Heimweg. Der Himmel hatte sich wieder zugezogen und sie hatten einen leichten Wind im Rücken, der sie vorwärts trieb.

Corinna trat kräftig in die Pedale. Sie hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Da Astrid am Sonntag selten vor zehn Uhr aufstand, saß sie dann vielleicht gerade beim Frühstück. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Sandie hatte vorgeschlagen, in einem Gasthof zu frühstücken, doch sie hatte abgelehnt. Ihr Geldbeutel erlaubte keine großen Extratouren. Er hätte sie gewiss eingeladen, doch da sie wusste, dass er auch nicht gerade im Geld schwamm, wollte sie solche Situationen vermeiden.

Kurz vor halb elf stieg sie erschöpft vom Rad. »Endlich«, stöhnte sie. »Ich dachte schon, wir schaffen es nie.« Sie sah Sandie an. »Kommst du noch mit hoch?«

»Um Astrid Rede und Antwort zu stehen? Nein, lieber nicht.«

»Du bist ja feige.«

»Einer meiner wenigen Fehler.« Sandie grinste Corinna an. »Du schaffst es schon. Ich würde nur stören. Vergiss unser Essen heute Abend nicht.«

»Nein, bestimmt nicht. Bis später.«

Sie küssten sich zum Abschied, dann räumte Corinna schnell das Fahrrad in den Keller und lief die unzählig vielen Treppen in den dritten Stock hinauf.

 

Als sie auf der Suche nach ihrer Schwester in ihr kleines Wohnzimmer kam, erlebte Corinna eine Überraschung. Astrid saß am Frühstückstisch, aber sie war nicht allein. Reinhold, der Gastgeber der Party, auf der sie Sandie kennengelernt hatte, war bei ihr.

»Hallo«, rief sie fröhlich. »Ich störe wohl?«

Astrid sprang auf. »Corinna! Wo um alles in der Welt bist du gewesen? Ich habe mir furchtbare Sorgen um dich gemacht.«

»Aber wie es scheint, hast du jemanden gefunden, der dich tröstet.« Corinna machte einen Schritt auf den frühen Gast zu und gab ihm die Hand. »Hallo Reinhold. Du erinnerst dich doch an mich?«

»Ja, natürlich.« Sein Händedruck war fest und vertrauenerweckend. »Und du tust Astrid unrecht. Sie hat mich vorhin angerufen, weil sie außer sich vor Sorge war, weil du in der Nacht nicht heimgekommen bist. Sie wäre am liebsten sofort losgefahren, um dich zu suchen, aber sie hatte keine Ahnung, wo. Wir wollten gerade einen Schlachtplan schmieden. Sie erzählte mir, dass du gestern bis zum Ammersee geradelt bist. Aber doch nicht alleine?«

»Nein, mit einem Freund.«

»Und wo bist du die ganze Nacht gewesen?«, fiel Astrid ihr ungeduldig ins Wort.

»Darf ich mir zuerst was zu Essen machen?« Mit verlangenden Augen ließ Corinna ihren Blick über den gedeckten Tisch wandern. »Der Magen hängt mir in den Kniekehlen.«

Reinhold machte eine einladende Geste. »Sitze ich auf deinem Platz?«

»Er sei dir für heute gnädig überlassen.« Sie ließ sich auf die Couch fallen. »Uff, bin ich geschafft.«

»Glaube ich gerne, wenn du schon vom Ammersee hergeradelt bist. Dafür könntest du mich am Sonntagmorgen nicht begeistern.«

»War auch wirklich nicht so geplant.« Dankbar nahm Corinna von Astrid einen Teller und eine Tasse Kaffee entgegen. »Mmh, das ist genau das, was ich jetzt brauche.«

Da sie keine Anstalten machte, zu berichten, drängte Astrid noch einmal. »Also, wir hören.«

»Na, du weißt doch, dass ich mit Sandie beim Baden war.«

»Das war gestern.«

Reinhold grinste Corinna an und zwinkerte ihr zu. Es war klar, dass er auf ihrer Seite stand.

»Natürlich war das gestern. Aber wir konnten nicht zurückkommen, weil dort ein furchtbares Gewitter tobte und es die halbe Nacht lang geregnet hat.«

»Warum hast du nicht angerufen? Ich hätte euch abgeholt.«

»Daran haben wir zu spät gedacht. Tut mir leid. Wir haben in einem kleinen Wochenendhaus übernachtet, das Sandies Freunden gehört. Dort gab es leider kein Telefon.«

Astrid verschüttete ihren Kaffee. »Du hast was? Allein mit ihm in einem Haus übernachtet?«

»Astrid, bitte«, schaltete sich Reinhold ein. »Deine Schwester ist erwachsen und sie macht den Eindruck, als wüsste sie, was sie tut.«

Corinna warf ihm einen dankbaren Blick zu. Sie kannte ihn zwar nur flüchtig, aber er wurde ihr zunehmend sympathischer.

»Ich weiß.« Astrid seufzte. »Aber gleich zusammen übernachten. Corrie, du weißt, was ich von ihm halte.«

»So schlimm?« Reinhold sah Astrid fragend an.

»Du kennst ihn doch auch«, antwortete Corinna anstelle ihrer Schwester. »Ich habe ihn auf deiner Party kennengelernt.«

»Bist du sicher?« Reinhold zog die Stirn in nachdenkliche Falten. »Bei meiner Fete gab es bestimmt keinen Sandie, das müsste ich schließlich wissen.«

»Kein Wunder, dass dir der Name nichts sagt.« Astrid biss herzhaft in ihr Schinkenbrot. »Du kennst ihn nämlich nur als Alex.«

Reinhold verschluckte sich in diesem Moment und musste fürchterlich husten. Tränen traten ihm in die Augen, als er sein Brot weglegte und den Mund hinter seiner Hand verbarg. Während Corinna ihm hilfreich auf den Rücken klopfte, beobachtete Astrid ihn mit diabolischer Schadenfreude.

»Du warst mit Alex in einem Wochenendhaus am Ammersee?«, keuchte er, als er wieder Luft bekam.

»Ja, es gehört irgendwelchen Freunden von ihm.«

»Ich weiß. Ich kenne es. Es gehört allerdings nicht ›irgendwelchen Freunden‹, sondern den Eltern seiner Verlobten.«

Corinna war gerade dabei, sich noch einen Toast zu nehmen, doch ihre Hand blieb wie erstarrt über dem Brotkorb hängen.

»Seiner Verlobten?«, fragte sie tonlos.

»Ja, Astrid kennt sie auch. Sie heißt Monika und ist zur Zeit in Amerika, aber soviel ich weiß, wollen die Beiden heiraten, sobald sie zurückkommt.«

»Heiraten?«, echote Corinna und starrte Reinhold mit großen Augen an. Sie begriff gar nichts mehr. Heiraten? Sandie und Monika wollten heiraten? So hatte es sich aber nicht angehört.

»Aber …«, begann sie, doch sie fand keine Worte. Wirre Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf.

»Das wusste ich nicht«, murmelte Astrid betroffen.

»Das glaube ich nicht«, brachte Corinna schließlich mühsam hervor.

»Doch, so ist es.« Reinhold nickte bekräftigend. »Anita hat mir erzählt, dass sie das Aufgebot bestellen wollen, sobald Monika zurück ist.«

»Vielleicht haben sie ihre Meinung geändert?«, mutmaßte Corinna leise.

»Kann ich mir fast nicht vorstellen«, meinte Reinhold. »Anita ist Monikas Trauzeugin. Es gibt sogar schon einen Termin.«

»Entschuldigt mich bitte.« Corinna stand auf. Sie war schreckensbleich. Es rumorte in ihrem Inneren. Als sie sich auf ihr Bett fallen ließ, musste sie gegen einen heftigen Brechreiz ankämpfen. Heiraten. Er hatte schon feste Heiratspläne mit Monika und ihr erzählte er, dass nur noch sie für ihn zählte. Dieser Schuft. Wütend boxte sie in ihr Kopfkissen. Er hatte sie betrogen, belogen und benutzt. Er hatte mit ihr geschlafen und von Liebe geredet, dabei würde er schon bald mit einer anderen vor den Traualtar treten. Corinna fühlte sich hundeelend. Warum nur hatte sie ihm nachgegeben? Warum hatte sie ihm erlaubt, in ihr Bett zu kommen? Wie konnte er ihr das nur antun? Nicht nur ihr, auch Monika. Er hatte seine Verlobte betrogen. Hatte sie beide betrogen. Wie hatte sie sich nur in einen so gewissenlosen Kerl verlieben können? Sie schluchzte trocken, als sie plötzlich seine sanften Augen vor sich sah, sich an seine Zärtlichkeit erinnerte und an seine liebevollen Worte dachte. Er war ihrer Liebe nicht wert. Er war ein hinterhältiger, elender Schuft. »Schuft! Schuft! Schuft!«, brüllte sie in ihr Kissen und endlich kamen die Tränen. Sie weinte all ihren Zorn und ihre Enttäuschung aus sich heraus.

Irgendwann bemerkte sie, dass sie nicht mehr allein war. Als sie sich umdrehte, sah sie Astrid an ihrem Bett sitzen.

»Geht’s wieder?«, fragte ihre Schwester teilnahmsvoll.

»Ja.« Corinna schniefte und wischte sich über die Augen.

Astrid nahm ein Papiertaschentuch vom Nachttisch und reichte es ihr. »Ich weiß nicht, was zwischen euch alles war, aber du solltest ihn einfach vergessen«, riet sie.

»Das kann ich nicht. Dieser gemeine Kerl! Ich hasse ihn.« Schon wieder kamen Corinna die Tränen.

