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Gefangen auf Devenport Island

von Arnold Nirgends (Autor:in)
156 Seiten
Reihe: Arca-Nihil, Archon, Band 2

Zusammenfassung

Zwei Menschen von der Erde sind auf einer fremden Welt gestrandet, die gar nicht so unähnlich zur Erde ist. Zur Akklimatisierung werden sie auf einer entlegenen Insel untergebracht. Diesen Umstand erleben sie höchst unterschiedlich. Gerade Marjeka, eine ex-Agentin begibt sich in etliche unangenehme Situationen, zu deren Bewältigung sie viel Geschick und Charisma benötigt. Der zweite Roman aus der Arca-Nihil Saga handelt von den ersten Tagen Igors und Marjekas in der neuen Welt. Dabei erfährt man auch etliche Details darüber wie Arca-Nihil beschaffen ist.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


--- Impressum ---

Fiction Roman

Arca-Nihil®

Gefangen auf Devenport Island

Archon-Reihe, Band 2

1.Auflage Juni 2017

Arnold Nirgends

Copyright© 2017 Arnold Nirgends

Covergestaltung: Arnold Nirgends

Unter Verwendung von Fotolia.com Bildern

www.arcanihil.com

www.facebook.com/arcanihil

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors gestattet. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Alle Markennamen und Warenzeichen, welche in diesem Roman vorkommen, sind natürlich Eigentum ihrer rechtmäßigen Besitzer.

Arnold Nirgends

www.arcanihil.com/impressum

arnold.nirgends@arcanihil.com

Dieser Roman baut auf seinen Vorgängern auf, kann aber auch unabhängig davon gelesen werden. Vorkenntnisse sind nützlich, aber nicht erforderlich!

Am Ende des Buches befindet sich die Arcapedia, wo etliche Begriffe und Abkürzungen aus dem Text ausführlicher erklärt werden.

Zum Glück brauchst Du Freiheit. Zur Freiheit brauchst Du Mut.

(Perikles)

--- Einleitung ---

Igor und Marjeka kamen am 110.H31.ANZ in der Tetris-Halle auf Arca-Nihil an und verbrachten etwa ein halbes Jahr dort.
Danach wurden sie mit einem Luftschiff nach Devenport Island gebracht, um sich langsam in einem geschützten Umfeld zu akklimatisieren.

Igor – Veranda

„Noch ein Gläschen?“, fragte der Zwerg verschmitzt und Igor nickte beiläufig. Sein leicht glasiger Blick schweifte über die aus massiven Steinen bestehende Abgrenzung der westwärts liegenden Veranda. Der Ausblick war immer wieder wunderbar. Die Sonne, verschwommen und orangerot tief am Horizont flimmernd, darunter das ruhig daliegende blaue Meer, am Himmel wenige, weiße Wölkchen und direkt vor der Veranda, am Abhang, das satte Grün einiger Bäume und Büsche.
Der kapiert es vermutlich nie dachte Igor träge bei sich, während er Drack den Zwerg dabei beobachtete, wie dieser mit zitternder Hand die nächste Runde Zwergenschnaps für sich und seinen Gast einschenkte.
„Naßtarrowjeah mein Freund“, murmelte Drack in seinen Bart und schaute Igor aus kleinen, verschmitzten Augen an.

„Geht es auch noch bei Dir? Du musst nicht austrinken.“

Aber Igor nickte nur, hob sein Glas, führte es zum Mund und ließ das köstliche Getränk langsam die Kehle hinunter rinnen.

„Das schmeckt wie Heimat“, sagte er anerkennend zu Drack und bemühte sich möglichst langsame Bewegungen zu machen. Igor war stockbetrunken, aber ein Meister der Tarnung. Drack musste das ja nicht wissen.

Igor genoss diesen wöchentlichen Besuch bei Drack. Zuerst wurde er jedes Mal von dessen Frau mit einem wunderbaren Mittagessen verwöhnt. Danach genossen sie leichten Wein von der Insel und redeten über das, was sie gerade so gelesen hatten, oder über etwas, das für sie von Interesse war. Kurz vor Sonnenuntergang stellte Drack dann meist seine Schachtel mit Zigarren auf den Tisch und eine schwere Flasche voller Zwergenschnaps. Aus dieser tranken sie so lange, bis einer aufgab, oder die Flasche leer wurde, was bisher immer der Fall war.

Kurz nach Sonnenuntergang verabschiedeten sich die beiden mit einer kumpelhaften Umarmung voneinander. Igor torkelte über den kleinen Dorfplatz und hielt sich mit der rechten Hand an einer weiß getünchten Hauswand fest, als er in die kleine, gepflasterte Seitengasse einbog. Das dritte Häuschen links war seines. Also knapp 40 m von Drack‘s gemütlicher Veranda entfernt. Schwer atmend setzte er sich auf einen der beiden Stühle vor seiner Haustür. Auch von hier bot sich ein wunderbarer Ausblick auf das Meer.

Seit etwa einem Arca-Nihil Monat, welcher 100 Tage umfasste, waren Marjeka und er jetzt auf dieser malerischen Insel und er hatte jeden Tag davon genossen. Schönes Wetter, liebe Leute, gutes Essen und Trinken. Und eine interessante, sinnstiftende Arbeit. Was konnte er mehr vom Leben erwarten?
„Hast du dich schon wieder mit dem selbstgefälligen Zwerg betrunken?“, kam es verächtlich aus der vom Dorfplatz wegführenden Seite der kleinen Straße. Eine leicht gedrungene, zur Molligkeit tendierende Frauengestalt mit lockigen Haaren stand da im Halbdunkel einer neben der Straße stehenden Zeder. Igor seufzte und nahm seine Füße vom zweiten Stuhl, damit Marjeka Platz nehmen konnte.

