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Tageswandler 3: Letizia

von Al Rey (Autor:in)
285 Seiten
Reihe: Tageswandler, Band 3

Zusammenfassung

Konstantin ist mit Violetta und seiner kleinen Tochter auf dem Weg nach Hause, als sie plötzlich von Werwölfen angegriffen werden. Seit fünfhundert Jahren wurde der Pakt der Unsterblichen, der den Wölfen verbietet Italien zu verlassen, damit zum ersten Mal gebrochen. Schnell finden sich weitere Spuren von ihnen. Der Leitwolf Vincent weist jedoch jede Schuld von sich. Außerdem schuldet Asheroth ihm immer noch einen Gefallen... Mira und Anzheru finden sich über Nacht in einem Konflikt wieder, der älter ist als sie selbst. Älter als die allermeisten Unsterblichen. bereits erschienen: Band 1 Mira, Band 2 Anzheru, Band 4 Shaun, Band 5 Gigi und die Kurzgeschichte Marada in Planung: Band 6 Igor und Band 7 Yero

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Tageswandler 3

~Letizia~

Von Al Rey

Über die Autorin

Al Rey ist in Solingen geboren und aufgewachsen. Jetzt lebt sie im schönen Rheinland.

Kontakt:

al-rey.jimdofree.com

al-rey@gmx.de

Widmung

Für Elke

Prolog

„Schlaf gut, mein kleiner Schatz.“ Konstantin gab seiner Tochter einen Kuss auf die Stirn. Ausnahmsweise schien Letizia schon müde genug zu sein, um vor dem Morgengrauen einzuschlafen. Die ganze Nacht über war sie mit einer Vampirin namens Nadja, die zu Jasminas Leibwache gehörte, herumgetollt und tatsächlich hatte Nadja es geschafft, Letizia satt und müde zu bekommen. Konstantin richtete sich auf, nachdem er sein Kind zugedeckt hatte. Violetta stand hinter ihm im Türrahmen und lächelte ihn an.

„Nadja hat ganze Arbeit geleistet“, flüsterte er mit einem leisen Lächeln.

„Ja.“ Vio streckte ihm eine Hand entgegen. „Ruhen wir uns auch ein bisschen aus.“

Konstantin stimmte bereitwillig zu und ließ sich von ihr in ihr Gästezimmer nebenan führen. Auf Jasminas Einladung waren sie für eine Woche ins Hauptquartier des Östlichen Clans gereist. Am kommenden Abend würden sie die Heimreise antreten. Konstantin schaute durch einen Spalt im Vorhang hinaus auf die weite Landschaft, die Jasminas Clan gehörte. In jenem Winter, in dem Letizia geboren worden war, war ihm die sibirische Ebene furchtbar karg und trostlos vorgekommen. Nun im Sommer zierten vereinzelte Blumen den dunkelgrünen Rasen vor dem Schloss. Der Wind drückte die Halme sanft in wiederkehrenden Wellen nieder. Konstantin atmete vollkommen ruhig durch. Seine kleine Tochter war nun eineinhalb Jahre alt, aber schon so groß wie ein vierjähriges Mädchen. Für ihn persönlich wuchs sie viel zu schnell, nur zehn Jahre erschienen ihm zu wenig, um sie aufwachsen zu sehen. Doch als geborene Vampirin würde Letizia nicht mehr Zeit brauchen, um groß und stark zu werden. Die Geborenen durchbrachen das Prinzip, dass stets die älteren Vampire auch die Stärkeren waren. Vermutlich würde es gar nicht allzu lange dauern, bis Letizia stärker war als ihre eigene Mutter. Vios zarte Finger schoben sich gerade unter Konstantins Shirt und rissen ihn aus seinen ausschweifenden Gedanken.

„Komm ins Bett“, flüsterte sie verheißungsvoll.

„Wenn das für dich ausruhen bedeutet.” Er grinste breit, während er ihren zierlichen Körper an sich zog. Im Moment bestand keine Gefahr, dass sie ein zweites Kind von ihm empfangen könnte, daher hob er sie unterhalb der Hüfte hoch und warf sie aufs Bett. Solange sie ihre Tochter nicht atmen hörten, hatten sie ein paar Stunden für sich. Am Abend verabschiedeten sie sich herzlich von Jasmina und Nadja. Konstantin musste Letizia auf den Arm nehmen, damit sie sich nicht mehr an Nadjas Bein festklammerte.

„Müssen wir wirklich schon nach Hause?”, fragte seine Tochter zum wiederholten Male.

„Dann siehst du Mira wieder”, konterte Vio mit einem warmherzigen Lächeln. Dieses Argument überzeugte Letizia, denn sie hatte einen wahren Narren an der Tageswandlerin gefressen. Auch Anzheru bekam hin und wieder ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, ob er wollte oder nicht. Die beiden hatten Letizia bereits am Tag ihrer Geburt ins Herz geschlossen und freuten sich bestimmt ihrerseits auf ihre Rückkehr. Jasminas Leibwache übergab ihnen einen Wagen, den sie an dem kleinen Privatflughafen abstellen sollten, an dem eine Maschine nach Oslo auf sie wartete. Ein Vampir des Östlichen Clans würde in den nächsten Tagen dort eintreffen und einfach mit diesem Wagen zurückfahren. Asheroth und Achilleas hatten Jasmina ebenfalls um einen Flug gebeten und würden dementsprechend mit ihnen reisen. Konstantin war nicht ganz wohl dabei, die beiden Ältesten in der Nähe seiner Tochter zu wissen, aber das musste er leider in Kauf nehmen. Letizia besaß zum Glück keine schlechten Erinnerungen an sie und fürchtete sich nicht vor ihnen. Sie mussten gut zwei Stunden fahren, bis sie den Flughafen erreichten. Konstantin parkte das Auto wie besprochen an der Rückseite des Gebäudes. Danach holte er ihre Reisetasche aus dem Kofferraum, während Vio und Letizia auf das Gebäude zu spazierten. Plötzlich hielt seine Gefährtin inne. Konstantin sog konzentriert die Luft ein. Es roch beunruhigend nach Vampirblut und nach etwas anderem. Er konnte es nicht recht zuordnen, aber es verhieß absolut nichts Gutes. Vio warf ihm einen verängstigten Blick zu. Auf den fremden Geruch folgte ein dumpfes Knurren. Es klang nicht wie das Grollen eines Gestaltwandlers oder eines Vampirs.

„Papa?” Letizia schaute ängstlich zu ihm auf. Konstantin stellte die Tasche ab und ging auf seine Familie zu. Sie hielten den Atem an, als sie leise Schritte hören konnten. Zwei Männer traten aus dem Schatten des Flughafengebäudes. Das Mondlicht offenbarte ihre verzerrten Gesichter. Sie bleckten die spitzen Zähne und immer wieder zuckten Sehnen an ihren Kehlen hervor. Sie hielten sich beide leicht geduckt und bewegten sich etwas ungelenk, als wären sie es nicht gewohnt auf zwei Beinen zu gehen. Ihre Augen glänzten seltsam. Konstantin begriff, dass sie zwei Wölfen des Tibers gegenüber standen. Er selbst war nie zuvor einem solchen Unsterblichen begegnet, doch Anzheru hatte sie ihm ausführlich beschrieben.

„Ihr verletzt das Abkommen mit eurer Anwesenheit! Vincent hat versprochen, dass die Wölfe Italien nicht verlassen!“ Das war das Wichtigste, das Konstantin über diese Geschöpfe wusste. Sie blieben stehen und starrten die drei Vampire ausdruckslos an.

„Wer ist Vincent?“, fragte der größere von beiden abfällig.

„Nimm sie und lauf“, flüsterte Konstantin seiner Gefährtin zu.

„Papa ...“ Letizia standen Tränen in den Augen. Konstantin straffte die Schultern. Seine Tochter fürchtete sich so sehr, aber ihm blieb jetzt keine Zeit, es ihr zu erklären. Vio hob sie hoch und sprintete davon. Die Werwölfe knurrten leise. Eine unergründliche Gier spiegelte sich in ihren Augen.

„Also, was habt ihr hier zu suchen?“, fragte er mit fester Stimme.

„Ursprünglich wollten wir nur den Vampir loswerden, der hier haust.“ Der größere Wolf fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe. „Aber dein Junges wird unseren Alpha sehr interessieren.“

Konstantin hatte möglichst viel Zeit für Violettas Flucht schinden wollen, doch jetzt ging er zum direkten Angriff über. Sie durften Letizia nicht bekommen. Was auch immer es kosten mochte.

Asheroth beschleunigte seine Schritte. In wenigen Minuten würden sie den Flughafen erreichen, an dem Konstantin und seine Familie mit ihnen in ein Flugzeug nach Oslo steigen sollten. Doch sein Tastsinn verriet ihm, dass etwas nicht stimmte.

„Hörst du etwas, Bruder?“, fragte er Achilleas beunruhigt.

„Ich bin nicht sicher. Vielleicht war da ein Schrei.“

Asheroth hielt kurz inne, um eine Hand auf den Boden zu drücken. Er fühlte keine Herzschläge in Richtung des Flughafens, nur den unscharfen Umriss eines Körpers. Den Rest des Weges legten sie im Sprint zurück. Der Anblick, der sich ihnen vor dem kleinen Flughafengebäude bot, war grausig und doch seltsam vertraut. Ein zerrissener Vampir lag in seinem Blut am Boden. Achilleas drehte den abgetrennten Kopf herum, bis er Konstantins entstelltes Gesicht erkennen konnte.

„Armer Junge“, murmelte er. „Er war ein Freund deines Sohnes, wenn ich mich nicht irre?“

„Ja und Leandros‘ Ausgleichsgeschöpf.“ Asheroth ging erneut in die Hocke, um die Gegend mit seinen Sinnen zu erforschen. Wenn Konstantin allein hier zurückgeblieben war, wo waren dann die kleine Violetta und ihre Tochter?

„Sein Blut ist noch nicht getrocknet. Wir sind wahrscheinlich nur ein paar Minuten zu spät.“ Achilleas richtete sich auf und ballte die Fäuste. „Es stinkt nach Wölfen.“

„Nicht bewegen“, erwiderte Asheroth barsch. Diese Tatsache machte ihn genauso wütend wie den Spartaner, aber davon durfte er sich nicht ablenken lassen, wenn er die beiden Vampirinnen finden wollte. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf jedes noch so geringe Echo, das er finden konnte. Violettas Spuren waren noch nicht völlig erloschen, leider folgten ihnen zwei weitere. Die beiden Ältesten hatten sich dem Flughafen von Norden aus genähert, die Spuren führten nach Süd-Westen. Asheroth sprintete los, als er sich absolut sicher war, in welche Richtung sie gehen mussten. Darum, dass Achilleas mit ihm Schritt halten konnte, brauchte er sich zum Glück nicht zu sorgen. Der Spartaner hielt sich an seiner rechten Seite, bereit zum Kampf. Nach etwa drei Kilometern fanden sie den Körper der kleinen Vampirin. Offenbar hatte sie sich genauso zur Wehr gesetzt wie ihr Gefährte. Nur Fetzen waren von ihrem hübschen, zierlichen Leib übrig. Um ihr Kind zu schützen, hatte sie gegen weit überlegene Gegner gekämpft, so aussichtslos es auch gewesen war. Asheroth biss die Zähne zusammen. Die Fährte der Unsterblichen Wölfe war noch deutlich spürbar. Achilleas stieß ein dumpfes Grollen aus, als sie den zweiten grausigen Fundort hinter sich ließen.

„Sagtest du nicht, die Wölfe hätten sich nach Italien zurückgezogen?“, knurrte er.

„Ja, seit dem letzten großen Krieg vor fünf Jahrhunderten. Ich verstehe das nicht. Es sind nur zwei. Wenn du dich beherrschen kannst, lass einen am Leben, den wir befragen können.“ Asheroth wusste nur zu gut, wie schwierig es war, Werwölfe gefangen zu nehmen. Lieber kämpften sie bis zum Tod. Sie liefen Stunden lang weiter durch die karge Landschaft. Asheroth fürchtete, dass die Sonne aufgehen würde, bevor sie Letizia gefunden hatten. Dann würde der Körper der jungen Geborenen kläglich im Licht verbrennen, ohne dass es irgendjemand verhindern konnte. Doch langsam schienen sie sich ihren Feinden zu nähern. Asheroth spürte vage Schritte ihrer im Moment noch menschlichen Füße.

„Ich höre sie“, knurrte Achilleas ein paar Minuten später. Ab jetzt durften sie erfahrungsgemäß keinen verräterischen Laut mehr von sich geben. Das Gehör der Wölfe konnte mühelos mit dem seinen konkurrieren, nur Achilleas‘ untrügliches Gespür für Lügen war ihm allein zu eigen. Asheroth spürte die Gegenwart der Wölfe nun eindeutig. Er fühlte sich um Jahrhunderte zurückversetzt, solange hatte er nicht mehr gegen die Unsterblichen Wölfe des Tibers kämpfen müssen. Ganze zweimal hatte er seit dem letzten großen Krieg überhaupt einen der ihren getroffen. Das erste Mal, um Vincent den Vertrag über die Waffenruhe persönlich zu überbringen und das zweite Mal, um ihn über sein Ausgleichsgeschöpf auszufragen. Asheroth streckte den Arm aus, um Achilleas zu bedeuten, dass er langsamer werden sollte. Sie postierten sich oberhalb einer steil abfallenden Klippe, von der aus sie die beiden Wölfe erspähen konnten.

„Sind wir wirklich weit genug weg, dass sie uns nicht finden? Zwei einzelne Blutsauger sind die eine Sache, aber mit einer ganzen Horde können wir es nicht aufnehmen“, sagte der kleinere von beiden.

„Mach dich nicht lächerlich. Es müsste schon nicht mit rechten Dingen zugehen, damit sie uns in dieser Entfernung aufspüren, bevor wir die Küste erreichen. Wir gönnen uns jetzt eine Pause“, entschied der andere. „Und du trägst den Sack für den Rest des Weges. Das kleine Balg tritt wie verrückt um sich.“

Ihr Ziel war also das Kaspische Meer. Der kleinere der Wölfe knurrte verärgert, aber er widersprach nicht. Er musste der Rangniedrigere sein. Asheroth beobachtete den dunklen Stoffsack, der neben ihnen im ebenen Gras lag. Hin und wieder zuckte das eine Ende, als würden Kinderfüße versuchen sich zu befreien. Achilleas stieß ihn grob in die Seite, dann fletschte er die Zähne. Der Spartaner wollte ihre Feinde nicht mehr auskundschaften. Asheroth biss sich auf die Unterlippe. Auf ihrer gemeinsamen Weltreise, die sie erst heute hatten beenden wollen, war es nie zu einer solchen Situation gekommen. Doch jetzt wurde Asheroth deutlich in Erinnerung gerufen, wie impulsiv sein Bruder war. Er hätte gern noch einen Moment abgewartet, bis die beiden vielleicht ausgeplaudert hätten, warum sie die Geborene geraubt hatten, aber das musste er auf anderem Weg in Erfahrung bringen. Achilleas stürzte sich mit einem lauten, dumpfen Grollen die Klippe hinunter und auf den größeren Werwolf. Die Verblüffung in den Gesichtern ihrer Feinde wich schnell einem verächtlichen, hasserfüllten Grollen. Achilleas riss dem größeren Wolf in seinem ersten Angriff den rechten Arm ab. Asheroth zog es vor, mit dem Schwert zu kämpfen statt mit den bloßen Händen. Er drängte den kleineren Wolf zurück, während Achilleas dem größeren die Kiefer auseinanderriss und damit seinen Schädel brach. Es klang ähnlich wie splitterndes Gestein. Den kleineren Wolf packte langsam die Angst, dennoch setzte er zum nächsten Sprung auf Asheroth an. Dieser wich seitlich aus und stieß ihm sein Schwert durch die Kehle. Nachdem er die Klinge herausgerissen hatte, brauchte Achilleas ihn nur noch ruckartig zu Boden zu reißen, um seinen Kopf vom Körper zu trennen. Bis auf ein paar unbedeutende Kratzer waren die Vampire unversehrt. Sobald die Stille der Nacht wieder eingekehrt war, hörten sie Letizias flachen Atem durch den dicken, modrig riechenden Stoff ihres Gefängnisses. Sie musste sich zu Tode fürchten. Asheroth legte die Hand auf das verschnürte Ende, an dem sich ihr Kopf befand.

„Sie ist unverletzt.“ Er begann erleichtert, die Schnüre zu lösen.

„Warte noch kurz“, mahnte Achilleas an und wischte sich hastig das Blut der toten Wölfe aus dem Gesicht. „Sie hat für heute genug gesehen.“

„Richtig.“ Asheroth hob die kleine Geborene behutsam in seine Arme und trug sie fort von der blutdurchtränkten Ebene. Merkwürdigerweise hielt sie jetzt absolut still. Nachdem er sein Gesicht vom gröbsten Schmutz befreit hatte, öffnete er den alten Stoffsack. Zwei weit aufgerissene, eisblaue Augen schauten zu ihm auf.

„Hallo, Kleines“, sagte Achilleas leise. „Kennst du uns noch?“

Letizia nickte zögerlich. Sie hatte das strahlend blonde Haar ihrer Mutter geerbt. Es lag ganz wirr um ihr hübsches Gesicht.

„Tut dir was weh?“, fragte der Spartaner mit einem aufmunternden Lächeln. Sie schüttelte den Kopf. Ihre Miene war seltsam starr, sie rührte kaum einen Muskel. Asheroth und Achilleas tauschten einen kurzen Blick aus.

„Du bist jetzt in Sicherheit, wir nehmen dich mit.“ Asheroths Worte zeigten keine Wirkung. Letizia war zwar wesentlich weiter entwickelt als ein menschliches Kind ihres Alters, aber die Geschehnisse dieser Nacht hatten sie völlig verstört. Ein zweites Mal die Geräusche des Todes mitangehört zu haben, nachdem sie aus den Armen ihrer Mutter gerissen worden war, lähmte sie offenbar restlos.

„Gehen wir zurück?“, fragte Achilleas skeptisch.

„Nein, das dauert zu lange für sie.“ Asheroth musterte das kleine Vampirmädchen, das stocksteif vor ihm auf dem Boden hockte. Die Sonne würde sehr bald aufgehen. Es musste eine andere Lösung her. „Ich glaube, es gibt einen Flughafen in der Nähe. Wenn es möglich ist, chartern wir eine Maschine und fliegen direkt nach Aberdeen.“

„Wir gehen mit ihr unter Menschen?“ Achilleas‘ Bedenken waren durchaus berechtigt. Der Blutdurst einer so jungen Geborenen würde ein Problem werden. Vielleicht konnte Asheroth Vorsorge treffen. Er ging in die Hocke, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein.

