Lade Inhalt...

Du bist mein

von Patrick S. Nussbaumer (Autor:in)
109 Seiten

Zusammenfassung

Patrick S. Nussbaumer schildert die Geschichte eines minderjährigen Opfers sexueller Gewalt in einem emotionalen All-Age Thriller. Ohnmächtig wird der Leser gezwungen, mit anzusehen, wie die junge Sabrina an ihren Problemen allmählich zerbricht. Ein ruhiger, aber keinesfalls harmloser Thriller.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


DU BIST MEIN

Patrick S. Nussbaumer

Veröffentlicht bei Flying Grandpa, Zürich, November 2015

eBook Copyright © 2018 by Flying Grandpa, Zürich

Lektorat: Monika Stucki

Umschlaggestaltung: Flying Grandpa, Frédéric Proyer

E-Book: typo.lab, Manuela Surateau

ISBN gedruckte Ausgabe: 978-3-033-05302-1

ISBN E-Book: 978-3-033-06520-8

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

Kapitel 1

Sabrina erwachte vom nervtötenden Klingeln ihres Weckers. Draußen war es noch dunkel. Wieder einmal lag Chur an diesem Novembermorgen unter einer dicken Nebelschicht verborgen, darüber jedoch sah man die ersten rötlichen Sonnenstrahlen im Westen die Berggipfel berühren. Sabrina würde ihren Wecker am liebsten an die Wand schmeißen. Sie drehte sich um und schloss für eine Sekunde ihre Augen. Das Gesicht ihres Schulkollegen Oliver starrte sie zornig an. Er brüllte sie an. Sofort riss Sabrina ihre Augen wieder auf. Ihr Herz raste. Was war das denn? Hatte sie etwas falsch gemacht? Sie hatte Oliver noch nie so wütend erlebt. Auf ihre Unterarme gestützt, stemmte sie sich ein wenig in ihrem Bett hoch, nur um erschöpft wieder zurück zu sinken. Oliver war der beste Freund von Simon. Gemeinsam besuchten die drei dieselbe Klasse an der Oberstufe im Quaderschulhaus in Chur. Sabrina mochte Oliver sehr, auch wenn er einen manchmal echt auf die Palme bringen konnte. So zum Beispiel erzählt er im Moment jedem, der es hören will, wie toll doch seine Eltern seien und wie viel ­Taschengeld er bekäme und so weiter. Sabrina mochte schon gar nicht mehr hinhören. Aber diese Wut? Sabrinas Herz pochte noch immer wie wild.

«Beruhige dich Sabrina! Es war nur ein Traum!», sprach Sabrina leise zu sich.

Sie atmete ein paar Mal tief ein, bevor sie sich langsam in ihrem noch warmen Bett aufsetzte und die Bettdecke zurückschlug.

Auf ihrem Nachttisch lag der erste Teil ihrer aktuellen Lieblingsgeschichte. Der Titel des Buches lautete «Schrei der Einsamkeit» und handelte von einem jungen Musiker, der, obwohl im Showbusiness erfolgreich, durch äußere Umstände tief gefallen war. Sie hatte das Buch gestern am späten Abend noch fertig gelesen. Nun hieß es auf die Fortsetzung zu warten.

Schließlich stand sie auf und stellte das Buch zurück in ihr Bücher­regal. «Verfluchte Schule! Ich könnte noch Stunden weiterschlafen. Warum muss die Schule auch immer so früh beginnen?», dachte Sabrina.

Sie wusste nicht, ob es der Nebel, die Jahreszeit oder einfach das lange Aufbleiben war, aber in letzter Zeit fühlte sie sich sehr träge und schlapp. Sie gähnte laut. Dabei war sie sogar noch zu müde, um sich die Hand vor den Mund zu halten. Sie reckte sich so, dass unter ihrem Pyjama ihr Bauchnabel zu sehen war. Als sie dies in der Spiegelung ihres Schlafzimmerfensters sah, wich sie sofort zurück. Sie wollte nicht, dass jemand anderes ihren Bauch sah, außer Simon. Ihr Simon. Jedes Mal, wenn sie an ihn dachte, durchströmte sie eine unbeschreibliche Wärme. Sie liebte es, wenn er ihr zärtlich um den Bauchnabel strich und ihr daraufhin einen Kuss auf den Bauch gab, der so wahnsinnig kitzelte und trotzdem unendlich schön war. Dass ihre Liebe bald auf eine harte Probe gestellt werden würde, wusste Sabrina zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Sabrina sah auf ihre Uhr. Vergangenes Jahr besuchte ihr Vater, zusammen mit ein paar damaligen Arbeitskollegen, eine Uhrenfabrik im Kanton Neuenburg. Als er von diesem Besuch zurückkam, hatte er ein kleines Paket im Gepäck, doch erst an ihrem 14. Geburtstag durfte sie es endlich öffnen. Drinnen lag eine kleine Damenuhr aus Gold mit einem tiefblauen Ziffernblatt. Sabrina verliebte sich augenblicklich in die Uhr. Doch jetzt erschrak sie bei ihrem Anblick fürchterlich. Nicht nur, dass sie ungefähr eine Viertelstunde zu spät aufgestanden war, nein, jetzt hatte sie auch noch getrödelt! In 15 Minuten fuhr ihr Bus. Sie rannte sofort aus ihrem Zimmer und die Wendeltreppe hinunter, bei der sie stets aufpassen musste, dass sie nicht hinflog und die Treppe hinunterstürzte.