Marjeka – Sarntag

Wie immer am Sarntag war Marjeka bereits früh am Morgen, vor Sonnenaufgang, auf den Beinen. Sie packte sich ein kleines Frühstück, bestehend aus trockenem Brot, Ziegenkäse und Oliven in ein sauberes Tuch und steckte es gemeinsam mit einem Brotmesser, einer Schnur, einem Feuerzeug und einem kurzen Seil in ihren Rucksack. Leise verließ sie ihr kleines Häuschen am Rande des Dorfes und begab sich auf den Richtung Nordosten führenden Trampelpfad. Der Weg war fest in den steinigen Boden getreten und auf der abschüssigen Seite zumeist mit Steinen gesäumt. Es ging leicht bergauf. Nach kurzer Zeit erreichte Marjeka, schon ein wenig vom Anstieg aufgewärmt, aber noch bei weitem nicht erschöpft den schlichten Gorfan-Tempel. Hier wohnte Bruder Tom mit seinen drei Mitbrüdern. Sie würden etwa um neun Uhr eine Messe zu Ehren ihres Gottes und des restlichen Pantheons abhalten. Leicht amüsiert erinnerte sich Marjeka dabei an die Begründung, welche Bruder Tom vorgebracht hatte, als Marjeka fragte, warum denn die einzelnen Götter nicht miteinander um Anhänger konkurrierten. Bruder Tom meinte, dass man bei einer so liberalen Gesellschaft wie sie Arca-Nihil nun einmal darstellte, mit konkurrierenden Glaubensrichtungen nicht weit käme. Darum hätten sich die Anhänger der einzelnen Götter dazu entschlossen, gemeinsam aufzutreten. Das habe sich bewährt.
„Von wegen liberal“, grummelte sie leise und fügte in Gedanken hinzu mich hier auf der Insel wie eine Gefangene festzuhalten ist alles andere als einer liberalen Gesellschaft würdig. Derart in Gedanken versunken passierte sie den Ort der Anbetung und setzte den Aufstieg fort. Schließlich erreichte sie den angepeilten Bergkamm und wurde mit dem ihr bereits sehr vertrauten Anblick des etwa drei Kilometer durchmessenden Kraters belohnt. An einer Stelle nahe des Punktes, wo der Weg den Bergkamm erreichte, befanden sich drei zirbenartige Nadelbäume. Zwischen diesen hatte vor langer Zeit jemand eine einfache Bank eingearbeitet. Die Bretter waren über die Jahre von den Baumstämmen regelrecht eingesperrt und eingezwängt worden und inzwischen derart überwachsen, dass sie zwar keinen Millimeter mehr bewegt werden konnten, nun aber eine stabile, wenn auch etwas schiefe Sitzgelegenheit boten. Auf diese Bank setzte sich Marjeka und genoss zum wiederholten Male das Schauspiel der sich über den Kraterrand erhebenden Sonne im Osten.

Den restlichen Tag verbrachte sie damit, den Inselrundweg und alle davon wegführenden Abstiege zu bewandern. Die Insel ‚Devenport Island‘, auf der Igor und sie gefangen waren, hatte etwa zehn Kilometer Durchmesser, war rundlich und bestand im Wesentlichen aus einem Vulkankrater, der sich bis zu 500 m aus dem Meer erhob. Etwa 100 m unter dem Kraterrand gab es einen Rundweg. Entlang des Rundweges befanden sich immer wieder Stellen, wo die Inselbewohner an passender Stelle kleine Felder, Weingärten oder Gemüsegärten angelegt hatten. Aber nach allen Seiten begann früher oder später ein starkes Gefälle den Abstieg zum Meer unmöglich zu machen. Man hatte also einen wunderschönen Meerblick, aber bis auf ein paar Ausnahmen keinen Zugang zum Meer. Der Kraterrand war an drei Stellen durch steil hinaufführende Wege erreichbar. Von dort oben hatte man auf der einen Seite einen wunderbaren Ausblick auf die tiefer gelegenen Inselteile sowie das azurblaue Meer und auf der anderen Seite konnte man den Krater gut überblicken. Im Krater wuchsen wenige Bäumen und Büsche. Viele mittelgroße und kleine Felsbrocken lagen verstreut herum. Marjeka vermutete, dass die Erosion des Kraters schon seit vielen Jahrtausenden erfolgte. Vulkanische Aktivitäten hatte diese Insel aus ihrer Sicht jedenfalls schon seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt. Am Boden des Kraters war ein kleiner, ausgetrockneter Salzsee. Marjeka war dort schon oft gewesen, hatte aber keine Ahnung, was es mit diesem auf sich hatte. Weil sie das früher beschäftigte, machte Igor diesbezüglich Berechnungen und stellte damals fest, dass bei der Menge Restsalz fast der gesamte Krater einmal mit Salzwasser gefüllt gewesen sein musste. Dieses Mysterium war nicht akut bedrohlich, aber für eine Frau wie Marjeka war allein die Existenz dieses ungelösten Rätsels eine ärgerliche Unsicherheit, mit welcher sie sich nicht so einfach abfinden wollte. Beim heutigen Anblick des Salzsees, nahm sie sich vor, Bruder Tom deswegen beim morgigen Unterricht anzusprechen.

Als die Sonne sich mit einem famosen Farbenspiel Richtung Meereshorizont für diesen Tag zu verabschieden begann, stand Marjeka von ihrem Sitzplatz im Schatten eines Nadelgehölzes auf und begann die Reste ihres Abendessens einzusammeln. Danach schulterte sie ihren Rucksack und summte leise

„And it seems to me you lived your life, like a candle in the wind, never knowing who to cling to when the rain set in…”

Marjeka war zwar kein Lady Di-Fan, liebte aber dieses traurige Lied von Elton John. Und es passt zu meiner Situation dachte sie grimmig bei sich und summte die gleiche Melodie mit geändertem Text.

