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Hypershark

Der Tod aus dem Unterholz

von Niels Peter Henning (Autor:in)
211 Seiten

Zusammenfassung

in Trashfilm als Roman - so schlecht, dass es beim Lesen auch nicht besser wird. Die Handlung ist beinahe schon zu banal, um hier erwähnt zu werden. Irgendwas mit einem Hai, der unschuldige Menschen angreift und verspeist. Dazu gibt es jede Menge Action, dunkle Geheimnisse, diverse Naturkatastrophen, folkloristische Rituale und am Ende knutschen zwei Frauen miteinander. Dieser Roman hat alles zu bieten, was man von gutem Trash erwarten darf: - Charaktere, so platt wie eine Flunder. - Witze und coole Sprüche, so platt wie die Charaktere. - Völlig hirnloses, pseudowissenschaftliches Geschwafel. - Dialoge, noch hirnloser als das pseudowissenschaftliche Geschwafel. - Logiklöcher, die alles ansaugen - sogar das Licht. - Im Sande verlaufende Handlungsstränge. - Ein kreativer Tag-Nacht-Wechsel. - Mehr Klischees als ein Bergdoktor-Roman. - Völlig unpassender Pathos. - Reifen, die auf Schotter quietschen. - Ein (absichtlich schlecht eingebauter) Tippfehler in der ersten Zeile des ersten Kapitels. Ein richtiges Lektorat gab es übrigens nicht. Stattdessen wurde nur einmal schlampig drübergelesen. Das Cover wurde unter Zuhilfenahme eines Gummihais binnen weniger Minuten in einer billigen Bildbearbeitung zusammengeklatscht. Und nein, dieses Buch ist auch nicht witzig. Der Autor denkt sogar darüber nach, den Preis demnächst drastisch zu steigern, damit niemand in die Versuchung gerät, diesen Schrott zu kaufen. Besser, man lässt es sich von jemanden schenken, den man ohnehin nicht leiden kann. Dann hat man wenigstens einen Grund, diese Person anschließend mit tiefster Verachtung zu strafen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Hypershark

 

Der Tod aus dem Unterholz

 

 

Ein zum Roman gewordener Trashfilm von

 

Niels Peter Henning

 

 

Impressum:

Text Copyright © 2014/2015

Niels Peter Henning

Alle Rechte vorbehalten.

 

Verantwortlich für Text und Umschlaggestaltung:

Niels Peter Henning

Finkenweg 25

35440 Linden

E-Mail: literatur@niels-peter-henning.com

http://www.niels-peter-henning.com

 

Layout:

Niels Peter Henning

 

Coverentwurf:

Niels Peter Henning

 

Satz:

Niels Peter Henning

 

Lektorat:

Niels Peter Henning

 

Liedtexte:

Niels Peter Henning

 

Vertrieb:

Niels Peter Henning

 

Publicity:

Niels Peter Henning

 

 

 

 

 

Dieser Roman ist den Machern von Tele 5 gewidmet, weil sie so viel Arsch in der Hose haben, dass keine Eier mehr reinpassen!

 

Hättet Ihr mich nicht inspiriert, wäre dieser Roman den Lesern erspart geblieben.

 

 

 

Und für alle, die nach diesem Schrott nie wieder etwas von mir lesen möchten, leiste ich hier noch einen heiligen Schwur:

 

Sobald ich mit diesem Roman fertig bin, schreibe ich wieder etwas Anständiges. Versprochen!

 

Buch geschenkt bekommen?

 

Glück gehabt!

 

Buch gekauft?

 

Selbst dran schuld!

 

Der einsame Tod des Heinrich Sullivan

 

 

Heinrich Sullivan wandte seinen Blick nach obn. Die Morgensonne schickte gerade ihre ersten Strahlen durch die Baumkronen.

Heinrich Sullivan atmete tief durch und nahm den Duft des Waldes in sich auf. Wie gerne wäre er öfter hierher gekommen, anstatt nur am Wochenende. Doch er musste sich um sein Unternehmen kümmern. Natürlich hätte er die Firma seinem Sohn Edgar überschreiben und sich zur Ruhe setzen können. Es wäre keine Schande gewesen, es mit 75 Jahren etwas langsamer angehen zu lassen. Doch dies kam für einen Heinrich Sullivan nicht in Frage. So lange er noch atmete, würde er das Unternehmen leiten, anstatt es von seinem nichtsnutzigen Nachkommen zugrunde richten zu lassen.

Nun ja, immerhin hatte sich das minderbemittelte Ergebnis seiner Fortpflanzungsversuche nicht als totaler Fehlschuss erwiesen. Immerhin hatte Heinrichs Sohn einen gewissen Einfallsreichtum bewiesen, als er diesen ›Deep Forest Beach Bikini Contest‹ ins Leben gerufen hatte. Im Allgemeinen machte sich Heinrich nicht viel aus solchen gesellschaftlichen Veranstaltungen, doch die vielen drallen Dorfpomeranzen in ihren knappen Bikinis waren eine Augenweide. Außerdem ließ die Veranstaltung ordentlich die Kasse klingeln. Nach dem Ende des Wettbewerbs konnte Heinrich dann die Runde bei den Gastwirten und Schaustellern machen und seine Schulden eintreiben. Ja, es brachte durchaus Vorteile mit sich, wenn einem die halbe Gemeinde Geld schuldete und man die Zinsen nach Belieben kontrollieren konnte.

Bei dem Gedanken an all die armen Schwachköpfe, die sich bis über beide Ohren bei ihm verschuldet hatten, stahl sich ein Grinsen auf Heinrichs Gesicht, wo es einige Falten glatt zog und an anderen Stellen neue Falten entstehen ließ. Sogar dieser fette Schwachkopf von Bürgermeister schuldete Heinrich Geld. Und deswegen gehörte die Stadt Heinrich Sullivan.

Herrlich. Heinrich grinste noch ein wenig weiter, atmete noch einmal tief durch, sog den Duft des Waldes ein und entschied dann, genug gegrinst zu haben und das Lufteinsaugen fortan alleine aus Gründen der Lebenserhaltung zu betreiben. Stattdessen nahm er seinen Kassettenrekorder zur Hand und drehte die Lautstärke ordentlich auf. Heinrich hatte das Gerät damals gekauft, als tragbare Kassettenrekorder gerade in Mode gekommen waren. Seither begleitete ihn dieser Rekorder bei jedem Spaziergang und spielte immer die gleiche Kassette. Etwas anderes blieb auch nicht übrig, denn seinerzeit hatte der Verriegelungsmechanismus des Kassettenfaches den Geist aufgegeben, als Heinrich die erste Kassette – ein Schlagerpotpourri von Gitti, Holger und Rosel – eingelegt hatte. Heinrich hatte es nicht eingesehen, die Reparatur aus eigener Tasche zu zahlen. Deswegen war die Kassette geblieben, wo sie war. Lediglich die Batterien wurden regelmäßig gewechselt. Batterien. Nicht dieses neumodische Akkumulatorenzeug, sondern gute, alte Batterien.

Heinrich marschierte weiter den Waldweg entlang. Unterdessen verkündete Gitti aus dem Kassettenrekorder, sie habe lecker gekocht. Rosel und Holger erklärten dazu im Chor, Liebe gehe durch den Magen. Ja, das gefiel Heinrich. Und wenn er wieder zurück war, dann würde er eine kleine Liste machen, welchen Geschäften er am Montag einen Besuch abstattete, um an die nächsten Ratenzahlungen zu erinnern.

Doch halt!

Was war das?

Heinrich hatte etwas entdeckt, dort drüben, abseits des Weges im Unterholz. Dort blitzte etwas Rotbraunes hervor. Heinrich kannte den Wald in- und auswendig. Er wusste genau, was auf den Waldboden gehörte und was nicht. Und das, was dort hervorblitzte, gehörte eindeutig nicht auf den Waldboden.

Dieser Sache musste Heinrich auf den Grund gehen. Wenn ihm bereits die gesamte Stadt gehörte, dann gehörte ihm schließlich auch der Wald, der die Stadt beinahe vollständig umschloss. Und deswegen musste er nach dem Rechten sehen, auch wenn es ihm widerstrebte, den sicheren Waldweg zu verlassen.

»Dort draußen«, hatte sein Großvater immer gesagt, »dort draußen lauern Dinge auf uns, die es zwischen Himmel und Erde gibt. Und manchmal auch unter der Erde oder über dem Himmel. Oder umgekehrt. Deswegen musst du immer aufpassen, mein Junge. Lass dich niemals ins Bockshorn jagen. Auch nicht von Leuten, die wie Briefträger aussehen, aber in Wirklichkeit Bäckereifachverkäufer sind.«

Heinrich hatte noch nie sehr viel auf das Geschwafel seines Großvaters gegeben. Heinrich gab nichts auf das Geschwafel von niemanden. Und so hielt er es auch heute. Er überwand sein Unbehagen und verließ den Weg, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Ein Heinrich Sullivan ließ sich von nichts und niemandem aufhalten; noch nicht einmal von den wirren Aussprüchen eines Großvaters, die ohnehin niemand verstand.

Um den braunen Fleck zu erreichen, musste er einigem Geäst ausweichen und sich unter tief hängenden Zweigen hindurch ducken. Dann beugte er sich vor, hob das braune Ding auf und hielt es in die Höhe.

»Ein Eichhörnchenarsch.«

Heinrich Sullivan stutzte. Mit einem solchen Anblick hatte er nicht gerechnet. Außerdem verspürte er eine leichte Enttäuschung. Korrekt zubereitet, stellte das vordere Ende eines Eichhörnchens durchaus eine Delikatesse dar. Heinrich mochte besonders die leichte Nussnote, sofern sich das Tier eichhörnchentypisch ernährt hatte. Doch ein Eichhörnchenarsch ohne Eichhörnchen daran ließ sich kaum verwerten. Bestenfalls konnte man den Schwanz des Tieres noch als Anhängsel für eine Automobilantenne verwenden.