„Willst du Blut?“, fragte er sachlich, obwohl er die Antwort kannte und seinen Ärmel hochzog. Erstaunlicherweise reagierte Letizia jedoch nicht, als er ihr sein Handgelenk anbot.

„Wirklich nicht?“, hakte er nach. Das kleine Mädchen schüttelte stumm den Kopf. Asheroth erhob sich verwundert und wandte sich wieder an seinen Bruder. „Wir müssen uns beeilen.“

Achilleas nickte wissend und hob Letizia in seine Arme.

Als sie den Flughafen erreichten, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Achilleas steckte Letizia einfach unter seine Jacke, um sie vor dem Licht zu schützen, und hielt sich so gut es ging im Schatten. Die Geborene rührte sich immer noch nicht. Auch als er sie auf einem der abgewetzten Sitze der alten Maschine anschnallte, die Asheroth einem weißbärtigen Mann an der Küste des Kaspischen Meeres abgekauft hatte, starrte Letizia nur stumm vor sich hin. Achilleas setzte sich neben sie. Er hatte mittlerweile alles Nötige über moderne Technologien erfahren, aber steuern ließ er sie nach wie vor lieber von anderen. Asheroth sprach gerade über ein Funkgerät mit einem Sterblichen, der ihnen eine Startbahn zuteilte, und lenkte die winzige Maschine dorthin. Als sie in der Luft waren, begann der Karthager immer wieder Blicke über die Schulter zu werfen.

„Bist du nicht müde, Letizia?“, fragte er nach einer halben Stunde. Sie musste schon die ganze Nacht und nun auch den halben Tag ohne Unterbrechung wach sein. Für ein Vampirkind war das wirklich viel. Doch das kleine Mädchen schüttelte störrisch den Kopf. Achilleas vermutete, dass sie sich davor fürchtete zu schlafen. Er verstand sie nur zu gut. Die eigenen Träume konnten einen manchmal noch mehr quälen als die Erinnerungen an die Realität. Er streichelte Letizia über das strahlend blonde Haar. Sie war ein wenig schmutzig geworden. Achilleas hätte sie gern getröstet, aber das konnte wahrscheinlich nur die Zeit. Als er die Hand von ihrem Kopf wegzog, atmete sie zum ersten Mal seit Stunden krampfhaft ein. Nach ein paar Atemzügen rannen ihr Tränen über die Wangen. Achilleas löste ihren Gurt und nahm sie auf den Schoß, aber auch das half nichts. Auf die Tränen folgten Schreie, nichts konnte Letizia beruhigen. Ihre hohe Stimme gellte Achilleas noch wesentlich schneidender in den Ohren als das Motorengeräusch. Trotzdem konnte er ihr nicht böse sein.

„Kannst du irgendwas tun?“, fragte er Asheroth.

„Bring sie her, ich versuche es.“ Der Stimme des Karthagers war anzumerken, dass auch er nicht wusste, wie er mit einem völlig verstörten Kind umgehen sollte. Achilleas trug die Geborene zu ihm ins Cockpit. Behutsam drückte Asheroth auf die altbewährten Nervenpunkte an Letizias Rücken, die jedes Geschöpf einschlafen ließen. Zum Glück funktionierte es, nach nur wenigen Sekunden sackte die Geborene in Achilleas‘ Armen zusammen.

„Ich hoffe, ich habe sie nicht zu tief in die Bewusstlosigkeit geschickt. Falls sie tagelang schläft, wird sie vor Durst kaum zu bändigen sein, wenn sie wieder aufwacht.“

Achilleas hob überrascht die Brauen. „Ich dachte, du kannst einschätzen, wie fest du drücken musst.“

„Bei Erwachsenen ja, bei Kleinkindern fehlt mir die Erfahrung.“

„Hast du nie deinen Sohn so schlafen geschickt?“

Asheroths Miene verhärtete sich. „Nein, nicht als er noch ein Kind war.“

Welpe

Mira streckte die Beine auf der hellen, gemütlichen Wohnzimmercouch aus. Zum Glück war der typische Geruch von neuen Möbeln langsam verflogen. Auch Anzheru hatte sich mittlerweile mit der neuen Einrichtung des Kaminzimmers angefreundet und setzte sich gerade auf den Rand der Couch, sodass Mira mühelos seinen Rücken streicheln konnte. Es war eine ungewöhnlich warme Nacht, die Luftfeuchte kündigte einen heftigen Regenschauer an. Sie waren gerade von der Jagd auf das Gelände des Nördlichen Clans zurückgekehrt.

„Machen wir es uns noch ein bisschen gemütlich?“, fragte Mira, während sie sich dicht wie eine Rückenlehne an ihn schmiegte. Konstantin und Violetta wollten in dieser Nacht mit ihrer kleinen Tochter nach Hause kommen und Letizia war eine wahre Meisterin darin, sie auf Trapp zu halten.

„Entschuldige, ich werde mich erst hierum kümmern müssen“, erwiderte Anzheru nachdenklich. „William schreibt uns. Die Waffenruhe zwischen den Amerikanischen Clans wurde schon wieder verletzt.“

„Und was noch?“ Mira merkte seiner Stimme an, dass mehr dahinter steckte als der Konflikt, der sich nun schon fast zwei Jahre hinzog.

„Er schreibt, dass hin und wieder Vampire verschwunden sind. Sie trauen sich gar nicht mehr allein auf die Jagd. Jetzt haben sie wohl eine ihrer Vermissten tot aufgefunden.“ Er faltete den Brief sorgfältig zusammen. „Diejenige wurde vergiftet.“

„Womit?“ Mira wusste, dass es nur sehr wenige Gifte gab, die Vampire tatsächlich töten konnten. Sie setzte sich auf. Statt zu antworten betrachtete ihr Gefährte die blassen Narben an ihren Armen. Sie stammten von Verletzungen, die Horatio ihr mit einem vergifteten Dolch zugefügt hatte. Sie würden niemals ganz verschwinden.

„Das kann ich noch nicht sagen, aber ihr Körper wies eine auffällige Bisswunde auf. Ich werde Commodus einweihen, ob es William gefällt oder nicht“, sagte er schließlich und erhob sich. Als Anzheru gerade nach seinem Handy greifen wollte, klingelte es bereits. Irritiert nahm er das Gespräch entgegen.

„Komm sofort zum Haupttor, Gebieter!“ Artorius klang furchtbar aufgeregt und normalerweise benutzte keiner der Vampire im Clan diese förmliche Anrede. Es musste etwas Ernstes passiert sein. Anzheru sprintete vorweg zum Tor. Wie Mira geahnt hatte, hatte es mittlerweile angefangen zu regnen. Nach den wenigen Minuten, die sie zum Tor brauchte, war sie bereits völlig durchnässt. Der Großteil des Clans war zu ihrem Erstaunen dort erschienen und hatte sich vor dem Tor aufgebaut. Mira musste ein paar von ihnen aus dem Weg schieben, um Anzheru wieder zu erreichen. Ihr Gefährte stand regungslos da und starrte die Gestalt an, die noch einige Meter Abstand zu ihrem Tor hielt. Erst jetzt nahm Mira den merkwürdigen Geruch wahr, der von dem Fremden ausging. Sein Geruch war bitter. Wie Gift. Seine dunklen Augen glänzten im Regen wie schwarze Edelsteine und die linke Hälfte seines Gesichtes wies zahlreiche Narben auf. Sein linkes Ohr sah aus, als wäre es vor langer Zeit einmal von Krallen zerfetzt worden.

„Was willst du hier?“, fragte Anzheru seltsam tonlos. Seine Muskeln schienen zum Zerreißen gespannt zu sein, als er Mira hinter sich schob. So aufgeregt hatte sie ihn in den letzten achtzehn Monaten nicht erlebt. Wer war dieser Mann bloß? Im Arm hielt er ein verdächtiges großes Bündel, aus dem ein schneller leiser Herzschlag zu hören war.

„Ich bin hier, um einen Gefallen einzufordern.“

Mira erschauderte leicht. Seine Stimme erinnerte an das dumpfe Grollen in einer Schlucht, wenn Felsbrocken hernieder stürzten. Anzheru zog einen Fuß leicht nach hinten und verlagerte das Gewicht. Mira wusste, dass dies bereits seine Verteidigungshaltung war.

„Asheroth schuldet dir einen Gefallen, Vincent. Nicht ich“, erwiderte Anzheru immer noch in diesem befremdlichen Tonfall. Der Name des Fremden sorgte endlich für Aufklärung. Vincent war der Oberste der Unsterblichen Wölfe des Tibers und der Leitwolf des Rudels bei Milano. Viel mehr wusste Mira nicht über ihn, nur dass er schon sehr alt sein musste und unter den Unsterblichen gefürchtet wurde. Vielleicht sogar noch mehr als Asheroth und das obwohl er keine vergleichbare Aura besaß.

„Sippe ist Sippe“, knurrte Vincent und trat einen Schritt auf sie zu. Anzheru lehnte sich drohend vor. „Wag es nicht, noch näher zu kommen. Was willst du?“

Der Werwolf blieb tatsächlich stehen. „Ich will ihn in Sicherheit wissen.“ Er streckte ihnen das Bündel entgegen, das schon die ganze Zeit reglos in seinem Arm lag. Erst jetzt entdeckte Mira das Gesicht, das zuvor an Vincents Schulter verborgen gewesen war. Es handelte sich um einen kleinen Jungen. Er schien völlig erschöpft zu sein.

„Und dann bringst du ihn ausgerechnet zu uns?“, fragte Anzheru plötzlich sarkastisch. „Wie viele deiner Wölfe sind allein durch mein Schwert gefallen?“

„Mehr als genug, aber lassen wir das fürs Erste beiseite.“ Vincent bleckte die Zähne. „Es sind Wölfe aufgetaucht, die weder zu mir, noch zu meinen Brüdern in Italien gehören.“

„Zu wem gehören sie dann?“, fragte Anzheru fordernd.

„Das gilt es herauszufinden. Und so lange wirst du mit deiner verfluchten Sippe diesen Jungen hier beschützen.“ Der Werwolf neigte den Kopf. „Ihr hattet in letzter Zeit Zuwachs, wie ich sehe.“

Mira spürte seinen neugierigen Blick auf sich. Anzheru stieß ein dumpfes, drohendes Grollen aus, einen kurzen Moment färbten sich seine Augen schwarz. Die Vampire, die direkt hinter ihnen standen, stöhnten entsetzt auf. Vincent grinste nur freudlos. „Es ist also doch etwas Wahres daran, dass du den Fluch deines Vaters weiterträgst.“

„Lass es nicht darauf ankommen“, ergriff Mira das Wort.

„Und sie besitzt sogar eine Stimme“, bemerkte der Werwolf amüsiert. „Bist du vernünftiger und in der Lage, diese unnötige Diskussion zu beenden?“

Anzheru schnaubte verärgert und marschierte auf Vincent zu. „Gib ihn her und dann sieh zu, dass du von meinem Land verschwindest!“

„Na bitte, ihr werdet bald wieder von mir hören“, knurrte der Werwolf und übergab ihm das hilflose Bündel. Anschließend verschwand er in die Dunkelheit.

„Tu so etwas nie wieder!“, warnte Anzheru seine Gefährtin, als sie die Villa erreicht hatten und der Junge auf dem Sofa lag. Er zerrte Mira unsanft wieder auf den Flur hinaus.

„Was denn?“, gab sie trotzig zurück.

„Stell mich nie wieder vor einem Werwolf in Frage!“ Er schüttelte mit Nachdruck den Kopf. „Vincent darf noch nicht mal auf die Ideen kommen, dass du mir in der Hierarchie ebenbürtig sein könntest.“

„Warum? Klär mich auf.“ Mira verschränkte die Arme vor der Brust.

„Weil er sich so etwas merkt.“ Anzheru fuhr sich durch die nassen Haare. „Werwölfe haben es im Krieg immer zuerst auf die Ranghöchsten abgesehen, damit die Moral ihrer Gegner sinkt. Das heißt, du wärst die erste auf der Liste!“

„Vincent hat uns gerade weder angegriffen, noch den Krieg erklärt“, hielt Mira unbeirrt dagegen. „Er hat uns aufgefordert, dieses Kind zu beschützen.“

Kind… Werwölfe haben noch nie Kinder geboren, sie haben überhaupt keine Frauen!“ Anzheru griff nach seinem Telefon, das er in der Eile auf dem Flurschrank liegengelassen hatte. Mira stutzte. „Wieso denn das nicht?“

„Frauen überleben die Verwandlung nicht.“ Er beruhigte sich langsam. Über die Unsterblichen Wölfe hatte er seiner Gefährtin noch nicht viel erzählt. Folglich konnte sie es nicht wissen.

„Ich erkläre dir gleich, was ich über sie weiß. Lass mich nur kurz telefonieren. Asheroth kann diesen Jungen direkt mitnehmen, wenn er mit Konstantin und Violetta nach Norwegen kommt. Er bleibt keine Minute länger als nötig hier bei uns.“

Mira nickte wenig begeistert und stieg die Treppe hinauf. Anzheru wählte Asheroths Nummer, doch er erreichte nur die Mailbox. Ausgerechnet jetzt war sein Handy ausgeschaltet! Während er unter Commodus‘ Nummer immerhin ein Freizeichen zu hören bekam, versuchte Anzheru, halbwegs regelmäßig durchzuatmen.

„Ja, Neffe?“, meldete sich die dunkle Stimme des Hünen.

„Ich grüße dich, Onkel. Vincent war vor wenigen Minuten hier und hat uns einen Welpen übergeben. Er verlangt, dass wir ihn beschützen.“

Am anderen Ende der Leitung herrschte einen Augenblick ungläubiges Schweigen.

„Wie kann ich dir helfen?“, fragte Commodus gezwungen.

„Wo steckt Asheroth? Das ist ja wohl seine Angelegenheit.“ Anzheru betrat die Küche und schaute im Kühlschrank nach einer Blutkonserve.

„Ich habe seit Wochen nichts von ihm und Achilleas gehört. Ich hoffe, sie sind auf dem Rückweg nach Aberdeen.“

Anzheru fluchte leise und legte die Blutkonserve entnervt zurück. „Dann bringe ich den Jungen zu euch in die Festung. Hier bleibt dieses Geschöpf auf keinen Fall, was auch immer es ist.“

„In Ordnung. Hat Vincent sonst noch irgendetwas gesagt?“, wollte Commodus wissen. Anzheru wiederholte die dürftige Erklärung des Werwolfs. Danach beendete er das Gespräch.

„Ist dir kalt?“, hörte er Mira fragen. Sie musste nebenan mit dem Wolfswelpen reden. Anzheru war innerhalb eines Wimpernschlags im Kaminzimmer. Mira hatte sich selbst noch nicht einmal trockene Sachen angezogen, als sie oben gewesen war. Stattdessen hatte sie ein großes Handtuch geholt, mit dem sie dem Jungen allen Ernstes die Haare trocken rubbelte.

„Danke“, murmelte er leise.

„Ich bin Mira. Wie lautet dein…“

Mira brach entsetzt mitten im Satz ab. Anzheru war herein gestürmt, hatte sie kurz beobachtet und plötzlich den Jungen von der Couch gerissen wie ein Greifvogel, der seine Beute schlägt. Ohne auch nur einen Moment inne zu halten, schleppte er den Kleinen nach oben und sperrte ihn ins Gästezimmer. Mira blieb nichts anderes übrig als hinter ihm her zu laufen.

„Was zum Teufel tust du da?“, fauchte sie leise drohend.

„Mira, er ist gefährlich!“

„Er ist ein Kind!“ Was fiel Anzheru bloß ein?

„Hast du nicht gemerkt, wie merkwürdig Vincent riecht? Werwölfe sind giftig! Selbst für uns. Und ich habe keine Ahnung, was dieses Kind ist. Fass es nicht an!“

„Er wurde allein bei Fremden zurückgelassen und ist völlig verängstigt.“ Mira traute ihren Ohren nicht. Der Junge war äußerlich circa fünf Jahre alt und hatte keinerlei Anstalten gemacht, sie in irgendeiner Form anzugreifen.

„Und er riecht längst nicht so stark nach Gift wie Vincent. Eher wie ein Mensch“, presste sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Das spielt keine Rolle. Er gehört irgendwie zu diesem Werwolf und das bedeutet, er gehört zum Feind.“

„Habe ich was verpasst? Befinden wir uns im Krieg?“ Miras Stimme überschlug sich beinahe. Sie wollte sich doch nur ein wenig um ihn kümmern. Was war denn plötzlich geschehen?

„Mit den Unsterblichen Wölfen des Tibers gibt es keinen Frieden, Mira. Wir befinden uns seit Jahrhunderten in einer Waffenruhe mit ihnen. Weiter nichts!“ Anzheru rieb sich die Nasenwurzel. In einem etwas sanfteren Ton sagte er, er würde schnellstmöglich mit ihm nach Aberdeen fliegen. „Du musst mich nicht begleiten, wenn du nicht willst.“

Mira wandte sich abrupt ab und marschierte ins Schlafzimmer. Entsetzt darüber, wie stur ihr Gefährte sein konnte, schloss sie sogar die Tür von innen ab. Sie hatte sich nie wieder von ihm distanzieren wollen, doch jetzt hatte sie das Gefühl, es nicht anders auszuhalten. Wie in Trance zog sie ihre nassen Sachen aus und trockene an.

„Natürlich fliege ich mit“, knurrte sie leise, Anzheru würde sie trotzdem hören. „Sonst bringst du ihn unterwegs noch um!“

„Nein, werde ich nicht. Er wird lebend wieder bei Vincent ankommen, sonst könnte ich auch direkt nach Italien marschieren und den erstbesten Werwolf töten, der mir über den Weg läuft und dann wären wir wirklich im Krieg“, antwortete Anzheru ebenso leise vom Flur aus. Er musste direkt vor der Schlafzimmertür stehen. Mittlerweile war ein Schluchzen aus dem Gästezimmer zu hören. Mira biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie schon fast blutete.

„Ich würde auch gern meine Kleidung wechseln.“ Es klang nicht unbedingt wie eine Bitte, ihn hereinzulassen. Mira griff die erstbesten Sachen aus dem Schrank, reichte sie ihm durch den Türspalt und schloss sofort wieder ab.

„Was soll das?“, fragte er verärgert. „Du wusstest es nicht, ich habe dich beschützt.“

„Vor einem wehrlosen kleinen Jungen!“ Mira konnte nicht fassen, dass Anzheru sich auch noch absolut im Recht sah.