Als kleines Mädchen war ihr das mal passiert. Zum Glück hatte sie damals noch Milchzähne, sonst würden ihr heute zwei obere Schneidezähne fehlen.

Als sie am Ende der Treppe angekommen war, sah sie schon von Weitem auf dem Tisch eine Notiz und, was sie ein wenig erstaunte, einen weißen Umschlag liegen. Doch jetzt hatte sie wirklich keine Zeit um sich über Dinge, wie einen Umschlag zu wundern. In Windeseile kam sie, gewaschen, gekämmt und erstaunlicherweise perfekt geschminkt, aus dem Bad herausgeeilt. Rannte wieder in ihr Zimmer und zog sich die Kleider an, die sie zum Glück schon am Abend zuvor bereitgelegt hatte. Rasch strich sie sich noch eine Scheibe Brot für den Schulweg.

Der Notiz und dem weißen Umschlag schenkte sie keine weitere Beachtung. Wie die Notiz sinngemäß lauten würde, wusste sie ohnehin schon. Ihre Eltern hatten es im März endlich geschafft, ihre eigene Anwaltskanzlei zu eröffnen. Das musste natürlich gefeiert werden und so beschlossen sie, dem grauen Novemberwetter auf den Malediven zu entfliehen. Sabrinas Mutter hatte anfangs Bedenken, ob sie ihre Kleine wirklich so lange alleine lassen könne. Erst nachdem sich die Eltern von Simon bereit erklärt hatten, bei Problemen selbstverständlich für Sabrina da zu sein, war die Reise schnell gebucht. Somit hatte Sabrina die nächsten drei Wochen sturmfrei. Am 30. November, genau rechtzeitig zu ihrem Geburtstag, kamen sie wieder zurück. Sie hatten ihr versprochen, etwas mitzubringen. Sabrina freute sich auf diesen Geburtstag, da auch sie endlich 15 wurde, wie ihre beiden besten Freunde Simon und Oliver.

Was allerdings in diesem weißen Umschlag war, konnte sie sich nicht vorstellen. Er war nicht beschriftet. Sie hatte jetzt aber echt keine Zeit mehr, auch nur einen Blick zu riskieren. Draußen war es schweinekalt. Sie hatte noch genau zwei-einhalb Minuten, um den Bus zu erwischen. Also begann sie zu rennen. So schnell, dass sie um sich herum nichts mehr wahrnahm. Sie bemerkte nicht einmal den seltsamen Mann im Nadelstreifenanzug, der ihr von der Hausecke gegenüber nachstarrte.

Kapitel 2

Geistesabwesend zog dieser Nadelstreifenmann sein iPhone hervor. Wie vom Donner gerührt fuhr er mit seinem Finger vom unteren linken Rand bis zum unteren rechten. Er hörte in der feuchten Stille das Klick-­Geräusch, als sich die Tastensperre löste. Aufgewühlt ging er die Anrufliste durch, bis er die Nummer fand, die er genau jetzt brauchte. Er atmete noch einmal tief durch und tippte auf die Nummer.

«Ja hallo … Ähm … Also die Häuser hier …»

«Ich habe dir doch gesagt, du sollst mich nicht anrufen! Spinnst du?! Und wo bleibt die DVD? Es war abgemacht, dass ich sie heute im Kasten hab.»

«Sie ist im Kasten.»

«Hä?!»

«Naja, bloß im Falschen.»

«Du Vollidiot!»

«Tschuldigung, ich sag ja, die Häuser hier …»

«Ich will deine erbärmlichen Erklärungen nicht hören! BRING MIR EINFACH DIESE VERDAMMTE DVD

«Aber … Aufgelegt, scheiße!»

Er hätte sich ohrfeigen können. Diesen Auftraggeber hatte er ganz bestimmt verloren, dabei war er einer seiner treusten Abnehmer. Als er so schockiert da stand, gärte in ihm eine Idee: Er könnte doch einfach den weißen Umschlag wieder aus dem Briefkasten fischen. Guter Plan! Blöd nur, dass die Briefkästen aller Häuser dieser Straße direkt neben der Haustüre angebracht waren. Das bedeutete, er musste erneut das Grundstück betreten und ganz nah ans Haus ran.

Bemüht, möglichst unauffällig zu wirken, schlurfte der Nadelstreifenmann über die Straße in Richtung des Vorgartens. Das Gartentor quietschte, als er es aufschob. Er hielt kurz inne. Um sich schauend betrat er den schmalen Kiesweg. Der Weg zum Briefkasten kam ihm unendlich lang vor. Der Kies knirschte ohrenbetäubend. Auf den Seiten standen verblühte Rosensträucher und sonstiges Grünzeugs, das er nicht kannte. Als er dann endlich vor dem Kasten stand, musste er erst einmal eine Pause einlegen um zur Puste zu kommen.