»Wer, zur Hölle, schneidet einfach ein Eichhörnchen in der Mitte durch?«

Um besser nachdenken zu können, drehte Heinrich die Lautstärke des Kassettenrekorders herunter und brachte Rosel, Gitti und Holger damit zum Verstummen. Ihm stand der Sinn ohnehin nicht mehr nach Musik. Ein Eichhörnchen einfach so in der Mitte zu zerteilen, das erfüllte für Heinrich schon beinahe den Tatbestand der Wilderei.

Ein Stück weiter krachte etwas im Unterholz. Heinrich wirbelte so schnell herum, wie es sein Alter noch zuließ. So konnte er bereits sieben Sekunden später in die Richtung schauen, aus der das Krachen ertönt war. Doch dort war niemand mehr zu sehen.

Heinrich schaltete blitzschnell. Offenbar trieb sich der Übeltäter noch immer in der Umgebung herum. Er würde sich den Burschen schnappen.

»Ich werde dich lehren, in meinem Wald Eichhörnchen in der Mitte zu zerteilen, du fieser Möpp!«

Heinrich setzte sich in Bewegung und drang tiefer in den Wald vor. Seine Wut auf den Wilderer ließ das Unbehagen, das er beim Verlassen des Weges verspürt hatte, in Vergessenheit geraten. Die Äste, Zweige und Büsche, die seinen Weg versperrten und ihn immer wieder zwangen, sich zu ducken oder einen Umweg zu nehmen, fachten diese Wut noch zusätzlich an.

Schließlich hielt Heinrich an und lauschte.

»Wo steckst du, du Hund?«

Er erhielt keine Antwort.

Heinrich sah sich um. Er hatte sich ein ganzes Stück in den Wald vorgewagt. Wo genau befand sich eigentlich der Weg? Er hatte zu viele Bäume und Gebüsche umrundet, um sich noch orientieren zu können. Und der Wilderer war inzwischen wohl über alle Berge. Sicherlich ein junger Bursche, der durch den Wald sprang wie ein Reh. Ein Mann im Rentenalter hatte keine Chance, solch einen Kerl einzuholen. Schade, aber da konnte man nichts machen.

»Besser, ich gehe wieder zurück, bevor ich noch über eine Wurzel stolpere und mir die Gräten breche«, murmelte Heinrich und drehte um. Da er nicht genau wusste, in welche Richtung er sich wenden sollte, drehte er ein wenig länger. Irgendwann entschied er sich dann für eine Lücke zwischen zwei Bäumen und marschierte los. Er würde schon wieder auf einen Weg stoßen. Schließlich war hier in den Wäldern noch niemand verloren gegangen. Außerdem glaubte Heinrich fest an sein Orientierungsvermögen.

Nach einigen Metern fiel ihm die Stille auf. Er hielt kurz inne und horchte. Doch da war nichts. Das Rascheln der Kleintiere am Boden, das Zwitschern der Vögel – all das fehlte. Ob es wohl an seiner eigenen Anwesenheit lag? Hielten sich die Tiere vor ihm versteckt? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Wann immer er im Wald unterwegs gewesen war, hatte ihn stets eine gewisse Geräuschkulisse begleitet. Nur heute herrschte Ruhe.

»Eigenartig«, sagte Heinrich laut. Im Grunde wollte er damit nichts zum Ausdruck bringen, sondern schlicht und ergreifend ein Geräusch erzeugen, um der Stille entgegenzuwirken. Und genau in diesem Moment fiel ihm sein alter Kassettenrekorder wieder ein.

Heinrich startete die Wiedergabe. Gleich darauf schallte der Refrain von »Liebe geht durch den Magen« in voller Lautstärke durch den Wald. Das gefiel Heinrich schon viel besser als diese seltsame Stille. Er ging weiter und summte dabei den Refrain des Liedes mit. Nach einiger Zeit endete der Song und der Titel »Baby, spring in meine Torte« begann.

Heinrich ging weiter, doch schon bald hielt er erneut an. Etwas stimmte nicht. Inzwischen hätte er den Weg schon längst erreichen müssen. Stattdessen kam er immer mühsamer voran. Er fühlte sich, als versuchten die Äste bewusst, ihn am Weiterkommen zu hindern. Die Wurzeln schienen sich nach seinen Beinen zu strecken, um ihn zu Fall zu bringen. Und die Tiere schwiegen noch immer.

Dann ließ ein Rascheln Heinrich herumfahren. Es bewegte sich von links nach rechts, als würde etwas Großes durch das Erdreich pflügen.

»Was, zum Henker ...?«

Dieses Rascheln klang nicht nach einem Hirsch. Es klang auch nicht nach einem Wildschwein, einem Fuchs, einer Ente oder einem Rollschuhfahrer. Doch was konnte sich sonst in diesem Wald bewegen und ein solches Geräusch erzeugen? Die Antwort fiel Heinrich prompt ein: der Wilderer.

»Ja, komm nur her, du Bandit«, rief er über die Schulter. Es hätte zu lange gedauert, sich umzudrehen. Doch das war auch nicht nötig, denn bereits im nächsten Augenblick ertönte das Rascheln erneut, diesmal aber von vorne. Heinrich riss sofort seinen Kopf herum, konnte aber nichts entdecken. Und als das Rascheln dann rechts von ihm ertönte, gelang es ihm ebenfalls nicht, die Ursache des Geräuschs zu sehen.

Offenbar spielte jemand ein Spiel mit ihm. Und dieser jemand bewegte sich schneller, als er den Kopf drehen konnte. Heinrich begann allmählich, sich echte Sorgen zu machen.

»Du Schuft«, rief Heinrich. »Komm nur her, damit ich dir den Hintern versohlen kann. Spitzbube. Strauchdieb.«

Der Strauchdieb kam nicht, raschelte aber noch ein wenig umher. Und dann sah Heinrich etwas, direkt vor sich. Es tauchte kurz auf und verschwand sofort wieder unter der Lauboberfläche.

Heinrichs Unterkiefer klappte herunter. »Das kann doch nicht ... das ist doch nicht ... das darf doch nicht ...«

Er hatte schon viel in diesem Wald erlebt. Rotwild, das auf Bäume kletterte. Hunde, die von Kaninchen gejagt wurden. Hirsche, deren Geweih aus dem Hintern wuchs. Doch das, was seine Augen gerade erblickt hatten, war auch für Heinrich völlig neu. Als erfahrener Spaziergänger wusste er dennoch genau, was in einer solchen Situation zu tun war. Schließlich hatte er genügend Bücher über das Spazierengehen auf freier Wildbahn sowie das gefahrlose Durchqueren dichter Gehölze gelesen. Er hätte sich sogar am Amazonas einigermaßen sicher bewegen können, ohne versehentlich in einen Schwarm Piranhas zu geraten. Doch in den Wäldern des Amazonas rechnete man natürlich mit einer derartigen Attacke. In den hiesigen Wäldern hingegen nicht, was bei Heinrich für einige Überraschung sorgte. Doch hier war die Situation nun einmal. Besser, man stellte sie nicht in Frage, sondern befolgte einfach die Tipps in den Ratgebern der Survival-Spaziergänger.

»Ganz leise jetzt.«

Er durfte sich keinesfalls schnell bewegen. Wenn er es richtig einschätzte, dann wurde er gerade umkreist. Dieses Biest wusste genau, wo er sich befand. Gelang es ihm, den Kreis zu durchbrechen und sich davonzuschleichen, dann hatte er eine Chance. Anschließend musste er nur noch den Weg erreichen. Dort war er wieder in Sicherheit. Als Alternative bot sich noch an, auf einen Baum zu klettern und dort auf Hilfe zu warten. Bei diesem Versuch lief man jedoch Gefahr, auf dem Baum zu verhungern, bevor Hilfe eintraf. Heinrich wollte keinesfalls als mumifizierte Leiche in einer Baumkrone entdeckt werden. Deswegen entschied er sich spontan für den Versuch, den Kreis der Bestie zu durchbrechen.

Als das Rascheln links von ihm ertönte, bewegte sich Heinrich vorsichtig vorwärts. Dabei achtete er peinlich darauf, nur mit der Schuhspitze aufzutreten, damit das Laub nicht raschelte. Außerdem kurvte er um jeden noch so winzigen Zweig, dessen Knacken ihn hätte verraten können. Dieses Vorgehen ließ ihn wie eine Ballerina nach ausgiebigem Alkoholgenuss erscheinen.

Als das Rascheln hinter ihm ertönte, wähnte sich Heinrich beinahe schon in Sicherheit. Seine Rechnung schien aufzugehen und er musste sich nur noch einige wenige Meter vorwärts bewegen. Doch dann änderte das Ding hinter ihm seinen Kurs und steuerte direkt auf Heinrich zu.

»Was, zum Donnerwetter, soll das denn jetzt?«

Hatte dieses Ding etwa doch die vorsichtigen Schritte im Laub wahrgenommen? Oder war Heinrich versehentlich auf einen Ast getreten?

Die Erkenntnis überfiel ihn im letzten Augenblick. Gitti, Holger und Rosel intonierten gerade im Chor den Refrain: »Deine Torte, Baby, da klatsch‘ ich rein; Deine Worte, Baby, die lassen mich schrei’n.«

Heinrich streckte sofort seinen Finger nach der Stopp-Taste des Rekorders aus, doch es war bereits zu spät. Etwas extrem Großes schoss direkt hinter ihm aus dem Laub hervor und rammte ihn mit der Wucht von etwas extrem Großen, das aus dem Laub hervorschoss. Der Kassettenrekorder flog davon und johlte dabei: »Torte, Baby, Torte, Torte!« Heinrich johlte ebenfalls, aber nur kurz, denn schon gleich darauf wurde er unter die Lauboberfläche gedrückt.

Nur Sekunden später färbte sich der Waldboden rot, während Gitti, Holger und Rosel auch weiterhin ihre gute Laune in die Stille des Waldes hinaus sangen.

 

Vaterfreuden

 

 

»Schatz, Frühstück ist fertig.«

Hans-Peter McCormick hob die Pfanne vom Herd und verteilte Rührei und Speck großzügig auf zwei Teller.

»Lass mich in Ruhe«, tönte es von oben.