»Ach Corrie.« Astrid seufzte. »Du verdammst immer jeden, über den du dich gerade ärgerst. Aber sobald du ihn wieder siehst, hast du deinen ganzen Zorn vergessen.«

Sie hatte recht. Corinna konnte niemandem lange böse sein. Sobald sie das Objekt ihres Ärgers wieder traf, war sie sofort zur Versöhnung bereit. Aber wenn es wirklich stimmte, dass Sandie und Monika heiraten wollten, konnte es nur eine Antwort geben. »Diesmal nicht«, bekräftigte sie. »Ich weiß, dass ich zu vertrauensselig bin, aber er hat das schamlos ausgenutzt.« Mit tränenverschleiertem Blick sah sie Astrid an. »Dabei hat er mich noch für heute Abend zum Essen eingeladen. Na, der kann was erleben.«

»Du wirst doch nicht etwa zu ihm gehen?«

»Doch. Ich will ihm gehörig die Meinung sagen. Und dieses Mal lasse ich mich nicht wieder von ihm belabern, dass alles in Ordnung kommt.«

Astrid zog ein zweifelndes Gesicht. »Wir werden sehen. Mir wäre es lieber, wenn du nicht zu ihm gehen würdest. Du kannst ihn auch anrufen.«

»Das muss ich persönlich machen.« Corinna schniefte erneut, dann wandte sie sich zum Badezimmer. »Du, Astrid?« Sie drehte sich noch einmal um. »Danke.«

»Wofür denn?«

»Dafür, dass du dir den Satz ›Ich habe es dir ja gesagt‹ gespart hast.«

Astrid lächelte traurig. »Ich kann es mir kaum erlauben, so anmaßend zu sein. Schließlich habe ich auch meine Fehler gemacht. Es tut mir nur leid, dass es dir so nahe geht.«

»Mach dir keine Sorgen, ich komme schon darüber hinweg.«

Wenn nur die letzte Nacht nicht gewesen wäre. Diese wunderschöne letzte Nacht, die alles geändert hatte. Die eine bloße Freundschaft zu einer Beziehung gemacht hatte. Sie hätte sich nie darauf einlassen dürfen.

Corinna klatschte sich eine Ladung kaltes Wasser nach der anderen ins Gesicht. Es half ihr, ihre Gedanken zu sammeln und wieder klar zu denken. Vielleicht stimmte es ja gar nicht, was Reinhold erfahren hatte. Vielleicht war die Hochzeit nur ein aufgebauschtes Gerücht. Sie musste Sandie zumindest die Gelegenheit für eine Erklärung geben. Allerdings war ihr auch klar, dass er ihr wieder nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte, und das brachte sie noch mehr in Rage. Sie musste sich darüber klar werden, wie es weitergehen sollte mit ihr und Sandie. Wobei es für sie außer Frage stand, was sie zu tun hatte, und wenn es ihr noch so sehr das Herz dabei umdrehte.

7

 

Als sie am späten Nachmittag zu Sandies Wohnung radelte, war sie noch voller Zorn. Während des ganzen Weges legte sie sich zurecht, was sie sagen wollte. Es war nicht viel Freundliches dabei. Doch als er ihr die Tür öffnete und sie sein fröhliches Gesicht sah, waren die vorformulierten Sätze wie weggeblasen. Stumm starrte sie ihn an und verwünschte ihr dämliches Herz, das schon wieder Luftsprünge machte.

»Hallo querida, komm rein.« Sandie umarmte sie herzlich. Doch sie stieß ihn weg.

»Lass das«, fauchte sie.

»Hoppla.« Er ließ sie erstaunt los. »Was ist denn passiert?« In einer Mischung aus Belustigung und Wachsamkeit zog er die Augenbrauen hoch.

»Ich habe eine Stinkwut auf dich«, knurrte Corinna.

»Das merke ich.« Er musterte sie nachdenklich. »Was habe ich denn angestellt? Na, komm erst mal rein und setz dich hin.« Er drückte sie auf einen Stuhl und nahm gegenüber Platz. »Also, was hast du auf dem Herzen? Welche Leiche aus meinem Keller hast du ausgebuddelt?«

Es ärgerte Corinna, dass er sie nicht ernst nahm. Ihre Liebe war schließlich kein Spiel.

»Ich habe zum Beispiel herausgefunden, wem das Haus, in dem wir beide uns vergnügt haben, gehört. Du hast ein Taktgefühl wie ein Nilpferd. Wirst du Monika erzählen, dass du im Haus ihrer Eltern mit einer anderen geschlafen hast? Ich nehme doch an, dass du auch mit ihr auf diesem schönen breiten Bett gelegen hast. Die Sachen, die ich anhatte, gehören sicher auch ihr, nicht wahr? Und dann muss ich auch noch erfahren, dass du mit ihr verlobt bist und sie heiraten willst, sobald sie aus den Staaten zurück ist. So, jetzt frag mich noch einmal, was du angestellt hast.« Corinna war atemlos, so schnell hatte sie ihre Anklage vorgebracht. Auf ihren Wangen bildeten sich hektische rote Flecken.

Sandie war einen Moment sprachlos. »So, das hast du erfahren«, murmelte er tonlos. Er schüttelte langsam den Kopf. »Deine Spione sind ja unheimlich auf Draht. Von wem weißt du das?«

»Ist doch völlig egal.«

»Willst du was trinken?« Sandie stand auf.

»Nein. Ich will eine Antwort.«

»Gleich. Ich brauche erst mal einen Schluck. Bin sofort wieder da.«

Corinna hörte ihn nebenan mit einer Flasche klirren. Sie hatte es geschafft, ihn aus der Fassung zu bringen. Immerhin. Ihre Wut verrauchte langsam. Es hatte ihr gutgetan, ihm ihre Zweifel ins Gesicht zu schleudern. Sie fühlte sich jetzt durchaus in der Lage, eine ordentliche Diskussion durchzuziehen. Und dieses Mal, so nahm sie sich erneut vor, würde sie sich nicht so leicht beschwatzen lassen.

Sandie kam zurück. In der Hand hielt er ein Whiskyglas, das reichlich gefüllt war. Corinna zog die Augenbrauen hoch.

»Ich weiß«, stimmte er ihrem unausgesprochenen Vorwurf zu. »Ist noch ein wenig früh für harte Sachen und du darfst mir glauben, dass ich normalerweise nicht zur Flasche greife, wenn sich Probleme auftun, aber du hast mich gerade ziemlich geschockt.«

»Wie denn das? Es kann doch nichts Neues für dich gewesen sein, oder?«

»Nein, das nicht.« Sandie nippte an seinem Whisky. »Ich gebe zu, das ist etwas, an dem ich noch arbeiten muss.«

»Noch arbeiten?« Corinna schrie es fast. »Du willst Monika heiraten. Was gibt es daran noch zu arbeiten?«

»Bitte lass es mich erklären, ja?« Er stellte das Glas ab. »Was das Haus angeht: Ich konnte dir schlecht sagen, dass es Monikas Eltern gehört. Du wärst nie und nimmer mitgegangen.« Corinna nickte zustimmend. »Aber es war die beste Lösung. Hätten wir bei dem Wetter irgendeinen Gasthof suchen und dort für teures Geld übernachten sollen, wo mir ein ganzes Haus in unmittelbarer Nähe zur Verfügung stand?« Er hob die Hand, als sie zu einer Antwort ansetzte. »Bitte, lass mich ausreden. Monika wollte, dass wir uns vor ihrem Amerikaaufenthalt verloben. Ich hielt das damals für eine gute Idee. Vielleicht dachte ich, ich könnte sie damit fester an mich binden. Darauf, dass ich mich selbst in eine Andere verlieben könnte, wäre ich zu dem Zeitpunkt nie gekommen. Sie schlug vor, wir sollten heiraten, wenn sie im Juli wieder heimkäme. Ich habe nie ans Heiraten gedacht, aber der besagte Juli war damals noch so weit weg, dass ich versprach, darüber nachzudenken. Nur hat sie bereits einen Tag später die große Nachricht in unserem Freundeskreis verkündet.«

»Ihr habt ja sogar schon ein Datum festgesetzt«, klagte Corinna ihn bitter an.

Sandies Mundwinkel zuckte. »Okay, dann weiß ich jetzt zumindest, aus welcher Ecke deine Informationen kommen. Monika und ihre beste Freundin Anita haben den Tag ausgesucht, bevor sie nach Amerika geflogen ist. Sie hat ihn mir am Flughafen ganz beiläufig mitgeteilt. Ich war völlig überfahren.«

»Du bist also ganz unschuldig.« Corinna zog eine verächtliche Grimasse.

»Nein, aber es ist total blöd gelaufen. Ich weiß auch nicht, warum sie so versessen aufs Heiraten ist. Ich wollte mit ihr vernünftig reden, wenn sie zurückkommt. So etwas kann man nicht über eine solche Entfernung klären. Ich will noch nicht heiraten, ich will zuerst mein Studium beenden, einen anständigen Job haben und dann ist es vielleicht Zeit, an eine Frau zu denken. Und das wird nicht Monika sein, das ist mir in den letzten Wochen klar geworden. Ich liebe dich!« Sandie griff nach seinem Glas und trank hastig, verschluckte sich dabei und musste heftig husten.

Corinna beobachtete ihn, ohne mit der Wimper zu zucken. Sein Liebesgeständnis schob sie in die hinterste Ecke ihres Gehirns, um später darüber nachzudenken. »Das heißt, wenn ich dich richtig verstehe, willst du sie jetzt trotz deines Eheversprechens einfach sitzen lassen. Findest du das fair?«

»Nein.« Sandie mied ihren Blick und starrte aus dem Fenster. »Natürlich finde ich es nicht fair. Denkst du, mir behagt diese Situation? Ich hätte nie gedacht, dass mir meine eigenen Gefühle einen solchen Streich spielen.«

»Auf jeden Fall spielst du nicht nur mit Monikas Empfindungen, sondern auch mit meinen. Glaubst du wirklich, dass mir das gefällt?«

Sandie stellte das Glas hart auf den Tisch. Dann nahm er Corinnas Hände und zog sie zu sich. »Komm, querida, setz dich zu mir.« Widerwillig ließ sie sich auf seinen Schoß ziehen.

»Schau, es ist doch alles nur so vertrackt, weil Monika so weit weg ist. Sonst hätte ich die Sache schon längst über die Bühne gebracht. Ich hatte nicht vor, mich in dich zu verlieben. Es ist einfach passiert. Durch dich habe ich gemerkt, dass meine Beziehung zu Monika doch nicht das Wahre ist. Mit dir verstehe ich mich viel besser, als es mit ihr je der Fall war.« Sandie grinste versuchsweise. »Das heißt, wenn du nicht sauer auf mich bist.«

Corinna ging auf seinen Scherz nicht ein. »Wenn du noch gar nicht heiraten willst, warum hast du dich dann mit ihr verlobt?«

»Weil ich wirklich dachte, ich liebe sie. Ich kann es schlecht erklären. Mit dir fühlt es sich einfach richtiger an.«

»Mir gefällt das alles nicht.«

»Ich habe ihr geschrieben. Gleich nachdem du es von mir verlangt hast. Sie müsste den Brief bald bekommen. Ich habe ihr alles erklärt und um ihr Verständnis gebeten.«

»So, wie du sie mir beschrieben hast, kann ich mir kaum vorstellen, dass sie das hat.« Corinna schüttelte den Kopf.