«Mensch, reiß dich zusammen!», schimpfte er mit sich.

Er riss sich zusammen. Es konnte doch nicht so schwer sein, den weißen Umschlag wieder herauszufischen. Gerade wollte er nach der Klappe des Briefschlitzes greifen, als eine innere Stimme «Stopp» rief. Es war nicht etwa so, dass er die Aufschrift «Stopp! Bitte keine Werbung» innerlich gelesen hätte, nein, er musste sich selbst ermahnen, keine Spuren zu hinterlassen. So griff er rasch nach seinen Lederhandschuhen und streifte sich diese über. Dann tastete er den Kasteninhalt ab. Nichts! Er zog seine Hand heraus und spähte durch den schmalen Spalt ins Dunkel hinein. Nichts war zu sehen.

«Verdammte Scheiße!», fluchte er laut. Sofort blickte er wieder um sich. Es schien ihn niemand zu beobachten.

Dieser verdammte Briefkasten konnte doch unmöglich schon geleert worden sein. Er hatte seine Position auf der gegenüberliegenden Straßenseite nie verlassen. Und die einzigen Menschen, die das Haus verlassen hatten, hatten keine Anstalten gemacht die Post zu holen. Doch der Kasten war eindeutig leer. Erneut fiel ihm das Atmen schwer und er spürte, wie er ins Schwitzen geriet. Hatte er sich erneut im Haus geirrt? Diese scheiß Reihenhäuser! Nein, es war bestimmt dieses Haus gewesen. Wütend schlug er mit der Faust auf den Kasten. In dem Moment, als seine Faust auf das Metall traf, hörte er im Innern etwas scheppern. Er riss die Klappe des Briefschlitzes auf. Der Innenraum war nun nicht mehr dunkel und er konnte deutlich erkennen, dass er leer war.

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Faustschlag. Dieser verfluchte Kasten konnte von Innen geleert werden. Er wusste in dem Moment nicht, was er mehr hasste, sich selbst für seinen Fehler oder die Bequemlichkeit dieser Leute. Er musste seiner Wut irgendwie Luft machen, doch er durfte ­keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. So biss er sich auf seine Zunge. Der Schmerz ließ ihn einen Moment lang seine Wut vergessen, und erlaubte es ihm wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Wenn der weiße Umschlag schon im Haus war, gab es für ihn vorerst keine Möglichkeit mehr, ihn ­innert nützlicher Frist zurückzuholen. Und ein Einbruch am helllichten Tag war zu riskant. Er war überhaupt erstaunt, dass in dieser Gegend noch keiner auf ihn aufmerksam geworden war. Es gab nur noch eine Möglichkeit. Erneut zückte er sein iPhone und drückte die Wahlwiederholung.

Kapitel 3

Sabrina war in der Zwischenzeit, nichts ahnend ob dieser Ereignisse bei ihr zu Hause, auf dem Schulhof angekommen. Dieser war schon voller Schüler, die sich unterhielten und dabei lautstark überlegten, auf welche Party sie an diesem Wochenende gehen sollten. Oder wer wohl die schrägste Insta-Story gepostet habe.

Als Sabrina ihren Blick über die Schüler gleiten ließ, auf der Suche nach Simon und Oliver, überkam sie eine Betrübtheit, die sie bis jetzt kaum kannte. Sie musste sich sogar darauf konzentrieren, ihre Tränen zurückzuhalten. Was war nur mit ihr los? Sie versuchte sich abzulenken, indem sie ihre Mitschüler beobachtete, doch diese waren alle so in ihre Gespräche vertieft, dass sie Sabrina keines Blickes würdigten. So stand sie nun hier, inmitten des Schulhofes und erblickte um sich herum lauter kleine Gruppen aus fröhlich schwatzenden Schülern. Auf einmal fühlte sich Sabrina schrecklich alleine. Wo waren bloß Simon und Oliver? Unwillkürlich schweiften Sabrinas Gedanken zu ihren Eltern ab. Sie hatte heute morgen keine Gelegenheit mehr gehabt, ihre Eltern zu verabschieden. Nun waren sie fort und sie alleine. Toll! Nein, es war nicht toll. Sie konnte sich nicht selbst belügen. Sie war noch nie die Person gewesen, die viele Freunde hatte und mit jedem gut auskam. Viel wichtiger waren ihr die Familie und die wenigen, aber festen Freundschaften. Sie konnte Einsamkeit nicht ausstehen.

Vor einem Jahr wäre es noch kaum vorstellbar gewesen, dass ihre Eltern sie drei Wochen alleine ließen. Damals, als sie noch ausflippten, wenn sie nicht rechtzeitig zum Abendbrot zu Hause war. Doch nun dachten ihre Eltern offensichtlich, dass ihre Tochter alt genug sei. Dass sie schon eine junge Frau sei. Sie wurde inzwischen fast wie eine Erwachsene behandelt.