Hans-Peter warf einen Blick die Treppe hinauf. Er seufzte und feuerte die Pfanne in das Spülbecken. Einen Augenblick lang stierte er in den Ausguss der Spüle, dann atmete er tief durch, gab sich einen Ruck und holte eine Flasche Ketchup aus dem Wandschrank. Als er die Flasche auf den Tisch stellen wollte, huschte seine Tochter Annegret die Treppe hinab.

»Setz dich hin und iss einen Happen, Schatz«, sagte Hans-Peter. Annegret beachtete ihn nicht. Stattdessen riss sie den Kühlschrank auf und nahm eine Flasche Eistee heraus.

Wie beinahe jeden Morgen versuchte Hans-Peter, den aufkeimenden Ärger herunterzuschlucken. Ein Streit mit seiner Tochter hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Außerdem brachte er es nicht über sein Herz, die Kleine anzuherrschen. Nicht nach allem, was er ihr angetan hatte. Dennoch konnte er ihr nicht alles durchgehen lassen.

Er drehte sich zu Annegret um, holte tief Luft und klappte den Mund auf, um ihr eine Standpauke zu halten. In diesem Augenblick bemerkte er zwei Dinge.

Erstens: Annegret trug bereits zu so früher Stunde ihre Ohrstöpsel. Die weißen Kabel bildeten einen harten Kontrast zu ihren schwarz gefärbten Haaren. Vermutlich ließ sie sich gerade von dem beschallen, was Hans-Peter als »Begräbnismusik« bezeichnete. Musik von Bands, die mehr zu jammern und zu heulen schienen, als dass sie sangen. Annegret konnte ihn also überhaupt nicht hören, selbst wenn sie es gewollt hätte.

Zweitens: Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er seiner Tochter eine Standpauke hätte halten sollen, ohne bis zum letzten Hemdknopf in Selbstvorwürfen zu versinken.

Also ließ er sie gewähren und schenkte sich stattdessen eine Tasse Kaffee ein. Gerade, als er die Tasse auf den Tisch stellen und sich hinsetzen wollte, stellte Annegret die Eisteeflasche beiseite und machte sich auf den Weg zur Hintertür.

»He, junge Dame«, sagte Hans-Peter. Dann fiel ihm die Jammermusik ein und er erhob seine Stimme. »He, junge Dame!«

Offenbar gelang es ihm, das Geheule zu übertönen, denn Annegret hielt an, versteifte sich für einen Moment und atmete tief ein. Dann stieß sie den Atem mit einem Schnaufen aus und ließ ihre Schultern nach unten sacken, bevor sie sich zu ihrem Vater umdrehte.

»Was ist?«

Für einen kleinen Augenblick verspürte Hans-Peter McCormick die unbändige Lust, seiner Tochter richtig herzhaft eine zu donnern. Doch wie immer beherrschte er sich. Anstatt ihr Nasenbein zu zertrümmern, sagte er nur: »Willst du nicht wenigstens einen kleinen Happen frühstücken, bevor du zur Schule gehst?«

Annegret verdrehte die Augen zur Decke. »Manno, du kapierst es aber auch nie, oder? Ich gehe nicht zur Schule, sondern ins Büro. Für das Frühstück habe ich keine Zeit mehr. Wir haben in einer halben Stunde ein Meeting, in dem wir unsere weitere Strategie dem alten Sullivan gegenüber ausarbeiten. Und heute Nachmittag gehe ich mit Reinhold zum Schwimmen zum Dorfteich.«

Hans-Peter blickte von seinem Rührei auf. »Meinst du etwa diesen Nichtsnutz Reinhold Witherspoon? Das kann doch nicht dein Ernst sein. Du solltest dich von diesem Burschen fernhalten.«

»Das ist doch wieder typisch!« Annegret stampfte mit dem Fuß auf. »Niemand kann dir etwas recht machen. Dabei bist du doch selbst der größte Versager.«

»Schatz ...«

»Nein. Es hat sich ausgeschatzt. Allmählich weiß ich wirklich nicht mehr, was ich noch machen soll.«

Von draußen röhrte das Geknatter eines Mopeds hinein.

»Da kommt Reinhold. Ich muss los.«

»Schatz ...«

Bevor Hans-Peter etwas erwidern konnte, war Annegret bereits zur Tür hinaus gerauscht und hatte selbige hinter sich zugeschlagen. Hans-Peters Ohren klingelten noch vom Knall der Tür, als eine Fehlzündung des Mopeds draußen seinem Gehör beinahe den Rest gab. Dann gab Reinhold ordentlich Gas und das Moped rauschte davon.

Hans-Peter starrte die Tür noch ein wenig an. Dann seufzte er und wandte sich wieder seinem Rührei zu.

»Ach verdammt, mir ist der Appetit vergangen.«

Er stand auf und tappte zur Spüle. Es war an der Zeit, seiner Resignation durch eine entsprechende Geste Ausdruck zu verleihen. Da ihm nichts Besseres einfiel, nahm er die Pfanne wieder zur Hand, seufzte noch einmal und feuerte die Pfanne erneut in das Spülbecken.

»Vater werden ist nicht schwer«, dröhnte eine Stimme von der Hintertür her.

Hans-Peter wandte sich um. Dort stand ein Riese von einem Indianer in der Tür. Ein Indianer in Polizeiuniform. Trotz seiner Masse hatte es dieses Ungetüm geschafft, die Küche völlig lautlos zu betreten. Hans-Peters Miene hellte sich ein wenig auf. Die Besuche des örtlichen Polizeichefs stellten jeweils die Highlights des Tages dar.

»Hiltrud, du alte Rothaut! Was hat dich hierher verschlagen?«

Sheriff Hiltrud Yamamoto blaffte ein Lachen hinaus. »Ich dachte, ich schaue mal nach, was der größte Großwildjäger der Prärie so treibt.«

»Nicht viel, fürchte ich«, sagte Hans-Peter und setzte sich wieder. Hiltrud trat einige Schritte näher, womit er den Boden zum Beben brachte. Dann setzte sich Hiltrud auf den Stuhl, auf dem eigentlich Annegret hätte sitzen sollen.

»War das eben deine Kleine, die auf dem Moped von Reinhold Witherspoon saß?«

Hans-Peter blickte kurz zum Sheriff auf. Dann nickte er und konzentrierte sich wieder auf sein Rührei.

»Kein guter Umgang für die Kleine. No, Sir.«

»Ich weiß, Hiltrud. Aber was soll ich machen? Du weißt ja, wie sie ist. Sie macht eine schwere Zeit durch, seit Elfriede von uns gegangen ist. Ich halte zwar nicht viel von diesem Witherspoon-Jungen, aber ich möchte Annegret nicht zu sehr einengen.«

»Klar, verstehe ich.« Hiltrud schielte auf Annegrets Rührei. »Sag mal, isst du das noch?«

Hans-Peter blickte auf. »Hm? Oh, nein. Bedien dich ruhig. Du kannst meine Portion auch noch haben.«

»Oh, phantastisch.«

Hiltrud ließ sich nicht lange bitten. Er schnappte sich Annegrets Teller und setzte den Tellerrand an seiner Unterlippe an. Dann benutzte er die Gabel, um das Rührei einfach in seinen geöffneten Mund zu schieben. Hans-Peter wartete, bis das Rührei komplett in Hiltrud verschwunden war. Dann langte er beherzt über den Tisch und riss den Teller an sich. Er traute einem Monstrum wie Hiltrud glatt zu, ein Stück aus dem Teller zu beißen.

Schon im nächsten Moment hatte sich Hiltrud Hans-Peters Teller geschnappt und ließ diesem die gleiche Behandlung angedeihen wie bereits dem vorherigen. Und noch einmal gelang es Hans-Peter, den Teller vor Bissspuren zu bewahren. Die Ketchupflasche hingegen konnte Hans-Peter nicht mehr in Sicherheit bringen. Hiltrud schnappte sie, schoss den Verschluss mit dem Daumen ab, setzte die Flasche an und pumpte den Inhalt auf ex herunter.

»Ah, das war gut«, sagte Hiltrud. Dann vollführte er einen Sieben-Sekunden-Rülpser, der die Gläser im Schrank zum Klingeln brachte.

»Respekt«, sagte Hans-Peter und nickte anerkennend.

»Besten Dank. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, der Witherspoon-Junge. Er ist schon ein ziemlicher Rabauke. Eigentlich hat er sich bislang ja noch nichts zuschulden kommen lassen. Sicher, er trägt eine verrückte Frisur und färbt sich die Haare. Er ist tätowiert, hört gerne laute Musik, trinkt Bier, raucht und fährt mit einem frisierten Moped durch die Gegend. Doch er hat sich noch nichts zuschulden kommen lassen. Dennoch könnte er deine Annegret in Verruf bringen.«

Hans-Peter nickte nachdenklich. »Ja, wo sie doch gerade ins mittlere Management ihrer Firma aufgerückt ist.«

»Wenn du möchtest, dann nehme ich mir diesen Witherspoon-Bengel mal vor.« Hiltrud ließ seine Fingerknöchel knacken. Es klang wie ein kleines Feuergefecht. »Ich würde nur mit ihm ... reden, wenn du verstehst, was ich meine. Reden. Von Mann zu Mann.«

Hans-Peter winkte ab. »Ach was, lass den Jungen in Ruhe. Das würde nichts besser machen. Und wenn er es zu toll mit meiner Kleinen treibt, dann werde ich selbst einige Worte mit ihm wechseln.«

»Wie du meinst, Hape.« Hiltrud sprach die Kurzform von Hans-Peters Vornamen auf englische Weise aus. Es klang wie »Häib«. »Aber du solltest der Kleinen nicht alles durchgehen lassen. Sicher, das mit ihrer Mutter war eine schlimme Sache. Doch du darfst nicht zulassen, dass diese Geschichte von nun an dein gesamtes Leben bestimmt. Im Gegenteil: Du solltest einfach die Vergangenheit hinter dir lassen und einen Neuanfang wagen. Wenn deine Tochter völlig aus der Spur läuft, dann hau ihr einfach gepflegt eins in die Fresse. Das geht schon in Ordnung. Ich werde dich dann zwar verhaften müssen, aber wir einigen uns darauf, die Kleine sei auf der Toilette ausgerutscht.«

Hape nickte. »Danke, Hiltrud. Das weiß ich wirklich zu schätzen. Ich würde gerne meine Vergangenheit hinter mir lassen, doch das ist nicht so einfach. Ich denke, ich brauche noch etwas Zeit.« Hape klatschte in die Hände, richtete sich auf und zauberte ein Grinsen auf sein Gesicht. »Ach, was reden wir da? Du bist doch sicherlich nicht hergekommen, um mit mir über meine Familienverhältnisse zu diskutieren. Und wegen meines Rühreis doch bestimmt auch nicht, oder?«

»Das Rührei ist zwar ein Argument, doch tatsächlich bin ich hier, weil ich deine Hilfe brauche.«

Hape zog fragend die Augenbrauen in die Höhe.