„Vor einem giftigen Geschöpf, von dem wir nicht wissen, was es ist.“

Sie drehte den Schlüssel um und riss die Tür auf. „Du könntest ihn fragen! Er kann sprechen!“

„Auf keinen Fall. Wir werden uns nicht weiter mit ihm beschäftigen. Du besitzt ja jetzt schon einen überentwickelten Beschützerinstinkt für ihn.“ Anzherus stoisch sachlicher Tonfall war zurückgekehrt, den sie schon länger von ihm kannte als alles andere. Am liebsten hätte sie ihn allein dafür geohrfeigt.

„Ich erwarte nicht, dass du es verstehst. Du hast nicht hunderte von uns elendig am Gift der Werwölfe verrecken sehen.“ Er strich mit den Fingerknöcheln über ihre linke Wange. „Ich hoffe inständig, dass du das auch niemals sehen musst.“

Mira entzog ihm ruckartig ihr Gesicht. Ihr fiel nichts mehr ein, was sie darauf erwidern sollte.

„Ich werde mich jetzt um unseren Flug kümmern. Möchtest du im Hauptquartier auf Vio, Konstantin und die Kleine warten?“

Sie nickte nur und verließ die Villa, so schnell sie konnte. Mira ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, dass Asheroth und Achilleas gerade Letizia von den Werwölfen zurückerobert hatten.

Mündel

Es war später Nachmittag, als Charles das Eintreffen der Ältesten in der Festung von Aberdeen vom Wehrgang aus beobachtete. Achilleas‘ Jacke wölbte sich auffällig hervor. Was trug er da bloß? Zum Glück wurde Charles nur wenige Minuten später auf seinem Wachtposten abgelöst und konnte dem endlich nachgehen. Eilig folgte er den dunklen Stimmen durch die Eingangshalle hinauf in den Empfangssaal der Ältesten. Commodus stand mit verschränkten Armen an einem der verhangenen Fenster, was nie etwas Gutes bedeutete. Asheroth und Achilleas waren von oben bis unten mit getrocknetem Blut besudelt und berichteten gerade von den beiden Werwölfen, die sie getötet hatten.

„Anzheru hat sich auch gemeldet, er ist wahrscheinlich schon auf dem Weg her“, merkte Commodus an. Charles verfolgte das Gespräch nur mit halbem Ohr. Seine Aufmerksamkeit war auf das kleine, strahlend blonde Mädchen mit den eisblauen Augen gerichtet, dass auf Leandros‘ Schoß saß und sich an seinem Hemd festklammerte. In nur einer Nacht war sie plötzlich zum Waisenkind geworden. Charles näherte sich den beiden, wobei er versuchte, Letizia tröstend anzulächeln. Es funktionierte immerhin insofern, dass sie ihn statt Leandros‘ Kragen müde anschaute. Er setzte sich neben Leandros auf einen der schweren Stühle am Tisch. Als Commodus berichtete, wen Anzheru herbrachte, hörte Charles wieder genauer zu.

„Was für ein Kind soll das bitte schön sein?“, fragte Leandros voller Abscheu. Asheroth zuckte mit den Schultern. „Viele Möglichkeiten gibt es da nicht. Ich werde es mir ansehen, wenn sie eingetroffen sind. Bis dahin versuche ich, diesen Gestank loszuwerden.“

„Ich weiß, was du meinst“, murmelte Achilleas und schabte an einem Blutfleck auf seinem Ärmel.

„Ich rufe euch, falls sich etwas Dringendes ergibt. Und ich muss wohl Jasmina bitten, die Spuren eures Kampfes zu beseitigen.“ Commodus verabschiedete sich mit einem Nicken aus dem Saal, Achilleas ebenfalls.

„Also weiß Anzheru noch nichts hiervon?“, fragte Leandros an Asheroth gewandt, wobei er auf Letizia wies. Der Älteste schüttelte den Kopf.

„Ich rufe ihn an. Egal, ob er schon auf dem Weg her ist, wir sollten ihn wenigstens vorwarnen. Es würde mich wundern, wenn Mira ihn nicht begleitet.“

„Da hast du Recht“, stimmte Asheroth ihm zu. Leandros setzte das Mädchen behutsam auf seinen Stuhl und entfernte sich ein paar Schritte, um den Anruf zu tätigen. Allerdings sprach er griechisch. Letizias Blick bohrte sich wütend in seinen Rücken. Charles konnte sie nur zu gut verstehen, schließlich ging es um sie selbst und Letizia verstand kein Wort von dem, was gesprochen wurde. Mit mürrisch verzogenem Gesicht drehte sie sich zu ihm um. „Warum macht er das?“

Charles strich ihr übers Haar. „So etwas tun Erwachsene, wenn sie wollen, dass du sie nicht verstehst.“

Diese ehrliche Erklärung brachte ihm einen finsteren Blick von Leandros ein, aber das kümmerte ihn nicht. Wenn er aus der Zeit, in der er für Anzheru verantwortlich gewesen war, etwas gelernt hatte, dann dass man Kinder nicht belügen durfte. Früher oder später fanden sie es heraus und vertrauten einem plötzlich nicht mehr so wie zuvor.

„Werdet ihr sie als Mündel annehmen?“, fragte Leandros wieder auf Englisch, sodass auch Letizia ihn verstand. Nachdem Anzheru mit Ja geantwortet hatte, legte er auf. Asheroth stand noch immer neben der Tür, er hatte selbstverständlich zugehört.

„Gut, dann ist diese Angelegenheit nur noch eine Formalität.“ Er sah das Mädchen nachdenklich an.

„Was bedeutet Mündel?“, fragte Letizia und zupfte Charles am Ärmel.

„Anzheru und Mira übernehmen die Verantwortung für dich, bis du groß bist. So als wären sie deine Eltern.“

Das Mädchen nickte und gähnte anschließend ausgiebig. Sie schien viel zu wenig geschlafen zu haben. Charles beschloss, sie in seinem Quartier unterzubringen. Dort war von den Wachen kaum etwas zu hören und sie hatte ihre Ruhe. Asheroth wandte sich gerade zum Gehen, als Letizia sich barfuß auf den Stuhl stellte. „Asheroth?“

Der Älteste hielt im Türrahmen inne. Charles hob angespannt die Brauen. Er würde ihr beibringen müssen, wie sie wen innerhalb dieser Mauern ansprechen musste.

„Wenn du Anzherus Vater bist, bist du dann jetzt mein Großvater?“

Asheroth wandte sich wieder vollständig zu ihr um. Einen Moment lang schien er tatsächlich sprachlos zu sein. Charles hielt den Atem an. Mit einer solchen Frage hatte der Älteste sich noch nie in seinem langen Leben auseinandersetzen müssen.

„Ja…“ sagte er schließlich, wobei ihm eine leichte Unsicherheit anzumerken war. „Komm mit mir. Bis es dunkel wird, gehörst du noch ein paar Stunden ins Bett.“

„Ist gut.“ Letizia nickte fröhlich und sprang von dem alten Eichenstuhl herunter. Als sie Asheroth erreichte, griff sie mit ihren winzigen Fingern wie selbstverständlich nach den seinen. Charles schaute den beiden ungläubig nach. Ein kurzer Blick zu Leandros bestätigte ihm, dass auch dieser seinen Augen und Ohren nicht ganz trauen wollte. Dieses kleine Mädchen hatte gerade den am meisten gefürchteten Vampir der Welt mit einem Lächeln und einer einfachen Geste völlig für sich eingenommen. Dennoch entdeckte Charles Trauer und Wehmut in Leandros‘ Miene. Er und Konstantin hatten sich aufgrund ihres Ausgleichs nahe gestanden.

„Fühlst du dich verantwortlich für sie?“, fragte Charles sanft.

„Ja, irgendwie schon.“

„Sie gehört jetzt zu Asheroths Familie. Das gibt uns beiden das Recht, sie mit unserem Leben zu verteidigen.“

Leandros nickte grimmig. Es schien nicht unwahrscheinlich, dass sie irgendwann von diesem Recht Gebrauch machen würden.


Hinweis

Jasmina stieg mit finsterer Miene die Stufen zum Portal ihres Hauptquartiers hinauf. Auf Commodus‘ Bitte hin hatte sie die Spuren des Überfalls auf Konstantin und Violetta in der vergangenen Nacht beseitigt. Warum hatte sie die beiden bloß nicht persönlich zu ihrem Flieger gebracht? Vielleicht hätte sie die kleine Familie beschützen können. Letizia war zwar in Sicherheit, aber das tröstete Jasmina nicht über den Verlust ihrer Freunde hinweg. Zornig warf sie das schwere Tor hinter sich ins Schloss. Ihre Vampire verschwanden aus der Eingangshalle. Sie wussten genau, dass sie ihr lieber aus dem Weg gehen sollten, wenn sie in dieser Stimmung war. Nur Nadja blieb zurück und schaute sie ruhig an. „Wir haben einen Gast.“

„Wer ist es?“, fragte Jasmina gereizt, während sie ihre Jacke auszog.

„Igor, die Hyäne.“

Jasmina hielt mitten in der Bewegung inne. Sie hatte mit irgendeinem Vampir aus der Mongolei oder Vietnam gerechnet, da sich die dort ansässigen Clans derzeit im Konflikt befanden und sich beide um einen Bündnisvertrag mit ihr bemühten. Den Gestaltwandler mit der untypischen Erscheinung wiederzusehen, hellte ihre Stimmung ein wenig auf. „Wo hast du ihn untergebracht?“

„Im Teesalon.“

„Gut, sag ihm, dass ich in zwanzig Minuten zu ihm komme. Ich brauche dringend erst eine heiße Dusche.“ Jasmina wusste, dass der Geruch nach Blut und Tod vor allem in ihrer Nase haften geblieben war und nicht an ihren Kleidern. Trotzdem hatte sie das Bedürfnis, sich zu waschen und etwas Frisches anzuziehen.

„Jawohl.“ Nadja senkte ergeben den Kopf. Die heiße Dusche half wenigstens etwas gegen den unliebsamen Geruch, doch bis sich der Kummer gelegt hatte, würde es noch eine ganze Weile dauern. Jasmina kämmte sich erst auf dem Weg zum Teesalon die Haare aus. Zum Glück war ihre Mutter noch nicht wieder im Schloss. Sie hätte Jasmina mit Sicherheit wieder einmal ermahnt, sich mehr wie eine Dame zu verhalten und ihren Gast lieber noch etwas warten zu lassen, statt ihm unfertig gegenüber zu treten. Darüber machte sie sich allerdings keine unnötigen Gedanken. Igor hatte sie bereits von oben bis unten mit Blut und Schmutz besudelt gesehen. In dieser Hinsicht gab es nichts mehr zu gewinnen. Er lächelte sie zaghaft an, als sie den gemütlichen Salon betrat.

„Nadja hat mir erzählt, was geschehen ist. Fürchterliche Geschichte.“ Igor war sichtlich betroffen und das, obwohl es sich bei Violetta um eine gestohlene Begabte gehandelt hatte. Jasmina nickte bedrückt. „Ich danke dir für deine Anteilnahme. Setzen wir uns doch.“

Der Hyänenmann nahm auf einem der Canapés Platz. Seine dürre Gestalt wirkte ein wenig verloren zwischen all den breiten, kunstvoll bestickten Polstermöbeln.

„Was führt dich her?“, fragte Jasmina wieder sachlicher.

„Nun, ich war jetzt eine ganze Weile unterwegs und…“ Er geriet ins Stocken.

„Und?“

„Es ist nur ein Verdacht, aber ich fürchte, das war nicht der erste Übergriff.“

Jasmina lehnte sich vor. „Du meinst von Werwölfen?“

Igor nickte. „Normalerweise waren die Spuren bloß wesentlich besser verwischt.“ Er erzählte ihr von verschiedenen Vorkommnissen in Afrika, die teils die Gestaltwandler und Vampire und sogar die Sterblichen betroffen hatten. Von Zeit zu Zeit waren einzelne Unsterbliche verschwunden, weshalb die Clans im Moment in erhöhter Alarmbereitschaft waren. Die Menschen berichteten, dass sie merkwürdig aussehende Raubtiere gesichtet hätten. Sie schienen weder afrikanische Wildhunde noch Hyänen gewesen zu sein, aber bisher war nichts passiert, das sie wirklich beunruhigt hatte.

„Immerhin etwas“, merkte Jasmina an. „Dass ein Sterblicher beobachtet, wie sich ein Werwolf verwandelt, können wir jetzt wirklich nicht brauchen.“

„Das würde doch sowieso niemand glauben.“ Igor hob skeptisch die Brauen.

„Wenn es nur einmal vorkommt vielleicht, aber wenn sich solche Berichte häufen, bekommen auch wir irgendwann Schwierigkeiten.“

„Ist es schon einmal so weit gekommen?“, fragte der Hyänenmann.

„Ja.“ Jasmina dachte nur ungern an jene Zeit zurück. Vampire und Gestaltwandler hatten damals miteinander Kinder gezeugt, welche die Stärken der Rassen in sich vereint hatten. Nachdem sie aus Blutdurst ganze Dörfer vernichtet und sich dementsprechend Schreckensgeschichten über sie gehäuft hatten, war der Ältestenrat der Vampire eingeschritten. Asheroth kannte in diesen Dingen kein Erbarmen. Jasmina straffte die Schultern. Sie musste sich auf die Gegenwart konzentrieren. „Hast du schon jemand anderem davon erzählt?“

Igor schüttelte den Kopf. „Selbst ich weiß, dass man so etwas nicht leichtfertig jedem sagen darf. Anschuldigungen gegen die Wölfe des Tibers vorzubringen, ist immer heikel.“

Das war noch bei weitem untertrieben. Solange sie nichts beweisen konnten, würde Vincent eine solche Provokation schon beinahe als Kriegserklärung ansehen. Jasmina lächelte den Hyänenmann zustimmend an. „Das war klug von dir. Und was willst du jetzt tun?“

Igor biss sich leicht auf die Unterlippe. „Ich will dich nicht beunruhigen, aber ich habe auf dem Weg her Pfotenabdrücke und Tierkadaver gesehen.“

„Wo?“ Jasmina rückte auf den vordersten Rand ihres kleinen Sofas. „Auf meinem Land?“

„Ja, aber ich habe noch nie eindeutige Werwolfspuren gesehen. Vielleicht waren es ja doch nur gewöhnliche Wölfe…“

„Igor! Wenn du keinen Verdacht hättest, wärst du nicht hier, oder?“ Die Geborene stand auf. „Da es insgesamt so viele Hinweise und einen konkreten Angriff gibt, kann ich das nicht ignorieren. Bring mich sofort dorthin!“

Der Hyänenmann erhob sich und folgte ihr in die große Empfangshalle. „Und wenn ich mich irre?“

„Dann kann ich den Ältesten mitteilen, dass die Werwölfe sich wenigstens nicht bis zu mir verirrt haben.“ Jasmina griff sich ihre Jacke und legte den Schultergurt an, in dem sie immer ihr Schwert bei sich trug.

„Wo willst du hin?“, fragte eine strenge weibliche Stimme vom anderen Ende der Halle. Jasmina wandte sich notgedrungen um und erblickte ihre Mutter Rahel. Sie kam mit forschen Schritten auf sie und Igor zu. „Und wer ist das wieder? Er stinkt nach Fell.“

„Sehr charmant gegenüber einem Gast, Mutter. Igor ist ein Verbündeter.“ Jasmina schnaubte zornig, was ihre Mutter jedoch geflissentlich ignorierte.

„Und jetzt gehst du mit ihm fort?“

„Ja!“, erwiderte Jasmina gereizt. Der Hauptmann ihrer Leibwache näherte sich ihnen ebenfalls über einen der langen Korridore. „Wie viele Vampire brauchst du, Gebieterin?“

„Niemanden, ich gehe allein mit ihm.“ Sie wies zu Igor hinüber. „Verdoppelt die Wachen und meldet mir sofort, wenn sich etwas tut. Egal was!“

„Jawohl.“ Ihr Hauptmann senkte ergeben den Kopf und machte auf dem Absatz kehrt, um ihren Befehl weiterzuleiten. Wenigstens er gehorchte umstandslos. Rahel hingegen stemmte die Hände in die Hüften und schaute sie enttäuscht an. „Hat das wieder etwas mit diesem Inneren Zirkel zu tun?“

„Nein, mit unserer Sicherheit.“ Ohne ein weiteres Wort marschierte Jasmina durch das Tor hinaus und die Treppe hinunter. Igor hielt mühelos mit ihr Schritt und wies gen Süden. Was auch immer sie finden würden, Jasmina musste sicher gehen. Im letzten großen Krieg gegen die Wölfe hatte sie viel zu viele ihrer Verbündeten verloren, um jetzt untätig zu bleiben. Da es durch sehr unwegsames Gelände gehen würde, mussten sie zu Fuß gehen. Igor lief eine ganze Weile schweigend neben ihr her, aber dann schien langsam doch die Neugier zu siegen.

„Was ist dieser Innere Zirkel eigentlich genau? Damals war immer nur von Verbündeten und Beistand die Rede.“

„Das ist auch schon das Wichtigste. Es ist ein geheimer Bund, den Commodus gemeinsam mit Asheroth und Achilleas gegen Horatio gegründet hat, lange bevor ich geboren wurde. Im Notfall stehen wir einander bei, egal, worum es geht.“ Jasmina sprang auf einen großen Felsen hinauf, um sich kurz umzusehen. Weit und breit war nichts zu entdecken außer ein paar kleinen Tieren auf Nahrungssuche. Igor war stehen geblieben und beobachtete ihren Sprung vom Felsen hinunter.

„Man könnte meinen, du wärst die Katze von uns beiden, so leichtfüßig wie du dich bewegst“, sagte er mit einem anerkennenden Lächeln. „Vampire sind auch nur Raubtiere.“

„Sag so etwas nicht zu laut“, warnte Jasmina ihn ironisch. „Manche von uns wären jetzt schon beleidigt genug, um dir das Fell über die Ohren zu ziehen.“

Igor schnaubte belustigt, als sie ihren Weg zügig fortsetzten. Dann bemerkte Jasmina allerdings im Augenwinkel, dass er ihr einen schüchternen Blick von der Seite zuwarf, wie er es oft getan hatte, als er vor achtzehn Monaten ein Gast in ihrem Haus gewesen war. Es schien ihm selbst bewusst zu werden und er wandte den Blick wieder stur nach vorn.

„Wie bist du denn zu diesem Zirkel gekommen, wenn er schon so lange besteht?“, fragte er, offenbar um von sich abzulenken.

„Das ist eine lange Geschichte“, erwiderte Jasmina ausweichend. Eigentlich war sie schnell erzählt, aber ihrer Aufnahme in den Inneren Zirkel waren einige schmerzhafte Erlebnisse vorausgegangen. Nicht einmal Nadja, ihre Vertraute, kannte jedes Detail. Es gab keinen Grund, Igor zu misstrauen, aber das ging Jasmina zu weit. Zum Glück verstand er, dass er nicht weiter fragen sollte und schwieg. Kurz vor dem Morgengrauen erreichten sie den Rand einer breiten Schlucht. Sie mussten gut siebzig Kilometer zurückgelegt haben.