Sabrina hatte Angst. Sie konnte sich ein Leben ohne ihre Eltern nicht vorstellen. Zu sehr brauchte sie ihre Mutter noch. Natürlich zeigte sie dies nicht immer, aber ihre Eltern waren für Sabrina das Wichtigste. Doch mit wem konnte sie ihre Gefühle schon teilen? Mit Simon? Oder Oliver? Die beiden Jungs würden sie doch nur schräg anschauen und fragen, ob sie noch alle Tassen im Schrank habe. Die beiden wollten nichts lieber, als so schnell wie möglich erwachsen zu werden. Und Sabrina? Sie wünschte sich, dass sie die Uhr zurückdrehen könnte zu der Zeit, als sie noch völlig unbeschwert und ohne solch trübe Gedanken lebte. Ihr sehnlichster Wunsch war schlicht wieder mal Räuber und Gendarm spielen zu können. Oder einfach wieder mal grundlos drauflos zu lachen. Es war so selten geworden, dass sie gemeinsam so lachen konnten.

Sabrina war der Überzeugung, dass sie mit ihren Gefühlen nicht normal war. Sie schämte sich dafür. Doch sie konnte nicht anders. Sie kam einfach nicht mit der Tatsache zurecht, erwachsen zu werden.

Rasch wischte sie sich eine Träne aus den Augen, als sie die beiden ­anderen endlich in einer Ecke des Schulhofes erspähte.

Sabrina hatte das Gefühl aus der Entfernung zu erkennen, dass die beiden ebenfalls betrübt beisammenstanden. Doch was hätten die beiden schon für einen Grund?

Als Sabrina näher kam und die zwei mit einem aufgesetzten Lächeln begrüßen wollte, gefror ihr Lächeln augenblicklich. Es war keine Illusion gewesen. Der sonst so fröhliche Oliver, der immer für einen Scherz gut war, lehnte deprimiert an der schmutzigen Schulhauswand.

«Hallo», sagte Oliver ohne aufzusehen.

Was war denn mit Oliver los? Gestern hatte er noch groß erzählt, was er nun alles machen dürfe und dass er hoffe, seine Eltern würden ihre Meinung nicht plötzlich wieder ändern. Und jetzt hängte er da rum wie eine Spaßbremse und Simon, die Hände in den Hosentaschen, daneben.

«Hey zusammen.»

Sabrina gab Simon nur einen flüchtigen Kuss. Er erwiderte ihre vorsichtige Begrüßung mit einer sanften Berührung.

«Was ist denn heute mit euch los? Oliver?», fragte Sabrina immer noch vorsichtig, doch nun auch ein wenig neugierig.

«Meine … meine Eltern!», gab Oliver knapp als Antwort.

Sabrina schaute nun fragend drein und bohrte nach.

«Was ist denn mit deinen Eltern? Musst du nun doch um Zehn ins Bett?»

«Nein, verdammt! Ich glaube, sie lassen sich scheiden!», erwiderte Oliver, wütend über Sabrinas Sarkasmus.

Sabrina sah betroffen und fragend Simon an. Er zuckte nur mit den Schultern. Sabrina versuchte sachlich zu bleiben und fragte nochmal behutsam nach:

«Warum sagst du das? Wie kommst du darauf?»

«Weil sie sich jeden Abend streiten, wenn ich nach Hause komme, und sich fast die Köpfe einschlagen! Reicht das?»

Sabrina erwiderte nur ganz perplex:

«Ja, doch, das ist eindeutig ein Argument.»

«Und jetzt sind sie doch auch noch tatsächlich auf die beschissene Idee gekommen, am Samstag mit dem Fahrrad das Rheintal hochzufahren. ­Dabei sollten sie doch wissen, dass ich Fahrradfahren hasse! Erst recht bei dieser Saukälte!»

«Aber vielleicht …»

Oliver fiel Sabrina ins Wort.

«Sie werden sich ganz bestimmt nicht mehr versöhnen, Sabrina, diese Ehe ist im Eimer. Wie soll eine Beziehung, die anscheinend schon von ­Beginn an keine richtige war, auf einmal wieder funktionieren? Meine Mutter ist bereits am Rande eines Nervenzusammenbruchs und mein Vater schert sich einen Dreck darum. Wie pervers ist das denn? Und jeden Tag immer nur Streit! Die können nicht einmal mehr miteinander in normalem Ton reden.»

Sabrina schwieg einen Moment. Sie musste überlegen, was sie nun sagen sollte. Sie hatte eigentlich genügend eigene Probleme. Oder waren die im Vergleich zu Oliver nur Kleinigkeiten? Freunde waren doch für die gegenseitige Unterstützung da? Wobei Sabrina diese gegenseitige Unterstützung im letzten Jahr je länger je weniger wahrgenommen hatte. Es war traurig, aber wahr. Ihre Freundschaft wurde durch die eigenen ganz persönlichen Probleme hart auf die Probe gestellt.

«Musst du denn wirklich mit auf die Radtour?»

Das war echt die dümmste Frage, die sie hatte stellen können.

«Natürlich, was denkst du denn? Sie wollen mich doch als Bindeglied zwischen ihnen missbrauchen. Für das wurde ich wahrscheinlich gezeugt, nur um einen Vorwand zu haben, sich nicht schon vor fünfzehn Jahren zu trennen.»