»Es geht um den alten Sullivan«, fuhr Hiltrud fort. »Er wird seit Sonntag vermisst.«

»Das ist doch erst seit gestern.«

»Seit letztem Sonntag.«

»Ach so. Und wie kann ich dir dabei behilflich sein?«

Hiltrud knetete seine Polizeimütze und blickte unter sich. »Nun, wenn man den Schilderungen des jungen Sullivan Glauben schenken kann, dann ist der alte Sullivan nicht mehr von seinem Spaziergang aus dem Wald zurückgekehrt. Es hat ihn auch niemand auf den Wegen gesehen.«

»Oh nein!« Hape winkte heftig ab. »Dabei kann ich euch nicht helfen. Nein, wirklich nicht.«

»Komm schon, Hape.« Hiltrud stand auf und knallte nebenbei mit dem Kopf gegen die Deckenlampe. »Wir müssen abseits der Wege suchen.«

»Ob bitte, Hiltrud! Du als Indianer bist ein ausgezeichneter Spurenleser. Ich bin sicher, du schaffst das auch alleine.«

»Hape, vergiss das mit den Indianerklischees. Wir Indianer sind zwar gute Spurenleser, doch ich bin ein Großstadtindianer, auch wenn ich in einer Kleinstadt lebe. Ich kann keine Spuren lesen. Ich könnte noch nicht einmal sagen, von wem der Fußabdruck auf meinem Hintern stammt, falls ich mal gefeuert werden sollte.«

Hape holte schon Luft, um eine Antwort zu geben, doch bevor er etwas sagen konnte, quäkte Hiltruds Funkgerät los.

»Zentrale ruft Sheriff Hiltrud Yamamoto. Zentrale ruft Sheriff Hiltrud Yamamoto. Sheriff Hiltrud Yamamoto, bitte kommen. Bitte kommen, Sheriff Hiltrud Yamamoto.«

Hiltrud wartete geduldig ab, bis die Meldung beendet war. Erst dann hakte er das Mikrofon des Funkgeräts von seiner Halterung an seiner Schulter los und antwortete.

»Hallo Zentrale, hier ist Sheriff Yamamoto. Was gibt es denn, Waltraud?«

»Hier Zentrale, Sheriff. Wir hatten gerade einen Anruf von Engelbert Farnsworth. Sein kleiner Sohn sitzt zu Hause und ist völlig verstört. Der Kleine meint, er habe im Wald ein Monster gehört. Möglicherweise hat das etwas mit dem Verschwinden des alten Sullivan zu tun.«

»Vorsicht, Waltraud«, knurrte Hiltrud in das Mikrofon. »Das ist ein offener Kanal.«

»Ach, keine Sorge«, quäkte Waltraud aus der Zentrale zurück. »Meinetwegen darf jeder wissen, was ich von diesem alten Halsabschneider halte. Ist ja nur meine Meinung. Und wenn ich die nicht mehr sagen darf, dann können sie mich ja verhaften, Sheriff. Jedenfalls ist Deputy Parkinson schon unterwegs zu dem Ort, den der kleine Farnsworth beschrieben hat. Ich dachte, Sie wollten vielleicht auch dorthin fahren.«

»Ich mache mich gleich auf den Weg. Rufen Sie Parkinson noch einmal. Er soll keine Alleingänge unternehmen. Noch wissen wir nicht, womit wir es zu tun haben. Yamamoto Ende.«

Hiltrud hängte das Mikrofon wieder in die Halterung. Dann warf er Hape einen Blick zu. »Was grinst du so?«

»Dein Name«, sagte Hape. »Ich werde mich niemals an deinen Namen gewöhnen. Wie kann ein Riesenkerl wie du nur mit einem solchen Namen durchs Leben gehen? Ich meine ... hast du schon mal einen richtigen Kerl gesehen, der ›Yamamoto‹ heißt? Ehrlich, ihr Indianer seid schon ziemlich hart im Nehmen.«

»Den Namen hat mir mein alter Herr angehängt.« Hiltrud zuckte mit den Schultern. »Angeblich schlich ein Dachs ums Haus, als ich gezeugt wurde. Das brachte meinen Vater auf die Idee, mich ›Yamamoto‹ zu nennen. Keine Ahnung, wie er darauf kam. Aber ich bin mit dem Namen eigentlich ganz zufrieden. Stell dir mal vor, eine Ziege wäre um das Haus geschlichen. Dann hätte er mich am Ende ›Rodriguez‹ genannt. Oder er hätte mir einen völlig bescheuerten Vornamen gegeben. Nein, es ist schon gut, so wie es ist.«

Hape grinste weiter und schüttelte seinen Kopf, während er die beiden Teller zum Spülbecken trug. Doch Hiltrud war noch nicht fertig.

»Also was ist nun, Hape? Kommst du mit?«

Hape versteifte sich mitten im Schritt. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor. Dann ließ er seine Schultern sinken.

»Ihr seid ohne mich besser dran«, sagte er dann leise. »Du weißt das und ich weiß das. Ich nutze dir da draußen überhaupt nichts.«

Hiltrud setze seine Polizeimütze auf und rückte sie zurecht. »Nun red‘ nicht so einen Unsinn, Hape. Du kannst dich nicht ewig hier drin verkriechen. Und ich brauche dich, Hape. Ich brauche dich wirklich. Oder glaubst du, Deputy Parkinson wäre mir da draußen eine große Hilfe? Verdammt, Hape, du kennst ihn doch. Er könnte noch nicht einmal einen Faden in eine Nähnadel einfädeln, wenn das Nadelöhr einen halben Meter breit wäre.«

Hape drehte sich langsam um und blickte zu Hiltrud auf.

»Das war jetzt aber ein blöder Vergleich.«

Hiltrud nickte. »Ja.«

Mehr fiel dem Sheriff dazu offenbar nicht ein. Hape auch nicht. Deswegen kommentierte er es auch nicht weiter. Stattdessen atmete er tief durch und nickte dann ebenfalls. »Also schön, ich komme mit. Aber nur als Beobachter. Ich werde keinesfalls aktiv in das Geschehen eingreifen. Nur, damit das klar ist.«

»Keine Sorge. Das letzte Monster, das wir in unserem Wald zur Strecke gebracht haben, war ein verschrecktes Reh. Das arme Vieh hatte mitten auf den Weg geschissen und der alte Sullivan war reingetreten. Hatte seine Schuhe versaut. Wir wussten nicht, weswegen er sich darüber so aufregte. Die Treter schienen noch aus der Vorkriegszeit zu stammen. Und damit meine ich nicht den Golfkrieg, sondern die Schlacht am Little Big Horn. Jedenfalls mussten wir das arme Vieh erschießen.«

Dann senkte Hiltrud seine Stimme und beugte sich ein Stück vor. »Aber falls wir da draußen tatsächlich etwas finden, dann gehen Parkinson und ich alleine rein. Du kannst auf dem Weg bleiben und die Sache beobachten. Du musst dir keine Sorgen machen. Du bist völlig sicher, so lange du nicht mit Parkinson alleine bist.«

Hape ging zur Garderobe und schnappte seine Jacke. »Danke, Hiltrud. Ich denke, ich komme da draußen schon klar.«

»Das denke ich auch. Doch vielleicht solltest du dir noch eine Hose anziehen. Schuhe wären auch nicht schlecht. Und ich weiß ja nicht, was du noch unter diesem Bademantel trägst, aber ein Hemd würde sich auch noch recht gut an dir machen.«

 

Stimmen im Wald

 

 

»Herrjeh, was für ein Auflauf«, sagte Hiltrud.

Als Hape die Ansammlung von Fahrzeugen am Waldrand sah, sank er noch ein wenig tiefer in den Beifahrersitz des Streifenwagens. Der Gedanke, mit einer größeren Anzahl von Bewohnern des Ortes zusammenzutreffen, behagte ihm nicht. Zu viele wussten, was geschehen war. Zu viele wussten, was er zu verantworten hatte. Sie hatten es ihm niemals gesagt, doch er hatte es in ihren Gesichtern gesehen.

»Das schmeckt mir überhaupt nicht, Hiltrud. Was wollen die denn alle hier?«

Hiltrud kurbelte am Lenkrad, um den Streifenwagen neben den anderen Fahrzeugen einzuparken.

»Mal sehen, wen wir da haben. Der Kleinwagen dort drüben gehört Engelbert Farnsworth. Ich nehme an, er will wissen, was seinen Sohn erschreckt hat. Der Streifenwagen gehört Deputy Parkinson. Und dieser Riesen-SUV gehört Edgar T. Sullivan. Verdammt, was hat dieser Idiot denn hier verloren?«

»Vielleicht sieht er einen Zusammenhang zwischen den Geräuschen und dem Verschwinden seines Vaters«, sagte Hape.

»Vielleicht ist er aber auch hier, um einfach nur ein bisschen Stunk zu machen.« Hiltrud schnaubte und wälzte sich aus dem Fahrzeug. Hape stieg auf der anderen Seite aus. Dabei musste er sich nicht anstrengen. Als Hiltrud den Streifenwagen verließ, federte das Fahrzeug auf der Fahrerseite aus und katapultierte Hape buchstäblich nach draußen.

Die beiden Männer mussten nicht lange nach den anderen suchen. Die Dorfbewohner und Deputy Parkinson standen nur wenige Meter entfernt am Waldrand und spähten zwischen die Bäume.