»Sie kann doch keinen heiraten wollen, der stärkere Gefühle für eine andere hat.«

»Du hättest sie anrufen sollen. Solche Dinge kann man nicht in einem Brief klären. Du könntest es immer noch.«

Sandie sah zur Seite.

»Oder bist du zu feige?«

»Vielleicht«, murmelte er. »Am Telefon kann ich mich nicht mit ihr auseinandersetzen.«

»Dann sollte ich wohl besser gehen.« Corinna rutschte von seinem Schoß, doch Sandie hielt sie am Handgelenk fest.

»Querida, bitte bleib. Ich habe dich doch zum Essen eingeladen, hast du das schon wieder vergessen?«

»Nein, aber …«

»Bitte. Ich verspreche dir, dass ich alles in Ordnung bringen werde.« Er sah sie beinahe flehend an. »Wenn es dir schwerfällt, das zu glauben, dann lass uns einfach nur gute Freunde sein, die zusammen essen.«

»Geht das denn noch nach der letzten Nacht?«, zweifelte Corinna. Doch als sie Sandie ansah, spürte sie, dass jede Faser ihres Körpers sie zu ihm zog. Sie kämpfte gegen das heftige Verlangen an, ihn zu umarmen, und fühlte sich von ihrem eigenen Herzen verraten. Aber er sah einfach zu gut aus. Er hatte sich rasiert und seinen Schnurrbart ein wenig gestutzt. Sie roch sein Rasierwasser und stellte fest, dass er einen guten Geschmack hatte. Sie seufzte. Es hatte keinen Zweck, sich mit dem Verstand gegen ihre Gefühle zu wehren.

»Also meinetwegen«, resignierte sie. »Ich bleibe.«

Sandie strahlte sie an. »Du wirst es nicht bereuen.« Er sprang auf, umfasste sie mit beiden Armen und schwenkte sie zweimal im Kreis, bevor er sie atemlos wieder absetzte. »Dann kümmere ich mich jetzt um unser italienisches Menü.«

»Soll ich dir helfen?«

»Nein, ich will dir schließlich beweisen, dass ich gut kochen kann.« Er schmunzelte. »Du kannst höchstens die Feuerwehr rufen, wenn es brenzlig riecht. Mach es dir inzwischen bequem.«

»Na gut.« Während Sandie in der Küche verschwand, sah sie sich in seiner Wohnung um. Sie war größer als Astrids und die sah Corinna schon als Luxusappartement an. In einer Ecke des Wohnzimmers stand eine riesige Palme, die ihre ausladenden schmalen Blätter über die Sitzgarnitur hängte und einen Teil davon beinahe unbrauchbar machte. Sonst gab es weder Pflanzen noch Blumen im Zimmer, dafür aber eine große Stereoanlage und einen teuren Fernseher mit Videorekorder.

Sprachlos schüttelte sie den Kopf. Wie konnte sich Sandie solche Geräte leisten? Astrid war froh gewesen, als sie den alten Fernseher der Großeltern für ihre Wohnung geschenkt bekommen hatte.

Sie erschrak, als die Tür aufgestoßen wurde und Sandie mit einer Ladung Geschirr herein gehastet kam. »Sei lieb, querida, und deck den Tisch. Hier sind Teller und Besteck. Tischdecken gibt’s hier leider nicht.«

»Dafür reicht es wohl nicht mehr bei all diesem Luxus.« Corinna deutete auf den Fernseher und die Stereoanlage.

Sandie, der bereits wieder bei der Tür war, drehte sich um. »Ach, du glaubst, das Zeug gehört alles mir? Querida, ich bin doch kein Krösus …« Ein gefährlich klingendes Zischen aus der Küche unterbrach ihn. Überstürzt hastete er davon. Zehn Minuten später steckte er erneut den Kopf zur Tür herein. »Corinna, das Essen ist fertig. Bist du so weit?«

Sie klappte das Buch zu, in dem sie geblättert hatte und wartete neugierig auf das Ergebnis von Sandies Kochkünsten.

»Als Vorspeise Minestrone.« Stolz stellte er den dampfenden Kochtopf mitten auf den hellen Eichentisch.

»Wenn du nicht bis in alle Ewigkeit an dieses Essen erinnert werden willst, würde ich einen Untersetzer benutzen«, meinte Corinna trocken.

Sandie sah kurz von ihr zu dem Topf und schlug sich dann vor die Stirn. Er rannte zurück in die Küche und kam mit einem runden Korkuntersetzer zurück. »Sag nichts, querida«, bat er. »Eigentlich weiß ich, dass man heiße Töpfe nicht auf die Möbel stellt.« Er grinste nervös. »Lass es dir schmecken.«

Die Minestrone war gut. Corinna hatte inzwischen Hunger bekommen. Sandie beobachtete sie aufmerksam.

Sie lächelte ihn zwischen zwei Löffeln Suppe an. »Es schmeckt prima.«

»Danke.« Er nickte. »Dosenfutter heiß machen ist eines der wenigen Dinge, die ich ausgezeichnet kann.«

»Du wolltest mir vorhin erklären, wem all diese Sachen hier gehören.« Corinna deutete mit dem Kopf nach hinten. »Etwa Monika?« Ihre Stimme klang vorsichtig und misstrauisch. »Wohnst du etwa hier mit ihr?«

»Nein, wo denkst du hin. Monika hat eine schnieke Wohnung in der Innenstadt. Sie wollte zwar, dass ich bei ihr einziehe, aber nachdem sie dann bald nach Amerika abgedüst ist, wäre das wenig sinnvoll gewesen. Da bleibe ich lieber hier, da ist es gemütlicher. Um auf deine Frage zurückzukommen, der größte Teil der Einrichtung gehört meinem Freund Werner, mit dem ich hier hause. Wir haben ein ähnliches Abkommen wie du und Astrid. Jeder die Hälfte der Miete. Wir könnten uns übrigens etwas Musik machen. Was hältst du davon?«

Corinna nickte und sah zu, wie Sandie eine CD auflegte. Er sah zu ihr herüber und lächelte. »Daheim habe ich eine Stereoanlage, die ist sogar noch besser. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Ferien lang ich dafür gejobbt habe. Das Ding war irre teuer. Deswegen ist sie mir zu schade für hier. Aber das macht nichts, weil ich die Sachen meines Freundes mitbenutzen darf. Das Einzige, was mir in diesem Zimmer gehört, ist das hier.« Er deutete auf die Palme. »Als ich sie kaufte, war sie nicht mal einen Meter hoch. Ich dachte, wenigstens etwas Grünes müsste hier herein. Werner droht ständig damit, dass er sie zum Fenster rauswirft.« Er lachte. »Bis jetzt habe ich ihn immer noch überreden können.«

»Ja, im Überreden bist du perfekt.« Corinna löffelte ihre Suppe aus. »Dann haust ihr beide allein hier?«

»Das sieht man doch, oder? Ein richtiger Männerhaushalt.«

»Wundert mich, dass du bei deinen Kochkünsten noch nicht verhungert bist.«

Sandie spielte den Gekränkten und zog einen Schmollmund. »Und ich dachte wirklich, es schmeckt dir.« Er grinste plötzlich. »Aber du hast schon recht. Werner sorgt für das Essen. Und das kann sich echt sehen lassen. Er ist begeisterter Hobbykoch. Dafür hält er vom Spülen weniger, das bleibt dann meistens mir.«

»Wo ist er denn, dein Freund Werner?«

»Irgendwo in Italien. Mit seiner Freundin.« Sandie räumte die Suppenteller ab. »Irgendwann wird sie bestimmt hier einziehen wollen. Dann muss ich wohl raus. Ich glaube nicht, dass sich Werner für mich entscheidet, falls er die Wahl hat. Am Mittwoch kommen sie zurück. Mal sehen, vielleicht kriege ich noch eine Galgenfrist.« Er drückte Corinna schnell einen Kuss auf die Wange. »Spaghetti kommen gleich.«

Der Kuss hatte sie überrumpelt. Sie hatte auf Abstand gehen wollen, aber jetzt ertappte sie sich bei dem sehnsuchtsvollen Wunsch, ihn ebenfalls zu küssen. Und nicht nur auf die Wange. Warum konnte sie ihre Gefühle für ihn nicht einfach abstellen? Oder wenigstens so lange auf Eis legen, bis er sich richtig von Monika getrennt hatte? Beim Gedanken an die Rivalin beschlich sie wieder ein leises Unbehagen, das sie zu ignorieren versuchte, als Sandie den nächsten Gang brachte.

»Voila! Spaghetti mit Tomatensoße á la Sandie. Guten Appetit.«

Eine Weile aßen sie schweigend, dann fragte er leise: »Hast du mir verziehen?«

»Die Frage ist, ob Monika dir verzeiht.«

»Bestimmt nicht. Sie glaubt sicher, wenn schon einer Schluss macht, dann müsste sie es sein. Aber vielleicht kommt es gar nicht zu einer Tragödie. Es kann gut sein, dass sie mich nach all ihren Erfahrungen in Amerika gar nicht mehr heiraten will.« Er grinste sie fröhlich an.

»Sandie, du nimmst das alles nicht ernst.«

»Ich bin nun mal eine Frohnatur.«

»Deswegen kann man doch Verantwortungsgefühl haben.«

»Habe ich doch. Ich sorge schließlich dafür, dass du satt wirst.«

»Sandie!« Corinna schrie es fast. »Ich will ernsthaft mit dir reden.«

»Aber ich nicht.« Er drehte sich genussvoll einen riesigen Berg Spaghetti auf die Gabel. »Schau mal, querida, wir haben doch schon zur Genüge über Monika diskutiert. Es wird nicht besser, wenn du immer wieder darauf herumreitest. Lass uns doch unseren gemeinsamen Abend genießen. Nimm dir noch von den Nudeln. Bei meiner großzügigen Einladung habe ich nämlich nicht dran gedacht, dass heute Sonntag ist und ich deshalb kein Eis einkaufen kann.«

»Kein Problem. Nach dieser Menge Spaghetti passt sowieso keine Nachspeise mehr rein.« Corinna war ein wenig verschnupft über seine Worte, doch sie wollte sich nichts anmerken lassen. Er hatte ja recht. Monika würde nicht verschwinden, auch wenn sie immer wieder die Sprache auf sie brachte. Sie musste einfach darauf vertrauen, dass Sandie alles in Ordnung bringen würde.