«Aber Oliver, das meinst du doch nicht im Ernst?!»

Sabrinas Entsetzen über Olivers Gedanken war ihr anzuhören. Simon stand hilflos daneben und half Sabrina einfach, indem er ihr kopfnickend beipflichtete.

«Wieso denn nicht? Sie machen es ja jetzt schon. Was meint ihr, weshalb durfte ich in letzter Zeit alles haben, was ich wollte? Jeder von ihnen wollte mich auf seine Seite ziehen. In unserem Alter dürfen die Kinder selbst entscheiden, zu wem sie wollen. Versteht ihr? Und ich war einfach nur naiv ­genug, um ihnen dieses intrigante Spiel abzukaufen. Doch mein Entschluss steht fest: Ich werde mit Mama gemeinsam ein neues Leben aufbauen.»

«Aber was ist, wenn sie von Chur wegzieht? Gehst du dann mit ihr mit?»

Diesmal war es Simon, der sprach. In seiner Stimme war die Angst um den Verlust seines besten Freundes klar rauszuhören.

«Ja, wenn es sein muss, werde ich auch von hier wegziehen. Ich glaube, sie will nach St. Moritz.»

«Was, in dieses Bonzenkaff?!», sprach Sabrina leicht bestürzt. Berichtigte sich aber auf Olivers Blick hin.

«Oh, entschuldige, in diesen Nobelkurort? Was will sie denn da? Die Berge anstarren? Und du? Du gehörst sicherlich nicht in diese Einöde.»

«So schlimm ist es da auch nicht – glaube ich. Es hat immerhin ein 3D-Kino. Das ist doch schon mal was.»

«Ja, noch …», gab Simon leicht grinsend zur Antwort.

«Und da kann ich jeden Winter endlos Ski laufen. Und euch zu besuchen ist auch nicht sehr weit.»

«Nein überhaupt nicht, du fährst nur gut zwei Stunden Zug und das ist auf Dauer schweineteuer.»

Simon schien Oliver nicht verstehen zu wollen. Oliver jedoch blieb hartnäckig, obwohl auch ihm keine besseren Gründe mehr einfielen. Simon wollte gerade Luft holen um noch einen draufzusetzen, als der Pausengong erklang. Für Oliver war es eine Erlösung. Dennoch ging er betrübt in die Klasse, in Gedanken immer noch bei der bevorstehenden Scheidung seiner Eltern.

Kapitel 4

In der Dämmerung dieses feuchtkalten Novembertages stand der Mann im Nadelstreifenanzug noch immer an der schwach beleuchteten Hausecke und wartete, bis Sabrina zurückkehrte. Die DVD befand sich irgendwo im Haus. Er musste das Mädchen auf jeden Fall daran hindern, diese DVD anzuschauen. Und wenn sie es doch tat? Was sollte er dann tun? Er geriet fast in Panik. Er musste Ruhe bewahren. Er war schon mit ganz anderem fertig geworden. Mit diesem Gedanken, wie ein Mantra immer wieder­holend, stand er da und kickte eine leere Cola-Dose von sich weg. Er wusste zur Genüge über kleine Mädchen Bescheid. Zudem waren ihre Eltern anscheinend im Moment nicht da. Er grinste hämisch. Die Göre würde er nötigenfalls schon kleinkriegen.

In diesem Augenblick erschien das Mädchen an der Straßenecke. Sie ging geradewegs aufs Haus zu, ohne sich auch nur einmal umzusehen. Wieso auch? Sie wusste ja noch nichts von ihrem Beobachter. Er grinste und biss genüsslich in ein Sandwich, wobei ihm die Sauce über die Hand lief.

Erschöpft betrat Sabrina ihr Zimmer. Als Erstes warf sie sämtliche Schulsachen aufs Bett. Unter ihrer Sporttasche konnte man einen kleinen Teil des Eisberges ihres Titanic-Bettbezugs erkennen.

Jedes Mal, wenn sie den Bezug betrachtete und sich in Gedanken verlor, hörte sie aus weiter Ferne das Meer rauschen. Sie wusste natürlich, dass der Name Titanic vor allem für den Untergang eines menschlichen Traumes und für den Tod von zirka 1500 Menschen stand, doch sie verband damit auch die Liebe zwischen Rose und Jack. Sie gehörte zu all jenen Mädchen, die stundenlang nach Ende des Filmes geweint hatten. Als zwölfjähriges Mädchen unternahm sie mit ihren Eltern eine Kreuzfahrt im Mittelmeer und eines Abends lief der Film im Bordkino. Sie konnte sich noch genau daran erinnern. Am Anfang langweilte sie sich, aber je mehr die Tragödie ihren Lauf nahm, desto spannender fand sie den Film. Als am Ende jedoch so viele Menschen starben, und das war für sie das Schlimmste, auch Jack, mussten ihre Eltern sie stundenlang trösten. Seit dieser unvergesslichen Reise war sie fasziniert von allen Kreuzfahrtschiffen und eben speziell von der Titanic.