“And it seems to me you live your life like a cattle in this prison, never knowing who to trust when the enemy shows up, oh yeah!”

Euch werde ich es schon noch zeigen dachte Marjeka wiederholt bei sich. Oft kam sie, wenn sie wie heute stundenlang alleine auf der Insel umherwanderte, in einen nahezu ekstatischen Zustand, wo sie dann, während sie schnellen Schrittes sicher die für sie wohlbekannten Wege entlangeilte, davon träumte, einen Weg zurück zur Erde zu finden und zurück im Pentagon dann Bericht zu erstatten. Daraufhin kamen große Mengen amerikanischer Marineinfanteristen und eroberten diese kleine Enklave des Piratentums, genannt Arca-Nihil.

Solche Wachträume waren pure Genugtuung für Marjekas angeschlagenes Ego.
Als sie im tiefer gelegenen Dorf ankam, waren ihre Träumereien schon weg und die Sonne untergegangen. Sicheren Schrittes passierte sie eine kleine Orangenplantage und kam über einen kleinen Weg zu den ersten Häuschen des Dorfes.

„Hast du dich schon wieder mit dem selbstgefälligen Zwerg betrunken?“, fragte die Heimkehrende den im Halbdunkel seiner Terrasse sitzenden Igor leicht verächtlich und setzte sich auf den Stuhl, welchen Igor für sie frei gemacht hatte.
„Bist du bis zum Sesostag wieder nüchtern? Ich brauche dich wegen der Höhle.“
Igor nickte kaum erkennbar im Halbdunkel und steckte sich mit unsicherer Hand eine Dattel in den Mund.

Igor – Unterricht

52, 53, 54, 55, 56 – prustend und nach Luft ringend zog Igor seinen Kopf aus dem kleinen Becken des Dorfbrunnens. Er war ein wenig verunsichert, weil es ihm normalerweise gelang, deutlich mehr als sechzig Sekunden mit dem Kopf im Wasser zu bleiben. Aber wie gewohnt war der Kopfschmerz jetzt wie weggeblasen. Zufrieden trocknete er sich die Haare und das Gesicht mit dem mitgebrachten Handtuch ab und verscheuchte die beiden Hühner zu seinen Füßen. Mit einem erschrockenen Gegacker liefen sie zu ihrem Hahn, der seinerseits erbost zu Igor herübersah.

Lilly und Timmi, die beiden Kinder des Dorfschmieds, welche ihn auch beobachtet hatten, kicherten noch einmal und gingen dann fröhlich von einem Bein auf das andere hüpfend den Weg zur Dorfschule weiter. Das Dorf hatte lediglich sieben Kinder und diese wurden gemeinsam unterrichtet, wusste Igor. Daneben gab es zwei Babies und vier Jugendliche. Wahrhaft keine große Siedlung war das. Und nach den etwa hundert Tagen hier kannte man jeden Einwohner nicht nur beim Namen, sondern oft genauer, als es einem lieb war.

Nun denn, Igor nahm seine Tasche sowie das nasse Handtuch und machte sich auf den Weg zu seiner ‚Schule‘. Er und Marjeka erhielten an jedem Eintag, das war der erste Tag der Woche, Unterricht über die Eigenheiten der Welt, in welcher sie sich nun befanden.

Er erinnerte sich zum wiederholten Male an die Zeit in der Tetris-Halle, jenen sonderbaren Ort, an dem sie angekommen waren, nachdem sie das futuristische ‚Time Shuttle‘ aus einer Höhle in Grönland über etwa 34 Millionen Lichtjahre auf einem Planeten in der Galaxie M65, der Leo Gruppe, abgesetzt hatte. In der Tetris-Halle waren sie etwa ein halbes Jahr lang damit beschäftigt gewesen, gemeinsam mit Iwan, Tulcinea, Dargoff und Benno die mitgebrachte Beute des ANKH Teams zu sondieren und teilweise auszuwerten. Igor und Marjeka waren damals beauftragt worden, die Inhalte von Datenträgern und Büchern nach Bedeutung und Klassen zu kategorisieren. Dies war für Erdgeborene leichter, weil für Personen aus Arca-Nihil eine wissenschaftliche Abhandlung oft nicht von einer erfundenen Science-Fiction Story unterscheidbar war.

Für diese Arbeit wuden sie bezahlt und nebenbei in Arca-Nihil‘s offizieller Sprache, kurz ANOS genannt, unterrichtet.

Es wurde ihnen auch gesagt, dass sie früher oder später ein freies Leben auf Arca-Nihil führen könnten. Aber man müsse sie darauf vorbereiten. Nach dem Aufenthalt in der Tetris-Halle und dem Erlernen von ANOS begann dann Phase II des Integrationsprozesses. Sie wurden mittels eines ‚Stargate‘ genannten Gerätes zuerst nach Arca-Nihil gebracht und dann des Nachts durch die Stadt gefahren und in einem Luftschiff auf die Insel hier gebracht. Offiziell war es ihr neuer Wohnort. Marjeka und Igor waren sich aber einig, dass es sich um ein Sicherheitsgewahrsam handelte. Ähnlich Gefängnisinseln auf der Erde wie zum Beispiel Alcatraz, weil es unmöglich war, von dieser mitten im Meer liegenden Insel wegzukommen. Einzig in ihrer Außenwahrnehmung unterschieden sich Igor und Marjeka dabei. Für Igor war es ein schöner Ort, wo man sich sehr gut für die Zukunft vorbereiten konnte und Marjeka fühlte sich wie eine Katze an der Leine – eingesperrt und ungerecht behandelt.