„Da unten.“ Der Hyänenmann wies auf einen Vorsprung, auf dem bereits aus der Entfernung die Reste von Knochen zu sehen waren. Jasmina bewegte sich vorsichtig darauf zu. Was hätte sie jetzt um Commodus‘ Sehsinn gegeben. Ihm wäre sofort jedes wichtige Detail ins Auge gesprungen. Igor nahm seine zweite Gestalt an und schlich hinter ihr her. Selbst im hohen Gras konnte er sich lautlos bewegen. An der Fundstelle ging Jasmina in die Hocke, um die Knochen genauer zu betrachten. Sie waren ganz offensichtlich von kräftigen Zähnen zerstört worden und es handelte sich um mehr als nur ein Beutetier. Das war untypisch für gewöhnliche Wölfe. Von den Spuren, die Igor entdeckt hatte, war immerhin noch ein Teil zu erkennen. Jasmina stellte beunruhigt fest, dass die meisten so groß wie ihre Hand waren.

„Kein Wunder, dass du dir nicht ganz sicher warst. Es sind verschiedene Pfotenabdrücke. Die hier stammen von einem gewöhnlichen Wolf und diese hier…“ Sie zögerte kurz. Die Bestätigung ihres Verdachts bereitete ihr großes Unbehagen. „Diese stammen von einem Unsterblichen. Sie sind weniger symmetrisch, dafür sind die Krallen kräftiger. Präg dir das gut ein.“

Igor knurrte leise und beschnüffelte sämtliche Spuren mit seiner Hyänennase. Jasminas Geruchssinn war nicht scharf genug, um hier noch etwas Eindeutiges auszumachen. Dafür war die Fährte zu alt. Nach wenigen Minuten legte Igor die Ohren an und knurrte erneut. Jasmina sah ihn nur unschlüssig an.

„Entschuldige“, sagte er, nachdem er sich verwandelt hatte. „Ich bin es nicht gewöhnt, so lange in meiner ersten Gestalt herumzulaufen. Wenn du weitersuchen willst, müssen wir nach Osten.“

Die Geborene nickte langsam, zog jedoch erst einmal ihr Satellitentelefon aus der Jackentasche, um sich erneut mit Commodus in Verbindung zu setzen.

„Sei vorsichtig“, sagte der Älteste, nachdem sie ihren Bericht beendet hatte. „Ich hatte bereits einen sehr beunruhigenden Anruf von Anzheru.“

„Wenn du denkst, dass wir gegen die Wölfe in den Krieg ziehen werden, dann sag es mir lieber sofort, Gebieter.“ Jasmina biss die Zähne zusammen. Fünf Jahrhunderte lang hatte sie gehofft, nie wieder gegen die Unsterblichen Wölfe des Tibers antreten zu müssen. Commodus zögerte bedauerlicherweise mit der Antwort. Was hatte er ihr alles bei ihrem kurzen Telefonat am Vortag vorenthalten?

„Bitte sag es mir“, presste Jasmina zwischen den Zähnen hervor.

„Ich weiß es nicht. Vincent hat unsere Hilfe erbeten. Von ihm gehen diese Übergriffe nicht aus.“

„Und das glaubst du ihm?“ Es gelang ihr nicht, ihren Abscheu gegen den Obersten der Werwölfe zu verbergen. Vincent höchstpersönlich hatte im letzten großen Krieg zwei ihrer engsten Freunde verbrennen lassen und ihr die Asche geschickt.

„Er hat einen Welpen bei Anzheru zurückgelassen, weil er weiß, dass niemand so dumm ist, ihn anzugreifen. Ja, ich glaube ihm, Jasmina“, sagte Commodus mit Nachdruck. Ihr stockte der Atem. Das war allerdings ein schlagkräftiges Argument.

„Seit wann bekommen die Werwölfe leibliche Kinder?“, brachte Jasmina mühsam heraus.

„Auch das kann ich dir nicht erklären. Verrate es niemandem. Wir versuchen, es solange wie möglich geheim zu halten. Versprich mir, nichts Unüberlegtes zu tun.“

„Ja, Gebieter.“ Das Gespräch war beendet. Sie verstand, warum er sie nicht sofort in alles eingeweiht hatte, trotzdem ärgerte es sie. Igor musterte sie aufmerksam. „Hört sich an, als würde ein Sturm aufziehen.“

„Du sagst es.“ Jasmina schloss zu ihm auf.

„Wollen wir nicht lieber einen Unterschlupf suchen? Die Sonne geht gleich auf.“ Er wies mit dem Kopf zu dem breiter werdenden hellen Streifen am Horizont hinüber.

„Nein, keine Sorge.“ Jasmina zog im Gehen ihre Kapuze über. „Mir passiert schon nichts, dafür bin ich zu alt.“

„Wie alt, wenn ich fragen darf?“ Igor hob unsicher die Brauen, was Jasmina leise schmunzeln ließ. Er war wirklich sehr neugierig. Und das trotz der ungewissen Lage, in der sie sich nun befanden. Irgendwie gefiel Jasmina seine Art, damit umzugehen.

„Du darfst“, sagte sie schließlich. „Achthundert und zwölf Jahre.“

Daraufhin senkte er nur betreten den Blick.

„Möchtest du mir dieses Detail nicht auch über dich verraten?“, fragte Jasmina ironisch. Sie wusste, dass Igor jünger war als sie, die Frage war nur, um wie viele Jahre.

„Dreihundertsiebenundachtzig“, murmelte er leise. Er hatte wohl auf weniger Unterschied gehofft. Zumindest auf weniger als vierhundertfünfundzwanzig Jahre.

Instinkt

Seit Leandros‘ Anruf aus Aberdeen atmete Mira kaum. Anzheru bedauerte, dass er das kleine Flugzeug steuern musste, das sie gemietet hatten, und er sie aus diesem Grund nicht im Arm halten konnte. Eine öffentliche Maschine war mit dem Wolfsjungen im Schlepptau nicht in Frage gekommen. Zum Glück war der Junge auf seinem Sitz eingeschlafen und zog somit keine Aufmerksamkeit auf sich. Von Zeit zu Zeit wischte Mira sich eine Träne aus dem Gesicht. Violetta und Konstantin waren länger als irgendjemand sonst im Clan ihre Freunde gewesen. Allerdings hätte sie sich wohl sowieso nicht von ihm trösten lassen. Seit ihrem Streit über den Wolfsjungen mied Mira konsequent den Blickkontakt zu Anzheru. Langsam ging ihm ihre Sturheit in dieser Sache ziemlich auf die Nerven. Er selbst hätte auch ein paar tröstende Worte oder wenigstens ihre Nähe gebraucht, aber beides verweigerte sie ihm. Es war bereits dunkel, als sie in der Nähe der Festung landeten. Der Junge schlief immer noch. Anzheru nahm ihn hoch, damit er nicht einmal auf die Idee kam, später einen Fluchtversuch zu wagen. Mira stapfte nur mit verschränkten Armen und ihrem Gepäck neben ihm her. Die Mauern der Festung der Ältesten erhoben sich schwer und finster gegen den Sternenhimmel. Die Schäden, die durch Leyths und Miras Flucht verursacht worden waren, schienen mittlerweile behoben. Nur die Brücke auf der Rückseite der Festung hatte Commodus noch nicht wieder errichten lassen. Die Leibwachen beäugten das Kind in Anzherus Arm argwöhnisch. Leyth nahm sie in Empfang.

„Commodus erwartet euch im Saal“, sagte der Hauptmann der Garde mit einem gemessenen Nicken. Mira versuchte, ihn zur Begrüßung anzulächeln, als er ihr die Reisetasche abnahm, aber es gelang ihr nicht ganz. Sie fühlte sich extrem unwohl innerhalb dieser Mauern. Es lag nicht unbedingt an den Erinnerungen an ihre Gefangenschaft, viel mehr fürchtete sie sich vor dem, was vor ihnen lag. Würden die Ältesten den kleinen Jungen etwa in eine der Zellen unterhalb der großen Halle sperren? Er würde sich dort unten in völliger Dunkelheit zu Tode fürchten. Letizia ging es laut Leandros‘ Aussage unter den gegebenen Umständen relativ gut, sie sei bloß sehr müde gewesen. Mira verkrampfte sich der Magen bei dem Gedanken, ihr gegenüber zu treten. Sie kämpfte immer noch mit ihrem eigenen Schmerz, wie sollte sie ein kleines Kind trösten, das gerade seine Eltern verloren hatte? Anzheru war ihr keine Hilfe. Er erweckte den Eindruck immer noch wütend auf sie zu sein, nur weil sie sich ein wenig um den Jungen hatte kümmern wollen. Nicht einmal seinen Namen hatte Mira in Erfahrung gebracht. Sie durfte schließlich nicht mit dem Welpen sprechen. Sie erreichten den besagten Saal. Mira erschauderte unwillkürlich beim Anblick der Tafel mit dem kreisrunden Siegel der Ältesten darauf. Sie heftete den Blick auf Charles, der mit den Händen in den Hosentaschen an der Wand rechts von ihr lehnte. Wie damals schon hatte er ein tröstendes, beruhigendes Lächeln für sie übrig. Anzheru begrüßte derweil Commodus und setzte den Jungen auf einem Hocker ab, der mitten im Raum stand.

„Er ist schmächtiger, als ich dachte“, bemerkte der Hüne. Mira wünschte sich, sie würde ihn besser kennen, um seine Miene und seinen Tonfall deuten zu können.

„Wo ist Asheroth?“, fragte Anzheru mit einem Achselzucken.

„In seinem Quartier“, antwortete Charles. „Letizia hat Alpträume und lässt ihn nicht weg.“

Anzheru wandte sich sichtlich irritiert zu ihm um. Auch Mira konnte nicht umhin, ihm einen ungläubigen Blick zuzuwerfen. Der Leibwächter richtete sich auf. „Ich hätte mich natürlich auch um sie gekümmert, aber seit sie ihn mit Großvater anspricht, gibt er sie nicht mehr her.“

Mira hob verblüfft die Brauen. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. „Ich sage ihm Bescheid“, sagte sie schnell und verließ den Saal, ohne Anzherus Reaktion abzuwarten. Der Weg hinauf zu den persönlichen Quartieren der Ältesten war leicht zu finden. Achilleas kam ihr auf dem mäßig erleuchteten Korridor entgegen.

„Hallo, Liebes“, grüßte sie der Spartaner mit einem herzlichen Lächeln. Es tat unheimlich gut, ihn zu sehen. Mira ließ sich bereitwillig von ihm umarmen.

„Wie gefällt dir die Moderne?“, fragte sie, um noch ein paar Sekunden Aufschub zu gewinnen.

„Nun ja… Sie ist mir zu laut. Manchmal hatte ich auf der Reise das Gefühl, die Menschen wären wirklich überall.“ Er ließ sie los. „Andererseits gibt es wirklich sehr schöne Orte, die ich noch nicht kannte.“

Mira hätte am liebsten nach Beispielen gefragt, aber sie wusste, dass Achilleas ihre Taktik durchschaute. Seine Miene wurde ernster. „Du bist wegen Letizia hier oben?“

„Ja.“

„Asheroth hat sein Quartier am Ende des Korridors auf der linken Seite.“ Er ließ sie allein zurück und machte sich wahrscheinlich auf den Weg zum Saal, in dem Anzheru und die anderen warteten. Mira blieb vor der schweren, dunklen Holztür stehen. Sie atmete ein letztes Mal tief durch, dann hob sie die Hand, um anzuklopfen. Asheroth kam ihr jedoch zuvor. Er zog die Tür einen Spalt breit auf und legte den Finger an die Lippen.

„Sie ist endlich wieder eingeschlafen“, flüsterte er, nachdem er sich durch den Türspalt auf den Korridor hinaus geschoben hatte. „Ihre Träume lassen ihr keine Ruhe.“

„Ich kann mir vorstellen, warum.“ Mira verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich will bei ihr sein, wenn sie aufwacht.“

„Gut, deine Gegenwart tröstet sie bestimmt.“ Asheroth wirkte ein wenig erleichtert, als er sich zum Gehen wandte. Mira hoffte im Stillen, dass er Recht hatte. Sie bewegte sich so leise wie möglich durch sein karg eingerichtetes Quartier. Letizias Herzschlag war bereits im ersten Vorraum zu hören gewesen. Die kleine Tochter ihrer Freunde lag mitten auf Asheroths Bett. Wie immer schlief sie auf dem Rücken und hatte die Gliedmaßen von sich gestreckt. Mira legte sich neben ihr auf die Seite. Nach wenigen Augenblicken erhöhte sich Letizias Puls, ihre Muskeln spannten sich an. Mit einem krampfhaften Atemzug riss sie die Augen auf.

„Ich bin hier“, flüsterte Mira. Etwas Besseres fiel ihr nicht ein. Letizia krabbelte sofort auf sie zu und klammerte sich an sie. Mira schloss die kleine Geborene in die Arme.

„Bitte, geh nicht weg.“

„Nein. Ganz bestimmt nicht.“

Anzheru gesellte sich zu Charles an die Wand des Saals, während die Ältesten den seltsamen Jungen begutachteten.

„Hast du etwas gesehen?“, fragte Asheroth an Commodus gewandt. Der Hüne schüttelte den Kopf. Manchmal sah er, was in anderen Geschöpfen verborgen war, wenn er ihnen zum ersten Mal begegnete. Der Welpe schien jedoch nichts zu verstecken. Asheroth tastete seine Schläfen ab. „Wo sind deine Eltern?“

Er hob nur hilflos die Arme.

„Kennst du sie?“, fragte Asheroth weiter.

„Ich darf nichts sagen.“ Der Junge schüttelte den Kopf und schaute mit einem Mal so traurig drein, als würde er gleich wieder anfangen zu weinen.

„Kommen dir diese Augen auch so bekannt vor?“, brummte Achilleas.

„Ja, allerdings“, stimmte Commodus zu.

„Woher?“, fragte Anzheru vorsichtig. Da er Achilleas noch nicht näher kannte, versuchte er noch, sich möglichst im Hintergrund zu halten.

„Irsia“, erwiderte Achilleas knapp. Der Welpe in Menschengestalt schaute ihn nur ängstlich an. Er kannte diesen Namen offenbar nicht.

„Eine der Schwestern von Hector?“, fragte Anzheru, um sicher zu gehen. Über den Ursprung der Schattenwandler war er mittlerweile aufgeklärt worden, über den der Werwölfe nicht. Er war sich nicht einmal sicher, ob die Ältesten etwas Näheres darüber wussten.

„Ganz genau.“ Achilleas schob den Unterkiefer vor.

„Irsia ist schon lange tot“, warf Commodus ein.

„Sie selbst ja…“ Asheroth strich über die Schlüsselbeine des Jungen, dann sein Brustbein hinab. „Aber ihre Tochter ist vielleicht entkommen.“

„Möglich.“ Achilleas zuckte mit den Schultern. Dieser seltsame Dialog begann an Anzherus Nerven zu zerren. Charles hingegen blieb die Ruhe in Person. Plötzlich ertönte ein leises Knurren. Asheroth hielt mitten in seiner Untersuchung inne.

„Du bist sehr hungrig, nicht wahr?“, fragte er den Welpen. Dieser nickte eifrig. Es musste sein Magen gewesen sein.

„Hast du einen Namen?“

„Philippe.“ Die Stimme des Jungen klang recht heiser. Anzheru fiel erst jetzt auf, dass er ihm nicht einmal Wasser zu trinken gegeben hatte, seit sich der Junge in seiner Obhut befand.

„Soll ich auf die Jagd gehen, Gebieter?“, bot Charles an.

„Nein, warte.“ Asheroth rieb sich nachdenklich das Kinn. „Was isst du normalerweise, Philippe?“

„Alles.“ Der Junge hob unsicher die Schultern. „Nudeln wären toll.“

Einen Augenblick herrschte verblüfftes Schweigen, dann bot Charles erneut an, auch das zu übernehmen. Asheroth schickte ihn mit Philippe fort. Die Aussicht auf etwas zu Essen hob die Stimmung des Jungen ungemein.

„Was denkst du, Bruder?“ Commodus hob gespannt die Brauen. Asheroth zögerte noch einen Moment mit der Antwort. „Er… ist sehr nah dran, ein Mensch zu sein.“

„Nah dran?“, fragte Achilleas skeptisch.

„Ja, anders kann ich es nicht beschreiben. Er atmet wie ein Mensch und hat offenbar ähnliche Bedürfnisse, aber er stammt von einem Werwolf ab. Wenigstens darin bin ich sicher.“

„Und von wem?“, fragte Anzheru, obwohl er wusste, dass dies über den Tastsinn seines Vaters hinausging. Die Ältesten nahmen derweil an der Tafel Platz.

„Es gibt nur eine logische Erklärung.“ Asheroth biss sich kurz auf die Unterlippe. „Setz dich hin, Sohn. Ich kann verstehen, dass du angespannt bist, aber das Scharren deiner Füße macht mich wahnsinnig.“

Anzheru gehorchte erst nach einem kurzen Zögern. Normalerweise wurde niemandem sonst erlaubt, sich mit ihnen an diesen Tisch zu setzen. Achilleas und Commodus erhoben jedoch keinen Einspruch.

„Bitte fangt für mich ganz vorne an.“ Er wollte diese Sache unbedingt von Grund auf verstehen. Schon allein für den Fall, dass er Mira ein weiteres Mal davon überzeugen musste, sich von diesem Philippe fernzuhalten.

„Wann die ersten Unsterblichen Wölfe existierten, kann ich dir nicht sagen. Wir wissen nur, dass sie ursprünglich ausschließlich die Wolfsgestalt besaßen“, begann Asheroth.

„Der älteste von ihnen, der uns je begegnet ist, war der Alpha-Wolf Uk’shan“, ergänzte Commodus. „Er war derjenige, der sich mit Irsia einließ. Durch sie bekam er eine menschliche Gestalt. Dann übertrug es sich auf sein gesamtes Rudel.“

„Wie hat sie das fertig gebracht?“ Anzheru hob skeptisch die Brauen.

„Sie hat sich ihm mit Leib und Seele hingegeben und sich somit dem Rudel angeschlossen.“ Asheroth lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Irsia selbst wurde durch ihre Verbindung zu Uk’shan unsterblich, aber sie behielt ihre Gestalt. Deshalb war sie wohl auch dazu in der Lage, seine Jungen zu gebären.“

„Es waren Zwillinge.“ Achilleas schaltete sich wieder in die Unterhaltung ein. Es hatte Anzheru schon die ganze Zeit gewundert, wie schweigsam er bisher gewesen war.