In der letzten Lektion hatten sie Sport gehabt, wobei Sport noch gelinde ausgedrückt war. In Realität war es eine sechzigminütige Tortur gewesen. Im Grunde mochte sie Sport, denn es bot für sie genau den richtigen Ausgleich zur manchmal ziemlich kopflastigen Schule. Doch Ausdauertrainings konnte sie einfach nicht ausstehen. Das war etwas für die Jungs, die ins Militär wollten.

Sie war noch völlig verschwitzt und wollte nur noch aus ihren Kleidern raus. Sie streifte sich diese ab und betrat die Dusche.

Während der wohlige Schauer sie die Kälte des Tages vergessen ließ, ging sie in Ruhe durch, was sie heute alles erlebt hatte. Den Gedanken, dass sich Olivers Eltern scheiden lassen wollten, wurde sie nicht mehr los. Sie hatte immer gedacht, dass die beiden sich gut verstehen würden. ­Obwohl sie nie viel mit ihnen zu tun gehabt hatte. Vielleicht hatte sie die Situation wiedermal falsch eingeschätzt.

Sie versuchte ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Was wollte sie heute Abend essen? Doch dies machte ihr nur wieder bewusst, dass sie nun drei Wochen ohne ihre Eltern auskommen musste. Jeden Abend in ein leeres Haus zurückkehren. Ein leeres Haus. Sie hielt ihren Kopf unter die Brause und schloss die Augen. Ein kleiner Moment der Ruhe legte sich über sie. Es war alles gut. Die Zeit würde wie im Flug vergehen. Als sie den Kopf unter der Brause wegzog, erschrak sie. Da war was! Sie hörte ein Geräusch außerhalb des Bades. Es hörte sich so an, als wäre etwas umgestürzt.

Rasch beendete sie ihre Dusche und trat, mit dem Badetuch um den Körper gewickelt, aus dem Badezimmer.

Auf den ersten Blick war niemand zu sehen. Zögernd betrat sie ihr ­Zimmer. Auch da war niemand. Vielleicht befand sich irgendjemand im unteren Stockwerk. Sie schlich, beinahe lautlos, die mit Teppich bezogene Treppe hinunter. Sie spürte, wie ihr Herz heftig gegen ihren Brustkorb pochte. Das untere Stockwerk fand sie so vor, wie sie es verlassen hatte. Sie rannte von Lichtschalter zu Lichtschalter, um den gesamten Wohnraum in grelles Licht zu tauchen. Es war niemand da. Hatte sie sich das Geräusch nur eingebildet? Wurde sie verrückt? Genau deshalb entfloh sie, wenn immer möglich, der Einsamkeit.

«Es ist alles okay. Ich bin alleine zu Hause», doch damit konnte sie sich kaum selber überzeugen.

Sie öffnete den Kühlschrank, nahm sich ein schon offenes Glas mit Tomatensauce heraus und stellte dieses neben den Herd. Aus einem Schubfach, gleich unterhalb des Herdes, holte sie sich den Topf heraus, den sie immer für ihre Spaghetti verwendete.

Fünfzehn Minuten später saß sie, in ihrem grünen Pyjama und einem Frottiertuch um ihr nasses Haar gewickelt, vor einem dampfenden Teller Spaghetti. Genüsslich begann sie die Pasta zu essen. Nun war sie doch neugierig, was ihre Eltern ihr geschrieben hatten und, fast noch mehr, was der Inhalt dieses mysteriösen weißen Umschlages war. Um die Spannung etwas höher zu halten, nahm sie zuerst die Notiz der Eltern zur Hand und las sie durch:

Guten Morgen mein Schatz
Wir sind gut aufgestanden und sind fast fertig um loszufahren. Ich hoffe, dass du die drei Wochen ohne deine «lästigen Eltern» genießt. Ich vermisse dich jetzt schon. Vergiss bitte nicht, dass du uns jederzeit erreichen kannst, wenn du Probleme hast.Oder du gehst zu Simon. Ich habe dich ganz fest lieb und freue mich auf deinen Geburtstag.
Bis dahin ganz viele Küsse Mami

«Ich vermisse dich auch schon, Mami!»

Wieder stieg ein Gefühl der Leere in ihr auf, doch jetzt wollte sie nichts davon wissen.

Sie schob die trüben Gedanken beiseite und wandte sich dem weißen Umschlag zu, der bei näherem Betrachten ziemlich ausgebeult aussah. Als sie den Umschlag mit dem Brieföffner vorsichtig aufriss, konnte sie noch nicht ahnen, dass sich damit ihr Leben grundlegend ändern würde.

Sabrina war verwirrt, als sie erkannte, was nun vor ihr auf dem Tisch lag. Erstaunt blickte sie auf eine quadratische, durchsichtige Plastikhülle, in der sich eine DVD befand. Sie legte Löffel und Gabel auf den beinahe leeren Teller Spaghetti und schob diesen von sich weg. Ihre Augen ruhten nur noch auf der DVD.

«Typisch! Der Umschlag ist sicher falsch eingeworfen worden!», dachte Sabrina.

Dies geschah in letzter Zeit ziemlich oft. Anscheinend hatte die Post einen neuen Briefträger, der sich noch nicht richtig auskannte.