Nach dem Abwasch, den sie gemeinsam erledigten, spielten sie ein Gesellschaftsspiel. Doch irgendwann fand sich Corinna auf Sandies Schoß wieder. Er küsste sie hingebungsvoll und schob ihre Bluse hoch. Sie wollte ihn abwehren, aber ihre Hände versagten ihr den Dienst. Sie genoss die Spannung, die sich in ihr aufbaute. Ihre Vernunft sagte ihr, dass sie jetzt heimgehen sollte, doch sie machte keine Anstalten, aufzustehen. Im Gegenteil, sie kuschelte sich noch enger an Sandie heran. Denk an Monika, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, warte, bis es da Klarheit gibt. Sie schluckte. Sie sollte auf diese Stimme hören, ganz bestimmt, das sollte sie tun.

»Soll ich dir mal mein Zimmer zeigen?«, fragte Sandie rau. Als Corinna nickte, nahm er sie einfach auf die Arme und trug sie nach nebenan. Wie zufällig lud er sie auf seinem Bett ab.

»Das ist also meine Domäne.« Er machte eine weit ausladende Geste. Dabei war das Zimmer zu klein, um viel mehr darin unterzubringen als das Bett und den Kleiderschrank. Die einzige weitere Einrichtung waren ein Computer und ein Drucker, die beide auf einem Tisch in der Ecke standen. Sandie folgte Corinnas Blick und nickte. »Den hat mir mein alter Herr geschenkt. Informatik zu studieren ohne einen eigenen Computer hat nicht viel Sinn. Das hat sogar er eingesehen.«

»Dein Vater scheint nicht sehr spendabel zu sein.« Bereitwillig rutschte Corinna zur Seite, als Sandie sich neben sie setzte.

»Doch, eigentlich schon.« Er ließ seine Hand zärtlich über ihren Rücken wandern. »Er ist nur der Meinung, dass man seinen Kindern nicht jeden Luxus nachwerfen sollte. Mein Rennrad, die Stereoanlage und das Auto habe ich mir nach und nach selbst verdient, obwohl er meistens am Schluss noch etwas dazugelegt hat. Seine Einstellung ist nicht die Schlechteste. Ich habe mich jedes Mal riesig gefreut, wenn ich mir wieder was leisten konnte. Man bekommt eine ganz andere Beziehung zu seinem Besitz, wenn man nicht einfach in den nächsten Laden gehen und sich alles kaufen kann.«

Während Sandie sprach, hatte er Corinnas Bluse aufgeknöpft. Nun machte auch sie sich an seinem Hemd zu schaffen, nicht ganz ohne schlechtes Gewissen. Gerade dazu hatte sie es nicht mehr kommen lassen wollen. Aber das war ihr im Moment egal. Die Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, übermannte sie völlig. Ihre Vernunft war geradezu ausgeschaltet. Zärtlich zog sie seinen Kopf zu sich und küsste ihn, bis ihr fast die Luft ausging. Ja, sie wollte es. Ihr Körper war stärker als ihr Verstand. Sie wusste genau, dass sie sich später über ihre Schwäche ärgern würde, aber sie tat dieses Wissen mit einem Achselzucken ab. Sie lebte jetzt, in diesem Moment. Und in diesem Moment wollte sie mit Sandie schlafen. In seinen Augen sah sie ebenfalls dieses Verlangen, doch er zögerte.

»Willst du wirklich?«, fragte er vorsichtig.

»Ja.«

»Du wirst es hinterher nicht bereuen?«

»Gut möglich. Aber das braucht dich nicht zu kümmern. Ich will es einfach.« Corinna zerrte die Bettdecke unter sich hervor und stieß sie zur Seite. Sandie strich langsam über ihre Brüste. Sie zitterte vor Spannung, die sich noch erhöhte, als er eine Brustwarze zwischen die Lippen nahm und vorsichtig daran nagte.

»Noch kannst du zurück, querida«, warnte er.

»Nein, kann ich nicht mehr«, keuchte sie. »Dafür ist es schon längst zu spät.«

8

 

Es war, wie Corinna erwartet hatte. Sobald sich ihre Erregung gelöst hatte, übernahm ihr Verstand wieder die Kontrolle. Sie fragte sich, wie sie sich hatte hinreißen lassen können, und wunderte sich, wie schnell sich ihre guten Vorsätze und alle ihre Zweifel in Luft aufgelöst hatten. Ihr Verstand schien regelmäßig auszusetzen, sobald Sandie in ihrer Nähe war. Trotzdem bereute sie nicht, was passiert war. Sie lag in seinen Armen und fühlte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Sie war glücklich, bei ihm zu sein. Es war ein Wunder, dass er sie genauso liebte wie sie ihn. Monika war der einzige Wermutstropfen in ihrem Meer aus Glückseligkeit. Aber auch das würde sich sicher klären und dann würde Sandie ihr allein gehören. Nur ihr allein. Wie ein Echo hallten die Worte in ihrem Kopf nach. Ihre innere Stimme mahnte wieder zur Vorsicht, doch sie ignorierte sie. Erst als sie wieder zu Hause war, drang dieses drohende Gefühl erneut zu ihr durch. Es wird bestimmt alles gut werden, redete sie sich ein. Monika hat kein Anrecht auf Sandie. Er ist ein freier Mann. Sie kann ihn nicht zwingen, sie zu heiraten. Doch obwohl sie sich das immer wieder vorsagte, wollte sich das herrliche Gefühl, das eine Stunde zuvor noch völlig von ihr Besitz ergriffen hatte, nicht mehr einstellen.

 

»Corrie?« Astrid klopfte an die Tür. »Sandie ist am Telefon.«

»Ja, ich komme.« Sie grinste sarkastisch, dass Astrid ihn bereits auch schon bei diesem Namen nannte, obwohl sie überhaupt nicht damit einverstanden war, was sie tat. Corinna hatte kaum etwas von dem Treffen erzählt, nur, dass alles in Ordnung wäre. Doch das konnte Astrid überhaupt nicht finden und sie hielt mit ihrer Meinung auch nicht hinterm Berg. Wie konnte alles in Ordnung sein, wenn Corinnas große Liebe in ein paar Wochen eine andere heiraten wollte? Sie hatten deshalb gestritten und das lag Corinna immer noch auf der Seele.

Sie nahm den Telefonhörer. »Ja, Sandie?«

»Hallo, querida, wie geht es dir?«

»Gut.«

»Immer noch so gut wie vor zwei Stunden?«

»Fast.«

»Sehen wir uns morgen?«

»Morgen? Du weißt doch, dass ich am Montag Stress habe.«

»Übermorgen dann?«

»Da wollte ich zur Bibliothek.« Sie war fest entschlossen, Sandie wenigstens zwei Tage lang nicht zu treffen. Vielleicht würde sie dann einen klaren Kopf bekommen. Es war leichter, ihm am Telefon abzusagen, als ihm dabei direkt in die Augen sehen zu müssen. Sie wusste, dass sie dann nicht nein sagen konnte.

»Kannst du das nicht verschieben?«

»Sandie, ich bin hier, um zu studieren.«

»Ja, ich weiß. Ich verstehe dich schon.« An seinem Tonfall erkannte Corinna, dass er sie durchschaut hatte. Aber er schien nicht böse zu sein, eher traurig. »Also gut«, gestand er ihr zu. »Du bekommst zwei Tage Bedenkzeit. Gehen wir dann am Mittwoch schwimmen?«

»Mitten in der Woche?«

»Soweit ich weiß, hast du am Mittwoch nur zwei Vorlesungen und die kannst du mir zuliebe ausfallen lassen. Querida, ich sterbe vor Sehnsucht.« Er versuchte, seine Stimme theatralisch klingen zu lassen, doch Corinna hörte das Lachen dahinter.

»Das glaube ich dir aufs Wort. Abgesehen davon täte es dir auch ganz gut, mal wieder zu lernen.«

»Wie soll ich mich auf Bücher konzentrieren, wenn ich ständig an dich denken muss? Also Mittwoch?«

»Freitag.«

»Nein, querida, das ist fast noch eine Woche. Außerdem regnet es da bestimmt.«

»Abwarten. Ich habe am Mittwoch Klausur, die kann ich nicht schwänzen. Ich gehe dafür am Abend mit dir joggen.«

Sandie seufzte. »Also gut. Ich bete zu Petrus, dass er uns noch mal ein sonniges Wochenende schenkt. Fahren wir wieder zum Ammersee?«

»Ja, aber nicht mehr mit dem Rad. Und wir gehen auch nicht in das Haus von Monikas Eltern.«

»Einverstanden. Treffen wir uns wenigstens auch morgen zum Joggen?«

»Ja, meinetwegen.« Corinna konnte es nicht fassen. Sogar am Telefon hatte er sie beschwatzt. Immerhin hatte sie etwas Zeit, um ihre Gefühle zur Ruhe kommen zu lassen. Noch immer starrte sie den Telefonhörer an, obwohl das Gespräch schon seit einer Weile beendet war. Wohin sollte das nur führen?

 

Trotz ihrer Zweifel genoss Corinna jede Minute, die sie mit Sandie zusammen war. Sie brachte einfach nicht die Willensstärke auf, ihn wegzuschicken, wenn er vor der Universität auf sie wartete oder sie nach ihrem gemeinsamen Joggen heimbringen wollte. Fast hoffte sie, dass es am Freitag regnen würde, weil sie zu wissen glaubte, wie der geplante Badeausflug enden würde, und diese erneute Niederlage wollte sie vermeiden. Doch als es an dem Morgen tatsächlich neblig war und leicht nieselte, war sie enttäuscht.

Sandie rief kurz nach acht Uhr an. Mit einem Satz war sie am Telefon.

»Hallo, querida, bleibt es bei unserer Verabredung?«

»Bei diesem Wetter?«

»Ach was. In zwei Stunden scheint die Sonne. Ich hole dich ab.«

»Wenn du meinst.« Corinna zögerte.

»Sicher. Du, ich freue mich auf unseren gemeinsamen Tag. Endlich gehörst du wieder mir allein. Bis nachher.«

Langsam legte sie den Hörer auf. Sandie hatte so fröhlich geklungen. Ein kleines Lächeln stahl sich in ihre Mundwinkel. Wenn sie ehrlich war, freute sie sich auch.

Er behielt recht. Eine Stunde später hob sich der Dunst und die Sonne blickte durch die Wolken. Als Corinna ins Auto stieg, war der Himmel blau. Es würde ein schöner Tag werden.