„Ein Sohn und eine Tochter. Den ersten unfreiwilligen Kontakt zu dieser Sippe hatten wir, als Irsia herausfand, dass wir ihren Bruder getötet hatten. Du weißt, dass Hector wahnsinnig war?“

Anzheru nickte.

„Bei ihr war es noch viel schlimmer. Es lag nicht nur am Racheschwur ihrer Familie. Uk’shan hatte ebenfalls über irgendetwas den Verstand verloren und schien es auf sie übertragen zu haben.“

An dieser Stelle stutzte Anzheru. „Unter den alten Werwölfen herrscht heute noch dieser merkwürdige Wahn.“

„Richtig“, gestand Achilleas ihm zu. „Aber wie es sich übertragen hat, haben wir nie erfahren. Uk’shan wurde von seinen eigenen Wölfen getötet, Irsia und ihr gemeinsamer Sohn ebenfalls.“

„Ihre Tochter Ofira hingegen könnte den Übergriff überlebt haben“, sagte Asheroth nachdenklich. „Sie erbte die Wolfsgestalt nicht. Ofira war wie ihre Mutter, äußerlich nur ein Mensch. Und auch der Wahn übertrug sich nicht auf sie.“

„Ihr kennt sie?“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Achilleas schnaubte leise. „Ja, ein paar Jahre bevor die Wölfe sich gegen ihren Alpha erhoben, fiel sie uns in die Hände. Wir hatten gehofft, dass sie uns nicht angreifen würden, solange wir Ofira als Gefangene hatten, aber da haben wir uns gründlich geirrt. Weder Uk’shan noch Irsia lag das Mädchen besonders am Herzen.“

„Warum das?“, hakte Anzheru nach.

„Liegt das nicht auf der Hand?“, gab Asheroth zurück. „Ofira war weder dazu in der Lage zu kämpfen, noch für das Rudel zu jagen. Sie besaß folglich keinen Nutzen.“

Anzheru kommentierte diese Aussage lieber nicht. Diese Betrachtungsweise für das eigene Kind widerte ihn jetzt schon an.

„Logischerweise besaß sie somit auch keine Befehlsgewalt im Rudel. Es könnte sein, dass die Wölfe Ofira aus Desinteresse nur verstoßen und nicht getötet haben“, fuhr Asheroth fort. „Und sie ist die Einzige, die meiner Meinung nach Philippes Mutter sein könnte. Es gibt schließlich keine weiblichen Unsterblichen Wölfe und sterbliche Frauen können keine Kinder von männlichen Werwölfen empfangen.“

Das klang einleuchtend. „Sein Vater wäre demnach ein Mensch?“

„Höchstwahrscheinlich, aber das Wolfserbe ist in ihm immer noch vorhanden.“ Asheroths Miene wurde finster. „Die Frage ist nur, inwiefern sich das äußern wird, wenn er älter wird.“

„Das ist im Moment nicht unsere größte Sorge“, warf Commodus ein. „Wir sollten den Hinweisen auf die unbekannten Werwölfe nachgehen.“

„Was schlägst du vor, Bruder?“ Achilleas bleckte die Zähne. Er schien es kaum erwarten zu können, Aberdeen wieder zu verlassen.

„Ich werde die afrikanischen Clans besuchen. Wenn sie bereit dazu sind, mit mir zu reden, auch die dort ansässigen Gestaltwandler. In Ostasien ist bereits Jasmina auf Spurensuche. Dort müssen wir niemanden hinschicken.“ Commodus legte die Stirn in Falten, während er sprach.

„Ist sie allein unterwegs?“, fragte Asheroth beiläufig.

„Nein, Igor begleitet sie.“

Anzheru konnte im Gesicht seines Onkels erkennen, dass ihn diese Tatsache in irgendeiner Art beunruhigte. Vermutlich traute er dem relativ jungen Gestaltwandler nicht zu, ihr im Ernstfall nennenswert helfen zu können.

„In Nordamerika ist die Lage wohl am schwierigsten“, fuhr Commodus fort. „Ich schlage vor, ihr fliegt gemeinsam hin.“

Asheroth nickte zustimmend. „Früher oder später werden wir uns sowieso aufteilen müssen.“

„Ich würde euch gern begleiten. William hat mich ohnehin um meine Hilfe gebeten.“ Anzheru straffte die Schultern. Die Blicke der Ältesten richteten sich auf ihn, als hätten sie ernste Zweifel an seinen Worten.

„Wie stellst du dir das vor? Willst du deine Frau auf diese Reise mitnehmen?“ Asheroth neigte leicht den Kopf. „Ihr solltet schließlich nicht allzu lange voneinander getrennt sein.“

„Und die Kleine?“, ergänzte Achilleas.

Das hatte Anzheru allerdings noch nicht bedacht. Plötzlich war er für eine ganze Familie verantwortlich geworden. Eine ganz andere Frage drängte sich ihm von neuem auf. Über die Erzählung über die Unsterblichen Wölfe hatte er sie vorerst vergessen. „Welches Interesse haben die Wölfe eigentlich an Letizia?“

Die Ältesten schwiegen. Sein Vater musterte ihn einen Augenblick. „Als du damals von den Wölfen verschleppt wurdest, vermutete ich, Vincent würde mich unter Druck setzen wollen. Wir waren schließlich im Krieg. Aber nun…“ Asheroth schüttelte sacht den Kopf.

„Nun fragst du dich, ob dieser Angriff wirklich von ihm ausgegangen ist“, erriet Anzheru seine Gedanken.

„Ich sollte Vincent bei Gelegenheit darauf ansprechen. Schließlich verlangt er, dass wir auch Philippe beschützen. Ich wüsste zu gern, wovor.“

„Wenn diese unbekannten Werwölfe es also auf junge geborene Vampire abgesehen haben, müssen wir jetzt entscheiden, was sicherer ist. Diese Festung oder die unmittelbare Nähe zu uns.“ Achilleas brachte es damit auf den Punkt. Commodus erhob sich. „Wenn niemand Einwände hat, sage ich, wir räumen die Festung. Da wir alle gehen, ist dies hier nicht mehr der sicherste Ort für die Kinder. Elvera und Leyth werden mich begleiten. Den Rest der Garde könnt ihr unter euch aufteilen, sorgt nur dafür, dass Philippe permanent bewacht wird und ihr euch nie allzu weit von ihm entfernt.“ Der Hüne verließ die Tafel, wandte sich jedoch noch einmal zu Anzheru um. „Du solltest erst mit Mira besprechen, wohin ihr geht, Neffe. Die Hauptsache ist, dass ihr euer Mündel beschützt. Das ist Letizia schließlich ab sofort.“

Damit hatte Commodus die letzte Formalität erledigt. Und Recht hatte er auch, was die Absprache mit Mira anging. Wie immer. Anzheru schwirrte ein wenig der Kopf, als er die Treppe hinauf stieg, die in den Wohnflügel mündete. Am einfachsten war es wohl, Mira um ein paar Tropfen Blut zu bitten. Dann würde sie alles Nötige wissen. Anzheru rieb sich den Nacken, als er Asheroths Quartier betrat. Er war sehr lange nicht hier gewesen. Äußerlich hatte sich kaum etwas verändert, im Wohnraum waren nur ein paar Bücher hinzugekommen. Erst im angrenzenden Schlafraum fand er seine Gefährtin und ihr nun gemeinsames Mündel. Mira lag mit dem Rücken zu ihm auf dem Bett.

„Mira, wir…“

Weiter kam Anzheru nicht. In einer einzigen Bewegung war seine Gefährtin auf den Füßen und baute sich zwischen ihm und Letizia auf wie eine Leopardin, die ihr Junges in Gefahr sah. Ihre Augen waren eisblau, aus ihrer Kehle drang ein dunkles, aggressives Grollen. „Sie nimmst du mir nicht weg!

„Was?“ Anzheru war sprachlos. Wie kam sie denn bloß auf so etwas?

„Du hast mich verstanden!“

Er wagte nicht, sich auch nur einen Millimeter zu rühren. Eine falsche Bewegung und sie würde ihn allen Ernstes angreifen.

„Ja… Mira, niemand nimmt sie dir weg. Die Ältesten haben gerade zugestimmt, dass wir sie als Mündel annehmen dürfen.“ Anzheru wich sogar einen Schritt zurück, bevor er beschwichtigend die Arme hob. Er schüttelte fassungslos den Kopf. Ihr Verhalten ergab keinen Sinn, Mira musste aus reinem Instinkt handeln. Noch nie hatte sie ihm ernstzunehmend gedroht. Letizia krabbelte über das Bett auf sie zu und zupfte am Saum ihrer Jacke.

„Was ist denn passiert?“, fragte die kleine Geborene verunsichert. Mira entspannte sich ein wenig und wandte sich zu ihr um. „Das erkläre ich dir später, Kleines.“

„Die Ältesten verlassen die Festung. Wir müssen uns entscheiden, ob wir mit Asheroth und Achilleas nach Kanada reisen oder mit ihr nach Hause fahren“, sagte Anzheru knapp. Zu der geplanten ausführlichen Erklärung war er im Moment nicht mehr in der Lage. Er wusste tatsächlich nicht mehr, wie er mit seiner geliebten Tageswandlerin umgehen sollte.

„Und der Junge?“ Miras Augen wurden schmal.

Philippe geht mit Asheroth. In seiner oder Achilleas‘ Nähe ist er am besten aufgehoben.“ Anzheru machte noch einen Schritt zurück, auch wenn seine Gefährtin ihre aggressive Haltung aufgegeben hatte. „Ich würde gern William besuchen und sehen, wie es um ihn und seine Verbündeten steht. Wenn du lieber nach Hause willst, solltest du dich bis morgen früh entschieden haben.“

Ohne ein weiteres Wort verließ er das Quartier seines Vaters und lehnte sich auf dem Korridor neben der geschlossenen Tür an die Wand. Wie war es bloß soweit gekommen? Langsam dämmerte ihm, dass er gegen eine Art mütterlichen Instinkt von Mira gehandelt haben musste, als er ihr den Welpen weggenommen hatte. Da sie keine Vorbehalte gegen die Werwölfe hatte, hatte sie nur ein hilfloses Kind in Philippe gesehen. Anzheru hatte sie doch nicht verletzen wollen. Und noch weniger hatte er gewollt, dass sie Letizia von ihm abschirmte.

„Was hast du angerichtet?“

Anzheru wandte ruckartig den Kopf. Achilleas stand mit verschränkten Armen am Ende des Korridors und musterte ihn vorwurfsvoll. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.

„Bei allem nötigen Respekt, halte dich bitte daraus, Gebieter“, presste er mit zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Wie schön du dich ausdrücken kannst“, zischte Achilleas, verschwand jedoch zum Glück in seinem Quartier, statt Anzheru weiter zu bedrängen.

Hierarchie

Igor rieb nervös die Finger aneinander. Er fühlte sich nie ganz wohl in engen Fahrzeugen. Zudem trat Jasmina ziemlich aufs Gas. Sie hatten noch einige Kilometer zu Fuß zurückgelegt, dann hatte die geborene Vampirin in der ersten menschlichen Stadt ein Auto erstanden. Igor hatte sich ein wenig gewundert, wie bereitwillig der Sterbliche ihrem ersten Angebot zugestimmt hatte. Es schien doch etwas Wahres daran zu sein, dass vor allem Vampirinnen alles von Sterblichen bekamen, was sie verlangten. Die verspiegelte Sonnenbrille, die sie innerhalb der Stadt getragen hatte, lag nun auf dem Armaturenbrett.

„Fürchten sich die Menschen so sehr vor deinen Augen?“, fragte Igor gedankenverloren.

„Auf den ersten Blick halten sie das Blau manchmal für künstliche Linsen, aber wenn sie näher hinsehen ja.“ Jasmina strich eine blonde Strähne hinter ihr Ohr zurück. Der Hyänenmann schaute sie von der Seite an. Hätte er sie nicht bereits einmal mit eigenen Augen kämpfen sehen, hätte er niemandem glauben wollen, dass sie eine ausgezeichnete Kriegerin war. Vielleicht machte sie das umso gefährlicher. Ihr Haar hatte sie nur müßig hochgesteckt, die losen Strähnen fielen jedoch perfekt um ihr ebenmäßiges Gesicht. Ihre Nase setzte einen hübschen Akzent in ihrem Profil. Ihr dünnes schwarzes Shirt war weit genug ausgeschnitten, dass Igor ihre sich leicht abzeichnenden Schlüsselbeine sehen konnte. Und auch noch ein bisschen Haut darunter.

„Musst du manchmal noch schlafen?“, fragte Jasmina aus dem Nichts. Igor sank ein wenig tiefer in den Sitz hinein. „Nein.“

„Aber atmen doch ganz bestimmt?“

„Ja.“ Seine Stimme klang viel unsicherer, als er wollte.

„Dann vergiss es bitte nicht.“ Jasmina hatte offenbar bemerkt, wie intensiv er sie gemustert hatte. Hatte Igor wirklich nicht geatmet und sich so verraten? Er heftete den Blick wieder starr auf die Straße. Die Vampirin stupste ihn sanft mit dem Ellbogen an. Dem Lächeln nach zu urteilen, das er dann zu sehen bekam, störte Jasmina sein Verhalten nicht. Vielleicht sollte er das Gespräch noch ein bisschen fortsetzen. „Du musst nicht atmen?“

„Nein.“

„Schlafen?“

„Nein.“

„Wann muss ich damit rechnen, dass du durstig wirst?“ Igor war bewusst, dass diese Frage nicht ganz ungefährlich war. Schließlich war im Moment keine potenzielle Beute in der Nähe. Außer ihm.

„Das kommt ein bisschen darauf an, wie anstrengend die nächsten Tage werden. Und eigentlich sind wir Vampire immer durstig, die Frage ist nur, wann wir diesem Drang nachgeben.“

Wie ruhig sie darüber sprach, ließ Igor leicht erschaudern. Unvermittelt bremste Jasmina den Wagen auf eine Geschwindigkeit herunter, die sogar ein Sterblicher zu Fuß geschafft hätte.

„Die Hütte.“, sagte sie nur und wies nach rechts. Igor folgte ihrem Blick. Auf einem sanften Hügel in einiger Entfernung stand ein verfallenes Haus. Einige Dachziegel fehlten und die Fensterscheiben waren zerbrochen.

„Siehst du etwas, das mir entgeht?“, fragte Igor leise, obwohl das Motorengeräusch sie sowieso längst angekündigt hätte.

„Nein, ich sehe nichts. Es ist nur so ein Gefühl.“ Mit diesen Worten stoppte sie den Wagen endgültig und bedeutete ihm, auszusteigen. Igor lauschte. Es war bereits wieder dunkel geworden. Ein dumpfes, unregelmäßiges Dröhnen drang aus der Hütte. Konnte es sich um einen Herzschlag handeln? Je näher sie der verfallenen Hütte kamen, desto deutlicher nahm Igor einen bitteren, fremden Geruch wahr. Jasmina zog bereits ihr Schwert und machte sich offenbar kampfbereit. Vorsichtshalber nahm Igor seine Hyänengestalt an. Plötzlich brach eine Gestalt durch die gesplitterte Holztür. Schwarze, glänzende Augen starrten sie aus einem entstellten Gesicht an. Igor sprang zur Seite, um dem Werwolf auszuweichen. In der Hütte verbarg sich noch ein zweites dieser merkwürdigen Geschöpfe. Igor konnte ihn hören. Marcus hatte ihm einmal erzählt, dass die Werwölfe im Gegensatz zu den Gestaltwandlern ihre Gestalt nicht beliebig wechseln konnten. Im Tageslicht waren sie Wölfe, in der Nacht wurden sie zu Menschen. Der zweite Werwolf schlich wesentlich umsichtiger aus der Ruine. Jasmina hieb mit ihrem Schwert auf den aggressiveren der Wölfe ein, musste sich jedoch im nächsten Moment unter seiner Klaue wegducken. Igor rechnete fest damit, dass der zweite Werwolf ihn angreifen würde, doch auch er sprang sofort auf die Vampirin zu. Ohne das geringste Zögern fiel Igor ihn von der Seite an und verbiss sich in seinem Arm. Seine Zähne waren stark genug, um den Knochen des Werwolfs zu brechen. Igor hörte seinen Gegner vor Schmerzen brüllen, dachte jedoch nicht daran, von ihm abzulassen. Sie wälzten sich noch einige Sekunden über den Boden, dann erschien Jasmina plötzlich aus dem Nichts und trennte den Kopf des Werwolfs mit einem erschreckend sauberen Schnitt ab. Damit waren beide Angreifer tot.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie. Dieses Mal dachte er daran, sich zurück in einen Menschen zu verwandeln, bevor er ihr antwortete.

„Nichts Ernstes passiert.“ Igor spürte, dass er ein paar leichte Blessuren davon getragen hatte, aber der Werwolf hatte ihn weder gekratzt noch gebissen. Ihre Bisse waren laut Marcus‘ Erzählungen das Schlimmste, weil sie giftig waren. Jasmina schien ebenfalls unversehrt, nur ihr Gesicht war mit Blutspritzern besudelt.

„Leider können das hier nicht alle gewesen sein, dafür gab es zu viele Spuren.“ Jasmina wischte sich mit dem Ärmel durchs Gesicht. „Ich werde sie weiter verfolgen. Willst du umkehren? Ich kann nicht verlangen, dass du mich weiterhin begleitest, denn wir befinden uns ziemlich genau an der Grenze meines Landes.“

Igor hob erstaunt die Brauen. „Wohin umkehren? Wir sind von deinem Zuhause aufgebrochen.“

„Oh, richtig. Entschuldige.“ Es schien ihr tatsächlich peinlich zu sein.

„Halb so wild, ich habe seit vielen Jahren keine feste Bleibe. So oder so will ich dich nicht alleine gehen lassen.“ Erst als er es ausgesprochen hatte, wurde Igor bewusst, wie lächerlich diese Aussage war. Jasmina war durchaus in der Lage, sich selbst zu beschützen. Das hatte sie gerade wieder einmal bewiesen. Zu seinem Erstaunen lächelte sie ihn an. Ihre wunderschönen, eisblauen Augen schauten ihn weder herablassend noch entnervt an. Im Gegenteil.

„Gut, dann zurück zum Auto. Keine Müdigkeit vorschützen!“, sagte sie fröhlich und ging mit federnden Schritten voran. Igor traute seinen Ohren nicht ganz. Das Oberhaupt des Östlichen Vampir-Clans ließ sich im Ernstfall doch nicht von ihm bevormunden?

„Hoffentlich bereust du deine Entscheidung nicht“, sagte Jasmina leise, als sie längst wieder am Steuer des Wagens saß.