«Doch lesen sollte er trotzdem können», überlegte Sabrina.

Aber die Variante konnte in diesem Fall nicht stimmen. Schliesslich war auf dem ­Umschlag war keine Adresse vermerkt. Entschlossen erhob sie sich, schob die DVD zurück in den Umschlag und ging in Richtung Arbeitszimmer ihrer Eltern. Sie wollte Klebeband holen um den Umschlag wieder zu ­verschließen. Doch auf dem Weg siegte die Neugier. Sie eilte in ihr ­Zimmer, um sich ihr MacBook zu holen. Kurz darauf stand sie wieder beim Esstisch. Der Umschlag lag noch immer da, gespenstisch weiß und ­unheimlich. Ein flaues Gefühl stieg in ihr auf. Sollte sie die DVD doch lieber liegen lassen? Zu spät! Ihr Interesse war geweckt und sie würde sich auf ewig fragen, was sich auf der DVD befand. Sie musste einfach einen Blick riskieren! Sie zog zum wiederholten Male und mit schweißnassen, zittrigen Fingern die Plastikhülle aus dem Umschlag und schob die DVD ins Laufwerk.

Sabrinas Atem ging flach. Sie rieb sich die Hände an ihrer Pyjamahose trocken, bevor sie angespannt die Play-Taste drückte.

Ihr Blick wurde starr vor Schreck, als sie die ersten Sekunden eines ­Filmes sah, den sie nie hätte sehen wollen.

In einer kleinen, durch das Licht einer flackernden Neonröhre schwach beleuchteten Kammer lag ein Mädchen. Ihr junger Körper wand sich auf einer vergilbten Matratze. In ihrem Gesicht konnte Sabrina die Angst erkennen, die dieses Mädchen offenbar vor demjenigen hatte, der die Kamera hielt. Sabrina bekam beim Anblick dieses Mädchens, das zu allem Überfluss auch noch gefesselt war, kaum noch Luft. Sie sah ihr die Angst nicht nur an, sie litt mit ihr. Das Bild wackelte kurz, als die Person, welche die Kamera hielt, diese auf einem Tisch neben der Matratze ablegte. Dann betrat ein Mann die Szenerie. Er trug einen schwarzen Nadelstreifen­anzug und sein kurzes, graues Haar reflektierte einen Augenblick lang im Licht der Neonröhre. Wie um sicherzugehen, ob die Kamera auch wirklich aufzeichnete, wandte er sich zu ihr um. Sein Gesichtsausdruck glich ­einer furchteinflößenden Fratze. Als der Mann ein fieses Grinsen aufsetzte, bildeten sich links und rechts von seinen Mundwinkeln Fältchen, in seinen sonst schon hohlen Wangen. ­Sabrina verspürte instinktiv ein Gefühl der Antipathie gegen diesen Mann. Sein Gesicht starrte nun in Richtung des gefesselten Mädchens. In ihren Augen spiegelte sich der pure Horror. ­Anscheinend wusste sie mehr über den Mann, der sich vor ihr aufbaute, als Sabrina. Sie musste schon gewusst haben, was jetzt kommen würde. Sabrina ahnte nichts davon. Sie schaute nur gebannt und mit flauem Bauchgefühl auf die Geschehnisse. Erst viel zu spät erkannte sie, was das Mädchen tatsächlich verängstigte.

Der Mann öffnete, sichtlich mit Genuss, seinen Gürtel und den metallenen Knopf der Hose. Dann ließ er sie langsam an den Beinen nach unten gleiten, als er sich dem Mädchen erregt näherte. Er begann, sie gewaltsam zu entkleiden. Mit der Erkenntnis über diese Schreckenstat schloss Sabrina die Augen. Unfähig den Ton auf stumm zu schalten, war sie gezwungen, die kläglichen Schreie des Mädchens mitzuerleben, die sich wie Nägel in ihren Körper bohrten. Sabrina liefen Tränen aus den geschlossenen Augen und rannen lautlos ihre Wangen hinunter.

Plötzlich, nach einer schieren Unendlichkeit, verstummten die Schreie. An ihre Stelle traten röchelnde Geräusche und – aus Schock darüber riss Sabrina die Augen auf – heisere Hilferufe, einzig durch den Versuch, nach Luft zu schnappen, unterbrochen. Sabrina erkannte mit Schrecken, dass der Mann, der unbekleidet auf dem Bett kniete und das Mädchen unter sich einklemmte, es sichtlich erregt mit einem Strick würgte. Gebannt musste Sabrina auf den Bildschirm starren. Sie wurde unfreiwillig Zeugin, wie aus dem jungen Mädchen immer mehr Lebenskraft hinausfloss, bis es schließlich, geschunden und offensichtlich tot, auf der Matratze lag.

Der Bildschirm verdunkelte sich und Stille kehrte ein. Doch es war eine andere Stille. Nach den Schreien eines Mädchens, das gerade vor ­Sabrinas Augen vergewaltigt und ermordet wurde, drückte diese Stille gegen Sabrinas Trommelfell. Nur ein verzweifelter Gedanke existierte noch in ­Sabrinas Kopf: Dieser Film musste gestellt gewesen sein. War dies etwa ein Ausschnitt eines Horrorfilms aus den USA? Oder doch die letzten qualvollen Sekunden aus dem Leben eines jungen Mädchens?