Als Hape und Hiltrud näher kamen, nahm Edgar T. Sullivan Notiz von ihnen. Er drehte sich halb um, schaute hin und grinste dann.

»Na, wer kommt denn da? Wenn das mal nicht unser Sheriff ist. Und wen hat er da im Schlepptau? Das ist doch der tapferste Bürger unserer Stadt. Ich nehme an, wir werden nun alle gerettet.«

Hape hatte mit Anfeindungen gerechnet, doch Sullivans offene Aggression war beinahe zu viel für ihn. Dennoch reagierte er nicht auf die Stichelei. Er tat dies nicht, weil er extrem abgebrüht war und die Sache mit Distanz betrachtete, sondern weil er schlicht und ergreifend nicht wusste, was er hätte erwidern können.

Hiltrud sah die Sache offenbar etwas nüchterner. Er marschierte einfach an Sullivan vorbei und bedachte diesen mit einem knappen »Ihnen auch einen guten Tag.«

Gleich darauf ergriff auch schon Deputy Parkinson die Initiative. »Chef, ein Glück, dass Sie endlich hier sind. Wir sind mit unserem Latein am Ende und wissen überhaupt nicht mehr, was wir noch tun sollen.«

Farnsworth drängte sich in den Vordergrund. »Sheriff, wir müssen unbedingt wissen, mit welchem Untier wir es zu tun haben. Ich bin sicher, mein Sohn befand sich in Lebensgefahr!«

Hiltrud hob seine Hände. »Schon gut, schon gut. Ich schlage vor, wir beruhigen uns zunächst einmal. Deputy Parkinson, sagen Sie mir, was wir hier haben.«

Parkinson starrte seinen Chef einige Sekunden lang mit offenem Mund an. Dann klappte er seinen Mund wieder zu und starrte noch einige Sekunden weiter, bevor er schließlich berichtete.

»Nun, ich kam vor etwa einer halben Stunde hier an, nachdem ich eine Meldung von Waltraud erhalten hatte. Farnsworth und Sullivan warteten bereits. Wir sind dann zum Waldrand gegangen und haben uns ungefähr dort postiert.« Parkinson deutete auf einen Punkt am Waldrand. Dabei zitterte sein Arm so heftig, dass man die Position des Punktes bestenfalls auf ein Gebiet mit den Ausmaßen von ungefähr 25 Quadratmetern eingrenzen konnte.

Hape fragte sich, was den armen Kerl so sehr erschreckt hatte. Offenbar hatte er irgendetwas Entsetzliches in diesem Wald gesehen oder gehört. Doch zu seiner Überraschung sprach Deputy Parkinson mit fester Stimme weiter, obwohl er noch immer zitterte wie ein Schwerverbrecher auf dem elektrischen Stuhl.

»Weil wir nicht genau wussten, was wir tun sollten, haben wir dann da gestanden, bis Sie gekommen sind, Sheriff. Seit Ihrer Ankunft ist nun nichts weiter passiert.«

Hiltrud nickte. »Das haben Sie gut gemacht, Deputy.«

»Gut gemacht?« Edgar Sullivan drängte sich zwischen die beiden Männer. »Das hat er gut gemacht? Nun, Sheriff, Ihre Messlatte hängt offenbar ein wenig tiefer als mein Gebälk. Meiner Meinung nach mangelt es hier nämlich an Organisation. Darüber hinaus sollten wir uns einmal über Ihre Tippse unterhalten. Haben Sie mitbekommen, wie mich dieses unsägliche Weib tituliert hat?«

Hiltrud blickte auf Edgar hinab. »Meinen Sie die Äußerungen, die Waltraud über Funk durchgegeben hat, während sie mit mir sprach?«

Edgar lief rot an und keifte: »Genau die meine ich.«

Hiltrud überlegte kurz. Dann sagte er: »Nein, habe ich nicht mitbekommen.«

»Na, das hätten Sie mal hören sollen, Sheriff. Ich weiß nicht mehr genau, wie mich dieses Weib tutiliert ... tilut ... tullu ... genannt hat, aber es war extrem unfreundlich. Und ich glaube nicht, dass ich mir solche Unverschämtheiten bieten lassen muss.«

»Jetzt halten Sie mal die Luft an!« Hiltrud trat einen Schritt auf Edgar zu, der unwillkürlich einen Schritt zurückwich. »Falls es Ihnen entgangen ist: Wir befinden uns hier in einer äußerst undurchsichtigen Situation. Bis wir wieder den Durchblick haben, sollten Sie sich ein wenig zurückhalten und uns unsere Arbeit tun lassen. Und falls Sie ein Problem mit meinem Personal haben, steht es Ihnen jederzeit frei, eine schriftliche Beschwerde einzureichen. Allerdings erst nach Ablauf von mindestens 24 Stunden. Schlafen Sie einmal in Ruhe drüber, Sullivan. Dann reden wir weiter.«

Während des hiltrüdlichen Gewitters, das gerade über ihn hineingebrochen war, schien Edgar ein ganzes Stück zu schrumpfen. Als Hiltrud ihn dann nach dem Wort »weiter« entließ, krauchte Edgar zur Seite und versuchte, so viel Distanz wie möglich zwischen sich und Hiltrud zu bringen, ohne sich dabei mehr als zwei Meter von der Gruppe zu entfernen.

Hape kämpfte gerade mehr oder weniger erfolgreich gegen ein Grinsen an, als Edgar seinen Blick auf ihn heftete. Beinahe im gleichen Augenblick schien Edgars Selbstvertrauen buchstäblich aufzulodern.

»Und Sie?«, keifte Edgar mit seiner Quäkstimme los. »Was wollen Sie hier, McCormick? Wollen Sie etwa noch mehr Unheil anrichten? Oder wollen Sie mit uns machen, was Sie mit Ihrer Frau gemacht haben?«

Hapes Grinsen erlosch wie die Flamme eines Einwegfeuerzeuges, dessen Gasvorrat zur Neige ging. Für einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, seine rechte Faust in dieser Visage zu versenken, die ihn an ein Nagetier erinnerte. Doch Hapes Vernunft behielt die Oberhand. Es brachte überhaupt nichts, den Sohn des Stadttyrannen zu verprügeln. Sicherlich hätte es ihm niemand krumm genommen – bis auf Edgar und dessen widerwärtigen Erzeuger, versteht sich. Doch es gab einfach zu viele Zeugen. Gut, mit Parkinson hätte Hape eventuell noch fertig werden können. Mit einiger Überredungskunst hätte er auch Farnsworth auf seine Seite ziehen können. Doch Hiltrud konnte er nicht überzeugen. Auch wenn Hiltrud tausendmal sein bester (und, genau genommen, einziger) Freund war, so war Hiltrud doch durch und durch Gesetzeshüter. Abgesehen davon hätte er es nicht über das Herz gebracht, einen aufrechten, rechtschaffenden Mann wie Hiltrud in eine solche Lage zu bringen – wie immer diese Lage auch aussah.

Und noch etwas hinderte Hape daran, Edgars Zähne bis zu dessen Spundloch zu boxen: Hape löste seine Probleme nicht mit Gewalt. Ein Hans-Peter McCormick setzte auf den Dialog. Immer. Er drosch noch nicht einmal mit dem Schraubenschlüssel auf eine festgerostete Schraube ein. Stattdessen versuchte er, die Schraube argumentativ zu überzeugen, es sei für beide Seiten eine Win-Win-Situation, wenn sie sich aus dem Gewinde löse. Erst dann drosch er auf die Schraube ein, bis er schließlich ihren Kopf abflexte und das Gewinde ausbohrte.

Nein, einen armseligen Wicht wie diesen Edgar T. Sullivan würde Hape nicht niederschlagen. Und wenn doch, dann würde er es mit Worten tun. Dafür kamen unterschiedliche Aussprüche in Frage. In einem Bruchteil von Sekunden stellte Hape in Gedanken eine Liste möglicher Entgegnungen zusammen.

Unglücklicherweise fiel die Liste reichlich kurz aus, denn Hape wollte einfach keine passende Antwort einfallen. Also sagte er einfach:

»Nennen Sie mich Hape.«

Dabei ruhte er sich versehentlich ein wenig zu lange auf dem »Ä« aus, sodass sein Name wie »Hääääib« klang. Im gleichen Augenblick, in dem ihm das Wort über die Lippen eierte, dachte Hape daran, dass dieser Ausspruch in den frühen Achtziger Jahren sicherlich der Gipfel der Coolness gewesen wäre. Doch leider waren die Achtziger Jahre schon lange vorbei. Zu dumm aber auch.

Edgar kam offenbar zu dem gleichen Schluss, denn er ließ sich nicht beeindrucken. »Ist mir egal, wie Sie sich jetzt nennen. Ich weiß nur, dass mein Vater irgendwo in diesem Wald ist und dass wir hier mehr brauchen als einen Versager wie Sie, McCormick.«

»Jetzt reicht es, Sullivan!«

Als Hiltrud losbrüllte, schaute Hape unwillkürlich zum Himmel auf. Er wollte wissen, woher das Gewitter so plötzlich gekommen war, obwohl die Sonne schien. Erst als er kein Gewitter in der Nähe entdeckte, identifizierte er den Donner als Hiltruds Gebrüll.

»Wenn Sie sich nützlich machen wollen, dann fahren Sie in die Stadt und rufen Sie jemanden an«, sagte Hiltrud etwas leiser zu Sullivan. »Aber erzählen Sie uns nicht, wie wir unsere Arbeit zu erledigen haben.«

»Meinetwegen«, brummelte Sullivan und trollte sich in Richtung seines SUV. »Leute anrufen kann ich sowieso besser als sonst irgendjemand. Aber warten Sie nur ab, Sheriff. Sobald mein Vater wieder in der Stadt ist, werden Sie große Schwierigkeiten bekommen. Diese Waltraud-Sache wird Ihnen noch leidtun. Und Waltraud selbstverständlich auch. Also, sie wird Waltraud leidtun. Die Sache. Nicht Waltraud Ihnen. Obwohl, im Endeffekt wahrscheinlich doch. Tut mir leid. Tut mir wirklich leid!«

Die Männer blickten Edgars SUV nach, der mit quietschenden Reifen auf dem Schotterweg beschleunigte und dabei eine Staubwolke aufwirbelte. Als sich die Staubwolke legte, war der SUV verschwunden.