Vor lauter Grübeln darüber wäre Igor fast am Tempel vorbeigegangen. Schnell ging er die paar Schritte, die er zu viel gemacht hatte, zurück und nahm bei der verpassten Wegegabelung die Abzweigung zum Tempel.

„Guten Morgen Herr Mönich!“, sagte er freundlich zu dem älteren, etwas molligen Mann mit der Halbglatze.

„Schöner Tag heute, nicht wahr?“

Herr Mönich erwiderte den Gruß, drückte ihm einen Becher dampfenden Kaffees in die Hand und sie standen noch eine Weile vor dem einfachen Steinbau und schwatzten über Wetter und Befindlichkeiten, bevor sie ins Gebäude eintraten.

„Na, dann lasst uns heute beginnen!“

Bruder Tom ergriff wie immer als Gastgeber der kleinen Runde als Erster das Wort. Das Setting bestand aus Igor und Marjeka als die zu Unterrichtenden und den beiden Lehrenden Bruder Tom und Herrn Mönich. Bruder Tom war der lokale Gorfanpriester. Als Priester hatte er eine gute Allgemeinbildung, die er weiterzugeben pflegte. Seit vier Wochen hatte er Verstärkung aus Arca-Nihil in Form des älteren Herrn Mönichs erhalten. Dieser wurde als technologischer Kapazunder gehandelt und wusste zu fast allem eine Antwort. Igor fand ihn extrem gebildet und wirklich sehr umgänglich. Sie waren fast schon Freunde. Noch wichtiger als der Unterricht war allerdings der umgekehrte Wissenstransfer. Herr Mönich arbeitete mit Marjeka und Igor im ANKH Labor zusammen und lernte dabei viel von den beiden über Erdtechnologie. Das war der eigentliche Grund seiner Anwesenheit. Da waren sich Igor und Marjeka einig.

„Unser Thema ist heute das ANMASS. Die Währung in unserer Stadt. Aber bevor wir uns darin vertiefen – gibt es etwas, das wir vorher besprechen sollten? Ist euch im Laufe der letzten Woche etwas untergekommen, das wir hier erörtern könnten?“

„Der Salzsee“, Marjeka sprach es sehr scharf und zu laut für den kleinen Raum aus. Alle Männer wirkten erschrocken.

„Warum ist da so viel Salz im Krater?“, ergänzte sie die Frage, weniger scharf.

„Hm, das ist eine gute Frage“, meinte Bruder Tom.

„Ehrlich gesagt wissen wir das auch nicht. Der Salzsee war schon da, als wir angekommen sind und ohne genauere Untersuchungen werden wir wohl nie seine Entstehung und seine Form erklären können. Vermutlich hat es früher mehr geregnet und es war ein See im Krater. Als der See dann ausgetrocknet ist…“

Er wurde von Marjeka ungeduldig unterbrochen:

„Regenwasser enthält kein Salz mein lieber Tom. Wenn das ein erloschener Vulkan ist, dann kann da auch nie Salzwasser drinnen gewesen sein.“

Nach kurzem Schweigen meldet sich Herr Mönich zu Wort.

„Liebe Marjeka! Du hast vollkommen recht, dass das merkwürdig ist. Aber bedenke bitte, dass unser Volk auch erst seit etwas über hundert Jahren auf dieser Welt ist. Unser Weltbild hat sich in letzter Zeit auch mehrmals verändert und du wirst bei etwa 50 % unserer Bevölkerung die Kringeltheorie hören. Diese besagt folgendes: Wir leben in einem Eimer, welcher von der vor kurzem entdeckten Banks-Barriere gebildet wird. Im Eimer ist Wasser. Ein Meer, in welchem der Kontinent ‚Caltha‘wie ein überdimensionaler Kringel auf dem Wasser schwimmt. Hinter der Banks-Barriere, welche verhindert, dass das Wasser einfach abrinnt, leben die Götter. Nicht wahr, Bruder Tom?“

Bruder Tom nickte heftig.

„Ja, Genau! Ihr dürft nicht vom Wissen unserer ANKH-Leute auf die Allgemeinheit schließen. Was Herr Mönich damit wohl sagen wollte ist: wir sind naturwissenschaftlich weit davon entfernt, uns die Welt um uns herum erklären zu können, wie ihr es gewohnt seid. Oder glaubt ihr im Ernst, dass wir ein Team Forscher auf die Klärung des ‚ausgetrockneten Salzsee Phänomens‘ ansetzen können, wenn wir noch nicht mal das iPhone erfunden haben?“ Er sagte das mit einem leichten Lächeln über die aus seiner Sicht gelungene Anspielung auf ihre ANKH Arbeit, wo sie letzte Woche über irdische Smartphones gesprochen hatten.

Es entstand eine Pause, welche Herr Mönich beendete.

„Wir wissen, dass Devenport Island vor Jahrzehntausenden, als eine frühere, hoch entwickelte Rasse diesen Planeten beherrschte, eine wichtige Rolle gespielt hat. Eventuell wäre der Salzsee kein Rätsel mehr, wenn wir herausfänden, was damals auf Devenport Island geschah. Nachdem wir mit der Lösung dieser Rätsel nicht in absehbarer Zeit rechnen können, schlage ich vor, wir beenden das Thema Salzsee an dieser Stelle und beginnen mit dem etwas aktuellerem Thema, Wirtschaft und Währung. Weil dieses Wissen braucht ihr, wenn wir euch ins freie Leben entlassen, viel dringender.“

Devenport Island hatte also früher eine wichtige Rolle gespielt, wiederholte Igor für sich im Geist. Ich wette das hat mit der Höhle zu tun. Toll dass Marjeka diese entdeckt hat. Ich bin schon gespannt was wir da drinnen finden werden. Igor hörte auf eigene Gedanken zu spinnen, als Herr Mönich an der Kreidetafel zu zeichnen begann.