„Bestimmt nicht.“ Igor wandte den Kopf, um sie wieder anzusehen. Das hätte er am liebsten noch die ganze Nacht getan. Und warum nicht auch noch den folgenden Tag?

„Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen. Diese Werwölfe waren sehr jung. Gegen ihre Alten zu kämpfen ist wesentlich schwieriger.“ Sie strich eine blonde Strähne hinter ihr Ohr.

„Hast du schon einmal so einem alten Wolf gegenüber gestanden?“, fragte Igor neugierig.

„Ja, zum Glück war Commodus persönlich an meiner Seite, sonst würde ich wohl kaum hier sitzen.“

Der Gestaltwandler nickte aufmerksam. Ihm war damals schon aufgefallen, dass Jasmina und der Hüne unter den Vampir-Ältesten sich nahe standen.

„Und dank dir habe ich mir auch heute keine Vergiftung zugezogen.“ Die Vampirin stieß ihn sanft mit dem Ellbogen gegen den Arm. Igor lächelte schüchtern zurück. „Du hast die beiden besiegt.“

„Getötet ja, aber wenn mich beide zugleich attackiert hätten, wäre ich wohl kaum ohne wenigstens eine Bisswunde und ein Dutzend Kratzer davongekommen.“

Igor rieb sich nachdenklich das Kinn. „Ich habe mich gewundert, dass auch der Zweite sofort dich angegriffen hat. Er muss doch damit gerechnet haben, dass ich ihm in die Flanke fallen könnte.“

„Nicht unbedingt. Junge Werwölfe greifen immer den stärksten Gegner zuerst an. Das ist typisch für ihr instinktives Hierarchieverständnis. Sie müssen gerochen haben, dass ich die Ältere bin.“ Jasmina berührte erneut seinen Arm. „Wenn sie den Alpha besiegen, unterwirft sich normalerweise das gegnerische Rudel und nach diesem Prinzip kämpfen sie am Anfang immer. Auch gegen uns. Taktisches Denken erlangen sie erst mit einer gewissen Kampferfahrung. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich nicht von uns.“

Igor nickte sacht. „Marcus hat gesagt, der Alpha eines Rudels könnte die anderen in gewissem Umfang steuern.“

„Ja, das vermuten wir auch schon lange“, knurrte die Vampirin. „Das würde einige ausgezeichnet koordinierte Angriffe erklären.“

Der Gestaltwandler zog leicht die Schultern hoch. Jasminas Abneigung gegen die Werwölfe saß wirklich tief. Darüber dachte Igor allerdings nicht mehr nach, als sie zum dritten Mal mit voller Absicht seinen Arm berührte. Ihre kühlen Fingerspitzen strichen über sein Handgelenk und dann über seine Handfläche. Er dachte nicht daran, sich auch nur einen Millimeter zu rühren.

„Hoffentlich bereust du es nicht“, wiederholte die geborene Vampirin leise. Es klang ein wenig nach Besorgnis, als ob Jasmina sich für ihn verantwortlich fühlte.

Trost

Sonnenstrahlen fielen durch die deckenhohen Fenster in den weitläufigen Saal im Erdgeschoss der Festung von Aberdeen. Er wurde nur für Feierlichkeiten genutzt und war im Moment gähnend leer. Mira stand an der Kurzseite, seitlich zum Licht und betrachtete einen kunstvoll gewebten Wandteppich, der nicht ganz in die öde Halle passen wollte. Schritte näherten sich ihr. Sie klangen zu sanft, um von einem männlichen Vampir zu stammen.

„Wir werden bald aufbrechen. Die Leibwache steht schon bereit.“ Elveras Stimme allein ließ einen ihre Vollkommenheit spüren. Mira wandte sich mit einer leichten Verbeugung zu ihr um.

„Marek sagte mir, du fliegst mit deinem Gefährten nach Nordamerika?“

„Ja…“ Mira wusste nicht, wie sie Elvera standesgemäß ansprechen musste. Damals kurz vor der Schlacht gegen die Garde und Dragos Hunde war es unwichtig gewesen.

„Gebieterin“, fügte sie unsicher hinzu. Elvera runzelte leicht die Stirn. „Sprich mich bitte mit meinem Namen an. Wenigstens du. Es reicht mir schon, dass Leyth sich diese Förmlichkeiten niemals abgewöhnen lassen wird.“

„Ja, Elvera.“ Mira lächelte überrascht über ihre Einstellung. Die Entscheidung, den Ältesten nach Amerika zu folgen, war allerdings leicht gefallen. Sie wollte nicht unwissend zu Hause sitzen und darauf warten, dass die Werwölfe vielleicht kamen. Wo sie Letizia beschützten, spielte letztendlich keine Rolle, wenn sie immer noch auf der Liste des unbekannten Alphas stand. Anzheru hatte nur knapp genickt. Das Schweigen zwischen ihnen war eisig wie nie zuvor.

„Passt auf euch auf.“ Elvera lächelte sie aufmunternd an. Sie schien zu ahnen, dass etwas zwischen Mira und Anzheru nicht stimmte, aber sie ging nicht darauf ein.

„Das werden wir.“ Mira dankte ihr ihre Zurückhaltung mit einem ergebenen Nicken, dann studierte sie erneut das goldene Muster, das in den Teppich eingewebt worden war. Was es wohl darstellen sollte?

„Für meinen ersten Versuch ist er gar nicht so schlecht, was meinst du?“

Mira wandte verblüfft den Kopf. „Den hast du ganz allein geknüpft?“

Dieses Kunstwerk musste mehrere Quadratmeter groß sein und selbst eine Vampirin unzählige Stunden Arbeit gekostet haben. Elvera neigte sich ein wenig zu ihr hinüber. „Ja… ich hatte in all den Jahren Zeit, mir ein paar schöne Fähigkeiten anzueignen, wie Asheroth es nennt.“

Mira beschlich das Gefühl, ein empfindliches Thema erwischt zu haben. Bei anderen älteren Vampirinnen, die sie mittlerweile kennen gelernt hatte, hätte sie aus Neugier weiter gefragt, aber Elvera gegenüber erschien ihr dies unangemessen.

„Ich habe noch einen Zweiten. Ich denke, ich werde ihn oben auf dem Korridor zum Empfangssaal aufhängen, wenn mein Gemahl gerade nicht hinsieht.“ Die Augen der ältesten Vampirin funkelten sie an, als wären sie gerade eine durchtriebene Verschwörung eingegangen. Mira musste unwillkürlich lachen.

„Ich verrate ihm nichts“, flüsterte sie. Kurz darauf erschien Charles im Eingangsportal der Halle. „Wir brechen jetzt auf, Mira.“

Sie verabschiedete sich von Elvera, dann folgte sie dem Leibwächter hinaus.

„Wo hast du eigentlich Steven gelassen?“, fragte sie beiläufig. Charles ließ ihr den Vortritt auf den Innenhof der Festung. „Er ist schon vor einiger Zeit nach Hause geflogen. Er wollte ein neues Leben ohne seine Familie beginnen.“ Seine Stimme klang neutral.

„Das wundert mich ein wenig, Steven hat so verliebt in dich gewirkt“, hakte Mira vorsichtig nach. Sie konnte immer noch nicht einschätzen, ob Charles traurig über seinen Verlust war.

„Das war er auch, bis ich mich geweigert habe ihn zu verwandeln.“ Der Leibwächter hob eine schwarze Tasche auf, die neben dem Haupttor der Festung lag und warf sie über die Schulter. „Steven war nur fasziniert, unsere dunklen Seiten blendete er aus.“

Und wirklich geliebt hatte Charles ihn offenbar nicht. Das schloss Mira aus seinem teilnahmslosen Schulterzucken. Anzheru befand sich schon bei den bereitstehenden Wagen und schnallte gerade ein kleines, in Decken gehülltes Bündel auf dem Rücksitz des zweiten großen Autos an. Als er Mira auf sich zukommen sah, hielt er ihr wortlos die Wagentür auf. Ihr Gepäck hatte er wohl auch schon verstaut. Sie nickte steif und setzte sich neben die sorgfältig verhüllte Geborene. Zum Glück schlief Letizia noch tief und fest und versuchte daher nicht, sich aus dem Deckenberg zu befreien. Es würde noch Jahre dauern, bis sie ins Licht treten konnte, ohne sofort in Flammen aufzugehen. Und das obwohl sie ständig mit Mira in Berührung kam. Achilleas und Asheroth verließen gesäumt von den Gardekämpfern die Festung. Mira warf einen Blick durch die Heckscheibe und erschauderte leicht bei ihrem Anblick. Es schien gar nicht so lange her zu sein, dass genau diese Leibwächter ihre Todfeinde gewesen waren. Einer der Vampire trug Philippe im Arm. Der Wolfsjunge schlief offenbar auch noch. Anzheru nickte den Ältesten zu, dann setzte er sich an das Steuer des Wagens. Die Fahrt zum Flughafen verlief in tiefem Schweigen. Mira lauschte Letizias Herzschlag. Manchmal erhöhte er sich, doch sie wachte nicht auf. Erst als es längst dunkel war und sie in einem Flugzeug nach Amerika saßen, öffnete Letizia die Augen. Ständig an anderen Orten aufzuwachen tat ihr mit Sicherheit nicht gut, aber wenigstens ließ sie sich von Mira auf den Schoß nehmen und über die Wange streicheln.

„Warum fliegen wir nicht nach Hause?“, fragte sie nach einer Weile.

„Weil wir nicht wissen, was vor sich geht. Vielleicht ist es zu Hause zu gefährlich.“ Mira versuchte, nicht zu verunsichert zu klingen. Letizia schaute sie jedoch skeptisch an. „Wo ist es denn nicht gefährlich?“

„Es kommt nicht auf den Ort an, sondern darauf, wer bei einem ist“, flüsterte Charles in der Sitzreihe hinter ihnen. Dankbar für seine Worte stupste Mira die Geborene auf ihrem Schoß sanft in die Seite. „Steh auf und sieh dich um.“

Letizia stellte sich barfuß auf ihre Oberschenkel, um die Gardekämpfer und die Ältesten ausgiebig zu mustern. Letztendlich blieb ihr Blick an Anzheru hängen, der neben Leandros saß.

„Das sind viele“, wisperte sie.

„Genau und es gibt kaum jemanden auf der Welt, der ihnen überhaupt das Wasser reichen kann.“ Mira hoffte, dass sie das vorerst beruhigen konnte.

„Was riecht hier so anders?“ Nun klang sie hungrig, weshalb Mira sie fester an sich drückte. Letizia musste Philippes verlockenden Geruch meinen. Der Junge saß neben Asheroth einige Reihen hinter ihnen. Um ein Chaos zu verhindern, hielt Mira ihr das eigene Handgelenk hin. Dass Letizia den Welpen anfiel, konnten sie nun wirklich nicht brauchen.

„Von ihm darfst du nicht trinken“, sagte Mira mit Nachdruck. Die Geborene verzog enttäuscht das Gesicht, begnügte sich dann aber doch mit ihrem Blut.

„Sein Name ist Philippe“, fügte Mira hinzu, in der Hoffnung, dass Letizia ihn nicht mehr als Beute ansah, wenn sie ihn als Person akzeptierte. Der Einblick, den sie gerade in die Gedanken des Kindes hatte, bewies jedoch das Gegenteil. Letizia entwickelte sich zwar unheimlich schnell, aber ihren Jagdtrieb hatte sie noch längst nicht unter Kontrolle. Ohne dass die Geborene etwas davon ahnte, suchte Mira ihre letzten Erinnerungen an ihre Mutter. Violetta war es tatsächlich gelungen, einen der Werwölfe schwer zu verletzen, bevor sie getötet worden war. Sie hatte Letizia verteidigt wie eine Löwin ihr Junges. Der Schmerz über ihren Verlust schien endlos zu sein. Mira fiel es schwer, still zu halten. Wenigstens fürchtete Letizia sich nicht mehr ganz so sehr, seit Achilleas und Asheroth sie gerettet hatten. An dem kanadischen Privat-Flughafen, an dem ihre Maschine landete, wurden sie bereits erwartet. Gerade einmal drei Vampirinnen aus Robins Clan sahen sich mit der gesamten Garde der Leibwache konfrontiert. Etwas verunsichert baten sie die Ältesten, ihnen zu folgen. Mira hielt Letizia an der Hand, während sie das Gebäude verließen. Ohne Vorwarnung riss sie sich los und verschwand blitzschnell zwischen den Leibwachen. Kaum eine Sekunde später hörte Mira den Wolfsjungen verängstigt aufquieken. Leise fluchend schob sie sich an den vielen Vampiren vorbei, bis sie Letizia wiederfand. Anzheru hatte sie geistesgegenwärtig abgefangen und hochgenommen, während Charles Philippe ohnehin bereits abgeschirmt hatte.

„Keine Sorge, es ist nichts passiert“, sagte der Leibwächter ruhig und nahm den Welpen ebenfalls auf den Arm.

„Trotzdem! Mach das nie wieder!“ Mira warf Letizia einen strengen Blick zu. Nebenbei bemerkte sie, dass Robins Vampirinnen sich irritiert zu ihnen umwandten. Welches Kind im Moment gefährlicher war, war offensichtlich. Dennoch wurden beide gleichermaßen argwöhnisch beäugt. Für die Fahrt zum Hauptquartier des Clans standen eine ganze Reihe großer Autos bereit. Mira setzte sich zu Anzheru und Letizia auf die Rückbank eines Jeeps. Die Straße führte immer weiter fort von der menschlichen Zivilisation. Nach etwa zwei Stunden kam ein unerwartet großes Gebäude in Sicht. Erst als sie ausstiegen, konnte Mira das wahre Ausmaß des Hauptquartiers ausmachen. Robin besaß eine Festung, die Aberdeen ernsthaft Konkurrenz machen konnte. Die Tore öffneten sich mit einem lauten Ächzen, woraufhin das Oberhaupt der Kanadischen Vampire sie willkommen hieß. Mira erinnerte sich noch gut an sie. Robin war gemeinsam mit William zu der Versammlung erschienen, auf der Commodus um ihre Hilfe gegen Horatio gebeten hatte. Sie war wie viele Vampirinnen groß und kräftig, hatte dunkle Augen und braunes Haar. Dieses hatte sie seit ihrer letzten Begegnung allerdings um ein gutes Stück gekürzt. Der Kurzhaarschnitt stand ihr ausgezeichnet.

„Ich grüße Euch, Gebieter.“ Robin senkte den Kopf vor den Ältesten, dann wanderte ihr Blick kurz zu Anzheru hinüber. „Ihr wünscht?“

Asheroth trat einen halben Schritt vor. „Du erlaubst, dass wir vorübergehend hier Quartier beziehen? Wir befürchten, dass Werwölfe hinter den Angriffen auf euch stehen, und wollen dem nachgehen.“

Robin nickte sacht. „Ich werde nicht genug Zimmer für alle haben, die Vampire der Ostküste sind ebenfalls hier bei mir.“

„Wo ist William?“, mischte sich Anzheru in die Unterhaltung ein.

„Das… weiß ich nicht.“ Die Vampirin verschränkte fahrig die Finger ineinander. „Er wird seit gestern vermisst.“

Diese Tatsache setzte ihr sichtlich zu. Mira senkte bekümmert den Blick.

„Ich bedaure, das zu hören“, sagte Asheroth leise. „Zeige mir bitte den Körper der Vampirin, die ihr tot aufgefunden habt.“

Robin nickte, von ihren Lippen blieb nur ein schmaler Strich. Während sie den Hof der Festung überquerten, rief sie einigen Vampiren in einem forschen Befehlston zu, die neuen Gäste nach Möglichkeit unterzubringen. Mira und Letizia folgten ihnen mit den Gardekämpfern, Anzheru blieb unmittelbar an Asheroths rechter Seite. Das Innere der Festung war nicht minder imposant. An die Empfangshalle schlossen sich unzählige Korridore an sowie mehrere Treppen, die in die oberen Stockwerke führten. Ein äußerlich alter Vampir führte Mira, ihr Mündel, Charles mit Philippe und Achilleas in den Gästeflügel. Die Gardekämpfer hatten sich bereit erklärt, auf feste Quartiere zu verzichten, da ohnehin nicht genug Platz für sie war. Sie ließen sich bis auf weiteres in den unzähligen Aufenthaltsräumen voller gemütlicher Sessel nieder und warteten auf die Befehle der Ältesten. Außer ihren Waffen hatten sie sowieso kaum etwas bei sich. Mira bekam ein Zimmer mit einem Doppelbett zugewiesen, Letizia würde direkt nebenan schlafen.

„Wenn euch ein gemeinsames Zimmer lieber ist, lässt sich auch das einrichten“, bot der alte Vampir an.

„Nein, danke. Ich denke, so ist es am besten.“ Mira lächelte ihm zu, stellte die Reisetasche in ihrem Zimmer ab und ging dann Letizia hinterher. Die kleine Geborene betrachtete ihr neues Reich ausgiebig. Mit ihrem Zimmer im Hauptquartier des Nördlichen Clans war es natürlich nicht vergleichbar. Ein Bett, ein Schrank, schlichte dunkle Vorhänge vor dem Fenster. Auf Mira wirkte es recht trostlos. Letizia hingegen kletterte auf das Bett und testete erst einmal, wie gut die Matratze ihre Sprünge abfederte.

„Nicht übel“, stellte sie fest und ließ sich flach auf den Bauch fallen. Mira setzte sich mit einem breiten Lächeln zu ihr auf die Bettkante. Letizia rollte sich auf den Rücken.

„Endlich lachst du“, sagte sie grinsend. Mira strich ihr die Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Darauf hast du es angelegt?“

Letizia nickte eifrig. „Seit du nach Aberdeen gekommen bist, guckst du mich immer so traurig an.“

Mira schluckte schwer. Ihr Mündel zeigte ihren Schmerz nicht, damit sie nicht mehr traurig war. Sie legte sich wie in Asheroths Quartier seitlich zu Letizia aufs Bett, sodass sie exakt auf Augenhöhe waren. „Das musst du nicht, hörst du?“

„Was denn?“, fragte die Geborene zurück. Ihre eisblauen Augen schimmerten silbrig hell. Darin unterschieden sie sich von Anzherus Augen. Seine wirkten eher wie Kristalle. Mira zwang sich innerlich, nicht weiter ihren Gedanken über diesen Vergleich nachzuhängen. Sie musste es Letizia erklären. „Es ist in Ordnung, dass du traurig bist. Ja, ich vermisse Violetta und Konstantin auch, aber deshalb musst du nicht für uns beide stark sein.“

„Und Anzheru?“ Letizia streckte ihr die Handfläche hin. Es gehörte zu ihren Gewohnheiten, regelmäßig die Größe ihrer Hände zu vergleichen. Sie hoffte wohl, so groß wie Mira zu werden.