Hiltrud übernahm sofort wieder das Ruder. »Also schön, dann wollen wir mal sehen, womit wir es hier zu tun haben. Farnsworth, was genau hat Ihr Sohn gesehen oder gehört?«

»Der Kleine ist völlig verstört, Sheriff.«

Hape bezweifelte dies. Er kannte den Farnsworth-Jungen als einen der schlimmsten Satansbraten in der Ortschaft. Und einen der dümmsten. Der kleine Farnsworth gehörte zu der Sorte, die einen Hund mit Benzin übergoss und anzündete, damit das Tier »Wuff« machte, und dabei die Pointe versaute, weil er keine Katze genommen hatte. Einen Bengel wie den kleinen Farnsworth konnte man nicht so schnell entwurzeln. Entweder hatte er wirklich etwas Furcht erregendes im Wald gehört, oder sein Vater übertrieb ganz einfach maßlos.

»Ja ja, das wissen wir«, sagte Hiltrud und verwirrte Hape damit nachhaltig, der noch in seinem eigenen Gedankengang gefangen war und dachte, Hiltrud habe auf seine Gedanken geantwortet. Mit seinen nächsten Worten rückte Hiltrud die Situation jedoch wieder zurecht: »Doch nun müssen wir uns konzentrieren, um dem Rätsel auf den Grund gehen zu können. Also: Was genau hat Ihr Sohn gesehen oder gehört?«

Farnsworth blickte sich fahrig um und schüttelte seinen Kopf. Dann fasste er sich mit beiden Händen an die Schläfen und überlegte einen Augenblick lang.

»Mein Junge sagte, er sei mit seinen Freunden in der Nähe des Pavillons gewesen«, sagte Farnsworth schließlich. »Wissen Sie, wo das ist?«

Hiltrud nickte. »Sie meinen den kleinen Pavillon mit den Sitzbänken an der Seite, den der alte Sullivan hat bauen lassen, damit er bei seinen Spaziergängen eine Rast machen kann.«

»Genau den. Von dort aus seien sie noch ein Stück weit den Weg entlang gegangen. Und dort hätten sie etwas gehört. Eine Art Stimme, die ihnen aus der Tiefe des Waldes etwas zurief. Doch das sei keine menschliche Stimme gewesen, sondern irgendetwas anderes.«

Hape ging sofort ein Licht auf. »Mein Gott, am Ende war es der alte Sullivan. Vielleicht liegt er verletzt irgendwo im Unterholz und versucht, um Hilfe zu rufen.«

»Das könnte sein«, sagte Hiltrud. »Wenn man eine Woche lang nichts zu essen hatte, dann klingt man ein wenig seltsam. Bei mir geht das sogar schon nach vier Stunden ohne Nahrung los. Außerdem ist diese Ecke des Waldes so gut wie völlig verlassen. Außer dem alten Sullivan verirrt sich kaum jemand dorthin. Wir sollten sofort nachsehen.«

»Seien Sie bloß vorsichtig, Sheriff«, sagte Farnsworth. »Was immer auch dort hinten ist, es hat meinen Jungen zu Tode erschreckt. Und glauben Sie mir: Den erschreckt so leicht nichts. Ich hoffe nur, ihm ist nichts Ernstes passiert.«

Hape warf Farnsworth einen Blick zu und fragte sich, was der Mann da redete. Besser, er fragte einmal nach. Er sagte: »Farnsworth, was reden Sie denn da?«

Farnsworth blickte zu ihm auf.

»Dem Kleinen ist doch überhaupt nichts passiert«, fuhr Hape fort. »Er ist doch längst in Sicherheit. Er irrt nicht mehr in diesem Wald herum, sondern sitzt schön gemütlich zu Hause bei Ihrer Frau.«

»Aber genau das ist es ja«, sagte Farnsworth. »Sie kennen meine Frau nicht. Besser, ich fahre nach Hause, bevor sie sich oder meinem Sohn etwas antut.«

Mit diesen Worten faltete sich Farnsworth weit genug zusammen, um in seinen Kleinwagen zu passen. Bereits im nächsten Augenblick war er in einer Staubwolke verschwunden, ebenso wie Edgar nur wenige Minuten zuvor. Die Reifen des Kleinwagens quietschten dabei nicht.

»Na schön«, sagte Hiltrud und setzte seinen Hut auf. »Schauen wir uns die Sache einmal an.«

Deputy Parkinson versuchte, auf seinen Streifenwagen zu deuten. Wegen seines Zitterns deutete er auf Hiltruds und seinen Streifenwagen gleichzeitig. »Chef, soll ich die Schrotflinte aus dem Auto holen?«

Hape hielt das für keine gute Idee. Bei Parkinsons Panik würde der Deputy keinen gezielten Schuss abfeuern können. Andererseits: In einem solchen Fall konnte eine Schrotflinte das einzige wirksame Mittel sein. Doch Hiltrud sah die Sache völlig anders.

»Vergessen Sie das, Deputy«, sagte er. »Ich bin sicher, wir werden in diesem Wald keine Waffen brauchen. Schließlich sind wir doch erwachsene Männer, die nicht mehr an Monster glauben.« Hiltrud warf einen Seitenblick auf Hape. »Das ist doch richtig, nicht wahr?«

Hape verstand die Anspielung sehr gut. Er nickte. »Ja, das ist richtig, Hiltrud. Keine Sorge, es geht mir gut.«

»Wirklich?« Hiltrud wirkte besorgt. »Ich hätte dich gerne als Beobachter dabei. Deputy Parkinson und ich könnten für deine Sicherheit garantieren. Dieser Deputy ist ein äußerst harter Bursche. Doch wenn dir diese Sache zu sehr zu schaffen macht, dann bleib ruhig hier.«

Darüber musste Hape nicht lange nachdenken. »Nein, ich komme mit. Es macht keinen Sinn, sich ewig zu verstecken.«

»Gut. Dann gehen wir der Sache auf den Grund.«

Hiltrud trat auf den Waldweg und marschierte voran. Deputy Parkinson folgte seinem Chef wie ein braves Hundchen. Er zitterte dabei sogar wie ein Chihuahua in einer Tiefkühltruhe. Und Hape zitterte beinahe auch. Die Situation erinnerte ihn an seinen letzten Tag am Strand. An den Tag, an dem die Sache mit seiner Frau passiert war. Doch Hape wollte sich der Situation stellen. Dieses Mal wollte er nicht versagen, wie er es am Strand getan hatte. Deswegen schritt er hinter Deputy Parkinson her und versuchte, dabei so tapfer und so zuversichtlich wie möglich auszusehen.

Hiltrud wandte sich um und schaute Hape für einen Augenblick an. »Großer Manitou in den Ewigen Jagdgründen, du siehst aus, als hättest du gerade in deine Hosen gekackt.«

Das überraschte Hape. »Tatsächlich?«

Nun wandte sich auch Parkinson um. »Ja, der Chef hat Recht.«

»Verdammt. Und ich dachte, ich sehe tapfer und zuversichtlich aus.«

»Nun ja.« Hiltrud überlegte und ging unterdessen einige Schritte rückwärts. »Vielleicht hast du ja tapfer in die Hose gekackt und trägst es nun mit Zuversicht.«

Damit konnte Hape leben. Er zuckte nur mit den Schultern und beobachtete interessiert, wie Hiltrud und Deputy Parkinson im Rückwärtsgang mit den Köpfen gegen tief hängende Äste donnerten. Danach marschierte das Trio weiter, bis Sullivans Pavillon in Sicht kam.

Plötzlich wandte sich Parkinson um und deutete in den Wald. Dabei war nicht recht ersichtlich, welche Richtung er meinte, weil sein Fingerzeig ein Gebiet von mehreren Quadratkilometern umfasste.

»Chef, hören Sie das auch?«

Hape und Hiltrud lauschten. Und tatsächlich, dort schallte etwas zwischen den Bäumen hervor.

»Verdammt, Chef. Was ist das? Das klingt ja wie eine Stimme aus der Hölle.«

Dem konnte Hape nur zustimmen. Was dort aus dem Wald schallte, hatte nichts Menschliches an sich. Die Stimme klang wie die Nacht in der tiefsten Schwärze des Kohlenkellers. Sie machte: »Huuuuuuäääääääh-Brrrrruuuuuääääääääääh-Uuuuuuuääääh.«

»Das ist wirklich übel«, sagte Hiltrud. »Ich bin zwar kein Experte was Waldtiere angeht, aber das hier dürfte kein Vertreter der örtlichen Fauna sein.«

Deputy Parkinson zog seinen Dienstrevolver. »He Chef, wie wäre es, wenn wir ein bisschen schießen? Nur zur Sicherheit, meine ich.«

Hiltrud warf Parkinson einen schiefen Blick zu. »Erinnern Sie sich noch an Ihre letzte Schießübung?«

Parkinson überlegte kurz. Dabei schob er die Mündung des Revolvers unter seine Dienstmütze und kratzte sich damit am Kopf. Dann schluckte und nickte er.

»Na also.« Hiltrud nickte ebenfalls. »Dann lassen wir das besser mit dem Schießen. Ich glaube auch nicht, dass das notwendig sein wird. Was immer auch diese Geräusche erzeugt, es will uns offensichtlich nichts tun. Wenn es das gewollt hätte, dann hätte es schon längst zuschlagen können.«

Während die beiden Männer miteinander sprachen, kämpfte Hape gegen die Panik, die in seinem Inneren aufstieg. Gerade im Augenblick kämpfte sie sich den linken Arm hinauf und hatte die Schulter schon beinahe erreicht, während Hape mit aller Macht dagegen hielt. Falls die Panik in seinen Kopf einmarschierte, dann würde ihm ein ähnlicher Fehler unterlaufen wie damals am Strand. Wer weiß, was er dann mit Deputy Parkinson anstellte. Oder sogar mit Hiltrud. Nein, das durfte er nicht zulassen. Er musste nachdenken. Er musste analysieren, womit sie es hier zu tun hatten. Dabei musste er sich auf Fakten stützen. Die Sache objektiv betrachten. Keine Vermutungen anstellen.