Vor ihrem geistigen Auge sah Sabrina abermals den Blick des verängstigten Mädchens. Das war kein Spiel gewesen! So authentisch konnten nicht einmal die besten Schauspieler aus Hollywood eine Rolle verkörpern. Auch die kalten, mausgrauen Augen des Vergewaltigers leuchteten vor ­Sabrina auf, sein Grinsen – all dies musste, so schrecklich es auch war, real gewesen sein.

Wie vom Blitz getroffen saß Sabrina nun vor ihrem Laptop. Wieso sie? Aus welchem Grund lag die DVD heute Morgen auf ihrem Tisch? ­Wurde sie bedroht? Sabrina versuchte objektiv, und ruhig zu überlegen, doch es gelang ihr nicht. Sie spürte, wie Panik in ihr hochstieg. Sie erkannte, wie durch einen wässrigen Schleier, der sich über ihre blauen Augen legte, den Laptop mit dem schwarzen Display und schloss ihn langsam. Sabrinas ­Augen zuckten zusammen, als sie ihren Schatten an der Wand hinter sich wahrnahm. Es war niemand hier! Sie hatte das gesamte Haus abgesucht. Oder war sie doch nicht alleine? Sabrina wünschte sich, verzweifelter denn je, dass ihre Eltern zu Hause wären. Ihre Mutter würde sie tröstend in die Arme nehmen und Sabrina könnte mit ihr über das Gesehene sprechen. Es war doch nur ein Film, das zumindest versuchte sie sich jetzt einzureden.

Wie sie in ihr Zimmer gekommen war, erschien ihr im Nachhinein ein Rätsel. Hier oben hatte sie sich früher sicher und geborgen gefühlt. Doch dies schien längst der Vergangenheit anzugehören. Wieso musste ausgerechnet ihr so etwas passieren? Sie würde ganz bestimmt Albträume haben heute Nacht.

Endlich fand sie im Kleiderhaufen auf dem Zimmerboden ihre Jeans. Sie durchwühlte die Hosentaschen, auf der Suche nach ihrem Handy. Als sie es herausnahm, blickte sie hoffnungsvoll auf das Display. Niemand hatte ihr eine WhatsApp geschrieben oder sie angerufen. In der Kontaktliste suchte sich nach Simons Nummer und drückte die Anruftaste. Das Freizeichen setzte ein, doch auch nach längerem Klingeln hob Simon nicht ab.

«Verdammt, Simon! Ich brauch’ dich jetzt.»

Tränen liefen ihr über die Wangen und vom Lidstrich bildeten sich schwarze Streifen. Sie rutschte an der Zimmerwand zu Boden und vergrub ihr Gesicht in den Knien, als im unteren Stockwerk das Haustelefon klingelte.

«Simon, ich hab’ auch ein Handy!»

Sie eilte rasch nach unten, stutzte jedoch, als sie auf das Display schaute. Sie hatte Simons Nummer selbst gespeichert, sogar mit Herzen am Ende. Doch nun stand «Unbekannt».

«Hallo.»

Ihre Stimme klang viel ängstlicher, als sie gedacht und gehofft hatte.

«Deine Frisur sitzt nicht mehr! Heute Morgen warst du noch viel hübscher.»

«Was, wie bitte? Wer sind Sie?»

«Ich kann dir dein kleines, wertloses Leben zur Hölle machen, wenn du nicht genau das machst, was ich dir sage.»

Sabrina blickte durch das Stubenfenster in die Nacht hinaus, in der Hoffnung ihren Beobachter zu erkennen. Doch sie sah nur ihr Spiegelbild. Sie löschte das Licht.

«Das wird dir nichts bringen. Ich werde immer hier sein. Ich kann deine Angst förmlich riechen.»

«Wer sind Sie?!»

Eine Antwort blieb aus. Sabrina wurde es immer mulmiger zumute. Die Stimme klang kalt und berechnend. Es schien, als wusste er genau, was er tat.

«Du wirst niemandem davon erzählen, was du auf der DVD gesehen hast! Sonst wird es bald auch eine mit dir geben.»

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739436746
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
All Age Vergewaltigung Thriller Depression Selbstverletzung Jugenddepression

Autor

  • Patrick S. Nussbaumer (Autor:in)

Patrick S. Nussbaumer, geboren 1991 im Engadin, lebt in Zürich, wo er seit Herbst 2015 ein Studium der Informationswissenschaft absolviert. Daneben befasst er sich mit Storytelling und kreativem Schreiben. Seit 2012 ist er Jurypräsident des Engadiner Schreibwettbewerbs, welcher er zusammen mit der Engadiner Post lanciert hat. Neben seiner Arbeit als Autor, leitet er regelmäßig Schreibworkshops, schreibt Drehbücher oder beschäftigt sich mit Theater und Regie.
Zurück

Titel: Du bist mein