„Ihr kennt die Feiertage in unserem kleinen Reich noch nicht“, sagte Herr Mönich, als er einen horizontalen Strich auf der Tafel zeichnete, diesen in der Mitte teilte und die Zahl ‚200‘ darunter schrieb.

„Unser Kalender hat 400 Tage und am 200’sten feiern wir den BANKtag. BANK steht für ‚Büro für Arca-Nihil Kommerz‘ und ist quasi unsere Nationalbank. Am BANKfeiertag kommen also alle Leute in ihre BANKfiliale und tauschen ihre ANMASS um, weil die alten an Wert verlieren.“
„Was in ein paar Wochen verliert mein hart erarbeitetes Geld seinen Wert?“, ereiferte sich Marjeka aufgebracht.

Herr Mönich lächelte ihr gütig zu.

„Mit einer derartigen Reaktion habe ich gerechnet. Das letzte Jahr haben unsere Wirtschaftsexperten damit verbracht, Bücher über das Finanzwesen der Erde zu lesen und dabei bemerkt, wie anders es bei euch läuft. Bei euch glauben alle an eine starke Währung, ohne zu erkennen wie fatal das sein kann. Zum Glück haben wir das immer schon, dank unserer Vorfahren, anders gehandhabt.“ Herr Mönich löschte das Tafelbild und begann mit Pfeilen und Balken finanzwirtschaftliche Zusammenhänge zu zeichnen.
„Euch ist sicherlich aufgefallen, dass die ANMASS Münzen im Gegensatz zu echten Gold-, oder Silbermünzen recht einfach, ja zerbrechlich anmuten. Auch die Geldscheine sind einfach gemacht. Jede Münze und jeder Schein hat eindeutige Merkmale, die zeigen in welchem Jahr er geprägt oder gedruckt wurde. Und jedes Jahr wird er um 5 % vom Ausgabewert abgewertet. Darum tauschen die Leute auch am BANKfeiertag um. Weil alte Münzen und Scheine oft nicht mehr in Geschäften akzeptiert werden.“
Aber da beraubt ihr die Leute ja ihres Ersparten!“, ereiferte sich jetzt Igor. „Man kann doch den Leuten nicht einfach das Geld aus den Taschen ziehen. Das ist ja unerhört!“

„Nun es ist eine Art von Vermögenssteuer. Aber es hat den Vorteil, dass niemand versucht, viel Geld zu horten. Das Geld ist Tauschmittel und jeder versucht es schnellstmöglich los zu werden, damit es nicht seinen Wert verliert. Auf der Erde nennt ihr es Schwundgeld. Wer bei uns viel Geld hat, kann es im Idealfall gratis verleihen und dann keine Schwundgebühr zahlen, aber es kann kein Zins aus einem Vermögen bezogen werden.“

Igor schluckte, weil er schon gerne sein Geld ein wenig für sich arbeiten lassen hätte. „Aber warum soll ich hart arbeiten, wenn ich dann alles wieder verliere?“
„Arbeiten zahlt sich immer aus, weil man dann Geld verdient. Und in Arca-Nihil gibt es eine Beschäftigungsgarantie. Wenn euch sonst niemand anstellt, bekommt ihr für ein ANMASS eine Beschäftigung beim Staat. ANMASS bedeutet ‚Arca-Nihil Mindeststundensatz‘ und ist ein garantierter Betrag, unter dem man für eine Arbeitsstunde nicht beschäftigt werden darf. Weiters gibt es eine Preisstabilität, weil es durch den fehlenden Zins zu keinen Preiserhöhungen kommt. Einzig Schwankungen bei einzelnen Produkten sind möglich. Diese sind umso geringer, je größer der Personaleinsatz dabei ist, weil dieser ja immer in ANMASS gerechnet wird.“

Herr Mönich war sichtbar in seinem Element, die Erklärungen gingen ins Detail und zogen sich bis in den Nachmittag hinein.
Igor fasste für sich zusammen, dass Bargeld auf Arca-Nihil regelmäßig abgewertet wurde. Diese Abwertung konnte man reduzieren, indem man das Geld auf eine Bank brachte, oder verlieh. Zinsen bekam man nie, aber bei geschickter Veranlagung konnte man den Wert des Geldes erhalten. Investitionen wurden derart gefördert und es gab nur wenig Motivation Geld ungenutzt zu horten. Herr Mönich sprach später noch über Grundbesitz. Dass dieser immer nur temporär sei. Aber das interessierte Igor dann schon nicht mehr so. Er rechnete im Kopf, was das Gehörte für ihn bedeuten würde. Er hatte ungefähr ein halbes Jahr in der Tetris-Halle und hier auf Devenport Island für fünf ANMASS die Stunde gearbeitet, was ein sehr hoher Stundenlohn war. Er hatte jetzt genau 5.221 ANMASS in seiner Geldbörse. Am BANKtag würde er umtauschen müssen und sein Vermögen würde dabei um 261 ANMASS sinken. Das war verkraftbar. Aber er verstand das Prinzip – jeder bekommt Arbeit und kann sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Ihn als Habenichts traf das sicher weniger als reichere Leute.