Obwohl sie in München zweimal in einen kleinen Stau gerieten, waren sie schon nach einer guten halben Stunde am Ammersee. Corinna musste zugeben, dass es um einiges bequemer war, mit dem Auto zu fahren als zu radeln. Sandie lachte dazu. »Natürlich ist es bequemer. Und schneller. Das einzige Problem ist nur, dass wir ein Stück zu unserem Platz laufen müssen. Mit dem Auto kann ich nicht über den Feldweg. Ich werde es beim Wochenendhaus abstellen.«

»Nein«, schnitt Corinna ihm das Wort ab. »Da will ich nicht mehr hin.«

»Komm schon, Schatz, sei nicht zickig. Wir parken dort nur. Wir können querfeldein zu unserem Platz laufen.«

»Wohl ein Privatbadestrand von Monikas Familie?«, erwiderte sie bissig.

Sandie seufzte tief. »Bitte, querida, verdirb uns nicht den schönen Tag. Vergiss Monika einfach. Wenigstens für heute.« Corinna antwortete nicht. »Okay? Komm, sag ja.«

Sie lenkte ein. »Also gut.«

»Schau, wir sind schon da.«

Sandie stellte sein Fahrzeug vor dem kleinen Haus ab, das für Corinna so wundervolle Erinnerungen beinhaltete und trotzdem der reine Horror für sie war. Als sie ausstieg, nahm sie ein weiteres Auto wahr, das um die Ecke des Hauses stand. Sie wollte gerade Sandie darauf aufmerksam machen, als die Tür des Wochenendhauses aufging und ein hübsches Mädchen heraus trat. Corinnas Herz übersprang einen Schlag. Es war nicht nötig, zu fragen, wer sie war. Sie trug einen eleganten Minirock aus Nappaleder und ein mit Strasssteinen besetztes T-Shirt. Corinna kam sich in ihren Shorts plötzlich klein und hässlich vor.

»Sandie«, krächzte sie heiser. Ihre Stimme kam ihr unnatürlich und fremd vor.

Sandie, der soeben den Kofferraum geöffnet hatte, um ihre Badesachen heraus zu holen, drehte sich um. Das fragende Lächeln auf seinem Gesicht verschwand, als er das Mädchen sah. Er zuckte regelrecht zusammen und knallte wie im Affekt den Kofferraumdeckel wieder zu, als hätte er ein schlechtes Gewissen und wollte nicht, dass sie Corinnas Badekorb darin sah. Überraschung und Verblüffung zeichneten sich auf seinem Gesicht ab. Es dauerte einen Moment, bis er sich so weit gefasst hatte, dass er sprechen konnte.

»Monika«, murmelte er lahm. »Was tust du denn hier?«

Monika hatte bis dahin noch keinen Laut von sich gegeben, sondern Corinna betrachtet. Sie warf nur einen kurzen Blick auf Sandie »Hi, Alex.« Dann zog sie geringschätzig die Mundwinkel nach unten. »Ist sie das?«, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Das kann doch nicht dein Ernst sein.«

»Wieso?« Sandie stand völlig verdattert da, als könne er nicht glauben, was er da sah.

»Ein Mädchen vom Land, das sieht man doch auf den ersten Blick.« Monika sprach über Corinna, als wäre sie überhaupt nicht da. »Was willst du denn mit so einer altbackenen Schnepfe?«

Corinna spürte, dass sie feuerrot wurde. Jetzt wäre eine großartige Gelegenheit für Sandie, sie zu verteidigen, doch er schien vergeblich nach Worten zu suchen. Er stand da wie angewachsen und starrte Monika nur ungläubig an. Corinnas Herz klopfte ihr bis zum Hals.

Die junge Frau tänzelte die drei Stufen herunter. Ihre Bewegungen waren ebenso elegant und fließend wie ihre Kleidung. Corinna wurde sich schnell bewusst, dass sie unmöglich mit ihr konkurrieren konnte. Sprachlos sah sie zu, wie ihre Rivalin Sandie küsste und eine heftige Eifersucht überfiel sie.

»Komm rein, Alex«, girrte Monika. »Ich glaube, wir haben einiges zu besprechen.«

»Nicht ohne Corinna.« Er trat einen Schritt zurück.

Corinna erschrak. Auf keinen Fall wollte sie mit hinein. Die ganze Situation war schon demütigend genug für sie. Sie fühlte sich plötzlich wie ein Eindringling. »Nein, Sandie«, presste sie hervor. »Bitte nicht.«

Monika sah sie an. »Sandie?«, fragte sie herablassend. »Nennt sie dich so, Alex? Ach, wie süß.«

Corinnas Gesicht brannte vor Scham, obwohl sie gar keinen Grund dafür hatte. Trotzdem wäre sie am liebsten im Erdboden versunken.

Monika nahm Sandie bei der Hand und zog ihn ins Haus, ohne sich noch einmal umzusehen. Wortlos ließ er es geschehen.

Minutenlang stand Corinna neben dem Auto und starrte auf die geschlossene Tür, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie wollte nur noch fort. Fort von Sandie und dieser Monika. Die würde ihn nie gehen lassen. Plötzlich verstand sie, warum sich Sandie vor der Konfrontation mit seiner Freundin gedrückt hatte. Sie war viel zu dominant für ihn.

Sie schluchzte auf. Sie konnte nicht weglaufen. Ihr Korb mit ihren Sachen und ihrem Portemonnaie stand im Kofferraum. Sie wollte ihn aufdrücken, doch er war abgesperrt. Sandie musste beim Öffnen automatisch den Schlüssel umgedreht haben, so dass er sich beim Schließen wieder versperrt hatte. Ohne Geld würde sie nicht weit kommen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als auf Sandie zu warten. Müde lief sie einige Schritte bis zum See und ließ sich dort nieder. Der Ammersee. Vor wenigen Minuten war er noch so schön gewesen und nun wirkte er nur grau und trostlos. Wie versteinert saß sie da und sah mit blicklosen Augen über das Wasser. Vom Haus her drangen Stimmen zu ihr, die immer lauter wurden. Sie hörte Sandie schreien, so wütend, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Dann Monika, die ihn angiftete, doch sie konnte keine Worte verstehen. Sie wollte aufstehen und näher gehen, um zu lauschen, aber sie brachte die Kraft dazu nicht auf. Sie zweifelte daran, jemals wieder genügend Energie zu haben, um sich zu erheben. Sie wollte am liebsten sterben. Jetzt sofort.

Eine Ewigkeit saß sie nur so da. Die lauten Stimmen verebbten und schließlich war es ruhig. Corinna zwang sich, nicht daran zu denken, was Sandie und Monika jetzt taten. Hatten sie nichts mehr zu sagen? Oder hatten sie sich versöhnt?

Sie starrte immer noch auf den See, als sie eine Bewegung hinter sich spürte. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Monika auf sie zukam, mit ihrem Badekorb in der Hand. Sie blieb hinter ihr stehen und blickte auf sie herunter. Corinna drehte ihr weiterhin den Rücken zu. Sie wollte Monika nicht ansehen. Um nichts in der Welt wollte sie in ihr triumphierendes, hochnäsiges Gesicht schauen. Dass Monika ihr den Korb brachte, zeigte nur zu deutlich, wer den Kampf um Sandie gewonnen hatte. Er hatte es nicht geschafft, sich von seiner Freundin zu lösen. Vielleicht wollte er es auch gar nicht mehr, jetzt, wo sie wieder da war. Corinna spürte einen scharfen Stich in der Herzgegend.

Monika kniete sich neben sie. »Ich bringe dir deine Sachen«, sagte sie leise. »Es ist dir doch klar, dass du nicht mit Alex zurückfahren kannst.«

Corinna reagierte nicht. Warum setzte Sandie sie dieser erniedrigenden Situation aus? War er sogar zu feige, selbst zu kommen und mit ihr Schluss machen? Warum schickte er dieses arrogante Miststück? Es war nicht fair, es war einfach nicht fair. Sie versteifte sich, als sie eine Hand auf der Schulter spürte. »Du hast ihm geglaubt, nicht wahr?«, sagte Monika in verständnisvollem Ton.

Endlich konnte sich Corinna überwinden, ihrer Rivalin ins Gesicht zu sehen. Alle Überheblichkeit war daraus gewichen. Monikas Stimme klang mitfühlend, als sie weiter sprach. »Als ich Alex’ Brief bekam, habe ich erst mal laut gelacht. Ich konnte es nicht glauben, dass er mit mir Schluss machen wollte. Immerhin wollen wir heiraten, hat er dir das erzählt? Da macht man nicht einfach Schluss und schon gar nicht in einem Brief. Trotzdem war ich beunruhigt genug, um die letzte Woche sausen zu lassen und heimzukommen. Ich bin heute früh gelandet und wollte gleich zu Alex. Doch sein Freund, mit dem er zusammen haust, sagte mir, er sei gerade weggefahren, um seine Freundin zu holen, mit der er am Ammersee baden gehen wollte. Ich dachte, ich höre nicht richtig.« Sie schnaubte. »Die Sache duldete natürlich keinen Aufschub. Wer kann denn wissen, was du mit meinem Freund anfängst?« Ihre Stimme bekam wieder einen Anflug von Gehässigkeit. »Ich war nur knappe fünf Minuten vor euch hier«, fuhr sie fort. »Wenn du dich fragst, wie ich euch hier am See finden konnte, lass dir gesagt sein, dass ich Alex’ Lieblingsplatz kenne. Den habe ich mit ihm zusammen gefunden. Es war mir so klar, dass er hier parken würde.« Sie lachte verächtlich. »Er hat sich für dich nicht mal was Neues einfallen lassen. Wie armselig ist das denn?« Sie stand auf und blickte sinnierend über den See. Dann drehte sie sich abrupt wieder zu Corinna um. »Du hast doch wohl nicht im Ernst geglaubt, du könntest ihn mir wegnehmen?« Ihre Augen verengten sich. »Vergiss ihn. Komm mir nicht noch einmal in die Quere, hast du verstanden?« Damit drehte sie sich um. Über die Schulter rief sie ihr noch zu: »Weißt du, wie du zurück nach München kommst?«

Corinna nickte nur. Wenn sie doch nur endlich ginge. Sie wollte allein sein. Allein mit sich und ihren Gefühlen. Sie zitterte vor Scham. Sie war sich so sicher gewesen, dass alles gut ausgehen würde. Warum brauchte Monika nur mit dem Finger zu schnippen, um ihr die Liebe ihres Lebens wegzunehmen? Warum war Sandie so treulos? Warum schwärmte er ihr von seiner Liebe vor, wenn er nicht für sie einstehen konnte? Warum nur, warum? Endlich kamen die Tränen. Corinna saß am Ufer und schluchzte. Doch plötzlich strafften sich ihre Schultern. Wahrscheinlich standen Sandie und Monika hinter einem Fenster und beobachteten sie. Man hatte von dem Wochenendhaus einen hervorragenden Blick auf den Platz, an dem sie saß. Sie zog ein Taschentuch aus ihrem Korb und schnäuzte sich kräftig. Nein, sie würde sich nicht noch mehr erniedrigen, indem sie den beiden etwas vorheulte. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, nahm ihre Sachen und stand auf. Sie musste irgendwie nach Hause. Es fiel ihr ungemein schwer, an dem Wochenendhaus vorbei zu gehen. Doch ihr Stolz half ihr. Hocherhobenen Hauptes schritt sie den schmalen Pfad entlang. Als sie an Sandies Auto vorbeilief, sah sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung am Haus. Es war Sandie. Er schien ihr nachlaufen zu wollen, doch Monika hielt ihn fest und zog ihn wieder nach drinnen. Corinna beschleunigte ihre Schritte. Sie zwang sich, ihren Blick auf den Weg zu richten. Kein einziges Mal sah sie mehr zurück.