Er hörte noch einmal hin. Und noch einmal. Und dann, ganz allmählich, erkannte er ein Muster in den Lauten dieser Kohlenkellerstimme. Und plötzlich ergab alles einen Sinn.

»Hört mal her.«

Parkinson und Hiltrud wandten sich zuerst Hape und dann der Stimme zu.

»Hört ihr das? Erkennt ihr, was das ist?«

»Hm, Augenblick.« Hiltrud lauschte angestrengt. Dann schaute er auf. »Verdammt, ja. Jetzt höre ich es auch.«

Die Stimme machte gerade: »Tooooooooäääääääääää-täääääää.«

Parkinson zuckte mit den Schultern. »Was denn? Ich höre nichts.«

»Na da«, sagte Hape und deutete auf den Wald.

»Da?« Parkinson versuchte ebenfalls auf den Wald zu deuten.

»Nein«, sagte Hape. Nun, wo er sich sicher war zu wissen, womit sie es zu tun hatten, konnte er Parkinson ein wenig von seiner Zuversicht abgeben. »Sie müssen keine Angst haben, Deputy. Das ist kein Monster.«

Parkinson schaute Hape verständnislos an. »Wieso Angst?«

Nun verstand Hape überhaupt nichts mehr. »Na ja, weil Sie dauernd so zittern.«

In Parkinsons Blick standen noch immer Fragezeichen. »Wieso zittern?«

Nun wusste Hape überhaupt nicht mehr weiter. Besser, er konzentrierte sich wieder auf die Stimme.

Er wandte sich an den Sheriff. »Hiltrud, ich gehe der Sache auf den Grund.«

Hiltrud hielt ihn zurück. »Nein, Hape. Du musst hier nichts beweisen. Besser, wir schicken Deputy Parkinson nach vorne.«

»Nein, Hiltrud.« Hape schüttelte die Hand des Sheriffs ab. »Diesmal nicht. Ich habe mich einmal zum Narren gemacht. Noch einmal wird mir das nicht passieren. Und diesmal weiß ich genau, womit wir es zu tun haben. Vertrau mir, Hiltrud. Es droht keinerlei Gefahr.«

»Na, meinetwegen«, seufzte Hiltrud und trat einen Schritt zurück. »Aber wenn du in einigen Stunden nicht zurück bist, dann eröffnet Deputy Parkinson das Feuer.«

»Einverstanden.«

Hape zögerte keine Sekunde. Er trat vom Weg herunter und in den Wald hinein. Nur einen Augenblick später war er in einem Gebüsch verschwunden. Die Stimme tönte dazu: »Tuuuuooooo-täääää.«

Minuten vergingen.

»Wie lange ist er jetzt schon da drin?«, fragte Hiltrud.

Deputy Parkinson versuchte, auf seine Armbanduhr zu schauen, was aber nicht sonderlich gut funktionierte. Parkinson sagte: »Ääääh ...«

»Verdammt.« Hiltrud griff nach seiner Waffe. »Hape, du Dummkopf. Weswegen musstest du dieses Risiko eingehen? Wir werden nun doch ein wenig schießen müssen.«

Genau in diesem Augenblick legte die Lautstärke der Kohlenkellerstimme zu. »Schschschschschbrrrrruuuuääääää ...«

»Chef, ich glaube, es ... es ... es kommt näher.« Parkinson deutete auf den Wald. Sein Zittern verschwand schlagartig.

»Verdammt!« Hiltrud zog seinen Revolver.

Beinahe im gleichen Augenblick trat Hape hinter einem Gebüsch hervor. »Hallihallo.« Mit seiner rechten Hand hielt er einen alten Kassettenrekorder in die Höhe. »Schaut mal. Ich habe einen Kassettenrekorder gefunden.«

Hiltrud und Parkinson atmeten auf. Hiltrud steckte seinen Revolver wieder ein. »Hape, du Höllenhund. Beinahe hätte ich dich weggepustet. Aber was hat denn ein Kassettenrekorder dort hinten im Unterholz verloren?« Hiltrud schüttelte seinen Kopf. »Daran habe ich ja überhaupt nicht gedacht. Ich hatte vermutet, wir hätten es mit einem Eichhörnchenbau zu tun, durch den der Wind pfeift.«

Hape zuckte mit den Schultern. »Ich muss ehrlich zugeben, dass ich auch an etwas völlig anderes gedacht habe. Deswegen war ich ziemlich überrascht, als ich dieses Ding hier gefunden habe. Muss schon ziemlich lange da gelegen haben. Die Batterien sind völlig hinüber. Deswegen hört sich die Musik ziemlich fraserlich an.«

Hiltrud beäugte das Gerät. Dabei schlich er um Hape herum, um den Rekorder von allen Seiten betrachten zu können. Dann richtete er sich wieder auf. »Das ist nun wirklich ein starkes Stück. Welcher Idiot wirft denn einfach einen Kassettenrekorder weg? Das ist ein grober Fall von Umweltverschmutzung. Wir sollten die Spurensicherung rufen.«

»Aber Chef«, rief Deputy Parkinson dazwischen, »ich glaube, ich kenne diesen Kassettenrekorder. Hören Sie doch einmal genau hin.«

Hape und Hiltrud lauschten. Der Kassettenrekorder machte: »Buuuuuääää-büüüüüüüüüüääääääää.«

»Da, Chef. Hören Sie es?«

Hiltrud schüttelte seinen Kopf. »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Deputy.«

Hape konnte sich ebenfalls keinen Reim auf die Sache machen. Er verstand nur »Huää-Buäää« und solche Sachen. Doch Parkinson schien einen konkreten Verdacht zu haben. Und ganz allmählich dämmerte auch Hape, womit er es hier zu tun hatte. Er sprach seine Vermutung laut aus: »Was wir hier hören, sind satanistische Beschwörungsformeln. Da bin ich mir ganz sicher. Vermutlich handelt es sich um rückwärts abgespielte Walgesänge, was so ziemlich das Satanischste auf diesem Planeten sein dürfte.«

»Verdammt!« Hiltrud schlug mit seiner rechten Faust in seine linke Hand. »Ich habe es immer gewusst.«

»Äh ... Chef?« Deputy Parkinson drängte sich vor Hape. »Ich glaube, das mit den Walgesängen ist nicht ganz richtig. Stattdessen glaube ich, wir haben es hier mit einem Lied von Gitti, Holger und Rosel zu tun. Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist es ›Baby, spring in meine Torte‹. Mein Großvater hat dieses Lied damals gerne gehört und manchmal vor sich hin gesungen. Das klang etwa genauso wie dieser Kassettenrekorder. Deswegen habe ich es gleich erkannt.«

Hape hörte noch einmal genau hin. Konnte es wirklich sein, dass er sich so sehr getäuscht hatte? Er war fest von Walgesängen ausgegangen, nachdem sich seine andere Idee (die er schon wieder vergessen hatte) als ein Fehlschlag entpuppt hatte. Schließlich gehörte er zu den gebildetsten Laien auf diesem Gebiet der Laienfischkunde. Doch er konnte Parkinsons Vermutung nicht widerlegen. Wenn man genau hinhörte, dann schien es sich tatsächlich um Holgers Stimme zu handeln, die gerade ›T-hhhhhh-oooooooooääääääääät-hhh-ääää‹ sang. In die Länge gezogen wie ein Ketzer auf der Streckbank und in die Tiefe gerissen wie die Andrea Doria.

»Verdammt, Parkinson. Sie haben Recht. Das ist tatsächlich dieser alte Schlager. Er schallt beinahe jeden Sonntag durch diesen Wald. Ich habe ihn selbst schon gehört.«

»Ich glaube, wir alle wissen, wer dieses Lied jedes Wochenende hier abgespielt hat«, sagte Hiltrud.

Hape hielt den Kassettenrekorder in die Höhe, als habe er gerade den Heiligen Gral entdeckt.

»Heinrich Sullivan«, sagte er dabei.

»Heinrich Sullivan«, echoten Hiltrud und Deputy Parkinson.

Nach einem Augenblick der Stille ließ Hape den Kassettenrekorder wieder sinken.

»Also gut«, sagte Hiltrud. »Dann wissen wir ja, wen wir für die Umweltverschmutzung verantwortlich machen müssen. Los, fahren wir zurück in die Stadt. Dort knöpfen wir uns den jungen Sullivan vor und drehen ihn so lange durch die Mangel, bis er uns den Aufenthaltsort seines Vaters verrät.«

»Gute Idee, Chef.« Deputy Parkinson benötigte mehrere Versuche, um seinen Revolver wegzustecken. Dann wandte er sich um und schickte sich an, zum Fahrzeug zurück zu gehen. Doch das konnte Hape nicht zulassen. Schließlich hatte niemand gesehen, was er gesehen hatte. Und selbst wenn es jemand gesehen hätte, so hätte vermutlich niemand gewusst, was Hape wusste, nachdem er gesehen hatte, was er gesehen hatte. Besser, er zeigte es seinen beiden Gefährten.

»Nicht so schnell«, rief er aus. Deputy Parkinson hielt an und drehte sich wieder zu Hape um.

»Bevor ihr Edgar Sullivan in die Mangel nehmt, solltet ihr noch etwas wissen: Als ich diesen Kassettenrekorder fand, war er nicht alleine. Das hier lag unmittelbar neben ihm.«

Hape griff in seine Hosentasche und zog ein braunes Etwas hervor, das er anschließend vor den Augen von Hiltrud und Deputy Parkinson baumeln ließ.

Hiltrud betrachtete den Gegenstand. »Was ist das denn?«

»Das ist ein Eichhörnchenarsch.«

»Oh großer Manitou«, sagte Hiltrud. »Er wurde glatt vom Resteichhörnchen abgetrennt. Welche Bestie ist wohl zu so etwas in der Lage?«

Hape ließ den Eichhörnchenarsch sinken. »Was immer es auch war: Wir müssen davon ausgehen, dass es auch den alten Sullivan erwischt hat. Und möglicherweise ist es noch immer hier.«

»Verdammt!« Hiltrud zog sofort seine Dienstwaffe. Deputy Parkinson tat es ihm gleich.