„Es hat ihn bestimmt auch sehr mitgenommen.“ Im Stillen bedauerte sie, sich mit Anzheru zerstritten zu haben. Konstantin war einer der wenigen gewesen, die ihr Gefährte als sehr guten Freund betrachtet hatte. Bereitwillig legte Mira ihre Hand gegen Letizias winzige Finger. Ihrer Miene nach zu urteilen enttäuschte sie das Ergebnis immer noch sehr, obwohl sie unheimlich schnell wuchs. Langsam fielen der Geborenen schon wieder die Augen zu.

„Bist du müde?“, fragte Mira sanft.

„Nein, gar nicht!“

„Ich verrate dir ein kleines Geheimnis“, flüsterte die Vampirin, was ihr Letizias volle Aufmerksamkeit sicherte.

„Achilleas besitzt bessere Ohren als wir beide zusammen. Er hört nicht nur, wenn jemand flüstert, sondern auch wenn jemand lügt.“

Die Geborene machte große Augen.

„Und er wird ziemlich böse, wenn jemand nicht die Wahrheit sagt. Willst du das riskieren?“

Letizia schüttelte den Kopf. Mira lehnte sich zu ihr hinüber, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. „Dann schlaf jetzt ein wenig, Kleines.“

Als sie gerade die Augen schloss, klopfte es leise an die Tür. Anzheru trat ein und versuchte ein Lächeln, als Letizia sich so auf dem Bett verbog, dass sie ihn ansehen konnte.

„Habe ich dich geweckt?“

„Nein, aber ich bin müde.“ Die kleine Geborene streckte die Hände nach ihm aus. Mira setzte sich auf. „Ich würde gern auf die Jagd gehen. Kannst du ein bisschen hier bleiben?“

Anzheru nickte und nahm ihren Platz auf dem Bett ein, während Mira den Raum verließ. Nach der toten Vampirin hatte sie in Letizias Gegenwart nicht fragen wollen. Praktischerweise begegneten ihr Robin und Asheroth auf dem unteren Treppenabsatz, die die Befürchtung bestätigen konnten. Robins Clan-Mitglied war von einem Werwolf getötet worden. Das Oberhaupt der Kanadischen Vampire war sichtlich beunruhigt, obwohl die Ältesten ihr ihre Unterstützung zugesichert hatten.

„Wir sollten zuerst alle verfügbaren Kräfte hier versammeln. Hast du Vampire auf Außenposten stationiert?“, fragte Asheroth. Robin nickte.

„Ruf sie her, du wirst im Ernstfall niemanden entbehren können.“

„Aber dann sind wir quasi blind, Gebieter. Ein grässlicher Vampir namens Santiago hat alle südamerikanischen Clans unterworfen und führt Krieg gegen uns. Ich weiß nicht, wann er das nächste Mal angreift.“

Der Älteste nickte bedächtig. „Sobald sich feindliche Vampire der Festung nähern, werde ich sie bemerken. Verlass dich darauf.“

Robin widerstrebte sein Befehl, aber sie gab ihn an ihren Hauptmann in der Halle weiter.

„Hast du mittlerweile ein Bündnis mit den Gestaltwandlern in der Umgebung?“, fragte Asheroth weiter.

„Ja… Aber der Clan ist recht klein und sie sind weitgehend friedlich. Wir wollten das Bündnis, um sicher zu gehen, dass sie uns nicht auch noch in den Rücken fallen. Außerdem haben wir zwei auffällige Vampire in unseren Reihen, die vielleicht ein Ausgleichsgeschöpf unter ihnen haben. Darum wollten wir uns bei Gelegenheit einmal kümmern. Eine große Hilfe im Krieg sind sie nicht, was ich ihnen noch nicht einmal übel nehmen kann.“

Der Älteste nickte nachdenklich.

„Sollten sie nicht wenigstens gewarnt werden?“, warf Mira ein, die bis jetzt nur still gelauscht hatte.

„Ja, du hast Recht. Wir…“ Asheroth brach im Satz ab und wandte sich um.

„Sie kommt wie gerufen“, murmelte er leise und durchquerte die Eingangshalle. Mira und Robin folgten ihm neugierig auf den Hof hinaus. Genau in der Mitte stand Leandros mit Kila in seinen Armen. Da ihre Füße ein gutes Stück über dem Boden baumelten, vermutete Mira, dass der Leibwächter seine Geliebte nach ihrer Verwandlung aufgefangen hatte.

„Darf ich dann langsam runter?“, fragte Kila gerade liebevoll, als sie die beiden erreichten. Leandros stellte sie auf die Füße und wandte sich mit ernstem Blick zu Asheroth um.

„Ich grüße dich“, sagte dieser zu der zierlichen Adlerfrau. „Weißt du, wo sich die Gestaltwandler in dieser Gegend aufhalten?“

„Sie haben kein festes Quartier“, meldete sich Robin betrübt zu Wort.

„Das macht nichts. Wonach muss ich Ausschau halten?“, fragte Kila mit einem herausfordernden Unterton. Niemand besaß so hervorragende Augen wie sie. Außer ihrer eigenen Schwester und Commodus vielleicht.

„Die meisten sind Hunde, wenige Bären und zwei Otter.“

„Otter?“ Kila war nicht die Einzige, die sich über diese merkwürdige Gestalt wunderte. Robin zuckte unschlüssig mit den Achseln. „Diese braunen pelzigen Tiere, die normalerweise an Flüssen leben und den lieben langen Tag Fische jagen.“

„Ja…“, erwiderte Kila irritiert. „Wie Otter aussehen, weiß ich, aber solche Gestaltwandler sind mir noch nie begegnet.“

„Sie sind meines Wissens nach auch noch sehr jung. Der Clan muss wohl vor ein paar Jahren eine außergewöhnliche Begabte gefunden haben. Der Name ihrer Anführerin lautet Clara, falls dir das hilft, mit ihnen Kontakt aufzunehmen.“

Die Adlerfrau nickte. „Was willst du von ihnen?“

„Warne sie bitte davor, dass definitiv feindliche Werwölfe in der Gegend sind“, sagte Asheroth ruhig. Dennoch erschauderte Kila heftig. „Mondwandler? Hier?“

„Zu unserem Bedauern ja. Und falls sie im Moment Kinder im Clan haben, sollen sie besonders gut auf sie acht geben“, ergänzte der Älteste seine Botschaft.

„Ich richte es ihnen aus.“ Nach diesen Worten küsste Kila Leandros zum Abschied auf die Wange und schwang sich in ihrer imposanten Adlergestalt wieder in die Lüfte. Die altertümliche Bezeichnung Mondwandler war Mira noch nicht oft zu Ohren gekommen. Sie klang wesentlich harmloser als Werwolf. Mit recht finsteren Gedanken überquerte sie den Innenhof der Festung und ging langsam zum Tor hinaus. Letizia hatte im Flugzeug verhältnismäßig viel von ihr getrunken. Der Durst eines Vampirkindes war wirklich erstaunlich. Sie hätte noch nicht unbedingt jagen müssen, aber da Mira davon ausgehen musste, dass sie Letizia in Zukunft öfter nähren würde, sorgte sie lieber für die kommenden Nächte vor. Sie überlegte kurz, ob sie Leandros bitten sollte, sie zu begleiten. Andererseits wollte sie sich nicht allzu weit von der Festung entfernen und ein bisschen Zeit zum Nachdenken würde ihr auch nicht schaden, also ging Mira allein. Nach einer guten Stunde stieß sie auf einen Elch, der allerdings sehr abgemagert wirkte. Außerdem roch er schon von weitem nach einer massiven Infektion. Parasiten hatten ihm ohnehin schon zu viel Blut gestohlen, als dass er noch eine lohnenswerte Beute darstellte. Mira bewegte sich in einem sehr weiten Bogen um die Festung statt immer weiter geradeaus. Was die Ältesten nun wohl planten? Wollten sie aktiv nach ihren unbekannten Feinden suchen, oder würden sie einfach abwarten, bis die Werwölfe kamen? Besonders die Gardekämpfer konnten sehr geduldig sein. Anzheru hatte ihr einmal erzählt, dass es zu seiner Ausbildung als Leibwächter gehört hatte, fünfzehn Stunden warten zu müssen, bis er von einem wehrlosen Sterblichen hatte trinken dürfen. Und vorher hatte Leyth ihm das meiste seines eigenen Blutes genommen. Für jedes ungeduldige Zucken war eine weitere Stunde Wartezeit hinzugekommen. Mira kam diese Lehrmethode etwas merkwürdig vor, aber sie konnte sich vorstellen, dass es eine wahre Zerreißprobe für einen jungen Vampir gewesen war. Plötzlich stieg ihr ein verheißungsvoller Geruch in die Nase. Ganz in der Nähe musste ein Bär sein. Lautlos schlich sie in seine Richtung. Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel, doch Mira ließ sich Zeit. Schließlich wollte sie ihr Beutetier nicht verschrecken. Vor ihr lag ein steil abfallender Abhang. Behutsam ging sie in geduckter Haltung darauf zu, die gemächlichen Schritte des Bären waren schon ganz nah. Er hatte ihr nichtsahnend den mächtigen Rücken zugewandt. Auch den Angriff bemerkte der Bär erst, als es schon zu spät war und Mira die Zähne in seinem Nacken versenkt hatte. Bei Tieren dieser Größe dauerte es eine ganze Weile, bis der Blutverlust sie in die Knie zwang. Vorher trug der Bär Mira unfreiwillig einige Meter über die Felsen und versuchte, sie abzuschütteln. Doch sie war stärker und tötete ihn. Gesättigt erhob sie sich wieder, um zur Festung zurückzukehren. Plötzlich beschlich sie allerdings ein seltsames Gefühl, die vage Vermutung beobachtet zu werden. Argwöhnisch wandte sie sich um. Mira spannte jeden Muskel an, als sich hinter einem entfernten Felsen etwas regte. Sie hörte auf zu atmen, als sie erkannte, dass es ein Werwolf war. Bisher hatte sie zwar Vincent nur in seiner menschlichen Gestalt gesehen, aber trotzdem war sie sich absolut sicher. Seine Kiefer wirkten seltsam verzogen, seine Zähne größer als bei normalen Wölfen. Seine Augen besaßen einen eigenartigen Glanz, der den Verstand eines Unsterblichen verriet. Er näherte sich Mira mit lautlosen Schritten. Je näher er kam, desto deutlicher konnte sie die tiefen Narben unter seinem hellgrauen Fell erkennen. Bereits an der Gewandtheit und Kraft seiner Schritte erkannte Mira, dass sich ein Fluchtversuch nicht lohnte. Dieses Geschöpf würde sie in jedem Fall einholen. Entschlossen ging sie in Angriffshaltung. Zu ihrem Erstaunen hielt der Werwolf inne und schüttelte sacht den Kopf. Nur sehr langsam machte er noch ein paar Schritte auf sie zu, dann knurrte er leise.

„Ich verstehe nicht“, erwiderte Mira unschlüssig. Der Wolf schritt an ihrer rechten Seite vorbei und um sie herum, bis er links neben ihr stand. Unmissverständlich wies er mit dem Kopf nach vorn fort von der Festung.

„Ich werde nicht mit dir gehen!“, fauchte Mira. Hoffentlich hatte Asheroth ihn bereits bemerkt und war schon unterwegs. Sie musste dringend Zeit gewinnen. Der Werwolf schaute sie durchdringend an. Dann sah es tatsächlich so aus, als würde er die Augen verdrehen. Anschließend stieß er mit seiner Schulter gegen Miras Oberschenkel. Werwölfe waren merklich kleiner als die Hunde unter den Gestaltwandlern, aber das machte sie nicht weniger bedrohlich. Offenbar würde es seine letzte Aufforderung sein. Betont langsam folgte Mira ihm über die groben Felsen. Ein leises Knurren in ihrem Rücken bestätigte ihre Befürchtung, dass der Werwolf mit dem hellgrauen Fell nicht allein war. Wo zum Henker blieb Asheroth, wenn sie ihn so dringend brauchte? Sie entfernten sich immer weiter von Robins Festung. Außerdem erschienen immer mehr Werwölfe. Letztendlich zählte Mira siebzehn von ihnen. Sie umringten sie auf dem ebenen Plateau, auf dem sie endlich halt gemacht hatten. Die Sonne brannte gleißend hell auf sie nieder. Nach wenigen Augenblicken erschien ein weiterer Werwolf auf der schmalen Ebene zwischen den unzähligen Felsen. Sein Fell war pechschwarz. Er setzte sich Mira gegenüber auf die Hinterläufe zurück und starrte sie aus seinen dunklen Augen an.

Kindheit

Nachdem sie die sibirische Steppe endlich hinter sich gelassen hatten, hatte Jasmina sich bei den mongolischen Vampiren nach Hinweisen erkundigt. Ihr Gebiet erstreckte sich bis zur pazifischen Küste. Einer ihrer Außenposten hatte vor zwei Tagen einige seltsame Gestalten gesichtet, die in Richtung des Meers gelaufen waren. Nach einer ausgiebigen Recherche in der nächsten Hafenstadt der Sterblichen hatte Jasmina zudem herausgefunden, dass drei Männer mitten in der letzten Nacht ein Flugzeug gestohlen hatten und nach Osten aufgebrochen waren. Die Vampirin kehrte zum vereinbarten Treffpunkt im Hafen zurück, an dem Igor bereits auf sie wartete. Er stand mit verschränkten Armen an eine Kaimauer gelehnt da und starrte auf die gekräuselte Wasseroberfläche.

„Du solltest ab und zu blinzeln, wenn Sterbliche in der Nähe sind“, flüsterte Jasmina ihm zu, bevor sie sich neben ihm an die Steine lehnte. Sie waren noch warm von der Nachmittagssonne. Igor schloss kurz die Augen, dann fragte er, wohin die Reise sie nun führen würde. Jasmina berichtete ihm in Kürze, was sich ergeben hatte. „Am einfachsten ist, wir fliegen nach Alaska. Mit einem gestohlenen Flugzeug sollten sie nicht weit kommen.“

„Und wenn es nur ein paar kriminelle Sterbliche waren?“

Jasmina hob ratlos die Schultern. „Dann haben wir die Spur verloren.“

Igor nickte. Seine Miene war ungewohnt kühl. Woran er wohl dachte? Jasmina hätte gern die verspiegelte Sonnenbrille abgenommen. Wenn der Hyänenmann in ihre Augen sehen konnte, wirkten seine Züge weicher.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte sie, als er sich ohne ein weiteres Wort in Bewegung setzte. Igor warf ihr einen besorgten Blick zu. „Ich habe einen Gestaltwandler in der Stadt entdeckt. Du weißt, wie die Asiatischen Gestaltwandler zu mir stehen?“

„Natürlich. Hat er dich auch wahrgenommen?“

„Ich fürchte ja.“ Igor rieb die Hände an seiner Hose ab. Eine sehr menschliche Verhaltensweise dafür, dass er nicht schwitzte. „Und dich vielleicht auch.“

„Darum machst du dir Sorgen? Ich fürchte sie nicht.“

„Ich weiß“, erwiderte der Hyänenmann mit einem schiefen Lächeln. „Trotzdem wäre es besser, wenn mein alter Clan dich nicht mit mir in Verbindung bringt. Das wird dir nur Ärger mit ihnen einbringen.“

Jasmina zuckte ungerührt mit den Schultern. Sie pflegte, zu ihren Verbündeten zu stehen, egal wer vielleicht etwas dagegen einzuwenden hatte. Wenige Stunden später saßen sie in einem kleinen Flugzeug, das sie nach Amerika bringen würde. Jasmina schaltete auf Autopilot und setzte den Kopfhörer ab. Bei einem kurzen Blick über die Schulter stellte sie überrascht fest, dass Igor sich so fest in seinen Sitz klammerte, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.

„Warum hast du mir nicht vorher gesagt, dass du Flugangst hast?“, fragte sie sanft.

„Hätte das etwas geändert?“ Sogar seine Zähne klapperten, sobald er nicht mehr die Kiefer aufeinander presste.

„Wir hätten vielleicht ein Schiff nehmen können. Oder ich hätte Medikamente besorgt, mit denen selbst du den Flug einfach verschlafen hättest“, schlug Jasmina vor.

„Gibt es so etwas mittlerweile?“

„Für Elefanten ja, einen Versuch wäre es wert.“

Für diese Antwort rang Igor sich endlich wieder ein Lächeln ab. Jasmina kontrollierte noch einmal die Koordinaten des Autopiloten, dann setzte sie sich zu ihm nach hinten.

„Wie viele Stunden dauert diese Reise noch?“, fragte der Gestaltwandler und rieb sich angestrengt die Stirn. Angesichts seiner schlechten Verfassung blieb sie lieber vage. „Viele.“

Igor seufzte leise. „Also passend für eine lange Geschichte?“

Diese ausweichende Antwort war ihm wohl im Gedächtnis geblieben, als er nach ihrer Zugehörigkeit zum Inneren Zirkel gefragt hatte. Wenigstens seine Neugier gab sich nicht geschlagen. Jasmina schmunzelte. Sie mochte die Art, wie seine dunkelbraunen Augen sie hoffnungsvoll ansahen. Er brauchte dringend eine kleine Ablenkung. Sie stützte den Kopf auf. „Du weißt, dass geborene Vampire nur zehn Jahre brauchen, um auszuwachsen?“

Igor nickte.

„Als ich noch ein Kind war, herrschte in Sibirien eine ganze Reihe heftiger Clan-Fehden. Von bis zu dreizehn Clans stritten vier um die Vorherrschaft. Mein Vater dominierte einen davon.“ Jasmina lehnte sich ein wenig zurück. Sie hatte seit Jahrhunderten nicht über diese Dinge gesprochen. „Die Situation war irgendwann recht aussichtslos geworden. Mein Vater sah eine reelle Chance, den Krieg für sich zu entscheiden, wenn er einen der anderen großen Clans als Verbündeten gewann. Ich wusste damals nicht, dass… ich den Preis für das Bündnis bezahlen sollte. Er versprach mich seinem verbündeten Oberhaupt als Kriegsbeute.“

Igors Augen weiteten sich ungläubig. „Beute?“

„Er sagte es nicht einmal meiner Mutter“, erwiderte Jasmina tonlos. „Um sich einen weiteren Vorteil zu verschaffen, wollte er die Unterstützung der Ältesten. Schließlich würde niemand mehr seine Autorität in Frage stellen, wenn der Rat seine Herrschaft nach dem Krieg anerkannte. Mutter redete auf ihn ein, bis er uns beide schließlich mit nach Aberdeen nahm. Sie hatte davon gehört, dass einer der Ältesten einen Sohn hatte und bestand darauf, mich ihm vorzustellen, in der Hoffnung ich würde eine gute Partie machen.“

„Wie alt warst du zu diesem Zeitpunkt?“, hakte Igor nach.