9

 

Sie stellte sich an den Straßenrand und wartete auf eine Mitfahrgelegenheit. Einige Minuten später hielt ein älterer Mann neben ihr. Er öffnete die Beifahrertür und machte eine einladende Geste. »Wo wollen Sie denn hin?«

»Nach München.«

»Ich fahre in Richtung Salzburg. Wenn ich Sie irgendwo absetzen kann …?«

»Ja, das wäre nett.« Corinna stieg ein und stellte den Korb auf ihren Schoß. Der Mann versuchte ein Gespräch mit ihr, doch er erhielt nur recht einsilbige Antworten. Erst, als er sie in München in einer Seitenstraße aussteigen ließ, zwang sie sich zu einem Lächeln und bedankte sich freundlich.

Sie war noch nie in dieser Gegend gewesen, in der sie jetzt stand. Aber das war ja kein Problem. Sie musste nur die nächste S-Bahn-Station finden. Langsam lief sie los. Sie achtete kaum auf die Straße, war mit ihren Gedanken ständig woanders. Ein schrilles Klingeln ließ sie hochfahren. Eine Straßenbahn kam genau auf sie zu. Corinna starrte ihr regungslos entgegen. Erst als der Fahrer noch einmal klingelte, schrak sie zusammen und lief auf die andere Straßenseite. Atemlos blieb sie stehen. Ihr Herz klopfte heftig. Wo hatte sie nur ihre Augen? Wie in Trance war sie über die Schienen gelaufen, ohne nach links oder rechts zu sehen. Fast wäre es schief gegangen. Sie atmete tief durch. Sandie war es nicht wert, dass sie sich seinetwegen überfahren ließ. Sie musste sich zusammenreißen und ihre Gedanken auf den Verkehr lenken. München war nicht der richtige Ort, um ziellos über die Straßen zu laufen.

Sie erspähte ein S-Bahn-Schild und atmete auf. Fünfzehn Minuten später war sie zu Hause. Erschöpft lehnte sie sich einen Moment gegen die Tür, als könne sie all ihren Verdruss aussperren. Dann riss sie sich die Kleider vom Leib und stellte sich unter die Dusche. Allmählich erwachten ihre Lebensgeister wieder. Doch die Leere in ihr war überwältigend. Nur ein dumpfer Schmerz breitete sich immer weiter aus, bis er fast ihre Brust sprengte.

 

Innerhalb der nächsten Stunden änderte sich das Wetter. Ein Gewitter zog über die Stadt hinweg und hinterließ einen strömenden Dauerregen.

Corinna stand im Wohnzimmer am Fenster und starrte hinaus. Das Wetter passte zu ihrer Stimmung. Sie fühlte sich wie ausgehöhlt und hatte jedes Zeitgefühl verloren. Sie zuckte zusammen, als sie die Eingangstür hörte. Astrid kam heim, aber den Stimmen nach zu schließen, die vom Flur zu ihr drangen, war sie nicht allein. Corinna war es egal. Sie drehte sich nicht einmal um, als die Wohnzimmertür geöffnet wurde.

»So ein Mistwetter«, schimpfte ihre Schwester. »Hey, du bist ja schon daheim. Hat euch das Wetter vertrieben? Gab es am Ammersee auch Gewitter?« Astrids Stimme verebbte, als Corinna nicht reagierte. »Corrie, was ist denn los?« Sie legte ihrer Schwester den Arm um die Schultern. »Sag schon, was ist passiert?«

Corinna wollte Astrids Arm abschütteln, doch ihre Anteilnahme tat ihr wider Erwarten gut. Sie schluckte. »Monika ist wieder da«, sagte sie leise. »Sie hat am Ammersee auf uns gewartet.«

»Du lieber Himmel.« Astrid seufzte. »Und?«

Corinna schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht darüber reden.

Astrid drängte sie nicht. »Komm, setz dich.« Sie führte ihre Schwester behutsam zum Sofa. Als sich Corinna darauf sinken ließ, sah sie Reinhold in der Tür stehen. Sie wollte ihm nicht zeigen, wie ihr zumute war, doch das Lächeln, das sie ihm zuwarf, war nur eine zittrige Grimasse.

»Ich mache uns Tee«, beschloss Astrid und verließ das Zimmer.

Reinhold stand einen Moment unschlüssig im Raum, dann folgte er Astrid, die in der Küche mit Geschirr klapperte. Corinna war erleichtert, dass sie ihm nicht Rede und Antwort stehen musste. Doch das würde sicher noch kommen. Sie hörte Astrids empörte Stimme, als sie Reinhold in der Küche deutlich ihre Meinung über Sandie sagte.

Während sie einige Minuten später an ihrem heißen Tee nippte, erzählte Corinna, was vorgefallen war. Sie wollte nicht über Monika sprechen, doch Astrid wollte jede Einzelheit wissen.

»Dieser Dreckskerl«, empörte sie sich, als Corinna geendet hatte. »Ich würde ihm ja nur zu gern meine Meinung sagen.« Sie wandte sich zu Reinhold. »Was hältst du davon?«.

»Ganz ehrlich? Ich bin nicht überrascht.«

»Woher kennst du Sandie eigentlich?«, wollte Corinna wissen.

»Er hat vor einiger Zeit bei uns gejobbt und wir sind in Verbindung geblieben.«

»Bei uns im Verlag?« Astrid war ein einziges Fragezeichen.

»Ja, aber das war noch vor deiner Zeit. Muss etwa drei Jahre her sein. Er hat mir damals aus einer ziemlichen Klemme geholfen und das werde ich ihm nicht vergessen, egal, was er sich zuschulden kommen lässt.«

»Erzählst du es uns?« Es tat Corinna weh, über Sandie zu sprechen, trotzdem war sie noch immer begierig, so viel wie möglich über ihn zu erfahren.

Reinhold schenkte sich eine zweite Tasse Tee ein. »War eine dumme Geschichte damals, ich habe mich dabei nicht gerade mit Ruhm bekleckert.«

»Komm schon.« Astrid stieß ihn in die Rippen. »Fang an.«

»Also gut. Ich war noch neu im Verlag und hatte bereits eine umfangreiche Werbeaktion vorzubereiten. Terminarbeit. Ich stürzte mich unheimlich rein, denn ich war noch in der Probezeit und wollte meinem Chef zeigen, was ich leisten kann. Als ich kurz vor dem Abschluss des Projekts stand, hatte ich bis in die Nacht gearbeitet, um fertig zu werden. Schließlich brauchte ich nur noch einige Daten aus dem PC. Ich dachte, es wäre ganz einfach. Computer anschalten und die Dateien ausdrucken. Aber ich habe auf irgendeine verkehrte Taste gedrückt. Ich weiß bis heute nicht, was ich falsch gemacht habe, aber das Ding ist abgestürzt und hat beim erneuten Starten tausend Fehlermeldungen gebracht.«

»Bravo«, ließ sich Astrid trocken vernehmen. »Du scheinst damals schon mit Computern auf Kriegsfuß gestanden zu haben.«

»Danke für dein Mitgefühl. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie mir zumute war.«

»Warum hast du dem Ding nicht einfach den Saft abgedreht und bist klammheimlich verduftet?«

»Weil ich das nicht vertuschen konnte. Ich war ja allein im Büro und der Kollege hatte das Teil ordentlich heruntergefahren. Nur ich konnte der Übeltäter sein. Ich hatte keine Ahnung, ob ich etwas kaputt gemacht hatte, aber ich fürchtete um meine Stellung. Deshalb habe ich den einzigen Menschen angerufen, der mir aus der Patsche helfen konnte und der niemandem davon erzählen würde.«

»Alex«, nickte Astrid.

»Sandie«, rief Corinna gleichzeitig. Die Schwestern sahen sich an und schmunzelten.

»Genau«, stimmte Reinhold zu. »Egal, wie ihr ihn nennt, er war eine halbe Stunde später zur Stelle. Es war immerhin schon nach Mitternacht und jeder andere hätte mir erzählt, ich solle meinen Kram alleine machen.«

»Er konnte dir also helfen?«

»Ja, aber ich werde nie seinen entgeisterten Blick vergessen, als er sah, was ich angestellt hatte. Er hat über eine Stunde daran gearbeitet, aber am nächsten Morgen war an dem Teil alles wie vorher. Alex hat mir auch noch meine Daten ausgedruckt und ich konnte meinem Boss das fertige Projekt vorlegen und mich dafür loben lassen. Nicht ganz ohne schlechtes Gewissen«, fügte Reinhold noch dazu. »Aber meine feste Anstellung hatte ich damit im Sack.«

»Gut, das mildert seine Schuld aber nur minimal«, meinte Astrid inquisitorisch.