»Keine Sorge.« Hape hielt Hiltrud zurück. »Hier auf dem Weg müssten wir eigentlich sicher sein.«

»Trotzdem sollten wir verschwinden«, sagte Hiltrud, während er sich langsam im Kreis drehte, um die gesamte Umgebung zu sichern. »Wir sollten kein Risiko eingehen.«

Hape nickte. »Ich nehme an, du hast Recht. Lass uns gehen.«

Und der Kassettenrekorder machte ein letztes Mal »Schschsch ... b-hhhh-rrrrrrruuuuuuuääääääääää.«

Dann kehrte Stille ein.

 

Der Weg zurück

 

 

Hiltrud steuerte den Streifenwagen zurück in die Stadt. Hape saß auf dem Beifahrersitz, drehte den Eichhörnchenarsch in seiner Hand hin und her und betrachtete das Körperteil von allen Seiten. Dann seufzte er und legte den Eichhörnchenarsch auf das Armaturenbrett. Dabei fiel sein Blick auf den Streifenwagen von Deputy Parkinson, der vorausfuhr. Parkinsons Auto vollführte immer wieder leichte Schlenker und geriet zeitweise sogar auf die Gegenfahrbahn.

Hape deutete auf Parkinsons Streifenwagen. »Die Sache scheint deinen Deputy ziemlich mitzunehmen, nicht wahr?«

Hiltrud warf ihm einen Seitenblick zu. »Weswegen?«

»Na ja.« Hape zuckte mit den Schultern. »Er zittert offensichtlich so stark, dass er sein Auto kaum in der Spur halten kann.«

Hiltrud schaute ein weiteres Mal zu Hape. »Ja. Und?«

»Nun, ich denke, mit seinem Nervenkostüm steht es nicht zum Besten.«

»Wieso das? Ich verstehe nicht, was du meinst.«

Hape stierte den Sheriff einen Augenblick lang an. Dann schüttelte er seinen Kopf und lehnte sich wieder in seinem Sitz zurück.

»Weißt du, Hiltrud, manchmal glaube ich, ich wohne einfach noch nicht lange genug hier. Einige dieser Insidergeschichten werde ich vermutlich nie verstehen.«

»Mensch, Hape. Du bist hier geboren. Und soweit ich weiß, warst du damals sogar an der Gründung der Stadt beteiligt.«

Hape konnte Hiltruds Ausführungen nicht widersprechen. Dennoch fühlte er sich wie ein Ausgestoßener. »Du hast ja Recht«, sagte er schließlich. »Doch ich fürchte, die anderen werden mich niemals als einen der Ihren akzeptieren. Da steht zu viel zwischen uns.«

»Verstehe«, sagte Hiltrud, auch wenn er dabei aussah, als kapiere er überhaupt nichts. Doch dann hellte sich seine Miene auf. Offenbar schien er tatsächlich etwas zu verstehen. »Es ist wegen deiner Frau, nicht wahr?«

Das war eine sehr gute Frage. Genau genommen hatte Hape die Sache noch nie unter diesem Gesichtspunkt betrachtet. Er fragte sich, ob dies tatsächlich der Grund sein könnte. Hatte er wirklich gewusst, wen seine Frau damals kannte und wen nicht? Hatte er jemals darauf geachtet? Er versuchte, die Geschehnisse noch einmal Revue passieren zu lassen, die zum Verlust seiner Frau geführt hatten, doch er konnte es nicht. Die Erinnerungen schmerzten zu sehr. Außerdem führten diese Überlegungen zu nichts und brachten ihn bei seiner ursprünglichen Frage nicht weiter. Besser, er dachte nicht weiter darüber nach.

Nun musste er nur noch Hiltruds Zweifel zerstreuen. Er wusste, der Sheriff würde sonst nicht locker lassen und die Sache immer wieder aufkochen, bis er zu einer Schlussfolgerung gelangt war. Hiltrud war ein ausgezeichneter Polizeibeamter, doch er konnte auch eine entsetzliche Nervensäge sein.

»Nein, Hiltrud. Ich glaube das nicht«, sagte Hape. »Ich glaube, meine Frau hat nicht das Geringste mit Deputy Parkinsons Zittern zu tun.«

Hiltrud brütete einen Augenblick vor sich hin. Dann zuckte er mit den Schultern. »Wenn du meinst. Aber was ist damit?«

Der Sheriff deutete auf den Eichhörnchenarsch.

Hape nahm das Körperteil erneut auf und beäugte es.

»Komm schon«, sagte Hiltrud. »Du hast doch bereits eine Theorie, oder nicht?«

Hape betrachtete den Eichhörnchenarsch noch ein wenig. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Zumindest nichts Konkretes.«

»Das, mein Lieber, kannst du mir nicht erzählen. Ich kenne dich doch. Wenn du so schaust, wie du gerade schaust, dann hast du sehr wohl eine Theorie. Das ist genauso wie bei der Bangkok-Sache damals. Also: Falls du irgendetwas weißt, was uns weiterbringen könnte, dann sag es mir.«

Hape ließ den Eichhörnchenarsch in seinen Schoß sinken. »Hiltrud, glaub mir: Ich habe bislang noch keine schlüssige Theorie, was diesem Tier widerfahren sein könnte. Das gilt auch für den alten Sullivan. Falls ihm überhaupt etwas widerfahren ist, versteht sich.«

»Er wird wohl kaum entschieden haben, unserer Stadt einfach den Rücken zu kehren und woanders eine neue Existenz aufzubauen«, sagte Hiltrud und schlug auf das Lenkrad. »Nicht bei unserem Glück. Aber wenn du keine schlüssige Theorie hast, dann hast du doch bestimmt eine unschlüssige, nicht wahr?«

Hape nickte langsam.

»Nun komm schon.« Hiltrud langte zu Hape herüber und gab ihm einen Klaps gegen die Schulter, der beinahe eine Amputation des gesamten Arms notwendig gemacht hätte. »Lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.«

Hape seufzte. »Hiltrud, ich kann nicht.«

»Ist es etwa wieder diese Geschichte mit deiner Frau?«

»Es ist ... ja, verdammt. Es ist die alte Geschichte. Hiltrud, versteh doch: Ich will das alles nicht noch einmal durchmachen. Wahrscheinlich liege ich schon wieder daneben. Wie stehe ich dann vor den Leuten in unserer Stadt da? Und wie, zum Donnerwetter, stehe ich dann vor meiner Tochter da?«

»Hape, ich glaube, du verstehst es nicht: Hier könnte es um Menschenleben gehen. Immerhin ist es jemanden gelungen, einen Eichhörnchenarsch mit einem chirurgisch präzisen Schnitt vom Rest des Eichhörnchens zu trennen, während zeitgleich ein greiser Tyrann im gleichen Waldgebiet verschwand, in dem auch das Eichhörnchen seinen Arsch hat lassen müssen. Hape, hier könnten Menschenleben auf dem Spiel stehen. Oder Eichhörnchenleben. Wenn du also etwas weißt, dann sag es mir, um Himmels Willen!«

Hape seufzte noch einmal. Er wünschte sich, er hätte gerade eine Bratpfanne und ein Spülbecken zur Hand, in das er die Bratpfanne hätte feuern können. Doch Hiltruds Streifenwagen gab beides nicht her. Also öffnete Hape das Handschuhfach. Dort fand er eine Tüte mit zwei Donuts. Diese eigneten sich zwar nicht als Bratpfanne, konnten aber als Ersatz herhalten. Hape nahm die Tüte und feuerte sie in das Handschuhfach.

»Weißt du, Hiltrud«, sagte er dann, nachdem er sich ein wenig gefangen hatte, »so ein Handschuhfach ist ein verdammt guter Ersatz für ein Spülbecken. Aber nach den Donuts darfst du nicht fragen.«

»Ist schon klar, Hape. Nimm dir ruhig alle Zeit, die du brauchst. Aber denk daran: Wir brauchen Antworten, und zwar schnell.«

»Ja, das verstehe ich.« Hape schaute einen Augenblick lang in den Beifahrerfußraum des Streifenwagens. Dann gab er sich einen Ruck. Wenn er Hiltrud nicht vertrauen konnte, wem dann?

»Hiltrud, ich nehme an, wir haben es mit einem Raubtier zu tun. Einem Carnivoren.«

»Einem Fleischfresser? Nun, mit diesem Gedanken habe ich ebenfalls bereits gespielt. Doch ich kenne nicht ein einziges in unseren Wäldern lebendes Raubtier, das ein Eichhörnchen derartig zurichten könnte.«

»Ich glaube auch nicht, dass es sich um ein hier ansässiges Raubtier handelt.«

»Was könnte es dann sein?«

»Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ein Hai oder ein Tyrannosaurus Rex aus Tschechien. Ein sogenannter Tyrannosaurus Tschechen-Rex.«

»Oh nein.« Hiltrud winkte heftig ab. »Nein. Das ist nicht möglich. Der Tyrannosaurus Tschechen-Rex ist bereits seit Urzeiten ausgestorben. Und ein Hai? Wie sollte ein Hai mitten in unserem Wald zuschlagen können? Worauf stützt du diese Theorie?«

Hape schielte zu Hiltrud und grinste geheimnisvoll. »Nun, ich bin ganz sicher kein Hellseher. Doch dies hier gibt mir zu denken.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752124576
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (November)
Schlagworte
Hai Satire Schlefaz Trash Krimi Thriller Spannung Horror

Autor

  • Niels Peter Henning (Autor:in)

Niels Peter Henning erblickte 1967 das Licht des Kreißsaals. Er wuchs in Bad Camberg auf und lebte dort bis zum Jahr 2011. Dann zogen ihn seine Lebensgefährtin sowie eine neue Arbeitsstelle nach Gießen, wo er bis heute die Verwaltung der dortigen Universität in Unordnung und Aufruhr versetzt - wenn er nicht gerade böse Romane verfasst.
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Titel: Hypershark