Als die beiden Tempeldiener zum Essen läuteten und alle gemeinsam am Tisch saßen um das Tischgebet zu sprechen und danach das Essen einzunehmen, herrschte schon entspannte Ruhe. Igor und Marjeka hatten wieder viel über ihre neue Heimat gelernt und Igor entging nicht, dass Bruder Tom schon wieder möglichst unauffällig lüsterne Blicke in Richtung Marjeka warf. Soll er sich doch die Zähne an ihr ausbeißen, dachte Igor grimmig. Er hatte bei Marjeka schon lange jede Hoffnung auf mehr als gemeinsame Spaziergänge und gemeinsam von der Erde zu träumen, aufgegeben.

Marjeka – Arbeit

Tags darauf, am Zweitag, erreichte Marjeka früh am Morgen den alten Gorfantempel, begrüßte Saba und Bruder Tom, die bereits da waren und setzte sich auf die Bank im Schulungsraum, der eigentlich das Esszimmer des Tempels war und freute sich, dass Tom bereits eine Tasse Kaffee für sie auf den Tisch gestellt hatte. Es war zwar nur einfacher Malzkaffee, aber in diesem Kaff am Ende der Welt freute sie sich über jede kleine Annehmlichkeit. Ähnlich pragmatisch sah sie Bruder Toms Avancen ihr gegenüber. Sie hatte zwar absolut kein Interesse an ihm, aber das musste sie ihm ja nicht zeigen. Bruder Tom war eine wichtige Person auf diesem Eiland und das wollte sie zu ihren Gunsten nutzen.
„Danke mein Lieber“, säuselte sie etwas übertrieben, aber bei Tom kam es gut an. Er flitzte in die Küche und holte Zimtschnecken, welche Saba vorher mitgebracht hatte.

„Wie geht es Drack?“, fragte sie die Frau des Bürgermeisters, welche ganz Zwergin mit leichtem Bartwuchs gar nicht feminin wirkte. Bei der muss sich Drack vermutlich nie Sorgen in Bezug auf Treue und so machen, dachte Marjeka bei sich und lächelte Tom dabei ein wenig abwesend an.
„Magst Du eine von Sabas Zimtschnecken?“, fragte dieser gerade, als auch Igor und Herr Mönich eintraten. Marjeka mochte diese morgendlichen Zusammenkünfte vor Arbeitsbeginn und nahm sich gleich zwei Zimtschnecken, nicht vergessend deren Geschmack bei Saba zu loben.

„Auf geht’s“, sagte Tom, nachdem alle gegessen und getrunken hatten und schritt als erster die Kellerstiege hinunter. Der ganze, kleine Tempel war unterkellert, aber die Kellerräume waren relativ leer. Es standen ein paar Weinfässer und ein paar Säcke Gemüse herum. Ansonsten herrschten Spinnweben und Käfer in diesem dunklen Gewölbe. An einer verborgenen Stelle jedoch befand sich ein kleiner Schlüsselschalter, den Tom betätigte. Daraufhin begann sich eine äußere Steinwand zu drehen um den Eingang zum geheimen Labor zu öffnen. Alle bis auf Tom gingen hinein und Tom schloss den Zugang wieder von außen.

Früher hatte Marjeka das beunruhigt, aber seit sie wusste, dass es innen drin einen Notschalter zum Tür öffnen gab, war es ihr egal, dass sie jetzt unter der Erde eingeschlossen waren.

Das Labor war für die Verhältnisse auf der Insel riesengroß. Der Raum war etwa quadratisch und maß circa sechs Meter auf jeder Seite. Die Decke war leicht kuppelförmig, am Rand zwei Meter und in der Mitte des Raumes vier Meter hoch. Das besondere Merkmal des Raumes war eine hünenhafte, etwa drei Meter hohe Steinstatue in der Mitte des Raumes. Es war Marjeka ein Rätsel, wie diese in einem Stück in den Raum geschafft worden war. Bruder Tom hatte ihr einmal in einer lauen Sommernacht, als sie ihn ein wenig ‚bearbeitet‘ hatte, eine recht fantastische Geschichte zur Statue erzählt. Der Nationalheld von Arca-Nihil, ein gewisser Kaine da Niwinski, habe, als er Arca-Nihil gründete, aus Stein und Lehm drei riesenhafte ‚Golems‘ geschaffen, die unbesiegbar waren und die Arca-Nihiler vor allen Gefahren zu schützen imstande waren. Einer dieser Golems sei die Steinstatue im Labor. Man habe ihn hergebracht, um das wertvolle Labor vor allen Gefahren zu schützen. Würde eine Bedrohung aufkommen, käme Leben in den Golem und er würde alles vernichten, was sich ihm in den Weg stellte, ging die Geschichte zu Ende. Ja, der liebe Bruder Tom ließ sich immer wieder was Besonderes einfallen, um seine Zuneigung zu unterstreichen, dachte Marjeka ein wenig geschmeichelt bei sich.

Sei es wie es sei, die Statue war imposant und gab dem Labor etwas Besonderes. Ansonsten war der Raum für Marjeka mehr sowas wie die Garage eines Bastlers im Silicon Valley der Achtzigerjahre – es standen viele Tische herum voll mit Elektronik und Werkzeug. Weiters gab es mehrere Laptops, Nadeldrucker, jede Menge Disketten, CDs, DVDs, USB-Sticks und riesige Stapel leeres und bedrucktes Papier.

Die Beleuchtung war elektrisch. Einfache Kohlefadenlampen angeschlossen an einem Energieblock. Der Energieblock war damals, als sie das Erste Mal herkamen, für Marjeka und Igor besonders interessant gewesen. Es gab auf Arca-Nihil eine Substanz ‚Paratechnikum‘ genannt, welche in Würfeln zu einem Kubikzentimeter als galvanisches Element verwendet wurde und das eine unglaubliche Energiedichte aufwies. Der Energieblock hatte in etwa die Größe eines Wasserkochers und lieferte schon seit sie hier ankamen ausreichend Energie für alle Apparaturen im Labor.