»Wenn es um andere geht, kann Alex Bäume ausreißen, aber ich habe festgestellt, dass er selbst meist den Weg des geringsten Widerstandes geht. Ich bin mir allerdings sicher, dass er Corinna niemals angelogen hat. Das ist nicht sein Stil.«

»Er hätte nie etwas mit ihr anfangen sollen.«

»Vielleicht wollte er das auch gar nicht.«

»Vielleicht ist es gut, dass es so geendet hat«, mischte sich Corinna ein. »Monika passt bestimmt viel besser zu Sandie als ich.«

»Nein, das glaube ich nicht.« Reinhold schüttelte den Kopf. »Monika ist manchmal ziemlich arrogant. Sie glaubt, besser zu sein als die anderen, weil ihr Vater eine Menge Geld hat. Alex war fasziniert von ihr. Es hat ihm unwahrscheinlich geschmeichelt, dass sie ihn beachtet hat. Dabei hat sie ihn nie im Unklaren darüber gelassen, dass sie eigentlich zu gut für ihn ist. Monikas Vater ist ein sehr erfolgreicher Unternehmer und sie ist in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass Geld die Welt regiert und sie genügend davon hat, um die Leute nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Es ist ihr unbegreiflich, dass es Studenten wie Alex gibt, die in den Semesterferien jobben, um ihren Eltern nicht allzu sehr auf der Tasche zu liegen.«

»Seit wann sind sie zusammen?« Corinna wunderte sich, dass sie die Energie aufbrachte, diese Frage zu stellen.

»Noch gar nicht so lange, vielleicht zwei Jahre. Sie haben sich gestritten und wieder versöhnt. Es war merkwürdig, aber irgendwie haben sie doch stets wieder zusammen gefunden. Monika kann ungeheuer charmant sein und sie hat durchaus ihre guten Seiten. Außerdem wissen wir alle, wie attraktiv sie ist. Sie hat es immer wieder geschafft, Alex um den Finger zu wickeln.« Reinhold hielt inne. »Tut mir leid, Corinna.«

»Schon gut.« Sie winkte ab. »Ich beginne mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich die ganze Zeit über nur ein Lückenbüßer war.«

»Geld ist eben doch unheimlich anziehend«, murmelte Astrid gehässig.

»Ich glaube nicht, dass es Alex so viel bedeutet. Vielleicht sind es eher die berühmten Gegensätze, die sich anziehen. Komisch«, Reinhold schmunzelte leicht. »Als Ehemann kann ich mir ihn überhaupt nicht vorstellen.«

»Viele Männer sind mit fünfundzwanzig verheiratet und haben schon Kinder.«

»Gewiss, aber er ist nicht der Typ dafür. Ich glaube nicht, dass er reif genug für die Ehe ist. Er ist selbst noch ein großes Kind, das glaubt, dass alles wie im Märchen gut enden wird. Er ist zu sorglos, um sich ernsthafte Gedanken um die Zukunft zu machen. Wenn die beiden heiraten, geht die Initiative allein von Monika aus, da bin ich mir sicher.«

»Aber er scheint sich auch nicht sehr dagegen zu wehren.« Astrid war unversöhnlich. Sie drehten sich im Kreis. Astrid klagte Sandie an und Reinhold versuchte, ihn zu verteidigen. Corinna hatte plötzlich genug davon. Sie stand abrupt auf. »Entschuldigt mich bitte, mir ist nicht besonders gut.«

Astrid schaltete sofort auf große Schwester um. »Kann ich etwas für dich tun?«

»Nein, ich glaube, ich brauche einfach ein bisschen Ruhe.« Sie fühlte sich wieder furchtbar elend und verbittert. Bohrende Kopfschmerzen plagten sie. Es war noch nicht mal sechs Uhr, doch sie zog sich aus und legte sich ins Bett. Sie wollte nur noch schlafen und an nichts mehr denken, ihren hämmernden Kopf vergessen, und ihre Liebe zu Sandie und den ganzen schrecklichen Tag aus ihrem Gedächtnis streichen.

 

Corinna erwachte erst am nächsten Morgen. Niedergeschlagenheit und Liebeskummer überfielen sie sofort wieder mit aller Macht. Sie schaffte es einfach nicht, sich abzulenken. Was sie auch tat, immer wieder sah sie Sandie vor sich und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Außerdem wurde sie von Zweifeln geplagt. Sie hätte bestimmt etwas bewirken können, wenn sie mit ins Haus gegangen wäre. Sie ärgerte sich, dass sie nur da gestanden und kein Wort heraus gebracht hatte. Kein Wunder, dass Monika sie wie ein unfähiges Kind behandelt hatte.

Als sie von einem Spaziergang zurückkehrte, der ihren Kopf zumindest etwas frei gemacht hatte, sah sie Sandie im Hauseingang stehen. Zuerst erschrak sie fast freudig und ihr Herz begann aufgeregt zu hämmern, doch dann gewann ihr verletzter Stolz die Oberhand und kämpfte jede andere Regung nieder. Sie straffte sich, ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Sandie war wirklich der Letzte, den sie jetzt sehen wollte und dieses Mal war es ihr bitterernst damit. Er hatte sie zu sehr verletzt.

»Was willst du hier?«, fragte sie statt einer Begrüßung abweisend.

»Mit dir reden.« Sandie sah sie verlegen an. »Wir müssen da einiges klären. Astrid wollte mich nicht in die Wohnung lassen. Sie sagte, du wärst spazieren. Ich dachte, sie hat gelogen, aber anscheinend doch nicht.« Seine Stimme verebbte, als Corinna ihn eisig anstarrte. »Vielleicht können wir ja …«, machte er einen neuen Anlauf.

»Nein«, unterbrach sie ihn grob. »Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es und wenn nicht, dann verschwinde.«

Er krümmte sich wie unter Schmerzen. »Corinna, bitte, es tut mir leid, was gestern passiert ist, aber …«

Wieder ließ sie ihn nicht ausreden. »So, es tut dir leid? Und du glaubst, damit ist alles erledigt und ich lasse mich wieder in dein Bett ziehen? Was bist du nur für ein Mann? Gestern hast du mich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel und heute willst du so tun, als wäre nichts geschehen? Was soll das?«

»Komm schon, querida, du selbst hast doch zu Monika gesagt, dass …«

»Nenn mich nicht so, hörst du? Geh jetzt. Ich bin sicher, Deine Angebetete wartet auf dich. Hast du keine Angst, dass sie mit dir schimpft, wenn du mit mir redest?« Corinnas Worte waren eiskalt und jedes einzelne scharf wie ein Messer.

Sandie verzog gequält das Gesicht. »Verdammt, ich kann doch auch nichts dafür, dass sie uns gestern so überfallen hat. Sie hat mich völlig überfahren.«

»So sehr, dass du mich vergessen hast, ja?«

»Habe ich doch gar nicht. Kannst du nicht verstehen, wie schwierig die Situation für mich war? Es ist nicht leicht, sich gegen Monika zu behaupten, aber das letzte Wort ist da durchaus noch nicht gesprochen. Ich muss nur den richtigen Zeitpunkt abwarten …«

»Hör auf.« Corinna schrie ihn an. »Ich kann das nicht mehr hören. Weißt du überhaupt, wie oft du das schon gesagt hast? Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt, weil du gar nicht mit ihr Schluss machen willst. Es ist aus, aber mit uns, begreif das endlich! Ich kann keinen Freund brauchen, der nicht mal genug Rückgrat hat, um zu mir zu stehen, wenn ich ihn nötig habe. Der nur blöd da steht, wenn ich beleidigt werde. Du kannst dir nicht vorstellen, wie demütigend diese Szene gestern für mich war. Ich hatte nach all deinen Liebesschwüren angenommen, dass du zu mir hältst, wenn es hart auf hart kommt und du dich entscheiden musst. Aber jetzt habe ich endgültig die Nase voll von dir und deinen Versprechen, die du nicht einhältst. Heirate sie und lass mich in Ruhe.« Corinna schloss die Tür auf. Ihre Wangen brannten. »Noch etwas.« Sie drehte sich zu Sandie um, der bestürzt nach Worten suchte. »Ich will dich nicht mehr sehen. Nicht mehr hier und nicht in der Uni. Ich will auch nicht, dass du mich anrufst. Vergiss mich, so wie ich dich vergessen werde.«

»Das kann doch nicht dein Ernst sein.« Sandies Stimme war völlig tonlos, doch schon fiel die Tür ins Schloss und sperrte ihn aus Corinnas Leben aus.

 

Wie in Trance verbrachte Corinna die nächsten Tage. Sie hatte oft Kopfschmerzen und Schwindelanfälle und ließ sich völlig hängen. So lustlos hatte sie sich noch nie im Leben gefühlt. Sie schwänzte die Vorlesungen und hockte nur daheim herum, wusste aber auch dort nichts mit sich anzufangen.

Zu allem Übel brachte Reinhold noch eine böse Überraschung mit. »Die beiden heiraten in drei Wochen«, erzählte er bei einem seiner häufigen Besuche.

Corinna wurde bleich. »In drei Wochen schon?«

»Ja, es bleibt beim ursprünglich gesetzten Termin.« Er lächelte grimmig. »Ich schätze, Monika will kein Risiko mehr eingehen, dass Alex ihr doch noch irgendwie entgleitet.«

»Woher weißt du das?«, fragte Astrid, die hinter Reinhold ins Zimmer gekommen war.

»Ich bin zur Hochzeit eingeladen.«

»Ach so. Gehst du hin?«

»Nein.«

Corinna sah überrascht auf. »Warum nicht? Ich dachte, Sandie ist dein Freund.«

Reinhold setzte sich und seufzte. »Im Moment sind wir uns nicht besonders grün. Wir hatten einen ziemlichen Streit.«

»Wieso das denn?«, wollte Astrid wissen.

»Das fragst du? Ich habe ihm einige grobe Wahrheiten gesagt von wegen Verantwortungslosigkeit und gemeinem Verhalten. Wir hätten uns fast geprügelt.«

Astrid sah ihn bewundernd an. »Das hast du getan?« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Das finde ich großartig.«

»Na ja, ich weiß nicht. Mir sind einfach die Pferde durchgegangen.«

»Wann und wo?«, fragte Corinna zusammenhanglos.

»Was meinst du?« Reinhold war verwirrt.

»Wo sie heiraten, an welchem Tag und um welche Uhrzeit.«

»Warum willst du das wissen?« Astrid sah ihre Schwester misstrauisch an.