„Acht. Körperlich entsprach ich also durchaus einem heiratsfähigen Mädchen. Zumindest sahen das die Sterblichen damals noch so und Mutter auch.“

„Ich kann mir das kaum vorstellen…“

„Was?“ Jasmina schnaubte ironisch. „Dass ich gebadet, herausgeputzt und in ein hübsches Kleid gesteckt wurde, ob ich wollte oder nicht?“

Er nickte erneut, woraufhin sie nur mit den Schultern zuckte.

„Es waren andere Zeiten damals. Vater wäre nie auf die Idee gekommen, mich das Kämpfen zu lehren. Ich hatte brav zu tun, was er und Mutter verlangten.“ Jasmina schloss kurz die Augen. „Als wir gemeinsam den Saal der Ältesten betraten, lernte ich Asheroth und Commodus kennen. Horatio, Cinric und Seth waren zu jenem Zeitpunkt glücklicherweise nicht in Aberdeen und Achilleas noch verschollen. Du kennst Asheroths Aura?“

„Ja… Fürchterlich.“ Igor erschauderte bei der Erinnerung an die permanente Hoffnungslosigkeit, die von Asheroth ausgegangen war, bevor er sich mit Tove ausgeglichen hatte.

„Ich habe mich dermaßen vor ihm gefürchtet, dass ich sogar vergaß, vor ihm zu knicksen, obwohl Mutter es wochenlang mit mir geübt hatte. Ich konnte nichts anderes tun als ihn mit offenem Mund anzustarren.“ Jasmina verbarg das Gesicht in ihrer Hand. Manche Details dieser Geschichte waren ihr rückblickend peinlich.

„Nichts wofür du dich schämen müsstest.“ Igor schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Als ich ihm zum ersten Mal begegnet bin, dachte ich, er würde Marcus und mich einfach zum Frühstück verspeisen.“

Das glaubte sie ihm sofort und erwiderte sein Lächeln automatisch. „Nun, kurze Zeit später betrat Anzheru den Saal. Er war völlig verdreckt und fremdes Blut klebte an seinem Waffenrock. Daran hat sich aber höchstens meine Mutter gestört. Ich wusste vom ersten Augenblick an, wessen Sohn er war.“

„Das ist auch nicht zu übersehen, er ist Asheroth wie aus dem Gesicht geschnitten.“

Jasmina nickte. „Er ging direkt auf seinen Vater zu, als würde er sich in seiner Nähe nicht fürchten und sagte ihm etwas in einer fremden Sprache. Erst dann wurden wir offiziell einander vorgestellt.“

„Es muss sich großartig angefühlt haben, auf dem Silbertablett serviert zu werden“, kommentierte Igor trocken.

„Du sagst es. Das Schlimmste war, dass Anzheru damals keine Miene verzogen hat. Also wusste ich nicht, was er von mir hält. Mutter und ich durften endlich gehen, als sie begannen, über den Krieg zu sprechen. Ich habe sie bekniet, mich nicht an diesen Vampir zu verheiraten. Alles nur das nicht.“

„Lass mich raten; es hat sie nicht interessiert.“ Igor lehnte sich gespannt vor. Seine Anteilnahme an all dem erstaunte Jasmina zunehmend. „Richtig geraten. Sie sagte mir, Vater habe das letzte Wort. Keiner von uns ahnte, was er tatsächlich mit den Ältesten aushandelte.“

„Erhielt er ihre Unterstützung?“

„Ja, mehr noch, sogar zehn Gardekämpfer bekam er.“ Die Geborene strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Er versprach Commodus, in Sibirien würde Frieden einkehren und er würde eine Lösung finden, die alle vier dominanten Clans zufrieden stellte, wenn er die kleineren Gruppierungen und Clans erst einmal ausgeschaltet hatte. Commodus traute ihm nicht ganz und verlangte eine Sicherheit.“

Igor verzog das Gesicht. „Er hat dich doch nicht etwa in Aberdeen zurückgelassen?“

„Ohne mit der Wimper zu zucken. Mutter konnte nichts dagegen tun und ich blieb allein unter über hundert fremden, männlichen Vampiren.“ Jasmina begann, die widerspenstige Strähne, die einfach nicht hinter ihrem Ohr bleiben wollte, um die Finger zu wickeln. „Und Commodus stellte ausgerechnet Anzheru zu meinem persönlichen Schutz ab. Es war grauenvoll.“

„Wie lange hast du das ausgehalten?“

„In der darauffolgenden Nacht habe ich versucht abzuhauen.“

„Und?“ Der Hyänenmann lauschte wie gebannt, obwohl sie gerade eine kleine Turbulenz durchflogen und das Flugzeug schwankte.

„Ich kam natürlich nicht weit. Anzheru fing mich nur wenige hundert Meter von der Festung entfernt wieder ein.“ An dieser Stelle ließ Jasmina dann doch einige Details aus. Zum Beispiel, dass sie Anzheru einen gestohlenen Dolch zwischen die Rippen gestoßen und Commodus ihren Fluchtversuch persönlich mit zwei Dutzend Stockschlägen geahndet hatte. „Mein Aufenthalt in Aberdeen zog sich immer weiter in die Länge. Irgendwann begann Anzheru aus Langeweile, mir das Kämpfen beizubringen.“

„Aus Langeweile?“, fragte Igor ungläubig.

„Nun, er war daran gewöhnt, an Asheroths Seite durch die Welt zu ziehen. Meinetwegen in Aberdeen festzusitzen gefiel ihm nicht. Er fragte: Kannst du auch etwas anderes als hübsch herumstehen?“

Der Gestaltwandler schnaubte belustigt.

„Zum Glück stellte ich mich als Naturtalent heraus.“

„Das wundert mich nicht.“ Igor neigte den Kopf. Jasmina stupste ihn mit dem Fuß an. „Nach Monaten hieß es dann plötzlich, ich dürfe gehen. Anzheru brachte mich zum Feldlager meines Vaters. Dort belauschte ich durch Zufall ein Gespräch und erfuhr, dass er gelogen hatte. Vater wollte natürlich alle Clans unterwerfen.“

„Und trotzdem durftest du zurück? Er hat Commodus doch hintergangen.“

„Ja…“ Jasmina zog die Knie an. „Ich glaube, Commodus wollte, dass ich selbst erkenne, was nicht stimmte und meinen Weg selbst wähle. Jedenfalls sollte ich in jener Nacht endgültig für einen Gefallen an irgendwen verkauft werden, den ich nicht kannte.“

„Was für einen Gefallen?“

„Den Mord an Vaters verbündetem Clan-Oberhaupt.“ Es trat eine kurze Pause ein. Mit geschlossenen Augen rief sie sich die Bilder des Heerlagers in Erinnerung, die geringschätzige Miene ihres Vaters, als sie unerwartet zurückgekehrt war, und die begierigen Blicke, die ihr durch das gesamte Lager gefolgt waren.

„Du bist geflohen?“, fragte Igor mit sanfter Stimme, weshalb Jasmina ihn wieder ansah. Er bedrängte sie nicht. Wenn es noch von Nöten gewesen wäre, hätte er nur jeden Versuch unternommen, sie zu trösten. Äußerst selten hatte sie so etwas von den Augen eines anderen Geschöpfes ablesen können. „Ja, Anzheru war wohlweislich nur sehr langsam davon geritten. Ich habe ihn recht schnell eingeholt. Mit ihm zurückzugehen schien mir die wesentlich bessere Wahl zu sein, auch wenn wir kein Paar geworden waren. Die Gardekämpfer hielten uns den Rücken frei und schlossen nach und nach zu uns auf. Im Laufe der Monate in Aberdeen hatte ich wesentlich mehr Vertrauen zu Commodus und Anzheru aufgebaut als zu meiner eigenen Familie.“

„Aus gutem Grund“, erwiderte Igor ruhig. „Ich kann dich verstehen, dieser Hüne ist der geborene Anführer und Anzheru verdanke auch ich meine Haut.“

Jasmina nickte. „Den Rest kannst du dir denken. Mein Vater wurde ermordet, als die Gardekämpfer nicht mehr da waren, um ihn zu schützen. Mutter konnte sich gerade noch retten, sie hatte nie an seinen Ränkeschmieden teil gehabt.“

„Und die sibirischen Clans?“

„Es hat Jahrzehnte gedauert, aber irgendwann hatte ich genug treu ergebene Vampire versammelt, um für Ordnung sorgen zu können.“ Die Geborene erhob sich, um nach den Anzeigen im Cockpit zu sehen. „Ich war sowieso zu Commodus‘ Schutzbefohlener geworden. Irgendwann bot er mir an, dem Inneren Zirkel beizutreten, von dem ich bis dahin nie etwas gehört hatte. Du kannst dir vorstellen, welche Ehre es war, dass er mir so großes Vertrauen entgegenbrachte.“

„Und bringt“, ergänzte Igor. Eine ganze Weile herrschte daraufhin Schweigen, sie hingen beide ihren Gedanken nach. Plötzlich durchflogen sie eine weit heftigere Turbulenz als zuvor, weshalb der Hyänenmann sich wieder in seinen Sitz klammerte.

„Keine Sorge, der Himmel ist klar. Wir fliegen nicht in einen Sturm hinein“, versuchte Jasmina ihn erneut zu beruhigen.

„Nächstes Mal probieren wir das Elefanten-Schlafmittel!“, presste er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Die Geborene kam nicht um ein leises Kichern herum, was ihr einen halbwegs finsteren Blick einbrachte. Um sich zu entschuldigen, ergriff sie seine Hand und verschränkte die Finger mit seinen. Erst als sie es getan hatte, bemerkte Jasmina, dass diese Berührung zwischen ihnen viel zu selbstverständlich war. Schließlich saß ein Gestaltwandler neben ihr im Flugzeug und kein Vampir. Allerdings konnte sie längst nicht mehr leugnen, dass sie ihm zarte Gefühle entgegenbrachte, die auch noch auf Erwiderung stießen. Bei ihrer ersten Begegnung damals in ihrem Stützpunkt war Jasmina furchtbar wütend auf Asheroth gewesen, weil er ohne jede Absprache zwei Adlerinnen und zwei Kater in ihr Haus geführt hatte. Doch in den wenigen Wochen hatte sie bemerkt, dass Igor sie bei jeder Gelegenheit verträumt angesehen hatte. Er war ihr gegenüber immer völlig unbefangen gewesen, obwohl sie verkörperte, was Gestaltwandler üblicherweise an Vampiren so sehr verachteten. Viel zu grob entzog sie ihm ihre Hand. Igor schaute sie irritiert und ein wenig traurig an, aber er verstand es und klagte nicht. Natürlich wusste er, dass eine Beziehung zwischen ihnen bei Todesstrafe verboten war. Jasmina hastete ins Cockpit zurück. Diesem Blick konnte sie nicht standhalten. Es wäre ihr wesentlich lieber gewesen, wenn er wütend und enttäuscht auf ihre Zurückweisung reagiert hätte. Dann hätten sie wenigstens streiten können, statt im Stillen ihre Lage zu bedauern.

Provokation

Stunden vergingen. Mira konnte es am Stand der Sonne ablesen. Doch die Werwölfe, die sie umgaben, rührten sich kaum. Hin und wieder kratzte sich einer von ihnen hinterm Ohr oder bleckte die Zähne. Mira hatte gegen Mittag beschlossen abzuwarten, was auch immer sie vorhatten. Starr wie eine Marmorsäule und mit verschränkten Armen stand sie in der Mitte des Plateaus. Instinktiv hielt sie den Kopf gerade und schaute den pechschwarzen Wolf ihr gegenüber an, ohne den Blick ein einziges Mal zu senken. Irgendetwas sagte ihr, dass sie sich schon mit dieser schlichten Bewegung unterwerfen würde. Mittlerweile hatte sie sein Gesicht ausgiebig gemustert. In lange vergangenen Kämpfen hatte er zahlreiche Narben davon getragen, sein linkes Ohr war sogar gespalten. Mira war sich absolut sicher, dass es sich um Vincent handelte. Abgesehen von seinen Narben waren es seine Augen, die auf ihre Art unverkennbar waren. Ihre Vampire suchten offenbar nicht nach ihr, sonst hätten sie sie längst gefunden. Schließlich hatte sie sich höchstens fünf Kilometer von Robins Festung entfernt. Als sich der Tag dem Ende neigte, erhob Vincent sich von seinem Platz und näherte sich Mira betont langsam. Er umrundete sie, wobei die Vampirin das Gefühl hatte, dass er ihren Geruch intensiv in sich aufsog. Besaß er dank seines Geruchsinns vielleicht eine ähnliche Begabung wie Asheroth darin, ihm bekannte Geschöpfe wiederzufinden? Mira unterdrückte ein leises Schaudern. Er sollte auf keinen Fall merken, dass sie sich in seiner Gegenwart extrem unwohl fühlte. Vincent drehte eine weitere Runde um sie, während der ihm einige Wölfe etwas zu knurrten. Mit Sicherheit verstanden sie sich untereinander wie die Gestaltwandler, daran hegte Mira nicht den geringsten Zweifel. Vincent brachte sie mit einem lauten Kläffen zum Schweigen. Ein drittes Mal begann er, um Mira herum zu streichen und zwar mit wesentlich weniger Abstand als zuvor. Beinahe streifte sein Fell ihre Jeans. Er war merklich größer als der hellgraue Wolf. Als er genau hinter Mira stand, glaubte sie, ein leichtes Zittern in der Luft wahrzunehmen. Im nächsten Moment spürte sie seinen Atem im Nacken. Erst danach verwandelten sich auch alle anderen Werwölfe in Menschen. Oder zumindest Geschöpfe, die Menschen äußerlich sehr nahe kamen. So wie ihre Wolfsaugen ihren Verstand offenbarten, verrieten ihre menschlichen Augen das Raubtier in ihnen.

„Sieh an, sieh an. Das erste Weib dieser verfluchten Sippe seit über tausend Jahren“, flüsterte Vincent in ihren Nacken. Mira entschied, sich nicht umzudrehen und ihre starre Haltung zu bewahren. Er würde seine Runde vollenden müssen, wenn er ihr in die Augen sehen wollte.

„Es muss ungewohnt für Asheroth sein, nicht auf dich hinabsehen zu können, so groß wie du bist.“ Vincent stellte sich wieder mit einer Armlänge Abstand vor sie. Da er sehr leise sprach, klang seine Stimme etwas weniger grollend, doch das änderte nichts an seiner Ausdrucksstärke. Während Mira die Arme immer noch vor der Brust verschränkte, nahm er die Hände hinter seinen Rücken.

„Tut er es trotzdem?“, fragte er mit einem freudlosen Grinsen. „So wie er auf jedes schwächere Geschöpf hinabsieht.“

Mit dieser Behauptung war Vincent im Unrecht, aber darüber zu streiten, ergab für Mira keinen Sinn. Asheroth und der Oberste aller Werwölfe konnten sich auf den Tod nicht leiden, das war allgemein bekannt. Sie würden beide nie etwas Gutes über den jeweils anderen äußern. Und ihr persönliches Verhältnis zu ihrem Schwiegervater ging Vincent nichts an.

„Ich wüsste nicht, was das zur Sache tut.“ Mira versuchte, möglichst neutral zu klingen. Warum interessierte er sich überhaupt dafür?

„Antworte, dann siehst du es“, gab der Alpha amüsiert zurück.

„Nein.“ Es kam nicht in Frage, ihre Entscheidung zu revidieren. Ihre Weigerung sorgte augenblicklich für eine teils faszinierte und teils wütende Reaktion unter den Werwölfen. Der Kreis um Mira und Vincent wurde bedrohlich enger gezogen. Dieses Mal brauchte der Leitwolf nur eine Hand zu heben, um sie zum Schweigen zu bringen.

„Sich mir zu widersetzen ist nicht besonders klug von dir“, sagte er ruhig.

„Für deine Untergebenen mag das zutreffen, aber das bin ich nicht“, erwiderte Mira ebenso ruhig. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie nicht klein beigeben durfte, auch wenn sie ihm bei weitem nicht ebenbürtig war. Langsam erweckte Vincent den Eindruck, sie testen zu wollen.

„Nein, du bist eine Vampirin… Und so warm wie ein Mensch.“ Er löste seine Hände von seinem Rücken und streckte die linke nach ihrem Gesicht aus. „Ich habe mich schon immer gefragt, wie sich eine warme Vampirin anfühlen könnte.“

Mira zuckte leicht vor seinen Fingerspitzen zurück. Es war nun eineinhalb Jahre her, dass Horatio sie gegen ihren Willen auf eine ähnliche Art berührt hatte. Vincent erinnerte zwar weder äußerlich noch durch sein Verhalten an den Ältesten, doch die Assoziation drängte sich Mira unweigerlich auf.

„Fürchtest du dich vor Berührung?“, fragte der Leitwolf. Seine Finger waren nur wenige Zentimeter von ihrer Wange entfernt.

„Nein, ich traue bloß alten Männern nicht. Sie sind unberechenbar.“ Für diese Antwort erntete Mira ein wenig hohles Gelächter aus dem Wolfsrudel. Vincent bleckte die Zähne. „Das klingt nach einem Erfahrungswert.“

„Ja.“ Sie neigte den Kopf wieder leicht nach vorn, um ihm zu zeigen, dass er sie nun anfassen durfte. Noch sah Mira keinen Grund dafür, sich wirklich vor ihm zu fürchten. Der Leitwolf streifte nur kurz ihre Wange, mit dem Zeigefinger jedoch auch ihren Mundwinkel und ihre Unterlippe. Wenn Anzheru dies beobachtet hätte, hätte er Vincent vermutlich auf der Stelle lebendig zerfleischt.

„Faszinierend“, murmelte er leise und setzte sich in Bewegung. „Ich muss gestehen, dass du trotz deiner Ernährungsweise selbst für unsereins einen gewissen Reiz besitzen würdest…“

Mira fragte nicht nach der Bedingung, er würde sie ihr ohnehin mitteilen, wenn er sich entschieden hatte, wo er stehen bleiben wollte. Natürlich stellte Vincent sich wieder hinter sie. „Würdest du nicht meilenweit gegen den Wind nach Asheroths Brut riechen.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739378077
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (April)
Schlagworte
Vampirkind Schattenwandler Mondwandler Werwolfkrieg Fantasy Familie düster dark

Autor

  • Al Rey (Autor:in)

Al Rey ist in Solingen geboren und aufgewachsen. Jetzt lebt sie im schönen Rheinland.
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Titel: Tageswandler 3: Letizia