Das war auch der Raum, in dem sie acht von zehn Tagen die Woche fünf bis acht Stunden verbrachten. Meist saßen sie dabei an den Notebooks und halfen Herrn Mönich und Saba dabei, Dokumente zu klassifizieren. Die zweitwichtigste Aufgabe dieses Labors war es, als bedeutsam bestimmte Dokumente auf Papier zu bringen. Dazu standen mehrere robuste Nadeldrucker bereit, die unermüdlich ratternd Zeile für Zeile, Bild für Bild, gesammeltes Wissen von der Erde aus dem digitalen Zustand in einen analogen zurück verwandelten. Die Übersetzung auf ANOS erfolgte nur zu einem geringen Teil durch Herrn Mönich und Bruder Tom. Normalerweise wurden die Ausdrucke in Kisten verpackt nach Arca-Nihil gesandt, um von den Gelehrten im Royal Lyceum, der großen Wissenswerkstatt von AN, übersetzt zu werden. Besonders Igor hatte hier noch einen weiteren Job – das Reparieren defekter Elektronikteile und den Service der Notebooks. Niemand auf AN konnte das so gut wie Igor und Marjeka. Darum waren sie unglaublich wertvoll für die ANKH. Das war den beiden bewusst.

Der Tag verging wie viele andere vor ihm und die nächsten beiden Tage auch. Am Zweitag wurden hauptsächlich relevante Dokumente selektiert. Am Drei- und Viertag ratterten die Drucker ununterbrochen. Es mussten mehrere Farbbänder nachgefärbt werden, was mit AN-Mitteln tricky war, aber eine lange Lebensdauer der Drucker ermöglichte. Und Ersatzteile waren ja mehr als 34 Millionen Lichtjahre entfernt.

Am Ende des Viertages setzte sich Marjeka neben Igor an dessen Schreibtisch. Er war gerade dabei Papier so zuzuschneiden, dass es in den Einzug des Druckers passte. Es gab zwar Papier auf AN, aber ein exaktes DIN A4 Format schien den Papiermachern hier schwerzufallen.

„Wann treffen wir uns morgen?“, fragte sie ihn leise.
„Nach dem Mittagessen, unten am Salz“, schlug Igor vor und Marjeka nickte.

„Sollen wir eine Taschenlampe mitnehmen?“, fragte er, aber Marjeka winkte ab. „Falls das wer sieht, gibt es nur Ärger. Ich habe sechs Fackeln, das sollte reichen.“

„Ok!“, meinte Igor.

„Wohl ist mir nicht bei der Sache, aber ich freue mich drauf etwas mit Dir gemeinsam zu unternehmen.“ Er grinste sie freundlich an und schnitt energisch durch den Stapel Papier, den er in Arbeit hatte. Damit war das Gespräch beendet.

Marjeka – Strand

Heute war Sesostag, der mittlere Tag der Woche und normalerweise ein arbeitsfreier Tag. Nach Kalender war es der 111.Y55.ANZ. Genau 45 Tage vor dem berüchtigten BANKfeiertag, wo sie ihr Geld umtauschen mussten, um es um 5 % zu entwerten.

Nicht meine Baustelle, dachte Marjeka bei sich und streifte sich die Unterwäsche vom Körper. Marjeka war keine Schönheit. Kritiker würden sie als etwas mollig bezeichnen. Ihr Gesicht war unauffällig und die schulterlangen braunen Lockenhaare etwas fettig und ungepflegt. Aber wenn man sie nackt sehen würde, würde man sie schon als recht weiblich und erotisch bezeichnen. Da sich aber im Moment niemand außer ihr am kleinen Strand der Krabbenbucht befand, konnte man diese Betrachtungen als rein hypothetisch zur Seite legen.

Marjeka band ihre Haare mit einem kleinen Stück Stoff zu einem Zopf, befestigte eine kleine Ledertasche an ihrer Hüfte und nahm ein großes Küchenmesser zwischen die Zähne. So ausgestattet ging die Amazone, ihre nackten Zehen in den feuchten Sand drückend langsam in das seichte Wasser.

Einmal Marine, immer Marine dachte sie grimmig und erinnerte sich an die harten Tage im Ausbildungslager auf Hawaii. Bis zu drei Minuten musste sie damals unter Wasser verharren und dabei Minenattrappen entschärfen, oder Sprengsätze an dafür vorgesehenen Punkten anbringen. Ja, sie war immer schon hart im Nehmen gewesen und das hier war eigentlich eine Kleinigkeit. Das Wasser war warm, die Sicht unter Wasser gut und sie fühlte sich im kühlen Nass gleich sehr wohl. Aber sie konnte nicht vergessen, dass Bruder Tom ihr zwei Dinge zur Krabbenbucht erzählt hatte. Erstens, dass es in den der Krabbenbucht vorgelagerten Felsen Korallenriffe gäbe. Korallenriffe, in denen sich Muscheln befanden, die sogenannte ‚Blaue Perlen‘ produzierten. ‚Blaue Perlen‘ waren neben anderer Reagenzien stark begehrte und teure, geisteserweiternde Substanzen, mit welchen psionisch begabte Personen auf AN wunderbare Dinge anstellen konnten. Darum waren diese Reagenzien sehr gefragt und eben auch sehr wertvoll. Zweitens gab es auf Devenport Island keine Perlentaucher, was angeblich daher kam, dass nahe der Krabbenbucht eine Sippe Riesenkrabben leben sollte, die mit den Menschen Tauschhandel betrieb. Das klang zwar etwas abstrus, aber leider, all das berücksichtigend was in letzter Zeit so in Marjekas Leben vorgekommen war, konnte sie den Wahrheitsgehalt zu dieser Aussage nicht ganz ausschließen. Aus diesem Grund war sie trotz warmen Wassers und guter Sicht etwas nervös und recht umsichtig im Meerwasser unterwegs. Sie wollte ja keinen Riesenkrabben begegnen.