»Vielleicht gehe ich hin.«

»Das willst du dir doch nicht antun, oder?«

Corinna zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es noch nicht. Aber ich habe das Gefühl, ich sollte es tun. So als Abschluss, versteht ihr. Um die Gewissheit zu haben, dass es unwiederbringlich aus ist. Manchmal glaube ich nämlich, ich träume das alles nur.«

Reinhold sah Astrid bedeutungsvoll an. Vielleicht kannst du es ihr noch ausreden, sollte dieser Blick sagen. Doch Corinna dachte nicht daran, sich beeinflussen zu lassen. Ihr Entschluss wurde dadurch nur bestärkt.

 

Sie ging tatsächlich zu Sandies Trauung. Mit klopfendem Herzen saß sie in der hintersten Bank in der schön geschmückten Kirche. Es tat ihr schrecklich weh, ihn mit Monika vorn am Altar zu sehen. Sie schienen beide so glücklich zu sein. Monika sah zauberhaft aus in dem zarten weißen Kleid mit Puffärmeln und weitem Rock und den Blumen im Haar. Corinna kämpfte mit den Tränen, als sie daran dachte, dass dies auch ihr Platz hätte sein können. Sandie im dunklen Anzug war ihr ungewohnt fremd. Sie kannte ihn eigentlich nur in Jeans. Sie ließ die Augen über die Gäste schweifen, die in ihrem Blickfeld saßen. Sandies Angehörige konnte sie nicht sehen, aber Monikas Eltern fielen ihr sofort auf. Es konnten nur ihre Eltern sein. Das Kleid ihrer Mutter musste ein Vermögen gekostet haben und ihr Vater sah so aus, als könne er sich das jeden Tag leisten. Und solche Leute bekam Sandie als Schwiegereltern. Ob sie wohl uneingeschränkt mit Monikas Wahl einverstanden waren?

Als sich das Paar am Altar das Jawort gab, musste Corinna den heftigen Drang, davonzulaufen, unterdrücken. Gesprächsfetzen zogen durch ihre Gedanken. Sie erinnerte sich an ihr erstes Zusammentreffen mit Sandie. Schmerzlich dachte sie an die Szene in Reinholds Badezimmer. Warum nur macht er aus einem kleinen, unscheinbaren Entlein einen Schwan, wenn er dann mit einer Zuchtgans abhaut, wetterte sie innerlich und begann darauf hysterisch zu lachen. Gerade noch rechtzeitig hielt sie sich ein Taschentuch vor den Mund, das die Laute erstickte.

Sie hatte vorgehabt, die Kirche vor Ende der Trauung leise zu verlassen, doch als sie wieder aufsah, kam Sandie mit seiner Braut am Arm bereits den Mittelgang entlang. Sie konnte nicht mehr ausweichen. Monika zuckte zusammen, als sie den ungebetenen Gast sah, doch dann lächelte sie Corinna hochmütig und im vollen Bewusstsein ihres Sieges an. Sandie beachtete sie nicht einmal. Corinna versuchte verzweifelt, einen Blick von ihm zu erhaschen, doch er tat ihr den Gefallen nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit galt Monika. Corinnas Augen begannen in Tränen zu schwimmen. Sie hatte den Eindruck, dass eine junge Frau aus der nun nachfolgenden Gesellschaft sie mit einem fragenden Blick bedachte, doch als sie sich die Augen ausgewischt hatte, war sie bereits verschwunden. Corinna wartete, bis alle Gäste die Kirche verlassen hatten, dann stahl sie sich durch einen kleinen Seiteneingang davon.

10

 

Nach Sandies Hochzeit schien sich Corinnas Zustand noch weiter zu verschlechtern. In den Nächten konnte sie kaum schlafen, weil sie ständig an ihn denken musste, und am Morgen war ihr dann regelmäßig übel. Sie fühlte sich schlaff und abgespannt und konnte nur mit Mühe die Kraft aufbringen, die Vorlesungen zu besuchen. Sie wünschte sich, dass er von der TU herüberkam, um mit ihr zu sprechen, und hatte doch gleichzeitig Angst davor. Es war ein seltsames Wechselbad der Gefühle, das sie durchlebte. In einem Moment verdammte sie Sandie in Grund und Boden und im nächsten vermisste sie ihn so sehr, dass sie glaubte, verrückt zu werden. Meistens verwünschte sie ihn jedoch, denn der Hass tat ihr viel weniger weh als die Sehnsucht nach ihm.

Auch ihr Verhältnis zu Astrid litt unter ihrer ständigen schlechten Laune. Dazu machte ihre Schwester kein Geheimnis aus ihrer Erleichterung, dass diese dumme Romanze ein schnelles Ende gefunden hatte. Corinna wusste, dass Astrid von Anfang an Recht gehabt hatte, doch das zog sie nur noch weiter runter. Sie verwünschte sich, dass sie nicht stark genug gewesen war, sich von Sandie abzuwenden, sobald sie von Monika erfahren hatte. Sie hatte Astrids guten Rat in den Wind geschlagen und fühlte sich unter deren Blicken ungemütlich. Dabei machte Astrid ihr keine Vorwürfe, sondern versuchte immer wieder, die jüngere Schwester aufzumuntern.

»Fühlst du dich immer noch so mies?«, fragte sie eines Abends, als Corinna wieder nur lustlos im Essen stocherte. Corinna zog vielsagend die Schultern hoch.

»Du kannst doch unmöglich immer noch diesem treulosen Kerl nachweinen.«

Corinna antwortete nicht.

»Vielleicht solltest du mal zum Arzt gehen.«

»Wozu?« Verblüfft sah Corinna hoch.

»Vielleicht hast du dir einen Virus eingefangen. Nur vom Liebeskummer kann dieser schlechte Zustand doch nicht kommen.«

»So? Woher denn dann?«, fuhr Corinna auf. »Hast du denn schon die großen, einschlägigen Erfahrungen auf dem Sektor Liebe und ihren Auswirkungen?«

Astrid seufzte. Corinna biss sich auf die Lippe. Sie war in letzter Zeit so aufbrausend. Beim kleinsten Anlass konnte sie aus der Haut fahren. Das hatte Astrid nicht verdient, doch Corinna hatte ihre Gefühle nicht im Griff. Sie wollte sich entschuldigen, doch sie schaffte nicht einmal das.

»Vergiss es«, murmelte Astrid verdrossen. »War schließlich nur ein Vorschlag.«

 

Schon seit fünf Minuten starrte Corinna auf das Schild. Dr. Ingeborg Arnsberg stand darauf. Sie hatte sich die Praxis aus dem Branchenverzeichnis geholt, weil sie glaubte, sich einer Frau leichter anvertrauen zu können. Doch während sie den Namen wieder und wieder las, trocknete ihr Mund aus und ihr Widerwille gegen diesen Besuch wuchs. Was wollte sie denn überhaupt hier? Ihr fehlte doch gar nichts. Sie hatte zwar einen Termin, aber den konnte sie leicht telefonisch absagen. Eine Telefonzelle, kaum zweihundert Meter entfernt, zog sie magisch an. Sie merkte kaum, wie sie sich darauf zu bewegte, war jedoch sofort erleichtert. Sie brauchte diese Ärztin nicht.

Doch als sie die Tür der Zelle aufdrückte, wusste sie, dass die Ungewissheit an ihr nagen würde. Sie mochte sowieso kaum noch ihr Gesicht im Spiegel ansehen und bedauerte, dass Astrid unter ihren unbeherrschten Ausbrüchen litt. Es half nichts. Sie musste es wissen. Sonst würde sie keine ruhige Minute mehr haben und sich mit ihren quälenden Gedanken selbst wahnsinnig machen. Entschlossen drehte sie sich um und ging den Weg zurück. Mit klopfendem Herzen öffnete sie die Eingangstür und lief die Treppen hoch.

 

»Hallo Corrie«, rief Astrid fröhlich, als sie nach Hause kam. »Bist du da?«

Corinna antwortete nicht. Sie saß mit untergeschlagenen Beinen auf der Couch im Wohnzimmer und starrte einen imaginären Fleck auf der Wand an. So fand Astrid sie einige Minuten später.

»Corinna?«, fragte sie vorsichtig.

»Es ist kein Virus«, verkündete ihre Schwester mit Grabesstimme.

Astrid setzte sich überrascht. »Du warst doch beim Arzt?«

Corinna nickte, ohne sie anzusehen.

»Und? Was ist? Rede schon.«

»Ich kriege ein Kind.«

Astrid riss die Augen auf. »Ein Kind?«, wiederholte sie verblüfft. »Wieso denn ein Kind?«

»Ja, wieso wohl?« Corinna fuhr heftig hoch. Ihre mühsam erkämpfte Selbstbeherrschung drohte sich in Luft aufzulösen. Ihre Angst suchte sich ein Ventil in einer aggressiven Antwort.

Astrid hatte sich immer noch nicht gefangen. »Von Sandie?«, fragte sie dümmlich.

»Natürlich von Sandie. Von wem denn sonst?«, schrie Corinna sie an und begann, haltlos zu weinen. Ihre Schultern zuckten und bebten.

Astrid sah mit offenem Mund auf sie hinunter. »Um Himmels willen! Aber du hast doch gesagt, dass …« Sie hielt inne, setzte sich und nahm Corinna in die Arme. »Weine ruhig«, flüsterte sie und streichelte ihr sanft über die Haare. »Das tut dir gut. Wein dich aus, reden können wir später.«

Es dauerte lange, bis Corinna sich ein wenig gefasst hatte, aber dann ging es ihr tatsächlich besser.

»Was wirst du jetzt tun?«, fragte Astrid.

»Keine Ahnung. Ich will dieses Kind nicht.« Zornig stieß Corinna die Worte hervor.

Astrid erschrak. »Was soll das heißen, du willst es nicht?«

»Dass ich es nicht haben will.«

»Glaubst du nicht, dass du dir das vorher hättest überlegen sollen?«

»Komm mir bloß nicht mit Moralpredigten.« Angestrengt biss Corinna die Zähne zusammen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739368610
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (November)
Schlagworte
Querschnittslähmung Freunde Liebesroman Behinderung Familie Schicksal Rollstuhl

Autor

  • Gabriele Popma (Autor:in)

Gabriele Popma ist Jahrgang 1963 und als wissenschaftliche Bibliothekarin ein alter Hase im Büchergeschäft. Bereits 1996 veröffentlichte sie ihren ersten Roman. Nachdem ihre erwachsenen Kinder ausgeflogen waren, arbeitet sie nun wieder als Autorin. Mit ihrem niederländischen Mann lebt sie im südlichen Bayern und liebt neben dem Schreiben ihren Garten, große Stickbilder, die sie aus Zeitmangel nie beenden wird, und ihr altes Akkordeon.