Immer wieder den Kopf zum Navigieren aus dem Wasser hebend, entfernte sie sich vom Strand. Zuerst etwa hundert Meter ins offene Meer hinaus, um dann zu beginnen, die Steilküste entlang zu schwimmen und abzutauchen. Der Meeresboden war vom Strand weg nur ganz langsam abgefallen. Jetzt, etwa 100 Meter von der Küste entfernt, lagen die Korallenstöcke, welche auf dem teils felsigen, teils sandigen Meeresboden wuchsen, immer noch lediglich fünf bis zehn Meter unter der Wasseroberfläche. Marjeka konnte eine traumhaft schöne Welt der maritimen Vielfalt bewundern. Korallen in allen Farben glänzten und schimmerten unter ihr im durch das Wasser dringenden Sonnenlicht. Und Myriaden kleine und größere Fische bewegten sich dazwischen hin und her. Vereinzelt sah sie am Sandboden Seesterne, Seegurken, Langusten und hin und wieder eine Muräne. Auch ein kleiner Riffhai ließ sich einmal blicken.

Nachdem sie etwa 30 Minuten mit dem Anblick dieser Vielfalt verbracht hatte, begann sie nach Muscheln zu suchen. Es gab natürlich Unmengen kleiner und kleinster Muscheln, die sich an Felsen und Korallen festgemacht hatten, aber Marjeka interessierte sich für größere Exemplare. Zweimal wurde sie fündig, tauchte zu den Muscheln hinunter, durchtrennte geschickt deren Schließmuskel mit dem mitgebrachten Küchenmesser, hievte den Deckel auf und suchte im Muschelinneren nach den geheimnisvollen blauen Perlen. Aber in beiden Fällen musste sie nach getaner Suche erfolglos an die Oberfläche zurückkehren und prustend nach Luft schnappen.

Diese Muscheln maßen zwar etwa einen halben Meter in der größten Ausdehnung, sahen aber recht gewöhnlich aus. Zu gewöhnlich für derart Besonderes wie blaue Perlen urteilte Marjeka und ließ ab jetzt Sichtungen derartiger Riesenmuscheln unbeachtet an sich vorbeiziehen.
Langsam entfernte sie sich noch weiter von der Küste. Etwas Tiefblaues zog sie an und ein paar kräftige Schwimmstöße später erkannte sie, was dieses dunklere Blau zu bedeuten hatte. Der Meeresboden brach unter ihr abrupt ab und eine Steilwand führte in für sie nicht mehr erkennbare Tiefen hinunter. Sehr tief unten sah sie schemenhaft Schatten durch das Wasser gleiten. Waren das große Haifische? Jedenfalls keine kleinen Zierfischchen wie vorher am Riff. Marjeka tauchte auf, hyperventilierte eine Weile, um den Sauerstoffgehalt ihres Blutes zu erhöhen, holte noch einmal tief Luft, drehte sich im Wasser, Kopf nach unten und stieß mit aller Kraft in die Tiefe vor. Ihr Ziel war es, die ersten zwanzig bis dreißig Meter der Steilwand zu untersuchen. Also tauchte sie so tief sie konnte dem dunklen Blau der Tiefsee entgegen. Dabei entlastete sie alle paar Tiefenmeter immer wieder Nasenhöhlen und Ohren durch Druckausgleichübungen. Bei derartigen Tiefen musste man das bis zu zehnmal machen, erinnerte sie sich. Trotzdem baute sich ein enormer Druck in ihrer Stirn auf. An der linken Stirnseite spürte sie ein starkes Stechen. Ein paar Meter tiefer löste sich das Stechen, als eine vermutlich durch Nasenschleim blockierte Nebenhöhle dem Druck nachgab und sich öffnete. Für Marjeka deutlich spürbar drang Luft in diese Kammer ein und so ließ der schmerzhafte Unterdruck nach. Es wurde finsterer um sie herum. Als sie ihren Abstieg beendete und den Kopf wieder nach oben pendeln ließ, blickte sie ehrfürchtig in Richtung Wasseroberfläche. Dort oben war es hell und ein Schwarm silberner Fische, eventuell Barracudas, zog immer wieder abrupt die Richtung ändernd etwa zehn Meter über ihr hinweg. Einzelne Sonnenlichtstrahlen drangen durch das Wasser, weil die meisten an feinen Partikeln reflektiert wurden und so funkelte das Wasser mal hell und mal dunkel, wie an einem sonnigen Tag, wo viele kleine Wolken von einem starken Wind über das Land geblasen wurden und für den Betrachter Licht und Schatten schnell wechselnd auftraten.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739426549
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (August)
Schlagworte
Außerirdische Abenteuer PSI Jagd Wesen Welten Reise Fremde SciFi Verfolgung Science Fiction Dystopie Utopie

Autor

  • Arnold Nirgends (Autor:in)

Arnold Nirgends ist gelernter Starkstrommonteur, Nachrichtentechniker und Wirtschaftsinformatiker. Seit etwa zwanzig Jahren bastelt er hobbymäßig an der Ausgestaltung einer fiktiven Welt namens Arca-Nihil. Und um dieser Welt nun auch ein wenig Leben einzuhauchen begann er 2016 damit Romane zu schreiben. Seine Vorbilder sind z.B. Isaac Asimov (Der Tausendjahresplan), Stanislaw Lem (Solaris, Der Unbesiegbare) , Larry Niven (Ringwelt) und Frank Herbert (Der Wüstenplanet).
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Titel: Gefangen auf Devenport Island